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19

Die blasse, schwächliche Frau hatte sich in Tarletons Augen plötzlich in eine Heroine verwandelt. Irgendwie kam es ihm vor, als stünde sie weit über ihm. Er war der beamtete, gut honorierte Wächter der Gesellschaft, aber dieses einsame Wesen – ohne einen Freund, dem es vertrauen konnte, ohne die Unterstützung der öffentlichen Meinung oder des Gesetzes – hatte mit zitternden Händen sich an die Aufgabe gewagt, eine Mitschwester von einem Elenden zu befreien, der gegen den Zugriff des Gesetzes gefeit war. Mrs. Neobard – ah, sie verdiente, daß man ihr den Namen zubilligte! – dankte dem Gelehrten für seine impulsive Handlung durch einen Blick, der nichts von Triumph wußte, und auch ihre Geschichte setzte sie eher im Tone eines Unterlegenen als eines Siegers fort.

»Miß Sebright erzählte mir, sie habe sich so nach einem Kinde gesehnt und keine Hoffnung auf Erfüllung dieser Sehnsucht gehabt, weil sie mit einem körperlichen Gebrechen, einem Klumpfuß, behaftet war. Als kleines Mädchen schon bekam sie von Verwandten und Erzieherinnen eingeimpft, daß man sie lediglich ihres Geldes wegen heiraten würde, so daß sie, erwachsen, jedem Mann, der sich ihr näherte, von vornherein mit Mißtrauen begegnete. Sie sei dann, gestand sie mir, zu meinem Gatten gekommen, damit er sie von dieser Sehnsucht heile. Er aber überredete sie, Mutter eines unehelichen Kindes zu werden, durch einen Mann, dessen Namen sie nicht erfuhr. Glücklicherweise – oder unglücklicherweise; ich weiß nicht, was ich sagen soll – wurde das Kind nie geboren. Jedoch schrieb sie Weathered Briefe, die das, was sie getan, enthüllten, und nun war sie dem Doktor ausgeliefert. Er verlangte zwar nicht rundweg Geld von ihr, zwang sie indes, ihn jede Woche zu konsultieren oder ihm zu schreiben und verlangte hierfür unglaublich hohe Honorare. Viel lieber hätte sie sich mit einer einmaligen Summe losgekauft, doch das paßte ihm nicht. Diese Drangsalierung brachte die Ärmste fast um den Verstand, und so flehte sie mich um Hilfe an.«

Es war eine trostlose Geschichte, und selbst Tarleton, verhärtet durch vielerlei Erfahrungen mit Verbrechern, griff sie ans Herz.

»Ich versprach ihr, die Briefe zu suchen, und sie ihr, wenn möglich, zurückzugeben. Natürlich mußte ich vorsichtig zu Werke gehen. Hätte ich meinem Mann etwas gesagt, wäre alles vereitelt gewesen. Also bespitzelte ich ihn, bis ich durchs Schlüsselloch ihn eines Tages an dem Geheimfach hantieren sah. Geduldig wartete ich nun, bis Weathered ein Wochenende außerhalb Londons verlebte, und ließ einen Schlosser kommen, dem ich vorredete, mein Mann habe den Schlüssel verloren und wünsche, daß ihm etwas aus dem Schrank nachgesandt würde. Ob der Meister mir glaubte oder nicht, sei dahingestellt; immerhin lieferte er mir einen neuen Schlüssel.

Ich fand eine Unmenge von Briefen, teils von Männern, teils von Frauen. Briefe voller Herzeleid oder voll von Enthüllungen entarteter, verderbter, krankhafter Naturen, Sir Frank, in Stapeln geordnet und jeder Stapel mit der Nummer versehen, die der Schreiber benutzte. Oh, mir grauste bei der Lektüre! Dann fand ich Miß Sebrights Briefe unter der Nummer, die sie mir genannt hatte, nahm sie an mich und schickte sie ihr als eingeschriebenes Päckchen zu. Entdeckung fürchtete ich nicht sehr. Weathered kam oft betrunken nach Hause, und ich hoffte, daß er, sollte er das Fehlen dieses einen Stapels merken, meinen würde, er habe ihn im Rausch einmal selbst vernichtet.

Die arme Miß Sebright dankte mir in rührenden Worten, teilte mir aber gleichzeitig mit, daß sie bettlägerig sei. Ich besuchte sie mehr als einmal, und wie ich sie so dahinwelken sah, faßte ich den Entschluß, nach Möglichkeit die übrigen Opfer meines Gatten zu retten. Ohne Rücksicht auf die Folgen für mich, würde ich sämtliche Briefe aus dem Fach herausgenommen und den Schreibern zurückgesandt haben, wenn ich ihren Namen und ihre Adresse gekannt hätte. Hinfort ging ich, sobald ich mich leidlich sicher wußte, fast täglich an das Geheimfach und las die neu eingetroffenen Briefe, in der Hoffnung, daß der eine oder andere einen Hinweis auf die Identität des Schreibers enthalten würde. Und richtig! Eines Tages fand ich einen Bogen, der oben am Kopf die volle Adresse trug – eine Vergeßlichkeit vermutlich. Er stammte von einer Mrs. Baker, Carlyle Square, Chelsea. Kennen Sie die Dame, Sir Frank?«

»Ich habe ihren Bruder gekannt, den verstorbenen Captain Armstrong«, erwiderte Tarleton, der direkten Antwort ausweichend. »Bitte, erzählen Sie weiter.«

Mrs. Neobard seufzte.

»In gewissem Sinne war ich enttäuscht, denn bei diesen Briefen lohnte sich die Rückgabe kaum. Mrs. Baker zeigte sich in ihnen als ein törichtes Weiblein, mit einem Spleen, einem Steckenpferd. Sie war wohl anfänglich aus purer Neugier zu meinem Mann gekommen, und er hatte sich ihre Torheit zunutze gemacht, indem er behauptete, sie sei von einem geheimen inneren Mordtrieb besessen. Die alberne Frau glaubte ihm; ja, sie schien sich sogar sehr wichtig zu fühlen, kam sich wohl vor wie ein weiblicher Nero oder dergleichen. Nun, ich las auch ihre weiteren Briefe, die nach und nach eintrafen und allmählich eine andere Färbung annahmen. Weathered hatte Mrs. Baker durch die Kraft seines Willens bewogen, Mordpläne auszuarbeiten, und diese sandte sie ihm nunmehr zu.

Stellen Sie sich meine schreckliche Lage vor, Sir Frank. Da lag der Beweis vor mir, daß mein Mann ein Verbrecher, eine Gefahr für die menschliche Gesellschaft war, und er erörterte Mordanschläge mit einer verdrehten, schwachen, seinem Willen unterjochten Frau. Und während ich noch überlegte, wie ich mein Eingreifen bewerkstelligen solle, kam ein Brief, in dem sie ein in ihrem Besitz befindliches Gift erwähnte, ein Gift, das – der medizinischen Wissenschaft unbekannt – von ihrem Bruder aus Sumatra mitgebracht worden sei. Aber vielleicht erzählte Ihnen Captain Armstrong davon, Sir Frank?«

»Ja, Mrs. Neobard. Er verkaufte mir auch von dem Gift – wie ich damals wähnte – die ganze nach England eingeführte Menge.«

»Dann hat er Sie hintergangen, Sir Frank; er gab Ihnen nicht alles. In ihrem nächsten Brief beschrieb Mrs. Baker genau, wo sie das Fläschchen mit dem Gift aufbewahrte: in einem Schränkchen des Salons. Sie rühmte sich zwar, daß sie es ständig unter Verschluß hielt. Doch welches Hindernis bildet das Schloß eines Ziermöbels! Von dieser Sekunde an wußte ich, daß sich das Gift im Bereich meines Gatten befand, und zweifelte nicht, daß er es sich aneignen würde. Zu welchem Zweck hätte er sich sonst wohl nach dem Aufbewahrungsort erkundigt?«

»Ich pflichte Ihnen vollkommen bei«, sagte Sir Frank, da die Erzählerin eine Stellungnahme seinerseits zu erwarten schien.

»Gut. Dann können Sie sich auch ausmalen, was ich empfand. Ich wußte, daß mein Mann eines Mordes fähig war, sobald er ihm Vorteil brachte, und mußte nun noch innewerden, daß er daraufhin arbeitete, ein unbekanntes und daher nicht feststellbares Gift in seine Hand zu bekommen. Denn Mrs. Baker hat bestimmt nicht geahnt, daß ihr Bruder den Vorrat mit Ihnen geteilt hatte; sie schrieb, als ob ihr Fläschchen alles Gift enthielte, das je nach Europa gekommen war. Wen aber gedachte Weathered zu ermorden? Je mehr ich überlegte, desto überzeugter wurde ich, daß das Gift nur für mich bestimmt sein konnte.«

»Mutter!« Wie ein Ächzen fiel das Wort von Bettys Lippen; wenn noch irgendein weiches Gefühl für den Toten auf dem Grunde ihrer Seele schlummerte, erstarb es in diesem Laut. Aber ihre Mutter beachtete sie nicht.

»Ich mußte mich zur Wehr setzen«, fuhr sie fort »Doch wie? Verhindern, daß er das Gift nahm, konnte ich nur, indem ich schneller handelte als er. Und so begab ich mich zu Mrs. Bakers Wohnung und stahl das Fläschchen, was mir ohne Schwierigkeiten gelang Ich nahm ein Bund aller nur erdenklichen Schlüssel mit, Schlüssel von Schränken, Schubladen und Kästen jeder Größe, und ging vor dem Hause in Chelsea auf und ab, bis ich eine Frau herauskommen sah, die mich die Besitzerin zu sein dünkte. Als sie um die nächste Straßenecke verschwunden war, klingelte ich, nannte dem Mädchen einen falschen Namen und bat, bis zur Rückkehr von Mrs. Baker im Salon warten zu dürfen. Nun, schon der dritte Schlüssel, den ich versuchte, öffnete dies spielzeugartige Schränkchen, und wirklich stand drinnen das Fläschchen genau, wie es die Briefe an meinen Gatten schilderten. Ich ließ es rasch in meine Tasche gleiten und schlich mich von dannen.«

Welches Sir Franks Theorie auch gewesen sein mochte – damit hatte er nicht gerechnet, daß diese schmächtige, geduckte Frau über genug Tapferkeit und Kaltblütigkeit verfügte, um ihren Gatten zu übertölpeln. »Für den Augenblick fühlte ich mich sicher«, nahm Mrs. Neobard ihre Erzählung wieder auf. »Doch wie lange konnte diese Sicherheit vor einem Gatten wie dem meinen währen? Er war Arzt, und als solcher vermochte er sich leicht ein anderes Gift zu verschaffen. Wenige Tage später überwarf sich Mrs. Baker mit ihm, weil er sie hatte zwingen wollen, eine Lieblingskatze zu töten. Aufs äußerste erbost, brach sie alle Beziehungen zu ihm ab, und da ihre Briefe für Weathered belastender waren als für die Schreiberin selbst, bot sich ihm nicht die Möglichkeit, durch Erpressung sie weiterhin zu seinem gefügigen Werkzeug zu machen. Jedenfalls entdeckte ich bald, daß er die Briefschaften vernichtet hatte.

Was tun? Wie mich retten? Eine Scheidung? Ich konnte mich soweit über schlechte Behandlung nicht beklagen. An Höflichkeit ließ er es mir gegenüber nicht fehlen, und Beweise für eheliche Untreue konnte ich nicht erbringen, obwohl die Briefe mir offenbarten, daß er einem seiner Opfer den Hof zu machen suchte. Sollte ich ihn öffentlich als Schurken an den Pranger stellen und die Briefe bekanntgeben? Ach, Dutzende unschuldiger Männer und Frauen wären dadurch ruiniert worden! Und würde ich vielleicht nicht gar noch den Kürzeren gezogen haben? Ich kannte ihn gut genug, um seine Taktik vorauszusehen. Er würde behaupten, ich hätte ihm in seinem Berufe nachgeschnüffelt, mich widerrechtlich der Geheimnisse seiner Patienten bemächtigt und wäre vor Eifersucht unzurechnungsfähig. Eine Menge Leute hätten ihm geglaubt, denn nichts verzeiht man einer Frau schwerer, als wenn sie ihren Gatten preisgibt. Wenn ich ihn verlassen hätte – wer weiß, ob meine einzige Tochter mit mir gekommen wäre? Ersparen Sie es mir, Sir Frank, Ihnen alle meine Gründe auseinanderzusetzen, die mich veranlaßten, so zu handeln, wie ich es tat. Es mutete mich wie ein Wink der Vorsehung an, daß ich das Gift besaß. In Selbstverteidigung hatte ich es genommen, und gebrauchsbereit bewahrte ich es auf. Aber dann erhob sich eine neue Schwierigkeit, eine ganz unerwartete, Sir Frank. Es kam mir zum Bewußtsein, daß ich die Tat nicht vollbringen konnte.«

Das klang wie eine Beichte, klang viel entschuldigender als alles Vorhergesagte. Und zum erstenmal schimmerten Mrs. Neobards Augen feucht.

»Ich hatte ihm doch einst vertraut ... ich hatte ihn geliebt«, schluchzte sie auf, und Tarleton beobachtete sie mit echtem Mitleid.

»Verstehen Sie mich recht, Sir Frank«, begann sie nach einer Weile von neuem, »ich war nicht anderen Sinnes geworden. Nein, nach wie vor glaubte ich mich berechtigt, in Selbstverteidigung dem Leben meines Gatten ein Ende zu bereiten, aber ich mußte jemanden finden, der es für mich besorgte. Vielleicht eines der Opfer, deren Vertrauen er so schmählich getäuscht hatte? Der einzige Weg, um mit den Schreibern der Briefe in Berührung zu kommen, war, den Domino-Klub zu besuchen, als dessen Besitzerin allgemein die Geschäftsführerin Madame Bonnell galt, während er in Wirklichkeit meinem Mann gehörte und ihm ungefähr tausend Pfund jährlich einbrachte. Kennen Sie Madame Bonnell?«

»Ich kenne sie gut genug, um sie für eine sehr gefährliche Frau zu halten.«

»Ah, dann kennen Sie sie wirklich! Wollte Gott, auch ich hätte sie gekannt! Ich suchte sie auf, um eine Eintrittskarte zu kaufen. Voll berückender Liebenswürdigkeit, aalglatt, hatte sie im Nu herausgefunden, wer ich war. Aus eigenem Antrieb versprach sie, Weathered nichts wissen zu lassen. Was sie innerlich dachte, weiß ich nicht, aber sie muß wohl etwas geahnt und geglaubt haben, Vorteile für sich herausschlagen zu können. Sie umgarnte mich vollkommen. Ich stellte etliche Fragen über die Besucher, besonders die Patienten; es lag mir daran, zu erfahren, welche gegen ihren Willen sich an den Festen beteiligten, doch ich hoffte, sie würde den Zweck meiner Fragen nicht bemerken.«

Eher hat ein Schaf Aussicht, einen Wolf hinters Licht zu führen, lautete Tarletons heimlicher Kommentar, den er jedoch nicht in Worte faßte.

»Madame Bonnell stand so bereitwillig Rede und Antwort, schien nichts sehnlicher zu wünschen, als sich mir gefällig zu erweisen, daß ich mehr und mehr aus mir herausging. Schließlich sagte sie: ›Warum mir nicht restlos Vertrauen schenken, gnädige Frau? Ich sehe, Sie möchten Dr. Weathereds Feinde kennenlernen, und ich bin durchaus gewillt, Ihnen meine Unterstützung angedeihen zu lassen. Der Klub wimmelt von Leuten, die ihm feindlich gesinnt sind. Bei jeder Festlichkeit riskiert der Doktor mehr oder weniger sein Leben.‹ Ich versuchte einen Rückzug, Sir Frank – zu spät! Madame verstellte mir den Weg. ›Ich muß zwischen Ihnen und Ihrem Gatten wählen‹, erklärte sie mir. ›Er ist mein Brotgeber, bezahlt mich gut, und wenn ihm irgend etwas zustößt, engagieren Sie vielleicht eine andere Leiterin, und ich verliere mein Brot. Wenn Sie sich die Aufgabe gestellt haben, ihn vor Gefahren zu bewahren, können wir Hand in Hand arbeiten.‹

Bestimmt hat sie in diesem Augenblick schon gewußt, daß ich ein anderes Ziel verfolgte, denn sie gönnte mir gar keine Zeit zur Antwort. ›Andererseits hege ich keine freundschaftlichen Gefühle für Dr. Weathered. Im Gegenteil habe ich letzthin öfters schon gewünscht, er wäre nicht mehr da. Nach meiner Meinung würde der Klub ohne ihn besser dastehen. Weathered ist unbeliebt. Und ständig zittere ich vor einem Skandal, irgendeiner bösen Szene, die den Klub ruinieren und meinem Ruf Schaden tun würde.‹«

Trotz der ernsten Sachlage spielte ein Lächeln um Tarletons Lippen, als er von Madame Bonnells Sorge um ihren guten Ruf erfuhr.

»Sie gab mir zu verstehen, Sir Frank, daß sie auf meiner Seite stände – aus rein geschäftlichem Interesse; deutete ihre Bereitwilligkeit an, meinen Gatten zu beschirmen oder zu töten ... je nachdem, was ich wünschte. Immer vorausgesetzt natürlich, daß es sich für sie lohne. Gleichzeitig verhehlte sie mir nicht, daß ich mich unwiderruflich in ihre Hand gegeben habe. »Es läuft darauf hinaus‹, führte sie aus, mit einer viel weniger honigsüßen Stimme als zu Beginn unserer Bekanntschaft, »daß ich Ihnen nur dann Vertrauen schenken kann, wenn Sie sich mir schrankenlos anvertraut haben. Es kann doch sein, daß Sie nur herkamen, um mich auszuhorchen, um auszukundschaften, ob ich das Vertrauen Ihres Gatten verdiene. In diesem Falle sehe ich mich leider genötigt, um meines eigenen Schutzes willen, ihm unsere Unterhaltung wortgetreu zu berichten. Sie werden das wohl einsehen?‹«

Verteufelt geschickt! dachte Sir Frank; genau so geschickt wie die Zeitungsannonce hinsichtlich der Briefe. Kein Wunder, daß Mrs. Neobard überrumpelt worden war!

»Ich fand keinen Ausweg, und außerdem sah es aus, als sei sie unter den von ihr gestellten Bedingungen zu einer wirklichen Hilfeleistung bereit. Ich verpflichtete mich, nach dem Tode Weathereds den gesamten Besitz des Domino-Klubs auf ihren Namen zu übertragen, und sie verpflichtete sich, einen unter den Patienten ausfindig zu machen, der seinen Peiniger so glühend haßte, daß er ihm, wenn die Gefahr des Entdecktwerdens ausgeschaltet war, auch töten würde.

Am nächsten Tage brachte ich Madame Bonnell das Giftfläschchen. Doch kaum hatte sie es in ihrer Hand, so erklärte sie: ›Ich benötige noch mehr als dies; ich benötige die Briefe, die Sie fanden; sie sind Ihre Rechtfertigung; sie zeigen, daß Sie töten, um nicht selbst getötet zu werden. Sollten mir einmal, was Gott verhüten möge, Ungelegenheiten daraus erwachsen, daß ich Ihnen helfe, so kann ich mich auf Grund dieser Briefe verteidigen. Sie verstehen mich, Madame?‹

Ach, Sir Frank, ich war schwach genug gewesen, ihr beinahe alles zu erzählen, was ich Ihnen erzählt habe, weil sie mich nicht für eine ruchlose, aus schlechten Beweggründen handelnde Frau halten sollte. Was half's, daß ich meine Offenheit jetzt bitter bereute? Was ich auch sagen mochte – sie war um eine schlagfertige Antwort nicht verlegen. ›Madame, Sie haben mir zu Mitteln und Wegen verholfen, einen Mord zu begehen, und haben jene Briefe als Entschuldigung angeführt. Wenn Sie ihre Auslieferung jetzt verweigern, muß ich leider ihr Vorhandensein bezweifeln. Und als anständiger, ehrenwerter Mensch werde ich dies Fläschchen der Polizei übergeben.‹«

Mit einem Ruck sprang Tarleton von seinem Sessel empor. Wenn er auch noch nicht alles wußte, was mit diesem Fall zusammenhing, so wußte er doch alles, was ihm diese arme Frau erzählen konnte.

»Ich danke Ihnen, Mrs. Neobard. Sofern Sie mir gestatten, diese Auskunft auf meine eigene Weise auszuwerten, haben weder Sie noch Ihre Tochter hinfort etwas zu befürchten.«

»Aber ...« – die erstaunte Witwe eilte ihm nach – »aber als Madame Bonnell über die Briefe verfügte, Sir Frank, warf sie alle unsere Abmachungen über den Haufen, verweigerte die Ausführung des Planes. Wodurch starb also mein Mann?«

»Danach will ich morgen in London Madame Bonnell fragen.«


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