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IV.

In dem der schreckliche Kampf zwischen Abendland und Morgenland zu Gunsten des letzteren ausgeht.

 

So sehr der Frachtschiffer und Juhel seit einiger Zeit an Zwischenfälle und Hindernisse gewöhnt waren, so etwas hätten sie sich doch nicht träumen lassen ... Meister Antifer, der hartgesottene Hagestolz, so an die Wand gedrückt ... und an welche Wand! ... die Wand der Ehe, die er – bei Strafe des Verlustes seines ungeheuren Erbantheiles, übersteigen sollte!

Juhel bat seinen Oheim, die Sache etwas ausführlicher zu erzählen. Das that dieser unter Begleitung eines ganzen Breitenfeuers flammender Verwünschungen, die leider dem in seinem Hause des Malteserviertels geschützten Zambuco kein Härchen versengen konnten.

Man denke sich nur den alten Knaben, der mit sechsundvierzig Jahren eine siebenundvierzigjährige Jungfrau heimführte und so ein Stückchen Orientale, etwas wie ein Antifer-Pascha würde!

Juhel und Gildas Tregomain sahen sich verlegen stillschweigend an; jedenfalls durchzuckte sie aber der nämliche Gedanke.

»Untergegangen, die fünfzig Millionen! sagte sich der Frachtschiffer.

– Nichts mehr, was der Heirat mit meiner Enogate im Wege stünde!« sagte sich Juhel.

Daß Meister Antifer den Forderungen Zambuco's nachgeben, daß er sich entschließen könnte, der Schwager des Banquiers zu werden, daran war doch wohl gar nicht zu denken. Einer solchen Bedingung hätte er sich auch für eine Milliarde nicht unterworfen.

Der Malouin lief inzwischen von einem Ende des Raumes zum andern hin und her. Dann blieb er stehen, setzte sich, und trat wieder an seinen Freund und seinen Neffen heran, wie um sie ganz genau anzusehen, und wandte die Augen ebenso schnell wieder ab. In Wahrheit war er schmerzlich anzusehen, und wenn ihn Gildas Tregomain je für nahe daran hielt, den Verstand zu verlieren, so war das jetzt der Fall. Juhel und er schienen auch stillschweigend übereingekommen zu sein, nichts zu erwidern, er mochte sagen, was er wollte. Mit der Zeit würde er ja wieder Vernunft annehmen.

Endlich fand er die Sprache wieder und haspelte nun seine Reihe wüthender Onomatopoetica herunter.

»Hundert Millionen ... verloren durch den Trotzkopf jenes Schurken! ... Verdiente er nicht die Guillotine ... eine Kugel ... einen Strick ... Dolch ... oder Gift! Gepfählt werden müßte er! ... Seine maltesische Scharteke heiraten ... die kein Affe aus Senegambien haben möchte! ... Seht Ihr mich nicht schon als Ehegespons dieses Fräuleins Talisma?«

Nein, das sahen beide nicht, und die Einführung einer solchen Schwägerin und Tante in den Schoß der ehrbaren Familie Antifer gehörte zu den unwahrscheinlichsten Dingen, die niemand für möglich gehalten hätte.

»So thu' doch den Mund auf, Frachtschiffer!

– Lieber Freund?

– Sage mir, hat einer das Recht, hundert Millionen in einem Loche versteckt liegen zu lassen, wenn er nur einen Schritt zu machen braucht, um sie herauszuholen?

– Ich bin nicht vorbereitet, auf diese Frage zu antworten, erklärte Tregomain ausweichend.

– Ah so, da fehlt Dir's an der nöthigen Vorbereitung! ... rief Antifer, der seinen Hut in eine Ecke schleuderte. Sehr schön! Bist Du vielleicht vorbereitet, auf diese hier zu antworten?

– Auf welche denn?

– Wenn ein Mensch ein Schiff – sagen wir eine Galeere – meinetwegen eine »Charmante Amélie« ...

Gildas Tregomain ahnte, daß es seiner »Charmante Amélie« jetzt schlecht gehen würde.

»... Wenn er so einen alten Kasten mit hundert Millionen in Gold belüde und öffentlich anzeigte, er wolle aufs hohe Meer hinausfahren, um seine Millionen zu ersäufen, glaubst Du, daß die Regierung ihn so ohne weiteres gewähren ließe? ... Heraus mit der Sprache!

– Nein, das glaub' ich nicht, alter Freund.

– Eben das hat sich jenes Ungeheuer Zambuco in den Kopf gesetzt! ... Er braucht nur ein Wörtchen zu sagen, so finden wir seine und meine Millionen ... doch er versteift sich darauf, zu schweigen!

– Ich kenne keinen abscheulicheren Hallunken! erwiderte Tregomain mit einer Miene, als ob er auch in Wuth gerathen wäre.

– Nun, und Du, Juhel? ...

– Lieber Onkel? ...

– Wenn wir ihn nun bei Gericht denuncierten? ...

– Gewiß, das wäre wenigstens das letzte Mittel ...

– Denn dem Gericht ist erlaubt, was der Einzelne nicht thun darf ... das kann ihn ins Verhör nehmen ... ihn mit glühenden Zangen zwicken ... ihn bei langsamem Feuer braten ... und das muß noch so kommen!

– Die Idee ist nicht schlecht, lieber Onkel.

– Ausgezeichnet, sag' ich Dir, Juhel. Nur um diesen schrecklichen Schacherer zur Vernunft zu bringen, ließ ich lieber meine fünfzig Millionen im Stiche und opferte sie den Armen ...

– O, das wäre schön, das wäre edelmüthig, großherzig! rief der Frachtschiffer, das wäre eines Franzosen ... eines Malouin ... eines echten Antifer würdig ...«

Als der Onkel Juhels jene Worte hervorpolterte, war er freilich weiter gegangen, als er gewollt hatte, denn er warf einen so schrecklichen Blick auf Gildas Tregomain, daß der brave Mann seine Lobhymne kurz abbrach.

»Hundert Millionen! ... Hundert Millionen! wiederholte Meister Antifer ... ich mache ihn todt ... diesen Unglücks-Zambuco ...

– Aber, Onkel! ...

– Alter, guter Freund!«

Bei der Ueberreizung, in der er sich befand, konnte mau dem Malouin in der That den dümmsten Streich zutrauen ... für den er nicht verantwortlich gewesen wäre, da er in Folge momentaner Geistesstörung gehandelt hätte.

Als Gildas Tregomain und Juhel ihn aber zu beruhigen suchten, stieß er sie heftig von sich und beschuldigte sie, daß sie es mit seinen Feinden hielten, dem Zambuco die Brücke verträten und ihm nicht helfen wollten, den Erbschleicher zu vernichten.

»Laßt mich ... laßt mich in Ruhe!« schrie er endlich.

Den Hut aufhebend, warf er die Thüre zu und verließ den Salon.

In der Vermuthung, Meister Antifer werde nach dem Hause des Banquiers laufen, beschlossen beide, ihm nachzueilen, um ein Unglück zu verhüten. Sie beruhigten sich jedoch, als sie ihn die große Treppe hinaufsteigen und sich nach seinem Zimmer begeben sahen, das er zuschloß.

»Das Gescheiteste, was er anfangen konnte! meinte der Frachtschiffer, die Achseln zuckend.

– Ja ... der arme Onkel!« antwortete Juhel.

Nach einem solchen Auftritte hatten sie den Appetit zum Essen natürlich fast ganz verloren.

Sie betheiligten sich an der Tafel also nur sehr wenig, und dann verließen die beiden Freunde das Hôtel, um am Ufer des Bahira etwas frische Luft zu schöpfen. Beim Hinaustreten begegneten sie Ben Omar mit Nazim. Sie fanden nichts dabei, den Notar von dem Vorgegangenen zu unterrichten, und dieser hatte kaum von den Bedingungen des Banquiers Zambuco gehört, als er auch schon ausrief:

»Natürlich muß er das Fräulein Zambuco heiraten! ... Er hat gar kein Recht, das abzuschlagen! ... Nein, das Recht hat er nicht!«

Das war auch die Ansicht Saouk's, der nie gezögert hätte, irgendwelche Ehe einzugehen, wenn sie ihm nur eine solche Mitgift einbrachte.

Gildas Tregomain und Juhel wandten ihnen den Rücken und gingen nachdenklich die Marine-Allee hinunter.

Ein schöner, durch den Seewind abgekühlter Abend lud die Bevölkerung von Tunis zu einem Spaziergang ein. Der junge Kapitän und der Frachtschiffer schlenderten der Stadtmauer zu, gingen durch das Thor derselben, legten noch die hundert Schritte bis zum Ufer des Sees zurück und nahmen endlich an einem Tische im Café Wina Platz, wo sie, nach Bestellung eines Flacons Manubro, ungestört plaudern konnten. Für sie lag ihre Angelegenheit sehr einfach. Meister Antifer würde sich den Zumuthungen des Banquiers Zambuco niemals fügen ... Daraus ergab sich die Nothwendigkeit, auf die Aufsuchung des Eilandes Nummer zwei zu verzichten ... daraus wieder die Veranlassung, von Tunis mit dem nächsten Postdampfer abzufahren ... und daraus endlich die ungeheure Befriedigung, baldigst nach Frankreich heimzukehren.

Das war offenbar die einzig mögliche Lösung. Sie würden auch nicht unglücklicher sein, ohne den großen Geldsack Kamylk-Paschas nach Saint Malo zurückzukommen. Warum hatte Seine Excellenz auch solche Schliche und Kniffe beliebt!

Gegen neun Uhr schlugen Gildas Tregomain und Juhel den Weg nach dem Hotel wieder ein und begaben sich in ihre Zimmer, nachdem sie kurze Zeit vor dem des Onkels gewartet hatten. Dieser schlief noch nicht, er hatte sich noch nicht einmal niedergelegt. Er marschierte vielmehr noch immer auf und ab, sprach mit keuchender Stimme vor sich hin und man hörte nur die Worte:

»Millionen ... Millionen ... Millionen!«

Der Frachtschiffer legte die Fingerspitze an die Stirn, als wollte er sagen, daß es mit dem da drinnen nun wirklich nicht mehr ganz richtig sei, dann wünschten sich beide gute Nacht und gingen sehr beunruhigt auseinander.

Am folgenden Morgen standen Gildas Tregomain und Juhel sehr frühzeitig auf. Sie mußten sich ja überzeugen, was Meister Antifer nach der gestrigen Weigerung Zambuco's begann, und sie wollten in der ganzen Sache zu einem endgiltigen Entschlusse kommen, der doch nur dahin zielen konnte, ihr Bündel zu schnüren und Tunis schnellstens zu verlassen. Nach den Erkundigungen, die der junge Kapitän eingezogen hatte, sollte das la Goulette anlaufende Postschiff noch am nämlichen Abend nach Marseille abgehen. Was hätte Juhel nicht darum gegeben, seinen Onkel schon an Bord, in seine Cabine eingeschlossen und zwanzig Seemeilen von der afrikanischen Küste entfernt zu wissen!

Der Frachtschiffer und er folgten dem Corridor, der nach Meister Antifer's Zimmer führte.

Sie klopften an die Thür.

Keine Antwort.

Juhel klopfte noch einmal und stärker.

Dasselbe Stillschweigen.

Lag sein Onkel wohl in jenem Seebärenschlaf, der auch durch einen Vierundzwanzigpfünder nicht gestört wird? Oder hatte er vor Verzweiflung und in einem Anfalle hitzigen Fiebers etwa gar ...?

Vier Stufen auf einmal nehmend, stürmte Juhel zum Portier hinunter, während der Frachtschiffer, dem die Beine schlotterten, sich am Treppengeländer festhielt, um nicht hinunter zu kollern.

»Meister Antifer? ...

– Ist schon sehr zeitig ausgegangen, erklärte der Portier auf die Frage des jungen Kapitäns.

– Und hat nicht hinterlassen, wohin?

– Nein ... kein Wort.

– Sollte er den Spitzbuben Zambuco doch wieder aufgesucht haben? fragte Juhel, der Gildas Tregomain nach dem Marineplatze hin eiligst mit fortzog.

– Wenn's aber an dem ist ... so stimmt er doch am Ende zu ... murmelte der Frachtschiffer, der die Arme zum Himmel emporhob.

– Das ist unmöglich! ... rief Juhel.

– Ja, das ist unmöglich! ... Kannst Du ihn Dir vorstellen, wie er nach Saint Malo in sein Haus der Rue des Hautes-Salles zurückkehrt, mit Fräulein Talisma Zambuco an der Seite, wie er unsrer kleinen Enogate eine maltesische Tante mit heimbringt?

– Eine Scharteke ... hat mein Onkel gesagt!«

Im höchsten Grade beunruhigt, setzten sie sich an einem Tischchen des dem Hôtel de France gegenüber liegenden Cafés nieder. Von hier aus konnten sie die Rückkehr Meister Antifer's beobachten.

Man sagt, daß der Rath über Nacht kommt, freilich aber nicht, daß dieser Rath immer gut sei. In der That hatte sich unser Malouin schon mit Tagesanbruch nach dem Malteserviertel auf den Weg gemacht und das Haus des Banquiers so schnell erreicht, als hätte ihn eine Meute Hunde gehetzt.

Zambuco pflegte mit der Sonne aufzustehen und sich mit dieser niederzulegen. Der Banquier und das Tagesgestirn vollendeten ihren Tageslauf übereinstimmend. Der erstere saß also schon in seinem Armstuhle, das Bureau vor, den Geldschrank hinter sich, als der Meister Antifer zu ihm hereingeführt wurde.

»Guten Morgen, sagte er, die Brillengläser putzend, um seinen Besucher deutlicher sehen zu können.

– Bleibt das Ihr letztes Wort? fragte dieser, ohne Vorrede auf sein Ziel lossteuernd.

– Mein letztes!

– Sie weigern sich, mir Kamylk-Paschas Brief auszuliefern, wenn ich nicht Ihre Schwester heirate?

– Unbedingt!

– Nun, so heirat' ich sie ...

– Ah, das wußt' ich! Eine Frau, die Ihnen fünfzig Millionen mitbringt! ... Der Sohn Rothschilds hätte sich glücklich geschätzt, Talismas Mann werden zu können ...

– Möglich ... ich werde auch glücklich sein! antwortete Meister Antifer mit einer Grimasse, die er gar nicht zu verbergen suchte.

– So kommen Sie, Schwager,« erwiderte Zambuco.

Er erhob sich, als ob er nach der Treppe und ins Obergestock hinauf gehen wollte.

»Ist sie denn gar schon hier?« ... rief Meister Antifer entsetzt.

Sein Gesicht glich dem eines Verurtheilten, wenn er zum letzten Gange geweckt wird und dem der Gefängnißwärter zuruft: »Nun vorwärts ... Muth ... 's ist ja nur heute einmal!«

»Beruhigen Sie sich, mein feuriger Bräutigam! entgegnete der Banquier. Haben Sie denn vergessen, daß sie in Malta ist?

– Wohin gehen wir dann? erkundigte sich Meister Antifer, erleichtert aufseufzend.

– Nach dem Telegraphen.

– Um ihr von dem Handel Mittheilung zu machen?

– Ja ... und sie aufzufordern, daß sie sofort hierherkommt ...

– Machen Sie ihr die Meldung, wenn Sie wollen, Herr Zambuco, ich erkläre Ihnen aber, daß es mir gar nicht einfällt, meine Zukünftige hier – in Tunis – zu erwarten.

– Und warum nicht?

– Weil Sie und ich keine Zeit zu verlieren haben. Ist es nicht das Nothwendigste, das Eiland aufzusuchen, sobald dessen Lage festgestellt ist?

– O, Herr Schwager, acht Tage eher oder später, das macht nichts aus!

– Im Gegentheil, das macht sehr viel aus, und Sie müssen doch ebensolche Eile haben wie ich, die Erbschaft Kamylk-Paschas anzutreten.«

Der geizige und habgierige Banquier hatte es in der That mindestens ebenso eilig, und wenn er seine Ungeduld auch hinter einer gemachten Gleichgiltigkeit verbarg, brannte er doch vor Verlangen, seinen Theil der Millionen einzustecken. Jetzt wollte er dem andern auch nicht widersprechen.

»Nun gut, sagte er, Sie mögen ja recht haben. Ich werde meine Schwester erst nach unsrer Rückkehr kommen lassen, doch will ich sie wenigstens unterrichten von dem Glücke, das ihrer wartet.

– Ach ja ... das ihrer wartet! wiederholte Pierre-Servan-Malo, ohne die Art des Glücks näher zu bezeichnen, das er der heiratslustigen alten Jungfrau aufbewahrte.

– Ich möchte nur ein schriftliches Eheversprechen haben, fuhr Zambuco fort.

– Setzen Sie es auf ... ich unterschreibe.

– Mit Reugeld bei Nichteinhaltung?

– Meinetwegen ... Wie viel Reugeld?

– Sagen wir, die fünfzig Millionen, die auf Ihren Antheil fallen.

– Einverstanden ... nun machen wir aber ein Ende!« antwortete Meister Antifer, entschlossen, der Ehegemahl des Fräuleins Talisma Zambuco zu werden, da er diesem Glücke einmal nicht entgehen konnte.

Der Banquier holte einen Briefbogen und setzte in seiner großen Handschrift einen Ehevertrag, dessen Einzelbedingungen genau formuliert wurden, nach allen Regeln der Kunst auf. Darin war festgesetzt, daß der Erbantheil des Meisters Antifer dem Fräulein Talisma Zambuco unverkürzt zufallen solle, wenn ihr Verlobter sich weigerte, sie vierzehn Tage nach Hebung des Schatzes als rechtmäßige Gattin heimzuführen.

Pierre-Servan-Malo setzte – mit etwas plumpen Schnörkeln verziert – seinen Namen unter den Vertrag, den der Banquier in einem Geheimfach seines Geldschranks verschloß.

Gleichzeitig brachte er ein vergilbtes Papier hervor. Das war der vor zwanzig Jahren eingetroffene Brief Kamylk-Paschas.

Dann nahm auch Meister Antifer ein durch die Länge der Zeit nicht minder gelbgewordenes Schriftstück aus seiner Brieftasche: das auf dem Eiland Nummer eins gefundene Document.

Da standen sich nun die beiden Erben wie die Waffen eben kreuzende Duellanten Auge in Auge gegenüber. Ihre Arme streckten sich vorsichtig aus, die Finger zitterten bei der Berührung der Papiere, die sie einander nur ungern übergaben. Das war ein Bild für Zuschauer! Hundert Millionen durch eine kleine Bewegung in einer Familie vereinigt!

»Ihr Brief? ... stammelte Meister Antifer.

– Ihr Dokument?« ... antwortete der Banquier.

Der Austausch war erfolgt. Es war die höchste Zeit, denn die Herzen der beiden Männer arbeiteten so heftig, daß sie zu erlahmen drohten.

Das Document mit dem Auftrage, durch einen gewissen Antifer aus Saint Malo einem gewissen Zambuco in Tunis übergeben zu werden, enthielt die Längenangabe: 7° 23' östlich von Paris.

Der Brief mit der Meldung, daß genannter Zambuco eines Tages den Besuch des genannten Antifer erhalten werde, enthielt die Breitenangabe 3° 17' südlich des Aequators.

Jetzt brauchte man auf einer Karte nur die entsprechenden beiden Linien zu kreuzen, um die Lage der Insel Nummer zwei zu ersehen.

»Sie haben ohne Zweifel einen Atlas? fragte der Banquier.

– Einen Atlas und auch einen Neffen, antwortete Meister Antifer.

– Einen Neffen?

– Ja ... einen jungen Kapitän der langen Fahrt, der die nöthige Operation ausführen wird.

– Wo ist denn dieser Neffe?

– Hier, im Hôtel de France.

– Da wollen wir sofort hin, Herr Schwager! rief der Banquier, einen breitkrämpigen alten Hut aufstülpend.

– Nun, also vorwärts!« erwiderte Meister Antifer.

Beide begaben sich nach dem Marineplatze. Vor dem Postgebäude angelangt, wollte Zambuco erst noch eine Depesche nach Malta aufgeben.

Meister Antifer hatte nichts einzuwenden. Fräulein Talisma Zambuco mußte doch wenigstens die Kunde erhalten, daß sich »ein Officier der französischen Marine« um ihre Hand beworben und ihr Bruder sie diesem, unter höchst annehmbaren Bedingungen bezüglich der Vermögens- und Familienverhältnisse, fest zugesagt habe.

Nach Erledigung der Telegrammangelegenheit begaben sich beide Männer wieder nach dem Platze hinaus. Gildas Tregomain und Juhel hatten sie schon bemerkt und eilten jetzt herbei.

Als er sie sah, wollte Meister Antifer zuerst am liebsten den Kopf wegwenden. Er überwand jedoch diese unpassende Schwächeanwandlung und stellte seinen Begleiter mit fester Stimme vor.

»Der Banquier Herr Zambuco,« sagte er.

Der Banquier maß die beiden Gefährten seines Schwagers von unten her mit nicht besonders sympathischem Auge.

Dann setzte Meister Antifer, sich an Zambuco wendend, hinzu:

»Mein Neffe Juhel ... Gildas Tregomain, ein alter Freund von mir.«

Auf einen Wink folgten ihm nun alle nach dem Hotel und gingen dabei Ben Omar und Nazim, die sie scheinbar gar nicht kannten, aus dem Wege, dann ging's die Treppe hinauf und in das Zimmer des Malouin, das sorgsam abgeschlossen wurde.

Meister Antifer holte aus dem Reisesacke den von Saint Malo mitgebrachten Atlas hervor. Er schlug die Planisphärenkarte auf und sagte, indem er sich an Juhel wendete:

»Sieben Grad dreiundzwanzig Minuten östlicher Länge und drei Grad siebzehn Minuten südlicher Breite.«

Juhel konnte seine Verblüffung nicht verhehlen. Eine südliche Breite? ... Kamylk-Pascha jagte sie noch bis unter den Aequator hinaus? ... Ach, seine arme Enogate! Gildas Tregomain wagte kaum ihn anzusehen.

»Nun ... was wartest Du noch?« fragte da schon sein Onkel in einem Tone, der ihm nichts übrig ließ, als zu gehorchen.

Er nahm also den Zirkel zur Hand, folgte mit der Spitze dem siebenten Längengrade, dem er noch dreiundzwanzig Minuten hinzufügte und kam so bis zum Aequator hinunter.

Die Parallele von 3° 17' durchlaufend, gelangte er dann an deren Durchschnittspunkt mit jener Länge.

»Nun? begann Meister Antifer wieder. Wo sind wir denn da?

– Im Busen von Guinea.

– Genauer?

– In der Höhe von Loango.

– Und noch genauer? ...

– Im Gewässer der Ma-Yumba-Bai.

– Morgen früh, erklärte darauf Meister Antifer, fahren wir mit der Post nach Bona und von da aus mit der Eisenbahn nach Oran.«

Das kam in dem gewöhnlichen Tone der Schiffskapitäne heraus, wenn diese, angesichts des Feindes, etwa: »Hängematten herunter!« commandieren.

Dann wendete er sich an den Banquier zurück.

»Sie begleiten uns ohne Zweifel?

– Natürlich.

– Bis zum Busen von Guinea?

– Bis an's Ende der Welt, wenn's sein muß!

– Gut ... so richten Sie sich zur Abreise ein ...

– Ich werde bereit sein, Herr Schwager!«

Gildas Tregomain ließ sich ein unwillkürliches »Oho!« entschlüpfen. Vor dieser, seinen Ohren so ungewohnten Qualification stand er so verblüfft, daß er es zu keiner Erwiderung des ironischen Grußes brachte, mit dem der Banquier ihn beim Fortgehen beehrte.

Jetzt standen die drei Malouins allein zusammen.

»Was ... Du hast zugestimmt? sagte Gildas Tregomain.

– Jawohl ... Frachtschiffer! ... Nun ...?«

Nun? ... Ja, hier war nichts dagegen zu sagen, und deshalb hielten es Gildas Tregomain und Juhel für rathsamst, darüber zu schweigen.

Zwei Stunden später erhielt der Banquier ein Telegramm aus Malta.

Fräulein Talisma Zambuco erklärte sich für das glücklichste Mädchen unter der Sonne, in Erwartung, bald die glücklichste Ehefrau zu werden.


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