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Achtzehntes Kapitel.

Der Doppelgänger.

Nach fast fünftägigem anstrengendem Marsche war der Konstabel mit Frances und den Soldaten zu den Ansiedlungen gelangt, welche den Traverse-River entlang lagen.

Frances war so erschöpft, daß Weller bei der ersten größeren Farm Halt machen ließ und die Gastfreundschaft der Besitzer für sie anrief.

Es war ein ziemlich ausgedehntes Heimwesen, welches sie betraten, und zeigte stattliche Blockhäuser und umfangreiche, fruchttragende Aecker.

Die wenigen anwesenden Bewohner liefen zusammen, als der Zug sich nahte, denn eine Lady im Reitkleide und reguläre Soldaten waren eine seltene Erscheinung dort.

Zwei athletisch gebaute junge Leute, welche mit Feldarbeiten beschäftigt waren, eilten herbei und starrten die Ankömmlinge neugierig an.

»Hallo, Boys,« rief ihnen der Konstabel zu, »habt ihr einen Unterschlupf für eine Lady, welche müde vom langen Marsche ist?«

»Seid willkommen hier,« sagte der ältere der beiden Burschen, ein Jüngling von vielleicht zwanzig Jahren, freundlich, »seid willkommen auf Wilsons Farm. Seid willkommen alle. Lauf, Henry,« wandte er sich an den Jüngeren, »sage es der Mutter an.«

Flink lief dieser davon auf das Hauptgebäude zu und verschwand in demselben.«

»Kommt näher. Fremde, seid willkommen.« Und er ergriff den Zügel von Frances' Pferd und führte es auf das Haus zu.

Weller und die Soldaten folgten.

Als sie näher kamen, erschien in der Türe eine ältere Frau, die mit nicht geringerem Erstaunen den Zug betrachtete, als ihre herkulischen Söhne.

»Werdet Ihr einer erschöpften Reisenden Gastfreundschaft gewähren, Mistreß?« klang Frances' süße Stimme.

»Seid willkommen, Leute. Mein Gott, aus den Wäldern solch junge Lady? Steigt ab, kommt herein, was mir haben, steht euch zu Diensten. Edward, hilf der Lady aus dem Sattel, Henry, rufe die Mägde, laß sie für die Soldaten sorgen.« Der junge Mann hatte Frances vom Pferde gehoben. Die alte Frau faßte herzlich ihre Hände: »Mein Gott, Kind, wie kommen Sie durch diese Wälder hierher?«

»Sollt alles erfahren, Frau,« ließ sich Weller vernehmen, »laßt die Lady nur erst Atem schöpfen.«

Er stieg ab und die Frau leitete das junge Mädchen sorgfältig ins Haus, wohin Weller folgte.

Die Pferde wurden von den jungen Leuten hinweggeführt, die Soldaten stellten ihre Gewehre zusammen, warfen die Tornister ab und ließen sich an den Bänken am Hause und auf dem kurzen Rasen vor demselben nieder.

Mistreß Wilson führte Frances in ein im Erdgeschoß gelegenes Wohngemach zu einem breiten, wohlgefügten Sessel.

»Setzt Euch, Kind, und ruht Euch, Ihr seid ja ganz erschöpft. Lizzie!« rief sie einem flinken Mädchen zu, welches neugierig in der Türe stand, »laß Kaffee machen und bewirte die Soldaten. Sollt Euch in der Gastfreundschaft von Wilsons Farm nicht verrechnet haben. Fremde.«

Geschäftig nahm sie ihrem Gast den Hut ab.

»Sollt gleich eine Stärkung erhalten, Kind, haben alles hier.«

»Recht, Frau, und habt Ihr auch einen Schluck Rum oder Whisky für einen ausgedörrten Konstabel, so will ich es Euch danken.«

Schon brachte einer der jungen Recken eine bauchige Kruke mit Whisky, kalten Braten und Brot, und der unverwüstliche Weller griff schweigend mit vortrefflichem Appetite zu.

Die Frau ging hinaus und kam zurück mit Tassen, denen bald eine Kanne mit duftendem Kaffee, Butter, Maisbrot und süßes Gebäck, wie es die Landleute vermittelst Honig bereiten, folgte.

Eifrig nötigte sie Frances, zuzugreifen, die der Aufforderung entsprach und auch in der Tat bald die ersten Folgen der Erschöpfung überwand.

Die Frau saß dabei und betrachtete abwechselnd bald die zarte Erscheinung der jungen Dame, bald das martialische Gesicht Wellers, oder warf einen Blick durch das Fenster auf die kriegerische Gruppe draußen, deren einzelne Glieder sich mit Eifer der Vertilgung der ihnen gereichten Erfrischungen hingaben.

Die beiden Söhne hatten sich gleich dem jungen Mädchen, der Tochter des Hauses, eingefunden, um mit verhaltener Neugier ihre wie vom Himmel gefallenen Gäste zu betrachten.

Weller hatte sein Mahl vollendet und stopfte sich behaglich die Pfeife, deren blauer Dampf bald lustig emporwirbelte.

Endlich konnte die Frau die ihr schon lange auf der Zunge schwebende Frage nicht mehr unterdrücken: »Nun sagt mir um des Himmels willen, Fremde, von wo kommt ihr durch die Wälder hierher an den Traverse?«

»Von den Forts, Frau. Haben den Weg verfehlt, hätten den Traverse weiter unten treffen müssen, sind aber fremd in diesen Wäldern. Kommen vom Fort Jackson am Chippeway.«

»Vom Fort Jackson?« fragte lebhaft von neuem die Frau.

»Mit einigen unfreiwilligen Umwegen direkt vom Fort Jackson.«

»So müßt ihr meinen Mann dort getroffen haben?«

»Wer ist Euer Mann?«

»Nun, der Besitzer dieser Farm, Thomas Wilson.«

»Hm, Frau, haben den Mann nicht gesehen. Schon lange fort?«

»Seit zehn Tagen, müßte längst zurück sein.«

»Und der ist nach Fort Jackson gegangen?« fragte mit sehr ernstem Gesicht der Konstabel.

»Sage es Euch ja. Mann, vor zehn Tagen. Habe meinen Bruder dort, wollte mein Mann nach ihm sehen. Läuft gern in den Wäldern herum, der alte Mann.«

»Habt einen Bruder im Fort Jackson, Frau?« Das Gesicht Wellers wurde immer ernster.

»Nun ja. Mein Gott, was seht Ihr mich denn so an?«

»Wie heißt Euer Bruder?«

»Es ist der Sergeant Wood.«

»Segne meine Seele! Frau, Ihr könnt Gott danken, der ist davongekommen.«

Die Frau erschrak. »Wie, davongekommen? Von was? Was hat's denn gegeben?«

Die Söhne und die Töchter lauschten gespannt und Frances richtete den teilnahmsvollen Blick auf Mistreß Wilson.

»Der Wilde war im Fort.«

Die Frau wurde fast so bleich wie das Leinentuch, mit dem der Tisch bedeckt war, und die jungen Leute ließen einen jähen Ruf des Erstaunens hören.

»Der Wilde?«

»Seid ruhig, Frau, Euer Bruder lebt. Er ist zwar verwundet, aber kommt davon. Keine Not um ihn.«

»Und mein Mann?« fragte die Frau fast tonlos.

Weller zuckte die Achseln.

»Möglich, daß er erst dort eingetroffen ist, als wir fort waren. Wäre er vor uns dagewesen, hätte der Sergeant uns etwas davon gesagt, wußte, daß mir an den Traverse wollten.«

»Aber der Wilde, der Wilde, sagt Ihr, war in den Wäldern und im Fort?«

»Leider, Frau, ist viel Blut geflossen dort oben, können Jackson fortan das blutige Fort heißen.«

»Und mein Mann? Mein Mann. Gerechter Gott, mein Mann war ja dort. Mein Mann?«

»Ist den Roten hoffentlich entgangen, hatten es nur auf das Fort abgesehen, haben dort gemordet und sind dann selbst abgeschlachtet worden.«

Die Frau zitterte wie Espenlaub, die Söhne standen, Schreck in den jugendlichen Zügen, mit entsetzensvollen Blicken da. Das junge Mädchen hielt die Hände vor das Gesicht.

Frances stand auf, legte sanft den Arm um die Schulter der in den Stuhl zurückgesunkenen Frau und sagte liebreich: »Faßt Mut, Frau, Ihr werdet Euren Gatten hoffentlich wiedersehen, faßt Mut. Ich kann Eure Sorge würdigen und nachfühlen, denn ich selbst habe Schreckliches dort erlebt und erlitten.«

Die Frau ergriff ihre Schürze und weinte leise hinein.

Edward, der älteste der beiden Söhne, trat auf die Mutter zu: »Wir werden uns sofort, wenn die Mutter es erlaubt, nach dem Fort aufmachen, Henry und ich, und nach dem Vater suchen.«

»Recht, Boys,« ließ Weller sich vernehmen. »Könnt mit den Soldaten abziehen, die gehen dorthin zurück. Die Wälder sind jetzt sicher.«

Die ganze Familie war durch die Nachrichten von Fort Jackson in die höchste Aufregung versetzt.

Weller vernahm von den Söhnen, daß sie erst kürzlich erfahren, daß der Mutter Bruder, den diese lange nicht gesehen hatte, zur Garnison von Jackson gehöre, und Wilson, der die Gegend kannte, hatte sich aufgemacht, um den Schwager zu begrüßen.

Wenn er mit der Bande Peschewas zusammengetroffen war, war es leider zu wahrscheinlich, daß er nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Aber es war kein Grund vorhanden, dies mit zwingender Notwendigkeit anzunehmen, die Wälder sind weit, und der rachsüchtige Ottawahäuptling hatte ein bestimmtes Ziel im Auge. Wenn Wilson ein erfahrener Grenzmann war, wie die Söhne bestätigten, so konnte er der Gefahr wohl aus dem Wege gegangen sein.

Dies letztere teilte er der Frau in seiner ehrlichen herzhaften Weise mit.

Sie faßte wieder Mut unter seinen Trostesworten und wurde ruhiger.

Daß die Söhne sich mit den Truppen nach dem Fort begeben sollten, wurde beschlossen.

Während sie noch redeten, trat ein Mann ins Zimmer mit einem lauten: »Hallo, Wilson! Schläft denn alles hier?« und sah verwundert auf die Gruppe. »Hallo, Mistreß Wilson, was gibt's hier? Draußen Uncle Sams Blauröcke, als ob es in den Krieg ginge, und hier? Alle Wetter, was fehlt Euch, Frau?« Er bemerkte jetzt erst das verstörte Aussehen der Wirtin.

»Ach, Nachbar Boyle – mein Mann –«

»Nun, wo steckt die alte Nachteule?« fragte der Farmer, der in der Nähe ansässig war.

»Mein Mann, Nachbar, ist nach Fort Jackson gegangen – und – und – noch nicht zurück – und –«

Die Frau brach in einen Tränenstrom aus.

»Was ist das?« Auf dem Gesicht des Mannes prägte sich lebhaftes Erstaunen aus. »Nicht zurück? Wer denn? Ich habe ihn doch gestern gesehen.«

»Wo? Wen? Meinen Mann? Den Vater?« schrie alles durcheinander.

»Wie ich Euch hier vor mir sehe.«

»Wo denn? Ums Himmels willen, wo denn, Mister Boyle?«

»Am Pinelac.«

»Am Pinelac?«

»Ja, nicht zehn Meilen weit von hier.«

»Und habt ihn gesprochen?«

»Nein, Mistreß Wilson.«

»Habt Ihr Euch auch nicht getäuscht?«

»Aber, Frau, ich bitte Euch, sollte Tom Wilson nicht kennen?«

»Aber warum habt Ihr ihn nicht angesprochen?«

»Ging nicht. War der See zwischen uns. War zwar noch in Anrufsweite, denn der Pine ist dort nicht breit, rief auch, muß es aber nicht gehört haben, denn ritt weiter.«

»Ja, um Gottes willen, warum kommt denn der Mann nicht nach Hause?« rief die Frau, der eine schwere Last vom Herzen gefallen war.

»Kennt doch Euren Tom. Hatte sicher eine Bärenfährte, schien mir so, und dann kommt doch der nicht nach Hause, bis er die Pranken hat. Wird schon kommen, Frau, wird schon kommen. Ist ein alter, leichtsinniger Bursche. Würde ihn kürzer halten, Mistreß Wilson.«

Die schmerzlich sorgenvolle Stimmung war verscheucht und die Frau lächelte über des Nachbarn letzte Worte.

»Nun sage mir, was versetzte Euch in solche Angst um den Tom?«

Man gab ihm die Erklärung, welche der Konstabel durch eine kurze, aber deutliche Schilderung ergänzte.

Boyle wie alle waren entsetzt von den Schreckensnachrichten.

Frances hatte sich auf ihren Wunsch schon früher zurückgezogen und ruhte im Schlafzimmer der Tochter des Hauses aus, und so konnte der Konstabel den entsetzten Hörern ein treues Bild der furchtbaren Vorgänge in dem kleinen Grenzfort geben, ohne von neuem die schmerzlichsten Erinnerungen in ihr wachzurufen.

Nachdem noch hin und her gesprochen war, erhob sich der Farmer, um sich zu entfernen.

»Was mich eigentlich heute herführt, Leute, wollte dem Tom sagen, soll auf seine Pferde acht geben und sein Haus wahren.«

»Was ist das?« Und Weller trat ihm rasch näher.

»Ist in voriger Nacht drüben am Bearcreek eingebrochen, zwei Pferde gestohlen, Pulver, Decken und etwas Geld geraubt worden. War heute Browns Junge bei mir, um es anzusagen. Uebernahm es, euch zu warnen.«

»Und die Spitzbuben?« fragte der Konstabel.

»Sind entkommen, haben ihre Spur zu verbergen gewußt.«

»Ich bin hinter einigen dieser Herren her und schließe wohl nicht falsch, wenn ich annehme, daß die Einbrecher dieselben sind, welche ich suche. Bin schon vom Muskegon an hinter ihnen her. Waren auch im Fort, dachte mir wohl, daß sie hier herauf seien, um den Mackinaw zu gewinnen und über den See zu entwischen. Will mich bald ans Werk machen.«

»Seid gewarnt, Leute, mehr konnte ich nicht tun.« Der Farmer entfernte sich, und der Konstabel und die jungen Leute besprachen angelegentlich eine Verfolgung der Räuber, welche sich bereits so unliebsam bemerkbar gemacht hatten. Am selben Tage lagerten etwa zehn bis zwölf Meilen (englisch) von Wilsons Farm entfernt Morris und der kleine Fred, genannt Iltis, in einem dichten Busche, unweit einer in ihren rohesten Anfängen begriffenen Straße, welche in der Richtung von Süden nach Norden durch die Wälder lief.

Die beiden Gesellen waren trefflich mit Waffen und Decken ausgerüstet und zwei in ihrer Nähe angebundene Pferde bewiesen, daß sie es auch verstanden hatten, sich beritten zu machen.

Trotz der Nähe der Straße, welche freilich einsam genug dalag, schien sich das würdige Paar ganz behaglich zu fühlen. Sie rauchten schweigend, dann und wann nur traf ein Blick die schönen Pferde, und dann kicherte der Iltis leise vor sich hin.

»Nun, was freut dich denn so, mein Bursche, daß du so vergnügt in dich hineingrinsest?«

»Was mich freut? Segne meine Seele, das weiß der Mann nicht. Mein Pferd freut mich. Habe es satt bekommen, in diesen verwünschten Wäldern herumzulaufen, sehnte mich schon lange nach einem gutgebauten Pferderücken.«

»Ging mir ebenso, ist ein Fakt. Iltis, du bist der gewandteste Gauner in ganz Michigan. War ein Meisterstreich, wie du uns zu den Pferden halfest.«

»Hihi,« kicherte der kleine Fred und die schwarzen Augen funkelten: »Denke, wie ich unsre Spur verdeckte, war das beste.«

»Ist ein Fakt, Iltis, sollen nach ihren Pferdehufen suchen, diesmal hinterließen wir keine verfolgbare Fährte.«

»Und sieh nur, wie ich meinen Braunen zugestutzt habe. Wo ist die Blässe, der weiße Hinterfuß? Wo die lange Mähne und der bis zu den Flechsen herabhängende Schweif? Mit diesem Gaule reite ich bei seinem jetzigen Aussehen dem Besitzer unter der Nase her und er erkennt ihn nicht.«

»Ist richtig genug, soll schwer werden ohne ganz genaue Kennzeichen das frühere Tier aus diesem herauszuerkennen. Verstehst dein Handwerk, Fred.«

»Wenn mir nur mehr Geld gefunden hätten, aber die bettelhaften Farmer haben ja keines im Hause, und mit den fünf lumpigen Dollars werden wir nicht weit kommen.«

»Müssen sehen, Iltis, daß wir unsre Kasse vermehren.«

»Weißt du, Morris, habe hier zu lagern vorgeschlagen, weil sie uns erstens an einer offenen Straße am wenigsten suchen werden, wenn sie überhaupt nach uns suchen –«

»Das werden sie schon, dessen sei sicher.«

»Aber wo?« kicherte Iltis, »diesmal können sie auf keiner Spur herreiten.«

»Wie bei deinem verwünschten Sumpfe am Muskegon – den ich dir übrigens jetzt verzeihe –«

»Du gute Seele. Und dann,« fuhr Iltis fort, »habe ich diesen Platz gewählt, weil ich hoffe, ein braver Farmer komme des Weges, der seine Brieftasche mit Greenbacks vollgepfropft hat –«

»Ist verteufelt gefährlich, Iltis.«

»Denke nicht. Ist die Straße einsam genug. Kenne die Gegend.«

»Will dir was sagen, Bursche, weiß jetzt schon wieder alles weit und breit von dem Einbruch dort am Creek –«

»Laß sie, kennt uns hier niemand –«

»Und sollte mich gar nicht wundern, wenn der blutige Konstabel nicht schon hier umherschnüffelte.«

»Kann nicht sein. Mann. Ist zwar wahrscheinlich, daß er nach Norden aufgebrochen ist, ist ein geriebener Bursche, der Weller, und wird wohl eine Notion haben, daß wir uns nach den Kanadas sehnen, aber diese Gegend liegt ganz abseits seines Weges von Fort Jackson her, wenn er, was wahrscheinlich ist, nach Traverse City will, und liegt sein Ziel nördlicher, dann erst recht.«

»Bist ein Wagehals, Iltis.«

»Und du mit einemmal schüchtern wie ein Mädchen. Wünsche mir nichts Besseres, als einen behäbigen Farmer hier vor der Büchse.«

»Und wenn sie unsre Spur aufnehmen?«

»Erstens ist ja nicht gleich Richter Lynch bei der Hand, und dann muß doch jede Spur einen Anfang haben, wenn man ihr folgen soll, und diesmal werden sie lange danach suchen, ehe sie ihn finden, ist auch nicht immer eine verdammte schnüffelnde Rothaut da, wie dort am Sumpfe.«

»Ja, und was nun weiter?«

»Also Geld müssen wir haben, das ist unfraglich, es handelt sich nur darum, wie wir es erlangen, und da ist mir eine einsame Landstraße selbst am Tage lieber, als ein nächtlicher Einbruch, der gefährlicher ist und nicht mehr Gewähr bietet, Geld zu finden, als ein kleiner Straßenraub.«

»Gut also, Geld müssen wir haben, ist ein Fakt. So oder so.«

»Hat sich unser Vermögen vermehrt, reiten mir durchs Land nach Traverse City, kalkuliere, daß, wenn der blutige Konstabel uns sucht, dies vor allem oben am Mackinaw sein wird –«

»Nun, und dann?«

»In Traverse, kenne den Platz, verhandeln wir die Pferde, habe dort einen guten Freund, der sie uns abnimmt, werden zwar kein gutes Geschäft dabei machen, und dann hinüber nach der nördlichen Halbinsel. Sollen sich das Suchen dort vergehen lassen, will Jahre dort leben, wenn mich nicht der Hunger heraustreibt, ehe mich eine Menschenseele spürt.«

»Und weiter?«

»Dann hinüber über den Boundavy nach Kanada. Von da können wir dann nach Belieben zu Uncle Sam zurückkehren.«

»Bin dieses Herumliegens in den Wäldern satt, Fred, sehne mich nach Ruhe, ist ein Fakt.«

»Weiß, hast mitunter moralische Anwandlungen, hätte auch lieber eine Farm mit viertausend Acres gutem Bottom, ist auch ein Fakt.«

»Wir haben Unglück, Iltis. Muß auch der verteufelte Peschewa seinen Kriegstanz bei dem blutigen Fort aufführen. Wird noch eine wilde Hetze geben, Uncle Sam wird das nicht ruhig einstecken.«

»Darum so rasch wie möglich hinüber.« –

»Ist dir der seltsame Kerl im Fort nicht aufgefallen?« fragte Morris nach einigen Augenblicken des Schweigens.

»Welcher?«

»Der mit dem weißen Haar und Bart.«

»Hatte genug mit seltsamen Kerls dort zu tun, als mich um den auch noch zu bekümmern.«

»Glaube, habe den Mann schon gesehen, wird der gewesen sein, den die Ottawas den ›toten Mann‹ nennen.«

»Nun, was ist damit?«

»Habe von dem Kerl geträumt, Iltis, schnürt mir noch die Brust zusammen, wenn ich daran denke« – der starke Mann schauderte bemerkbar – »riß mir bei lebendigem Leibe das Herz aus der Brust – war ein furchtbarer Traum – – O –« setzte er dann mit einem wilden Fluche hinzu, »er mag zu Grase gehen.«

Er schwieg und blickte starr vor sich hin. Iltis richtete sich empor, horchte auf und auch Morris vernahm alsbald das Geräusch von Pferdehufen.

Iltis erhob sich und lief nach einer Stelle der Erdanschwellung, auf welcher sie lagerten, von wo aus man den Weg nach Süden eine Strecke überschauen konnte.

Morris folgte ihm.

Ein Reiter, der sein Pferd langsam einhergehen ließ, kam ihnen vor das Auge.

»Komm!« sagte der Iltis hastig und schritt herab den den Rand des rauhen Weges einsäumenden Büschen zu, »laß uns erst sichern und dann gebe ich ihm meine Kugel. Soll nicht lange leiden, der Mann.«

Widerwillig ging der andre hinter ihm her.

Iltis spähte den Weg nach Norden entlang, doch der war frei.

Dann legte er sich in die Büsche, die Büchse nach der Richtung haltend, aus welcher der Reiter kommen mußte.

»Sollte ich fehlen, schieß du.«

Zwei Schritt hinter ihm kauerte Morris. Der gemessene Hufschlag kam näher.

Iltis hob die Waffe, ließ sie plötzlich wieder sinken und wandte sich mit fahlem Gesichte nach seinem Gefährten um.

»Was gibt's?« zischte dieser erschreckt.

»Sieh –« Mit zitternder Hand deutete er durch eine Oeffnung der Büsche auf den Reiter.

Morris bückte sich und sah hindurch.

»Gott sei uns gnädig, Burton.« Er ließ fast die Waffe fallen.

Sein Schreckensruf war hinausgedrungen, der Mann hielt an, griff zur Büchse, welche er quer über dem Sattel trug, und seine Augen durchsuchten die Büsche.

Iltis, der seinen jähen Schreck rasch überwunden hatte, sagte bei diesem Anblick: »Es ist Burton, bei meiner Seele.«

Rasch trat er aus den Gebüschen und ein Ruf des Erstaunens entfuhr dem Reiter: »Iltis.«

»Er ist's, Morris, und kein Geist.«

Nun trat auch der aus den Gebüschen.

»Segne meine Augen, Burton, wo kommst du her?«

»Ihr macht ja Gesichter, Bursche, als ob ich aus der Unterwelt käme.«

»Viel besser ist's nicht, Burton. Wir haben dich tot gesehen, mausetot, mit einem garstigen Loch im Schädel.«

Burton lachte, es war ein häßliches Lachen. »So, habt ihr mich tot gesehen, Bursche? Nun, ich auch.«

Morris und Iltis sahen sich an.

»Nun, erschreckt nicht, bin kein Geist, war nur mein Doppelgänger, der da oben ruht. Habt ihn also gefunden?«

»Komm herein,« sagte Iltis, »könnte doch jemand des Weges kommen.«

Er zog Burtons Pferd in die Büsche, der stieg ab und schüttelte seinen Kumpanen die Hände.

»Habe euch dort oben gesucht wie eine Stecknadel im Heuschober, Bursche. Als ich gewahrte, daß die Wilden auf den Kriegspfad gingen, wandte ich mich schleunigst nach Westen und dann hier herauf nach Norden. Bin mit den Ottawas nicht bekannt wie ihr, hätten Lust nach meinem Skalp verspüren können, ging deshalb aus dem Wege.«

»Nein, Burton, sage mir nur eines, wie kommt es, daß wir dich dort tot gesehen und hier lebend vor uns haben?«

Von neuem zeigte sich das häßliche Lächeln in Burtons Gesicht.

»Begegnete dem Mann, als ich zu den Ottawas pilgerte, glaubte mein Spiegelbild zu sehen. Einesteils ärgerte mich diese frappante Aehnlichkeit, andernteils dachte ich, kann dir Nutzen bringen diese Doppelgängerschaft. Wird auch der Mann sicher eine Brieftasche mit sich führen, mit Papieren und dergleichen, was man im Notfall brauchen kann. Jagte ihm eine Kugel in den Schädel. Heiße seit der Zeit Wilson, Thomas Wilson, und bin reich, stehen in meinem Notizbuch Reihen von Bushels Korn und Mais, von Schweinen und Hornvieh?«

»Fandest du kein Geld?«

»Nicht der Rede wert. Ist mir übrigens ein Rätsel, wie der Mann dorthin kam?«

»Aus welcher Gegend stammte der Mann?«

»Muß hier im Norden zu Hause sein, fand mehrmals Traverse City in dem Notizbuch verzeichnet.«

»Ist ein Wunder, hätte darauf geschworen, lägest oben starr und kalt.«

»Hast recht, Burton ist tot, es lebe Tom Wilson. Freut mich, euch gefunden zu haben, Bursche, aber was nun?«

»Müssen die See gewinnen und dann hinüber über die Halbinsel nach Kanada. Nur erst Geld, denn ohne Geld geht es nicht gut.«

»Ja, Geld,« äußerte Burton nachdenklich, »woher nehmen?«

»War gerade im Begriff, dir eine Kugel ins Hirn zu jagen, als ich noch rechtzeitig dein edles Angesicht erkannte. Segne meine Seele, welch ein Schreck fuhr mir dabei durch die Glieder, dachte wahrhaftig, kämest direkt aus dem Grabe.«

»Also, so freundlich wolltet ihr einen Kameraden empfangen?«

»Ist ein Fakt, hofften Geld bei dir zu finden.«

»Würdet nicht viel gefunden haben. Aber habt recht, können die Ansiedlungen nicht vermeiden und müssen Geld haben. Wie kommt ihr denn zu den Pferden?«

»Hießen mir in verflossener Nacht mitgehen.«

»Ei, so wird denn wohl alles hier auf den Beinen sein. Nein, Bursche, da kann ich nicht mit euch umgehen, könnten mich auch für einen Pferdedieb halten.«

»Und wie kommst du zu deinem Gaule?«

»Auf die ehrlichste Weise von der Welt, habe den Gaul gekauft. Ja, macht nur Augen, ist ein Fakt. Wißt, verstehe mich nicht sonderlich auf eure Waldpraktiken, mußte aber einen Gaul haben, war nicht denkbar, in die Ansiedlungen zu Fuß zu kommen. Hatte von dem Manne am Cedercreek noch etwas übrig und von dem guten Wilson, habe das Pferd mit Sattel und Zaum einem ehrlichen Farmer, dem ich vorlog, mein Pferd sei mir entwischt, für vierzig Dollar abgekauft. Schäme mich, aber ist so.«

Die beiden Zuhörer lachten herzlich über seine klägliche Miene.

»Segne meine Seele, kauft der Mann ein Pferd. Nein, wenn das im alten Mich bekannt wird, kommen wir um unser Renommee.«

»Nun, jetzt aber ernsthaft. Selbstverständlich ist alles hier im Aufruhr über euren Pferdediebstahl –«

»Mag sein,« sagte Iltis, »mich kennt niemand hier und mein Pferd ist so verwandelt, daß ich es seinem ehemaligen Eigentümer in den Stall stellen will und er wird es nicht erkennen. Mit Morris' Grauschimmel war das nicht zu machen.«

»Ei, wie kann man einen so leicht erkennbaren Grauschimmel davonführen?«

»War Nacht, Mann, und war zu spät, das Tier umzutauschen.«

»Habe die Notion, Bursche, haltet euch verborgen bis zur Dunkelheit, wird das beste sein. Schlage euch folgendes vor: ich reite diese Straße offen entlang, kann mich sehen lassen, bin ein ehrenwerter Mann, reite auf einem Pferde, welches ich mit schwerem Gelde bezahlt habe. Ihr folgt mir, so gut ihr könnt, im Walde, und ich, Tom Wilson, suche die nächste ansehnliche Farm auf und heische Gastfreundschaft. Sehe mir die Hausgelegenheit an und in der Nacht helft ihr mir ausräumen. Müßte mit dem Teufel zugehen, wenn mir nicht einiges Bargeld vorfänden.«

»Prächtig,« rief Iltis, »das tut's, der ehrliche Burton kehrt ein und mir lauern draußen, bis er das Zeichen gibt. Ist doch ein Glück, wenn man Freunde von solch biederem Aeußerm hat, als unser ehrenwerter Freund Tom Wilson aufweist. Burton, bist nicht mit Gold aufzuwiegen. Wollte, konnte mit, gibt keine größere Freude, als den ehrlichen Mann zu spielen, wird aber besser sein, bleiben im Walde. Dann voran, ehrlicher Burton, wollte sagen Wilson, wir folgen dir als gehorsame Trabanten zur Seite.«

Die Gesellen brachen auf, Burton nahm die Landstraße und seine Spießgesellen folgten, ihre Pferde am Zügel führend, zur Seite des Weges ihm nach, ihn so gut als möglich dabei im Auge haltend. In Wilsons Farm war nach der Aufregung, welche des Konstabels Mitteilungen hervorgerufen hatte, wieder Ruhe eingekehrt, denn vor allem mußten die Angehörigen des Farmers, daß er noch am Leben und in der Nähe sei, und nach den Gewohnheiten Wilsons war die Vermutung Boyles sehr wahrscheinlich, daß der Vater auf eine seine Jagdlust erregende Wildfährte gestoßen war.

Frances schlief, Mistreß Wilson hatte sich wieder den Geschäften der Hausfrau zugewandt, die Söhne waren vor dem Hause tätig und Weller saß neben der Tür und rauchte in Gesellschaft des Sergeanten seine Pfeife.

Wie überall in diesen Gegenden waren die Klärungen, welche die Axt vorgenommen hatte, um Raum für die Frucht zu schaffen, von dichten Waldungen umgeben, denen mühevolle Arbeit den Ackerboden abgerungen hatte. So auch hier.

Aus dem Wald heraus, den rauhen Weg vom Süden her, kam ein einsamer Reiter.

Bei der Seltenheit des Erscheinens Fremder in der dünn besiedelten Gegend waren bald aller Augen auf ihn gerichtet, soweit ei in deren Bereich kam.

»Edward,« rief Henry von einem nahegelegenen Maisfelde her, auf welchem er beschäftigt war, »sieh – ist das nicht der Alte?«

»Mein Seel' – sieht so aus – und sieht doch nicht so aus. Erstens würde der Vater nie im Schritt anreiten – und trägt auch einen blauen Rock, und dieser hat einen grauen auf den Schultern.«

»Sage dir, Ed, ist der Alte –«

»Dann ist er krank, daß er im Schritt reitet –«

»Komm, wollen ihm entgegengehen.«

Der Konstabel hatte den Reiter gesehen und den kurzen Dialog der jungen Leute mitangehört, er zog jetzt sein Glas hervor und richtete es auf den Kommenden.

»Bei Jove!« sagte er vor sich hin, »habe den Mann schon gesehen, aber wo?«

Er ging den jungen Leuten nach, dem Reiter entgegen.

Dieser war im ruhigen Schritt seines Pferdes näher gekommen und bog eben um eine Fenz, welche ein Feld hochstehenden Maises einzäunte.

Mit einem »Hurra, alter Vater!« sprangen die beiden jungen Recken auf ihn zu.

»Wo warst du?« rief der Jüngere, »dich wird die Mutter schön empfangen.«

Statt des herzlichen Lachens, welches Wilson bei solcher Begrüßung durch seine Jungen, die sich öfter wiederholte, hören ließ, hielt der Mann plötzlich an. Der Konstabel glaubte zu bemerken, daß er heftig erschrak, und starrte auf die anspringenden Burschen hin.

Mit einem lustigen: »Warte, Alter, dich werden mir festhalten,« wollte Edward nach dem Zügel seines Pferdes greifen, als ihn der Mann kräftig mit der Peitsche auf die Hand schlug, das Roß herumriß und in voller Flucht davonjagte des Weges, den er gekommen war.

Die beiden jungen Leute waren verdutzt und schauten sich gegenseitig an, selbst der Konstabel war verblüfft.

»Was war das?«

Gleich einem Blitze aber schoß dem erfahrenen Polizeimann die Erinnerung an den toten Burton durch den Kopf, dessen Leiche der Graf und dessen Begleiter in der Nähe des Forts gefunden haben wollten. Wer war der Reiter? War es wirklich der schon verloren geglaubte Vater der beiden jungen Leute, welche ratlos vor ihm standen? Wo hatte er den Mann gesehen? Jetzt wußte er's, südlich vom Muskegon, der Mann hatte ihn dort von der Fährte von Morris abgebracht. Er hatte sich später gesagt, daß dies der berüchtigte Burton gewesen sein müsse. Die Beschreibung der Farmer am Muskegon von der Persönlichkeit des ihm unbekannten Dritten der bei Grover eingekehrten Diebe, das Signalement, welches er später erhielt, hatten diese Ansicht verstärkt. Der Konstabel hatte ein gutes Gedächtnis für Physiognomien. Burton und Wilson? Solche Aehnlichkeit? Kaum denkbar! Aber der Schreck und die Flucht des Reiters?

» Damned my eyes!« schrie er dann, »in den Sattel, Boys, und nach, da ist ein Unglück geschehen. Vorwärts, vorwärts!« Und er lief in aller Eile auf den Stall zu, wo sein Pferd stand.

Die immer noch ganz verstörten jungen Leute folgten instinktmäßig dem kräftigen Anruf und sprangen dem Konstabel nach, rissen ihre Pferde aus dem Stall und sattelten mit großer Eile, gleichwie der Konstabel.

»Die Büchsen!« rief dieser; die Söhne Wilsons liefen ins Haus und rannten fast die in die Tür tretende Mutter um.

»Was gibt's, Kinder? Was gibt's?«

Schon erschienen diese mit den Waffen in der Hand: »Sollst hören, Mutter, wenn mir zurück sind.« Und sie jagten hinter dem Konstabel, welcher schon draußen war, her.

»Wollen uns euern Vater in der Nähe ansehen, Boys,« hatte er noch gesagt.

Die Mutter wie die Soldaten, welche vor dem Hause lagerten, sahen erstaunt der wilden Jagd nach.

Als der Konstabel um das Maisfeld bog, erblickte er den Mann in geringerer Entfernung vor sich, als er erwarten durfte, entweder war dessen Pferd völlig erschöpft, oder ein anderes Hindernis war seiner eiligen Flucht, denn nur so konnte man es nennen, in den Weg getreten.

Und in der Tat war ihm der Sattelgurt geplatzt, denn die Verfolger sahen, wie er den Sattel unter sich hervorriß und diesen in der Hand haltend, auf dem nackten Rücken des Pferdes seinen Ritt eilig fortsetzte.

»Huppih! Boys! Werden ihn gleich haben.«

Die Jünglinge, welche gänzlich verwirrt waren, beschleunigten den Gang ihrer Pferde. Der Verfolgte, dem sie auf etwa fünfhundert Schritt nahegekommen waren, hatte eben den Wald erreicht, in den die Straße hineinlief, als er von dem sattellosen Pferde sank, gleich aber wieder aufsprang, das Tier am Zügel nahm und mit ihm fortlief.

»Huppih! Wir haben ihn.«

Krach, entlud sich im Walde eine Büchse und eine wohlgezielte Kugel sauste dicht an des Konstabels Kopfe vorbei, den älteren der beiden Wilsons an der Schulter streifend.

»Herunter von den Pferden!« Und mit staunenswerter Schnelligkeit sprangen alle drei aus dem Sattel. Da sauste auch schon eine zweite Kugel über sie weg.

»Zurück! Hinter jene Bäume!«

Die Pferde zwischen ihren Körpern und dem Walde haltend, gingen sie zurück, bis sie den Schutz der nahen Bäume erreichten.

Die beiden Jünglinge sahen bleichen Antlitzes den Konstabel an: »Was bedeutet das, Herr?«

»Das bedeutet,« sagte Weller ernst, »daß wir dort im Walde die drei größten Schurken in den Staaten vor uns haben, und daß der, den mir verfolgen, nicht euer Vater, sondern der Dieb und Mörder Burton ist.«

»Großer Gott, das ist ja unmöglich, Herr!«

»Die Ähnlichkeit ist eine geradezu wunderbare. Oder glaubt ihr, daß euer Vater vor euch davonlaufen und euch dann mit Kugeln begrüßen lassen würde?«

»Und unser Vater? Unser alter Vater?«

»Wenn euer Vater nicht mehr am Leben ist, was ich fast fürchte – Indianer erschlugen ihn nicht, das weiß ich – diese da vor uns taten es, die kommen vom Fort Jackson, ich bin von dort aus hinter ihnen her.«

Der tiefste Schrecken drückte sich in den Mienen der beiden Jünglinge aus.

Dann aber schrie der ältere mit wilder Gebärde: »Zu Pferd, Henry, nach, wollen ein Wörtchen mit ihnen rede».«

Ehe nur Weller zu Worte kommen konnte, saßen sie im Sattel und sprengten davon.

»Seid wahnsinnig, Menschen, wahnsinnig. Rennt blind ins Feuer.« Dabei bestieg er aber doch sein Pferd und jagte nach.

Leicht war für diese jungen Waldleute die Stelle zu erkennen, wo Burton sein Pferd in die Büsche geführt hatte, und ohne Zögern spornten sie ihre Tiere in den Wald hinein. Weller ihnen nach. »Wahnsinnig! Tollköpfe! Muß nur mit, sonst geschieht ein Unglück.«

Alle drei verschwanden unter den Bäumen. Es war zwei Tage nach den eben geschilderten Begebenheiten. Nach ohne Störung zurückgelegter Reise nahte sich Graf Edgar mit seinen Begleitern dem See auf ihrem Zuge nach Grand Traverse City, von wo aus er seinen Weg hinüber zur nördlichen Halbinsel zu nehmen gedachte, um die dort wohnenden Salteux aufzusuchen. Sie waren aus dem Walde getreten und ruhten an dessen Rande von anstrengendem Marsche aus.

Vor sich hatten sie eine leicht gewellte Prairie, welche sich bis an die Buchten des Michigan ausdehnte, dessen Spiegel sie vor sich sahen.

An dem Ufer zeigten sich einzelne Blockhütten, wie auch weiterhin einige Wohnhäuser zu bemerken waren.

Graf Edgar war seit der Stunde, in welcher ihm gleich einem durch dunkle Nacht brechenden Lichtstrahle endlich, endlich Nachricht von der Vermißten zu teil geworden war, in gehobener Stimmung; was auch der noch ungelüftete Schleier bergen mochte, es war doch ein greifbares Ziel vor ihm aufgesteckt, das er bald zu erreichen hoffte.

Der Indianer war die Reise über finster und wortkarg gewesen, und der Graf besorgte, daß er sich von ihm trennen werde, was er um so mehr bedauert haben würde, als er die vorzüglichen Eigenschaften des Mannes vollauf zu würdigen Gelegenheit gehabt hatte und drüben vielleicht seiner Dienste dringender als je bedurfte.

Michael war in der heitersten Laune, seitdem sie aus dem Machtbereich der Ottawas sich entfernt hatten. Er meinte, die Leute seien gar nicht so übel, und dem Konstabel, der ihm solche Schreckbilder vorgegaukelt habe, wolle er es schon eintränken.

An Athoree hatte er sich aus gleichem Grunde wiederholt zu reiben versucht, war aber von diesem kurz und finster abgewiesen worden.

Daß er »Seine Gnaden« jetzt nicht verlassen würde, stand fest. Alle Furcht vor Skalpiermesser und Marterpfählen war verschwunden, und Michael bereit, sich von neuem in die finsteren Urwälder und den dichtesten Haufen der Wilden zu stürzen.

Während sie schweigend am Waldesrande lagerten und ihr frugales Mahl verzehrten, richtete sich plötzlich Athoree auf und horchte angestrengt nach rechts hin.

Alle sahen ihn an.

Der Indianer erhob sich ganz und blickte in die Prairie hinaus. Dann deutete er mit dem Arme vor sich hin, durch einen Blick die andern auffordernd, in dieser Richtung auszuschauen.

Alle erhoben sich und erblickten in weiter Entfernung drei Reiter, welche in vollem Jagen auf die Bucht zueilten.

Abwechselnd je nach der Bodengestaltung waren die Reiter sichtbar oder verschwanden für Minuten hinter einer Erdanschwellung, um dem See naher wieder aufzutauchen, immer in derselben eiligen Bewegung. Während sie noch erstaunt diesem tollen Ritt zusahen, machte des Indianers Gebärde sie auf einen zweiten, stärkeren Reitertrupp aufmerksam, der in gleich rasender Eile dem ersten nachsetzte.

Der Graf nahm sein Glas und richtete es auf die zweite Gruppe, welche wohl mehr als eine Meile hinter der ersten einherritt.

»Das ist der Konstabel,« sagte er staunend, »wen mag er jagen?«

Er suchte dann mit dem Glase die drei Voranjagenden, als sie eben wieder im Gesichtskreise auftauchten, und »Ha!« fuhr er mit einem jähen Ausruf fort, »das ist Morris, das sind die Banditen.«

Athoree erbat sich das Glas und schaute hindurch.

»Das rote Hand und Iltis,« sagte er, das Glas zurückgebend, »Konstabel ihn jagen,« und sprang mit großer Schnelligkeit davon.

Mit größter Spannung verfolgten die Zurückgebliebenen die wilde Jagd.

Es war augenscheinlich, die Verfolgten strebten dem Wasser in der Richtung, wo die wenigen Hütten lagen, zu, und der Indianer lief deshalb ebenfalls dorthin.

»Vorwärts, Männer, Athoree nach, wir wollen versuchen, ihnen den Weg abzuschneiden.«

Und so rasch als tunlich eilten sie dem See zu, nur die alte Sumach blieb zurück.

Eine Zeitlang verschwanden ihnen die Gejagten wie die Verfolger aus den Blicken, als sie aber wieder hoher liegenden Boden erreichten, gewahrten sie, wie Morris und seine Begleiter eben ein Boot bestiegen, das Segel entfalteten und vor einem frischen Winde nach Norden zu segelten, zu der sich nach dieser Himmelsrichtung öffnenden Bucht hinaus.

Eilig liefen sie weiter.

Jetzt langte auch der Konstabel mit seinen vier Begleitern dort an und schon hörte man seine dröhnende Stimme.

Aus den Häusern waren Leute herbeigelaufen und sahen erstaunt auf die ihnen unbegreiflichen Vorgänge.

»Ein Boot! Ein Boot!« schrie der Konstabel und sprang vom Pferde.

Athoree war bereits dicht am Ufer und feuerte hinter den Verfolgten her, aber die Entfernung war für eine Büchsenkugel zu groß.

»Ein Boot, im Namen des Gesetzes!«

Auch Wellers Begleiter, die beiden Wilsons und zwei junge Farmer, welche sich ihnen auf der wilden Jagd angeschlossen hatten, sprangen von den Pferden. Die Leute, denen eben unerwartet ein Kahn entführt war, schienen mißtrauisch zu zögern.

Edgar und die übrigen liefen immer noch nach dem Ufer zu, als von neuem des Konstabels zornige Stimme sich vernehmen ließ: »Ein Boot im Namen des Gesetzes! Wollt ihr die größten Schurken im alten Mich, wollt ihr den Mörder vom Kalamazoo entkommen lassen?«

Auf dies lösten behende zwei Männer eines der Boote. Weller und seine Begleiter sprangen, die Pferde achtlos stehen lassend, hinein, das große Segel entfaltete sich, und Edgar langte eben am Ufer an, als das Boot in See ging.

»Hallo, Weller!«

»Seid gegrüßt, Fremder. Kann Euch die Hand nicht schütteln, seht, habe zu tun.«

»Glück zur Jagd, Konstabel.«

»Wollen die Wölfe fangen, Fremder, haben Bluthunde hinter sich.«

Schaum aufwerfend vor der scharfen Südwestbrise schoß das Fahrzeug davon.

Aber das erste Boot, leichter gebaut als das der Verfolger, hatte schon einen weiten Vorsprung.

Schweigend verfolgten sie einige Minuten die bellen Segel.

Als der Graf sich wandte, bemerkte er erst, daß Johnson zurückgeblieben war und auf seine Büchse gelehnt, mit gesenktem Haupt einer Bildsäule gleich dort stand.

Edgar ging auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.

Johnson hob langsam das Haupt und der Graf blickte in ein gramverstörtes Gesicht.

»Der Mörder vom Kalamazoo?« sagte er leise.

Jetzt erst fiel dem Grafen ein, daß Johnson diese Aeußerung des Konstabels gehört haben mußte.

»Faßt Euch, Mann, faßt Euch!«

»Der Mörder meiner – –? Welcher war's?«

»Der voranritt, Morris nennt man ihn.«

Johnson richtete das Auge zum Himmel – seine Rechte umklammerte den Büchsenlauf gleich einem Schraubstock – und sagte in einem Tone, der den Grafen erbeben ließ: »Gib ihn in meine Hand, Herr, und entkommt er – so entrinn er auch der Hölle!«

Aufmerksam schauten alle wieder nach den Booten, welche schon weit entfernt waren. Die Bewohner der Häuser verfolgten die Jagd gleich unsern Freunden. Man hatte ihnen Mitteilungen gemacht, die geeignet waren, sie über die Vorfälle aufzuklären. Bald verschwanden beide Segel hinter einem Ufervorsprung.

Edgar und seine Begleiter gingen zurück, die Pferde Wellers und der Farmer der Aufmerksamkeit der Leute empfehlend, holten Sumach ab und setzten ihren Weg nach Traverse City, über welchen ihnen die Uferbewohner noch Auskunft gegeben hatten, fort.

Als sie nach einigen Stunden, während die Farmen dichter wurden, die Hafenstadt in der Entfernung sahen, berührte Athoree, welcher schweigend neben seiner Mutter hinter den übrigen hergegangen war, des Grafen Arm und forderte ihn durch eine Gebärde auf, mit ihm zur Seite zu treten.

Der Graf willfahrte.

»Athoree will nicht in die Stadt der Weißen gehen mit seiner Mutter, er will hier bleiben.«

»Bedeutet dies, mein Freund, daß du dich von mir trennen willst?«

Der Indianer sah zu Boden, richtete dann das dunkle Auge wieder auf das des Grafen und sagte: »Athoree hat mit Sumach geredet, er hat im Wald Manitou gefragt, und er will mit dir gehen über den See zu den Saulteux, ob der Enkel Meschepesches dort lebe oder sterbe.«

So sehr Graf Edgar auch von der tiefernsten Weise des schweigsamen Mannes, welche deutlich verriet, daß ihm der Entschluß nicht leicht wurde, gerührt war, konnte er auch ein Gefühl der Freude nicht unterdrücken und faßte lebhaft seine Hände und drückte sie.

»Ich freue mich herzlich deines ferneren Beistandes, Häuptling. Und wie du sagst, Gott sendet Sturm hernieder und laue Frühlingslüfte, und hoffentlich fällt drüben warmer Sonnenschein in dein Herz.«

»Athoree will gehen, Gutherz, ob Sturm ihn dort erwartet, ob Sonnenschein, der Häuptling der Wyandots geht.«

Nach kurzer Beratung wurde für Athoree und seine Mutter eine Unterkunft gesucht, welche der Graf für einige Dollar leicht erlangte, und während die Indianer auf einer kleinen Farm zurückblieben, schritten die andern rüstig nach der Stadt, welche sie nach kurzer Zeit erreichten.


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