Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ludwig Uhland

Von Rudolf Steiner
Berlin.

Am 3. September 1786 trat Goethe, von Karlsbad aus, seine italienische Reise an. Sie brachte ihm eine Wiedergeburt seines geistigen Lebens. Italien gab seinem Erkenntnisdrang, seinen künstlerischen Bedürfnissen die Befriedigung. Bewundernd stand er vor den Kunstwerken, die ihn einen tiefen Blick in das Vorstellungsleben der Griechen tun ließen. Das Gefühl, das diese Kunstwerke in seiner Seele wachriefen, beschreibt er in seiner »Italienischen Reise«. »Jeden Augenblick« fühlt er sich zu der Betrachtung aufgefordert, um »aus der menschlichen Gestalt den Kreis göttlicher Bildung zu entwickeln, welcher vollkommen abgeschlossen ist, und worin kein Hauptcharakter so wenig als die Uebergänge und Vermittelungen fehlen.« Er hat »eine Vermutung, daß die Griechen nach eben den Gesetzen verfuhren, nach welchen die Natur verfährt, und denen er auf der Spur ist.«

Wie er diese Erkenntnis als geistige Wiedergeburt empfindet, das spricht er mit den Worten aus: »Ich habe viel gesehen und noch mehr gedacht: die Welt eröffnet sich mehr und mehr; auch alles, was ich schon lange weiß, wird mir erst eigen. Welch ein früh wissendes und spät übendes Geschöpf ist doch der Mensch!« – Bis zu religiöser Inbrunst steigert sich sein Gefühl gegenüber den Schöpfungen der alten Kunst: »Diese hohen Kunstwerke sind zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren und natürlichen Gesetzen hervorgebracht worden. Alles Willkürliche, Eingebildete fällt zusammen: da ist Notwendigkeit, da ist Gott

Alles sieht Goethe, seit er sich in solcher Art in ein Kunstideal versenkt hat, in einem neuen Lichte. Dieses Ideal wird für ihn Maßstab bei Beurteilung einer jeglichen Erscheinung. Man kann das selbst an Kleinigkeiten beobachten. Als er am 26. April 1787 in Girgenti weilt, beschreibt er seine Empfindungen mit den Worten: »In dem weiten Raume zwischen den Mauern und dem Meere finden sich noch die Reste eines kleinen Tempels, als christliche Kapelle erhalten. Auch hier sind Halbsäulen mit den Quaderstücken der Mauer aufs schönste verbunden, und beides ineinander gearbeitet, höchst erfreulich dem Auge. Man glaubt genau den Punkt zu fühlen, wo die dorische Ordnung ihr vollendetes Maß erhalten hat.« –

Der Zufall fügte es, daß an dem Tage, an dem Goethe durch Anknüpfung solcher Worte an eine untergeordnete Erscheinung seine Ueberzeugung von der hohen Bedeutung der alten Kunst zum Ausdruck brachte, ein Mann geboren wurde, der sein fast entgegengesetztes Glaubensbekenntnis in den Satz zusammenfaßte:

Nicht in kalten Marmorsteinen,
Nicht in Tempeln, dumpf und tot,
In den frischen Eichenhainen
Webt und rauscht der deutsche Gott.

Dieser Mann ist Ludwig Uhland, der am 26. April 1787 in Tübingen geboren wurde. Als er am 24. Mai 1812 sein Gedicht " Freie Kunst« mit den obigen Worten schloß, dachte er sicherlich nicht daran, etwas gegen Goethes Weltauffassung zu sagen. Sie dürfen auch nicht in dem Sinne angeführt werden, um einen Gegensatz zwischen Goethe und Uhland vor Augen zu stellen. Aber sie sind doch bezeichnend für Uhlands ganze Eigenart. Sein Lebensweg mußte ein anderer werden als der Goethes. Wie dessen ganzes Innere auflebte vor den »hohen Kunstwerken« der Alten, so dasjenige Uhlands, wenn er sich in die Tiefen der deutschen Volksseele versenkte. Dieser Volksseele gegenüber hätte er ausrufen können: »Da ist Notwendigkeit, da ist Gott.« Er hat diese Empfindung, wenn er, durch den Wald schweifend, die heimische Natur bewundert:

Kein' bess're Lust in dieser Zeit,
Als durch den Wald zu dringen,
Wo Drossel singt und Habicht schreit,
Wo Hirsch und Rehe springen.

Er hat das gleiche Gefühl, wenn er, die Kunst der deutschen Vorzeit betrachtend, über Walther von der Vogelweide schreibt: »Ihm gebührt unter den altdeutschen Sängern vorzugsweise der Name des vaterländischen. Keiner hat, wie er, die Eigentümlichkeit seines Volkes erkannt und empfunden. Wie bitter wir ihn klagen und tadeln hören; mit stolzer Begeisterung singt er anderswo den Preis des deutschen Landes vor allen andern, deren er viel durchwandert: Ihr sollt sprechen: Willkommen!«

Uhlands Abstammung und Jugendentwicklung waren der Ausbildung seines Zuges zum Volkstümlichen im höchsten Grade förderlich. Die Familie des Vaters war eine altwürttembergische, die mit allen Gesinnungen und Gewohnheiten in dem Landesteile wurzelte, dem sie angehörte. Der Großvater war eine Zierde der Tübinger Universität als Theologieprofessor, der Vater wirkte als Sekretär an dieser Hochschule. Die zartsinnige, phantasievolle Mutter stammte aus Eßlingen. Es waren günstige Verhältnisse, in denen der stille, in sich gekehrte, äußerlich unbeholfene, ja linkische, im Innern aber heitere und für alles Große und Schöne begeisterungsfähige Knabe heranwuchs. Er konnte viele Zeit in der Bibliothek des Großvaters zubringen und seinen Wissensdrang in den verschiedenen Richtungen befriedigen. Er vertiefte sich ebenso gern in die Schilderung bedeutender Persönlichkeiten und in die Erzählungen großer weltgeschichtlicher Ereignisse wie in die Beschreibungen der Natur. Ernste Dichtungen, in denen sich das Seelenleben tiefer Menschen aussprach, wie diejenigen Ossians und Höltys, machten frühzeitig auf ihn einen großen Eindruck. Dieser frühe Ernst Ludwig Uhlands war weit entfernt von jeder Duckmäuserei. Deutete seine hohe Stirne auf sein sinnvolles Gemüt, so verriet sein schönes blaues Auge und sein heiterer Sinn die innigste Lebensfreude und den Anteil, den er an den kleinsten Lustbarkeiten des Daseins nehmen konnte. Er war stets bei allen frohen Spielen, bei Springen, Klettern, Schlittschuhlaufen dabei. Er konnte nicht nur stundenlang, in einem Winkel sitzend, sich in ein Buch vertiefen, sondern auch durch Wald und Feld schweifen und sich ganz den Schönheiten des Naturlebens hingeben. Alles Lernen wurde ihm, bei solchen Anlagen, leicht. Frühzeitig kündigte sich bei Uhland die Fähigkeit an, die äußeren Mittel der Dichtkunst zu beherrschen. Die Gelegenheitsgedichte, die er an Eltern oder Verwandte bei Festen richtete, zeigen, wie leicht ihm Vers und Strophenform wurden.

Der äußere Studiengang wurde Uhland durch die Verhältnisse aufgezwungen. Er war erst vierzehn Jahre alt, als dem Vater ein Familienstipendium für den Sohn in Aussicht gestellt wurde, falls dieser die Rechtswissenschaft studiere. Ohne Neigung zu diesem Studium zu haben, ergriff er es. Die Art, wie er die Lehrzeit verbrachte, ist für sein ganzes Wesen bezeichnend. Er spaltete sich förmlich in zwei Persönlichkeiten. Ihren dichterischen Neigungen, ihrer phantasievollen, gemütstiefen Weltanschauung, ihrer Versenkung in Geschichte, Sage und Dichtung des Mittelalters lebte die eine Persönlichkeit; dem gewissenhaften Studium der Rechtswissenschaft die andere. Der Tübinger Student lebt einerseits in einer anregenden Hingabe an alles, wonach ihn seines »Herzens Drang« zieht, andrerseits eignet er sich die Gegenstände seines Berufsstudiums so vollendet an, daß er dieses mit einer Doktorarbeit beschließen kann, welche den Beifall der tüchtigsten Fachgelehrten gefunden hat. –

Die ersten Gedichte, die Uhland seinen Werken einverleibte, stammen aus dem Jahre 1804. Einen Grundzug seiner Persönlichkeit verraten die beiden Balladen: » Die sterbenden Helden« und » Der blinde König«. Hier schon lebt er in einer Vorstellungswelt, die der germanischen Vorzeit entnommen ist. Die Liebe zu dieser Welt hat die schönsten Früchte bei ihm getragen. Die Quellen echter Volkstümlichkeit, das Wesen der Volksseele haben sich ihm durch diese Liebe erschlossen. Als Dichter wie als Gelehrter zog er die besten Kräfte aus dieser Liebe. Und sie war ihm geradezu angeboren. Er durfte von sich sagen, daß sich ihm nicht erst durch Studium die deutsche Vorzeit erschlossen habe, sondern daß er sie vorfühlte, wenn er die Blicke auf die hohen Münster der alten Städte richtete. Die Gelehrsamkeit hat ihm nur klare, deutliche Vorstellungen über das gebracht, woran er mit seinem Gefühl von Jugend an hing. – Die Vertiefung in das deutsche Mittelalter war eine der Eigenheiten der als Romantik bezeichneten literarischen Strömung vom Anfange des neunzehnten Jahrhunderts. Ludwig Tieck, de la Motte Fouqué, Clemens Brentano, Achim von Arnim und andere waren Träger dieser Strömung. Sie suchten in der Frömmigkeit und Gemütstiefe Heilung gegen die Schäden, welche die trockene und oft seichte »Aufklärung« des achtzehnten Jahrhunderts in den Geistern angerichtet hatte. So gewiß es ist, daß das Streben nach Aufklärung, die Zuflucht zum eigenen Verstande und der eigenen Vernunft in Dingen der Religion und Lebensauffassung auf der einen Seite segensreich gewirkt haben, so gewiß ist auch, daß auf der anderen Seite die kritische Stellung gegenüber allem religiösen Herkommen und allen alten Ueberlieferungen eine gewisse Nüchternheit herbeigeführt haben. Das empfanden die Romantiker. Deshalb wollten sie dem ins Extrem gehenden, allzu einseitig-verständigen Zeitgeiste durch Vertiefung in das vorzeitliche Seelenleben aufhelfen. Auch erschien ihnen die Kunstanschauung, die in der alten griechischen Welt ihr Ideal sah, und welche in Goethe und Schiller ihren Höhepunkt erreicht hatte, dann als eine Gefahr, wenn sie über dem fremden Altertum das eigene Volkstum vergißt. Deshalb bestrebten sie sich, das Interesse für echtes deutsches Volkstum zu beleben.

Eine solche Zeitströmung mußte in Uhlands Herzen einen Widerhall finden. Er mußte sich glücklich fühlen, während seiner Universitätszeit in einem Kreise von Freunden zu leben, die seine Neigungen nach dieser Richtung hin teilten. Wer in einer ausgesprochenen Weltauffassung lebt, der sieht in einer entgegengesetzten leicht nur die Schattenseiten. So kam es denn auch, daß Uhland und seine Jugendfreunde in Tübingen in ihrer Art den Kampf führten gegen die Auswüchse der aufklärerischen und altertümelnden Anschauung, die ihnen der deutschen Volkstümlichkeit zu widersprechen schienen. Sie gaben ihrem Groll gegen diese in einem »Sonntagsblatt«, das sie allerdings nur handschriftlich erscheinen lassen konnten, Ausdruck. Alles, was sie gegen die Kunstrichtung, die im Stuttgarter »Morgenblatt für gebildete Stände« ihre Vertretung hatte, zu sagen hatten, brachten sie zu Papier. Ueber Uhlands Gesinnung gibt ein Aufsatz des Sonntagsblattes »Ueber das Romantische« Klarheit. Gewisse Charakterzüge seiner Seele, die man schon hier findet, sind ihm dann das ganze Leben hindurch geblieben. »Das Unendliche umgibt den Menschen, das Geheimnis der Gottheit und der Welt. Was er selbst war, ist und sein wird, ist ihm verhüllt. Süß und furchtbar sind diese Geheimnisse.« Er wollte nicht mit nüchternem Verstande über die Rätsel des Daseins sprechen; er wollte die Urgründe des Daseins als Geheimnisse stehen lassen, denen sich das Gefühl in unbestimmter Ahnung hingeben kann, von denen sich nur die sinnende Phantasie in freien Bildern eine Vorstellung, nicht die klügelnde Vernunft scharf umrissene Ideen machen soll. Die Dichtung wollte er lieber in der unergründlichen Tiefe der Volksseele, als in den hohen Kunstgesetzen der Griechen suchen. »Die Romantik ist nicht bloß ein phantastischer Wahn des Mittelalters; sie ist hohe, ewige Poesie, die im Bilde darstellt, was Worte dürftig oder nimmer aussprechen, sie ist ein Buch voll seltsamer Zauberbilder, die uns im Verkehr erhalten mit der dunklen Geisterwelt.« Durch etwas anderes, als durch Bilder der Phantasie die Geheimnisse der Welt auszudrücken, schien ihm wie Entweihung dieser Geheimnisse. Das ist die Gesinnung des zwanzigjährigen Uhland. Er hat sie sich das Leben hindurch bewahrt. Sie ist deutlich auch in dem Schreiben enthalten, das er an Justinus Kerner am 29. Juni 1829 sendet, als dieser ihm sein Buch über die »Seherin von Prevorst« vorgelegt hatte: »Erlaubst du mir, den Eindruck wiederzugeben, den unsere letzten Gespräche mir zurückgelassen, so ist es dieser: was in diesen Arbeiten Dein ist, was rein und ungetrübt aus Deiner Beobachtung und Naturanschauung hervorgeht, davon bin ich des schönsten Gewinnes für alle versichert, denen klar ist, daß man in die wunderbaren Tiefen der Menschennatur und des Weltlebens ohne die lebendige Phantasie niemals eindringen werde ...«

Die Zeiten, die Uhland im Kreise seiner Universitätsfreunde verlebte, waren solche, die er selbst als »schöne, frohe« bezeichnte. Justinus Kerner, der schwärmerische schwäbische Dichter, Karl Mayer, Heinrich Köstlin, ein Mediziner, Georg Jäger, ein Naturforscher, und Karl Roser, Uhlands späterer Schwager, gehörten zu dem Kreise. 1808 kam Karl August Varnhagen von Ense dazu, der einer Anzahl von Romantikern persönlich nahe stand, und der ganz in deren Anschauungen lebte. Uhlands Dichtungen in dieser Zeit tragen in vieler Beziehung das Gepräge romantischen Geistes. Gestalten und Verhältnisse aus der mittelalterlichen Sagenwelt und Geschichte besingt er; er lebt sich in die Empfindungswelten dieser Vorzeit ein und gibt sie charakteristisch wieder. Auch in den Gedichten, die nicht an Mittelalterliches anknüpfen, herrscht ein romantischer Ton als Grundstimmung. Dieser Ton nimmt hier zuweilen ein schwärmerisches, sentimentales Wesen an. Er kommt zum Beispiel in dem Liede »Des Dichters Abendgang« zum Ausdruck. Der Dichter gibt sich den Wonnen des Sonnenunterganges bei einem Spaziergange hin und trägt dann den Eindruck davon mit nach Hause:

Wann aber um das Heiligtum
Die dunklen Wolken niederrollen,
Dann ist's vollbracht, du kehrest um,
Beseligt von dem Wundervollen.
In stiller Rührung wirst du gehn,
Du trägst in dir des Liedes Segen;
Das Lichte, das du dort gesehn,
Umglänzt dich mild auf finstern Wegen.

Stimmungen, aus ähnlich romantischem Geist heraus, kommen in den Liedern: »An den Tod«, »Der König auf dem Turme«, »Maiklage«, »Lied eines Armen«, »Wunder«, »Mein Gesang«, »Lauf der Welt«, »Hohe Liebe«, und anderen, die aus Uhlands Studentenzeit stammen, zum Ausdruck. Und dieselbe romantische Vorstellungsart herrscht in den Romanzen und Balladen, die Uhland damals schrieb: »Der Sänger«, »Das Schloß am Meere«, »Vom treuen Walter«, »Der Pilger«, »Die Lieder der Vorzeit« u. a.

Und dennoch: bei aller romantischen Grundstimmung in Uhlands Wesen und bei aller Sympathie, die er der romantischen Zeitströmung entgegenbrachte, ist ein Gegensatz zwischen ihm und der eigentlichen Romantik vorhanden. Diese ist aus einer Art Widerspruchsgeist erwachsen. Ihre Hauptträger wollten der Kunstdichtung, wie sie in Schiller ihren Vertreter fand, und der Aufklärung etwas entgegenstellen, was tief im Volksleben und im Gemüt wurzelte. Sie kamen durch Studium und Gelehrsamkeit zu den Zeiten, in denen, nach ihrer Meinung, Volksgeist und natürliche Herzensfrömmigkeit herrschten. Bei Uhland war das Volkstümliche und Gemütstiefe von vornherein als ein Grundzug seiner Natur vorhanden. Findet man deshalb bei vielen Romantikern, z. B. bei de la Motte Fouqué, bei Clemens Brentano, daß ihr Streben nach dem Mittelalter, nach dem ursprünglichen Volkstum, etwas Gesuchtes hat, daß es sogar vielfach nur wie eine äußere Maske ihres Wesens erscheint: so sind diese Züge bei Uhland etwas durchaus Natürliches. Er hatte sich nie mit seinem Denken und Empfinden von der Einfachheit des Volksgeistes entfernt; deshalb brauchte er sie auch nie zu suchen. Er fühlte sich wohl und heimisch im Mittelalter, weil die besten Seiten desselben zusammenfielen mit seinen Neigungen und Gefühlen. Bei solchen Anlagen mußte es für ihn geradezu ein Erlebnis bedeuten, als in Heidelberg Achim von Arnim und Clemens Brentano »Des Knaben Wunderhorn« (1805) herausgaben, in dem sie die schönsten Blüten der Volksdichtung sammelten.

Im Jahre 1810 hatte der Dichter seine Studien vollendet, Staats- und Doktorexamen lagen hinter ihm. Er konnte daran denken, sich in der Welt umzusehen und nach der Nahrung für seinen Geist zu suchen, nach der er lechzte. Paris mußte ihn anziehen. Da waren die Handschriftenschätze alter Volks- und Heldendichtung, die ihm den tiefsten Einblick in die Zusammenhänge von Leben und Schaffen der Vorzeit gewähren konnten. Die Reise nach der französischen Hauptstadt und der Aufenthalt dort haben eine bleibende Wirkung auf sein ganzes Leben ausgeübt. Er reiste am 6. Mai 1810 von Tübingen ab und langte am 14. Februar des folgenden Jahres wieder in der Heimat an. Von den Jahren 1810 bis 1820 hat Uhland ein ausführliches Tagebuch geführt, das von J. Hartmann herausgegeben worden ist. Von unschätzbarem Werte für die Erkenntnis seiner Persönlichkeit sind diese Aufzeichnungen; vor allem die, welche von der Pariser Reise handeln. Schweigsam, wie Uhland überhaupt ist, erweist er sich allerdings auch in diesem Tagebuche. Nur spärlich sind Empfindungen und Gedanken zwischen das rein Tatsächliche, das verzeichnet wird, eingestreut. Um so bedeutungsvoller sind diese. Sie lassen uns tiefe Blicke in seine Seele tun. Er reiste über Karlsruhe, Heidelberg, Frankfurt, Mainz, Koblenz, Trier, Luxemburg, Metz, Verdun, Chalons. Er schreibt: »Mein Aufenthalt in Karlsruhe, der vom Montag bis Sonntag (7.-13. Mai) dauerte, wird mir immer eine teure Erinnerung sein.« Da lernte er den Dichter der »alemannischen Gedichte«, Johann Peter Hebel kennen. Diese echt volkstümliche Persönlichkeit zog Uhland ungemein an. Ueber diesen Karlsruher Aufenthalt drückt er sich später, als er in Koblenz weilt, aus: »Abends Erinnerung mit Tränen an Karlsruhe«. Eine Tagebucheintragung, die sich auf die Rheinfahrt bezieht, zeigt, wie Uhland gerne geheimnisvollen Zusammenhängen im Leben nachgeht und seine sinnende Phantasie daran erbaut: »Altes Ansehen von Bacharach. Der lustige unbekannte Geselle mit dem Posthorn, das er zwar schlecht blies, wovon sich jedoch die Töne im Widerhall verklärten. Der Breslauer Reisende, der auf einmal mit der Flöte hervorkam. Gesang und Musik auf dem Schiffe. Sonderbares Zusammentreffen mit meinem Liede: das Schifflein.« Er hatte drei Monate vorher das Gedicht »Das Schifflein« gedichtet, in dem er das Erlebnis, das ihm jetzt wirklich vor Augen trat, aus der Phantasie geschildert hatte. Das Tagebuch zeigt uns an mancher Stelle, daß Uhland auch im späteren Leben solchen Dingen nachging, die auf die Phantasie einen geheimnisvollen Zauber ausüben, obwohl sie der verständigen Betrachtung zu spotten scheinen. So schreibt er sich am 3. April 1813 einen Traum auf, den er gehabt hat. Ein Mädchen wurde durch einen leichtsinnigen Geliebten verleitet, die Bodenkammer eines Hauses zu betreten und sich auf einem Klavier vorspielen zu lassen, auf dem, einer alten Sage zufolge, niemals gespielt werden darf, weil der Spieler und der, welcher die Töne hört, sogleich altern und dem Tode verfallen. Uhland sieht sich selbst in Gesellschaft der Geliebten. Er fühlt in sich das Alter; und die Szene geht furchtbar aus. Uhland schreibt dazu: »Man könnte diesen Traum so erklären: das Klavier ist die Sünde, welche auch im frömmsten Hause irgendwo verborgen lauert und auf Anklang wartet. Der Geliebte des Mädchens ist der Teufel, er weiß die Sünde zu handhaben, daß sie erst ganz unverfänglich, gewöhnlich tönt. Der Klang wird immer süßer, lockender, hält mit Zaubergewalt fest, dann wird er fürchterlich, und in wilden Stürmen geht das einst fromme und friedliche Haus unter.« Besonders charakteristisch in dieser Beziehung ist aber eine Aufzeichnung vom 1. März 1810. »Nachts Idee zu einer Ballade: die Sage, daß die dem Tode Nahen Musik zu hören glauben, könnte so benutzt werden, daß ein krankes Mädchen vor ihrem Fenster gleichsam ein geistiges, überirdisches Ständchen zu hören meinte.« Diese Idee haftet so fest in seinem Geiste, daß er sie am 4. Oktober in Paris in einem Gedicht: »Ständchen« zum Ausdruck bringt. In diesem Gedichte wird ein Mädchen geschildert, das sterbend »nicht irdische Musik« hört, sondern das vermeint: »mich rufen Engel mit Musik«. Man vergleiche damit, was Uhland am 8. Juni 1828 mit Bezug auf einen Traum niederschrieb, und man wird erkennen, wie in solchen Zügen sich ein Bleibendes in seinem Charakter verrät: »Unter den überraschenden Erscheinungen einer künftigen Welt wird auch die sein, daß, sowie wir himmlische Gedanken und Empfindungen haben werden, so auch für die Aeußerung derselben sich uns ein neues Organ erschließen, aus der irdischen Sprache eine himmlische hervorbrechen wird. Eine Ahnung von dieser kann uns nicht sowohl der Glanz und Pomp der jetzigen Sprache, als die Ruhe und (belebte) Stille der Sprache der ältern deutschen Dichter geben, wie in meinem Liede in der Stille des Sonntagsmorgens der Himmel sich öffnen will, wie nur, wenn es ganz stille ist, die Töne der Aeolsharfe oder der Mundharmonika vernommen werden.« Zugleich zeigt sich hier, wie Uhlands ganze Vorstellungsart ihn zu der »Stille und Sprache der älteren deutschen Dichter« hinführen mußte, mit denen er sich so innig verwandt fühlte.

In Paris findet Uhland, was er gesucht. Er vertieft sich in die altfranzösische, in die spanische Literatur. Die inhaltvolle Schrift »Das altfranzösische Epos«, die dann 1812 in der Zeitschrift »Die Musen« erschien, ist ein erstes Ergebnis dieser Studien. Er faßte die Idee zu einer Dichtung: »Das Märchenbuch des Königs von Frankreich«, die allerdings nicht ausgeführt worden ist. Er lernt den Dichter Chamisso kennen und verlebt mit diesem schöne Tage. Auch Varnhagen trifft er wieder. Einer Aufzeichnung vom 17. November 1810 kann man entnehmen, was Uhland in Paris mit seinen Studien verfolgte: »Bestimmte Auffassung der Tendenz meiner Sammlung altfranzösischer Poesien: hauptsächlich Sage, Heldensage, Nationalsage, lebendige Stimme, mit Hintansetzung des Künstlerischen, Bürgerlichen usw.« Beharrlich ist er im Abschreiben von Manuskripten. Man kann kaum sagen, welche Früchte Uhland noch aus seinem Pariser Aufenthalte gewonnen hätte, wenn er ihm nicht von außen her verkürzt worden wäre. Er brauchte zum Aufenthalt im Auslande die Erlaubnis des Königs von Württemberg. Leider mußte ihm der Vater im Dezember mitteilen, daß die königliche Erlaubnis für einen weiteren Aufenthalt nicht gegeben werde. Der Dichter lernte aber nicht nur die Schätze der Pariser Bibliothek kennen, sondern auch die andern Schätze und Schönheiten der großen Weltstadt. Aus seinen Aufzeichnungen und Briefen kann man ersehen, wie er es sich angelegen sein läßt, Leben und Kunst zu studieren, und wie sich sein Blick erweitert. – Was ihm Paris bedeutete, das geht aus der trübseligen Stimmung hervor, die ihn zunächst nach seiner Rückkehr befällt. Die Aussicht, daß er nun in irgend eine juristische Stellung eintreten müsse, trug nicht weniges noch zu dieser Stimmung bei. Einen Lichtpunkt bildete allerdings die Bekanntschaft mit Gustav Schwab, dem Dichter volkstümlicher Romanzen und Lieder und prächtiger Jugendschriften, der damals in Tübingen studierte. Er ist Uhland ein treuer, hingebender Freund geworden. Zu welcher Stufe des dichterischen Schaffens sich Uhland damals hindurchgearbeitet hatte, zeigen die Schöpfungen: »Rolands Schildträger«, »St. Georgs Ritter« und das herrliche: »Der Weiße Hirsch«, nebst vielen anderen, die dieser Zeit entstammen. Die hohe Formvollendung, die uns hier entgegentritt, hatte er allerdings schon früher erreicht, wie aus einer seiner populärsten Balladen: »Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein«, die im Jahre 1809 entstanden ist, hervorgeht. Dagegen klingt aus den Dichtungen, die nach der Pariser Zeit geschrieben sind, deutlich durch, wie sich seine Vorstellungswelt durch die Versenkung in die Vorzeit bereichert hat. Er ist jetzt nicht nur imstande, fremde Stoffe anschaulich zu gestalten, sondern auch in allen Aeußerlichkeiten des Versmaßes und des Rhythmus einen vollständigen Einklang von Inhalt und Art der Darstellung zu geben.

*

Nach der Rückkehr aus Paris mußte Uhland sich nach einer Lebensstellung umsehen. Er hatte Gelegenheit, sich dadurch ein wenig in den praktischen Beruf hineinzuarbeiten, daß ihm in den Jahren 1811 und 1812 eine Reihe von Verteidigungen in Strafsachen und auch die Führung in Zivilprozessen übertragen wurde. Die Erfahrungen, die dabei gemacht wurden, ließen ihm den Beruf eines Anwalts nicht gerade wünschenswert erscheinen. Deshalb war er zufrieden, als sich ihm die Möglichkeit bot, als unbesoldeter Sekretär beim Justizministerium einzutreten, jedoch mit der bestimmten Versicherung, daß er vor Ablauf eines Jahres Besoldung erhalten werde. Er trat am 22. Dezember sein Amt in Stuttgart an. – Das Leben, in das er nun eintrat, hatte für ihn manche Schattenseiten. Die amtliche Tätigkeit brachte manche Schwierigkeiten mit sich. Er hatte die Aufgabe, die Vorträge zu bearbeiten, welche der Minister über die Gerichte dem König hielt. Der selbständige und gerade Sinn, mit dem Uhland die Abfassung dieser Vorträge besorgte, erregte dem Minister manche Bedenken. Dieser war ja vor allem darauf bedacht, mit seinen Berichten einen möglichst günstigen Eindruck hervorzurufen. Dazu kam, daß Uhland es recht schwer wurde, sich an andere Menschen anzuschließen. So geschah es, daß er in einem Kreis von Freunden, der sich jeden Montag und Freitag abends unter dem Namen »Schatten-Gesellschaft« in einer Wirtschaft versammelte, erst vom September 1813 an als Mitglied aufgenommen wurde, obgleich er schon am 18. Dezember, wenige Tage nach seiner Ankunft, an einem der Abende teilgenommen hatte. Es gehörten zu diesem Kreise Köstlin, Roser u. a. Die anstrengende Arbeit im Amte und das wenig reizvolle Leben bewirkten, daß sich Uhland im Anfang seines Stuttgarter Aufenthaltes zu schöpferischer Tätigkeit nicht sehr ermuntert fühlte. Wie er sich innerlich aber trotzdem zurechtfand, und welchen Entwicklungsgang seine Persönlichkeit nahm, das kann man aus Aeußerungen entnehmen, wie die aus einem Briefe an Mayer vom 20. Januar 1813 ist: »Gedichtet habe ich freilich noch nichts, doch wird mir die Poesie in dieser äußeren Abgeschiedenheit von ihr gewissermaßen innerlich klarer und lebendiger, wie es oft bei entfernteren Freunden der Fall ist.«

Aeußere Ereignisse konnten die Dichterkraft Uhlands nur in geringem Maße erregen. Ihnen konnte er sich als Charakter, als Tatenmensch ganz hingeben. Das zeigt seine spätere aufopfernde Tätigkeit als Politiker. Die Dichtung wurde in ihm, da wo sie die schönsten Früchte zeitigte, durch eine innere geistige Veranlassung erweckt. Deshalb hat auch der große Freiheitskampf, an dem sein Herz in vollstem Maße Anteil nahm, ihn nur zu wenigen Gesängen begeistert. Sie zeigen allerdings, wie seine Persönlichkeit mit dem Freiheitsstreben seines Volkes verwachsen war. Das »Lied eines deutschen Sängers«, »Vorwärts«, »Die Siegesbotschaft« und »An mein Vaterland« sind Lieder, mit denen er in den Chor der Freiheitssänger einstimmte. – Die Besoldung, welche man Uhland in Aussicht gestellt hatte, blieb lange aus. Er wurde des Wartens müde, und war auch sonst in seiner Stellung wenig zufrieden. Aus diesen Gründen trat er im Mai 1814 aus dem Dienst des Staates. Er ließ sich nun als Rechtsanwalt in Stuttgart nieder. Obwohl auch dieser Beruf ihn wenig befriedigte, so fühlte er sich bei der äußeren Unabhängigkeit, in der er nun war, doch glücklicher. Auch der Quell der Dichtung floß wieder reichlicher. Entstanden doch im Jahre 1814 das »Metzelsuppenlied« und die Balladen: » Graf Eberstein«, » Schwäbische Kunde« und » Des Sängers Fluch«.

Im Herbst 1815 konnte Uhland die Sammlung seiner Gedichte erscheinen lassen. Cotta, der auf ein erstes Anerbieten im Jahre 1809 den Verlag wegen der »Zeitumstände« abgelehnt hatte, erklärte sich nun zur Uebernahme derselben bereit. Lernte man durch diese Veröffentlichung den Dichter Uhland in weiteren Kreisen kennen, so sollte sich dazu auch bald Gelegenheit in Bezug auf seine persönliche Charakterfestigkeit und Seelenstärke bieten. Er griff von jetzt ab tätig in die politischen Angelegenheiten seines Heimatlandes ein. – Im Jahre 1805 waren in Württemberg bedeutsame Verfassungsänderungen eingeleitet worden. Der Herzog Friedrich II. hatte es im Verlaufe der durch Napoleon verursachten Wirren in Deutschland dahin gebracht, daß Württemberg ein unabhängiger Staat und im Jahre 1806 ihm die Königswürde beigelegt wurde. In dieser Zeit hatte das Land auch bedeutende Gebietserweiterungen erreicht. Zu gleicher Zeit aber nahm der Regent dem Lande seine alte, auf mittelalterlichen Einrichtungen beruhende Verfassung. Wenn auch vieles in dieser ständischen Verfassung der neuen Zeit nicht mehr entsprach, so hing doch das schwäbische Volk mit Zähigkeit an seinen ererbten Rechten; es wollte sich wenigstens nicht einseitig von der Regierung neue Gesetze aufdrängen lassen. Es bildete sich ein Gegensatz heraus zwischen dem König und dem Volke, der sich durch die Jahre der Aufregung bis zum Wiener Kongreß im Jahre 1815 hinzog. Nach den Verhandlungen dieses Kongresses hoffte das Volk auf eine Neugestaltung seiner politischen Zustände im freiheitlichen Sinne. Der König legte dann auch schon 1815 einer einberufenen Versammlung einen Verfassungsentwurf vor. Er fand aber weder bei dem Adel noch bei dem Volke Zustimmung. Das letztere verlangte, daß nicht in willkürlicher Weise ganz neue Zustände geschaffen werden, sondern daß unter voller Anerkennung der 1805 aufgehobenen ständischen Rechte die alten Verhältnisse auf Grund von Unterhandlungen in neue übergeführt werden. An dem Widerstande des Volkes scheiterte auch ein zweiter von dem König 1816 vorgelegter Verfassungsentwurf. In diesem Jahre starb der König; seine Bemühungen, mit Außerachtlassung der alten Rechte, im Lande neue Verhältnisse zu schaffen, wurden von seinem Nachfolger, Wilhelm II., zunächst fortgesetzt. – Uhlands politische Ueberzeugung stimmte mit derjenigen des Volkes überein. Wie er innerhalb des Geisteslebens mit Ehrfurcht an den Erzeugnissen des Mittelalters hing, so hatten auch im öffentlichen Leben die althergebrachten Einrichtungen für ihn etwas so tief Berechtigtes, daß sich sein Innerstes empörte, wenn in willkürlicher Weise einseitig an ihnen gerüttelt wurde. Er stellte sich auf den Standpunkt, daß niemand befugt sei, dem Volke ein neues Recht zu schenken, sondern daß den Besitzern des »alten, guten Rechtes« dieses gewahrt bleiben müsse, bis sie auf Grund desselben selbst sich Neuerungen schaffen. In diesem Sinne sprach er sich 1816 in dem Gedichte: »Das alte, gute Recht« aus; er wollte dieses »Recht«, des »wohlverdienten Ruhm Jahrhunderte bewährt, das jeder wie sein Christentum von Herzen liebt und ehrt«. So wie in diesem bringt er seine Ueberzeugung noch in einer Reihe von anderen Gedichten zum Ausdruck. Sie erschienen von 1815 bis 1817 in kleinen Broschüren als »Vaterländische Gedichte«. Er hat durch sie auf seine Landesgenossen eine starke Wirkung hervorgebracht. Man wußte den im tiefsten Herzen freisinnig, demokratisch gesinnten Mann zu schätzen und verehrte in ihm immer mehr einen der besten Hüter der württembergischen Volksrechte. Die Folge war, daß man sich nach der Zeit sehnte, in der er das nötige Alter zum Landtagsabgeordneten erreicht haben würde. Bis dahin, nämlich bis zu seinem dreißigsten Jahre, konnte er nur als Schriftsteller für Recht und Freiheit seines Landes wirken.

*

Noch vor dieser Zeit lernte die Welt Uhland auch als Dramatiker kennen. Im Jahre 1817 vollendete er sein Trauerspiel » Herzog Ernst«, das er im September des vorhergehenden Jahres begonnen hatte. Es behandelt das Schicksal des Schwabenherzogs Ernst, der gegen seinen Stiefvater, den Kaiser Konrad II. von Franken (1024-1039) wiederholt die Waffen ergriffen, und der im Jahre 1030 mit seinem Freunde Werner von Kyburg den Tod bei Verteidigung seines vermeintlichen Rechtes gegen den Kaiser gefunden hat. In das Drama hat Uhland seine ganze Begeisterung für das deutsche Mittelalter und für sein schwäbisches Heimatland gelegt. Wenn auch die dramatische Lebendigkeit mit Recht an dem Werke vermißt wird, so ist doch stets die Wärme der Darstellung und die lyrische Kraft desselben bewundert worden. Es wurde im Mai 1819 im Stuttgarter Hoftheater zum erstenmale aufgeführt und erzielte einen großen Erfolg. – Die größte dramatische Kraft hat Uhland im ersten Akt entfaltet, der ein Bild von erschütternden Verwickelungen gibt. Gisela, des Kaisers Gemahlin, die diesem aus ihrer ersten Ehe die Söhne Ernst und Hermann zugeführt hat, bittet den Gatten, am Tag der Krönung zum römischen König, wo jeder sich eine Gunst erflehen darf, um die Freigabe ihres seit zwei Jahren auf Gibichenstein gefangen gehaltenen Sohnes Ernst. Ihr Sohn hätte sich durch jugendlichen Uebermut, und da er ein Recht auf das burgundische Königstum zu haben glaubte, empört, weil der Kaiser dies Land für das Reich in Anspruch genommen habe. Gisela bittet um Begnadigung des Schwergeprüften, der einen »Schein des Rechtes« für sich hatte, und dessen junges Herz sich leicht empören konnte. Der Kaiser will die Bitte gewähren, wenn Ernst sich fügt und von Burgund ablasse. Ergreifend ist die Szene, in der Ernst auftritt, hager, bleich und gealtert. Er soll mit Schwaben belehnt werden, wenn er auf Burgund verzichte und den getreuen Freund Werner, der ihm stets beigestanden, ausliefere. Auf die erstere Bedingung will er eingehen; an Werner will er auf keinen Fall zum Verräter werden. Der Kaiser läßt ebensowenig wie Ernst von dem einmal eingenommenen Standpunkt. Ernst und Werner bleiben einander treu. Die Reichsacht und der Kirchenbann treffen beide. Sie sind aufs neue dem Unglück ausgeliefert. Mit eiserner Folgerichtigkeit entwickelt sich nun alles Weitere bis zum Untergang Ernsts und Werners, wenn auch das dramatische Leben sich zu der im ersten Aufzug erreichten Höhe nicht mehr erhebt.

»Herzog Ernst« war nicht Uhlands erste dramatische Arbeit, wenn auch die erste, die er zum Abschlusse gebracht hat. Wenn man seine dramatischen Entwürfe verfolgt, so sieht man, wie beharrlich er an seiner Vervollkommnung auf diesem Gebiete der Dichtung arbeitete, und wie er immer neue Ansätze in dieser Richtung machte. Man darf deswegen den »Herzog Ernst« als die reiche Frucht jahrelangen Strebens bezeichnen. Zur Zeit seiner Universitätsstudien hat er sich in der freien Bearbeitung des Seneca'schen Stückes »Thyestes« versucht, die erhalten ist. (Vergl. Adalbert von Keller, Uhland als Dramatiker, S. 15 ff.) – In das Jahr 1805 fällt der Plan zu einer Achilleus-Tragödie. Was Uhland darüber am 6. März 1807 an Leo Freiherrn von Seckendorf schrieb, zeigt, wie tief er mit diesem Drama in die Geheimnisse von Leben und Schicksal führen wollte: »Vor etwa zwei Jahren begann ich, eine Tragödie zu entwerfen, Achilleus Tod. Sie sollte die Idee darstellen: wenn auch das Schicksal die Ausführung unserer Entschlüsse hindert, haben wir sie nur ganz und fest in uns gefaßt, so sind sie doch vollendet. Was in der Wirklichkeit Bruchstück bleibt, kann in der Idee ein großes Ganzes sein. Die Idee bleibt unberührt vom Schicksal. Verschiedene Ursachen, besonders aber meine Vorliebe für das Romantische, dem der griechische Boden nicht gewachsen war, hielten mich von der Ausführung ab.« Es ist schade, daß sich von dem Entwurfe nichts erhalten hat, denn man könnte aus demselben Aufschluß gewinnen, in welcher Beziehung sich die romantische Geistesart Uhlands dem griechischen Kulturelement fremd fühlte. – Nach weniger bedeutsamen dramatischen Versuchen fing im Jahre 1807 Uhland die Geschichte der Franceska von Rimini zu interessieren an. Er las damals Dantes »Göttliche Komödie« und wurde dadurch mit dem Stoffe bekannt. Das Trauerspiel, das er aus demselben herausarbeiten wollte, beschäftigt ihn mehrere Jahre. Er gibt den Plan 1810 auf, aus einem Grunde, über den wir durch einen Brief vom 6. Februar 1810 an Karl Mayer Näheres erfahren: »Zu Größerem, z. B. der Franceska, fehlt mir Muße, innere Ruhe, Lebensanregung; ich kann alles nur fragmentarisch treiben.« Der Plan und einzelne Szenen haben sich erhalten (vergl. Keller, Uhland als Dramatiker, S. 91 ff.). – Aus einem alten Volksbuche erhielt Uhland die Anregung zu einem Drama »König Eginhard«. Er machte sich 1809 – wie ein Exzerptenbuch zeigt – Auszüge aus diesem Volksbuche. Auch Justinus Kerner zog die Eginhard-Sage an. Dieser bearbeitete sie in einem chinesischen Schattenspiel, das 1811 in Karlsruhe erschienen ist. Vergl. »Die Reiseschatten« in Justinus Kerners sämtlichen Werken, herausgegeben von Walter Heichen. (Verlag Weichert, Berlin.) Das Buch, aus dem Uhland die Sage entnommen, heißt: »Riesengeschichte oder kurzweilige und nützliche Historie von König Eginhard aus Böhmen, wie er des Kaisers Otto Tochter aus dem Kloster bringen lassen usw. Item, wie die großen Riesen dasselbe Königreich überfallen usw. Alles sehr nützlich und lehrreich beschrieben von Leopold Richtern, gebürtig zu Lambach in Ober-Oesterreich.« Ein Teil des Eginhard-Dramas ist das dramatische Märchen »Schildeis«, das Uhland 1812 veröffentlicht hat. – Auch scherzhafte Stücke versuchte Uhland während seiner Studentenzeit zu schreiben. »Die unbewohnte Insel« und »Der Bär« sind solche. Das letztere ist eine Posse, die in Spanien spielt, und welche Uhland gemeinsam mit Justinus Kerner im Jahre 1809 geschrieben hat. In das Jahr 1809 fällt ferner die Dichtung eines kleinen Lustspiels: »Die Serenade«, das ebenfalls in Spanien spielt. – Am 21. Januar 1810 gibt Uhland in einem Briefe an Kerner Nachricht, daß er mit einem Drama »Tamlan und Jannet« beschäftigt sei. Es sollte ein nach einer schottischen Ballade dramatisiertes Elfenmärchen werden. Eine Andeutung des Briefes verrät zugleich, warum auch dieser Plan nicht zur Ausführung gekommen ist. Uhland schreibt: »Zum Tamlan hab' ich den ersten Akt und noch eine weitere Szene ausgearbeitet. Drei Akte sollen es werden. Du erhältst hiebei einige Szenen daraus. Junker David ist ein von den Elfen statt des geraubten Tamlans ausgesetzter Wechselbalg. Sowie Tamlan zurückkommt, verschwindet jener. Die Mißtöne lösen sich in Harmonie auf, Absalon findet die gewünschte Musik.« Zu den beiden Gedichten »Harald« und »Die Elfen« hat Uhland die Anregung aus diesem Stoffe empfangen. –

Es ist begreiflich, daß Uhland nach dem Scheitern so vieler dramatischer Versuche Zweifel an seiner dramatischen Begabung aufstoßen konnten. Man erfährt von solchen aus einem Briefe an J. Kerner vom 21. Januar 1810: »Bei meiner inneren Unruhe, bei meiner sonstigen, so verschiedenartigen Beschäftigung war mir bisher nichts Größeres, Ausgeführteres möglich. Und mein Talent zum Drama?« Diese Worte stehen nach der Erwähnung einer Trauerspielskizze, »Benno«, die Uhland Ende Dezember 1809 in zwei Tagen niedergeschrieben hat. (Vergl. Keller, Uhland als Dramatiker, S. 289 ff.) – Ein echt romantisches Drama wollte Uhland mit seinem »eifersüchtigen König« liefern, über dessen Idee er dem Freunde Kerner am 21. Januar 1810 die folgende Mitteilung macht: »Endlich hab' ich eine schottische Ballade (in Herders Volksliedern) »Der eifersüchtige König« zu einem Drama, wiewohl erst leicht, skizziert. Die Idee ist: Auflösung des Helden mit seiner Geschichte in Poesie, in Sage, gerade in die zugrunde liegende Ballade. Junker Waters verläßt das väterliche Haus, zieht zu Hofe; ein Minstrel gesellt sich zu ihm, als der ritterlichem Tatenleben nachtretende Gesang. Waters gefällt der Königin. Der eifersüchtige König wirft ihn ins Gefängnis, läßt ihn hinrichten; das blühende Leben ist untergegangen. Der Minstrel verläßt den Hof, der Gesang geht ins Land aus. Waters Eltern und Geschwister sitzen daheim nächtlich am Kamin. Es befällt sie ein Gelüste nach schaurigen Märchen. Der verirrte Minstrel tritt herein und singt die Ballade von Waters Tode. Die Liebe der Königin zu Waters soll so behandelt werden, daß sie ihres liebsten Hoffräuleins Neigung zu Waters begünstigt, gleichsam um ihn unmittelbar zu lieben.« Von der Ausführung des Planes, der ganz in Uhlands romantischer Sinnesart wurzelt, hat sich leider nichts erhalten. – In den Jahren 1814 und 1815 hat Uhland das kurze Drama »Normännischer Brauch« ausgeführt. Die Anregung dazu hat er aus der altfranzösischen Dichtung empfangen. Der Grundgedanke ist durch den »Normännischen Brauch« gegeben, daß Bewirtung belohnt wird. – Ein Fragment: »Karl der Große in Jerusalem« dürfte 1814 niedergeschrieben sein. – Aus einem Briefe Uhlands an J. Kerner vom 28. März geht hervor, daß sich der Dichter in dieser Zeit mit einer dramatischen Bearbeitung des Hohenstaufenfürsten Konradin beschäftigt hat. Aus dem Tagebuch ersieht man, daß er im Juli 1818 »Hahns Reichsgeschichte über Otto von Wittelsbach und Konradin« las, um Stoff für sein Drama zu gewinnen. Am 14. Juli ist sogar verzeichnet: »Lebendigere Auffassung des Konradin«. Dennoch ist nur eine Szene zur Ausführung gekommen. Er hat sich zuletzt wohl überzeugt, daß der Stoff zur dramatischen Bearbeitung nicht geeignet ist. Man kann das aus einem am 30. September 1854 an den Oberjustizrat Hein in Ulm geschriebenen Briefe entnehmen, in dem er sich darüber ausspricht: »Weil ich selbst einmal, gleich vielen andern, mich an einem Konradin versucht habe, weiß ich aus Erfahrung, daß dieser geschichtliche Gegenstand für das Drama günstiger zu sein scheint, als er wirklich ist.« – Nach so vielen vergeblichen Ansätzen auf dem Felde der dramatischen Kunst mußte es Uhland mit tiefer Befriedigung erfüllen, als er am 14. Juli 1817 die letzte Szene seines »Herzogs Ernst« niedergeschrieben hatte. Hatte er doch noch am 7. November 1816 in einem Briefe an Varnhagen von Ense zu klagen gehabt: »Zwei Gedichte beschäftigen mich, ein erzählendes in Stanzen, Fortunat und seine Söhne, woran ich aber seit zwei Jahren nicht mehr als zwei Gesänge zustande gebracht habe, und ein Trauerspiel, Herzog Ernst von Schwaben, mit dessen Ausführung ich aber nicht anfangen kann, wenn ich nicht hoffen kann, es in einem Stück wegzuarbeiten. Das will aber meine Lage fortwährend nicht gestatten.« – Die Sage der »Weiber von Weinsberg« beschäftigte Uhland 1816. Er wollte sie in einem dramatischen Schwank verarbeiten, doch ist auch dieser Fragment geblieben. Ebensowenig kam sein geplantes Nibelungen-Drama zur Ausführung, dessen Entwurf aus dem Jahre 1817 stammt. Dagegen konnte er am 24. Mai 1818 die vollendete Handschrift des geschichtlichen Schauspiels »Ludwig der Bayer« nach München absenden. Der König Max Joseph hatte einen Preis für ein Drama aus der bayerischen Geschichte ausgesetzt, und Uhland hatte sich mit seinem Werke um denselben beworben. Der Dichter spricht sich über dieses Drama am 25. Mai in einem Briefe an seine Eltern aus: »Ich habe mich hierin treu an die Geschichte gehalten und die noch vorhandenen Urkunden getreulich benutzt. Auch sind, da ausdrücklich ein Stück aus der bayerischen Geschichte verlangt wurde, bei der Kommission ohne Zweifel Historiker, welche dieses wohl beurteilen können.« Uhland wollte ein »Symbol der deutschen Stammeseinheit« in dem Stücke zum Ausdruck bringen. Der Kampf des Herzogs Ludwig von Bayern mit Friedrich dem Schönen von Oesterreich vom Jahre 1322 kommt darin zur Darstellung. Der Dichter hat ein herrliches Bild deutscher Treue und Charakterstärke in der Persönlichkeit Friedrichs geschildert, der von Ludwig gefangen genommen und freigelassen wird zum Zwecke, in seiner Heimat für den Frieden zu wirken, und der, treu seinem Versprechen, wieder in die Gefangenschaft freiwillig zurückkehrt, als ihm die Vermittelung nicht gelingt. Das Drama hat den Preis nicht erhalten. Daß aber Uhland von demselben selbst befriedigt war, geht daraus hervor, daß er sich nach dessen Ausführung neuen dramatischen Plänen hingab. Einer derselben ist ein kleines Stück: »Welf«, von dem nur der Anfang im Jahre 1818 niedergeschrieben wurde, ein anderer: »Der arme Heinrich«, von dem nur weniges ebenfalls im Jahre 1818 aufgezeichnet wurde. Im Jahre 1819 beschäftigten den Dichter ein »Otto von Wittelsbach« und »Bernardo del Carpio«, zu dem er den Stoff aus der spanischen Geschichte entnommen hat. Die Heldentaten einer der volkstümlichsten Persönlichkeiten in Spanien wollte er verarbeiten. Von »Otto von Wittelsbach« gedieh nur eine Prosaskizze, von »Bernardo« ein Entwurf und zwei Fragmente in Versen. Der letzte dramatische Plan, der Uhland beschäftigte, fällt in das Jahr 1820. Er wollte die Geschichte des Johannes Parricida behandeln. Aus einer Andeutung, die er Gustav Schwab machte, erfahren wir, daß Uhland in dieses Stück viel von seinem eigenen Geschick legen wollte. Er sagte: »Es war mit ihm, wie mit mir. Er hat in allem Unglück gehabt.« Von einer Ausführung dieser Idee ist nichts bekannt. Sie war die letzte, die Uhland zum Schaffen auf dramatischem Gebiete begeisterte. Die Muse dieser Kunst besuchte fortan den Dichter nicht wieder.

*

Die oben angeführten Worte über den Plan zum »Johannes Parricida« zeigen, wie tief die Verstimmung in Uhlands Seele über das Scheitern so manches Lebensplanes war. Aber gerade in der Zeit, in der diese Verstimmung am stärksten des Dichters Seele ergriffen zu haben scheint, tritt eine glückliche Wendung in seinem Leben ein. Er verlobt sich am 16. Januar 1820 mit Emilie Vischer, der Schwägerin seines Freundes Karl Roser. Die Vermählung erfolgte am 29. Mai desselben Jahres. Mit derselben beginnt eine zweiunddreißigjährige Ehe, die Uhland in jeder Beziehung beglückt hat. Man braucht nur das herrliche Werk: »Ludwig Uhlands Leben. Aus dessen Nachlaß und aus eigener Erinnerung zusammengestellt von seiner Witwe« zu lesen, um eine Vorstellung des seltensten, auf innigem gegenseitigen Verständnisse beruhenden Seelenbundes zu erhalten.

Wer Uhlands Charakter beurteilen will, der braucht sich nur mit seinem Verhalten am Hochzeitstage bekannt zu machen. Um drei Uhr war die Trauung. Der Bräutigam verbrachte den Vormittag im Ständehause; und dorthin kehrte er auch nach der Trauung wieder zurück. Der pflichttreue Mann wollte sich nicht einen freien Tag gönnen, den er seiner Tätigkeit als Abgeordneter für den Landtag hätte entziehen müssen. Denn zu dieser Zeit stand der Dichter schon voll im politischen Leben. Er ist im Jahre 1819 als Abgeordneter von Eßlingen in die Versammlung der Landstände gewählt worden, die einberufen worden war, um über das Zustandekommen einer Verfassung zu beraten. Auch in die Kommission ist er berufen worden, welche die Dankadresse an den König zu bearbeiten hatte. Diese Adresse ist sogar im wesentlichen eine Arbeit Uhlands. Sie trägt das Gepräge seines Wesens. Männlich, Freiheit und Recht betonend, aber mit Schonung aller Vorurteile der Regierenden ist sie verfaßt. Uhland gehörte der Deputation an, die sie zu überreichen hatte. Zur Feier der am 24. September unterzeichneten Verfassung wurde am 29. Oktober in Stuttgart der »Herzog Ernst« aufgeführt. Uhland dichtete dazu einen Prolog, in dem er schlagend und schwungvoll sein Verhältnis zu den politischen Angelegenheiten kennzeichnete. Er brachte in der Vorstellung die Ereignisse der Gegenwart in bedeutungsvolle Beziehung mit den Tatsachen seines Dramas. Er charakterisiert die Zeit, in der sein Held lebte: »Das ist der Fluch des unglücksel'gen Landes, wo Freiheit und Gesetz darniederliegt, daß sich die besten und die Edelsten verzehren müssen in fruchtlosem Harm ...« »Wie anders, wenn aus sturmbewegter Zeit Gesetz und Ordnung, Freiheit sich und Recht emporgerungen und sich festgepflanzt!« ... Auch in den ersten Landtag, der im Januar 1820 zusammentrat, ist Uhland gewählt worden, und zwar als Abgeordneter seiner Vaterstadt Tübingen. Sechs Jahre lang versah er dieses Amt mit der Gewissenhaftigkeit, die der Verlauf seines Hochzeitstages kennzeichnet.

Neben seinen politischen Arbeiten widmete sich Uhland dem Studium der deutschen Vorzeit. Sein Interesse war in diesen Jahren dem großen mittelalterlichen Dichter Walther von der Vogelweide zugewendet. Der Natur Walthers fühlte er sich tief verwandt. Denn auch dieser war, wie Uhland selbst, eine dichterische und politische Persönlichkeit. Aus den deutschen Zuständen seiner Zeit, des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, charakterisierte er den großen Sänger. Aber Uhland war selbst eine zu kernige Natur, um nicht zu wissen und überall zu durchschauen, wie nur auf eine Persönlichkeit von ganz entschiedener Eigenart die Zeitverhältnisse so wirken können, wie auf Walther. Er wußte, was der Zeit, und auch, was der eigenen Seele des Menschen angehört. Und er hat tiefe Blicke in die Seele seines Helden getan. Er hat in schwer zu erreichender Anschaulichkeit dessen Wesen gezeichnet, wie dies gelitten, und was es gewollt hat. Wie Walther in der Dichtung die Schmerzensschreie ausstößt, die ihm seine Zeit verursacht, wie er Trost und Heilung in seiner Kunst findet: das hat Uhland mit zarten, aber entschiedenen Linien hingezeichnet. Es sind weiche Umrisse, durch die sich das Bild der Persönlichkeit in Uhlands Werk vor unsere Seele hinstellt, aber es sind Umrisse, die in jedem Punkte den Meister der biographischen Kunst verraten, der genau die Grenze zu finden weiß, wo allzu scharfe Linien die Charakterzeichnung zu einer willkürlichen, wenn nicht gar zur Karikatur verzerren. Und die Gestalt Walthers wird in Uhlands Zeichnung zugleich zum Sinnbild des deutschen Volkstums. So eigenartig auch die Seele der Einzelpersönlichkeit hingemalt ist, überall sehen wir die Fäden, durch die sie mit dem Wesen der deutschen Volksseele zusammenhängt. – So konnte Uhland Walther von der Vogelweide nur schildern, weil seine Studien nicht auf den engen Kreis desselben beschränkt waren. Der ganzen deutschen Vorzeit brachte er das gleiche Interesse entgegen. Er arbeitete in dieser Zeit auch an einer »Darstellung der Poesie des Mittelalters«. Fertig geworden ist von dieser allerdings nur der Abschnitt über »Minnegesang«, der nach Uhlands Tod seiner Sammlung: »Schriften zur Geschichte und Dichtung« eingefügt worden ist. Das Werk über »Walther von der Vogelweide« erschien im Jahre 1822.

Wie wenig Uhland diese Studien als bloßer Gelehrter trieb, das zeigt sein Verhalten auf seinen Reisen, besonders seiner Hochzeitsreise, die er nach Erledigung seiner Arbeiten für den Landtag am 8. Juli 1820 antreten konnte. Das Ehepaar bereiste die Schweiz. Ueberall finden wir Uhland eifrig bemüht, die Sitten, die Vorstellungen und Anschauungen des Volkes kennen zu lernen, überall verfolgt er die Phantasie des Landvolkes in dessen Dichtung und Sage. Was er aus dem Munde des Volkes selbst hört, das belebt ihm die eifrigen Studien, denen er überall obliegt, wo er in Bibliotheken für einen Zweck Geeignetes vorfindet. – Im höchsten Maße geschätzt wurden Uhlands Forschungen von seinen gelehrten Zeitgenossen. Der Erforscher deutschen Volkstums, Joseph von Laßberg, besuchte ihn 1820 und wurde sein eifriger Verehrer. Das war für Uhland wichtig; denn Laßberg stand mit den bedeutendsten deutschen Altertumsforschern der damaligen Zeit in Verbindung und konnte auch für Uhland einen schriftlichen oder persönlichen Verkehr mit diesen vermitteln.

Neben strengster Auffassung seiner Pflichten war Uhland auch ein weises Maßhalten in allen seinen Handlungen eigen. Das läßt seine Persönlichkeit als eine im besten Sinne harmonische erscheinen. Hatte er etwas übernommen, so gab er sich diesem mit ganzer Seele hin. Er setzte alle seine Kräfte dafür ein. Aber er wollte niemals die eine Seite seines Berufes durch die andere beeinträchtigen lassen. Er lebte in seinen Forschungen und leistete zugleich als Politiker vom Jahre 1819 bis Ende 1826 das Außerordentlichste. In letzterem Jahre aber fühlte er, daß der Politiker den Forscher in ihm nicht weiter zurückdrängen dürfe. Deshalb wollte er sich in der folgenden Zeit nicht wieder für den Landtag wählen lassen. Er schrieb 1825 an den Vater: »Es ist mein überlegter Entschluß, diesmal keine Wahl anzunehmen. Indem ich die sieben unruhigen Jahre ausgehalten habe, glaube ich, meine Bürgerpflicht in dieser Hinsicht erfüllt zu haben. Auf noch einmal sechs Jahre mich von jedem andern Beruf und Bestimmung auszuschließen, kann nicht von mir verlangt werden, abgesehen, daß mir sonst die Lust und Liebe fehlt, die vor allem zu solchem Wirkungskreise erforderlich ist.« Er hat sich denn auch vorläufig nicht wieder wählen lassen. Um so mehr mußte durch seine Forschungen die Lust zum Lehrberuf in ihm immer größer und größer werden. Lange blieben alle seine Hoffnungen nach dieser Richtung unerfüllt. Im Jahre 1829 entschloß sich endlich die württembergische Regierung auf den Vorschlag des akademischen Senates der Tübinger Universität Uhland zum außerordentlichen Professor der deutschen Sprache und Literatur in seiner Vaterstadt zu ernennen. Er konnte nun in letztere übersiedeln. Seine Vorlesungen gehörten zu den denkbar anregendsten. Alle, die sie gehört haben, waren des Lobes und der Begeisterung voll. Uhland war kein glänzender Redner; er las seine auf den gründlichsten Forschungen beruhenden, wohldurchdachten Ausführungen aus den Handschriften vor. Trotz dieser anspruchslosen Art übte er die tiefste Wirkung. Er hat seinen Zuhörern die Geschichte der deutschen Dichtung im Mittelalter, im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, ferner die Geschichte der Sage und des Mythus bei den germanischen und romanischen Völkern dargeboten. Besonders nutzbringend für seine Schüler wurden »Uebungen im mündlichen Vortrag und schriftlicher Darstellung«, die er einrichtete. Jeder Teilnehmer an denselben konnte sich im Vortrage selbstverfaßter Reden, oder auch im Deklamieren von Gedichten unter Uhlands sorgfältiger Leitung üben oder konnte Aufsätze liefern, die von dem Lehrer einer eingehenden Kritik unterzogen wurden. – Uhlands Vorlesungen sind nach seinem Tode in seinen gesammelten Schriften erschienen. Sie bieten ein vollkommenes Bild seines akademischen Wirkens. Merkwürdigerweise hat er seine Antrittsvorlesung erst im dritten Jahre seines Lehramtes, am 22. November 1832 gehalten. Auch sie findet sich in seinen Schriften. Er behandelt die Sage vom Herzog Ernst, den er damals als Gelehrter ebenso klar und anschaulich zu schildern wußte, wie er ihn früher als Dichter dramatisch dargestellt hat.

Groß war die Freude, welche Uhlands Eltern hatten, als der Sohn wieder in ihre Nähe kam. Doch war diese Freude nur kurz. Im Frühling 1831 erkrankte die Mutter und starb schon am 1. Juni desselben Jahres. Kurz darauf, am 29. August, folgte der Vater. Das herzliche Verhältnis, das den Sohn mit den Eltern verband, kommt in dem Gedichte: »Nachruf« zum Ausdruck, das er ihnen ins Grab nachsandte. Es enthielt die einfachen, aber tiefen Schmerz aussprechenden Zeilen: »Verwehn, verhallen ließen sie den frommen Grabgesang; in meiner Brust verstummet nie von dir ein sanfter Klang.« Und selten hat wohl jemand sein Leid in so eindringliche Worte gebracht, wie diejenigen sind, in welche der Nachruf ausklingt: »Die Totenglocke tönte mir so traurig sonst, so bang; seit euch geläutet ward von ihr, ist sie mir Heimatsklang.«

Nicht lange war es Uhland vergönnt, in einem Berufe zu verbleiben, der wie kein anderer seinem innersten Bedürfnisse entsprochen hätte. Das Volk, dessen Anwalt er in so hingebender Weise jahrelang gewesen ist, forderte aufs neue seine Kraft, als 1832 die Wahl für die im folgenden Jahre einzuberufende Ständeversammlung stattfand. Er wurde zum Abgeordneten für die Landeshauptstadt gewählt und konnte es nicht mit seinem Gewissen vereinen, sich den Forderungen seines Landes zu versagen. Die französische Julirevolution hatte auch in Deutschland die Gemüter tief erregt. Für einen Mann, der, wie Uhland, bereit war, jederzeit für Recht und Freiheit das Leben zu geben, waren wieder wichtige politische Aufgaben vorhanden. Er gehörte in der Kammer zu den Persönlichkeiten, welche sich der gefährlichen Maßregel entschieden widersetzten, durch die der Regierung besondere Befugnisse erteilt werden sollten für Aufrechterhaltung der Ordnung. Da in der Art, wie diese Befugnisse erteilt werden sollten, nach Uhlands und seiner Freunde Meinung in die Rechte des Volkes verletzend eingegriffen wurde, stimmten sie gegen dieselben. Die Folge war eine Auflösung der Kammer und neue Wahlen. Uhland wurde neuerdings in die Volksvertretung berufen. Die Regierung empfand sein Wirken bald unbequem. Man wollte sich des Abgeordneten dadurch entledigen, daß man sagte: er sei an der Universität unentbehrlich und könne deshalb keinen Urlaub zur Erfüllung seiner Abgeordnetenpflichten erhalten. Trotzdem er an seinem Lehramt mit wahrer Liebe hing, war in einem solchen Falle für ihn kein Zweifel, daß er die Neigung den Pflichten gegenüber dem Lande zurücktreten lassen und deshalb seinen Abschied als Professor nehmen müsse. Die Entlassung wurde ihm schon im Mai »sehr gerne« gewährt. Er gab sich nun mit aller Kraft dem Amte des Volksvertreters hin. Eine Reihe wichtiger Gesetzesvorlagen wurde auf seine Anregung eingebracht. Erst im Jahre 1838 zog er sich wieder von diesem Amte zurück.

In den Verfolg seiner Forscherarbeiten hatte die Entlassung aus dem Lehramte keine Unterbrechung gebracht. Er konnte bereits 1836 der Welt seine Studien über den »Mythus von Thor« vorlegen. In der nächsten Zeit wollte er den »Mythus von Odin« in der gleichen Art behandeln, doch ließ er die Handschrift liegen. Sie wurde erst nach seinem Tode veröffentlicht. Beide Arbeiten sind ebenso scharfsinnig wie seelenvoll. Uhland deutete auf die Eigentümlichkeiten der schaffenden Volksphantasie, die eine sinnige Naturanschauung und ein religiös vertieftes Geistesleben in Form des Mythus zum Ausdruck bringt. Ergänzend zu diesen Arbeiten trat die Sammlung deutscher Volkslieder, die ihn bis in die vierziger Jahre hinein beschäftigte. 1844 und 1845 konnte er eine große Anzahl gesammelter Volkslieder veröffentlichen. Er hat dazu eine das Wesen des Volksliedes erklärende Abhandlung geschrieben, die erst aus seinem Nachlaß herausgegeben worden ist.

*

In der Zeit von 1816 bis 1834 hat Uhland nur sehr wenige Gedichte geschrieben. Wenn nicht eine starke innere Nötigung vorhanden war, dann entsagte er jeder dichterischen Tätigkeit. Er gehört zu den Persönlichkeiten, die im strengsten Sinne des Wortes wahr gegen sich selber sind. Er hat sich wohl nie zu einem Gedichte gezwungen. Und da zu ihm die Muse nur zu gewissen Zeiten sprach, so liegen zwischen den Epochen seiner dichterischen Produktion große Zwischenräume. Das Jahr 1834 war nun wieder eine fruchtbare Epoche. Herrliche Balladen und Romanzen gehören dieser Zeit an. »Die Geisterkelter«, »Das Glück von Edenhall«, »Das Singental«, »Die versunkene Krone«, »Die Glockenhöhle«, »Das versunkene Kloster« sind damals entstanden. Daneben dichtete er die Lieder: »Abendwolken«, »Die Lerchen«, »Dichtersegen«, »Maientau«, »Wein und Brot«, »Sonnenwende«, »Die Malve«, »Reisen«.

Die Eigenart Uhland'scher Lyrik erscheint in diesen Dichtungen in abgeklärter Weise. Der gemütvolle Ton der Lieder, die sinnige Anschaulichkeit, der Ausdruck eines reinen, liebevollen Naturempfindens treten in einer äußeren Form auf, die sich bis zur höchsten Künstlerschaft gesteigert hat. Die Balladen sind durchflossen von dem hohen ethischen Kern der Persönlichkeit des Dichters. Das gehört überhaupt zum Wesen von Uhlands Balladen- und Romanzendichtung, daß man immer sein Herz mitschlagen, seine Seele sich freuen und leiden fühlt, wenn er in seiner einfachen, wahren Weise Tatsachen erzählt. Es liegt darin geradezu der Zauber Uhland'scher Dichtung. Er legt auch in seine erzählenden Gedichte sein Innerstes; er sagt immer, was er gegenüber den Dingen und Menschen empfindet. Aber er weiß, indem er seine ureigensten Empfindungen gibt, zugleich doch seine Persönlichkeit hinter der Darstellung zurücktreten zu lassen. Die vollkommene Anspruchslosigkeit eines hochsinnigen Menschen spricht aus seinen Schöpfungen, der sich ganz ausleben darf, weil seine Art immer im höchsten Maße bescheiden und natürlich wirkt. Wenn er über die Dinge redet, so erscheint es, als ob nur die Dinge allein sprächen. Er fühlt so mit der Natur und dem Herzen des Mitmenschen, daß man seinen Empfindungen immer folgt, auch wenn er ganz von seinem persönlichen Standpunkte aus spricht. Es ist nicht zu leugnen, daß durch den Ausdruck der Empfindungen des Dichters die dramatische Lebendigkeit der Erzählung beeinträchtigt wird; aber Uhland spricht sich eben in einer so einfach-wahren, durchaus natürlich wirkenden Art aus, daß man bei seinen Balladen und Romanzen das Ausleben seiner Persönlichkeit nicht als Mangel empfindet. – Und ebenso einfach und groß wie sein Empfinden gegenüber menschlichen Schicksalen und Handlungen ist sein Naturempfinden. Sein Auge blickt mit ernster Lebensfreude auf die Schöpfungen der Welt. Nur selten trifft man bei ihm auf einen Ton des Uebermutes oder der ausgelassenen Fröhlichkeit. Seine Lebensauffassung ist immer darauf gerichtet, das Hoheitsvolle und Harmonische in den Dingen zu sehen. Die Stimmungen der Tages- und Jahreszeiten, die anmutigen und schaudererregenden Seiten in den Naturwerken und Vorgängen entlocken ihm die gleichen anschaulichen Bilder und in die Seele dringenden Töne. Es mischt sich nur selten etwas Sentimentales in seine Gefühle, obwohl diesen eine Weichheit und Milde immer eigen ist. Auch in den Dichtungen, in denen er sein Naturempfinden zum Ausdruck bringt, fließen die Anschauung und der Empfindungsgehalt in ungezwungener Weise ineinander.

*

Immer geringer wurde die Befriedigung, die dem Dichter aus der politischen Tätigkeit floß. Und er mag es wohl wie eine Erlösung empfunden haben, als er den bestimmten Entschluß gefaßt hatte, im Jahre 1838 nicht wieder eine Wahl zum Abgeordneten anzunehmen. Er lebte nun still, zurückgezogen, ganz seinen Forschungen hingegeben, in seiner Vaterstadt. Da hatte er sich 1836 ein eigenes Haus mit einem Garten erworben, von dem ihm ein reizender Blick auf das wunderbare Neckartal vergönnt war. Eine Anzahl von Reisen, nach Oesterreich, nach Süd- und Norddeutschland, brachte Abwechslung in das anspruchslose Gelehrtenleben. Im Jahre 1846 lernte er in Frankfurt am Main Jakob und Wilhelm Grimm, die großen deutschen Sprach- und Sagenforscher, persönlich kennen. – Da kamen die Wirren des Revolutionsjahres 1848. Uhland gehörte in die erste Reihe derjenigen, denen die Brust bebte vor Hoffnungen für eine neue Zeit der Freiheit und des Volksglückes. Auch sein Vaterland wurde von dem Freiheitsdrange ergriffen. Uhlands Freund und politischer Gesinnungsgenosse, Paul Pfitzer, mit dem er manchen Sturm im Landtage gemeinsam durchgekämpft hatte, gehörte dem freisinnigen Ministerium an, das eingesetzt wurde. Daher kam es, daß Uhland aufgefordert wurde, dem Ausschuß beizutreten, der in Frankfurt eine neue Bundesverfassung vorbereiten sollte. Bald darauf wurde er von den Bezirken Tübingen und Rottenburg in die deutsche Nationalversammlung gewählt. Weil er nicht zugleich Abgeordneter des Volkes und Vertreter der Regierung sein wollte, trat er aus dem Ausschuß aus und widmete sich ganz den Verhandlungen der Volksversammlung. Er gehörte der freisinnigen Mittelpartei an. Für einen Mann wie Uhland, der die Lage der Dinge klarer als andere zu überschauen vermochte, mußten die gehegten Erwartungen bald bitteren Enttäuschungen weichen. Er brauchte nicht lange Zeit, um einzusehen, daß die verschiedenen Vorschläge, die zu einer Einigung Deutschlands auf freiheitlicher Grundlage gemacht wurden, nicht viel Aussicht auf Verwirklichung hatten. Bunt durcheinander schwirrten diese Vorschläge: Preußischer Erbkaiser, Direktorium, Wahlkaiser, republikanische Verfassung. Aus all dem, was damals gesprochen wurde, konnte Uhland wenig Mut zum Eingreifen in die Verhandlungen schöpfen. Eine Persönlichkeit, die sich in aussichtslosem Radikalismus gefiel, war er nicht. In ihm lebte neben einem entschiedenen Unabhängigkeitssinn und einer edlen Begeisterung für die Freiheit, doch auch der entschiedene Wille, nur das anzustreben, was nach der Lage der Dinge möglich war. Innerhalb dieses Möglichen trat er allerdings immer für das ein, was seinem Freiheitssinne am meisten entsprach. So gab er am 29. Juni 1848 seine Stimme nicht dem Erzherzog Johann, sondern dem Freiherrn von Gagern für die Würde des Reichsverwesers. Nur selten fühlte er sich gedrängt, als Redner aufzutreten. Wenn er es tat, dann sprach er gewichtige Worte. Sein ganzes Fühlen und Denken prägt sich in den Worten aus, die er am 22. Januar 1849 im Verlauf einer Rede gegen einen Erbkaiser gehalten hat: »Es wird kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einem Tropfen demokratischen Oeles gesalbt ist.« Nach der Zurückweisung der deutschen Kaiserwürde durch den König von Preußen traten die Mitglieder aus der Volksvertretung aus, die an dieser Idee hingen. Der Rest der Volksvertreter siedelte nach Stuttgart über. Uhland harrte im Rumpfparlament aus, trotzdem er gegen dessen Verlegung nach Stuttgart war. Er hielt es doch für seine Pflicht, in der Reihe der Männer zu bleiben, die auch weiter für ihre Ideale kämpfen wollten. In Stuttgart war die Lage von Anfang an die denkbar schwierigste. Die Majorität des Rumpfparlamentes war für die Wahl einer Regentschaft aus fünf Personen zur Leitung des Reiches. Uhland war der Führer der Gegner dieses Beschlusses. Er hatte dabei nur fünf Gesinnungsgenossen. Er versprach sich von einer solchen Form der Regierung nichts. In den folgenden Tagen versuchte die württembergische Regierung, die Sitzungen der Volksvertreter mit militärischer Gewalt zu verhindern, weil diese fünf Millionen als Umlage für die Bildung eines Volksheeres auszuschreiben beschlossen hatten. Uhland wollte sich mit seinen Freunden dennoch zur Sitzung am 18. Juni begeben. Das Militär hinderte sie daran. Sie mußten weichen. Uhland war also einer derjenigen, die den parlamentarischen Kampf in den denkwürdigen Tagen bis zuletzt geführt haben, und die sich sagen konnten, daß sie nur der Gewalt gewichen sind. – Nur noch einmal wurde Uhland, für ganz kurze Zeit, auf den politischen Schauplatz gerufen. Er mußte 1850 an dem Staatsgerichtshof teilnehmen, der über die Regierungshandlungen der Revolutionszeit zu urteilen hatte. Vergeblich ist er auch hier noch einmal für die Rechte des Volkes eingetreten, indem er für die Verurteilung des Ministers des Auswärtigen, Freiherrn von Wächter, eintrat, der wichtige politische Beschlüsse nicht verfassungsgemäß den Ständen vorgelegt hatte.

Von jetzt an lebte Uhland nur mehr seinen wissenschaftlichen und schriftstellerischen Arbeiten. Er gab sich seinen Forschungen über die Sagengeschichte hin und sammelte neuerdings Volkslieder. Dazu kam ein neues Gebiet. Er wollte die Sagen seines eigenen Heimatlandes durcharbeiten. Nur weniges ist ihm gelungen, von diesem Plane auszuführen.

Bis in seine letzten Lebenstage hinein hat sich Uhland die volle Rüstigkeit erhalten, die ihm immer eigen war. Sein häusliches Glück war stets ein ungetrübtes; viele Freude machte ihm die Erziehung zweier Pflegesöhne. Der eine war Wilhelm Steudel, den er als fünfzehnjährigen Knaben in sein Haus aufnahm. Der Vater des früh verwaisten Kindes war Uhlands Freund, der Dekan Steudel in Tübingen. Im Jahre 1848 verlor der Sohn von Uhlands Schwester, die schon 1836 verstorben war, den Vater. Auch der Erziehung dieses Knaben widmete sich Uhland. – Tiefschmerzlich war dem Dichter der im Februar 1862 erfolgte Tod seines alten treuen Freundes Justinus Kerner. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er beim Begräbnisse den Grund zu seiner tödlichen Krankheit durch eine Erkältung gelegt hat. Er konnte sich nach derselben nicht mehr recht erholen und starb am 13. November 1862. – Die in vielen Orten begangenen Trauerfeiern bewiesen, daß man Uhlands Wirken allmählich voll schätzen gelernt hatte. Der Dichter war in den weitesten Kreisen des Volkes geliebt, der Sagen- und Mythenforscher bei den Fachgenossen hochgeschätzt, der Politiker mit dem echt männlichen Unabhängigkeitssinn als ein Vorbild verehrt. Er hatte noch in der letzten Zeit seines Lebens diesen Sinn in seltener Weise bewährt. Im Dezember 1853 wurde er zum Ritter des Ordens pour le mérite ernannt. Er wies die Würde mit den bedeutsamen Worten zurück: »Ich würde mit literarischen und politischen Grundsätzen, die ich nicht zur Schau trage, aber auch niemals verleugnet habe, in unlösbaren Widerspruch geraten, wenn ich die mir zugedachte, zugleich mit einer Standeserhöhung verbundene Ehrenstelle annehmen wollte. Dieser Widerspruch wäre um so schneidender, als nach dem Schiffbruch nationaler Hoffnungen, auf dessen Planken ich geschwommen bin, es mir nicht gut anstände, mit Ehrenzeichen geschmückt zu sein, während solche, mit denen ich in vielem und wichtigem zusammengegangen bin, weil sie in der letzten Zerrüttung weiterschritten, dem Verluste der Heimat, Freiheit und bürgerlichen Ehre, selbst dem Todesurteil verfallen sind.« Diese stolzen Worte richtete er an Alexander von Humboldt, der ihm die Mitteilung von der Auszeichnung machte. Humboldt wandte alles an, um den Dichter doch zur Annahme zu bewegen. Dieser blieb unbeugsam. Auch den vom bayrischen Könige ihm zugedachten Orden für Wissenschaft und Kunst wies er zurück.

*


 << zurück weiter >>