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Worin Ben Omar Gelegenheit findet, die beiden Arten des Fortkommens, zu Wasser und zu Lande, genügend zu vergleichen.
Jener Zeit war das tunesische Bahnnetz, das jetzt mit dem algerischen in Verbindung steht, noch nicht in Betrieb. Unsre Reisenden konnten also erst von Bona aus die Eisenbahn benützen, die die Provinzen Constantine, Algerien und Oran verbindet.
Am frühen Morgen hatte Antifer mit seinen Gefährten die Hauptstadt der Regentschaft verlassen. Natürlich war der Banquier Zambuco von der Partie und hatte es Ben Omar mit seinem Anhängsel Nazim nicht versäumt, sich jenen anzuschließen. Eine richtige Karawane von sechs Personen, die diesmal genau wußten, wohin der unersättliche Millionenhunger sie entführte. Es hatte ja kein Grund vorgelegen, daraus Ben Omar gegenüber ein Geheimniß zu machen, und so war es auch Saouk nicht unbekannt geblieben, daß der Zug zur Aufsuchung des Eilands Nummer zwei den weiten Busen von Guinea, der unter der linken Hüfte Afrikas die Gegend von Loango einschließt, zum Schauplatz haben würde.
»Da haben wir eine hübsche Strecke vor uns, hatte Juhel zu Ben Omar gesagt, und Ihnen steht es frei, davon zurückzubleiben, wenn Sie die Mühseligkeiten der neuen Reise fürchten.«
Von Algier bis Loango sind freilich verschiedene hundert Meilen zurückzulegen.
Ben Omar hatte jedoch nicht gezögert, mit abzureisen, und Saouk hätte ihm das wohl verwehrt. Dazu auch noch die glänzende Provision, die seine Augen blendete ...
Am 24. April nahmen also Meister Antifer, der Gildas Tregomain und Juhel, Saouk, der Ben Omar, und Zambuco, der sich selbst mitschleppte, die Plätze des Postwagens ein, der zwischen Tunis und Bona, verkehrt. Vielleicht wechselte man unterwegs kein Wort, doch jedenfalls reiste man zusammen.
Vergessen wir nicht zu bemerken, daß Juhel am Vorabend noch einen Brief an Enogate abgesendet hatte. Binnen wenigen Tagen mußte das junge Mädchen und ihre Mutter wissen, an welchem Punkte der Erde Meister Antifer sein berühmtes Legat, das nun auf fünfzig Procent zusammengeschmolzen war, zu erheben gedachte. Die Dauer dieses zweiten Theiles der Reise konnte nicht wohl geringer, als einen Monat geschätzt werden, und die Verlobten durften also auf ein Wiedersehen vor der zweiten Hälfte des Mai nicht hoffen. Das würde auf Enogate leider recht niederschlagend wirken! Doch wenn sie nur voraussehen konnte, daß bei der Rückkehr auch alle früheren Hindernisse ihrer Eheschließung geebnet wären ... Auf einen solchen Onkel war freilich kein Verlaß!
Was Gildas Tregomain angeht, beschränken wir uns auf die Bemerkung, daß es nun gar in seinem Schicksalsbuch geschrieben stand, daß er den Aequator überschreiten mußte. Er, der Schiffer von der Rance, schwamm auf den Meeren der südlichen Halbkugel! Das Leben bereitet einem aber einmal solche Ueberraschungen, daß der gute Mann nun bald über nichts erstaunte – vielleicht nicht einmal mehr darüber, daß in den Eingeweiden des Eilandes Nummer zwei die drei berühmten Fässer Kamylk-Paschas aufgefunden würden.
Diese Gemüthsstimmung hinderte ihn indeß nicht, einen Blick auf das merkwürdige Land zu werfen, das sie mit der Post durchfuhren – das Land, das den Ebenen der Bretagne und auch den mehr hügligen derselben, so wenig ähnelte. Vielleicht war er von den sechs Reisenden aber der einzige, der daran dachte, sich eine Erinnerung an die verschiedenen tunesischen Landschaften zu bewahren.
Das etwas unbequeme Gefährt rollte nur langsam dahin. Von einem Relais zum andern trotteten sich seine drei Pferde ziemlich müde auf der unebenen Straße, die – vor allem in dem malerischen Theile von Medjerdah – alpenartige Steigungen mit engen Windungen und rauschende Bergbäche ohne Brücken hatte, so daß das Wasser zuweilen bis an die Wagenachsen heranreichte.
Das Wetter war schön, der Himmel tiefblau – wie gesotten von der ungeheuren Hitze der Sonne.
Der Barda, der Palast des Bey, der zur Linken sichtbar wurde, leuchtete in so reinem Weiß, daß man ihn nur mit angeblakten Gläsern sehen konnte, ebenso andre Paläste, die in Dickichten von Feigen- und Pfefferbäumen versteckt lagen, welche mehr Trauerweiden mit zur Erde herabhängenden Zweigen glichen. Da und dort zeigten sich Gurbis (arabische Hütten) mit gelbstreifigem Leinendache, unter dem Araberfrauen mit ernsten Gesichtszügen und bräunliche Kinderköpfe, die nicht weniger ernst als ihre Mütter aussahen, hervorlugten. Weiter draußen, auf Feldern und Abhängen, weideten Schafheerden und tummelten sich rabenschwarze Ziegen umher.
Wenn die Peitsche durch die Luft schwirrte, flatterten zuweilen einige Vögel am Wege auf, von denen sich schöne Sittige durch ihre lebhaften Farben auszeichneten. Diese gab es zu Tausenden, und wenn die Natur ihnen singen gelehrt hatte, so hatte sich doch der Mensch noch nicht bemüht, sie sprechen zu lehren. Die Fahrt verlief also inmitten eines Concertes, nicht eines Geplauders.
Die Pferde wurden recht oft gewechselt. Gildas Tregomain und Juhel stiegen an jedem Relais ab, um sich die Beine geschmeidig zu erhalten. Dann und wann that es der Banquier ihnen nach, sprach aber kein Wort mit seinen Reisegefährten.
»Das ist ein Männchen, bemerkte der Frachtschiffer, der auf die Millionen des Paschas ebenso zu brennen scheint, wie unser Freund Antifer!
– Wahrhaftig, Herr Tregomain, die beiden Erben sind einander würdig!»
Wenn Saouk einen Fuß auf die Erde setzte, begnügte er sich stets, etwas von den Gesprächen zu erlauschen, während er sich noch immer stellte, als ob er die Sprache nicht verstehe. Ben Omar blieb unbeweglich in seiner Ecke sitzen, nur beschäftigt mit dem Gedanken, daß er nun bald wieder zur See fahren mußte, und nach den kurzen Wellen des Mittelmeeres sollte er nun gar den großen Wogen des Atlantischen Meeres trotzen!
Auch Pierre-Servan-Malo rührte sich nicht von seinem Platz. Seine Gedanken weilten nur bei dem inmitten der siedenden afrikanischen Gewässer verlornen Eiland Nummer zwei.
Am Abend, kurz vor Sonnenuntergang, kam noch eine Gruppe von Moscheen, Marabuts, weißen Kuppeln und spitzen Minarets in Sicht – das war der Flecken Tabourka, der, in grünem Rahmen eingeschlossen, noch ganz das Aussehen einer tunesischen Stadt bewahrt hat.
Hier hält die Post einige Stunden an. Die Reisenden fanden beim Relais ein Hotel oder vielmehr eine Herberge, wo sie ein wenig schmackhaftes Essen vorgesetzt bekamen. An eine Besichtigung der Stadt war nicht zu denken. Von den sechs Personen hätten höchstens der Frachtschiffer und auf dessen Aufforderung vielleicht Juhel einen solchen Gedanken gehabt. Meister Antifer legte ihnen aber ein für allemal ans Herz, sich – um Verzögerungen zu vermeiden – ja nicht zu entfernen, und sie ließen sich das gesagt sein.
Um neun Uhr abends ging die Fahrt in sternenheller Nacht weiter. Immerhin ist es nicht ohne Gefahr, diese Gegenden zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang zu durchfahren – Gefahren, die zum Theil durch den schlechten Zustand der Wege bedingt werden, doch theils auch von den hiesigen Straßenräubern, den Krumirs, oder von hungrigen Raubthieren drohen. In der dunklen Stille der Nacht hörte man auch, wenn die Post am Rande von Wäldern vorüberrollte, gar deutlich das Brüllen von Löwen und das Bellen von Panthern. Die Pferde wurden dadurch wild und es bedurfte der ganzen Kunst des Wagenlenkers, sie im Zaum zu halten. Wegen des Miauens der Hyänen, dieser anmaßlichen Katzen, machte man sich gar keine Sorge.
Um vier Uhr morgens erhellte sich endlich der Zenith wieder, so daß man die Einzelheiten der Umgebungen nach und nach deutlicher unterscheiden konnte.
Immer blieb die Aussicht ziemlich beschränkt, da lange graue Hügel sich ringsum ausdehnten. Das Thal von Medjerdah schlängelte sich ihnen zu Füßen, und zwischen Lorbeerrosen und blühenden Eucalypten floß, einmal ruhig murmelnd und dann wieder wild aufbrausend, der dasselbe durchziehende gelbe Bach dahin.
Der Theil der Regentschaft, der an Krumirien grenzt, ist besonders bergig. Hätte der Frachtschiffer Tirol ein wenig bereist, so würde er hier – abgesehen von der geringeren Höhe der Berge – sich in einem Alpenlande zu befinden geglaubt haben. Er war aber nicht in Tirol, nicht einmal in Europa, sondern entfernte sich davon mit jedem Tage mehr. Da erhoben sich seine Mundwinkel mehr und mehr, was ihm ein nachdenkliches Aussehen verlieh, und seine dicken Augenlider sanken herab als Zeichen der Unruhe des braven Mannes.
Zuweilen sahen der junge Kapitän und er einander lange Zeit an, und diese Blicke bildeten eine ganze Unterhaltung, die stumm geführt wurde.
An diesem Morgen fragte Meister Antifer seinen Neffen:
»Wo werden wir heute Abend sein?
– Beim Relais von Gardimau, lieber Onkel.
– Und wann kommen wir nach Bona?
– Morgen Abend.«
Der düstre Malouin verfiel wieder in sein gewöhnliches Schweigen, oder seine Gedanken irrten vielmehr wieder durch das unterbrochne Traumbild, das ihn vom Gewässer des Golfes von Oman nach dem Busen von Guinea führte. Dann hefteten sie sich an den einzigen kleinen Punkt der Erdkugel, der für ihn wirklich Interesse hatte, und er sagte sich, daß das zwei andern Augen ebenso ergehen möge. In der That schienen der Banquier Zambuco und er – zwei Wesen von verschiedner Rasse, von so abweichenden Gewohnheiten, die einander auf Erden niemals hätten begegnen sollen – jetzt nur eine einzige Seele zu haben, schienen sie zwei Galeerensclaven an derselben Kette – freilich einer Kette aus Gold – zu sein.
Die Wälder mit Feigenbäumen wurden inzwischen immer dichter und dichter. Da und dort tauchten in einiger Entfernung Araberdörfer aus dem meergrünen Laub auf. Dann wieder zeigte sich eine jener horizontalen Flächen, die man, wenn sie von einem Bergabhang abstehen, »Drèches« (Malztennen) zu nennen pflegt. Hier erhoben sich Gurbis, dort weideten Heerden an einem Bergstrome, in dessen Bett das Wasser nach der Küste zu hinunterrauschte. Endlich erschien wieder ein Relais – meist ein erbärmlicher Stall, in dem Menschen und Vieh in vollständiger Eintracht lebten.
Am Abend hielt man bei Gardimau oder vielmehr an der Holzhütte, die, von einigen andern umgeben, zwanzig Jahre später eine der Stationen der Bahn von Bona nach Tunis bilden sollte. Nach zweistündigem Aufenthalt – der für das magre Abendessen in der Schenke viel zu lang war – setzte sich der Postwagen wieder in Bewegung und rollte durch die Windungen des Thales, zuweilen am Saume der Medjerdah, zuweilen gleich durch Flüsse, deren Wasser den Reisenden im Kutschkasten bis an die Füße kam, oder er klomm steile Strecken hinan, wo ihn die Pferde kaum erziehen konnten, und stürmte wieder Abhänge hinunter, wo die Zügel die rasenden Pferde kaum zu halten vermochten.
Das Land war herrlich, vorzüglich in der Umgebung von Mughtars, nur konnte leider niemand bei der stockfinstern und noch obendrein nebligen Nacht etwas davon sehen. Im übrigen bedurfte jeder nach achtundvierzigstündiger, unbequemer Fahrt endlich des Schlafs.
Der Tag begann zu grauen, als Meister Antifer und seine Gefährten in Soukhara ankamen, das am Ende einer Straßenwindung liegt, die sich an der Seite des Hügels hinzieht, welcher den Flecken mit dem Thalwege verbindet.
Ein hübsches Hôtel – das Hôtel Thagaste – ganz nahe dem gleichnamigen Platze, bot den erschöpften Reisenden einen guten Empfang. Dieses Mal erschienen ihnen die hier verbrachten Stunden nicht allzulang, und sie würden ihnen sogar zu kurz vorgekommen sein, wenn sie das malerische Soukhara hätten besuchen wollen. Natürlich schimpften Meister Antifer und Banquier Zambuco weidlich über die verlorne Zeit. Der Wagen durfte aber vor sechs Uhr morgens nicht weiter fahren.
»Beruhige Dich, sagte Gildas Tregomain zu seinem reizbaren Freunde. Wir werden Zeit genug in Bona sein, um morgen früh den Zug zu erreichen ...
– Warum aber bei etwas mehr Eile nicht den von heute Abend? versetzte Meister Antifer.
– Da geht keiner ab, lieber Onkel, bemerkte
– Was thut das? ... Ist das ein Grund, hier in diesem Loche sitzen zu bleiben?
– Halt einmal, alter Freund, fiel der Frachtschiffer ein, hier ist ein Kieselstein, den ich für Dich aufgehoben habe. Der Deinige muß doch ganz abgenutzt sein, so lange kaust Du schon darauf herum!«
Gildas Tregomain übergab dem Meister Antifer dabei einen Kieselstein, so groß wie eine grüne Nuß, den er in der Medjerdah aufgelesen hatte und der nun sehr bald zwischen den Zähnen des Malouin knirschte.
Der Frachtschiffer schlug dann vor, er möchte ein Stück mitkommen, nur bis zu dem großen Platze der Ortschaft. Er verweigerte es und schlug in dem aus dem Reisesack hervorgeholten Atlas die Karte von Afrika auf, wo er sich, auf die Gefahr hin, seinen Verstand dabei zu ertränken, in die Gewässer des Busens von Guinea versetzte.
Gildas Tregomain und Juhel lustwandelten also allein nach dem nahegelegenen Thagaste-Platze, einem großen Viereck mit einzelnen Bäumen und umgeben von orientalischen Wohnstätten, nebst einigen, trotz der frühen Morgenstunde schon offnen Cafés, die von Eingebornen besetzt waren. Unter den ersten Strahlen der Sonne hatten die Nebel sich zerstreut, und es versprach ein zwar warmer, doch schöner Tag zu werden.
Auf dem Spazierwege war der Frachtschiffer ganz Auge und ganz Ohr. Er lauschte auf die hier und da ertönenden Worte, von denen er doch keine Silbe verstehen konnte; ersuchte zu erkennen, was in den Cafés vorging, im Innern einzelner Läden, obgleich er in den einen weder etwas kaufen, noch in den andern etwas verzehren wollte. Da das launische Schicksal ihn aber einmal auf diese unglaubliche Reise verschlagen hatte, erschien es ihm als das Geringste, davon wenigstens einige dauernde Eindrücke mit heimzubringen.
So verstieg er sich zu dem Ausspruche:
»Nein, Juhel, so wie wir, darf man nicht reisen! Da wird ja niemals Halt gemacht. Drei Stunden in Soukhara, eine Nacht in Bona, nachher zwei Tage Bahnfahrt mit ganz kurzer Rast auf den Stationen ... Was werd' ich denn da von Tunis und später von Algerien zu sehen bekommen haben?
– Ich geb's zu, Herr Tregomain, es ist kein Sinn und Verstand darin! Doch sagen Sie das nur meinem Onkel, und Sie werden sehen, wie er Sie annimmt! ... Es handelt sich bei uns ja nicht um eine Vergnügungs-, sondern um eine Geschäftsreise, und der Himmel weiß, wie diese zu Ende geht.
– Mit einer Mystification, fürchte ich, antwortete der Frachtschiffer.
– Ja freilich, stimmte ihm Juhel zu, und warum könnte das Eiland Nummer zwei nicht ein Document enthalten, das uns nach einem Eiland Nummer drei verwiese!
– An ein Eiland Nummer vier, an eins Nummer fünf und an alle Eilande der fünf Erdtheile! erwiderte Gildas Tregomain, der den großen Kopf auf- und abwärts bewegte.
– Und Sie, Herr Tregomain, wären im Stande, meinem Onkel dabei zu folgen ...
– Ich?
– Gewiß ... Sie ... Sie können ihm ja doch nichts abschlagen.
– Das ist wahr. Der arme Mann macht mir rechte Noth und ich fürchte gar so sehr für seinen Schädel ...
– Nun, Herr Tregomain, was mich betrifft, so bin ich fest entschlossen, es mit dem Eiland Nummer zwei genug sein zu lassen. Muß Enogate denn einen Prinzen und muß ich mit aller Gewalt eine Prinzessin heiraten? ...
– Nein, ganz gewiß nicht! Jetzt übrigens, wo er den Schatz mit jenem Krokodil Zambuco zu theilen hat, ist ja für sie nur noch von einem Herzog und für Dich von einer Herzogin die Rede ...
– Ach, scherzen Sie nicht, Herr Tregomain!
– Ja, es ist unrecht von mir, lieber Juhel, die ganze Geschichte ist nicht dazu angethan, einen heiter zu stimmen, und wenn wir unsre Nachsuchungen gar noch weiter ausdehnen sollten ...
– Noch ausdehnen? fiel ihm Juhel ins Wort. Nein, wir gehen nach dem Golf von Loango, doch noch weiter ... keinen Schritt! ... Ich werde meinen Onkel zur Rückkehr nach Samt Malo schon zu bringen wissen!
– Und wenn er sich weigert, der Trotzkopf?
– Sich weigert? ... Dann laß' ich ihn allein ziehen ... ich fahre nach Hause zu Enogate ... und da sie in einigen Monaten volljährig ist, so heirat' ich sie ... trotz Fluth und Gegenstrom!
– Wir werden ja sehen, mein lieber Junge, vorläufig setze Dir keine Raupen in den Kopf und fasse Dich in Geduld! ... Ich denke, es wird sich alles noch machen, und die Sache endigt mit Eurer Verheiratung. Dann tanz' ich bei Eurer Hochzeit den Fackeltanz ... Laß uns indeß den Wagen nicht verpassen und ins Hôtel zurückkehren. Wenn's nicht zu viel verlangt ist, möcht' ich vor dem Dunkelwerden in Bona sein, um noch etwas von der Stadt zu sehen, denn von allem andern, das auf unserm Wege liegt, wie Constantine und Philippeville, sieht man beim Vorübersausen mit der Bahn doch nichts. Sollte es aber nicht möglich sein, so werd' ich das Versäumte in Algierr nachzuholen wissen ...«
Gildas Tregomain sprach den Namen »Algierr« aus ... warum, das wissen die Götter.
»Ja ... in Algierr ... wo wir doch hoffentlich ein paar Tage liegen bleiben ...
– Freilich, bestätigte Juhel, wird sich da nicht sofort ein Schiff finden, das nach der Westküste Afrikas abgeht, und wir werden also warten müssen.
– Wir warten ... natürlich, wir warten! erwiderte der Frachtschiffer, erfreut durch den Gedanken, die Wunder der algerischen Hauptstadt kennen lernen zu sollen. Dir ist Algierr doch bekannt, Juhel?
– Ich habe von Seeleuten gehört, daß alles dort sehr schön sei, die amphitheatralisch gelegene Stadt, ihre Quais und Plätze, ihr Arsenal und Versuchs-Garten, ihr oberes Mustapha (ein nahes Dorf) und ihre Casbah (Citadelle) ... vorzüglich ihre Casbah ...
– Alles sehr schön, Herr Tregomain, antwortete Juhel. Ich kenne aber doch etwas noch weit schöneres ... nämlich Saint Malo ...
– Und das Haus in der Rue des Hautes-Salles, das hübsche Stübchen eine Treppe hoch ... und das reizende Mägdelein darin. Bin ganz Deiner Ansicht, mein Junge! Doch da wir nun einmal durch Algierr müssen, so laß mir die Hoffnung, das auch besuchen zu können!«
Ganz in dieser Hoffnung schwelgend, begab sich der Frachtschiffer mit seinem jungen Freunde nach dem Hôtel Thagaste zurück. Es war die höchste Zeit. Schon wurden die Pferde angeschirrt. Meister Antifer lief hin und her und schimpfte auf die Nachzügler, obgleich diese gar nicht zu spät eintrafen.
Gildas Tregomain ließ vor dem wüthenden Blicke, der ihn traf, den Kopf sinken. Gleich darauf hatten alle ihre Plätze wieder eingenommen und der Wagen schwankte die steilen Abhänge von Sukhara hinunter.
Es war nur zu bedauern, daß dem Frachtschiffer keine Gelegenheit geboten war, das tunesische Land eingehender zu besichtigen. Wie malerisch erheben sich hier die – fast Berge zu nennenden – Hügel, wie reizend nehmen sich die Waldschluchten aus, die die spätere Bahnlinie zu vielfachen Krümmungen nöthigen dürften! Durch das üppige Grün treten dazu mächtige Felsmassen hervor, da und dort liegen volkreiche Duars, neben denen man in der Nacht große, zur Abwehr von Raubthieren unterhaltene Feuer auflodern sieht.
Gildas Tregomain erzählte gern von dem, was der Kutscher ihm mittheilte, denn er plauderte mit dem wackern Manne, so oft es sich thun ließ.
In einem Jahre wurden in den Dickichten hier nicht weniger als vierzig Löwen erlegt, Panther gleich zu Hunderten, und die heulenden Schakale zählte man gleich gar nicht mehr. Wie man sich denken kann, blieb Saouk, der von der Sprache scheinbar ja nichts verstand, bei diesen Schauerberichten ganz gleichgiltig, und Meister Antifer fürchtete sich vor den tunesischen Panthern und Löwen auch nicht. Ja, wenn's deren auf seinem Eiland Nummer zwei Millionen gab, wär' er noch keinen Fuß breit zurückgewichen.
Der Notar auf der einen und der Banquier auf der andern Seite schrieben sich aber, was Gildas Tregomain erzählte, weislich hinters Ohr. Wenn Zambuco zuweilen, bei einem scheuen Blick durch das Wagenfenster, die Stirn runzelte, so hauchte Ben Omar, zitternd und bleich, in seiner Ecke zusammen, sobald aus dem Gebüsch neben der Straße sich ein verdächtiges Heulen vernehmen ließ.
»Meiner Treu, plauderte Gildas Tregomain unbeirrt weiter, die Post ist hier sogar einmal wirklich überfallen worden, so daß man die Bestien mit Flintenschüssen abwehren mußte. Ja, in vergangner Nacht hat man selbst den Postwagen anzünden müssen, um eine Heerde Panther durch den Feuerschein zu verscheuchen.
– Nun, aber die Reisenden? fragte Ben Omar.
– O, die mußten bis zum nächsten Relais zu Fuß gehen, erklärte der Frachtschiffer.
– Zu Fuß! rief der Notar mit bebender Stimme. Ich ... ich könnte nimmer ...
– Da blieben Sie eben zurück, Herr Ben Omar, und wir ... wir warteten natürlich nicht auf Sie!»
Wie man sich denken kann, kam diese herzlose, wenig beruhigende Antwort aus dem Munde des Meister Antifer. In andrer Weise betheiligte er sich an keinem Gespräche, und Ben Omar erkannte zu seinem Schrecken, daß er weder zum Reisen auf dem Lande, noch zu dem auf dem Wasser geschaffen sei.
Der Tag verging indeß, bis auf einiges, doch entferntes Raubthiergebrüll, ohne jede Störung. Gildas Tregomain überzeugte sich jedoch zu seinem Leidwesen, daß es vor dem Eintreffen in Bona schon ganz dunkel sein werde.
Wirklich war es bereits um sieben Uhr abends, als der Wagen, drei bis vier Kilometer vor der Stadt, nahe bei Hippone, erst an einer, durch den unvergeßlichen Namen des heiligen Augustin berühmten Stelle vorüberkam, wo viele Araber ihre Gebete und Hexereien abzuhalten und vorzunehmen pflegen. Einige zwanzig Jahre später hätte man hier die Grundsteine zu der Basilica und dem Hospital sehen können, die die mächtige Hand des Kardinal Lavigerie aus dem Boden aufsteigen ließ.
Kurz, tiefe Dunkelheit verhüllte ganz Bona, seine Strandpromenade vor den Wällen, seinen länglichen Hafen mit der an der Westseite weit hinausragenden Sandbank, das saftige Grün, das den Hintergrund des Quais bildet, den modernen Stadttheil mit seinem großen Platze, aus dem sich jetzt eine Statue von Thiers im bronzenen Ueberrock erhebt, und endlich seine Casbah, die dem Frachtschiffer hätte einen Vorgeschmack von der Casbah von Algier geben können.
Ja, den vortrefflichen Mann verfolgte das Unglück und er tröstete sich nur noch mit dem Gedanken, in der Hauptstadt des »Zweiten Frankreich« seine Revanche zu nehmen.
Die Reisenden begaben sich in ein Hotel am Platze, speisten zu Abend und legten sich gegen neun Uhr schlafen, um zum Frühzuge bereit zu sein. Und diese Nacht, scheint es, fielen, durch eine sechzigstündige Wagenfahrt abgemattet, alle, sogar der schreckliche Antifer, in tiefen Schlummer.