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Apotheker Wagner hatte schon lange die Absicht gehabt, in seinem Garten einen kleinen Springbrunnen anbringen zu lassen und in das große gemauerte Bassin Goldfische zu setzen. Aber erst jetzt war dieser Plan zur Ausführung gekommen; Herr Wagner wollte mit der Verschönerung seines Gartens seine Frau überraschen.
Bärbel hatte natürlich alle diese Vorgänge mit grenzenloser Aufmerksamkeit verfolgt. Ein Wasser, das immerfort hochspritzte, war für sie geradezu ein Ereignis.
Aber auch bei Joachim und Emil Peiske hatte die Idee des Vaters Begeisterung hervorgerufen. Nun konnte man nach Belieben Schiffe schwimmen lassen, vor allem aber konnte man mit nackten Füßen in dem Bassin umherlaufen und die Goldfische ärgern. Von großem Vorteil war es auch, daß der Springbrunnen von den Fenstern des Laboratoriums aus nicht zu sehen war. Man brauchte daher das beobachtende Auge des Vaters nicht zu fürchten.
Die Goldfischchen waren angekommen und von Bärbel mit hellen Freudenrufen begrüßt worden. Das kleine Mädchen meinte anfänglich, daß die Tierchen im Wasser kaputt gehen würden, denn kürzlich hatte sie ihren grauen Holzesel gebadet, und der hatte darauf alle Farbe verloren. Wie schrecklich würde es sein, wenn die prächtige rotgoldene Farbe verschwand und auch nur rohes Holz zum Vorschein kam!
Da stand nun Goldköpfchen an dem Bassin und konnte sich an dem fröhlichen Treiben der Tierchen nicht sattsehen.
Aber auch Joachim und Emil waren anwesend, die dauernd kleine Steine ins Wasser warfen und die Fische dadurch beunruhigten. Es dauerte auch gar nicht lange, da schwammen in dem Bassin kleine Schiffchen, die die Knaben herbeigeholt hatten.
»Wir müssen deine Puppe baden, Goldköpfchen,« sagte Joachim, »sie hat es nötig.«
Schließlich ließ sich die Kleine überreden, das Puppenkind zu holen. Joachim entriß ihr die geliebte Olga und warf sie jubelnd mit den Kleidern ins Wasser. Bärbel schrie entsetzt auf, ließ sich aber rasch trösten, denn Joachim wußte so nett von einem ertrinkenden Kinde zu erzählen, das von Emil mit einem herbeigebrachten Feuerhaken gerettet werden sollte.
Und nun nahm das lustige Spiel kein Ende. Olga war vorwitzig, wagte sich immer wieder ins Wasser hinein, schließlich wurde sie von dem Wassermann in die Tiefe gezogen, tauchte bald wieder auf, und unter dem Jubel der Kinder durchweichte nach und nach der lederne Puppenbalg.
Man kam immer auf neue Ideen. Auch der Holzesel wurde geholt, der aber, da er schon mehrfach geleimt war, im Wasser gleich Kopf und Beine verlor.
»Er ist jetzt ersoffen,« erklärte Joachim.
Emil versuchte den Esel herauszufischen, doch diesmal gelang es nicht. Da warf er Schuhe und Strümpfe von sich und watete im Bassin umher.
Joachim fand dieses Spiel so entzückend, daß er dem Beispiel des Bruders folgte; und nun spielten die beiden Knaben Springbrunnen. Man hielt das Wasserrohr mit den Händen zu, dirigierte den Strahl auf Bärbel, die laut aufschrie, als sie über und über mit Wasser bespritzt wurde. Die beiden Knaben bespritzten sich gegenseitig, bis kein trockener Faden mehr an ihnen war.
Erst als sie zu frieren begannen, kam ihnen zum Bewußtsein, daß sie sich in dieser Aufmachung im Hause nicht sehen lassen durften.
Die Kleider wurden ausgezogen, nur das Hemd behielt man an. Alles wurde auf den Rasen in die Sonne gelegt. Bärbel fand es geradezu wundervoll, daß hier drei Hemdenmätze herumsprangen, und meinte, der Vati müsse das sehen.
Aufgeregt hielten sie die Knaben zurück.
»Wenn du klatschst, haue ich dir den Buckel voll!«
Aber man fror doch recht beträchtlich. Bärbel verzog das Mäulchen und wollte einen Mantel haben. Sie schlich sich daher von den Knaben, die mit geschlossenen Augen im Grase lagen, fort und eilte nach der Apotheke. Sie lief gerade der Großmama in die Hände.
»Bärbel friert.«
»Aber, Kind, wie siehst du denn aus? Im Hemd und ganz naß!«
»Ach, Großmama, es war zu schön, – mein Esel ist ersoffen!«
»Wo bist du denn gewesen?«
»Bei den lieben Fischen.«
»Ist Joachim nicht bei dir?«
Bärbel lachte fröhlich auf. »Ach, Großmama, der ist auch ein Hemdenmatz!«
Frau Lindberg nahm das Kind an der Hand, rief nach Lina und beauftragte das Hausmädchen, das Kind abzureiben und trocken anzuziehen. Dann eilte sie durch den Garten und erblickte die beiden Knaben, denen das feuchte Hemd an den Gliedern klebte.
»Aber, Jungens, ihr könnt euch ja den Tod holen! – Joachim!«
Faul und träge richteten sich die beiden ein wenig auf, und lässig erklärte Joachim:
»Wir trocknen uns.«
»Du kommst sofort ins Haus, und dir bringe ich eine Decke. Du gehst dann sogleich heim.«
»Ach, laß mal, Großmama!«
»Keine Widerrede, Joachim, – marsch, komm mit mir!«
Während sie den widerstrebenden Knaben an der Hand nahm, raffte Emil seine nassen Kleidungsstücke zusammen, sprang im Hemd über den Zaun, lief durch den väterlichen Garten, und ungesehen verschwand er im Hause.
Als Frau Lindberg wenige Minuten später mit einer warmen Decke erschien, war von dem Sohne des Schneidermeisters nichts mehr zu sehen.
Nun gab es eine Strafpredigt aus dem Munde der Großmama. Sie versprach sich davon freilich nur wenig Erfolg, denn Joachim erklärte der Zürnenden:
»Großmama, die Späße verstehst du nicht, – so was ist gerade was Feines. – Wenn du mit deinen alten Beinen im Wasser waten würdest, würde dir das freilich etwas schaden, – für uns aber ist das gesund. Nun habe ich doch gleich saubere Beine, denn meine sind heute nachmittag ganz schwarz gewesen.«
Bärbel wurde anders angefaßt. Die Großmutter meinte, daß die Fische furchtbare Angst hätten, wenn die Menschen in ihr Wasser kämen, und man dürfe kein Tier ängstigen.
Das sah das kleine Mädchen ein. Bärbel war eine so große Tierfreundin, daß sie jedem Tier, auch dem unscheinbarsten, nach Kräften beistand. Diese gute Charaktereigenschaft war von den Eltern bestärkt worden, und so kam es, daß das Kind nicht imstande war, irgendeine kleine Tierquälerei gelassen mit anzusehen.
»Fressen nun die Fische meinen guten Esel auf?«
»Nein, das nicht; aber der Esel muß natürlich aus dem Bassin herausgenommen werden.«
»Die Olga auch?«
»Was – – du hast die gute Puppe ins Wasser geworfen? Schäme dich, Goldköpfchen, ich werde dir keine Puppe mehr schenken.«
»Sie war doch so schmutzig.«
»Nein, Puppen machen sich niemals so schmutzig wie kleine Mädchen, die brauchen nicht gebadet zu werden.«
»Bärbel wird sie retten.«
»Laß nur, Goldköpfchen,« wehrte Frau Lindberg entsetzt, »ich werde Puppe und Esel herausfischen lassen.«
»Der Esel ist doch ersoffen.«
»Du mußt nicht so häßliche Ausdrücke wählen, Bärbel, der Esel ist ertrunken. – Siehst du, nun ist das arme Tier tot, und du hast keinen Esel mehr.«
Am späten Nachmittag bekam Bärbel ihr verdorbenes Spielzeug wieder. Die Puppe sah jämmerlich aus, und der bereits abgefärbte Esel war in vier Stücken.
Joachim hatte sofort wieder eine neue Idee.
»Jetzt müssen wir den toten Esel begraben,« sagte er. »Wir machen ihm ein feines Grab, legen es mit Blättern aus, – das wird fein werden.«
Bärbel war natürlich sofort dabei. Sie hatte einmal, als sie mit der Mutter den Kirchhof besuchte hatte, eine Beerdigung gesehen. Das war noch nicht vergessen. Der Esel sollte alles so haben wie damals. Natürlich brauchte man dazu auch Emil Peiske, der, nachdem Joachim im Garten mehrere laute Pfiffe hatte ertönen lassen, sofort erschien. Der Anzug, den er trug, war noch feucht. Joachim lachte.
»Hast du's gut, – du hast dich nicht umzuziehen brauchen.«
»Mein Hemd habe ich auf dem Boden aufgehängt. Und den Anzug habe ich über nischt gezogen.«
»Fabelhaft!«
Nun wurde ihm von dem Plan, den Esel zu begraben, berichtet. Sofort waren die Spaten zur Hand, unter einem Strauch wurde ein Loch gegraben.
»Ihr müßt auch was dazu singen,« erklärte Bärbel.
»Ist dein Esel, – sing du!«
»Bärbel kann nichts.«
Die beiden Knaben überlegten ein Weilchen, dann tuschelte Emil Peiske seinem Freunde etwas zu.
»Fabelhaft!« rief Joachim. Er wandte sich wieder an seine kleine Schwester. »Nun pass' auf, ich werde dich ein Begräbnislied lehren. Nun sing mal nach: Ich hatt' einen Kameraden, einen bessern find'st du nicht!«
Bärbel gab sich die größte Mühe, das Lied zu lernen, während Emil Peiske aus vollem Halse lachte.
Endlich glaubte Bärbel das Lied zu können, die Teile des Esels wurden herbeigebracht, die das kleine Mädchen zärtlich in die Arme nahm. Voran schritt Emil mit erhobener Hacke, hinter dem kleinen Mädchen ging, leise murmelnd und bitterliches Weinen vortäuschend, Bruder Joachim. Nun wurde der Esel in die Grube gelegt. Goldköpfchen nahm nochmals rührenden Abschied von dem zerbrochenen Spielgefährten, und dabei fiel eine Träne aus ihren blauen Augen.
»Nun halte 'ne Rede,« forderte Emil den Spielgefährten auf.
»Rhabarber – Rhabarber – Rhabarber,« murmelte Joachim, »jetzt soll Bärbel singen.«
Zwar ein wenig falsch, aber voll inniger Zärtlichkeit ließ Bärbel die ersten beiden Zeilen des Liedes ertönen. Dann wurde die Grube zugeschaufelt, Bärbel holte mehrere grüne Zweige und schmückte damit das Grab ihres Esels.
Man hatte nicht bemerkt, daß sich währenddessen der Himmel mit dunklen Wolken bedeckt hatte. Die Kinder waren kaum ins Haus gekommen, als ein Platzregen herniederging.
Joachim und Emil verschwanden wie der Blitz, denn in solch einem Regen umherzulaufen, war für sie ein grenzenloses Vergnügen.
Bärbel aber stieg die Angst heiß zum Herzen auf. Es regnete, und der Regen fiel in das Bassin, in dem die Fische waren. War nicht kürzlich dem guten Milchmanne eine Kuh fast ertrunken, weil es so furchtbar geregnet hatte?
Aufgeregt eilte sie nach der Apotheke.
»Onkel Provisor, die Goldfische ertrinken, – deck' sie zu!«
»Welche Fische?«
»Die schönen Goldfische! – Komm schnell und deck' sie zu!«
Senftleben hatte Mühe, dem erregten Kinde klarzumachen, daß sich die Fische beim Regen am wohlsten fühlen. Natürlich erfolgten viele Fragen, denn Bärbel wollte wissen, warum beim Regen eine Kuh ertrank und weswegen die Fische so fröhlich dabei waren. – –
Als Herr Wagner am nächsten Morgen einen Gang durch seinen Garten machte, blieb er ärgerlich vor dem neuen Springbrunnen stehen. Was hatte man für Unrat in das schöne Bassin geworfen! Die Missetäter glaubte er zu kennen.
Als Joachim aus der Schule kam, winkte ihn der Vater schweigend zu sich heran, nahm ihn am Ohr und führte den Knaben wortlos durch den Garten bis hin zum Springbrunnen.
»So, mein Sohn,« begann er, »die Steine und alle die Erdklöße stammen von dir.«
»Der Emil hat mitgemacht.«
»Das geht mich nichts an. – Warum hast du es ihm nicht verboten? Du wirst heute nachmittag das Bassin reinigen, ich werde die Fische herausnehmen lassen, das Wasser wird abgelassen, und dann säuberst du das Bassin so lange, bis das neu hineingelassene Wasser ganz klar bleibt. Keinen Stein und keinen Unrat will ich mehr darin sehen.«
»Ich habe heute so viele Schularbeiten zu machen.«
»Für die Schularbeiten wird auch Zeit bleiben.«
»Dann muß mir der Emil aber helfen, der hat auch Steine mit reingeworfen.«
»Ich habe dir schon gesagt, daß ich dich dafür verantwortlich mache. Und wenn der Emil wieder Steine hineinwirft, holst du sie wieder heraus.«
Joachim wollte noch etwas erwidern, aber vor dem strafenden Blick des Vaters schloß er den Mund.
»Ich mache mir doch dabei die ganzen Sachen schmutzig, wenn ich hier Dreck klauben soll.«
»Du ziehst die alte Lederhose an, der schadet es nichts. Ich werde nachher wiederkommen und nachsehen, ob die Arbeit auch gut gemacht ist.«
So mußte Joachim mit geheimem Grimm an die Reinigung des Bassins gehen. Und während er mit einem Besen das Bassin auskehrte, hörte er ein schadenfrohes Lachen von jenseits des Zaunes. Das war kein anderer als sein Freund Emil Peiske.
Joachim fuhr herum.
»Komm her und hilf mir, – du hast das Bassin versaut!«
Statt einer Antwort kam erneutes Lachen.
»Na, kommst du her?«
»Wenn du fertig bist!«
Drei Sätze, dann war Joachim drüben bei seinem Freunde, packte ihn vorn an der Brust und schüttelte ihn kräftig.
Emil war nicht träge, er gebrauchte seine Fäuste, und nun begann eine regelrechte Keilerei, bei der bald Joachim, bald Emil auf dem Erdboden lagen. Zwischendurch hörte man nicht gerade schöne Schimpfworte.
»Du Schneiderlümmel!«
»Du Pillendreher!«
Es war Emil gelungen, den großen Besen seines Freundes zu erfassen, und damit schlug er jetzt auf Joachim ein.
Der griff mit beiden Händen in den roten Haarschopf Emils und hielt bald ein Büschel Haare in der Faust.
»Wollt ihr wohl auseinandergehen!«
Vor den zornigen Knaben stand Schneidermeister Peiske, der den Lärm gehört hatte und es für richtig hielt, die beiden wütenden Knaben zu trennen.
Das war freilich nicht ganz einfach. Und als nun Joachim mit dem Fuße nach Emil stieß, erhielt er von dem Schneidermeister eine schallende Ohrfeige, die ihn so erstarren ließ, daß er von seinem Freunde abließ.
Emil wollte diese günstige Gelegenheit benutzen, um aufs neue auf seinen Gegner einzuschlagen. Da saß aber auch ihm die Hand des Vaters auf der Wange, und laut heulend gingen die Kämpfer auseinander.
»Hier hast du deinen Besen, du Lümmel,« das war das Letzte, was Joachim von Schneidermeister Peiske hörte.
Mit zerkratztem Gesicht und zerrissenem Ärmel machte sich Joachim wieder an die Reinigungsarbeiten, und als der Vater erschien, war alles fertig.
»Siehst du, mein Junge, diese Arbeit hättest du dir sparen können. In Zukunft laß das Bassin und die Fische in Ruhe.«
»Die ollen Fische sind mir ganz wurscht, es lohnt sich gar nicht, daß man sich mit solchem Viehzeug abgibt,« entgegnete der Knabe verächtlich.
»Und nun kannst du an die Schularbeiten gehen.«
Leise maulend folgte der Knabe dem Vater. Er fühlte sich in seiner Schülerehre tief gekränkt. Zu Aufräumungsarbeiten war doch das Personal da. Er war doch schließlich kein Hausdiener. – – Wenn nur der Emil den Mund hielt und es nicht weitererzählte. Was würden seine Schulkameraden sonst von ihm denken?
Verstohlen ballte er die Fäuste nach dem Nachbargrundstück hin. »Ich schlage dir noch das andere Auge blau, wenn du was sagst,« murmelte er leise vor sich hin.
Als Goldköpfchen eine halbe Stunde später ins Kinderzimmer kam, wurde sie von dem arbeitenden Bruder angeschrien.
»Ich habe zu arbeiten, du Gans! – Hinaus!«
Erstaunt schaute die Kleine den zürnenden Bruder an.
»Na, – was glotzt du denn?«
»Du hast wohl Haue gekriegt, Joachim?«
»Kannst gleich welche besehen! Pah, – überhaupt – mit solchen kleinen Mädchen sollte man gar nicht reden!«
»Lausebengel,« sagte Bärbel mißmutig und ging davon, denn sie wußte, daß der Bruder in solcher Stimmung gern zuschlug. Sie war in der besten Absicht gekommen, um den Bruder zu rufen, denn der Vater hatte eben gesagt, daß er die Fische füttern wollte. Nun eilte Goldköpfchen allein in den Garten und schaute voller Interesse zu, wie die Tierchen nach den ins Wasser geworfenen Ameiseneiern schnappten.
»Bitte, gib mir die Tüte, Vati,« bettelte die Kleine.
»Nein, Goldköpfchen, die Fische haben genug Futter.«
»Ach, ich möchte so gern noch etwas hineinwerfen.«
»Das darfst du an einem anderen Tage. Wir kaufen dann Futter, recht schönes Futter für die Fischlein, und dann darfst du es ins Wasser werfen.«
Nun wollte Bärbel natürlich noch wissen, was das für Futter sei, wer das Futter koche, und geduldig gab Herr Wagner seinem Töchterchen Auskunft. Der Apotheke schräg gegenüber war die Handlung, in der man alles Notwendige erhielt.
Dieses Fischefüttern beschäftigte das Kind den ganzen Nachmittag. Es rief die Großmama; aber Frau Lindberg erklärte, das Fischfutter sei verbraucht, heute könne man den Tierchen nichts mehr geben, denn es müsse erst neues gekauft werden.
Und als dann Bärbel im Vorgarten stand, kam ihr der Gedanke, daß es vielleicht ganz richtig sei, wenn man heute schon für morgen das Futter besorge.
Kurz entschlossen lief das Kind über die Straße, betrat die Vogelhandlung und forderte Fischfutter für die goldenen Fischlein.
»Hast du Geld mit?« fragte der Inhaber freundlich.
»Nein.«
»Ist das Futter für deinen Vater?«
Bärbel machte ein entrüstetes Gesicht. »Für die Fische, – der Vati ißt so was nicht.«
Der Ladeninhaber lachte belustigt auf. »Ich meine, ob dich der Vater herübergeschickt hat, das Futter zu holen?«
Wieder mußte Bärbel verneinen, und so erklärte der Händler, daß er das Futter hinüberschicken werde. Für morgen wäre dann wieder etwas da.
Als Goldköpfchen ins Haus zurückkehrte, sah es den Bruder auf der Straße, der eifrig nach Maikäfern ausschaute.
»Ich habe mir schon einen Busch zurechtgemacht, damit fange ich mir hundert Stück.«
Bärbel jubelte. »Mir schenkst du auch sieben?«
»Fang dir selbst welche!«
»So fängt mir Emil welche oder Felix.«
Beim Abendessen war Joachim recht unruhig. Er hatte wieder einmal ein schlechtes Gewissen. Zwar war es ihm gelungen, die zerrissene Jacke bisher zu verbergen; aber das Gesicht wies neue Kratzer auf.
Der Apothekenbesitzer aber gab sich den Anschein, als sähe er das nicht, und Joachim war froh, als das Abendessen endlich vorüber war. An dem heutigen warmen Tage durfte er noch ein wenig hinaus; und diese Stunde wollte er dazu benutzen, sich Maikäfer zu fangen, die er morgen in der Schule gegen irgend etwas anderes eintauschte. Außerdem machte es furchtbaren Spaß, dem Lehrer einen Maikäfer um den Kopf schwirren zu lassen.
Die lange Stange, an der ein Busch junges Grün festgebunden war, geschultert, begab sich Joachim hinaus aus die Straße. Vor dem Nachbarhause ließ er seinen Pfiff ertönen, der Freund Emil herauslocken sollte. Er war ihm freilich noch etwas gram, aber Maikäfer fangen sich am besten zu zweien.
Er pfiff und pfiff, schließlich erschien der Schneidermeister. Mit einigen Sätzen war der Knabe auf der anderen Straßenseite.
»Du pfeifst wohl nach dem Emil? Der hat Stubenarrest und darf heute nicht mehr hinaus.«
»Warum denn?« rief es von der anderen Straßenseite herüber.
»Das solltest du doch am besten wissen!«
»Kommt er nicht runter?«
»Nein, er hat Arrest.«
»Er soll doch nur Maikäfer mit mir fangen.«
»Ich habe dir doch gesagt, daß er nicht raus darf, und dabei bleibt es! Also, laß das Pfeifen sein!«
Der Schneidermeister verschwand wieder in der Haustür, und Joachim schaute nach den Fenstern des ersten Stockwerkes hinauf. Dort mußte der Emil sitzen. Er pfiff schriller und immer schriller, bis sich schließlich das Gesicht Emils an die Scheibe drückte.
»Mach' doch mal auf!« rief Joachim.
Zögernd wurde das Fenster geöffnet.
»Du bist eingesperrt? Ich fange Maikäfer.«
Emil spuckte aus dem Fenster aus die Straße hinunter.
»Ich habe schon hundert Maikäfer,« renommierte Joachim voller Schadenfreude.
»Das ist ja gelogen! Du lügst überhaupt immer.«
»Och du,« klang es verächtlich von unten herauf. »Haha, bist ja eingesperrt!«
»Und du hast den Dreck ausräumen müssen!«
Daraufhin hielt es Joachim für ratsam, die Unterhaltung abzubrechen; aber er spazierte vor dem Hause auf und ab und schrie von Zeit zu Zeit höhnend hinauf:
»Schon wieder einen gefangen!«
Währenddessen sann Emil auf Rache. Er holte ganz heimlich einen Wasserkrug, stellte ihn neben sich auf das Fensterbrett, und als Joachim wieder triumphierend vorüberging, bekam er einen mächtigen Guß ab.
Das war aber auch von unten gesehen worden, denn im gleichen Augenblick war die Frau des Schneidermeisters aus dem Hause getreten, hatte mehrere Spritzer abbekommen, und es dauerte gar nicht lange, so hatte die resolute Frau ihrem Sprößling die Lust an ähnlichen derartigen Späßen genommen.
Bärbel war natürlich immer in der Nähe des Bruders und freute sich unsäglich über die krabbelnden Tiere. Nur daß der Bruder die Maikäfer in eine Zigarrenkiste einsperrte, gefiel ihr gar nicht.
»Sie wollen doch umherfliegen und singen, – laß sie wieder raus, Joachim.«
»Quatsch, – die nehme ich morgen mit in die Schule.«
»Du kannst sie doch nicht die Nacht über einsperren?«
»Das geht dich gar nichts an.«
»Hörst du, wie sie singen und bitten, du sollst sie freilassen?«
»Quatsch' nicht so dummes Zeug!«
»Man darf keine Käfer gefangenhalten, die Käfer wohnen doch in den Bäumen und nicht in einer Kiste.«
»Du brauchst dich um meine Maikäfer gar nicht zu kümmern. Mit denen kann ich machen, was ich will!«
»Nein, das darfst du nicht!« rief die Kleine entrüstet, »du darfst den Tieren nicht weh tun; und wenn du sie einsperrst, wenn sie nicht zurück zur Mutti können, dann weinen sie. Man muß gut zu den Tieren sein.«
Joachim hörte nicht darauf, er lief bereits hinter einem erspähten Käfer her. Er hatte die Zigarrenkiste, in der sechs Käfer summten, auf das Fenstersims gestellt.
Bärbel legte das Ohr an die Kiste. Sie hörte das Brummen und Summen, und es wurde ihr ordentlich traurig zumute. Die Tierchen riefen gewiß nach den Eltern. Sie hatten Angst, daß man ihnen ein Leid zufügen könnte. Wie häßlich von Joachim, daß er sie die ganze Nacht in diesem Kasten einsperren wollte. Bärbel dachte schaudernd daran, wie sie einmal für wenige Augenblicke im Keller eingesperrt gewesen war. Wie hatte sie gezittert und sich gefürchtet!
Sie wagte aber nicht den Deckel der Zigarrenkiste zu öffnen, denn der Bruder würde sehr schelten, wenn sie die Maikäfer freiließ. Es war wohl richtiger, wenn sie sich bei großen Leuten erst Rat holte.
Eben stand die Großmutter im Flur und sprach mit Lina. Bärbel griff nach ihrer Hand.
»Großmama, darf man kleine Tiere und Vögelchen in einen finsteren Kasten sperren?«
»In einen Kasten, – nein, aber unser Mätzchen hat einen Käfig.«
»Nein, in einen Kasten, der keine Fenster hat.«
»Wer macht denn das?«
»Der Joachim fängt alle Maikäfer weg und steckt sie in den dunklen Kasten.«
»Das ist nicht hübsch vom Joachim. Wenn er sie fängt und ihm das Freude macht, muß er sie aber wieder fliegen lassen.«
»Dann freuen sich die Tiere, – nicht wahr, Großmama?«
»Freilich, Goldköpfchen! Ich habe einmal einen kleinen, kranken Vogel gehabt, den fand ich im Gebüsch. Ich habe ihn einige Tage in den Bauer gesetzt, aber als es ihm wieder besser ging, habe ich den Bauer aufgemacht. Dann ist das Vöglein hinausgeflogen und später noch oftmals an mein Fenster gekommen und hat dort so lieb gesungen.«
»Da hat es wohl ›danke‹ gesagt, Großmama?«
»Freilich, mein liebes Goldköpfchen, das Vöglein hat sich herzlich bedankt, daß ich es wieder freiließ.«
»Sagen die Maikäfer auch ›danke schön‹?«
»Natürlich, sie brummen dann gar lustig, und das heißt in ihrer Sprache: ich danke dir, mein gutes Kind, daß du mir die Freiheit schenktest.«
Bärbel eilte davon. Es wollte den Dank der Maikäfer hören. Joachim war nicht zu sehen, der war mit seinem Busch in einer Querstraße und rannte einem Maikäfer nach.
Bärbel nahm die Kiste, lauschte einige Augenblicke daran. Wie traurig doch das Brummen darin klang! Kurz entschlossen öffnete sie den Deckel; einige Augenblicke krabbelten die Käfer noch im Innern des Kastens umher, dann spreizten sie die Flügel und – – fort ging es!
Mit verklärten Blicken schaute ihnen das Kind nach.
»Jetzt fliegen sie zur Mutti und sind so froh, ach, so froh!«
Als Joachim zurückkehrte, zeigte ihm Bärbel strahlend den leeren Kasten.
»Das ist eine Gemeinheit, – was fällt dir denn ein, an meine Sachen zu gehen! Kümmere ich mich um deine Puppen?«
Es wären vielleicht noch härtere Worte gefallen, wenn nicht in demselben Augenblicke ein Maikäfer um die Köpfe der Kinder schwirrte.
»Er bedankt sich!« rief Bärbel voller Begeisterung, während Joachim hinter dem Käfer einherstürmte.
Die Großmutter rief das Kind, weil es Zeit war zum Schlafengehen. Aber Bärbel hatte heute wenig Lust und überhörte den Anruf. Sie wollte gern noch aufbleiben und auf Joachim warten, der noch immer hinter den Maikäfern herstürmte.
Frau Lindberg rief zum zweiten und zum dritten Male; und erst als ihre Stimme einen energischen Klang annahm, kam Bärbel angelaufen.
»Hast du nicht gehört, Goldköpfchen, daß ich dich mehrere Male gerufen habe?«
»Ich glaube, ich habe es erst gehört, als du dreimal gerufen hast.«
»Ist das wahr, Goldköpfchen?«
Das Kind schmiegte sich an Frau Lindberg und sagte kleinlaut: »Jetzt hat Bärbel gelügt, Großmama.«
»Sollst du das tun?«
»Nein, – aber wir beten zusammen, und dann wird der Schutzengel nicht böse sein.«
»Ich will dir einmal etwas sagen, Goldköpfchen. Man muß immer gehorsam sein und den Eltern und der Großmama folgen.«
»Auch dem Großpapa?«
»Natürlich, allen erwachsenen Leuten. Du weißt doch, was dann geschieht, wenn ein Kind ungehorsam ist.«
Bärbel nickte. »Ja, dann gibt es Haue.«
»Nun komm, es ist die allerhöchste Zeit, daß du zu Bett gehst. Nun lauf rasch noch zur Mutti und den Brüderchen, sage ihnen ›Gute Nacht‹ und gehe dann zum Vati. Ich warte auf dich.«
Folgsam begab sich das Kind ins Schlafzimmer der Eltern. Frau Wagner, die noch immer das Bett hüten mußte, küßte Bärbel zärtlich.
»Mußt du denn immer noch krank sein, Mutti?«
»Bald stehe ich auf.«
»Siehst du, Mutti, das haben wir nun davon, weil das olle Zwilling gekommen ist. Wir hätten doch viel anderes notwendiger gebraucht. – Ich habe keinen Esel mehr. – Verkauf' doch das Zwilling!«
In demselben Augenblick begann einer der Knaben zu schreien. Bärbel warf dem Säugling einen zornigen Blick zu.
»Ekliges Ding!«
»Aber, Bärbel,« mahnte die Mutter, »deine kleinen Brüderchen kommen aus dem Himmel.«
»Ja, Mutti, aber dort haben sie sie rausgeschmissen, weil das Zwilling immerzu schreit. Da haben die Englein gesagt: schrei nicht, oller Zwilling, oder du mußt runter. Ach,« ein tiefer Seufzer hob des Kindes Brust, »nun haben wir sie gekriegt.«
»Du irrst, Goldköpfchen, gerade weil es die allerniedlichsten Bübchen waren, darum hat der liebe Gott gesagt: bringt die beiden Knaben der kleinen Bärbel als Spielzeug.«
Goldköpfchen rümpfte die Nase, aber es schwieg. Noch einmal wurde es von der Mutter zärtlich geküßt, dann ging es, ohne sich um die Babys zu kümmern, aus dem Zimmer.
Beim Ausziehen hatte die Großmutter ihre liebe Not. Bärbel spielte Schmetterling, breitete beide Arme aus; und so war es unmöglich, ihm das Nachtröckchen anzuziehen.
»Jetzt sei vernünftig, mein Kind, und laß die Arme hängen.«
Das Nachtröckchen wurde angezogen, aber auf Bärbels Stirn stand schon wieder eine nachdenkliche Falte.
»Was hast du denn?« fragte Frau Lindberg, die genau wußte, daß die Kleine von einer neuen Idee gequält wurde.
»Großmama!«
»Nun?«
»Hättest du mir das Nachtröckchen nicht anziehen können, wenn ich die Arme weit aufgemacht hätte?«
»Nein.«
»Großmama, wer zieht denn den Engeln die Nachtröckchen an?«
»Die kleinen Engel werden von den großen Engeln angezogen.«
»Wie machen es denn die großen Engel, um die Nachtröckchen über die Flügel zu bekommen?«
»Die Nachtröckchen haben hinten einen Schlitz, dort stecken die Englein ihre Flügel durch.«
»Ach, Großmutter, wir machen in mein Nachtröckchen auch einen Schlitz, dann stecke ich die Arme auch wie Flügel durch!«
»Schlaf jetzt, mein liebes Goldköpfchen. Bei den Engeln ist das ganz anders als bei den Menschen.«
»Nun ja, wenn sie einen Schlitz haben.«
Frau Lindberg ging nochmals durch das Zimmer, das sie seit einigen Tagen mit Bärbel bewohnte, und öffnete die obere Scheibe des Fensters, weil es schwül war. Bärbel verfolgte ihr Tun mit größter Spannung.
»Komisch, Großmama, daß der große Schutzengel mit den langen Flügeln zu so einem kleinen Fenster hereinrutschen kann.«
»Schlaf nun endlich, Goldköpfchen.«
»Großmama, – kann der böse Teufel auch durch so eine kleine Scheibe?«
»Wenn du artig bist, jagt der Schutzengel den Teufel hinaus.«
»Ach, Großmama, Bärbel möchte wohl einmal sehen, wenn der Schutzengel den Teufel verhaut!«
Frau Lindberg näherte sich der Tür, dort wandte sie sich nochmals um.
»Wenn du jetzt nicht ruhig bist, mein Kind, schlafe ich bei Joachim.«
Ein silberhelles Lachen ertönte. »In dem kleinen Bett? Ach, Großmama, da gehst du ja gar nicht 'rein!«
Frau Lindberg verschwand aus dem Zimmer. Sie wußte, daß sie dieser Abendunterhaltung stets ein gewaltsames Ende bereiten mußte, denn gerade des Abends hatte Bärbel Hunderte von Fragen auf dem Herzen.
Das Kind aber blinzelte nach der offenen Scheibe, betrachtete dann das Bild an der Wand, auf dem ein Schutzengel ein Kind behütete, und philosophierte nochmals:
»Heut wird der Himmel wohl nur einen kleinen Schutzengel schicken, der durch die Scheiben durchrutschen kann. – Ob der wohl auch den großen Teufel verhauen kann?« Und schließlich endete das Nachdenken in dem Gebet, daß der große Teufel von dem kleinen Schutzengel tüchtig geprügelt werden möge.
Als Frau Lindberg zwei Stunden später das Schlafzimmer betrat und nochmals am Bett des Kindes stand, schlief Goldköpfchen schon lange sanft. Es lächelte sogar und schien einen schönen Traum zu haben. Geräuschlos entkleidete sie sich, und bald verkündeten ihre regelmäßigen Atemzüge, daß sie in tiefen Schlummer gesunken war. – –
Unruhig warf sich Bärbel auf die Seite. Sie schüttelte das Köpfchen, machte schließlich die Augen auf und merkte, daß irgend etwas über ihr Gesicht krabbelte.
»Uch –!«
Die Hände des Kindes griffen nach der Wange.
»Mutti, – Mutti!«
Frau Lindberg fuhr aus dem Schlafe aus.
»Ein großes olles Tier schläft in Bärbels Bett!«
Frau Lindberg sprang heraus, drehte das elektrische Licht an und eilte zu dem aufrecht sitzenden Kinde.
»Weg ist es!«
Aber da kam es schon wieder hervor.
Es war ein Maikäfer.
»Das Tierchen hat sich verflogen,« sagte Frau Lindberg beruhigend, denn Bärbel stand in ihrem Bettchen und drückte die Arme fest an den Körper.
Aufgeregt lief der Käfer über die Decke. Frau Lindberg nahm ihn und ließ ihn durch das geöffnete Fenster fliegen. Goldköpfchen schaute dem Tierchen nach.
»Ein Schutzengel soll kommen, und ein oller Maikäfer ist da.«
»Das Tierchen hat sich verflogen, Goldköpfchen.«
»Großmama, – das ist gewiß einer von denen, die Bärbel heute aus Joachims Kiste gelassen hat.«
»Das kann sein.«
»Warum weckt er mich aber auf, wo ihn Bärbel doch zu seiner Mutti zurückgelassen hat?«
»Jetzt leg' dich rasch wieder hin und schlafe weiter, mein Kind.«
»Sieh doch mal erst in meinem Bett nach, ob noch ein Zwilling drin ist.«
Das Bett wurde vollkommen ausgeräumt, und unter den beruhigenden Worten Frau Lindbergs legte sich Goldköpfchen wieder nieder.
»Solch ein Lausebengel,« schalt die Kleine, »da hätte der Käfer doch auch in der Kiste bleiben können.«
Frau Lindberg schickte sich an, wieder ins Bett zu gehen, – da stutzte sie. Was war das für ein Geruch? Sie zog rasch den Morgenrock über.
»Großmama, – willst du fortgehen?«
»Ich komme sofort wieder, Goldköpfchen.«
»Bleib doch lieber hier, Großmama.«
»Du brauchst dich nicht zu ängstigen, mein Kind, nebenan schläft Joachim. – Ich bin sofort wieder bei dir. Ich will nur sehen, ob der Maikäfer davongeflogen ist.«
»Aber du kommst doch gleich wieder?«
»Ja.«
Frau Lindberg verließ das Zimmer. Als sie hinaus auf den Flur trat, war der brenzliche Geruch noch stärker zu bemerken. Sie eilte die Treppe hinab, öffnete die Tür des Wohnzimmers, ging weiter und kam schließlich in die mit Rauch angefüllte Küche.
Aus dem Küchenofen war ein Stück glühende Kohle in den davorstehenden Kohlenkasten gefallen. Von dort aus schwelte es, und wenn auch bisher noch keine Flamme entstanden war, bestand doch die Gefahr, daß hier Feuer ausbrechen konnte.
Ohne eines der Mädchen zu wecken, machte sich die resolute Frau an die Arbeit, zunächst den Kohlenkasten hinaus in den Hof zu tragen und dort tüchtig mit Wasser zu begießen.
Dabei wurde sie von Felix, dem Hausdiener, gehört, der jetzt rasch zur Stelle war, und nun ging man ans Lüften von Küche und Hausflur.
»Großmama!«
Im Nachtröckchen stand Goldköpfchen vor Frau Lindberg.
»Ach, Großmama, wer raucht denn in der Nacht?«
»Komm zurück in dein Bett, Kind, du wirst dich erkälten.«
Der Hausdiener erhielt rasch noch einige Anweisungen, und da Frau Lindberg sah, daß jede Gefahr beseitigt war, nahm sie Bärbel auf den Arm und kehrte mit ihr ins Schlafzimmer zurück.
»Was hast du denn gemacht, Großmama? Warum ist denn so viel Rauch da?«
»Das erzähle ich dir morgen.«
»Ist der Maikäfer nun wieder fort?«
»Ja, – jetzt schlaf!«
»Weil der Maikäfer unten den vielen Rauch gesehen hat, ist er wohl zu uns ins Zimmer gekommen?«
Frau Lindberg sah ein, daß hier alle Ermahnungen zum Schlafen nichts nützen würden. Sie zog es daher vor, dem Kinde die erwünschten Aufklärungen zu geben. Sie trat an das Bett der Kleinen, deckte sie sorgsam zu und sagte:
»Du hast vorhin auf den Maikäfer gescholten, Goldköpfchen, derselbe Maikäfer hat uns vor einem großen Unglück bewahrt.«
»Was hat er denn gemacht?«
»Er ist heute nacht zu dir gekommen und hat mich aus dem Schlafe geweckt.«
»Das ist doch nicht schön von ihm.«
»Doch, Goldköpfchen. Wenn die Großmama heute nacht nicht aufgewacht wäre, wäre in der Küche ein großes Feuer ausgebrochen, und dann wäre dem Vati allerlei verbrannt. Da hat der Maikäfer dich geweckt, aus Dankbarkeit dafür, weil du ihm gestern die Freiheit zurückgabst. Er hat gemeint, daß deinem Vati nicht alles verbrennen darf, er ist auf dein Gesicht geflogen, dort umhergekrochen, bis du munter geworden bist und mich gerufen hast.«
Aufmerksam hatte das Kind zugehört. »Hat er denn den Rauch gemerkt?«
»Gewiß.«
»Und wo ist nun das Feuer?«
»Jetzt kannst du ruhig wieder schlafen, das Feuer ist ausgegangen.«
»Wo ist es denn hingegangen, Großmama?«
»Weit fort in die Erde, aus der es kommt.«
»Au fein, – dann muß der Joachim morgen ein Loch graben, bis tief in die Erde; und wenn dann das Feuer herauskommt, schimpfen wir es aus.«
»Jetzt wird geschlafen, Goldköpfchen!«
Das Kind legte sich gehorsam hin, und Frau Lindberg wartete darauf, daß es einschlafen möge. Dann wollte sie nochmals hinuntergehen, denn sie hörte Felix noch herumlaufen. Sie lauschte nach dem Bettchen hinüber und richtete sich dann leise aus.
»Großmama, – wenn Feuer in der Erde ist, frißt das Feuer dann meinen begrabenen Esel auf?«
»Du sollst jetzt schlafen, Goldköpfchen!«
Abermals das angestrengte Warten.
»Großmama, – freut sich der Maikäfer jetzt, daß er sich bedankt hat?«
»Jetzt bekommst du Strafe, Goldköpfchen. Ich gehe hinaus aus dem Zimmer und komme erst wieder, wenn du eingeschlafen bist.«
»Ich schlafe schon, aber ich kann doch nicht dafür, wenn mir der Schutzengel heute meinen Mund nicht zuschließt.«
Endlich schlief das Kind. Frau Lindberg erhob sich und huschte hinaus.
Im Parterre war alles wieder in Ordnung. Der Rauch war auch bereits abgezogen, der treue Hausdiener aber hielt noch immer Wache.
»Das hätte schlimm werden können, gnädige Frau, wenn Sie nicht so 'nen feinen Riecher hätten.«
»Goldköpfchen hat mich geweckt.«
»Was, der kleine Quark?«
»Ein noch viel kleinerer Quark hat unser Goldköpfchen geweckt!« Schließlich erzählte sie dem Hausdiener die Geschichte des Maikäfers. Aber Felix hatte dafür nur ein vergnügtes Grinsen.