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Drittes Kapitel.
Die Familie Garral

Die Stadt Iquitos liegt nahe dem linken Ufer des Amazonenstromes, fast auf dem 74. Meridian, an jenem Teil des großen Flusses, der noch den Namen Maranon trägt und dessen Bett Peru von der Republik Ecuador, 55 Meilen westlich von der brasilianischen Grenze, trennt.

Iquitos ist von Missionaren gegründet worden, wie all diese Haufen von Hütten, diese Weiler oder Flecken, die man im Becken des Amazonas trifft. Bis zum 17. Jahre dieses Jahrhunderts hatten die Iquitos-Indianer, die eine Zeitlang die einzige Bevölkerung bildeten, sich ins Innere der Provinz, ziemlich weit vom Flusse weg, zurückgezogen. Aber infolge eines Vulkanausbruchs versiegten plötzlich die Quellen ihres Gebietes, und sie waren gezwungen, sich am linken Ufer des Maranon niederzulassen. Der Stamm veränderte sich bald infolge von Verbindungen, die mit Nachbarstämmen, Ticunas und Omaguas, eingegangen wurden, und heute hat Iquitos nur noch eine gemischte Bevölkerung, zu der noch einige Spanier und ein paar Mestizenfamilien gezählt werden müssen.

Etwa 40 ziemlich klägliche Hütten, die sehr dürftig mit Stroh gedeckt sind, bilden das ganze Dorf, das übrigens auf einer 60 Fuß über den Flußufern gelegenen Esplanade sehr malerisch gruppiert ist. Eine Treppe aus überquer gelegenen Holzstämmen führt hinauf, und da es an jedem Aussichtspunkt fehlt, liegt es den Blicken des Reisenden verborgen, so lange dieser nicht die Treppe hinaufgestiegen ist. Aber einmal auf der Höhe, steht man vor einer wenig standfesten Umzäunung aus verschiedenem Busch- und Strauchwerk, das durch zusammengeflochtene Schlingpflanzen verbunden ist, wie sie hie und da von den Wipfeln der Bananen und Palmen herabhängen.

Zu jener Zeit – und jedesfalls wird die Mode nicht so bald die ursprüngliche Tracht verdrängen – gingen die Iquitos-Indianer fast ganz nackt. Nur die Spanier und Mestizen, die ihre eingeborenen Mitbürger verachteten, kleideten sich mit einem einfachen Hemd und einer leichten baumwollenen, Hose und trugen einen Strohhut. Im übrigen führten sie alle in diesem Dorfe ein ziemlich elendes Dasein, pflegten wenig Verkehr miteinander und kamen bisweilen nur zu den Stunden zusammen, wo die Glocke der Mission sie in die baufällige Hütte rief, die als Kirche diente.

 

Aber wenn im Iquitosdorfe wie in fast allen Weilern am obern Amazonas, das Leben fast auf der Stufe der Urzustände blieb, so brauchte man doch nur eine Meile stromab zu gehen, und man traf an demselben Ufer eine reiche Niederlassung, wo alles zu einem komfortabeln Leben Erforderliche beisammen war.

Dies war die Farm Joam Garrals, nach der die beiden jungen Männer nach ihrem Zusammentreffen mit dem Buschhauptmann zurückkehrten.

An einem Knie des Flusses, dort wo der 500 Fuß breite Rio Nanay mündet, war schon vor Jahren diese Farm, diese Meierei oder, um den landesüblichen Ausdruck zu gebrauchen, diese » fazenda«, die jetzt in voller Blüte stand, gegründet worden. Im Norden begrenzte sie der Nanay mit dem rechten Ufer auf eine kleine Meile, und im Osten zog sie sich auf die gleiche Entfernung am Ufer des großen Flusses hin. Gegen Westen war sie durch mehrere kleine Wasserläufe, Zuflüsse des Nanay, und einige Lagunen von mäßiger Ausdehnung von der Savanne und den sogenannten Campinen begrenzt, die den Tieren zur Weide dienen.

Im Jahre 1826 – 26 Jahre vor der Zeit, zu der diese Geschichte beginnt – war Joam Garral von dem Besitzer der Farm aufgenommen worden.

Dieser Portugiese namens Magalhaes sprich magaljaengs. trieb keinen andern Handel als die Ausschlachtung der Wälder, und seine vor kurzem gegründete Niederlassung nahm damals nur eine halbe Meile am linken Flußufer ein.

Hier lebte Magalhaes – gastfreundlich wie alle Portugiesen vom alten Stamm – mit seiner Tochter Yaquita, die seit dem Tode ihrer Mutter die Führung des Hausstandes übernommen hatte. Magalhaes war ein tüchtiger, ausdauernder Arbeiter, aber es fehlte ihm an Bildung. Wenn er sich auch darauf verstand, die paar Sklaven, die er besaß, und das Dutzend Indianer, die er für ihre Dienste ablohnte, zu leiten, so zeigte er sich doch weniger fähig, seinen Handel nach außen hin geschickt zu führen. Infolge dieses Mangels an Kenntnis gedieh die Ansiedlung bei Iquitos nicht, und der portugiesische Handelsmann befand sich in etwas schwierigen Verhältnissen.

Unter diesen Umständen erschien eines Tages Joam Garral, der damals 22 Jahre alt war, vor Magalhaes. Völlig erschöpft und aller Hilfsmittel bar, war er bis hierher gekommen. Magalhaes hatte ihn halb tot vor Hunger und Ermüdung im nahen Walde gefunden. Der Portugiese hatte das Herz auf dem rechten Fleck. Er fragte den Unbekannten nicht, woher er käme, sondern sorgte nur für das, dessen er bedürftig war. Die trotz der Ermattung edeln und stolzen Züge Joam Garrals hatten ihm imponiert. Er hob ihn auf, brachte ihn auf die Beine und bot ihm zunächst für einige Tage Gastfreundschaft an. Er blieb sein ganzes Leben lang.

Unter diesen Umständen war Joam Garral in die Farm bei Iquitos gekommen.

Von Geburt Brasilier, stand Joam Garral allein da und ohne Vermögen. Kummer und Sorge, sagte er, hätten ihn gezwungen, seine Heimat zu verlassen und jeden Gedanken an eine Rückkehr aufzugeben. Er bat seinen Wirt, ihm die Darlegung seiner unglücklichen Vergangenheit zu erlassen – wenn ihm Unglück widerfahren sei, so habe er es doch nicht verdient. Ein neues Leben, ein Leben der Arbeit suchte und wünschte er. Er war aufs Geratewohl gegangen, mit dem Gedanken, sich eine feste Stellung in einer Fazenda des Innern zu suchen. Er war gebildet und intelligent. Sein ganzes Wesen bekundete, daß er ein charakterfester Mann von klarem Verstand und rechtschaffner Gesinnung war. Magalhaes hatte ihn sofort lieb gewonnen und schlug ihm vor, er solle auf seiner Farm bleiben, da er ja die Eigenschaften mitbrachte, die dem würdigen Fazendero fehlten.

So am Garral nahm ohne Zaudern an. Er hatte zuerst die Absicht gehabt, in einem » seringal« einzutreten – Kautschukmanufaktur, wo ein guter Arbeiter damals 5 bis 6 Piaster Annähernd 25 Mark – ein Lohn, der bisweilen sogar bis auf etwa 80 Mark steigt. täglich bekam und, wenn das Glück ihm hold war, selbst Eigentümer werden konnte. Magalhaes machte ihn mit Recht darauf aufmerksam, daß, wenn der Lohn auch hoch war, es doch nur zur Erntezeit in den Seringals Arbeit gab, das heißt auf ein paar Monate. Eine feste dauernde Stellung, wie der junge Mann sie wünschen mußte, könnte sich nicht daraus ergeben.

Der Portugiese hatte recht. Joam Garral verstand ihn und trat ohne weiteres in den Dienst der Fazenda, entschlossen, ihr all seine Kräfte zu widmen.

Magalhaes hatte seine gute Tat nicht zu bereuen. Seine Verhältnisse kamen ins Geleise. Sein Holzhandel, der sich auf dem Amazonas bis Para erstreckte, gewann unter dem energischen Betrieb Joam Garrals bald bedeutende Ausdehnung. Die Fazenda vergrößerte sich bald und erstreckte sich am Flußufer bis zur Mündung des Nanay. Aus der Hütte machte man ein reizendes Haus, das ein Stockwerk hoch, von einer Veranda umgeben und halb verborgen war unter schönen Bäumen, Mimosen, Sykomoren, Bauhinien und Paulinien, deren Stämme unter einer Fülle von Granaten und Bromelien mit scharlachroten Blüten und einem Gewirr von Schlingpflanzen verschwanden.

Weiter entfernt lagen hinter riesigen Gebüschen und unter großen Gruppen baumartiger Pflanzen die Gebäude, in denen das Personal der Fazenda wohnte, die Gesindehäuser, die Hütten der Neger und Indianer. Vom Flußufer aus, das von Rohr und Wasserpflanzen bewachsen war, sah man nur das Jagdhaus.

Ein weites, längs der Lagunen mühsam urbar gemachtes Gelände bot ausgezeichnete Weiden. Hier trieb sich Vieh in Menge herum. Dies war eine neue bedeutende Einnahmequelle in diesem reichen Lande, wo eine Herde sich in vier Jahren verdoppelt und, abgesehen von dem Erlös aus dem Fleisch und den Fellen der für den Unterhalt der Züchter geschlachteten Tiere, zehn Prozent Zinsen trägt. An Stelle abgeholzter Wälder wurden » sitios« oder Anpflanzungen von Manihot oder Kaffee vorgenommen. Felder von Zuckerrohr machten bald den Bau einer Mühle nötig zum Zerstoßen der zuckerhaltigen Stengel, aus denen Melasse, Taffia und Rum hergestellt wurde. Kurz, zehn Jahre nach der Ankunft Joam Garrals war die Fazenda eine der reichsten Niederlassungen am obern Amazonas. Dank der guten Leitung des jungen Geschäftsführers bei den innern Arbeiten und dem äußern Vertrieb gedieh sie von Tag zu Tag mehr.

Der Portugiese hatte nicht so lange gewartet, sich für das, was er Joam Garral schuldete, erkenntlich zu zeigen. Um ihm nach Verdienst zu lohnen, hatte er ihm zunächst einen Anteil am Gewinn seines Betriebes gegeben; vier Jahre nach seiner Ankunft hatte er ihn zum Sozius gemacht mit gleichem Recht und gleichen Anteilen.

Aber er dachte daran, es noch besser zu machen. Yaquita, seine Tochter, halte gleichfalls in dem jungen schweigsamen Mann, der sanft gegen andere und hart gegen sich selber war, hohe Eigenschaften des Herzens und des Geistes erkannt. Sie liebte ihn, aber obwohl seinerseits Joam nicht blind geblieben war für die Vorzüge und die Schönheit dieses tüchtigen Mädchens, so schien er, ob aus Stolz, ob aus Zurückhaltung, doch nicht daran zu denken, sie zur Frau zu begehren.

Ein unglücklicher Vorfall beschleunigte die Entscheidung.

Eines Tages wurde Magalhaes beim Holzfällen, als er gerade einen Schlag führte, durch den Sturz eines Baumes tödlich verwundet. Ohne daß er sich noch bewegen konnte, wurde er nach der Farm getragen, und da er sich verloren fühlte, tröstete er Yaquita, die an seiner Seite weinte, ergriff ihre Hand und legte sie in die Joam Garrals, den er schwören ließ, daß er das Mädchen zur Frau nehmen wolle.

»Du hast mein Glück begründet,« sagte er, »und ich werde nicht ruhig sterben, ehe ich nicht weiß, daß durch diese Vereinigung die Zukunft meiner Tochter gesichert ist!«

»Ich kann ihr ergebener Diener, ihr Bruder, ihr Beschützer bleiben, ohne ihr Mann zu sein,« hatte Joam Garral zuerst geantwortet. »Ich danke Euch alles, Magalhaes, ich werde das nie vergessen, und der Lohn, den Ihr für meine Mühe zahlen wollt, ist mehr, als ich verdiene!«

Der Greis hatte auf seinem Willen bestanden. Der Tod ließ ihm keine Frist, er verlangte das Versprechen und erhielt es.

Yaquita war damals 22, Joam 26 Jahre alt. Beide liebten sich und heirateten sich wenige Stunden vor dem Tode Magalhaes, der noch die Kraft hatte, ihren Bund zu segnen.

Infolge dieser Umstände wurde im Jahre 1830 Joam Garral der neue Fazendero von Iquitos zur höchsten Freude des ganzen Personals der Farm.

Nach vollzogener Vereinigung konnte die Niederlassung nur immer mehr blühen und gedeihen.

Ein Jahr nach der Hochzeit schenkte Yaquita ihrem Manne einen Knaben, und zwei Jahre später eine Tochter. Benito und Minha, die Enkelkinder des alten Portugiesen, sollten ihres Großvaters und ihrer Eltern würdige Kinder werden.

Die Tochter wurde ein reizendes Mädchen. Sie kam nicht von der Fazenda weg. In diesem reinen und gesunden Milieu aufwachsend, inmitten der schönen Natur der Tropen, genügte für sie die Erziehung der Mutter, der Unterricht des Vaters. Was hätte sie in einem Kloster von Manaos oder Belem mehr erlernen können? Hätten sich bei ihr Herz und Geist zarter ausgebildet, wenn sie fern vom Vaterhause gewesen wäre? Wenn ihr auch nicht beschieden war, ihrer Mutter in der Verwaltung der Fazenda zu folgen, so war sie doch jeder Stellung, die die Zukunft ihr bringen konnte, gewachsen.

Mit Benito stand es anders. Sein Vater wollte ihm mit Recht eine so tüchtige und vollkommene Ausbildung zuteil werden lassen, wie man sie damals schon in den Hauptstädten Brasiliens erhalten konnte. Der reiche Fazendero brauchte sich nichts zu versagen, und sein Sohn zeigte glückliche Veranlagung, einen offenen Kopf, eine rege Fassungsgabe, und ebenso treffliche Eigenschaften des Herzens. Im Alter von 12 Jahren wurde er nach Para Hauptstadt des brasilianischen Staates Para, offiziell Bolem genannt (auch Santa Maria de Bolem), am rechten User des Parastroms, bedeutender Hafen- und Handelsplatz (jetzt 70 000 Einwohner). geschickt, und dort erhielt er unter Anleitung ausgezeichneter Professoren eine Bildung, die ihn später zu einem bedeutenden Manne machen sollte. In den schönen und exakten Wissenschaften sowie in den Künsten blieb ihm nichts fremd. Er bildete sich, obgleich der Reichtum seines Vaters es ihm gestattet hätte, müßig zu sein. Er gehörte nicht zu denen, die sich einbilden, daß Reichtum der Arbeit enthebe, sondern er war einer jener gediegenen und rechten, tapfern Geister, die der Ueberzeugung sind, daß niemand, der auf den Namen eines Menschen Anrecht haben will, sich dieser natürlichen Verpflichtung entziehen dürfe.

Während der ersten Jahre seines Aufenthalts in Belem oder Para, lernte Benito Manuel Valdez kennen. Dieser junge Mann, der Sohn eines Kaufmanns von Para, war in derselben Anstalt wie Benito. Die Uebereinstimmung in ihren Charakteren und Geschmäckern machte beide bald zu engen Freunden und sie wurden unzertrennliche Kameraden.

Manuel war 1832 geboren und ein Jahr älter als Benito. Er hatte nur noch die Mutter, die von dem bescheidenen Vermögen lebte, das ihr Mann ihr hinterlassen hatte. Als Manuel seine Anfangsstudien beendet hatte, widmete er sich dem Studium der Medizin. Für diesen edeln Beruf hegte er große Vorliebe, und er beabsichtigte, in den Heerdienst, zu dem er sich hingezogen fühlte, einzutreten.

Zur Zeit, wo wir ihn mit seinem Freunde Benito getroffen haben, war Manuel Valdez schon befördert worden und verlebte ein paar Monate Urlaub auf der Fazenda, wo er immer seine Ferien zubrachte. Dieser junge Mann von hübschem, feinem Gesicht und einem angebornen Stolz, der ihm gut stand, war für Joam und Yaquita gewissermaßen ein zweiter Sohn. Aber wenn diese Eigenschaft als Sohn ihn zum Bruder Benitos machte, so war er mit diesem Verhältnis gegenüber Minha nicht einverstanden, und bald sollte ihn und das junge Mädchen ein engeres Band zusammen schließen, als Bruder und Schwester verbindet.

Im Jahre 1852 – von dem vier Monate bereits zu Beginn dieser Erzählung verflossen sind – war Joam Garral 48 Jahre alt. Unter einem verzehrenden Klima, das den Menschen sehr schnell aufreibt, hatte er durch seine Nüchternheit, Enthaltsamkeit und arbeitsame Lebensführung zu widerstehen vermocht, wo andere frühzeitig schon zusammenfallen. Sein Haar, das er kurz trug, und sein Bart, den er voll trug, wurden schon grau und gaben ihm das Aussehen eines Puritaners. Die sprichwörtliche Ehrlichkeit der brasilianischen Kaufleute und Fazenderos war auf sein Gesicht geschrieben, dessen ins Auge springender Ausdruck Rechtschaffenheit war. Obwohl von ruhigem Temperament, verspürte man doch in ihm ein innerliches Feuer, das er zu beherrschen verstand. Die Festigkeit seines Blickes bekundete große Kraft, die ihn sicher nie im Stiche ließ, wenn es galt, mit seiner Person einzutreten.

Und doch konnte man bei diesem ruhigen Manne von kraftvoller Statur, dem alles im Leben geglückt zu sein schien, einen Unterton der Traurigkeit wahrnehmen, den selbst die Zärtlichkeit Yaquitas nicht zu überwinden vermochte.

Warum vermochte dieser Gerechte, dessen Verhältnisse derart waren, daß sein Glück gesichert war, dies nicht voll zu genießen? Warum schien er nur an dem Glück der andern, nicht am eignen, Freude zu haben? War diese Veranlagung einem geheimen Schmerz beizumessen? Hierüber machte seine Frau sich fortwährend Gedanken.

Yaquita war jetzt 44 Jahre alt. In diesem Tropenlande, wo die Frauen schon mit 30 Jahren alt sind, hatte auch sie dem zerstörenden Einfluß des Klimas zu widerstehen vermocht. Ihre Züge, die ein wenig hart geworden, aber noch immer schön waren, hatten noch den stolzen portugiesischen Typus, in welchem edler Gesichtsschnitt und Seelenwürde sich so natürlich einen.

Benito und Minha vergalten mit grenzenloser Zuneigung die Liebe, die ihre Eltern ihnen entgegenbrachten.

Benito, der jetzt 21 Jahre zählte, war ein lebendiger, mutiger, impulsiver Charakter, während sein Freund Manuel ernster und bedächtiger war. Nachdem Benito ein volles Jahr in Belem, so fern von der Fazenda, zugebracht hatte, war es eine große Freude für ihn, mit seinem jungen Freunde in das Vaterhaus zurückzukehren, seinen Vater, seine Mutter, seine Schwester wiederzusehen und als der leidenschaftliche Jäger, der er war, in den stolzen Wäldern am obern Amazonas umherzustreifen, deren Geheimnisse der Mensch noch in langen Jahrhunderten nicht ganz ergründen wird.

Minha war jetzt 20 Jahre alt. Sie war ein reizendes junges Mädchen, eine Brünette mit großen blauen Augen, aus denen ihre Seele blickte. Von mittlerm Wuchs und schön gebaut, erinnerte sie, eine lebende Grazie, an den edeln Typus der Yaquita. Ein wenig ernster als ihr Bruder, gutherzig, wohltätig und leutselig, war sie bei allen beliebt. Hierüber konnte man die niedrigsten Diener der Fazenda getrost befragen. Den Freund ihres Bruders, Manuel Valdez, hätte man nämlich nicht danach fragen dürfen, »wie er sie fände«. Er war zu sehr interessiert und hätte keine unparteiische Antwort geben können.

Die Schilderung der Familie Garral wäre nicht vollständig, sondern ermangelte noch einiger Züge, wenn nicht von dem zahlreichen Personal der Fazenda gesprochen würde.

In erster Linie ist zu nennen eine 60 Jahre alte Negerin Cybele, die durch den Willen ihres Herrn frei war, aber in ihrer Zuneigung für ihn und die Seinen noch Sklavin geblieben war. Sie war Yaquitas Amme gewesen und gehörte zur Familie. Sie duzte Tochter und Mutter. Das ganze Leben dieses braven Geschöpfes war verflossen auf diesen Feldern, in diesen Wäldern, an diesem Flußufer – welche den Horizont der Farm begrenzten. Zu der Zeit, als der Handel mit Schwarzen noch blühte, war sie als Kind nach Iquitos gekommen, hatte das Dorf nie verlassen, hatte sich dort verheiratet, und als sie frühzeitig Witwe geworden war und auch ihren einzigen Sohn verloren hatte, war sie bei Magalhaes in Dienst geblieben. Vom Amazonenstrom kannte sie nur das Stück, das vor ihren Augen vorbeifloß.

Neben ihr, und besonders für den Dienst Minhas bestimmt, war eine hübsche, frohlaunige Mulattin, die gleichaltrig mit der Tochter des Hauses und ihr treu ergehen war. Sie hieß Lina. Sie war eine jener zarten, etwas verwöhnten Wesen, denen man große Vertraulichkeit erlaubt, die dafür aber ihre Herrinnen abgöttisch verehren. Lebhaft, regsam, zärtlich und schmeichlerisch wie sie war, war ihr im Hause alles erlaubt.

Was das männliche Dienstpersonal anbelangt, so zählte man zwei Klassen: die Indianer, etwa 100 an der Zahl, die gegen Lohn die Arbeiten der Fazenda zu verrichten hatten, und die Schwarzen, etwa doppelt so viel, die noch nicht frei waren, deren Kinder aber nicht mehr als Sklaven geboren wurden. In dieser Hinsicht war Joam Garral der brasilianischen Regierung vorausgeschritten.

In diesem Lande sind übrigens mehr als in jedem andern die von Benguela, dem Kongo, oder der Goldlüste gekommenen Neger immer mit Milde behandelt worden, und nicht in der Fazenda von Iquitos hat man die traurigen Beispiele von Grausamkeit zu suchen, die auf ausländischen Pflanzungen so an der Tagesordnung waren.


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