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Fortunat und seine Söhne.

Fragment.

Erstes Buch.

Ihr Wolken, die ihr bunt den Himmel säumet,
Aufsteigt, Gestalten wechselt und vergehet!
Ihr Wellen, die ihr Sterne jetzt beschäumet,
Jetzt tief zum Abgrund stürzt, jetzt neu erstehet!
Ihr Winde, die ihr diese Wellen bäumet
Und jene Wolken durch die Lüfte wehet!
Euch ruf' ich an als Musen: führt zum Ziele
Mein Lied von der Fortuna laun'schem Spiele!

Glück zu! schon sind die Segel aufgezogen,
Von Cyperns Küste stößt das fremde Schiff,
Da zeigt sich noch mit Federspiel und Bogen
Ein schlanker Jüngling auf dem nahen Riff.
Er ruft, er springt hinab, er teilt die Wogen,
Bis er das zugeworfne Tau ergriff:
Mit einem Zug ist er an Bord gerissen
Gleich wie ein Stör, der in die Angel bissen.

Das Schiff, woselbst der Jüngling angeschwommen,
Es war ein guter Venetianer Mast,
Der von Jerusalem zurückgekommen
Und Wasser hier nebst Cyperwein gefaßt.
Gar freundlich ist der Schwimmer aufgenommen,
Man drängt sich um den wunderlichen Gast;
Da setzt er ruhig sich auf eine Tonne
Und spricht also, sich trocknend an der Sonne:

»Ihr guten Herren, die ihr jetzt mein Ohr
Mit Fragen täubet und mein Kleid zerzauset,
Wißt denn! mein Vater ist Herr Theodor,
Der dort in Famagustas Mauern hauset.
Er war der reichste Bürgersmann hievor,
Die Freunde haben ihm sein Gut verschmauset.
Frau Graziana, die geehrte Dame,
Ist meine Mutter, Fortunat mein Name.

»Nun denkt ihr leicht (und ich bekenn' es ehrlich),
Daß mir's daheim nicht sehr behagen mochte,
Für Durst zu trinken und zu speisen nährlich,
Wo man vordem zahllosen Gästen kochte.
Ermunternde Gesellschaft fand sich spärlich,
Wenn nicht ein Gläubiger zuweilen pochte;
Noch minder taugten, mich zu unterhalten,
Der Mutter Sorgenblick, des Vaters Falten.

»Mein einzig Labsal blieb die Jägerei;
Und ward bei rings verhegtem Königsforste
Mir nie ein Wild mit stattlichem Geweih,
Viel weniger ein Tier mit stolzer Borste,
Ein Vogel kaum, mit hungrigem Geschrei
Hintaumelnd um die dürren Klippenhorste:
Doch tat mir's gut, auf Felsen und in Klüften
Umherzuklettern und die Brust zu lüften.

Und heute sah ich just aus meiner Wüste
Das Schiff die Segel ungeduldig schwellen,
Da faßte mich ein plötzliches Gelüste,
Der reisemut'gen Schar mich zu gesellen.
Gedacht, getan! ich rannte flugs zur Küste,
Ein sichrer Schwimmer, sprang ich in die Wellen.
Fleug, Falke, nun nach Süden oder Norden!
Dein Jäger ist ein freier Seemann worden.

»Ach, eines fällt mit einmal mir aufs Herz:
Hin fuhr ich, ohne nur Valet zu sagen.
Oft mahnt' ich zwar die Eltern, halb im Scherz:
›Viel Glück ist in der Welt noch; laßt mich's wagen!‹
Dennoch trifft unerwartet sie der Schmerz.
Mir ist, als hört' ich die Verlaßnen klagen;
Die Mutter sonderlich, die gute Mutter,
Sie weint so leicht, sie hat ein Herz wie Butter.

»Weil's aber nun geschehn und schon die Zinnen
Von Famagusta fern hinabgetaucht,
So muß ich jetzt auf andre Dinge sinnen,
Denn blutt und bloß bin ich hieher gehaucht.
Durch Herrendienst möcht' ich mein Brot gewinnen.
Ist keiner hier, der einen Diener braucht?
Manch edeln Ritter seh' ich ja im Kreise,
Ich dient' ihm wohl, daheim und auf der Reise.«

Er sprach's und ließ die Blicke forschend wandern,
Bis sie auf einem festgeheftet blieben:
Das war der edle Graf Hubert von Flandern,
Der sich auf frommen Fahrten umgetrieben.
Ansehnlich stand er da vor allen andern
(Wohlwollen war dem Antlitz eingeschrieben),
Und leicht verstehend unsres Jünglings Auge,
Sprach lächelnd er: »Schlag ein, wenn ich dir tauge!

»Denn sind wir nicht ein seltsames Gespann,
Nach Sinn und Neigung ganz und gar verschieden?
Du reißt dich eben aus der Heimat Bann
Und willst in weiter Welt ein Glück dir schmieden;
Dagegen ich ein reisemüder Mann,
Der nach den Stürmen Ruhe sucht und Frieden,
Der sehnlich wünscht, nach mannigfachen Fährden
Zum Port des Ehstands eingelotst zu werden.«

»Ein Port die Ehe!« rief der Narr des Grafen
(Er war zum heil'gen Grabe mitgefahren),
»So möge doch vor solchem Ruhehafen
Der Himmel jeden Biedermann bewahren!
Ein Meer ist sie, des Wellen nimmer schlafen,
Drauf ewig sich die tollen Stürme haaren,
Ein falsches Meer, ein wildes Meer, Eur Liebden,
Ein höllisch Meer voll Scyllen und Charybden.

»Zwei Dinge brachten mich zu dem Entschluß,
Den frischen Leib der Seefahrt preiszugeben:
Das eine war der Andacht Ueberfluß,
Die Sehnsucht, an dem heil'gen Grab zu kleben;
Das andre war der tägliche Verdruß,
Der mir geblüht im lieben Eheleben.
Nie hat dies Schiff im Sturme so geschwanket,
Wie unser Häuschen, wenn mein Weib gezanket.«

Doch laßt uns, was der Schalksnarr weiter spricht,
Mit einer Göttin Selbstgespräch vertauschen!
Seht ihr die neckische Fortuna nicht
Aus jener goldnen Wolke niederlauschen?
Sie schaut das Schiff im heitern Morgenlicht,
Sie hört die muntern Ruderschläge rauschen;
Denn wird ein Anker irgendwo gelichtet,
Dahin ist gleich Fortunens Blick gerichtet.

»Ha,« spricht sie, »fahre wohl auf schwankem Kiel!
Fahr wohl, mein Fortunat, du goldner Knabe!
O Heil mir, daß hieher mein Auge fiel,
Wo längst Gesuchtes ich gefunden habe!
Du Vogelfreier, sei mein lustig Spiel!
Dich werd' ich redlich tummeln bis zum Grabe,
Dich werd' ich, meine Macht an Tag zu legen,
Durch Lust- und Trauerspiele frisch bewegen.

»Durch Trauerspiele, ja! wenn gleich die Dichter
Als Zufall in das Lustspiel mich gebannt.
Sie ziehen, traun, so wichtige Gesichter,
Wie zum Verwaltungsrat der Welt ernannt.
Und vor dem Stuhle dieser ird'schen Richter
Werd' ich für blind, für ungerecht erkannt.
Bedachte keiner denn, daß mit der Binde
Die strenge Dike selbst ihr Aug' umwinde?

»Ein Wesen haben sie nun ausgesonnen
(Verhängnis heißt es), finster, rätselhaft;
Bereiteste Rechtspfleg' ist hier gewonnen,
Wie bei der Feme dunkler Brüderschaft;
Ein Mord ist, eh' drei Stunden hingeronnen,
Beredt, verübt, gerichtet, abgestraft.
Was ist's? wo ist es denn? Man sagt dem Volke:
›Gafft nur hinauf und seht die schwarze Wolke!‹

»Kein Wunder denn, daß längst ich meine Gunst
Der überweisen Dichterzunft entzogen.
Nach Brote ging von jeher alle Kunst,
Den Dichtern wird's am kargsten zugewogen;
Doch nähren sie ja gerne sich vom Dunst
Und weiden sich am bunten Regenbogen.
Ist einem alles Lebensglück verdorben,
Geduld! man ehrt ihn schön, wenn er gestorben.

»Zwar hat soeben einer von der Gilde
Ein Lied, das mir geweiht ist, angehoben;
Doch wenig Gutes führet er im Schilde,
Drauf deuten schon die wunderlichen Proben.
Auch war ich seither ihm nicht allzu milde,
Und wenig Ursach' fand er, mich zu loben;
Drum bind' ich ihm noch fürder so die Hände,
Daß er es mühsam oder nie vollende.

»Mein Fortunat, von welchem ungesehen
Und ungehört ich hier in Wolken hange,
Du wirst, ich hoff's, dich nie zum Dichter blähen,
Sonst wär' es mir um unsre Freundschaft bange;
Ein Liedchen höchstens kann ich zugestehen,
Das man vor Frauen singt zum Lautenklange.
Nimm alles leicht! das Träumen laß und Grübeln!
So bleibst du wohlbewahrt vor tausend Uebeln.«

Mit diesen inhaltschweren Götterworten
Sag' ich von anderem Bericht mich ledig;
Nichts von der Anfahrt in so manchen Porten,
Nichts von beglückter Landung in Venedig,
Nichts von dem Eintritt in die Gent'schen Pforten,
Nicht, wie der Graf, dem Jüngling mehr als gnädig,
So stattlich ihn beritten macht und kleidet,
Daß ihn die ganze Dienerschaft beneidet.

Auch von des Grafen festlicher Vermählung
Mit einer herzoglichen Braut von Cleve
Erspar' ich mir, wie billig, die Erzählung;
Kein Lorbeer grünet hier für meine Schläfe.
Erst als die Lust gehetzt bis zur Entseelung,
Der Freudenkelch geleert bis auf die Hefe,
Erst nach der Ritterfeste vierzehn Sonnen
Hat, was zu melden sich verlohnt, begonnen.

Wann schon der Schnitter Fleiß in vollen Schwaden
Des Sommers goldnen Segen hingebreitet,
Wann schon die Erntewagen, hoch geladen,
Hinfahren, von Gesang und Klang begleitet:
Ist auf der Stoppelfelder öden Pfaden
Der Aehrenlese magres Fest bereitet;
O gieriges Gewühl zerlumpter Knaben,
Barfüß'ger Mädchen, heischrer Krähn und Raben!

So auf den Plan, der vom Turnei der Ritter
Zerwühlt ist und umwölkt mit Staub und Dampf,
Wo abgeknickte Büsche, Lanzensplitter,
Schildtrümmer zeugen von dem heißen Kampf,
Wo rings zerquetscht die Schranken und die Gitter
Von wilder Rosse mächtigem Gestampf:
Dorthin berufet nun zum Nachgefechte
Trommetenschall die Knappen und die Knechte.

Wohl nennt uns der homerische Gesang
Die Völker und die Häuptlinge des breiten,
Die hier vom Strand aufziehn im Donnergang,
Die dort aus Trojas Mauern niederschreiten;
Mich aber spornet kein vermeßner Drang,
Mit solchem Meister um den Kranz zu streiten;
Drum meld' ich kurz die Männer und die Rotten,
Die zum Turniere traben oder trotten.

Des Vorsaals und des Stalles edle Stämme,
Man sieht sie allesamt zu Gaule steigen;
Wer je ein Roß geritten in die Schwemme,
Der will sich heut als wackern Renner zeigen.
Der Meister Kellner auch ist keine Memme,
Gevatter Koch ist keiner von den Feigen;
Selbst der noch jüngst den Bratspieß mußte wenden,
Er sprengt heran, den Lanzenschaft in Händen.

Und keinen dieser Tapfern soll man schelten,
Erscheint er nicht sogleich beim ersten Ruf;
Denn widerspenst'ge Rosse sind nicht selten,
Und manche gibt's, die Gott sehr träge schuf.
Auch muß ja alles heut für Streitroß gelten,
Was irgend Mähne zeigen kann und Huf,
Zieht schon ein Ohr sich merklich in die Länge;
Die Wappenschau ist heut nicht allzu strenge.

Ein hölzern Männlein, wunderlich geschmückt,
Ist aufgestellt vor all den kühnen Recken,
Ein Männlein, in die Stellung hingebückt,
Die hinter Zäunen heimisch ist und Hecken;
Durch innere Gewerke vorgedrückt,
Entfallen Münzen in ein klingend Becken.
Je länger sie den Preis sich streitig machen,
Je reicher stets wird er dem Sieger lachen.

Nach diesem segenschwangern Bilde blickt
Mit heißer Sehnsucht manch ein armer Knappe.
Wen aber mehr die edle Ruhmgier zwickt,
Dem winkt ein goldnes Diadem von Pappe,
Rings von Kapaunenfedern bunt umnickt,
Ein Mittelding von Kron' und Narrenkappe.
Nichts Seltsames noch Aermlichs hegt die Erde,
Drum nicht geworben und gehadert werde.

Als nun zum Angriff die Trommete schallt,
Da kommt's von allen Seiten hergeschossen;
Mit Schwertern, Kolben, Lanzen, neu und alt,
Wird dreingehauen, geschlagen und gestoßen.
Das pfeift und zischt, das schmettert und das prallt
Die Kreuz und Quer', wie Hagelsturm und Schloßen,
Und als am tollsten sich gewirrt der Knäuel,
Verhüllet dichter Staub den ganzen Greuel.

Doch wie aus düstrem, nebelschwerem Himmel
Mit flücht'gem Schimmer blickt ein Sonnenstrahl,
So bricht aus jenem stäubenden Gewimmel
Der schmucke Fortunatus manchesmal;
Er tummelt meisterhaft den raschen Schimmel,
Er glänzt in bunter Tracht und blankem Stahl;
Recht ritterlich erscheint er, fest und munter,
Bald taucht er auf, bald wieder taucht er unter.

Zuletzt, als sich der wilde Lärm gelegt
Und nun das dichte Staubgewölke sinkt,
Da sieht man erst, was sich am Boden regt,
Wie mancher kraftlos dort um Hilfe winkt,
Auch manchen, der nach seinem Rosse frägt,
Und manchen, der beschämt vom Platze hinkt;
Nur Fortunat sitzt aufrecht in den Bügeln,
Und »Sieger, Sieger!« hallt's von allen Hügeln.

Seit dieses Tages wohlerworbnen Kränzen
Hält ihn der Graf noch werter als zuvor;
Vor allen andern soll der Jüngling glänzen,
Er steigt zum ehrenvollsten Dienst empor,
Beim Mahle darf er den Pokal kredenzen,
Die Schlüssel wahrt er zu des Burghofs Tor,
Man sendet ihn, zu laden hohe Gäste,
Er folgt dem Herrn zum Jagen und zum Feste.

Und will die Gräfin oft an Regentagen
Sich selbst und ihren Fraun Kurzweil bereiten,
So heißt sie ihn die griech'sche Zither schlagen
Und Heimatliedchen singen in die Saiten.
Auch gibt's von Cypern mancherlei zu fragen,
Von Frauentracht und andern Seltsamkeiten;
Er sagt's in bösem Deutsch, doch zierlich immer;
Von hellem Lachen hallen dann die Zimmer.

Je reicher ihm die Gnade zugemessen,
Je gift'ger schwillt der andern Diener Neid;
Zumal dem Narren will's das Herz zerfressen,
Verschmäht zu sein wie ein verbrauchtes Kleid;
Denn niemand horchet jetzt den frost'gen Späßen
Von bösen Weibern und von Eheleid.
Wie könnten sie dem neuen Paare munden
In seiner Ehe goldnen Flitterstunden?

Es war an einem Abend in der Schenke,
Schon zog die ernste Mitternacht ins Land,
Schon leerten mählich sich die meisten Bänke,
Nur eine Kameradschaft hielt noch stand;
Doch lehnt sich, müd von Zechen und Gezänke,
Der auf den Tisch und jener an die Wand;
Die Lampe hängt ersterbend von der Decke,
Da hebt der Narr sich an des Tisches Ecke:

»Nicht mehr verbeiß' ich diesen herben Kummer,
Maulhenker ihr, Schlafmützen, Memmen, Tröpfe!
Erwacht einmal aus eurem dumpfen Schlummer,
Ehrlose, sinnverlassene Geschöpfe!
Geschehn nicht Dinge, schreien möcht' ein Stummer?
Ihr aber schweigt dazu und kratzt die Köpfe.
Hat sich die Welt so wunderbar verwandelt,
Daß nur der Narr noch denkt und spricht und handelt?

»Der Fremdling, den wir aus dem Meer gezogen
(Viel besser hätten wir ihn drin versenkt),
Der unsern Herrn beschmeichelt und belogen,
Der unsre Frau am Narrenseile lenkt,
Der um den Kampfpreis schmählich uns betrogen
(War doch die beste Rüstung ihm geschenkt!):
Den seht ihr uns verdrängen, uns zernichten,
Und keiner wagt, sich männlich aufzurichten?

»Merkt auf! Mir schieße jeder dritthalb Taler,
So schaff' ich den Verhaßten euch vom Ort,
Das Doppelte gelob' ich jedem Zahler,
Ist jener nicht in dreißig Tagen fort.
Ihr gafft mich an, ihr wähnt, ich sei ein Prahler;
Nein, Freunde, Narrenwort ist auch ein Wort.
So eilig soll er aus dem Lande jagen,
Als wollt' er mit dem Sturm die Wette wagen.«

Noch war der scharfe Redner nicht am Ende,
Als jeder schon entflammt vom Sitze fuhr;
Die Gläser wirft man jubelnd an die Wände,
Und mancher trägt des Eifers blut'ge Spur;
Dann reichen sie zum Bunde sich die Hände,
Gleich der Versammlung, die im Rütli schwur;
Die Glocke kündet zwölf mit dumpfem Schalle,
Die Lamp' erlischt, nach Hause taumeln alle.

Von dieser Zeit an wirbt der lust'ge Rat
Um unsres Jünglings Neigung und Vertrauen.
O Fortunat, mein teurer Fortunat,
Du machst mir bang, du hast's mit einem Schlauen.
Nicht wahr, er dienet dir mit Rat und Tat,
Führt dich zu gutem Wein und schönen Frauen?
Er lobt dich, nennt dich einen schmucken Ritter?
Wohl weiß er, solche Rede schmeckt nicht bitter.

Und seltsam! was das traute Paar verzehrt,
Der Narr bezahlt die Zeche stets von beiden;
So sehr der ehrenhafte Jüngling wehrt,
Er kann es doch am Ende nie vermeiden.
Den andern dünkt das alles höchst verkehrt:
»Will er ihm so den Aufenthalt verleiden?
Wär' Fortunatus noch auf Cyperns Küste,
Er käme flugs, wenn er solch Leben wüßte.«

Einsmals (zur Ruhe war die Herrschaft schon;
Der Jüngling war noch auf der Kammer wach),
Da hört' er draußen leisen Seufzerton,
Und bebend trat der Narr in das Gemach:
»O Fortunat, mein armer, liebster Sohn,
Ach, Fortunat, mein süßer Liebling, ach,
Beschlossen ist's, es schaudert mir die Haut;
Mein Freund, der Kanzler, hat mir's selbst vertraut.

»Ach, du begreifst mich nicht; ich muß mich fassen,
Eh' die Gefahr noch enger dich umstrickt.
O Freund, es hätte längst sich merken lassen,
Daß Eifersucht an seinem Herzen pickt.
(Auch mochte wohl die Gräfin dich nicht hassen,
Sie hat dem Sänger freundlich oft genickt.)
›Ja,‹ schwur der Graf, ›ich schaff es nächster Tage,
Daß er viel zärter noch die Triller schlage.‹

»Der Siegesschmuck mit Federn von Kapaunen
Ward dir zu schlimmem Zeichen aufgesetzt.
Und morgen schon! ich hört' es deutlich raunen,
Die Stunde naht, das Messer ist gewetzt.
Statt deiner trug ich oft der Herrschaft Launen;
Wie gerne doch verträt' ich dich auch jetzt!
Und tät' ich's nicht zur Freundschaft dem Genossen,
Doch tät' ich's meinem Ehgespan zum Possen.

»Zwar wenn es dir nicht allzu schrecklich wäre,
Geduldig dich zu fügen der Gewalt:
Du lebst an unsrem Hof in hoher Ehre,
Und nirgends triffst du besseren Gehalt;
Auch trocknet Freundeshand ja manche Zähre,
Wenn jemals ich für einen Freund dir galt ...
Allein ich seh', du bebst an allen Gliedern;
Auf solche Antwort läßt sich nichts erwidern.

»So höre denn ein Mittel, das dich rette!
Ein guter Engel flüstert's mir ins Ohr.
Frühmorgens, wenn man läutet in die Mette,
Erschließet sich zuerst das Nordertor;
Dann, Teurer, hebe schleunig dich vom Bette
Und, wie zur Jagd gerüstet, reit hervor!
Bist du hinaus, dann laß dein Roß sich strecken!
Des Himmels Heere mögen dich bedecken!«

Er spricht's, und des Erschrocknen bleiche Wange
Küßt er mit Judaskuß und schleicht nach Haus.
Dem neuen Attis ist's so herzensbange,
Bald überläuft ihn Glut, bald kalter Graus.
Die längste Nacht, sie währt' ihm nie so lange,
Verzweifelnd blickt er nach dem Morgen aus;
Noch immer lächelt wie mit kaltem Hohne
Die keusche Luna nach dem Schmerzenssohne.

Mich selbst, den Dichter, überschauert's leise,
Ist gleich der ganze Lug mir aufgedeckt;
Denn sollte Fortunat so schnöder Weise
Gestümmelt werden, wie der Narr ihn schreckt,
So stürbe mir an meinem Lorbeerreise
Manch edles Blatt, das noch im Keime steckt,
So könnte mein Gesang ja nur ertönen
Vom Fortunat und nicht von seinen Söhnen.

Horch'! was vernehm' ich? Hallet nicht Geläute?
Er ist's, der Mettenglock' ersehnter Klang.
O heller Laut, wie oft beriefst du Bräute,
In Lust erschreckende, zum Tempelgang!
Doch, wie dem angstgequälten Jüngling heute,
So süß erklangst du nie, so freudig bang.
Kaum heben sich des Tores Gatterbalken,
Er sprengt geduckt hinaus mit Hund und Falken.

Und als nun hinter ihm die Mauern ragen,
Da fliegt er über Hecken hin und Gräben;
Die Dogge meint, den schnellsten Hirsch zu jagen,
Der Falke meint, in Sturmgewölk zu schweben,
Der Reiter nur will über Trägheit klagen
Und hört nicht auf, den heißen Sporn zu geben.
Entfiel ein Aug' ihm in der großen Eile,
Es aufzuheben, nähm' er sich nicht Weile.

Die Meeresflut, unendlich hingegossen,
Sie setzet erst der wilden Flucht ein Ziel;
Doch eben will ein Schiff vom Strande stoßen,
Er dingt sich ein um wenig oder viel.
Zurück noch schickt er seine Reis'genossen,
Den Schimmel samt dem Hund und Federspiel.
Hin fährt das Schiff. Wohin? Ich kann's nicht sagen;
Vergaß ja doch der Flüchtling selbst, zu fragen!

So ging's dem Jüngling in den Niederlanden.
Ich malte treu und redlich die Geschichten,
Auch etwas niederländisch, sei's gestanden!
Man muß sich nach des Landes Weise richten,
Wie in Getränken, Speisen und Gewanden,
So manchmal auch im Malen und im Dichten.
Wird unser Schiff nach China hingeweht,
Mal' ich chinesisch euch, so gut es geht.

Und will mich dennoch der und jener schmälen,
Daß ich sein feineres Gefühl beleidigt,
So hört denn, ekle Ohren, zarte Seelen,
Ein Wörtchen noch, das mich gewiß verteidigt!
Die Wahrheit darf ich nimmermehr verhehlen,
Dem altehrwürd'gen Buch bin ich vereidigt.
Sollt' ich an ihm das Schmähliche vollziehen,
Dem unser Held meerüber muß entfliehen?

Zweites Buch.

Wirf ab, mein Lied, den niederländ'schen Schuh
Und schnalle den Kothurn dir an die Sohlen!
Der herrischen Fortuna pflichtest du,
Und diese hat ein Trauerspiel befohlen;
Aus Wolken sprach sie den Prolog dazu,
Und nicht beliebt's ihr, ihn zu wiederholen.
Tritt auch der Held nicht alsbald auf die Bretter,
Noch blieb er unversenkt von Sturm und Wetter.

Der Schauplatz unsres Stückes ist zu London,
Die Zeit – ich dächte wohl, im Februar;
Denn welcher rühmet sich von allen Monden,
Daß er dem Trauerspiele günst'ger war?
Doch meine Göttin schüttelt ihre blonden
Stirnlocken, fürder deutet sie ins Jahr:
Den wechselnden April hat sie erkoren;
Ihr Dichter selbst ist im April geboren.

Zu London also war ein Kaufmann sässig,
Roberto, von toskanischem Geschlechte.
Von Jugend auf bedacht, arbeitsam, mäßig,
Hatt' er besiegt die kargen Schicksalsmächte;
Noch jetzo warb und schafft' er unablässig,
Streng hielt er seine Schreiber, seine Knechte.
In Strömen kam ihm der Gewinst geflossen,
Doch nahm er auch den kleinen gern zum großen.

Als dieser einst am Pulte saß und sann,
Hört' er im Gange draußen rasche Tritte;
Es klopft, und eh' er Antwort geben kann,
Steht ihm der Gast schon in des Zimmers Mitte,
Ein langer, hagrer, frühverzehrter Mann,
Nach Farb' und Wuchs und Kleidertracht kein Britte;
Die dunkeln Augen läßt er kecklich schweifen,
Und was er ansieht, scheint er zu ergreifen.

»Andreas Rodio bin ich genannt,«
So spricht er, »von Florenz, wie Ihr, entsprossen.
Mein Vater Lukas ist Euch wohlbekannt;
Er rühmt sich Eurer Jugendzeit Genossen,
Hat gute Seidenwar' Euch stets gesandt
Und Euch getreulich ins Gebet geschlossen.
Bei der Bewandtnis darf ich mich erfrechen,
Um einen Freundesdienst Euch anzusprechen.

»Ein edler Lord ist zu Turin gefangen,
Des kläglich Schicksal mir das Herz bewegt.
Dem armen Manne war es beigegangen,
Daß er sich eine Sammlung angelegt,
Nicht von Zwiefaltern, Steinen, Muscheln, Schlangen,
Noch andrem, was man sonst zu sammeln pflegt,
Nein, wie die Briten stets Besondres freute,
Von Rechnungen der Wirt' und Handelsleute.

»Seit Monden schmachtet er in Block und Eisen
Ob dieser Neigung für das Ungemeine.
Nun kam ich jüngst dorthin auf meinen Reisen
(Ich kaufte dort verschiedne Edelsteine),
Da ließ ich mir das Sehenswürd'ge weisen,
Die Kirchen, Klöster, heiligen Gebeine;
Und durft' ich wohl den Schuldturm übergehen,
Wo jene seltne Sammlung ist zu sehen?

»Als Kenner hatt' ich bald mich überzeugt,
Sie halt' im Werte vierzehntausend Kronen;
Den Sammler aber fand ich tiefgebeugt
(Er konnte nicht der dumpfen Luft gewohnen),
Und wie mich leicht das Mitleid überfleugt,
So schwur ich, keinen Fleiß für ihn zu schonen;
Und nennt mich einen Schurken, wenn ich raste,
Bis ich der leid'gen Fesseln ihn entlaste!

»Geloben mußt' ich noch am Abschiedstag,
Nicht ganz umsonst die Sache zu betreiben;
Auch will er gerne dreifach den Betrag
Von dem, was ihm geliehen wird, verschreiben.
›Roberto,‹ sprach er, ›weiß, was ich vermag;
Der wird gewiß nicht ungerühret bleiben.‹
So bin ich vor Roberto denn getreten;
Er sei um diesen Liebesdienst gebeten!«

Glaubt nicht, daß mit demütiger Gebärde
Andreas diese Worte vorgebracht!
Hält er nicht, wie der Bettler mit dem Schwerte,
Mit scharfem Blick den Handelsfreund bewacht?
Doch dieser ist der kältste Mann der Erde,
Und nie empfand er noch der Blicke Macht;
Geruhig spricht er, einen Brief entfaltend
Und ihn dem Fremdling vor die Augen haltend:

»Mit diesem Schreiben ward ich heute morgen
Von Eurem Vater aus Florenz beehrt.
Herr Lukas ist um Euch in großen Sorgen,
Weil Ihr auf Reisen Geld und Gut verzehrt;
Er warnt mich, Euch das mindeste zu borgen,
Wenn Ihr vielleicht hieher den Flug gekehrt;
Auch schrieb er so nach vielen Handelsplätzen,
Um sich und andre aus Gefahr zu setzen.

»Gleichwohl gesteh' ich, daß mir wohl gefällt,
Was Ihr betreibt; es ist ein gut Geschäfte.
Der edle Lord, von dem Ihr vor gemeld't,
Erlangt noch einst durch reiches Erbgut Kräfte.
Ich werde zahlen, wenn Ihr Bürgen stellt,
Es fehlt Euch nicht, faßt Ihr's am rechten Hefte;
Er hat Verwandte, die ihm helfen können;
Der König selber wird ihm Gutes gönnen.«

Andreas eilt zu Vettern und Gevattern
(Sie sind die Reichsten auf der reichen Insel);
Er spricht von faulem Stroh und gift'gen Blattern,
Er schildert des Verlassenen Gewinsel,
Er malt ihn halbverzehrt von grimmen Nattern,
Er taucht in jeden Höllengraus den Pinsel;
Vergeblich! alle Kunst ist hier verschwendet:
»Der König helfe! Der hat ihn versendet.«

Der König helfe! Nach der Hofburg schreitet
Andreas; vor den Kämmrer tritt er hin:
»Britannia,« ruft er, »Schmach ist dir bereitet,
Dein Bote liegt im Kerker von Turin.
Siehst du, wie er nach dir die Arme spreitet,
Und hast du keinen Schilling mehr für ihn?
Der Pöbel sammelt sich vor seinem Gitter
Und jubelt: ›Seht doch Sankt Georg, den Ritter!‹«

Der Kämmrer drauf: »Mein Lord muß sich gedulden;
Es hilft ihm nichts, wenn er die Haare rauft;
Er macht zu großer Unzeit seine Schulden,
Kein überflüssig Gold ist hier gehauft;
Der schöne Brautschmuck kostet manchen Gulden,
Den unser König seiner Schwester kauft.
Herr Edmund, der den teuren Schatz verschließet,
Der zeig' es Euch, wohin das Geld uns fließet!«

Geziemt' es, Höll' und Himmel zu vergleichen,
So spräch' ich: »Wie ein heller Sternekranz
Hervortritt, wenn die Wolken plötzlich weichen,
So dem Andreas jener neue Glanz.«
O armer Lord, wie muß dein Bild erbleichen!
Der Brautschmuck füllet ihm die Seele ganz,
Und gierig nach dem kostbarn Augenschmause,
Eilt er die Straße hin zu Edmunds Hause.

Der Ritter Edmund war ein frommer Christ,
Doch hatt' er nicht das Leibliche vergessen.
So war er eben auch zu jener Frist
Mit Frau und Kindern an den Tisch gesessen,
Und wie er immer gut und freundlich ist,
So bittet er den Fremden gleich zum Essen.
Wie auch der ungeduld'ge Gast sich wehret,
Er muß erst speisen, was der Herr bescheret.

Einstweilen doch beginnt er zu erzählen
Und gibt dem Wirte sein Begehren kund;
Er nennt sich einen Händler in Juwelen
Und führt die schönsten auf dem Erdenrund;
Er hat gehört, der König will vermählen
Die Schwester an den Herzog von Burgund;
Auch von dem Brautgeschenk hat er vernommen;
Zu sehn, zu handeln, ist er hergekommen.

»Das soll geschehn, das soll geschehn nach Tische.
Warum verschmäht Ihr so mein häuslich Mahl?
Entdeckt Ihr nichts, was Euch den Gaumen frische?
Ihr nehmt vom Rebhuhn nicht und nicht vom Aal.«
Doch jener denkt an Vögel nicht, noch Fische,
Und jede Schüssel bringt ihm neue Qual,
Bis endlich, nach gesprochnem Tischgebete,
Der Wirt zu holen geht das Brautgeräte.

So wie ein Faun vom buschigen Gestade
Mit brünst'gen Blicken nach der Nymphe späht,
Die sich entkleiden will zum kühlen Bade
Und bald in offner Fülle vor ihm steht:
So blickt der Florentiner nach der Lade,
Daran Herr Edmund jetzt den Schlüssel dreht;
Und als es nun an dem, sie aufzudecken,
Da zittert ihm das Herz vor Lust und Schrecken.

Wie blitzen der Demanten helle Sonnen!
Wie spielen farbig all die edeln Sterne!
Und Perlen, Nereus' Töchtern abgewonnen,
Und schönes, blankes Gold vom reinsten Kerne!
Gleich wie, in der Gedanken Meer zerronnen,
Ein Seher aufblickt zur gestirnten Ferne,
So dem Andreas am Juwelenschranke
Verirrt ins Grenzenlose der Gedanke:

»Ich schaue hin und schaue hin aufs neue;
Es ist der Erde Gott, was vor mir liegt.
Vor diesem Zauber weicht die fromme Scheue,
Und des Gewissens Zweifel ist besiegt,
Von ihm bezwungen wird des Weibes Treue,
Von ihm des Mädchens Unschuld eingewiegt;
Solch einen Talisman an jedem Finger,
Du bist ein Fürst, du bist ein Weltbezwinger.

»Und mußt' ich so die schönste Zeit verschwenden,
Die Kraft der Jugend, mit unwürd'ger Tat!
Was hieß es, falsche Wechsel auszusenden,
Die man beim ersten Blick mit Füßen trat?
Verliebte Witwen um ihr Gut zu pfänden?
O leichtes Spiel! o kindischer Verrat!
Kommt mir der wahre Sinn so spät zur Reife,
Daß ich erst jetzo nach dem Höchsten greife?

»Nur weil ihr pranget mit den Diademen,
Ihr Fürsten, seid ihr Herrscher dieser Zeit;
Wird man euch diese Zier vom Haupte nehmen,
So weicht die Blendung eurer Herrlichkeit.
Ein Schatten ist der Mensch, ein trüber Schemen,
Wenn ihm das Gold nicht seinen Schimmer leiht;
Ich aber will mich schwingen aus dem Dunkeln;
Der Schmuck ist mein, ein König werd' ich funkeln.«

So führ' er fort, zu träumen und zu rasen,
Da fragt Herr Edmund: »Nun gesteht mir frei!
Was denkt Ihr von den feurigen Topasen?
Was von dem großen Diamantenei?
Was hier von den milchweißen Perlenblasen?
Und habt Ihr selber was, das schöner sei?«
Der Fremdling spricht: »Ich werd' Euch meines weisen,
Beliebt es morgen Euch, mit mir zu speisen.«

Drauf kehrt Andreas zu dem Gastfreund wieder
Und ist der angenehmsten Botschaft voll:
Ein Mann hat sich gefunden, fest und bieder,
Der für den Sammler sich verschreiben soll;
Auch singet er dem Kaufherrn feine Lieder
Von sichrer Bürgschaft auf des Königs Zoll:
»Schafft morgen nur ein stattlich Mahl! denn wisset,
Daß unser guter Bürge mit uns isset!«

Roberto rüstet stattlich seine Küche.
Der Gast erscheinet mit dem Stundenschlag;
Er wittert ferne schon die Wohlgerüche,
Sie künden ihm ein treffliches Gelag.
Man ißt, man trinkt, man bringt sich gute Sprüche,
Und jeder denkt im Herzen, was er mag;
Doch ist's verpönet, daß kein Wort entwische
Von dem Geschäft. »Nach Tische das, nach Tische!«

Als nun der Gast die Mahlzeit eingenommen
Und manches Glas genippt vom edeln Wein,
Da sieht man recht, wie es ihm wohl bekommen;
Denn freundlich wie ein Engel blickt er drein.
Das innige Behagen dieses Frommen,
Es rührte wohl ein Herz von Kieselstein.
Andreas aber naht sich ihm gesellig:
»Zur Sache nun, Herr Ritter, wenn's gefällig!«

Nicht ahnt der Arme, wie man ihn beliste;
Er dankt für alles, was er Guts genoß,
Und kindlich froh, als ging's zum heil'gen Christe,
Folgt er dem Schalk ins obere Geschoß.
Dort steht in öder Kammer eine Kiste;
Schon öffnet sich das wohlverwahrte Schloß,
Herr Edmund beugt sich hin, so sieht er's besser;
Da fährt ihm ins Genick des Welschen Messer.

Drauf nimmt der Mörder dem entseelten Gast
Den Daumenring, womit er sonst gesiegelt,
Reißt ihm vom Gurt die Schlüssel, und mit Hast
Entweichet er, nachdem er fest verriegelt.
Du aber, Edmund, hättest dich im Glast
Der eiteln Erdenschätze gern gespiegelt:
Wie ist dir, als mit einmal sich verbreiten
Vor deinem Blick des Himmels Herrlichkeiten?

Der Mörder rennt hinab ins Haus des Toten,
Wo er die Frau, nun Witwe, so verständigt:
»Herr Edmund sendet mich als seinen Boten
(Er läuft nicht gern, wenn er ein Mahl beendigt);
Und daß er löse jeden Zweifelsknoten,
Hat er mir Ring und Schlüssel eingehändigt;
Er schickt mich, weil zum Tausch wir nötig haben
Das Kästlein mit den feinen Hochzeitgaben.«

Hat auch die Frau noch irgend ein Bedenken,
Der Welsche weiß, wie man mit Weibern spricht;
Sie sucht in allen Kammern, allen Schränken,
Sie sucht und sucht, das Kästlein find't sie nicht.
Das hat er nun von allen seinen Ränken,
Von seiner blut'gen Tat, der Bösewicht!
Doch er, der Welt und seines Ichs Verächter,
Bricht aus in ein satanisches Gelächter.

Die Stunde drängt, und Eile will die Flucht,
Bevor um Rache schreit der grause Mord;
Drum flügelt er die Schritte nach der Bucht
Und wirft sich an des nächsten Schiffes Bord.
Wer vor dem Henkerbeile Rettung sucht,
Dem gilt es gleich, nach Süd hin oder Nord.
Das Hurra schallt, die Barke fleugt mit vollen
Gefiedern – aber ferne Donner rollen.

Der Kaufherr saß indes daheim und schrieb,
Da quoll das Blut hernieder durch die Dielen;
Doch, weil er sein Geschäft mit Eifer trieb
Und nicht gewohnt war, übers Blatt zu schielen,
Kein Wunder, daß er unbekümmert blieb,
Bis ihm die Tropfen in die Rechnung fielen.
Ob er sich wohl am Federmesser ritzte?
Ob er mit roter Tinte sich beschmitzte?

Roberto, hebt es an, sich dir zu lichten?
Erbebst du vor der gräßlichen Entfaltung?
Nicht wahr, von derlei blutigen Geschichten
Stand nichts in deiner doppelten Buchhaltung?
In ebnem Gleise ging dein Tun und Tichten;
Da faßt dich furchtbar des Geschickes Waltung,
Das Angewohnte fällt, das alte, teure;
Du mußt hinüber in das Ungeheure!

Roberto steckt die Feder hinters Ohr,
Berufet zitternd seine Hausgenossen
Und steigt mit ihnen zum Gemach empor,
Von wo der böse Tau herabgeflossen.
Wohl schöbe jeder gern den andern vor;
Die Türe wird gewaltsam eingestoßen:
Dort liegt Herr Edmund blutig bei der Truhe,
Dort hält Herr Edmund tiefe Mittagsruhe.

Hat sich in einem Hause was geändert
Auf solche Weise, drob das Herz erschaudert,
Und kommt ein Freund des Hauses hergeschlendert,
Der sonst wohl manches Stündlein dort verplaudert:
Wie der erstaunt und, selbst noch unverändert,
Die Wohlbekannten zu erkennen zaudert!
Denn alle sind, wie man Lemuren schildert,
Verfärbt, entstellt, die Stimmen selbst verwildert.

So hätt' es einer bei Roberto troffen,
Bis man sich mählich sammelt und bedenkt:
»Kann man die Leiche wegzubringen hoffen?
Wird der Verdacht noch irgend abgelenkt?«
Ein tiefer Brunnen steht im Keller offen;
Wohlan! dort wird der tote Leib versenkt.
Doch bleibt dem Hause Lust und Mut verdorben,
Als wäre der Gebieter selbst gestorben.

Gestorben nicht, doch auch nicht mehr lebendig;
Er hat ja keine Lust mehr an den Zahlen,
Er weiß noch kaum das Einmaleins auswendig,
Vergißt den Monatstag zu öftern Malen
Und stößt sich in den Rechnungen beständig;
Denn immer, wenn er sitzt ob den Journalen,
Ist's ihm, als ob das Blut herniedertropfe
Und an der Türe schon der Häscher klopfe.

Geduld! Die Sage rennt auf allen Pfaden,
Der König hört, daß man den Ritter misse.
Herr Edmund stand bei ihm in großen Gnaden,
Und mehr noch macht der Schmuck ihm Kümmernisse.
Zum Florentiner war der Mann geladen;
Dort ist es glaublich, daß man von ihm wisse.
Jetzt klopft es erst! der Richter mit den Bütteln,
Um alles auszustöbern, aufzurütteln!

Auch die Gewölbe werden nicht verschont
Und so durchstört vom Boden bis zur Decke,
Daß keine Ratz' im Loche sicher wohnt
Und keine Fledermaus in ihrer Ecke.
Da denkt noch einer: »Ob sich's wohl verlohnt,
Daß ich ein Windlicht in den Brunnen strecke?«
Und sieh! entsetzlich aus der feuchten Tiefe
Starrt eine Hand, als ob sie Rache riefe.

Nicht soll Medea ihre Kinder schlachten
Vor allem Volke, hat Horaz gelehrt,
Und seinen Ausspruch ziemt es uns zu achten,
Da er, Fortuna, deinen Ruhm gemehrt:
Drum, wenn wir Keckes auf die Bühne brachten,
So bleib' uns doch das Aeußerste verwehrt:
Wie man den Herrn aufhenkt zusamt den Knechten,
Weil sie den Mord verhehlt, nach Landesrechten!

Und euch, Zuschauer, die ihr müde seid
Der traurigen und fürchterlichen Dinge,
Zeig' ich zum Troste, wie man herbes Leid
Und finsteres Entsetzen bald bezwinge,
Wenn ich ein junges Weib in schwarzem Kleid,
Camillen, Edmunds Witwe, vor euch bringe.
Die Schöne, deren Trauerzeit noch dauert,
Hat doch im Herzen mählich ausgetrauert.

Erst fühlt sie ihre Zähren sanfter rinnen,
Gemäßigter ertönt ihr Weh und Ach,
Schon hört sie auf, sich feindlich einzuspinnen,
Sie läßt die Sonne schon in ihr Gemach,
Schon sieht sie wieder ihre Nachbarinnen
Und merkt es sich, was eine tröstend sprach.
Sie sprach: »O, laßt Euch eine Witwe sagen,
Wie Ihr des toten Manns Euch könnt entschlagen!

»Jetzt, da die Blütenknöpfe wieder quellen
Und da der Kuckuck rufet früh und spät,
Jetzt lasset Eure Bettstatt anders stellen,
Als sie noch seit des Sel'gen Tagen steht,
Und denkt an einen feinen Junggesellen,
Jedoch in Ehren, wenn Ihr schlafen geht!
Die Toten zu den Toten, mein' ich eben,
Die Lebenden zu denen, die da leben!«

Camilla drauf: »Gevatterin, beileibe!
Sollt' ich vergessen meines Liebsten Herrn?«
Doch, als sie nun allein ist, kommt's dem Weibe
Nicht aus dem Sinne; sie versucht' es gern.
Und wär' es auch zum bloßen Zeitvertreibe,
Die Bettstatt soll vom alten Platze fern.
Doch, als man rückt, was hat sich da gefunden?
Das Kästlein, das seit Edmunds Tod verschwunden.

Die Witwe wendet sich an zween geehrte
Verwandte, die ihr oft zu Rate waren;
Die Männer aber schütteln ihre Bärte:
»Was hilft es Euch, den teuren Schmuck bewahren?
Unmöglich ist es, daß man ihn verwerte,
In aller Welt hat man davon erfahren;
Viel besser ist's, Ihr tragt ihn selbst zum Throne
Und harret, wie der König Euch belohne.«

Da schmücket sich Camilla, wie es denen,
Die um den Gatten trauern, sich gebührt;
An ihre Wimpern hängt sie Witwentränen,
In Seufzer wird die schöne Brust geschnürt,
Und nichts versäumt sie, was an Magdalenen
Die Augen locket und die Herzen rührt.
Das Kästlein hüllet sie in ihre Flöre
Und meldet sich dem König zum Gehöre.

Als drauf der König an dem teuren Funde
Den Blick gesättigt, denket er im stillen:
»Die Pflicht erheischt, daß noch in dieser Stunde
Mein voller Dank sich zeige Frau Camillen.
Um was nun trägt ihr Herz die tiefe Wunde,
Als um des jetzt gefundnen Schmuckes willen?
Drum ist es billig, daß aus diesem Schatze
Ein neues Glück ihr aufblüht zum Ersatze.«

Und mitten aus der unschätzbaren Habe
Entnimmt er einen Ring von hohem Preis:
»Empfangt, Camilla, die geringe Gabe!
Doch nicht als meiner Dankbarkeit Beweis,
Nein, daß ich Euch von des Gemahles Grabe
Zurücke zieh' in meines Hofes Kreis.
Ihr aber werbet, meines Throns Vasallen,
Wer diesen Ring gewinne von euch allen!«

Nun steht ein Junker, blondgelockt und schlank,
Des Dienstes wartend, bei des Königs Stuhle.
Bevor noch Edmund in die Grube sank,
Hieß es, daß jener um Camillen buhle
Und daß er Tag für Tag, nicht ohne Dank,
Sein Roß an ihrem Haus vorüberschule.
Der bittet jetzo, nicht umsonst, die Dame
Um ihren Ring, ein Tröster ihrem Grame.

Doch ihr Demanten, königliche Spende,
Wohl mögt ihr eine reine Stirne schmücken,
Und ihr, der Perlen köstliche Gebände,
Ihr mögt um eine fromme Brust euch drücken;
Ihr aber, goldne Spangen, zieret Hände,
Die nichts denn wohltun, segnen und beglücken,
Daß ihr entsündigt werdet, Brautkleinode,
Die ihr befleckt seid mit vielfachem Tode!

Britanniens großer König sei gepriesen,
Wie er der frommen Witwe sich erbarme!
Noch eine soll den Tröster sich erkiesen,
Robertos Witwe, Cordula, die arme.
Obschon sich ihre Unschuld klar erwiesen,
Doch lebt sie samt den Waisen tief im Harme;
Denn als ihr Eheliebster hing am Galgen,
Da ließ man um sein Gut das Volk sich balgen.

Der König ruft sie; reichlich auszustatten
Gedenkt er sie, erscheinet nur ein Freier.
Zwar längern schon sich ihres Lebens Schatten,
Doch löst sie gerne noch den Witwenschleier.
Sie spricht von einem Diener ihres Gatten:
Zur Zeit des Mords verschickt gewesen sei er;
Er sei, unangesehen seiner Jugend,
Ein Musterbild der Frömmigkeit und Tugend.

Der König läßt den jungen Mann beschicken;
Nur denkt er, als er jenen sich beschaut:
»An dem ist wenig Tugend zu erblicken,
Er scheint mir eine leichte, lockre Haut;
Doch, glaubt die Frau, an ihm sich zu erquicken,
So werde sie noch heut ihm angetraut!«
Wir aber wünschen: möge wohl geraten
Die Ehe Cordulas mit – Fortunaten!

Der Vorhang fällt. Was wir euch aufgetischet,
Sagt, ist es nicht ein echtes Trauerspiel?
Zwar ist der ärgste Bösewicht entwischet,
Der Hehler des Verbrechens aber fiel;
Die Witwentränen hat man abgewischet,
Und alles kam an ein versöhnend Ziel.
Doch, mag die Welt nun tadeln oder loben,
Schon hat Fortuna neues Spiel erhoben.

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