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6. Kapitel.
Vom Teufel, der immer anders wollte

»Mutti, Mutti!« Durch Bärbels Stimme zitterte heiße Erregung, als sie durch den Garten stürmte, um der Mutter, die seit einigen Tagen das Bett verlassen hatte, die schreckliche Botschaft zu bringen. »Mutti, Mutti!«

Keuchend gelangte das Kind bei Frau Wagner an, die in einem Liegestuhl lehnte, den Kinderwagen mit den Zwillingen neben sich.

»Was ist denn los, Goldköpfchen, du bist ja so erhitzt?«

»Mutti, der Mann hat den ganzen Bauch kaputt, und aus dem Bauch kommt alles raus!«

»Was ist los? Welcher Mann?«

»Der Mann, der den Stall macht und die vielen Bretter hat.«

»Der Zimmermann Krause, – was ist mit ihm?«

»O, Mutti, alles kommt aus dem Bauch raus, – alles, was er im Bauche hat.«

»Um Gottes willen, Kind, ist ein Unglück geschehen?«

»Komm, Mutti!«

Frau Wagner erhob sich in grenzenloser Aufregung. Konnte es möglich sein, daß der Zimmermann verunglückt war? Sie warf noch einen Blick auf die schlafenden Zwillinge; dann folgte sie der davonstürmenden Bärbel.

Im Hofe saß Krause und bohrte in ein Brett Löcher.

»Sieh, Mutti, sieh doch!«

»Was hast du denn, Bärbel?«

»O – auch aus dem Arm kommt alles raus und aus dem Bauch!«

Nun blickte auch der Zimmermann auf; aber auch er konnte sich die Aufregung des Kindes nicht erklären.

»Was kommt denn aus dem Bauch heraus, Goldköpfchen?«

»Sieh doch, sieh,« sagte das Kind ungeduldig und wies auf die vielen Sägespäne, die in der Schürze des Zimmermanns lagen. »Genau wie bei Olga, als ihr der Joachim den Bauch aufgeschnitten hatte.«

Frau Wagner mußte sich niedersetzen, denn der Schreck war ihr in die Glieder gefahren. Sie hatte an ein Unglück geglaubt: und nun hatten die Sägespäne, die auf der Arbeitskleidung des Mannes lagen, das Mißverständnis herbeigeführt.

Sie begriff, daß Bärbel, die damals so bitterlich geweint hatte, als man ihre Puppe zerschnitt, nichts anderes glaubte, als daß jeder Mensch mit diesem Material ausgefüllt sei und daß Krause unbedingt ein Loch im Bauche haben mußte.

Es gab eine lange Erklärung, bis Bärbel schließlich verlangte, daß die Mutti ihrer Olga nun auch etwas anderes in den Bauch setzen sollte, genau so, wie es die Menschen hätten.

Unter belehrenden Reden kehrten die beiden in den Garten zurück, und schon von weitem erklang das Geschrei der Zwillinge.

»Ach, wenn wir ihnen doch endlich das Maul stopften.«

»Kleine Kinder haben kein Maul, Goldköpfchen, sondern einen niedlichen Mund.«

»Warum steckst du ihnen nicht immerzu den Pfropfen in den Mund?«

»Das verstehst du noch nicht, mein Kind. – Aber schau' mal, dort drüben ist die Großmama und pflückt Erdbeeren. Willst du ihr nicht helfen?«

Frau Wagner, die noch stark angegriffen war, sehnte sich nach Ruhe und war froh, die ewig fragende kleine Tochter los zu werden.

Bärbel war natürlich sofort bereit, mit der Großmama Erdbeeren zu pflücken.

»Ich gebe dir die schönen grünen, und die roten ess' ich auf.«

»Wenn du mir nicht alle Erdbeeren gibst, Kind, darfst du nicht mitpflücken.«

»Ich esse aber so gerne Erdbeeren.«

»Du bekommst nachher das Obst, wenn es gewaschen und eingezuckert ist.«

»Ach, Großmama, ich ess' es aber auch so gerne, ohne zu waschen.«

»Du weißt, Bärbel, der liebe Gott paßt genau auf; und wenn du eine Erdbeere naschst, ist er böse.«

Bärbel schaute ein Weilchen zum Himmel empor, dann sagte sie zaghaft. »Großmama, – wenn aber so viele Wolken am Himmel sind, kann dann der liebe Gott auch durchgucken?«

»Ja.«

Nun ging es ans Pflücken. Aber plötzlich flogen laut schreiend mehrere Krähen über den Garten, und diesen Augenblick benutzte das Kind, um eine große Frucht in den Mund zu schieben.

»Großmama?«

»Was willst du?«

»Hast du gehört, – eben sind Vögel vorbeigeflogen. Hat der liebe Gott auch nach den Vögeln gesehen?«

»Ja.«

»Na, das ist gut.«

»Warum denn, Goldköpfchen.«

»Dann konnte er nichts anderes sehen.«

Bärbel war beruhigt. Das Kind schaute immer wieder zum Himmel empor, ob nicht wieder einmal ein Vogel vorüberflog; und wenn das geschah, wanderte jedesmal eine schöne rote Beere in den kleinen Mund.

»Bärbel!«

Das Kind senkte den Kopf.

»Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nicht naschen?«

»Hm.«

»Der liebe Gott sieht alles, und der Schutzengel ist nun sehr böse auf dich.«

Bärbel kam ganz dicht an die Großmutter heran, wischte verstohlen ihre nassen Händchen an den Rock Frau Lindbergs und sagte verschüchtert:

»Ich wollte nicht naschen; aber der Teufel wollte nicht anders.«

Frau Lindberg unterdrückte ein Lachen. Erst vor wenigen Tagen hatte sie dem Kinde vom Teufel erzählt, der stets das Böse wollte, und daß man ihn bekämpfen müsse. Nun wurde ihr jetzt diese Antwort, auf die sie nicht so schnell eine richtige Erwiderung fand.

Bärbel ließ ihr zum Überlegen auch gar keine Zeit.

»Großmama, – jetzt weiß ich auch, daß uns der Teufel das Zwilling gebracht hat. Der liebe Gott wollte uns ein Ziegenböckchen schicken; aber der Teufel hat daraus das Zwilling gemacht.«

Frau Lindberg ließ einen leisen Seufzer hören. Wenn das Gespräch auf die Zwillinge kam, war sie machtlos. Die beiden kleinen Bübchen hatten es noch immer nicht vermocht, sich die Gunst Goldköpfchens zu erringen. Im Gegenteil, – erst gestern war Bärbel zugegen gewesen, als man die Zwillinge in neue Windeln legte. Dabei gab es wieder großes Wundern.

»Wenn ich mir die Höschen vollmache, krieg' ich Haue, und das Zwilling darf es.«

»Das sind auch noch keine Höschen, das sind Windeln.«

»Dann gib mir auch eine Windel.«

Frau Lindberg hatte darauf erklärt, daß Bärbel einst eben so klein gewesen war und auch die Windeln schmutzig gemacht habe.

Endlich war die Arbeit des Erdbeerpflückens beendet; Bärbel folgte der Großmutter in die Küche, um beim Waschen der Früchte zugegen zu sein.

»Großmama?«

»Nun?«

»Müssen kleine Mädchen ihr Wort halten?«

»Natürlich.«

»Und große Leute?«

»Die müssen auch ihr Wort halten.«

»O, das ist sehr schön, dann bekomme ich jetzt eine Erdbeere.«

»Habe ich dir eine versprochen?«

»Du hast doch gesagt, wenn die Erdbeeren gewaschen und gezuckert sind, kann man sie essen.«

Das Kind bekam eine Frucht; dann wurde die Schüssel ins Eßzimmer auf die Anrichte gestellt. Warnend hob Frau Lindberg den Finger.

»Kann ich dir die Erdbeeren anvertrauen, Goldköpfchen?«

Treuherzig schaute das Kind die Großmutter an. »Nein, Großmama, wir können uns die Erdbeeren nicht anvertrauen.«

»Warum denn nicht?«

»Ich wollte schon; aber der Teufel will immer anders.«

»So jage den Teufel hinaus, wenn er kommt.«

»Und wenn der Joachim kommt?«

»Dann sage ihm, er darf auch nicht davon essen.«

»Sagen will ich's ihm schon, aber er eßt doch!«

So schloß Frau Lindberg die Schüssel mit den Beeren ein, um Bärbel nicht in Versuchung zu führen.

Im Wagnerschen Hause war man übereingekommen, daß Frau Lindberg, die in acht Tagen nach Dresden zurückkehren wollte, Bärbel für zwei Wochen mitnahm. Frau Lindberg konnte nicht länger bleiben, weil sie daheim dringend benötigt wurde, und da auch Herr Wagner in der nächsten Zeit einige kurze Reisen zu machen hatte, lag die Gefahr nahe, daß Bärbel, die jetzt ohnehin wenig Aufsicht hatte, ganz verwilderte. Joachim sorgte stets dafür, daß etwas ausgeheckt wurde; und so war es das richtigste, daß Bärbel in der Zeit, in der die Mutter noch leidend war, das Elternhaus verließ und in Dresden in der Obhut der Großmutter blieb.

Als der Vater dem Kinde die Mitteilung machte, daß es in eine große Stadt reisen werde, jubelte das Kind hellauf.

»Du mußt natürlich sehr artig sein, Goldköpfchen, sonst darfst du nicht fahren; und auch die Großmama darfst du nicht erzürnen, desgleichen die andere Tante in Dresden nicht.«

»O, Bärbel wird sehr artig sein!«

»Das erwarte ich auch, mein Kind.«

Die Aussicht auf die Reise veranlaßte Goldköpfchen, wirklich artig zu sein. Es brachte sogar den Zwillingen seine Puppe, damit das Zwilling damit spiele.

»Gerne gebt sie Bärbel nicht,« erklärte das Kind, »aber Bärbel muß artig sein; und da kann das Zwilling jetzt mal damit spielen.«

Doch der Versucher stand schon wieder auf der Lauer. Joachim und Emil hatten ausgekundschaftet, daß bei der alten Frau Römer die Kirschen bereits anfingen, reif zu werden.

»Kommst du mit?« hatte Joachim gefragt. »Du paßt auf, daß sie uns nicht sieht, und wir klettern auf den Baum.«

Bärbel überlegte; als man ihr aber eine Handvoll Kirschen versprach, glaubte sie, ohne weiteres mitgehen zu dürfen.

So wanderten die drei Verbündeten wieder einmal heimlich aus dem elterlichen Grundstück, um sich behutsam in den großen Obstgarten der alten Frau Römer zu schleichen.

In der Tat zeigten sich dort schon vereinzelt leuchtend rote Kirschen in den Zweigen; sehnsüchtig blickten die Knaben an dem Baume empor.

Emil ging auf Streife. Es war niemand zu sehen.

»Ich glaube, die Olle schläft jetzt. Wir können's riskieren!«

Bärbel wollte natürlich auch auf den Baum; aber die beiden Knaben bedeuteten ihr, daß sie dazu noch zu klein wäre. Man werde ihr von oben herab Kirschen zuwerfen.

Bald saßen die beiden Knaben im Baume und schmausten lustig. Nicht nur die wenigen reifen, auch die halbreifen Kirschen wurden gegessen, auf Bärbel spuckte man die Steine herab.

Goldköpfchen aber verlangte sein Recht; und als sich die Knaben nicht weiter um das Kind kümmerten, begann es auf eigene Faust emporzuklimmen.

»Bleib doch unten,« rief Joachim.

»Ich will auch hinauf,« erwiderte die Kleine; und nun entspann sich ein regelrechter Streit, der den Hund der Gartenbesitzerin anlockte. Bellend kam er zum Baume gelaufen, um dort einen Höllenlärm zu vollführen.

»Schmeiß ihn doch mit Steinen,« rief Emil, der immer höher in die Zweige des Baumes stieg.

»Wenn uns die Alte hier sieht?«

Da kam die Gartenbesitzerin auch schon daher. Anfangs erblickte sie nur Bärbel, dann aber, beim schärferen Hinschauen, auch die beiden Knaben im Kirschbaume.

»Ihr abscheulichen Kirschendiebe! Was fällt euch ein, meinen Kirschbaum zu plündern?«

Bärbel saß in zitternder Angst auf einem Ast, denn Frau Römer hatte sich einen Stock aufgelesen und drohte nun mit bösem Gesicht hinauf zu den Kindern.

»Ihr kommt sofort herab!«

»Hol' mich doch,« schrie Emil.

»Frecher Junge!«

Goldköpfchen versuchte, von ihrem Sitz hinabzusteigen, glitt aus und fiel zu Boden. Sie wäre vielleicht zu Schaden gekommen, wenn unter dem Baume das Erdreich nicht gelockert und weich gewesen wäre.

»Da hast du deine Strafe,« schalt Frau Römer, »ich werde es euren Eltern sagen, ihr habt Obstbäume genug im Garten.«

»Bist du böse?« fragte Bärbel.

»Natürlich bin ich das. Du hast gestohlen, – schämst du dich nicht? Das ist eine große Sünde.«

Bärbel wurde angst und bange. Da hatte es nun versprochen, artig zu sein, und beging schon wieder eine Sünde.

»Ich schenke dir Erdbeeren,« sagte das Kind verlegen, »ich habe auch nicht viel gegessen.«

»Ihr habt nicht in fremde Gärten zu sehen. – Kommt ihr nun endlich herunter, ihr Bengel?«

Statt aller Antwort warfen die beiden Knaben mit Kirschen und Steinen nach der Scheltenden, so daß der Zorn Frau Römers immer heftiger wurde.

»Ich schicke jetzt zu euren Eltern, die werden euch die richtige Antwort auf eure Frechheiten geben.«

»Du – Emil, – was machen wir jetzt?«

»Ach was, laß doch die Alte zetern!«

Frau Römer nahm Bärbel an der Hand und ging mit dem Kinde davon. Unterwegs machte sie der Kleinen heftige Vorwürfe, bis Bärbel schließlich zu weinen begann.

»Der Teufel hat gewollt, daß ich auf den Baum klettere.«

»Nein, das hast du selbst gewollt!«

Frau Römer, die wohl ahnte, daß die Knaben die gute Gelegenheit zur Flucht benutzen würden rief den Nachbarssohn und sagte diesem, er möge hinüber zur Apotheke gehen und Herrn Wagner bestellen, daß sein Sohn in ihrem Garten wäre und Kirschen stehle. Er möge auch noch weiter zu Schneidermeister Peiske gehen und die gleiche Bestellung machen. Dann kehrte sie in ihren Garten zurück.

»Nun werden wir ja sehen, ob ihr heruntersteigt, wenn eure Väter kommen.«

Das ging natürlich nicht, daß man hier oben im Kirschbaume ertappt wurde. So beschlossen die Knaben, hinabzusteigen und Reißaus zu nehmen.

»Die Olle kann doch nicht so schnell hinter uns her,« flüsterte Emil, »die kriegt uns nicht ein.« Dann kletterten die Knaben wie zwei Katzen, sprangen von beträchtlicher Höhe hinab zur Erde, liefen durch den Garten und waren schon nach wenigen Augenblicken verschwunden.

Apotheker Wagner hatte seine Schwiegermutter gebeten zu Frau Römer zu gehen. Als Frau Lindberg dort eintraf, konnte sie nur noch Bärbel abholen.

Das Kind weinte bitterlich, als es seine wohlverdiente Schelte bekam.

»Wenn du weiter so unartig bist, Goldköpfchen, darfst du nicht mit mir nach Dresden fahren. Durch solche Sachen betrübst du den Vater; und jeder Kummer, den du ihm bereitest, läßt ein graues Haar auf seinem Kopfe wachsen.«

»Ist auch ein Haar gewachsen, als wir gesungen haben?«

»Jawohl.«

»Großmama, wer hat dir denn so viel Kummer gemacht? Du hast doch so viele graue Haare?«

»Die grauen Haare kommen auch, wenn man alt wird.«

»Großmama, haben dich deine kleinen Kinder auch so viel geärgert?«

»Manchmal auch, aber sie sind lange nicht so unartig gewesen, wie du, Bärbel.«

»Vati hat aber nicht so viele graue Haare wie du.«

»Wenn du weiter so unartig bist, wie in den letzten Tagen, bekommt er sie.«

Schweigend ging Bärbel neben der Großmutter her.

»Hör' mal, Goldköpfchen, wie schön die Vöglein singen!«

»Ja, Großmama, die derfen singen und wir nicht.«

»Bei den Vögeln ist das ganz anders, und daheim darfst du auch singen.«

»Großmama, kannst du deinen Kopf aufmachen?«

»Nein.«

»Wie gibst du denn aber dem kleinen Vogel Futter?«

»Welchem Vogel?«

»Der Joachim sagte doch, du hast im Kopf einen Vogel? – Singt der auch?«

»Der Joachim ist ein unartiger Junge.«

»Das derf man wohl nicht wissen, daß du einen Vogel im Kopfe hast? – Kann der gar nicht raus?«

»Nein,« klang es kurz zurück.

»Pickt der Vogel in deinem Kopfe?«

»So etwas darfst du nicht mehr fragen, Bärbel, denn der Joachim hat da etwas sehr Ungezogenes gesagt.«

»Kann dein Vogel gar nicht singen?«

»Die Großmama hat keinen Vogel – und wenn du jetzt weiter solch dummes Zeug redest, wird die Großmama krank, dann stirbt sie, man legt sie in einen schwarzen Sarg; und dann kommt ein solch großer Wagen, wie du ihn neulich gesehen hast. Darauf fährt man die Großmama hinaus.«

Bärbel sprang an Frau Lindberg hoch. »Wenn du fährst, Großmama, dann sitz ich auf 'm Kutscherbock.«

»Willst du denn, daß die Großmama stirbt?«

»Dann kommst du in den Himmel und wirst ein Engel, – ein ganz großer Engel! Na, Großmama, du kannst nicht zu dem kleinen Fenster rein, du mußt ganz große Flügel haben, sonst plumpst du auf die Erde.«

Frau Lindberg sah ein, daß nach dieser Richtung hin mit dem Enkelkinde nichts anzufangen war. So ermahnte sie Bärbel ernsthaft, artig zu sein, weil sonst die Reise nach Dresden fraglich würde.

»Der olle Teufel will nicht, daß Bärbel fährt. Da kommt er immerzu und macht Bärbel unartig. – Nicht wahr, Großmama, der Teufel ist böse?«

Frau Lindberg war froh, daß man die Apotheke erreicht hatte. Sie ließ das Kind zunächst laufen und berichtete ihrem Schwiegersohn von den Klagen der alten Frau Römer.

»Wir müssen dafür sorgen, daß der Junge nicht dauernd mit Emil Peiske zusammen ist, er hat doch genügend Schulfreunde. Was soll denn aus dem Knaben werden, wenn es so weitergeht.«

Erst zum Abendessen fand sich der Gesuchte ein. Er sah jämmerlich aus, hatte Tränen in den Augen und eine große Beule an der Stirn.

»Wo bist du gewesen?« herrschte ihn der Vater an. »Wie siehst du aus, und woher kommt die Beule?«

»Der Emil – – der Emil – –«

»Habt ihr euch wieder geprügelt?«

»Ach nein, – er ist doch mein bester Freund, – er hat mich mit einer Blume geworfen.«

»Und davon hast du die Beule bekommen?«

Nun heulte der Knabe los. »Wenn doch noch ein Topf dran hing. Ach, ich hab' ja solche Leibschmerzen!«

»Vom Kirschenessen!«

»Ich hab vierzig Steine mit runtergeschluckt.«

»Du müßtest solche Leibschmerzen haben, daß du nicht gehen und stehen kannst,« schalt der Vater. »Nach dem Abendessen kommst du hinüber in mein Zimmer!«

»Wenn ich doch solche Leibschmerzen hab'.«

»Ich will dir einen Denkzettel geben, mein Sohn, damit du nicht anderen Leuten in die Gärten gehst und Obst stiehlst. Passiert das noch einmal, höre ich in den nächsten vierzehn Tagen noch irgendeine Klage über dich, kommst du zu Oktober in Pension, aber in strenge Zucht. Das merke dir!«

Nach dem Abendessen bekam Joachim seine wohlverdienten Prügel. »Weißt du auch, warum ich dir die Schläge gegeben habe?«

»Wenn du es nicht weißt, warum haust du mich denn dann?«

»Bengel, ich rate dir, nimm dich zusammen!«

Als Joachim verweint ins Schlafzimmer kam, denn er mußte heute zur gleichen Zeit wie Bärbel zu Bett gehen, kam Goldköpfchen leise zu ihm ins Zimmer und streichelte die Wange des Bruders.

»Wir haben's ja gar nicht gewollt, Joachim, das hat alles der böse Teufel gewollt.«

»Laß mich in Ruhe!«

»Hat er sehr gehaut?«

»Geh doch schlafen, dumme Liese!«

»Joachim! Im Kopfe von der Großmama ist aber kein Vogel drin.«

»Doch, ein mächtig großer sogar, die olle Petze!«

»Die Großmama hat aber gesagt, da ist kein Vogel, und den Kopf kann sie auch nicht aufmachen.«

»Du bist ja viel zu dämlich. – Jetzt laß mich endlich in Ruhe.«

Da ging das Kind betrübt aus dem Zimmer des Bruders. Als aber Frau Lindberg nochmals hereinkam, um nachzusehen, ob Goldköpfchen schlief, als sie sich über das Bettchen neigte, schlang das Kind beide Arme um ihren Hals.

»Bärbel will nun wieder ganz artig sein, und der Joachim sagt, du hast doch 'nen Vogel. Aber du hast wohl keinen? – Nein?«

»Gute Nacht, Goldköpfchen, jetzt schlaf!«

»Und ich möcht' noch so vieles wissen, Großmama!«

»Jetzt wird geschlafen, Kind!«

»Du hast ja das Fenster nicht aufgemacht, Großmama. Will der Schutzengel heute nicht zu mir?«

»Er wird sehr böse auf dich sein, Bärbel.«

»Kommt dann der Teufel?«

»Wenn du betest, kommt der Teufel nicht. Und wenn du die Großmama liebhast, bist du jetzt ganz still.«

»Ich werd' gleich still sein, liebe Großmama, aber – –«

Da verschwand Frau Lindberg aus dem Zimmer. Bärbel lag noch lange mit offenen Augen in ihrem Bettchen und schaute nach dem Fenster, ob der Schutzengel nicht doch draußen wartete. Wenn nur die Großmama nochmals käme, damit sie sie fragen konnte, ob ein ganz kleiner Schutzengel nicht auch durch das Ofenloch hereinkommen könne.

Beim angestrengten Nachdenken über dieses Problem schlief Goldköpfchen bald ein.


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