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Einundzwanzigstes Kapitel.

Gottes Gericht.

Acht Tage nach diesen Vorgängen finden wir unsre Freunde auf dem Wege nach Fort Mulder.

Der Graf hatte für seine Schwester ein Pferd mit einem Damensattel und durch die Güte der Frau des Kommandanten auch europäische Kleidung vom Fort kommen lassen, unter welchen sich auch ein Reitkleid befand.

Mit kindlichem Erstaunen hatte Luise die so lang entbehrte Tracht angesehen, sich aber dann sofort umgekleidet.

Als ihr Bruder sie in den Sattel hob und ihr die Zügel gab, zeigte sich ein Ausdruck in ihrem Gesicht, der halb Freude, halb Staunen war. Sie warf einen fragenden Blick auf Edgar und ließ dann mit altgewohnter Sicherheit und sichtlichem Vergnügen ihr Pferd ansprengen.

Von den Anstrengungen des Marsches und der tiefen seelischen Erschütterung hatte sie sich erholt, sie sah blühender aus als je.

Nach Walther hatte sie seit dem Aufenthalte in der Höhle nicht wieder gefragt. Aber oftmals sann sie nach oder richtete einen verstohlenen Blick auf Edgar, einen Blick, wie jemand ihn gewahren läßt, der ein bekanntes Gesicht sieht und nicht weiß, in welche Beziehungen er es zu sich bringen soll.

Eines Morgens hatte sie auch zu Edgar gesagt: »Ich habe dich schon gesehen – ich weiß nur nicht wo. Ich suche –?« Dann wurde ihr Antlitz traurig und sie fragte umherschauend: »Wo ist denn nur–?« Aber sie sprach den Namen Walther nicht aus, obgleich ihm sicher ihr Sinnen galt. Es kämpfte und gärte in ihrer Seele, wie in einem in fruchtbares Erdreich gelegten Keim, der seine Hülle durchbrechen und zum Licht durchdringen will. Edgar bemerkte es mit tiefsinniger Freude. Wenigstens war doch die bisherige Lethargie dieses Geistes in Bewegung umgewandelt.

Sollte er nicht hoffen dürfen?

Von den Huronen hatten sie freundlichen Abschied genommen. Hayesta hatte ihnen zwei seiner Leute mitgegeben, um sie zum Fort zu führen und dort die Geschenke in Empfang zu nehmen, welche der Graf ihnen zugedacht hatte.

Athoree hatte dem Grafen seinen Entschluß kundgegeben, jetzt, nachdem die Wolke verschwunden war, welche düster zwischen ihm und seinem Volke lag, bei den Seinen zu bleiben, ein Entschluß, der nur natürlich war.

Er hatte es sich nicht nehmen lassen, seine weißen Freunde bis zur Küste zu geleiten, und befand sich im Zuge.

Johnson schritt still und einfach wie gewöhnlich einher, er hatte herzlichen Abschied von der alten Indianerin genommen, welche mehrere Jahre sein einsames Leben geteilt hatte.

Auch in ihm hatten die aufregenden Begebenheiten, an welchen er teilgenommen, eine Umwandlung hervorgerufen.

Als Edgar den seltsamen weißhaarigen Mann kennen lernte, schien dieser mit dem irdischen Dasein vollständig abgeschlossen zu haben und Schmerz und Freude nicht mehr für ihn vorhanden zu sein. Apathisch stand er allen Ereignissen dieses Lebens gegenüber.

Daß trotzdem sein seelisches Empfinden nicht erstorben war, daß vielmehr unter der starren Hülle reiches inneres Leben pulsiere, offenbarte nicht nur sein Verhalten gegen die alte Indianerin, auch die hingebende Teilnahme, mit welcher er sich dem jungen deutschen Grafen und dessen Zwecken weihte.

In seinen öfteren Unterhaltungen mit Edgar zeigte er den einsichtsvollen, erfahrenen Mann, den nur ein so grausames Schicksal, wie es ihn betroffen, aus seiner ruhigen Bahn schleudern konnte.

Aber gerade die tiefe Einwirkung dieses Unglücks auf seine Seele verriet, daß hier ein Herz von mächtigem Fühlen getroffen worden war, einer blumigen Wiese gleich, über welche eine vernichtende Lawine stürzte. Dennoch sproßten unter dem Schnee noch schöne Blüten empor.

Nach mehrjähriger, fast menschenfeindlicher Einsamkeit, die ihn selten nur mit Männern seines Volkes zusammenführte, hatte er in den letzten Wochen ununterbrochen in der Gesellschaft des Grafen gelebt und an erschütternden Ereignissen teilgenommen, welche nicht ohne Einwirkung auf seine Seele bleiben konnten.

Mit unvergleichlicher, kaltblütiger Tapferkeit hatte er gefochten, aber seine Todesverachtung bedeutete doch nicht volle Geringschätzung dieses Lebens, wenn auch der freudigste Glanz desselben dahingeschwunden war.

Eine Stunde, wie die im Fort Jackson, in welcher den Verteidigern des Blockhauses der Tod unerbittlich zu nahen schien, geht selbst an einem verhärteten Herzen nicht spurlos vorüber, wie viel weniger an einem, dessen Tätigkeit unter der Wucht eines großen Leidens nur gehemmt war.

Daß unter der ruhigen Außenseite gelegentlich ein Wetter hervorbrechen konnte, hatte der Graf wahrgenommen, als vor Johnsons Ohren von dem Mörder seiner Lieben gesprochen wurde.

Johnson war während seines Verkehres mit dem Grafen lebhafter in seinen Gesprächen geworden und hatte mehr und mehr Teilnahme an den Erscheinungen des öffentlichen Lebens gezeigt. Seine volkswirtschaftlichen und politischen Ansichten, die er dem Grafen gegenüber äußerte, wenn der, wie er in den ruhigen Stunden ihres Verkehrs gern tat, das Gespräch dahin leitete, zeugten von einer ruhigen Klarheit des Denkens und einsichtsvoller Beurteilung der die Zeit bewegenden praktischen Fragen. Wie denn der einfachste Amerikaner bei der so ausgebildeten Selbstverwaltung dieses Volkes mehr Verständnis für die öffentlichen Angelegenheiten hat, als der Angehörige jedes andern Staatswesens.

Edgar hatte, um ihn anzuregen, geflissentlich oftmals solche Themata berührt, welche geeignet waren, sein Denken und Fühlen sich äußern zu lassen, und dabei mit Freuden bemerkt, daß es nur der passenden Anregung bedürfe, um ihn wieder in geordnete bürgerliche Verhältnisse zurückzuführen.

Johnson stand in der vollen Manneskraft der Jahre.

Der Graf hatte für all die treuen und tapferen Freunde, welche ihn auf seiner abenteuerlichen Fahrt begleiteten, eine Anhänglichkeit gewonnen, welche ihn nur mit Schmerz daran denken ließ, von ihnen zu scheiden.

Nichts bindet fester aneinander, als gemeinsam bestandene Gefahren.

Michael war in der rosigsten Laune und schritt in Gesellschaft des schweigsamen Athoree hinter dem Zuge her, dem höflich lauschenden Indianer die wunderbarsten Sachen von seiner fernen Heimat, der meerumrauschten Smaragdinsel, erzählend, die dem Verständnis des Huronen durchaus fern lagen. Voran gingen die beiden Männer, welche der Häuptling mitgesandt hatte, als Wegweiser.

Hinter ihnen ritt anmutig die junge Frau, begleitet von Edgar und Wilhelm.

Johnson folgte mit Heinrich.

In diesem mischte sich die Freude, die geliebte Tochter des Hauses gefunden zu haben, mit der Trauer über ihren Geisteszustand.

Es war ein herrlicher Tag, an dem sie durch die friedlichen Wälder einherzogen.

Alle Gefahren lagen hinter ihnen, und hätte nicht die Wolke, welche auf Luisens Geiste lag, ihre Schatten geworfen, wäre das freudige Behagen an Waldesduft und Sonnenschein vollkommen gewesen.

Die junge Frau blickte sinnend, wie sie an den ersten Tagen getan, vor sich hin.

Hie und da, bei schwierigeren Stellen des Weges, ergriff Edgar die Zügel des Pferdes und leitete es, und sie dankte ihm mit freundlichem Lächeln.

Wilhelm, welcher noch sein indianisches Kleid trug, sprang munter neben dem Pferde her und erprobte hie und da seine Geschicklichkeit in der Führung des Bogens an einem Vogel oder einem Eichhorn.

Oftmals plauderte er lebhaft mit Edgar und erkundigte sich nach der fernen Heimat, dem Großvater, dem alten Kaiser, dessen Namen er führte, und die Mutter lauschte mit Aufmerksamkeit diesen Unterhaltungen, ohne aber besondere Teilnahme zu bekunden.

Nur als einmal der Manistee erwähnt wurde, schrak sie zusammen, das sonst ruhige Antlitz zeigte tödlichen Schreck.

Doch bald verlor sie sich wieder in ernstes, angestrengtes Sinnen.

Während sie ihres Weges zogen, sagte Luise ganz plötzlich: »Willy muß andre Kleider haben.«

Erstaunt schaute der Graf auf.

»Gewiß, Luise, sobald wir ins Fort kommen, will ich für angemessene Kleidung Sorge tragen. Er soll nicht als kleiner Indianer in den Ansiedlungen erscheinen.«

»Ja, Onkel Edgar,« sagte fröhlich der Knabe, »du kaufst mir eine blaue Jacke und Hose und hohe Stiefel, wie ich sie früher trug nicht wahr, Mama?«

Sie sah lange auf Wilhelm herunter und sagte dann, immer in der bisherigen sinnenden Weise: »Ja, blaue Jacke und lange Stiefel, so sah der kleine Willy aus, so ging auch Edgar einher, Edgar – Edgar –? Und –?«

Die Wolke wollte nicht weichen.

Traurig schritt der Graf an ihrer Seite weiter.

Eine Weile später äußerte sie ganz unerwartet: »Schloß Elm? Ja, Schloß Elm.« Sie schwieg aber dann wieder.

So zeigten einige Blitze von Zeit zu Zeit, daß der Geist tief innen tätig war, so geringfügig seine Aeußerungen auch erschienen.

Mit einem Vertrauen gab sie sich der Führung Edgars hin, obgleich seit der Höhle der Name Walther nicht mehr erwähnt worden, welches wohl auf den tiefen Zug der Natur zurückzuführen war, den die Verwandtschaft des Blutes begründet.

Sprach Edgar vom Vater und der Heimat, hörte sie aufmerksam zu, ohne daß ein tieferer Eindruck sich bemerklich machte.

Sorgsam suchte der Graf Erinnerungen zu erwecken, besonders an ihre gemeinsam verlebte Jugendzeit, und als er ihr eines Tages zurückzurufen suchte, wie er als Knabe in einem neuen Kleide in den Bach gefallen und dann von Nässe triefend, mit kläglichen Mienen vor sie getreten war, lachte sie munter auf: »Ja, der kleine süße Edgar, er hatte seinen ganzen Anzug verdorben, der Wildfang.«

Mitunter zeigte sie eine solch ernste, fast düstere Miene und blickte so starr vor sich hin, daß der Graf wiederholt erschrak.

Dann seufzte sie auf und schüttelte den Kopf, gleichsam als wollte sie quälende Gedanken entfernen.

Hierauf schien sie wieder ernsthaft nachzusinnen.

Ihre Teilnahme für das Kind blieb die gleiche, und so oft Wilhelm sie anredete oder sich an sie schmiegte, zog ein sonniges Lächeln über ihr schönes Gesicht.

So zogen sie langsam durch die Wälder. Je schweigsamer Johnson und Heinrich einhergingen, desto lebhafter war der Irländer, welcher Athoree die Schönheit der Kartoffelfelder seiner Heimat anpries.

Im Laufe seines Redeflusses, denn er sprach allein und der Indianer ließ ihn ruhig reden, äußerte er: »Nun, alter Athoree, du wirst den Michael O'Donnel wohl bald vergessen?«

»Starkhand nicht vergessen, er Freund, Freund nie vergessen.«

»Das freut mich, du rote Seele, wir haben doch schöne Fahrten miteinander gemacht. Aber was die Starkhand anlangt, da sieh dir nur den weißbärtigen Johnson an, gegen den bin ich doch nur ein Kind. Wie der die roten Spitzbuben zur Höhle hinausschleuderte, nein, ich vergesse es mein Lebtag nicht –« Und Michael brach in der Erinnerung in schallendes Gelächter aus. »Ja, Athoree, das ist Kraft, das bringt keiner von euch fertig.«

»Toter Mann sehr stark, er wie großer Bär, wenn zornig. Sehr stark.«

Athoree bewunderte wie alle die erstaunliche Körperhaft Johnsons, die man in der wohlproportionierten Gestalt nicht vermutete.

»Er hat einen Arm von Eisen, das muß man sagen, und dabei ist der Mann immer so ruhig, als ob er niemals einen Wilden beim Kragen genommen hätte.«

»Er ganz still, er großen Kummer, krankes Herz machen stumm. Zuviel krank, dann nicht reden.«

»Ja, der arme Mann.«

»Starkhand geht wieder in sein Land?« fragte dann der Indianer.

»Ja, siehst du, Athoree, das weiß ich noch nicht. Ich bin ein armer Bursche und bin nach Amerika gekommen, mein Brot zu verdienen, es sind ja viele von meinen Landsleuten hier aus gleichem Grunde. Daß es mir sehr hier gefiele, kann ich nicht gerade sagen, denn bis jetzt ist es mir schlecht gegangen – aber ich denke, der Herr Graf wird mir helfen, daß ich Arbeit finde.«

»Du kommen mit zu Huronendorf, lernen jagen, im Fort viel Geld geben für Otter- und Biberfelle. Du in Athorees Wigwam willkommen, wenn du arm.«

»Nein, alte Seele,« sagte Michael ernsthaft, den die Aufforderung des Indianers rührte, »weißt du, das geht nicht. Jeder muß bei den Leuten seiner Farbe bleiben, du dort und ich gehöre nach Leitrim. Du bist ein guter Kerl, Athoree, das weiß ich und sehe es erst recht aus deiner Aufforderung, aber es geht nicht.«

»Nun, wenn du arm, kommen du immer zu Athoree, er dir geben, was er hat.«

»Ja recht, alte, ehrliche Rothaut, wenn es gar nicht mehr geht, dann komme ich zu dir. Aber weißt du, so ein Bursche von der grünen Insel, der schlüpft überall durch, ich will schon obenauf kommen, den Michael O'Donnel sollen sie so leicht nicht unterkriegen.«

Und der fröhliche Bursche lachte ganz vergnügt, er war nicht dazu angelegt, das Leben von seiner ernsten Seite zu nehmen.

Die beiden Huronen, welche, ihre Büchsen im Arm, schweigend und ernsthaft einherschritten, blieben plötzlich stehen und blickten in den Wald hinein.

Als die andern herankamen, sahen sie ein sattelloses Pferd ruhig dort das Waldgras werden.

Die Indianer gingen darauf zu und ergriffen das Pferd an dem herabhängenden Zügel, was es sich ruhig gefallen ließ.

Sie untersuchten dann gemeinschaftlich mit Athoree den Boden, ohne aber andre Spuren als die des Pferdes zu erblicken.

Einer der beiden Huronen ging eine Strecke den Pferdehufen, in der Richtung, woher das Tier gekommen war, nach.

Kurze Zeit darauf sammelte sein Schrei die Männer um ihn.

Er rief dem Grafen, als dieser nahte, entgegen: »Lady nicht hierherkommen, nicht gut sehen,« worauf Edgar Heinrich ersuchte, bei Luise und William zu bleiben.

Als er dann näher trat, bot sich seinem Auge ein grausiges Bild.

Vom Aste eines Baumes herab hing die Leiche eines Mannes mit gräßlich verzerrten Gesichtszügen. Der Strick um seinen Hals zeigte, wie er seinen Tod gefunden hatte.

Johnson sagte, nachdem er die Leiche angesehen: »Richter Lynch ist hier gewesen.«

Die Indianer untersuchten den Boden, doch fanden sich nur verwischte Spuren.

»Denken auch,« meinte Athoree, »Richter Lynch ihm hängen.«

Edgar kannte aus Beschreibungen die Art der Hinterwäldler, da, wo das Gesetz seine Kraft verlor, die Ausübung der Gerechtigkeit selbst in die Hand zu nehmen, auch hatte er bereits am Muskegon Gelegenheit gehabt, zu erfahren, mit welcher Energie die einsam an den Grenzen des Urwaldes wohnenden Farmer gelegentlich das Richteramt ausübten.

Hier mochte eine Art von Volksjustiz vollstreckt worden sein.

Athoree, welcher die Leiche aufmerksam betrachtet hatte, sagte: »Mann liegen tot im Walde bei Fort Jackson, hängen hier am Baum. Denken der hier Burton, Konstabel hier, der bei Fort andrer Mann.«

In der Tat, so aufmerksam gemacht, glaubte auch der Graf in dem verzerrten Gesicht die Züge des Mannes zu erkennen, den er bei Grover gesehen und dessen Leiche sie später bei Fort Jackson gefunden zu haben wähnten.

»So meinst du, der Konstabel sei hier in den Wäldern?«

»Ihm, denken so. Weller hinter Spitzbuben her, auf Wasser und auf Land, der ihm hängen.«

Sie verließen den Platz und den Baum, der eine so traurige Frucht trug, und setzten ihren Weg fort.

Waren es bisher bewaldete Hügel, über welche ihr Pfad sie führte, so zeigten sich jetzt zu ihrer Linken jäh ansteigende Felsmassen, welche sich nach oben in steilen Gipfeln verloren.

Sie zogen am Fuße dieses Gebirgszuges, welcher oft die groteskesten Formen zeigte, hin, als plötzlich zwei Schüsse, die nicht gar weit abgefeuert sein konnten, die friedliche Stille der Wälder unterbrachen.

Einen Augenblick hielt bei diesen unerwarteten Lauten der Zug an, setzte sich aber dann wieder in Bewegung. Vermutlich waren es Jäger, welche dem Weidwerk oblagen, denn an Gefahr irgend welcher Art war nicht zu denken.

Athoree fand es für ratsam, sich davon zu überzeugen, wer die Schützen waren, und verschwand im Walde, während die andern weiter gingen.

Sie waren noch nicht viel weiter gekommen, als eine dem Grafen bekannte Stimme ihm aus den Büschen entgegenklang: »Hallo, Fremder, freue mich, Euch anzutreffen. Ist ein Fakt, Mann, freue mich herzlich.«

Und frisch und kernig wie immer trat Mister Weller aus den Büschen und streckte dem überraschten Grafen die Hand entgegen. Athoree hatte ihn im Walde angetroffen und hierher geführt.

»Konstabel, Ihr hier?«

»Kalkuliere, Mann, bin's. Ah – da Johnson, und da ist ja auch der tapfere Ire.« Er schüttelte allen die Hände.

»Nun, Bursche, läufst noch mit dem Skalp herum und hast dich um den Marterpfahl gedrückt? He?« sagte mit schlauem Blinzeln der Konstabel.

»Habt mich zum besten gehalten, Herr, mit Euren grausigen Geschichten, sind ganz gute Kerls, die Ottawas.«

»Nun ja, wie man's nimmt,« brummte der.

»Aber, Konstabel, was führt Euch hierher?«

»Könnt's denken. Mann, suche mein Wild. Gehe nicht von der Fährte, bis ich es habe, hatte die Bursche eben vor dem Rohre, sind in die Felsen entkommen.«

Außer dem Konstabel waren noch zwei junge, reckenhafte Männer aus dem Walde gekommen, denen Athoree folgte.

Der Konstabel stellte sie dem Grafen mit den Worten vor: »Sind die Söhne des Mannes, den Ihr da drüben bei dem blutigen Fort ermordet gefunden habt, sind Wilsons Sühne.«

»So war also der dort,« der Graf deutete rückwärts in den Wald, »der Burton?«

»Recht, Mann, habt'« geraten,« sagte der Konstabel, »fingen ihn, den Banditen, er war's, der den Vater dieser Jungen erschlagen, waren wie Bluthunde hinter ihm her gewesen, die Bursche. Fanden noch die Brieftasche und das Notizbuch Wilsons bei ihm. Haben die Jungen Richter Lynch gespielt und ließen ihn baumeln. Habe ihnen abgeraten davon, sollten ihn vor die Jury stellen. Ja, hättet ebensogut hungrige Wölfe abmahnen können, ein Lamm zu zerreißen, ließen ihn baumeln, so jammervoll der Kerl auch um sein Leben winselte, ist ein Fakt. Wird niemand sie darum tadeln, hatte ihnen den Vater erschlagen.«

Jetzt erst bemerkte Weller die etwas abseits haltende Lady, und sein Erstaunen war nicht gering.

»Bei Jove, Fremder, bin unbändig überrascht. Ist ein Fakt, unbändig überrascht. Sehe mit Freuden, daß Euer Zug von Erfolg gekrönt war. Kalkuliere, ist die Frau Schwester – wunderbar genug. Hätte sie nicht mehr am Leben geglaubt.«

»Ja, Weller, wunderbar genug, ich fand sie bei den Saulteux verborgen. Euer Talisman und die gute Miskutake haben mir auf ihre Spur geholfen.«

Er gab ihm einen kurzen Abriß seiner jüngsten Erlebnisse.

»Segne meine Seele,« sagte darauf der Konstabel, »habt was erlebt. Mann, im alten Mich. Nun, freut mich, freut mich herzlich, daß Ihr so glücklich gewesen seid, wird ganz Michigan sich freuen. Ist ein Wunder, Sir, sage, ist ein Gotteswunder. Hätte keiner es für möglich gehalten. Wollt so freundlich sein, mich der Lady vorzustellen.«

Edgar schwankte einen Augenblick, ob er diesen Wunsch Wellers erfüllen oder ihm Mitteilung von dem Zustande Luisens machen sollte.

Er entschloß sich für das erstere, führte den Konstabel zu ihr hin und sagte in englischer Sprache: »Liebe Luise, gestatte, daß ich dir hier in Mister Weller einen Freund vorstelle.«

Ebenfalls in englischer Sprache antwortete die junge Frau ganz unbefangen: »Ich bin sehr erfreut, Mister Weller.«

»Haben Euch lange gesucht, Mistreß, hätte kein Mensch geglaubt, daß Ihr bei den verwünschten Saulteux stecken könntet. Ist ein Fakt.«

»Sie waren gut gegen mich, Sir.«

»Freut mich, dies zu vernehmen; ist das erste Gute, was ich von den Halunken höre.«

Edgar, welcher fürchtete, der weitere Verlauf ihrer Unterhaltung könne Dinge berühren, welche in Luisen gefährliche Aufregung hervorriefen, forderte sie in deutscher Sprache auf, langsam weiter zu reiten. Luise neigte gegen Weller leicht den Kopf und ritt fort.

»Segne meine Seele, diese Lady unter den Wilden? Könnt von Glück sagen, Fremder, daß Ihr sie gefunden habt, war Gottes Hilfe dabei.«

Edgar teilte ihm jetzt mit, in welchem Geisteszustande sich seine Schwester befände.

Dies verwunderte den Konstabel sehr, denn Luise hatte sich bei der kurzen Begrüßung in den altgewohnten Formen so ruhig und vornehm taktvoll benommen, daß Weller nicht die mindeste Ahnung davon bekommen konnte, mit einer geistig Kranken zu reden. Er drückte in warmen Worten sein Bedauern und die Hoffnung auf Genesung aus.

»Und nun erzählt von Euch, Weller.«

»Nun, war hinter dem Räuberkleeblatt her in Begleitung dieser beiden braven Jungen. Haben sie gejagt über den See, durch Wälder, Flüsse und Felsen. Erwischten endlich den Burton, konnte nicht mehr mit, hatte sich verkrochen, aber die Bursche dort haben Augen wie Falken, fanden ihn doch. Waren eben hinter den andern beiden her, sind, wie ich schon sagte, in die Felsen entwischt. Ist gefährlich, ihnen da zu folgen, sind Felsen, kein Wald, der Deckung bietet, fange sie, wenn sie herunter müssen. Sollen nicht entkommen, können nicht lange da oben bleiben.«

Johnson hatte der Unterredung, auf seine Büchse gelehnt, zugehört und seine Miene dabei eine finstere Energie angenommen.

Er fragte jetzt: »Ist in jenen Felsen der Mörder vom Kalamazoo?« und seine Stimme bebte.

Weller sah den Grafen fragend an.

»Er weiß es, Weller.«

»Ja, Johnson, dort ist Morris, der Mörder vom Kalamazoo.«

»So hat ihn Gott in meine Hand gegeben.«

»Wollt Ihr ihm folgen?«

»Solange ich atme. Ich will ihn vertilgen von der Erde.«

»Sage Euch, ist gefährlich, in die Felsen zu gehen, müssen ihn unten abfangen. Kenne nur die verwünschte Gegend zu wenig.«

»Ich werde ihm folgen,« sagte Johnson und schulterte die Büchse.

Athoree hatte wie er dem Berichte Wellers gelauscht, jetzt ließ er sich vernehmen: »Die rote Hand kann über jene Felsen nicht hinüber, stürzen jäh dort ab.«

»Wohlan – der Rächer unschuldigen Blutes wandelt auf seiner Spur.«

»Nun, wenn Ihr gehen wollt, Johnson, gehe ich auch mit, will Euch nicht allein gehen lassen. Mann. Seid ihr dabei, Boys?«

Die beiden reckenhaften Wilsons erklärten sich sofort bereit, die Verfolgung zu wagen.

»Kennst du die Gegend hier, Athoree?«

»Kenne jeden Schritt. Wollen Rothand und Iltis fangen. Lassen Athoree machen. Gutherz, Schnellfeuer und Michael bleiben bei Schwester, wir gehen Mörder holen. Bald haben.«

»Dann, alter Bursche, übernimm du die Führung. Du stammst also von den Huronen hier ab?«

Athoree nickte und rief die beiden roten Männer heran, denen er rasch seine Befehle erteilte. Mit grimmigem Lächeln nahmen die die Kunde der geplanten Jagd auf.

Er sprach noch, als der Graf auf den Felsen schon hoch oben zwei menschliche Gestalten erspähte, welche aufwärts kletterten.

Er teilte dies den andern mit und alle sahen sie.

Durch sein Glas erkannte Edgar deutlich Morris.

Die beiden verschwanden bald hinter dem Gestein.

»Rothand fest haben,« sagte Athoree. »Jetzt, Konstabel, gehen du und die jungen Leute hier in die Felsen,« er deutete nach links, »meine Krieger dort,« nach rechts zeigend, »der tote Mann und ich steigen hier hinauf. Alle nach oben gehen, ihn dort treffen.«

»Gut. Also ans Werk. Am liebsten hätte ich den Burschen lebendig, um Michigan die Freude zu machen, ihn hängen zu sehen.«

Ein seltsames Lächeln Johnsons, dessen sonst so ruhiges Antlitz den Ausdruck unerbittlicher finsterer Strenge trug, antwortete diesen Worten.

Die Männer brachen auf, nach Athorees Anordnung.

Der Graf veranlaßte seine Schwester, abzusteigen, und sie lagerten dann an einer Stelle, von der aus sie die Felsen überblicken konnten; häufig wandte er sein Glas an, um die Schluchten zu durchsuchen.

Athoree und Johnson stiegen die steilen Pfade empor.

Bald ließen sie die Büsche, welche dem unteren Teile des Berges entwucherten, hinter sich und betraten die Region der nackten Felsen, in deren Vertiefungen kaum noch Grashalme sproßten.

Bisher war Athoree vorangegangen, jetzt nahm Johnson die Spitze.

Mit einer Kraft und Behendigkeit stieg er empor, daß selbst der starke und geübte Indianer ihm kaum zu folgen vermochte.

Johnson beobachtete keine der Vorsichten, welche sonst beim Beschleichen solch gefährlicher Feinde geübt wurden, er stieg aufwärts, seine Brust den Kugeln darbietend.

Kein Hindernis hielt ihn auf. Er überkletterte scharfe Felsengrate, übersprang Abgründe, wand sich an Wänden hin, welche kaum für den Fuß Platz ließen, mit immer gleicher Kraft und Schnelligkeit. Rasch gelangten sie hoch hinauf.

Mehreremal wurden die beiden denen unten sichtbar, welche von da ab die Felsen mit gespannter ängstlicher Aufmerksamkeit beobachteten.

Während Johnson und Athoree eine steile Felsschlucht, die mit Steingerölle besät war, mühsam hinaufkletterten, krachte oben eine Büchse, und die Kugel sauste an Johnsons Kopf vorbei.

Ohne seinen Schritt zu mäßigen, ja ohne nur den Schuß zu beachten, stieg dieser weiter.

Der Indianer warf sich hinter den nächsten größeren Felsbrocken und legte sich in Anschlag.

Von oben herab klang ein wilder Schrei und der entsetzensvolle Ruf folgte: »Der weiße Mann, Iltis.« Deutlich war er den Verfolgern vernehmbar.

Dem scharfen Auge des Indianers entging es nicht, daß sich droben hinter einem Felsstück eine Büchse vorschob. Gleich darauf sah er den rechten Arm, er schoß, ein Schmerzensschrei antwortete, und die Büchse rollte über die Felsen fort.

Der Indianer lud und folgte dann Johnson.

Von links her, wo der Konstabel mit den Wilsons hinaufgestiegen war, ließ sich ein Schuß vernehmen, und vor Athorees Augen eilte Iltis einen Anstieg hinan. Des Wyandots Büchse entlud sich von neuem, und Iltis stürzte getroffen rückwärts herab.

Dies konnten die unten bemerken, wie sie auch bald Johnson und den Indianer weiter emporklimmen sahen.

Von Morris keine Spur.

Als Johnson die Felsschlucht verließ und ein kleines Plateau betrat, lag vor ihm stöhnend der schwerverwundete Iltis. Er beachtete ihn nicht, aber der folgende Athoree fragte ihn mit dem Messer in der Hand: »Wo Rothand?«

Der Iltis deutete nach oben: »Rette mich, Indianer, ich will dir viel geben. Rette mich, rette mich. Wasser!« stöhnte er.

Kaltblütig ließ ihn der liegen, der Feind war unschädlich gemacht, und ging weiter.

Ihnen nach tönte das Jammern und Hilfeflehen des todwunden Mannes.

Vor ihnen erhob sich aus einer Gruppe kleinerer Felsen ein isolierter Kegel.

Vor aller Augen, der unten Weilenden, wie der von drei Seiten jetzt ansteigenden Verfolger, kletterte Morris in wilder Todesangst diesen Felskegel hinan. Athoree wollte schießen, aber Johnson sagte: »Nicht feuern, er soll unter diesen Händen langsam sterben.«

Ein todbringender Haß lag in seinem Auge, in seinen Zügen.

Athoree ließ die Büchse sinken.

Die Indianer und der Konstabel waren nicht in Schußnähe, und der Mörder erreichte den Gipfel, wo er sich niederlegte und nicht mehr sichtbar war.

Ein höhnisches Lachen tönte von oben herab: »Kommt an, holt mich, verd–te Schurken.«

Eine wilde Verzweiflung klang hindurch.

Jetzt nahten auch von beiden Seiten der Konstabel mit den Wilsons und die Huronen. Johnson schickte sich an, den Felsen, auf welchem Morris lag, zu erklimmen.

»Johnson, es ist Euer Tod!« rief der atemlos herbeieilende Konstabel.

»Dann gibt es keinen Gott,« sagte dieser und schritt weiter aufwärts.

Nach einigen Schritten wandte er sich und sagte: »Keiner schieße, ich will ihn lebendig haben.«

Johnson bot in seinem schweigenden Zorn, in der finstern Energie, welche auf seinen Zügen lagerte, den funkelnden Augen das verkörperte Bild der Rache. Ein Windstoß hatte ihm die Kopfbedeckung abgerissen, und wild flatterten das schneeweiße Haar und der lange Bart in dem scharfen Luftzuge.

In hoher Aufregung harrten unten Edgar und sein Begleiter, welche Johnson deutlich erblickt hatten, wie er aufwärts stieg.

Schweigend standen oben die Männer, die Büchsen in der Hand.

Weiter stieg Johnson.

»Schießen wir ihm die Büchse weg, wenn er sie sehen läßt!« rief der Konstabel.

Da krachte von oben schon ein Schuß, die Kugel schlug neben Johnson an den Felsen.

Unaufhaltsam gleich dem ehernen Schicksal schritt der Mann weiter empor. Höher und höher.

Der steile Fels zwang ihn, rechts zu gehen, und als er um eine Felswand bog, sah er einen Spalt vor sich, der zum Gipfel führte, und oben mit verzerrten Zügen aufrechtstehend die Gestalt des Mörders seiner Lieben, die eben geladene Büchse in der Hand.

»Schieß, Mörder vom Kalamazoo! Die Geister meines Weibes, meiner Kinder schweben um mein Haupt!«

Morris bebte, so daß die angelegte Büchse wie ein Grashalm im Winde schwankte.

Weiter stieg Johnson. Fünf Schritt vor dem Verfolgten blieb er stehen, hob die Rechte und rief: »Ich will dein Herz haben, Mörder, noch zuckend will ich es aus deiner Brust reißen!«

Der zitternde und totenbleich aussehende Verbrecher drückte ab – die Büchse versagte.

Schon nahte ihm die schreckliche Gestalt Johnsons, furchtbar anzuschauen.

Ein weithin hallender Entsetzensschrei entfuhr des Mörders Munde, er sprang zurück, ein zweiter gellender Schrei, und er stürzte rücklings in den Abgrund, auf einen Felsen aufschlagend, so daß sein zerschmetterter Körper in weitem Bogen in die grausige Tiefe flog.

Johnson stand oben, umflattert von dem weißen Haar, und sah die Leiche noch tief unten verschwinden.

Dann sagte er leise: »Gott hat gerichtet.«

Er stand noch einen Augenblick dort oben still, blickte nach unten und dann zum Himmel auf. Dann stieg er wieder herab.

Athoree und der Konstabel hatten Morris fallen sehen und seinen letzten Verzweiflungsschrei gehört.

Edgar und die andern unten atmeten erleichtert auf, als sie Johnson herabklettern sahen.

Mit tiefernstem, doch ruhigem Gesicht erschien er am Fuße des Felsens.

»Mein Weib und meine Kinder sind gerächt, er fuhr dahin in seinen Sünden.«

Schweigend stiegen alle abwärts.

Auf dem kleinen Felsplateau fanden sie die Leiche des »Iltis«.

Auch er war in seinen Sünden gestorben.

Unten berichtete man dem Grafen die Vorgänge in den Felsen.

»Ganz Michigan wird aufatmen, wenn es dies erfährt,« sagte der Konstabel.

Schweigend setzten sie dann gemeinsam ihren Weg nach dem Fort fort.

Der Konstabel schloß sich an, seine Mission war erfüllt, die Verbrecher waren getilgt aus der Reihe der Lebenden, Gottes Gerechtigkeit hatte sie ereilt.


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