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3

InitialAls der Mond schon tief am Himmel stand, kam Heinz Heide in dieser Nacht nach Buchenfreygg. Noch auf dem letzten Stück Wegs, das ebenhin zu den Häusern führte, blickte er scheu um. Er blickte gegen Tannenfreygg hin und in die Mitte des Waldes, wo die verschwiegenen Steige hockten. Aber es war überall still, man konnte die Stille hören, denn die Welt unter dem Mond atmete weich und langsam wie ein junges schlafendes Weib.

So kam er bis dicht vor den schwarzen Häuserblock, als die Stille plötzlich einen gewaltigen Schrei tat. Aus der Finsternis sprang ein riesengroßes Tier in den Mond und wälzte sich heulend in den Weg herein, und gleichzeitig zuckte in der Finsternis eine kreisende Laterne auf und kam mit einer schreienden Fistelstimme über den Hof.

Sie blinzelte töricht und rot, als sie da zu Heinz Heide hinlief, der vor dem drohenden Tiere stand, und machte zuletzt einen ausgerechneten Zirkelsprung.

»Den Hund zurück!« rief Heinz Heide.

Die Fistelstimme schrie aufgebracht in den Hund hinein, und als der zu grollen anfing, schlug sie ihn mit ihren spitzigen Steinen und lief neben ihm mit aufgeregten Entschuldigungen näher. Daß der Herr zu einer solchen Stunde noch käme! Der Weg sei gefährlich! Man habe bis vor einigen Minuten gewartet! »Dies Tier,« schrie sie in verwelschtem Deutsch, »ist ein elendes Biest! Man sollte es erschienen,« fuchtelte die Laterne, »so oft ein Fremder kommt, keinen läßt es ungeschoren.«

»Lösche die Laterne!«

»Oh,« schalt die Fistelstimme, »was für ein Unsinn!« Die Laterne hatte nur zwei Seitenwände. »Was für ein Unsinn, bei hellem Monde eine Laterne! Oh,« griff sie an die Stirn und sperrte das Haus auf.

Dann lief sie aber von der Treppe wieder zurück, es mußte die Laterne doch wieder angezündet werden, da das ganze Haus stockdunkel war. »Ah, wenn man schläft, –« sprang sie empor in den Saal, schlug dröhnend eine Tür auf und machte eine Verbeugung.

Dann flog sie an die Kerzen: eins, zwei, drei brannten sie. Da stand auf dem Kirschholztische ein Rosenstrauß und vor den Kerzen ein schlottriger Mann mit tiefer Verbeugung.

Aber Heinz Heide blickte in den Türrahmen. Denn da wollte ein altes Weib behutsam eintreten, es war ungeheuer schüchtern. Es hatte einen Schal um die Schultern und eine großmächtige Freude im Gesicht; es wäre gerne erkannt worden. Der Verwalter aber war mit einem Satze davor und donnerte sie an. »Der Herr ist hungrig!« stieß er sie hinaus, und draußen im Saal fuhr er ein paar Mägde an, die jäh aus den Betten gekrochen waren: »Wo sind die Hühner, sage ich? Wer hat die Hühner bestellt? In einer Viertelstunde haben die Hühner da zu sein!« Es sei ein Skandal!

»Ich wußte nicht,« kam er zurück, »wo der gnädige Herr zu speisen belieben. Auf dem Balkon, oder hier, oder im Grafenzimmer.«

Heinz Heide sah vor sich hin, er bemerkte nun, wie die Kerzenlichter vor den Fenstern flatterten und die Rosen vom Tisch her dufteten. Und da kam eine liebenswürdige Entschlossenheit über ihn: » si,« sagte er, » nella stanza dei conti

Da wurde aus dem schlottrigen Manne ein stolzer, sein gelbes Gesicht lächelte und sein Auge funkelte. Groß stand er da, und nun kamen flüssige, prächtige Worte auf seine Zunge; gleich gewaltigen Cherubimen flammten sie auf, glänzend und voll Gebärde. »Ah,« sagten sie in tönendem Welsch, »darf ich also auch in Ihnen das Blut grüßen, dem jeder Tropfen des meinen dient? Gepriesen sei das Wort, das dies Blut geoffenbart hat.«

Diese Worte taten wohl. Sie stellten das Erbhaus vom deutschen Berge fort in eine blauweiche Talebene mit goldenen Sonnenuntergängen, und waren dem Heimkehrenden wie ein Gruß aus liebbekanntem Lande. Sie machten sein Gesicht hell und genießend, es störte gar nicht, daß der schmutzige Mann nun im Grafenzimmer deckte. Während er das Tischtuch legte, kam seine behaarte Brust zum Vorschein und sein gelbes Gesicht gehörte unter der Lampe einem Raubvogel. Aber seine Finger hatten eine eigentümliche Geschicklichkeit, sie stellten Gläser und Teller zierlich auf den Platz. Und dabei erzählten die tönenden Worte die Genealogie des Hauses Heide; sie legten den Frauen Purpur und Grandezza an, den Männern flochten sie den Lorbeer ererbten Edelsinns um die Stirn. »Oh,« sagte der Mann verachtungsvoll und riß die Rosen aus der geschmacklosen Vase, »ich bin ein alter Taugenichts! Wo ist die Schale von Lodovico, dem Venezianer?«

Das Zimmer duftete; die alten Möbel strömten einen unbeschreiblichen Duft aus, und auch die Rosen, die nun aus der Schale Lodovicos niederhingen. Ob die Linden blühen? fragte Heinz Heide, und der Verwalter, der eben an der Schwelle einem barfüßigen Jungen die Schlüsseln abnahm, bejahte begeistert. »Ja, die Linden blühen; jawohl.« Er stand artig hinter Heinz Heide, dem sich von den Rosen her etwas Beruhigendes auf die Nerven legte, und servierte. Aber, sagte er, es dürften die Rosen sein, die so riechen; er wußte nicht, ob der gnädige Herr Blumen liebe, »ich riskierte es, sozusagen; der selige Herr Vater machte sich nichts aus Blumen.«

»Sie duften wie Parfüm,« lächelte Heinz Heide. Denn er bemerkte auf dem rotdamastenen Sofa ein rotblondes Haar. Es war nicht sehr lang, aber etwas länger als die rotblonden Haare in seinem Uhrdeckel. »Ich habe mit meiner Uhr gespielt,« hob er es mit den Fingern auf, »nun ist es da!« Er freute sich darüber, als wäre es eine süße Vorbedeutung, aber als der Verwalter das goldene Haar sah, verbarg er es und blickte ablenkend nach der Tür hin, die ihm gegenüber verschlossen war.

Aber es war eigentümlich, der Verwalter erspähte auch diesen Blick und benützte ihn. Er nahm unvermittelt eine ernste Würde an und öffnete die Tür: »Hier,« sagte er, »starb der selige Herr Vater!«

Er streckte seinen hageren Arm mit einer Kerze in das dunkle Zimmer, so daß Heinz Heide ein weißes Bett und einen Gewehrschrank sehen mußte. »Hier starb er! Ich war allein bei ihm.«

Er sprach wie vom Bett zum rotdamastenen Sofa hin. »Der ganze Leib war Eiter und Blut. Alles Wunden war der Leib, talergroß standen sie nebeneinander! Selbst der Bart, der schöne weiße Bart, war getränkt von Blut. Er schrie fortwährend, denn der Schmerz hob ihn jede Minute meterhoch aus dem Bett. Fürchterlich schrie er.«

Er langte die Kerze aus dem Zimmer zurück, denn er wurde müde vom Halten. »– ›Den Pfarrer!‹ schrie er, ›den Pfarrer!‹ Dabei wurden seine Augen wie Korallen rund und rot, – ›den Pfarrer will ich haben!‹ Wie soll ich den Pfarrer holen, überlegte ich; denn ich konnte ihn doch nicht allein lassen, und unser Pfarrer, – der gnädige Herr wissen wohl! Aber er schrie immer zu: ›Laufe zum Pfarrer!‹ und ich, um nur etwas zu tun, ich laufe im Zimmer herum, ich kann dich doch nicht allein lassen, dachte ich, – da kam das Blut! Nach dem Worte ›Pfarrer‹ kam ihm das Blut! Er saß senkrecht, aber wie ich vom Fenster zurückkam, – holet den Pfarrer! hatte ich zum Fenster hinausgeschrien, – da war das Bett schon ganz rot. Es war merkwürdig; es lief das Blut mit einemmal aus allen Wunden. Er war wie ein Fluß Blut, selbst in den Augen bildete es Tümpel. Und, – ja: als das Blut auch beim Munde heraus war, –«

»War denn kein Arzt da?«

»Der Arzt von Egna war vor einer Stunde fortgegangen, gnädiger Herr. Und der andere, – unser Doktor, – Sie wissen wohl! Aber das wollte ich eben sagen: ich habe getan, was in meinen Kräften stand, ich sprang ein über das anderemal zum Fenster. ›Holt den Pfarrer, den Pfarrer!‹ schrie ich, aus Leibeskräften, denn ich dachte: er stirbt, jeder Mensch hat seine Sünden, und es kommt vor, daß solche, die ohne Sakramente, – es gibt Häuser, in denen es geistert! Aber es war umsonst, – und das ist das Schreckliche: Ohne Sakramente!« –

Heinz Heide stand langsam auf. Er ging zögernd aus dem Zimmer und durch den großen Saal, und der Verwalter folgte ihm. Er ging in das Nordzimmer, dort waren die Kerzen zur Hälfte herabgebrannt.

»Es ist wohl alles bereit im Hause?« sagte Heinz Heide plötzlich.

Der Verwalter bekam Leben. »Natürlich!« Es sei trefflich vorgesorgt. Der Herr werde nichts vermissen, so hoffe er. Die Bauernweiber habe er aus der Wirtschaft herausgeworfen, »sie sind derbe Bauernweiber, sie haben keine Ahnung von den Bedürfnissen eines Herrn.« Die Küche besorge Giusa, seine Tochter; »haben Sie Giusa nicht gesehen? Sie war im Flur vorhin;« sie sei siebzehn Jahre alt, und er könne sagen, –. Hier sah er plötzlich an sich herab und geriet in Verlegenheit. Er riß die schmutzige Hose hastig unter den Gürtel hinauf.

»Ich bekomme nämlich Besuch morgen abend,« sagte Heinz Heide.

»Es ist Platz für zehn,« erwiderte der Verwalter ohne jegliche Überraschung. Es sei alles in bestem Stand.

»Eine Dame und ihr Kind.«

»Ein Kind?« wurde der Verwalter enthusiastisch. Ein Kind? Ein Kind in dieses Haus! – Ein Kind! »Ah,« strömte er von erschütternder Bewegung über, das sei der Alterswunsch des seligen Herrn Vaters gewesen. »Er klagte oft: meine Söhne, beide sind kinderlos! Als die Frau des Herrn Bruders starb, – war sie eine schöne Frau, gnädiger Herr? –«

Er habe sie nicht gekannt, bemerkte Heinz Heide. Sein Bruder habe im Ausland geheiratet.

»Als die starb, – da weinte der Herr Vater. Wenn nur ein Kind da wäre, klagte er. Zwei Söhne habe er und von keinem –«

Heinz Heide schnitt hier die Rede ohne weiteres ab. Gute Nacht! sagte er freundlich; er sei müde. »Ich wiederhole, – morgen abend muß alles bereit sein!« –

Er hörte den Mann über die Treppen stolpern, und nun durchschritt er sein Haus. Er leuchtete in alle Winkel hinein, oft packte ihn Neugier, oft tat er es mit Überwindung. Aber es redete ihn nichts an, das Haus war fremd, fast feindselig. Er trat dann auf den nördlichen Söller und sah die ringrunde Kette von Bögen und Kuppeln, bestreut von einem geheimnisvoll bläulichen Schnee. Vorn, vor dieser schimmernden Kette, trugen die Berge die Last ihrer Wälder; gewaltig standen sie mit schwarzen Schluchten, die sich gegen das Tal hin erweiterten, auf der Ebene. Rings um deren Saum standen sie, und zwei silberige Flüsse rannen da im Mondlicht an ihren Füßen vorbei; und vorbei an der Lichtzunge einer halbverborgenen Stadt, bis sie sich südenzu ineinander ergossen.

Aber auch dies Bild war Heinz Heide fremd und fast feindselig.

Erst am Morgen erwachte sein Auge: nun waren alle Dinge noch so, wie sie vor Jahren gewesen. Es war da an der sonnigen Wand seines Schlafzimmers der rostige Kupferstich des heiligen Franziskus und ein Weihbrunnkrüglein aus der Mitgift der Mutter. Ja, wenn er durch die Säle schritt, stand da ein Spalier von Bekannten; eine Tür war da, durch die Mutter kommen konnte, und wenn man sie öffnete, leuchtete das liebliche Bildnis Assuntas aus dem Dunkel. »Assunta, gestorben den 6. Mai 1896«, stand darunter in rotbrauner Tinte.

Aber auch diese Dinge, die ihn erkannten und die er kannte, waren vollkommen stumm.

Er lief aus dem Hause. Unter den Linden vor dem Haus lagerten Petroleumkannen und Zaunlatten und leere Kisten im Grase. Giusa kam barfüßig aus dem Haus, sie lief in die Hühner, daß sie erschreckt aufflatterten und über die Mauer flogen.

Als er bei den Verwalterhäusern ums Eck wollte, flohen sieben Kinder vor ihm. Sie waren alle mit schmutzigen Gesichtern und verwilderten Haaren. Fetzen trugen sie um die Leiber.

»Werdet ihr!« kam da der Verwalter aus dem Tor und schrie schon. Er trug einen gelben Nankinganzug und einen grauen Kalabreser. »Schmutziges Gesindel!« stampfte er vor den Kindern die Erde, »laßt euch nicht blicken!« Dabei pfiff er dem Hunde. »Sie sind,« sagte er devot und hatte den Hut an den Knien baumeln, »sonst brave Kinder.« Aber wenn man beschäftiget sei, – es sei kein Leichtes, sie zu beaufsichtigen.

Es war aber überall Schmutz und Unordnung. Die Jalousien in den Verwalterhäusern baumelten von den Wänden, vor den Hauseingängen standen schwarze Pfützen und aus den Mauern waren Steine gebrochen. Es roch aus den Kaminen nach Polenta und Zichorie.

»Ist das der alte Mattä?« deutete Heinz Heide nach einem Manne, der in der Wiese an einem Zaun lehnte. Aber gleich darauf erkannte er, der Mann sei ein anderer, und wartete gar nicht die Antwort ab. Er verzog sich ziemlich unsicher ins Haus zurück.

Es war eine gewisse Unruhe in ihm, vor der wollte er sich schützen. Darum begann er nun die vielen Dinge auszupacken, die er von der Reise mitgebracht hatte; es war vielleicht möglich, daß er sich in ihnen wiederfand. Es kamen da zuerst Bücher zum Vorschein, eine Menge von Büchern. Alte Klassikerausgaben in Schweinsleder; darunter ein gebetbuchförmiger Homer und ein ausgebreiteter Ovid. Aber auch Philosophen und romanische Neuautoren.

Dann aber eine Unzahl von ganz unnützen, zerbrechlichen Dingen. Exotische, ja barbarische Merkwürdigkeiten: Glas, Marmor, Waffen, Hölzer. Besonders aber eine Menge von Seiden und Damasten in eigenartiger Stickerei, in der Farbe meist fahl und schillernd. Sie waren gewiß aus schönen Frauenleibern gewesen, aber man merkte ihnen nicht an, daß sie im Leben gestanden waren. Geradeso wie die Bücher lagen sie in Heinz Heides Hand wie konservierte Kadaver.

Der schönste unter den Stoffen war ein erdbeerfarbener Brokat, so breit wie ein kleines Zimmer, wenn man ihn auseinanderlegte. Den nahm Heinz Heide sorgfältig auf und entfaltete ihn.

»Girolamo!« rief er und stand mit dem niederrauschenden Stoff. Denn er hörte des Verwalters Schritt im Flur. Es kam ihm ein schöner Gedanke: »Girolamo!«

Aber anstatt des Verwalters schritten Lorelock, Pius Vesper und der Feldkönig zur Tür herein; wie aus dem Boden gestampft, standen sie auf einmal da.

»Ah,« rief Heinz Heide erschrocken, während der Teppich auf dem Boden knisterte, »ah, siehe da! Das ist scharmant!« – Das freue ihn außerordentlich, rief er ihnen zu, wahrhaftig! Das ist zu liebenswürdig von den Herren, daß sie ihn begrüßen kämen, drückte er ihnen die Hände! »Das freut mich unendlich!«

Sein Gesicht strahlte vor Freude. Sie müßten sich nun niedersetzen, – »und alle blühend und gesund, wie ich sehe!« Er bitte die Herren, »setzen Sie sich doch! Girolamo, eine Flasche Sherry! Oder lieber Bordeaux oder so was? Oder,« schob er ihnen Stühle hin und warf die schönen Dinge gleichgültig von den Tischen, »oder ein Gläschen Likör?« Sie möchten es nur sagen, plauderte er lächelnd, es sei alles da. »Aber bitte –« lud er ein, denn sie verbeugten sich und Pius Vesper räusperte sich, »nehmen Sie doch nur Platz, meine verehrten Herren!«

Da fiel dem Feldkönig ein Strauß Heideblumen aus dem Mantel. Wie ein Blitz fuhr seine Hand danach, aber Heinz Heide lachte wie ein Knabe und bückte sich selbst. »Noch immer Botaniker?« gab er ihm den Strauß zurück und winkte Giusa, die das Tablett brachte, herbei. Das freue ihn, denn gerade in Buchenfreygg gäbe es eine Menge der seltsamsten Kräuter, »insbesondere Heilkräuter, erinnere ich mich aus meiner Jugend.«

»Prost!« ergriff er nun sein Glas und nippte lachend. »Auf Ihre Gesundheit, meine verehrten Herren!« Was, Severin trinke nicht? Aber der Lehrer doch! »Bei Ihrem schweren Beruf!« Er trinke doch, so ein Wiedersehen müsse betrunken werden! »Wenn man da tagein, tagaus in so einem erbärmlichen Lokal sitzt und die Bauernschlingel unterrichtet: A, B, C! Schrecklich, nicht wahr?« Besonders im Winter; in dieser Luft! Im Sommer da ginge es an, man könnte da auch im Freien Unterricht geben.

»Übrigens,« lachte er behaglich, er hätte bei schönerem Wetter kaum kommen können! Er kam zwar bei Nacht, »erst gegen Mitternacht. Es ist in dieser Jahreszeit besser, nachts zu gehen.«

»Wir haben bis elf auf den Euseber Wiesen gewartet,« wagte Pius Vesper endlich zu reden.

»Gewartet? Auf mich? Die Herren haben –?!«

Ah, das täte ihm aber furchtbar leid! Mein Gott, das sei ja –

»Es war eine schöne Nacht,« begütigte der Feldkönig, denn dies herzliche Bedauern tat ihm wohl. »Ja, aber doch!« Nein, das bedauere er unendlich, das sei doch geradezu rührend von den Herren gewesen. »Wenn ich das gewußt hätte,« ging er um den Tisch und drückte ihnen von neuem die Hände. »Aber so brach ich erst gegen neun Uhr unten auf.« Ungefähr gegen neun Uhr.

Lorelock blinzelte ihn da an wie Hamlet den König in der Theaterszene. Aber Heinz Heide merkte das gar nicht, er schaute ihn vergnügt an. »Sie, Herr Doktor,« lachte er, »Sie hätte ich gar nicht mehr erkannt!« Viel runder geworden, wenn er so sagen dürfe. »So?« ließ Lorelock seinen Bast hervor und blinzelte ihn impertinent an; auch er hätte den Herrn nicht wiedererkannt, wenn er so unversehens im Dunkel auf ihn gestoßen wäre. Aber Heinz Heide lachte nur noch freundlicher, das sei ein echt Lorelockscher Witz. »Ja« kehrte er in seinen Stuhl zurück und zündete sich die Zigarette an, sie mögen ihm glauben, das freue ihn. So verehrte Bekannte! »Ich komme da nach Jahren von einer langen Reise zurück, und das erste, was mir da begegnet –«

Dem Feldkönig kroch diese Liebenswürdigkeit geradewegs ins Herz. Herr Heide werde doch lange bleiben?

Gott, das könne er nicht sagen, lachte er. »Ich bin ein unberechenbarer Mensch, es zieht mich irgendwohin, ganz auf einmal, – und eines schönen Tages: Adieu! Aber immerhin, die verehrten Herren wüßten das ja, »warum soll ich nicht wieder einmal Kohl bauen sehen?« Das bekäme ganz gut zur Abwechselung, »und wenn man es wieder satt hat, weg!« Stimmten die Herren nicht bei?

Da stand Lorelock auf. Er hatte es lange schon tun wollen. Nun tat er es. Gewuchtig stand er da, das hieß: Jetzt gehe ich.

»Was, Sie wollen?« Nein, das könne er nicht dulden, schalt Heinz Heide und wollte den zwei anderen, die Lorelock wie Puppen am Drahte folgten, die Hüte entreißen. Das sei die reinste Blitzvisite; zum mindesten noch ein Gläschen Wein müßten sie nehmen.

Aber Lorelock setzte ohne weiteres den Hut auf und nickte steif mit dem Kopf, und da verbeugten sich auch die anderen. Ah, lachte Heinz Heide verständnisvoll; er verstehe, »ein Patient!« Ja, das sei etwas anderes. Das allerdings!

»Aber,« begleitete er sie höflich zur Türe, »ich muß das wiederholen: es hat mich außerordentlich gefreut, meine Herren. Ich danke Ihnen vielmals!«

Der Herr Lehrer gehe nun wohl zu seinen Kindern zurück, lächelte er ihnen auf die Treppe nach, und der Feldkönig in den Wald?

Sie sollten nur langsam gehen! »Die Waldluft, meine Herren, – es ist jetzt kühl im Walde –«, aber da verschwanden sie schon hinter den Treppenpfeilern. »Gute Reise!« rief er ihnen nach.

Dann trat er in den Saal zurück. Dort stand der Verwalter, als wäre er niemals fortgewesen. »Girolamo«, eilte Heinz Heide auf den erdbeerfarbenen Teppich hin und hob ihn auf, sein Gesicht glänzte dabei: »Diesen Teppich in das Zimmer der Dame!«


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