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XII.

Worin man sieht, daß es nicht leicht ist, einen Clergyman zu bewegen, daß er das sagt, was er zu verschweigen beschlossen hat.

 

Das Haus des Reverend Tyrcomel lag im Quartier der Canonstraße der Alten Stadt, der »Alten Eingerauchten«, wie sie in Schriftstücken aus früherer Zeit genannt wird. Es grenzte an das Haus John Knox', dessen Fenster sich in der Mitte des 17. Jahrhunderts so oft öffneten, um den berühmten schottischen Reformator eine Rede an die Volksmenge halten zu lassen. Diese Nähe oder diese Nachbarschaft konnte dem Reverend Tyrcomel nur gefallen. Auch er strebte danach, Reformen selbst durchzusetzen, wenn er diese auch nicht von seinem Fenster aus predigte.

Das Fenster des Zimmers, das er in diesem Hause bewohnte, lag übrigens gar nicht nach der Straße zu, sondern nach dem nördlichen »Hohlwege« hinaus, einem Platze, der jetzt einen von der Eisenbahn durchschnittenen öffentlichen Garten bildet. Befand sich das Fenster an der einen Seite im dritten Stockwerk, so lag es nach der des »Hohlweges« im achten, so bedeutend war der Höhenunterschied auf eine ganz kurze Strecke.

Im Ganzen ein düstres, unbequemes Haus, gehörte es zu denen, die sich in den unsaubern und ungesunden, »Closes« genannten Gäßchen der Gegend zusammendrängen. Viele solche münden auf die historische Canongate aus, die unter verschiedenen Bezeichnungen vom Schlosse Holyrood bis zum Schlosse Edinburg heranreicht, letzteres eins der vier Festungswerke Schottlands, die nach dem Unionsvertrage stets in vollem Vertheidigungszustande gehalten werden müssen.

Vor der Thür des genannten Hauses standen nun am Morgen des 26. Juni Meister Antifer und der Banquier Zambuco in Begleitung Juhels, als es an der nahen Kirche gerade acht Uhr schlug. Ben Omar war, da man ihn bei diesem ersten Zusammentreffen nicht brauchte, gar nicht zum Mitgehen aufgefordert worden. So befand sich also, zu seinem Verdrusse, auch Saouk nicht mit hier, und wenn der Clergyman sein Geheimniß der Breite offenbarte, konnte er davon nicht Kenntniß nehmen, was ihm wiederum die Möglichkeit raubte, dem Malouin in der Aufsuchung des dritten Eilands zuvorzukommen.

Der Frachtschiffer war in Gibb's Royal-Hotel zurückgeblieben und unterhielt sich in Erwartung der Rückkehr der übrigen mit Betrachtung der Wunder der Princes-street und der Schönheiten des Denkmals Walter Scott's. Juhel hatte es nicht abschlagen können, seinen Onkel zu begleiten, weil er vielleicht als Dolmetscher dienen mußte. Auch ihm lag ja sehr viel daran, zu erfahren, wo das neue Eiland zu suchen sei, und ob die Launen Kamylk-Paschas sie vielleicht gar noch bis zur Neuen Welt hinaustrieben.

Da Saouk sich also ausgeschlossen sah, gerieth er natürlich in die gewohnte Wuth, die er wieder wie gewöhnlich an Ben Omar ausließ, den er mit Schimpfworten und Beschuldigungen geradezu überschüttete.

»Ja, Dein Fehler ist es, rief Saouk, im Zimmer alles durcheinanderwerfend, und ich habe große Lust, Dich dafür mit dem Rohrstocke zu bezahlen!

– Excellenz, ich habe gethan, was mir möglich war ...

– Nein, das hast Du nicht gethan! Du mußtest Dich an den elenden Matrosen anklammern, ihm erklären, daß Deine Anwesenheit nothwendig sei, dann wärest Du wenigstens dabei gewesen und hättest erfahren und mir überbracht, was das neue Eiland angeht, dann wär's mir vielleicht möglich gewesen, den andern zuvorzukommen! Daß Mahomet Dich erwürge! Meinen Plan einmal in Maskat, dann in Ma-Yumba und hier wohl zum dritten Male scheitern zu sehen! Und das nur, weil Du auf der Stelle festgenagelt bleibst, wie ein altes Ibisbild aus Stein!

– Ich bitte Sie, Excellenz ...

– Und ich, ich schwöre Dir, wenn ich nicht zum Ziel komme, bezahlst Du mir mit Deiner Haut dafür!«

In dieser Weise ging es weiter und der Auftritt wurde so laut, daß es auch der Frachtschiffer hörte. Er ging bis zur Thür des betreffenden Zimmers, und es war ein Glück für Saouk, daß er sich der ägyptischen Sprache bediente. Hätte er auf Ben Omar französisch losgewettert, so erhielt Gildas Tregomain ja Kenntniß von seinem abscheulichen Vorhaben und es wäre an den Tag gekommen, wer unter dem angeblichen Schreiber eigentlich verborgen war. Natürlich wäre er dann behandelt worden, wie es der Schurke verdiente.

Wenn der Frachtschiffer also auch nicht alles durchschaute, so erstaunte er doch nicht wenig über die Art und Weise, wie der Schreiber den Notar behandelte, und das schien ihm den Verdacht des jungen Kapitäns in hohem Maße zu rechtfertigen.

Ins Haus des Clergyman eingetreten, erstiegen Meister Antifer, Zambuco und Juhel die hölzerne Treppe, wobei sie sich an einem längs der Treppe verlaufenden Seile anhielten. Der Frachtschiffer hätte, obwohl er einen Theil seiner Wohlbeleibtheit eingebüßt hatte, diesen schmalen und halbfinstern Weg niemals emporsteigen können.

Die Fremden gelangten nach dem Vorsaale des dritten Stockwerks, des letzten an dieser Seite des Gebäudes. Hier fanden sie eine Bogenthür mit dem Namen: Reverend Tyrcomel.

Meister Antifer athmete tief auf und klopfte dann kräftig an.

Die Antwort ließ auf sich warten. Sollte der Clergyman nicht zu Hause sein? Wie durfte er das wagen, jetzt, wo ihm Millionen ins Haus fliegen sollten?

Zweites Klopfen – noch etwas stärker.

Jetzt entstand im Zimmer ein schwaches Geräusch und wenn nicht die Thür, so öffnete sich doch ein kleines Schiebfensterchen unter dem Namen des Reverend Tyrcomel.

Durch diese Oeffnung erschien ein Kopf, der des Clergymans, den man unter dem hohen Hute, welcher diesen bedeckte, leicht erkannte.

»Was wünschen Sie? fragte Tyrcomel, wobei der Ton seiner Stimme erkennen ließ, daß er sich nicht gern gestört sah.

– Wir möchten einige Worte mit Ihnen sprechen, antwortete Juhel rasch.

– Und worüber?

– Es handelt sich um ein wichtiges Geschäft ...

– Ich habe keine Geschäfte ... weder wichtige, noch andere.

– Sapperment, wird er denn aufmachen, dieser Reverend!« rief Meister Antifer, der sich über die vielen Umstände ärgerte.

Sofort antwortete ihm der Clergyman in seiner eigenen Sprache, die er wie seine Muttersprache beherrschte:

»Sie sind Franzosen?

– Ja, mein Herr,« antwortete Juhel.

Und in der Meinung, daß es ihre Einführung bei dem Geistlichen nur erleichtern könne, setzte er hinzu:

»Franzosen, die gestern Abend Ihrer Predigt in der Tron Church beiwohnten ...

– Und die sich entschlossen haben, meine Lehren anzunehmen? fiel der Clergyman lebhaft ein.

– Vielleicht, Herr Reverend ...

– Ich dächte gar, knurrte Meister Antifer, er wird sich im Gegentheil zu den unsrigen bekennen lernen.«

Die Thür ging auf und die vermuthlichen Neubekehrten standen dem Reverend Tyrcomel gegenüber.

Ein einziges Zimmer, das sein Licht von dem nach dem »Hohlwege« hinaus liegenden Fenster erhielt, in einer Ecke ein eisernes Bettgestell mit einer Strohmatratze und einer Decke, in einer andern ein Tisch mit wenigen Toilettegegenständen. Als Sitz ein Schemel. Als Möbel ein geschlossener Schrank, der jedenfalls Kleidungsstücke enthielt. Auf einem Bücherbrett mehrere Bücher, darunter die Bibel in einem vom vielen Gebrauch abgenutzten Einband, und verschiedene Schreibgeräthe. Vorhänge am Fenster fehlten. Auf dem Nachttische eine Lampe mit tief herabreichendem Lichtschirm. Alles zusammen bildete also gleichzeitig Schlaf- und Arbeitszimmer mit der nothdürftigsten Ausstattung. Seine Mahlzeiten nahm der Clergyman in einem benachbarten Restaurant ein, und das war gewiß auch nicht das modernste und eleganteste Local dieser Art.

Der Reverend Tyrcomel in langem schwarzen Rocke, aus dem nur oben die weiße Cravatte hervorschimmerte, nahm beim Eintritt der Fremden den Hut ab, und wenn er sie nicht zum Niedersitzen einlud, geschah das, weil er ihnen eben keinen Stuhl anzubieten vermochte.

Wahrlich, wenn Millionen jemals gelegen kamen, so war es in dieser Klosterzelle, wo einer kaum dreißig Schillinge gefunden hätte.

Meister Antifer und der Banquier Zambuco sahen einander an. Wie sollten sie das Feuer eröffnen? Da ihr Gegenüber französisch sprach, war Juhel nicht mehr nothwendig, und dieser gab also nur einen Zuschauer bei der Sache ab. Er zog diese Stellung übrigens vor und mit einem gewissen Gefühl von Neugier sah er der sich entwickelnden Schlacht entgegen, von der niemand den Sieg im voraus bestimmen konnte. Auf seinen Onkel Antifer hätte er aber nicht wetten mögen.

Zuerst fühlte sich dieser verlegener, als er das je geglaubt hätte. Nach dem, was er von dem unversöhnlichen Geistlichen, von dessen Ansichten über die Güter dieser Erde wußte, hielt er es für geboten, recht geschickt vorzugehen, das Terrain zu sondieren und den Reverend Tyrcomel ganz allmählich dahin zu lenken, daß er von dem Briefe Kamylk-Paschas, der ja in seinem Besitz sein mußte, zu reden anfing, von dem Briefe, der ja die neuen, hoffentlich die letzten Angaben wegen einer Breitenlage enthielt.

Dahin ging wenigstens der Rath Zambuco's, der seinem Schwager diese Vorsicht dringend anempfohlen hatte. Ob der hitzige Malouin das aber einhalten würde, war eine ganz andre Frage.

Jedenfalls ergriff dieser nicht zuerst das Wort. Während die drei Besucher eine geschlossene Gruppe bildeten, stellte sich der Reverend Tyrcomel wie ein Prediger vor sie hin. Ueberzeugt, daß diese Leute aus freiem Antriebe kamen, um sich seinen Lehren zu unterwerfen, dachte er nur daran, ihnen seine Grundsätze noch einmal zu entwickeln.

»Liebe Brüder, begann er, die Hände aus Dankbarkeit gegen sie faltend, ich danke dem Schöpfer für die mir verliehene Gabe der Rede, die mir gestattet hat, bis in die Tiefen Eurer Herzen zu dringen und Euch von der Werthlosigkeit aller irdischen Reichthümer zu überzeugen ...«

Da hätte man die Gesichter der beiden Erben sehen sollen!

»Liebe Brüder, fuhr der Clergyman fort, indem Ihr die Schätze, die Ihr etwa besitzt, vernichtet ...

– Die wir noch nicht besitzen! fühlte sich Juhels Onkel zu rufen versucht.

– ... werdet Ihr ein bewunderungswerthes Beispiel geben, dem bald Alle folgen, die sich über die materiellen Dinge dieser Welt zu erheben vermögen.«

Mit einer heftigen Bewegung der Kinnladen schob Meister Antifer seinen Kiesel von einer Wange nach der andern, während Zambuco ihm zuzuflüstern schien:

»Wollen Sie denn diesem Schwätzer den Grund unseres Besuchs gar nicht mittheilen?«

Ein bejahendes Zeichen war die Antwort des Malouin, der sich selbst sagte:

»Nein, ich werde einem solchen Schwärmer nicht gestatten, seine gestrige Predigt zu wiederholen!«

Der Reverend Tyrcomel breitete schon die Arme aus, als wolle er reuige Sünder in dieselben schließen, und begann mit salbungsvoller Stimme:

»Ihre Namen, liebe Brüder, damit ich ...

– Unsre Namen und unsre Berufe, Herr Tyrcomel, unterbrach ihn Meister Antifer, sind:

Ich, Meister Antifer, Pierre-Servan-Malo, Kapitän der Küstenfahrt in Ruhestand. – Juhel Antifer, mein Neffe, Kapitän der langen Fahrt, – Herr Zambuco, Banquier aus Tunis.«

Der Clergyman trat an den Tisch, um die Namen aufzuschreiben, indem er sagte:

»Sie bringen mir ohne Zweifel, um sich derselben zu entledigen, Ihre irdischen Güter ... vielleicht Millionen ...

– In der That, Herr Tyrcomel, es handelt sich um Millionen, und wenn Sie davon Ihren Antheil erhalten haben werden, steht es Ihnen frei, Alles zu vernichten; was aber uns betrifft, so liegt die Sache etwas anders ...«

O, da segelte Meister Antifer aber falschen Cours. Juhel und Zambuco erkannten es an dem plötzlich veränderten Gesichtsausdruck des Clergyman. Seine Stirne furchte sich, seine Augen wandten sich halb ab und die vorher weit offenen Arme schlossen sich über der Brust, wie die Thüren eines Geldschrankes.

»Um was handelt es sich, meine Herren? fragte er einen Schritt zurücktretend.

– Um was es sich handelt? antwortete Meister Antifer. He, Juhel, setze Du ihm die Geschichte auseinander, denn ich wäre nicht im Stande, meine Worte ordentlich zu beherrschen!«

Juhel that, wie er wünschte. Er erzählte alles, was er von Kamylk-Pascha wußte, die diesem von seinem Großvater geleisteten Dienste, erwähnte die Verpflichtungen, die jener gegen den Banquier Zambuco gehabt hatte, den Besuch des Testamentvollstreckers Ben Omar, Notars in Alexandria, in Saint Malo, die Reise nach dem Golf von Oman, wo das Eiland Nummer eins lag, danach die bis zur Ma-Yumbabai mit dem Eiland Nummer zwei, die Auffindung des zweiten Documentes, das die beiden Erben an einen dritten Miterben verwies, der kein andrer wäre als der Reverend Tyrcomel, Esquire, von Edinburg u. s. w.

Während Juhel sprach, hörte der Clergyman zu, ohne sich zu rühren, ohne eine Miene zu verziehen und einen Muskel zucken zu lassen. Eine Statue aus Marmor oder Bronze hätte nicht regungsloser dastehen können. Und als der junge Kapitän seinen Bericht beendet hatte und den Reverend Tyrcomel fragte, ob er jemals zu Kamylk-Pascha in irgendwelcher Beziehung gestanden habe, antwortete dieser:

»Nein!

– Doch Ihr Vater?

– Vielleicht.

– Vielleicht, ist keine Antwort, bemerkte Juhel, seinen Onkel beruhigend, der sich schon um und um drehte, als ob er von einer Tarantel gestochen worden wäre.

– Es ist aber die einzige, die mir zu geben beliebt ... erwiderte der Clergyman trocken.

– Dringen Sie in ihn, Juhel, lassen Sie nicht locker ... sagte der Banquier.

– In jeder nur möglichen Weise, Herr Zambuco,« versicherte Juhel.

Er wendete sich wieder an den Reverend, dessen Haltung erkennen ließ, daß er die äußerste Reserve zu bewahren gedachte.

»Darf ich noch eine Frage, eine einzige, an Sie richten?

– Gewiß, wenn es mir gestattet ist, nicht darauf zu antworten.

– Ist Ihnen bekannt, daß Ihr Vater jemals in Aegypten gewesen wäre?

– Nein.

– Doch wenn nicht in Aegypten, so vielleicht in Syrien oder noch richtiger in Aleppo?«

Wir erinnern daran, daß Kamylk-Pascha vor seiner Rückkehr nach Aegypten in dieser Stadt mehrere Jahre gewohnt hatte.

Nach kurzer Ueberlegung gab der Reverend Tyrcomel zu, daß sein Vater allerdings in Aleppo gewohnt und dort mit Kamylk-Pascha in Beziehung gestanden habe. Kein Zweifel also, daß diese Beziehungen letzterem in ähnlicher Weise gegen genannten Tyrcomel Verpflichtungen erzeugt hatten, wie gegen Thomas Antifer und den Banquier Zambuco.

»Dann muß ich auch fragen, fuhr Juhel fort, ob Ihr Vater einmal einen Brief von Kamylk-Pascha erhalten hat ...

– Ja.

– Einen Brief, worin von der Lage eines gewissen Eilands die Rede war, das einen Schatz enthalte? ...

– Ja.

– Und war in diesem Briefe nicht die Breite jenes Eilands angegeben?

– Ja.

– Sagte er ferner nicht, daß sich eines Tages ein gewisser Antifer und ein gewisser Zambuco bei Ihnen einstellen würden? ...

– Ja.«

Diese »Ja« des Clergyman ertönten wie Hammerschläge von kräftiger Hand.

»Nun also, nahm Juhel wieder das Wort, Meister Antifer und der Banquier Zambuco stehen hier vor Ihnen, und wenn Sie ihnen den Inhalt vom Briefe des Paschas mittheilen wollen, so werden sie nichts anderes zu thun haben, als sich auf den Weg zu machen, um den Willen des Testators zu erfüllen, dessen drei Erben die beiden Genannten und Sie selbst sind.«

Als Juhel sprach, gab sich Meister Antifer die größte Mühe, an einer Stelle zu bleiben, und wurde einmal dunkelroth, wenn ihm das Blut zu Kopfe stieg, und dann wieder leichenblaß, wenn es nach dem Herzen zurückwich.

Der Clergyman ließ auf seine Antwort etwas warten und sagte endlich mit zusammengekniffenen Lippen:

»Und was beabsichtigen Sie, wenn Sie sich nach der Stelle begeben haben, wo jener Schatz liegt?

– Ihn auszugraben, Sapperment! rief Meister Antifer.

– Und wenn das geschehen ist?

– Ihn in drei Theile zu theilen!

– Und welchen Gebrauch würden Sie von Ihrem Theil machen?

– Den, der uns beliebt, Herr Reverend!«

Das war noch eine weitere beklagenswerthe Erwiderung des Malouin, die den Clergyman auf sein Steckenpferd brachte.

»Darum aber handelt es sich gerade, meine Herren, versetzte dieser, während seine Augen aufflammten. Sie gedenken diese Reichthümer zu benützen, um Ihren Trieben, Ihrem Verlangen, Ihren Leidenschaften zu fröhnen, das heißt mit andern Worten, um die Uebel dieser Erde noch zu vermehren!

– Erlauben Sie, unterbrach ihn Zambuco.

– Nein ... ich erlaube nichts, wünsche aber Antwort auf eine Frage: Verpflichten Sie sich, jenen Schatz zu zerstören, wenn er Ihnen in die Hände fällt?

– Jeder wird mit seinem Legat anfangen, was ihm beliebt,« entgegnete der Banquier ausweichend.

Jetzt fuhr Pierre-Servan-Malo auf.

»Darum handelt es sich nicht im geringsten, rief er. Sie, Herr Reverend, zweifeln wohl an dem Werthe des Schatzes?

– Der ist mir ganz gleichgiltig.

– Er beträgt hundert Millionen Francs ... hundert Millionen ..., wovon der dritte Theil, das heißt dreiunddreißig Millionen, Ihnen zukommt ...«

Der Clergyman zuckte die Schultern.

»Wissen Sie wohl auch. Herr Reverend, fuhr Meister Antifer fort, daß Sie uns die Mittheilung, die vom Testator Ihnen anvertraut ist, gar nicht vorenthalten dürfen?

– Wirklich?

– Wissen Sie, daß man ebensowenig das Recht hat, hundert Millionen ungenutzt liegen zu lassen, wie das, sie zu stehlen? ...«

– Das ist meine Ansicht nicht.

– Wissen Sie, daß wir, im Falle Sie auf Ihrer Weigerung beharren, heulte Meister Antifer in höchstem Zorn, daß wir nicht zögern werden, Sie vor Gericht zu ziehen, Sie als unverständigen Erben, als Verbrecher zu denuncieren? ...

– Als Verbrecher! wiederholte der Clergyman, der möglichst kalt blieb – wahrhaftig, meine Herren, Ihre Kühnheit wird nur von Ihrer Beschränktheit übertroffen! Sie können glauben, ich würde mich dazu hergeben, jene hundert Millionen auf der Erde zu verbreiten, den Sterblichen Mittel zu bieten, um hundert Millionen weitere Sünden zu begehen, Sie glauben, ich könnte allen meinen Lehren ins Gesicht schlagen und den Gläubigen der Freien Kirche von Schottland, die ebenso puritanisch wie streng ist, das Recht geben, mir jene Millionen ins Gesicht zu werfen?«

Ja, der Reverend Tyrcomel war prächtig anzuschauen bei diesem Ausbruche von Beredtsamkeit! Juhel konnte nicht umhin, den Eiferer zu bewundern, während sein Onkel eher bereit war, über ihn herzufallen.

»Ja oder nein, rief dieser mit geballten Fäusten vortretend, ja oder nein, wollen Sie uns den Brief des Paschas mittheilen?

– Nein.«

Meister Antifer kochte.

»Nein? ... wiederholte er.

– Nein.

– Ah, Spitzbube! ... Ich werde Dir diesen Brief zu entreißen wissen!«

Juhel mußte dazwischen treten, um seinen Onkel von Thätlichkeiten zurückzuhalten. Dieser stieß ihn heftig zurück ... Er wollte den Clergyman, der ebenso entschlossen wie unerbittlich dastand, auf der Stelle erwürgen, wollte das Zimmer, den Schrank, seine Papiere durchsuchen ... Da wurde er jedoch durch eine sehr einfache, aber bestimmte Antwort des Clergyman von jedem unüberlegten Schritt abgehalten.

»Es ist ganz unnütz, jenen Brief zu suchen, begann der Geistliche ...

– Und warum? fragte der Banquier Zambuco.

– Weil ich ihn gar nicht mehr besitze.

– Und was haben Sie damit gemacht?

– Ich ... ich habe ihn verbrannt.

– Ins Feuer ... ins Feuer hat er den Brief geworfen, fuhr Meister Antifer auf. Der Elende! Einen Brief mit einem Geheimniß von hundert Millionen ... mit einem Geheimnisse, das nun für immer unenthüllt bleiben wird!«

Die Sache verhielt sich wirklich so. Gewiß um die Versuchung abzuwenden, von diesem Briefe Gebrauch zu machen – einen Gebrauch, der allen seinen socialen Grundsätzen zuwiderlief – hatte der Reverend Tyrcomel das wichtige Schriftstück schon vor mehreren Jahren verbrannt.

»Und nun, bitte ... verlassen Sie mich!« sagte er zu den Besuchern, ihnen die Thüre zeigend.

Meister Antifer war wie vom Donner gerührt. Das Document zerstört ... Die Unmöglichkeit, die Lage des Eilandes jemals festzustellen! Dem Banquier Zambuco ging es ähnlich, doch dieser weinte wie ein Kind, dem man sein Spielzeug weggenommen hat.

Juhel mußte die beiden Erben erst nach der Treppe, und dann nach der Straße hinausschieben, dann schlugen alle Drei die Richtung nach Gibb's Royal-Hotel ein.

Als sie weg waren, erhob der Reverend Tyrcomel die Hände gen Himmel und dankte diesem, daß er ihn ausersehen hätte, diese Ueberschwemmung von Sünden, womit die Erde bedroht war, glücklich abzulenken.


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