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Der erste November war der letzte schöne Tag gewesen. Schon am Abend des Geburtstages, als die Kinderschar sich so vergnügt in dem buntbeleuchteten Garten tummelte, blickte der Professor mißtrauisch zu dem Vesuv hinüber. Der feurige Rauch stieg nicht, wie sonst, gerade in die Luft hinein. Eine dicke Wolkenschicht umgab den Gipfel.
»Ich fürchte, wir bekommen schlechtes Wetter«, sagte der Professor zu seiner Frau. »Der Vesuv hat seine Wolkenhaube aufgesetzt. Das bedeutet Südwind, den gefürchteten Schirokko, der von den Wüsten Afrikas herüberweht. Auch Capri erscheint heute besonders blau, scharf und nahe, ein Zeichen für kommenden Regen. Schade, ich hätte so gern in den klaren Sternnächten meine Arbeit über den Saturn vollendet. Aber der Vesuv ist ein untrügliches Barometer.«
Wirklich – der Vesuv war ein sicherer Wetterprophet. Am nächsten Morgen wurden die Zwillinge nicht wie sonst von strahlender Sonne geweckt. Grau war der seit Monaten blaue Himmel – grau das Meer, grau Palmen- und Olivenhaine. Die Farbenfreudigkeit der Sommerwochen schien ausgelöscht. Als Suse in Begleitung von Rita und ihrer Mademoiselle morgens in die Schule ging, war eine merkwürdige Luft in den Straßen Neapels – weich und schwül, geradezu bedrückend. Kein Lüftchen wehte.
Auch Mademoiselle blickte mißtrauisch zum Vesuv hinüber. »Hoffentlich bedeutet das nichts«, sagte sie auf französisch.
Angsthäschen Suse blieb das Herz vor Schreck stehen. Befürchtete Mademoiselle etwa, daß der Vesuv wieder Feuer auswerfen könne? Sie sah auf Rita. Die ging ganz vergnügt neben ihr. Dabei war doch ihr Vater droben auf dem Observatorium der ersten Gefahr ausgesetzt.
»Wird der Vesuv wieder Feuer spucken?« fragte Suse zaghaft.
»Warum nicht gar. Dann hätte mein › babbo‹ uns schon gewarnt. Allenfalls bekommen wir Schirokko.« Die kleine Italienerin schien mit dem Wetter vertraut. Prüfend blickten ihre schwarzen Samtaugen in den grauen Himmel.
»Erdbeben kommen auch manchmal bei Schirokko vor.« Mademoiselle schien es selber nicht ganz geheuer zu sein.
Suse blieb entsetzt stehen. »Dann gehe ich nicht in die Schule. Dann gehe ich wieder nach Hause zu meiner Mutti. Ach, und Herbert, der arme Junge, ist ganz allein!« Sie dachte an das Erdbeben in der italienischen Stunde bei Signor Salvani, wo sie eng umschlungen mit ihrem Zwilling den Untergang erwartet hatte.
Auch jetzt legte sich ihr ein Arm um die Schulter, liebevoll und zärtlich. Es war der ihrer Freundin Rita. »Du brauchst wirklich keine Angst zu haben, Susa. Wir haben hier oft Schirokko. Er macht nur matt und unfrisch. Du mußt mit in die Schule kommen. Wir schreiben ja heute im Rechnen Klassenarbeit. Und mich wirst du doch auch nicht allein lassen?«
»Nein.« Suse schüttelte den Kopf und drückte den Arm der Freundin. An der Rechenarbeit lag ihr ja nicht viel, die hätte sie ganz gern entbehrt. Sie regte sich immer noch vor jedem Schulextemporale auf. Aber ihre Freundin Rita ließ sie nicht im Stich. Die hatte ja nicht einmal eine Mutti, bei der sie Schutz suchen konnte.
Die Schülerinnen schienen heute schlaff und unlustig in den Stunden. Gar nicht so lebhaft, wie die kleinen Italienerinnen es sonst waren. Nicht mal die Rechenstunde brachte Zug in die Klasse. Die Probearbeit wimmelte denn auch von Rechenfehlern.
Suse, die sich sonst redlich Mühe gab, aufmerksam und fleißig zu sein, war heute nicht bei der Sache. Ihre Braunaugen spazierten immer wieder zum Fenster hinaus. Dort draußen hatte sich ein Wind, schon mehr ein Sturm, aufgemacht. Er jagte die Blätter der Edelkastanien über den Schulhof, zauste die Palmen bei ihren langen, grünen Blattwedeln, wirbelte gelben Staub durch die Luft. Ein lautes Rollen – – – – »Erdbeben!« schrie es von der dritten Bank voller Entsetzen.
Da das Wort deutsch gerufen war, verstand es keiner, bis auf den Lehrer. Der lachte laut.
»Ein Auto ist draußen vorübergerollt, das ist das Erdbeben.«
Die ganze Klasse stimmte in sein Lachen ein.
Suse steckte das Näschen schnell in das Heft, weil sie sich schämte. Sie blickte jetzt nicht mehr zum Fenster hinaus, sondern war aufmerksam.
Nein, ein Erdbeben brachte der Schirokko nicht, aber Regen. Ein Wolkenbruch goß in dichten, dicken Strähnen vom grauen Himmel herunter, als ob niemals italienische Sonne hier monatelang gelacht habe. Von den Höhen Neapels durch all die engen Gassen und Gäßchen ergossen sich Sturzbäche von Wasserfluten in die untere Stadt. Die Plätze bildeten kleine Teiche.
Mademoiselle kam mittags mit einem Auto vorgefahren, die Kinder von der Schule abzuholen. Sie nahmen Carla, Bianca und Beatrice, die ebenfalls auf dem Possilipp wohnten, mit hinein. Wie eine Arche Noah bahnte sich das mit übermütig lachenden Kindern vollgestopfte Auto seinen Weg durch die Sintflut.
Wie gern hätte Suse auch ihren Herbert von dem Gymnasium abgeholt und im trockenen Auto mit heimbefördert. Aber sie wagte keine Bitte deshalb an Mademoiselle zu richten. Es erschien ihr unbescheiden, da sie selbst ja schon freundlicherweise mitgenommen wurde.
Herbert kam nicht zum Mittagessen heim. Es wurde vom Gymnasium telephonisch mitgeteilt, daß die Jungen in dem mit der Schule verbundenen Internat dabehalten würden, bis die Straßen passierbar wären oder einer der Angehörigen sie abholen käme. Herbert war damit gar nicht einverstanden. Er hätte es viel famoser gefunden, wenn sie in einem kleinen Boot die überschwemmte Straße entlanggerudert wären.
Am Abend holte der von der Mutter telephonisch verständigte Vater seinen Jungen in einem Wagen von dem Gymnasium ab. Ein halbes Dutzend Jungen, die auf dem Wege wohnten, wurden noch mit hinein verladen. Bald konnte Suse ihren Zwillingsbruder, nach dem sie den ganzen Tag durch die regenbespritzte Terrassen-Glastür sehnsüchtig ausgeschaut hatte, freudig in Empfang nehmen.
Der wolkenbruchartige Regen wich seinem grauen Landregen. Es regnete von morgens bis abends und von abends bis morgens. Die Straßen waren wieder gangbar, aber ein Vergnügen war es nicht, jetzt aus dem Hause zu gehen. Das heitere, lachende und meist singende Volk Neapels, das daran gewöhnt war, daß sich sein Leben hauptsächlich unter blauem Himmel auf der Straße abspielte, war ganz niedergedrückt durch die lange Regenzeit.
Auch Teresina und Pietro waren gar nicht so heiter und fidel wie sonst. Sie scharten sich mit ihren Ziegen und Katzen zusammen und froren. Sie lachten kaum über die Späße ihrer deutschen Engelchen.
»In den Tropen dauert die Regenzeit noch viel länger als hier in Süditalien«, sagte der Professor tröstend zu den ungeduldigen Kindern. Nun, das war kein besonderer Trost. In Berlin war der November ja auch oft regnerisch und noch kälter als hier. Aber die Kinder hatten es nicht so arg empfunden. Dort hatte man entweder Kachelöfen oder Zentralheizung. Da war es wenigstens in der Wohnung warm und gemütlich. Aber hier in Italien gab es in der ganzen Wohnung keinen Ofen. Nicht einmal einen richtigen Herd in der Küche, nur einen Gasherd, der kaum Wärme ausströmte.
Am schlimmsten empfand das Bubi. Dem armen Köter war es wohl bisher noch gar nicht so recht zum Bewußtsein gekommen, daß man jetzt in Italien und nicht mehr in Deutschland lebte. Er miefte andauernd, zitterte vor Kälte auf dem mit Mosaiksteinen ausgelegten Fußboden der großen Zimmer und senkte niedergeschlagen sein Stummelschwänzchen zur Erde. Das war ein Zeichen dafür, daß er sehr betrübt war.
»Bubi hat Sehnsucht nach seiner deutschen Heimat«, sagte Suse, die sich in die Seele der Tiere hineinversetzte, mit Tränen in den Augen. »Unsere liebe Waldschule liegt jetzt gewiß schon tief im Schnee. Aber drinnen knackt das Holz lustig in den braunen Kachelöfen. Da ist es mollig.« Das kleine Mädchen wußte nicht, daß es selbst Sehnsucht hatte.
»Ja, da laufen die Kinder gewiß schon wieder Schneeschuh. Und mit dem Rodelschlitten werden sie von den Anhöhen am Teufelssee hinuntersausen. Und einen Schneemann kann man bauen und den andern Kindern tüchtig Schneebälle an den Kopf werfen. Das ist fein. Hier regnet's ja bloß immerzu. Hier ist's langweilig. Italien ist doof!« So äußerte sich Herberts Gemütsstimmung.
»Ich glaube, unsere Kinder haben Sehnsucht nach Deutschland«, sagte am Abend, als die Kinder schlafen gegangen waren, Frau Professor Winter zu ihrem Mann. Sie wärmte sich die Hände an der heißen Teekanne und dachte ebenfalls mit unterdrückter Sehnsucht an ihre behaglich warme Berliner Wohnung, in der jetzt Fremde wohnten.
»Der Regen hat sicher die längste Zeit gedauert, Fränzchen«, tröstete der Professor. »Der Dezember pflegt meist in Neapel schön und trocken zu sein. Jedenfalls habe ich einen elektrischen Ofen bestellt. Und was die Sehnsucht unserer Zwillinge anbelangt, so ist das beste Mittel dagegen Beschäftigung. Wir wollen sie Klavierstunden nehmen lassen. Suse ist entschieden musikalisch begabt, und auch Herbert wird es sicher Spaß machen. In der Schule kommen sie jetzt ja recht gut mit. Und die italienischen Musiklehrer sind besonders empfehlenswert.«
Drei Tage später erschien der elektrische Ofen und ein Herr mit langem schwarzen Zottelhaar, gegen den Signor Salvani eine Glatze hatte. Es war der Kapellmeister Signor Alberti, der Professors Zwillingen die erste Klavierstunde geben wollte. An demselben Tage hörte der Regen auf und die Sonne schien wieder.
Herbert und Suse aber saßen am Klavier und versuchten die Töne do – re – mi – fa – sol – la – si – do, wie Signor Alberti es ihnen vormachte, auf dem Piano ohne Fehler nachzuspielen. Das nannte man eine Tonleiter. Suse war entschieden musikalisch begabter als ihr Zwilling, wenn auch Herbert die Noten mit ihren dicken und dünnen Köpfchen und ihren krausen Beinchen schneller erlernte. Trotzdem ihre Händchen kleiner waren als Herberts derbe Jungenfäuste, griff sie viel geschickter die auf die Tonleiter folgenden Akkorde. Herbert hämmerte meist daneben und spielte unrein. Dann hielt sich Signor Alberti entsetzt die Ohren zu. Darüber mußte Herbert dann wieder lachen und paßte nicht auf. So kam es, daß Suse alsbald aus der Klavierschule das neapolitanische Volkslied »Santa Lucia« fehlerfrei spielen lernte, während Herbert noch an seinen ersten kleinen Etüden herumstümperte.
Wieder mußte Herbert einsehen lernen, daß er nicht alles besser machte als sein Zwillingsschwesterchen, trotzdem dasselbe zwei Stunden jünger war. Das war eine bittere Pille für den kleinen Besserwisser.
Aber Suse kam auf ein Mittel, Herberts Interesse für die Klavierstunde zu wecken.
»Ich habe eine Idee«, sagte sie eines Tages geheimnisvoll.
»Schieß los!« Herbert brannte vor Neugier.
»Wir wollen Vati und Mutti überraschen und ihnen zu Weihnachten ›Stille Nacht, heilige Nacht‹ auf dem Klavier vorspielen«, flüsterte Suse ganz leise dem Bruder ins Ohr, trotzdem Bubi nur noch im Zimmer war. Aber man konnte es ja nicht wissen, ob der es nicht verriet.
»Famos!« rief Herbert. »Wir werden Signor Alberti bitten, uns die Noten zu besorgen. Vielleicht können wir es vierhändig spielen, weil wir doch Zwillinge sind.«
So einfach war die Sache nun nicht, wie Herbert sich das vorstellte. Die Noten des deutschen Weihnachtsliedes waren in Neapel nicht zu haben. Signor Alberti schlug daher seinen Schülern vor, statt dessen lieber ein leichtes, vierhändiges Stück aus der italienischen Oper » Cavalleria rusticana« zu wählen. Denn er konnte ja gar nicht wissen, ob das deutsche Weihnachtslied nicht viel zu schwer für die kleinen Anfänger sei.
Das wollten aber nun wiederum die Zwillinge nicht. Was hatte denn die italienische Oper mit dem Heiligabend zu tun? Das war kein bißchen weihnachtlich feierlich. Da würden sich die Eltern gar nicht freuen.
Herbert fand immer einen Ausweg, mochte die Lage auch noch so verzwickt sein. Er schrieb an seine kleine Omama nach Berlin und bat sie, ihm die Noten zu senden.
Die Omama war glücklich, mal wieder etwas für ihre Kinderchen, nach denen sie sich arg bangte, tun zu können. Pünktlich langten die Noten aus Berlin an – zum Glück gerade zu einer Zeit, als die Mutti nicht zu Hause war. Denn die Weihnachtsüberraschung war doch die Hauptsache dabei.
Das Weihnachtslied war leicht und vierhändig gesetzt. Trotzdem wurde es Suse und Herbert recht schwer, es in die Finger zu bekommen. Sie konnten ja auch immer nur üben, wenn Mutti fortgegangen war. Und meistens nahm sie dann ihre Kinder mit. Wenn es nicht eine Weihnachtsüberraschung hätte werden sollen, würde Herbert wohl bald der Sache überdrüssig geworden sein. Aber Suses Ausdauer spornte auch ihn immer wieder von neuem an. Er konnte doch die Suse das vierhändige Weihnachtsstück nicht allein spielen lassen. Sie war doch kein Vierhänder – kein Affe.
Ausdauer wird von Erfolg gekrönt. Wenn Herbert auch noch so stöhnte und über die schweren Noten räsonierte, von einem Tage zum andern wurde es ihm weniger schwer, wurden seine Finger gelenkiger und gewandter. Bald klang es schon ganz melodisch, wenn er die Begleitung zu Suses Oberstimme spielte.
Schwierig war es nur, daß Mutti nichts davon merken durfte. Der Vater war ja zum Glück den ganzen Tag im Observatorium. Aber Mütter haben ja in den Wochen vor Weihnachten weder Augen noch Ohren. Frau Professor Winter sah nichts davon, daß manchmal in der Kinderstube Holzabfälle von Herberts Schnitzereien oder bunte Wollfäden von Suses Sofakissen lagen. Sie hörte beim Heimkommen nicht, was für Klänge vom Klavier ihr entgegentönten und dann plötzlich abbrachen. Ja, einmal fragte sie sogar, ob Zampognari, Dudelsackpfeifer, dagewesen und so schön gespielt hätten, was die Zwillinge eifrig bejahten.
Die Zampognari durchzogen mit Dudelsack und Flöte jetzt in den Wochen vor Weihnachten zu Hunderten die Straßen von Neapel und bliesen vor den Madonnenbildern an Kirchen und Plätzen ihre frommen Weisen.
Das war aber auch das einzige, was an das Herannahen des lieben Weihnachtsfestes hier im Süden gemahnte. Die Dezembersonne lachte wie an einem schönen Herbsttage von dem jetzt wieder blauen Himmel. Kein Weihnachtsschnee, keine bunten Verkaufsbuden, keine Weihnachtsbäume auf den Straßen und Plätzen, wie die deutschen Kinder das von ihrer Heimat her kannten.
Große Sorgen hatten die Zwillinge.
Woher sollte man dies Jahr bloß einen Weihnachtsbaum nehmen? Es gab ja gar keine Tannen hier in Italien. Selbst Herbert wußte diesmal keinen Rat. Nur eins stand fest: Ohne Weihnachtstanne war das ganze liebe Weihnachtsfest nicht richtig.
»Woher wißt ihr denn hier, daß Weihnachten ist, wenn ihr keinen Weihnachtsbaum habt?« fragte Suse ihre Freundin Rita.
»Es steht doch im Kalender. Und dann ist Vater am Weihnachtsfeiertag bei uns unten und geht mit uns in die Messe. Oh, du glaubst nicht, wie schön die Kirche mit Blumen geschmückt ist und was für herrliche Musik dann ertönt. Ich denke immer, der Himmel öffnet sich, und ich sehe meine mamma carissima«, setzte sie leise hinzu.
Der warmherzigen Suse waren die Tränen in die Augen getreten. Keine Mutti hatte die arme Rita am Weihnachtsabend! Und Herbert und sie waren traurig, weil sie bloß keinen Weihnachtsbaum hier in Italien bekamen. Sie hatten ihre liebe Mutti und den guten Vater – waren sie nicht undankbar?
»Bekommst du auch nichts geschenkt, Rita?« erkundigte sie sich teilnehmend.
»Freilich, von meiner Tante und von dem babbo. Aber Tante Giovanna reist zu Weihnachten zu ihren Kindern nach Rom. Und unser Vater kommt erst am ersten Feiertag vom Vesuv herunter. Mio fratello Enrico schenkt mir auch was Schönes. Ich werde ihm ein Taschenmesser – un coltellino – schenken.«
Ein Schreck durchfuhr Suse. Sie hatte ja überhaupt noch nicht daran gedacht, was sie ihrem » fratello«, dem Herbert, schenken konnte. Geld hatte sie gar nicht mehr. Die paar Lire, die sie zusammengespart hatte, waren für das Sofakissen, das Teresina mit ihr besorgt hatte, draufgegangen. Das Kissen bekamen Vater und Mutti zusammen. Aber Herbert – was machte sie bloß mit Herbert?
»Gibt's bei euch Laubfrösche?« erkundigte sie sich bei Rita, einer plötzlichen Eingebung folgend. Sicher würde Herbert sich freuen, wenn er einen Laubfrosch von ihr zu Weihnachten erhielte. Fragte er die Omama doch in jedem Brief, ob sein Laubfrosch, den er bei ihr in Pension gegeben, auch noch am Leben sei. Ja, mit einem Laubfrosch würde sich Herbert mächtig freuen.
»Was willst du denn mit einem Laubfrosch machen?« erkundigte sich Rita lachend.
»Ihn meinem Herbert zu Weihnachten schenken.«
Aber leider wußte Rita nicht, ob es in Italien Laubfrösche gäbe.
»Frage doch, bitte, mal deinen großen Bruder, Rita. Jungen wissen das immer besser als Mädel.«
Auch Enrico konnte Suse nur den Rat erteilen, sie solle sich einen Laubfrosch im Parkteich fangen.
Sie selbst sollte einen Laubfrosch fangen? Nein, das brachte sie nicht fertig bei all ihrer Schwesterliebe. Solch ein feuchtkaltes, grünes kleines Ungeheuer anpacken – nein, ganz unmöglich! Suse schüttelte sich schon in Gedanken daran.
Mutti, ihre Vertraute, war der Ansicht, daß es um die Weihnachtszeit selbst in Italien schwer halten dürfe, einen Laubfrosch zu fangen. Im Frühling ginge das am Ende eher. Aber sie kauften in einer zoologischen Handlung einen Laubfrosch mit einem Glas und einer kleinen Leiter für Herbert. Mutti borgte ihr das Geld einstweilen. Wenn sie erst groß wäre, würde sie es der Mutti wiedergeben.
Schwer wurde es Suse, ihr Geheimnis vor dem Zwillingsbruder zu hüten. Sie hatte noch niemals ein richtiges Geheimnis vor ihm gehabt. Gar zu gern hätte sie es ihm anvertraut.
»Du, Herbert, ich schenke dir was zu Weihnachten«, begann sie eines Abends im Bett, als ihr Geheimnis ihr gar zu sehr auf der Seele brannte.
»Ach nee!« kam es bloß aus dem Nebenzimmer.
»Doch, ganz bestimmt, Herbert. Freust du dich darüber?«
»Ich weiß ja noch gar nicht, was es ist«, meinte Herbert gähnend. »Und überhaupt, dann muß ich dir doch auch was schenken.« Daran hatte er noch nicht im entferntesten gedacht.
»Ja, dann mußt du mir auch was schenken«, stimmte Suse lebhaft bei.
Herbert dachte angestrengt nach.
»Weißte was, Suse?«
»Na?«
»Willst du mir wirklich eine Freude machen?«
»Ja, natürlich, was Feines bekommst du. Grün sieht's aus.«
»Nee, schenke mir lieber nichts, dann brauche ich dir auch nichts zu schenken.« Herbert wollte jetzt schlafen und sich nicht den Kopf wegen Suses Geschenk zerbrechen. Geld hatte er außerdem auch nicht.
»Das geht doch aber jetzt nicht mehr«, regte sich Suse auf. »Was soll ich denn mit dem ollen Laubfrosch anfang – – –.« Da biß sie sich erschreckt auf die Lippen. Nun war es heraus. Nun hatte sie ihr Geheimnis verraten.
»Einen Laubfrosch? Suse, einen Laubfrosch willst du mir schenken? Wirklich?« Herbert war plötzlich ganz munter. Er sprang vor Freude in seinem Bett herum.
Im andern Bett aber saß die Suse und weinte bitterlich, daß ihre Überraschung nun verraten war.