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Es war am 5. Juli abends. Die seit dem vorigen Tage schwere Atmosphäre drohte mit nahem Unwetter. Große Fledermäuse von rötlicher Farbe strichen mit weiten Flügelschlägen über den Spiegel des Amazonenstromes hin.
Unter diesen unterschied man jene » perros voladors« von dunkelm Braun und hellem Bauch, gegen die Minha und vor allem die junge Mulattin unwillkürlichen Abscheu bekundeten.
Dies waren in der Tat die gräßlichsten Vampyre, die das Blut von Tieren saugen und sogar den Menschen anfallen, der hier unvorsichtigerweise auf blanker Erde schläft.
Dies ist zwar in der Tat vorgekommen, wenn auch sehr selten, doch ist die Gefährlichkeit dieser Tiere stark übertrieben worden. Alexander von Humboldt schreibt auch hierüber im »Kosmos«:
»Bald darauf wurde unsere große Dogge von ungeheuern Fledermäusen, die um unsere Hängematten flatterten, vorne an der Schnauze gebissen, oder, wie die Eingeborenen sagen, gestochen. Sie hatten lange Schwänze wie die Molossen; ich glaube aber, daß es Phyllostomen waren, deren mit Warzen besetzte Zunge ein Saugorgan ist, das sie bedeutend verlängern können. Die Wunde war ganz klein und rund. Der Hund heulte kläglich, sobald er den Biß fühlte, aber nicht aus Schmerz, sondern weil er über die Fledermäuse, als sie unter unsern Hängematten hervorkamen, erschrak. Dergleichen Fälle sind weit seltener, als man im Lande selbst glaubt. Obgleich wir in Ländern, wo die Vampire und ähnliche Fledermausarten so häufig sind, so manche Nacht unter freiem Himmel geschlafen haben, sind wir doch nie von ihnen gebissen worden. Ueberdem ist der Stich keineswegs gefährlich und der Schmerz meist so unbedeutend, daß man erst aufwacht, wenn die Fledermaus sich bereits davongemacht hat.«
»Oh, die ekelhaften Tiere!« rief Lina, sich die Augen zudeckend. »Sie flößen mir Entsetzen ein!«
»Und sie sind auch sehr zu fürchten,« setzte das junge Mädchen hinzu, »nicht wahr, Manuel?«
»Sehr zu fürchten, in der Tat,« antwortete der junge Mann. »Diese Vampire haben einen besonderen Instinkt, immer an solchen Stellen zu saugen, wo das Blut am leichtesten flieht, besonders hinterm Ohr. Während des Saugens schlagen sie noch weiter mit den Flügeln und bringen so eine angenehme Frische hervor, die den Schläfer noch tiefer in Schlummer wiegt. Man sagt, daß mancher, dem so stundenlang Blut abgezapft wurde, gar nicht wieder erwachte.«
»Erzählen Sie solche Geschichten nicht weiter, Manuel,« sagte Yaquita, »sonst getrauen sich Minha und Lina diese Nacht nicht zu schlafen.«
»Fürchten Sie nichts,« antwortete Manuel, »wenn es nötig ist, werden wir über ihrem Schlaf wachen!«
»Ruhe mal!« rief Benito.
»Was gibt's denn?« fragte Manuel.
»Hört Ihr auf dieser Seite nicht ein eigentümliches Geräusch?« versetzte Benito, nach dem rechten Ufer deutend.
»Wahrhaftig,« antwortete Benito.
»Woher kommt dieses Geräusch?« fragte das junge Mädchen. »Es klingt, als wenn Steine am Strande der Inseln hin und her rollten.«
»Ich weiß, was es ist!« versetzte Benito. »Morgen bei Tagesanbruch werden die, die Schildkröteneier und kleine frische Schildkröten gern essen, sich versorgen können.«
Man konnte sich nicht darüber täuschen. Dieses Geräusch wurde von unzähligen Schildkröten jeder Größe verursacht, die auf die Inseln gingen, um Eier zu legen.
Im Sande des Ufers suchen sich diese Amphibien passende Stellen zum Eierlegen. Die Tiere fingen damit bei Sonnenuntergang an und waren bei Tagesanbruch fertig.
In diesem Augenblicke hatte schon die Leitschildkröte das Flußbett verlassen, um einen günstigen Platz zu suchen. Die andern – sie waren ihrer zu Tausenden beisammen – begannen mit den Vorderpfoten einen 600 Fuß langen, 12 Fuß breiten und 6 Fuß tiefen Graben auszuheben. Wenn sie hier ihre Eier gelegt hatten, brauchten sie sie bloß mit einer Schicht Sand zuzudecken, die sie mit ihren Rückenschilden fest drückten.
Dieses Eierlegen der Schildkröten ist für die Indianer am Amazonenstrom und seinen Nebenflüssen ein Vorgang von großer Wichtigkeit. Sie warten auf die Ankunft der Schildkröten und nehmen unter Trommelklang das Ausgraben der Eier vor. Der Ertrag wird in drei Teile geteilt, einer gehört den Wächtern, der andere den Indianern, der dritte dem Staat, den die Strandkapitäne vertreten, welche nicht bloß Polizeibeamte sind, sondern auch die Staatsgebührnisse einzutreiben haben.
Gewisse Stellen am Strande, die bei niedrigem Wasserstand frei liegen und am zahlreichsten von Schildkröten besucht werden, hat man »königlichen Strand« genannt.
Wenn die Ernte beendet ist, feiern die Indianer ein Fest mit Spiel, Tanz und Gelage – das ist dann auch ein Fest für die Kaimans des Stromes, die sich an den Resten dieser Amphibien weiden.
Schildkröten oder Schildkröteneier sind ein ganz besonders bedeutender Handelsartikel im ganzen Stromgebiet des Amazonas.
Wenn diese Schildkröten vom Eierlegen kommen, werden sie auf den Rücken herumgedreht, auch bewahrt man sie lebend auf, indem man sie in Behältern, ähnlich den Fischkästen, aufhebt oder sie an einem Strick festbindet, der lang genug ist, daß sie am Lande sich bewegen und auch ins Wasser gehen können. Auf diese Weise kann man immer frisches Schildkrötenfleisch haben.
Mit den jungen Schildkröten, die aus dem Ei schlüpfen, wird anders verfahren. Sie brauchen nicht in Kästen gesteckt oder angebunden zu werden. Ihre Schale ist noch weich, ihr Fleisch sehr zart, und man ißt sie geradezu wie Austern, nur daß sie vorher gekocht werden. In dieser Weise werden sie in großen Mengen verspeist.
Man hat jedoch für die Schildkröteneier noch eine andre, weit ausgedehntere Verwendung in den Provinzen des Amazonas und in Para. Die Herstellung von » manteigna de tartaruga«, das heißt Schildkrötenbutter, die sich mit den besten Erzeugnissen der Normandie oder der Bretagne vergleichen läßt, erheischt jährlich nicht weniger als 250 bis 300 Millionen Eier.
Aber die Schildkröten sind in den Gewässern dieses Stromgebietes unzählig und legen ihre Eier in Mengen, die gar nicht auszurechnen sind, auf den Ufersand.«
Ueber die Schildkrötenernte teilt Humboldt Interessantes mit:
Die Zeit, wo die große Arrau-Schildkröte ihre Eier legt, fällt mit dem niedrigsten Wasserstand zusammen. Da der Orinoco von der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche an zu steigen anfängt, so liegen von Anfang Januar bis zum 20. oder 25. März die tiefsten Uferstrecken trocken. Die Arraus sammeln sich schon im Januar in große Schwärme; sie gehen jetzt aus dem Wasser und wärmen sich auf dem Sand in der Sonne. Die Indianer glauben, das Tier bedürfe zu seinem Wohlbefinden notwendig starker Hitze und das Liegen in der Sonne befördere das Eierlegen. Den ganzen Februar findet man die Arraus fast den ganzen Tag auf dem Ufer. Zu Anfang März vereinigen sich die zerstreuten Haufen und schwimmen zu den wenigen Inseln, auf denen sie gewöhnlich ihre Eier legen. Wahrscheinlich kommt dieselbe Schildkröte jedes Jahr an dasselbe Ufer. Um diese Zeit, wenige Tage vor dem Legen, erscheinen viele tausend Schildkröten in langen Reihen an den Ufern der Inseln Cucuruparu, Uruana und Pararuma, recken den Hals und halten den Kopf über dem Wasser, ausschauend, ob nichts von Tigern oder Menschen zu fürchten ist. Die Indianer, denen viel daran liegt, daß die vereinigten Schwärme auch beisammen bleiben, daß sich die Schildkröten nicht zerstreuen und in aller Ruhe ihre Eier legen können, stellen längs des Ufers Wachen auf. Man bedeutet den Fahrzeugen, sich mitten im Strom zu halten und die Schildkröten nicht durch Geschrei zu verscheuchen. Die Eier werden immer bei Nacht gelegt, aber gleich von Sonnenuntergang an. Das Tier gräbt mit seinen Hinterfüßen, die sehr lang sind und krumme Klauen haben, ein drei Fuß weites und zwei Fuß tiefes Loch. Die Indianer behaupten, um den Ufersand zu befestigen, benetze die Schildkröte denselben mit ihrem Harn, und man glaubt solches am Geruch wahrzunehmen, wenn man ein frisch gegrabenes Loch oder Eiernest, wie man hier sagt, öffnet. Der Drang der Tiere zum Eierlegen ist so stark, daß manche in die von andern gegrabenen, noch nicht wieder mit Erde ausgefüllten Löcher hinunter gehen und auf die frisch gelegte Eierschicht noch eine zweite legen. Bei diesem stürmischen Durcheinander werden ungeheuer viel Eier zerbrochen. Der Missionär zeigte uns, indem er den Sand an mehreren Stellen aufgrub, daß der Verlust ein Dritteil der ganzen Ernte betragen mag. Durch das vertrocknende Gelb der zerbrochenen Eier backt der Sand noch stärker zusammen, und wir fanden Quarzsand und zerbrochene Eierschalen in großen Klumpen zusammengekittet. Der Tiere, welche in der Nacht am Ufer graben, sind so unermeßlich viele, daß manche der Tag überrascht, ehe sie mit dem Legen fertig werden konnten. Da treibt sie der doppelte Drang, ihre Eier los zu werden und die gegrabenen Löcher zuzudecken, damit der Tiger sie nicht sehen möge. Die Schildkröten, die sich verspätet haben, achten auf keine Gefahr, die ihnen selbst droht. Sic arbeiten unter den Augen der Indianer, die früh morgens auf das Ufer kommen. Man nennt sie »närrische Schildkröten.« Trotz ihrer ungestümen Bewegungen fängt man sie leicht mit den Händen.
Der Commissionado del Padre beginnt das Geschäft damit, daß er den Boden sondiert. Mit einer langen hölzernen Stange, wie oben bemerkt, oder mit einem Bambusrohr untersucht er, wie weit die »Eierschicht« reicht. Nach unsern Messungen erstreckt sich die Schicht bis zu 120 Fuß vom Ufer und ist im Durchschnitt drei Fuß tief. Der Kommissär steckt ab, wie weit jeder Stamm arbeiten darf. Mit Verwunderung hört man den Ertrag der Eierernte gerade wie den Ertrag eines Getreideackers schätzen. Es kam vor, daß ein Areal genau hundertzwanzig Fuß lang und dreißig breit hundert Krüge oder für tausend Franken Oel gab. Die Indianer graben den Boden mit den Händen auf, legen die gesammelten Eier in kleine, Mappiri genannte Körbe, tragen sie ins Lager und werfen sie in große, mit Wasser gefüllte, hölzerne Tröge. In diesen Trögen werden die Eier mit Schaufeln zerdrückt und umgerührt und der Sonne ausgesetzt, bis das Eigelb (der öligte Teil), das obenauf schwimmt, dick geworden ist. Dieser öligte Teil wird, wie er sich auf dem Wasser sammelt, abgeschöpft und bei einem starken Feuer gekocht. Dieses tierische Oel, das bei den Spaniern manteca de tortugas heißt, soll sich desto besser halten, je stärker es gekocht wird. Gut zubereitet ist es ganz hell, geruchlos und kaum ein wenig gelb. Die Missionäre schätzen es dem besten Olivenöl gleich, und man braucht es nicht nur zum Brennen, sondern auch, und zwar vorzugsweise, zum Kochen, da es den Speisen keinerlei unangenehmen Geschmack gibt. Es hält indessen schwer, ganz reines Schildkrötenöl zu bekommen. Es hat meist einen fauligten Geruch, der davon herrührt, daß Eier darunter geraten sind, in denen sich, weil sie schon länger der Sonne ausgesetzt gewesen, die jungen Schildkröten (los tortuguillos) bereits ausgebildet hatten.
Ich teile hier einige statistische Angaben mit, die ich an Ort und Stelle aus dem Munde des Missionärs von Uruana, seines Kommissärs und der Krämer aus Angostura erhalten. Das Ufer von Uruana gibt jährlich tausend Botijas Die Botija enthält 85 französische Flaschen! sie hat 1000 bis 1200 Kubikzoll Inhalt. oder Krüge Oel (manteca). Der Krug gilt in der Hauptstadt von Guyana, gemeinhin Angostura genannt, 2-2½ Piaster. Der ganze Ertrag der drei Uferstrecken, wo jährlich die cosecha oder Ernte gehalten wird, läßt sich auf 5000 Botijas anschlagen. Da nun 200 Eier eine Weinflasche oder »limeta« voll Oel geben, so kommen 5000 Eier auf einen Krug oder eine Botija. Nimmt man an, jede Schildkröte gebe 100-116 Eier, und ein Drittteil werde während des Legens, namentlich von den »närrischen« Schildkröten zerbrochen, so ergibt sich, daß, sollen jährlich 5000 Krüge Oel gewonnen werden, 330,000 Arrau-Schildkröten, die zusammen 165,000 Zentner wiegen, auf den drei Ernteplätzen 33 Millionen Eier legen müssen. Und mit dieser Rechnung bleibt man noch weit unter der wahren Zahl. Viele Schildkröten legen nur 60-70 Eier; viele werden im Augenblick, wo sie aus dem Wasser gehen, von den Jaguars gefressen; die Indianer nehmen viele Eier mit, um sie an der Sonne zu trocknen und zu essen, und sie zerbrechen bei der Ernte sehr viele aus Fahrlässigkeit. Die Menge der Eier, die bereits ausgeschlüpft sind, ehe der Mensch darüber kommt, ist so ungeheuer, daß ich beim Lagerplatz von Uruana das ganze Ufer des Orinoco von jungen, einen Zoll breiten Schildkröten wimmeln sah, die mit Not den Kindern der Indianer entkamen, welche Jagd auf sie machten.
Immerhin ist infolge des Verbrauchs der Eingebornen, der Nachstellungen seitens der Strandläufer oder Urubus und der Kaimans ihre Anzahl in dem Maße geringer geworden, daß jede junge Schildkröte in der Tat mit einer brasilianischen Pataque Etwa 1 Franc = 75 Pf. bezahlt wird.
Am folgenden Tage nahmen bei Morgengrauen Benito, Fragoso und ein paar Indianer eine der Pirogen, und fuhren an den Strand einer der großen Inseln, an denen man während der letzten Nacht entlang gefahren war.
Die Jangada brauchte deswegen nicht Halt zu machen. Sie würden schon wieder zu ihr gelangen.
Am Strande waren kleine Hügelchen, die die Stelle bezeichneten, wo in dieser Nacht jedes Pack Eier in den Graben gelegt worden war – immer 160 bis 190 Stück zusammen.
Sie dachten aber nicht daran, diese Eier herauszuholen. Es waren nämlich schon vor zwei Monaten Eier gelegt worden, die unter der Einwirkung der im Sande aufgespeicherten Wärme schon ausgebrütet waren, und zu Tausenden liefen die jungen Schildkröten am Strande herum.
Die Jäger hatten daher gute Beute. Die Piroge wurde von diesen interessanten Amphibien gefüllt, die gerade noch rechtzeitig zum Frühstück ankamen.
Die Beute wurde zwischen den Passagieren und dem Personal der Jangada verteilt und noch am selben Tage ganz verspeist.
Am 7. Juli morgens war man vor San Jose de Matura, einem Flecken bei einem schmalen Rio, der ganz von langem Gras angefüllt ist und an dessen Ufer der Sage nach die Indianer mit Schwänzen gelebt haben sollen.
Am Vormittag des 8. Juli kam die Stadt San Antonio in Sicht, ein paar in Bäumen verlorne Häuschen, dann die Mündung des Ica oder Putumayo, die 900 Meter breit ist.
Der Putumayo ist einer der bedeutendsten Zuflüsse des Amazonenstromes.
An dieser Stelle wurden im 16. Jahrhundert von den Spaniern zuerst englische Missionen gegründet, die dann von den Portugiesen zerstört wurden. Doch ist keine Spur mehr von ihnen vorhanden.
Jetzt findet man hier nur Repräsentanten verschiedener Indianerstämme, die an ihren Tätowierungen leicht zu unterscheiden sind.
Der Ica ist ein Wasserlauf, der von den Pastobergen im Nordosten Quitos kommt und durch die schönsten Wälder wilder Kakaobäume fließt.
Schiffbar auf 140 Meilen für Dampfschiffe, die nicht über sechs Fuß Tiefgang haben, muß er eines Tages eine der Hauptwasserstraßen im Westen Amerikas werden.
Inzwischen war schlechtes Wetter gekommen. Es regnete zwar nicht unausgesetzt, aber häufige Gewitter erschütterten schon die Atmosphäre. Sie konnten jedoch die Fahrt der Jangada nicht beeinflussen, da sie dem Winde keine Widerstandsfläche bot.
Bei ihrer großen Länge war auf ihr sogar der hohe Wogengang des Amazonenstromes nicht zu spüren.
Während dieser widrigen Wetter mußte jedoch die Familie Garral im Wohnhause bleiben. Diese Mußestunden mußten sie sich nun vertreiben. Da wurde geplaudert, gegenseitige Beobachtungen wurden ausgetauscht, und die Zungen kamen nicht zum Stillstand.
Unter diesen Umständen begann Torres allmählich lebhaftern Anteil an der Unterhaltung zu nehmen. Die Einzelheiten seiner verschiedenen Reisen im ganzen Norden Brasiliens gaben ihm mannigfachen Unterhaltungsstoff.
Dieser Mann hatte sicherlich viel gesehen; aber seine Beobachtungen waren skeptischer Natur und sehr oft sagte er etwas für seine wackern Zuhörer Beleidigendes.
Auch zeigte er sich sehr zuvorkommend gegen Minha, nur waren diese Zuvorkommenheiten, obgleich sie Manuel mißfielen, noch nicht so ausgeprägter Natur, daß der junge Mann es sich verbitten zu sollen meinte.
Uebrigens hegte das junge Mädchen gegen Torres einen unwillkürlichen Widerwillen, den sie nicht zu verbergen suchte.
Am 9. Juli kam am linken Ufer die Mündung des Tunantins in Sicht – ein 400 Fuß breites Aestuarium – durch das dieser Nebenfluß aus Westnordwest sein schwarzes Wasser herzubringt, nachdem er das Gebiet der Cazenas-Indianer bewässert hat.
An dieser Stelle bot der Amazonenstrom ein wahrhaft großartiges Bild. Aber sein Bett war dichter als je von Inseln und Inselchen besät.
Der Lotse mußte alle Geschicklichkeit aufwenden, um durch diesen Archipel hindurch zu steuern; von einem Ufer zum andern, an den Untiefen und den Stromschnellen vorbei, hielt er unerschütterlich seine Richtung inne.
Vielleicht hätte er in den Ahuaty-Parana steuern können – eine Art natürlichen Kanals, der ein wenig unterhalb der Tunantismündung abgeht. Man kommt dann 120 Meilen weiter durch den Hiapura wieder in den Strom hinein. Aber wenn auch dieser Furo an seiner breitesten Stelle 500 Fuß mißt, so ist er doch an der schmalsten nur 60 Fuß breit, und die Jangada wäre hier nur mühsam weiter gekommen.
Nachdem am 13. Juli die Insel Capuor berührt worden war, nachdem man an der Mündung des Yutahy vorüber war – welcher aus Westsüdwesten kommt und in einer 1500 Fuß breiten Mündung sein schwarzes Wasser in den Amazonenstrom ergießt – nachdem man Scharen von jenen flinken Affen bewundert hatte, die schwefelgelbe Farbe und zinnoberrote Gesichter haben und unersättliche Liebhaber der Nüsse jener Palmen sind, die nach dem Flusse benannt werden – langten die Reisenden am 18. Juli vor der kleinen Stadt Fonteboa an.
Schwarzes Wasser: »Mit der Mündung des Rio Zama betraten wir ein Flußsystem, das große Aufmerksamkeit verdient. Der Zama, der Mataveni, der Atabapo, der Tuamini, der Temi, der Guainia haben schwarzes Wasser (aguas negras), das heißt, ihr Wasser in großen Massen gesehen, erscheint kaffeebraun oder grünlich schwarz, und doch sind es die schönsten, klarsten, wohlschmeckendsten Wasser. Ich habe schon oben erwähnt, daß die Krokodile, und, wenn auch nicht die Zancudos, doch die Moskitos fast überall die schwarzen Wasser meiden. Das Volk behauptet ferner, diese Wasser bräunen das Gestein nicht, und die weißen Flüsse haben schwarze, die schwarzen Flüsse weiße Ufer. Und allerdings sieht man am Gestade des Guainia, den die Europäer unter dem Namen Rio Negro kennen, häufig blendend weiße Quarzmassen aus dem Granit hervorstehen. Im Glase ist das Wasser des Mataveni ziemlich weiß, das des Atabapo aber behält einen braungelblichen Schein. Wenn ein gelinder Wind den Spiegel dieser schwarzen Flüsse kräuselt, so erscheinen sie schön wiesengrün wie die Schweizer Seen. Im Schatten sind der Zama, der Atabapo, der Guainia schwarz wie Kaffeesatz. Diese Erscheinungen sind so auffallend, daß die Indianer aller Orten die Gewässer in schwarze und weiße einteilen. Erstere haben mir häufig als künstlicher Horizont gedient; sie werfen die Sternbilder wunderbar scharf zurück.
In dem weit ausgedehnten Flußsystem, das wir bereist – und dieser Umstand scheint mir sehr auffallend – kommen die schwarzen Wasser vorzugsweise nur in dem Strich in der Nähe des Aequators vor. Um den fünften Grad nördlicher Breite fängt man an sie anzutreffen, und sie sind über den Aequator hinaus bis gegen den zweiten Grad südlicher Breite sehr häufig.
Die Farbe rührt ohne Zweifel von gekohltem Wasserstoff her. Man sieht etwas Aehnliches am Düngerwasser, das unsere Gärtner bereiten, und am Wasser, das aus Torfgruben abfließt. Läßt sich demnach nicht annehmen, daß auch die schwarzen Flüsse, der Atabapo, der Zama, der Mataveni, der Guainia, von einer Kohlen- und Wasserstoffverbindung, von einem Pflanzenextraktivstoff gefärbt werden? Der starke Regen unter dem Aequator trägt ohne Zweifel zur Färbung bei, indem das Wasser durch einen dichten Grasfilz sickert. Ich gebe diese Gedanken nur als Vermutung. Die färbende Substanz scheint in sehr geringer Menge im Wasser enthalten; denn wenn man Wasser aus dem Guainia oder Rio Negro sieden läßt, sah ich es nicht braun werden wie andere Flüssigkeiten, welche viel Kohlenwasserstoff enthalten.«
Aus »Alexander von Humboldts Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents.«
Um der Mannschaft Ruhe zu gönnen, machte die Jangada hier 12 Stunden Halt.
Fonteboa ist wie die meisten der Missionsstädte am Amazonas der launischen Bestimmung verfallen, durch die sie eine lange Zeit hindurch von einem Ort zum andern verlegt werden.
Es ist jedoch anzunehmen, daß dieser Flecken mit seinem Nomadenleben abgeschlossen hat und endgiltig seßhaft geworden ist. Das wäre nur ein Vorteil für ihn, denn mit seinen 30 Häusern, die Blätterdächer haben, und seiner Kirche, die »Unsrer lieben Frauen von Guadelupe«, der schwarzen Heiligen Jungfrau von Mexiko, geweiht ist, bietet er einen ganz reizenden Anblick.
Fonteboa zählt etwa 1000 Einwohner und wird von den Indianern beider Ufer versorgt, die auf dem üppigen Weideland der Umgebung eine umfangreiche Viehzucht treiben.
Hierauf beschränkt sich ihre Tätigkeit jedoch nicht, sie sind auch unerschrockene Jäger und stellen mit großer Kühnheit den Lamantinen nach.
Noch am Abend ihrer Ankunft konnten die jungen Männer an einer sehr interessanten Expedition dieser Art teilnehmen.
Zwei dieser pflanzenfressenden Waltiere waren in dem schwarzen Wasser des Cayaratu, der bei Fonteboa mündet, gesehen worden. Sechs braune Punkte sah man auf der Oberfläche sich bewegen. Das waren die zwei spitzen Schnauzen und die vier Flossen der Lamantine.
Auch hiervon berichtet Alexander von Humboldt:
Dieses grasfressende Wassersäugetier, das die Indianer Apcia und Avia nennen, wird hier meist 10-12 Fuß lang und 500-800 Pfund schwer. Wir sahen das Wasser mit dem Kot desselben bedeckt, der sehr stinkend ist, aber ganz dem des Rindviehs gleicht. Es ist im Orinoco unterhalb der Katarakten, im Meta und im Apure zwischen den beiden Inseln Carizales und Conserva sehr häufig. Wir fanden keine Spur von Nägeln auf der äußern Fläche und am Rande der Schwimmflossen, die ganz glatt sind; zieht man aber die Haut der Flosse ab, so zeigen sich an der dritten Phalange kleine Nägelrudimente. Bei einem 9 Fuß langen Tier, das wir in Carichana, einer Mission am in Orinoco, zergliederten, sprang die Oberlippe vier Zoll über die untere vor. Jene ist mit einer sehr zarten Haut bekleidet und dient als Rüssel oder Fühler zum Betasten der vorliegenden Körper. Die Mundhöhle, die beim frisch getöteten Tier auffallend warm ist, zeigt einen ganz eigentümlichen Bau. Die Zunge ist fast unbeweglich; aber vor derselben befindet sich in jeder Kinnlade ein fleischiger Knopf und eine mit sehr harter Haut ausgekleidete Höhlung, die in einander passen. Der Lamantin verschluckt so viel Gras, daß wir sowohl den in mehrere Fächer geteilten Magen, als den 108 Fuß langen Darm ganz damit angefüllt fanden. Schneidet man das Tier am Rücken auf, so erstaunt man über die Größe, Gestalt und Lage seiner Lunge. Sie hat ungemein große Zellen und gleicht ungeheuren Schwimmblasen; sie ist drei Fuß lang. Mit Luft gefüllt hat sie ein Volumen von mehr als tausend Kubikzoll. Ich mußte mich nur wundern, daß der Lamantin mit so ansehnlichen Luftbehältern so oft an die Wasserfläche heraufkommt, um zu atmen. Sein Fleisch, das, aus irgend einem Vorurteil, für ungesund und calenturioso (fiebererzeugend) gilt, ist sehr schmackhaft; es schien mir mehr Aehnlichkeit mit Schweinefleisch als mit Rindfleisch zu haben. Die Guamos und Otamacos essen es am liebsten, daher geben sich auch diese zwei Stämme vorzugsweise mit dem Seekuhfang ab. Das eingesalzene und an der Sonne gedörrte Fleisch wird das ganze Jahr aufbewahrt, und da dieses Säugetier bei der Klerisei für einen Fisch gilt, so ist es in den Fasten sehr gesucht. Der Lamantin hat ein äußerst zähes Leben; man harpuniert ihn und bindet ihn sodann, schlachtet ihn aber erst, nachdem er in die Pirogue geschafft worden. Dies geschieht so oft, wenn das Tier sehr groß ist, mitten auf dem Flusse, und zwar so, daß man die Pirogue zu zwei Drittteilen mit Wasser füllt, sie unter das Tier schiebt und mit einer Kürbisflasche wieder ausschöpft. Am leichtesten sind sie am Ende der großen Ueberschwemmungen zu fangen, wenn sie aus den Strömen in die umliegenden Seen und Sümpfe geraten sind und das Wasser schnell fällt. Zur Zeit, wo die Jesuiten den Missionen am unteren Orinoco vorstanden, kamen diese alle Jahre in Cabruta unterhalb dem Apure zusammen, der gegenwärtig el Capuchino heißt, eine große Seekuhjagd anzustellen. Das Fett des Tiers, die manteca do Manati, wird in den Kirchenlampen gebrannt, und man kocht auch damit. Es hat nicht den widrigen Geruch des Wallfischtrans, oder des Fetts anderer Kakteen mit Spritzlöchern. Die Haut der Seekuh, die über anderthalb Zoll dick ist, wird in Streifen zerschnitten und diese dienen in den Llanos, wie die Streifen von Ochsenhaut, als Stricke. Kommt sie ins Wasser, so hat sie den Fehler, daß sie zu faulen anfängt. Man macht in den spanischen Kolonien Peitschen daraus, daher auch die Worte latipo und manati gleichbedeutend sind. Diese Peitschen aus Seekuhhaut sind ein schreckliches Werkzeug zur Züchtigung der unglücklichen Sklaven, ja der Indianer in den Missionen, die nach den Gesetzen als freie Menschen behandelt werden sollten.
Aus »Alexander von Humboldts Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents.«
Unerfahrene Jäger hätten diese sich bewegenden Punkte zunächst für treibende Holzstücke gehalten, aber die Eingeborenen von Fonteboa konnten sich hierin nicht täuschen.
Bald verriet auch brausendes Schnaufen, daß hier Tiere mit Gewalt die für ihre Atmung untauglich gewordene Luft herausstießen.
Zwei Ubas mit je drei Fischern stießen vom Ufer ab und näherten sich den Lamantinen, die auf der Stelle flüchteten. Die schwarzen Punkte zogen zuerst lange Furchen auf dem Wasser und verschwanden dann auf einmal.
Die Fischer fuhren vorsichtig weiter.
Einer von ihnen war mit einer sehr primitiven Harpune bewaffnet – einem langen Nagel an einem Stock – und stand in seiner Piroge, während die andern geräuschlos ruderten.
Sie warteten darauf, daß das Bedürfnis nach frischer Luft die Lamantine in Geschoßweite bringen würde. In zehn Minuten mußten jedesfalls die Tiere in mehr oder minder engem Umkreise wieder auftauchen.
In der Tat war diese Zeit kaum verstrichen, als die schwarzen Punkte in geringer Entfernung wieder auftauchten und zwei mit Dampf vermischte Wasserstrahlen geräuschvoll emporschossen.
Die Ubas näherten sich, die Harpunen wurden geworfen, eine verfehlte ihr Ziel, die andere aber traf eine der Sirenen dicht am Schwanzwirbel.
Mehr war nicht nötig, das Tier zu betäuben, das nicht imstande ist, sich zu verteidigen, wenn es von dem Eisen einer Harpune verwundet ist. In kurzen Zügen brachte das Seil das Tier an den Kahn heran, und es wurde so bis zum Ufer am Fuße des Fleckens gezogen.
Es war nur ein kleiner Lamantin; denn er war kaum drei Fuß lang. Diesen armen Cetaceen ist so eifrig nachgestellt worden, daß sie im Stromgebiet des Amazonas ziemlich selten werden, und man läßt ihnen so wenig Zeit zum Wachsen, daß jetzt die größten Exemplare der Gattung nicht über sieben Fuß messen.
Was sind sie gegen die 12–15 Fuß großen Lamantine, deren es in den Flüssen und Seen Afrikas noch unzählige gibt!
Dieser Verheerung ist jedoch sehr schwer vorzubeugen. Das Fleisch des Lamantins ist in der Tat ausgezeichnet und dem des Schweines vorzuziehen, das Oel, das aus seinem drei Zoll dicken Speck gewonnen wird, ist ein Produkt von hohem Wert.
Wenn das Fleisch geräuchert wird, hält es sich sehr lange und ist ein gesundes Nahrungsmittel. Wenn man hinzufügt, daß das Tier verhältnismäßig leicht zu jagen ist, so kann es nicht wunder nehmen, daß seine Gattung der völligen Ausrottung entgegengeht.
Am 19. Juli verließ die Jangada bei Sonnenaufgang Fonteboa und glitt zwischen den beiden völlig verlassenen Ufern längs schattiger Inseln dahin, die mit ihren Wäldern von Kakaobäumen ein wunderbares Bild boten.
Der Himmel war beständig mit schweren Wolken bedeckt, die mit nahen Unwettern drohten.
Der Rio Yurua, der von Südosten kommt, mündet hier links. Ein Fehler Vernes. Dieser Fluß mündet rechts. Wenn man ihn stromauf verfolgt, kann man bis nach Peru vordringen, ohne in seinem weißen Wasser, das von einer großen Zahl von Zuflüssen gespeist wird, auf unübersteigbare Hindernisse zu stoßen.
»Wahrscheinlich hat man eher in diesem Gebiet,« sagte Manuel, »die Abkömmlinge jener kriegerischen Frauen zu suchen, über die Orellana so Erstaunliches berichtet. Aber es ist jetzt festgestellt, daß sie nicht mehr, wie ihre Urahnen, Stämme für sich bilden. Es sind einfach Frauen, die ihre Männer in den Kampf begleiten, und unter den Yuruas stehen die Frauen im Rufe ausgezeichneter Tapferkeit.«
Die Jangada fuhr noch immer stromab, aber was für ein Labyrinth war jetzt der Strom!
Der Rio Hiapura, dessen Mündung 80 Meilen weiter liegt, und der einer der größten Nebenflüsse ist, läuft hier fast parallel mit dem Strom.
Zwischen ihnen bilden Kanäle, Iguarapes, Lagunen und Seen ein unentwirrbares Netz, das die Hydrographie dieser Gegend sehr schwierig macht.
Aber obgleich Araujo keine Karte hatte, nach der er sich richten konnte, so kam seine Erfahrung ihm mit größrer Sicherheit zu Hilfe, und es war wunderbar zuzusehen, wie er sich in diesem Chaos zurechtfand, ohne sich je aus dem Hauptfluß zu verirren.
Er machte seine Sache so gut, daß am 25. Juli abends, nachdem die Stadt Parani-Tazera passiert war, die Jangada am Eingang des Sees von Egas oder Tefe anlegte. In den See hineinzufahren, wäre unnütz gewesen, da man ihn doch wieder hätte verlassen müssen, um den Amazonas weiter zu verfolgen.
Aber die Stadt Egas ist ziemlich bedeutend. Es lohnte, hier Halt zu machen und die Stadt anzusehen.
Die Jangada sollte daher hier bis zum 27. Juli bleiben, und die große Piroge am 28. die ganze Familie nach Egas bringen.
Während der Nacht blieb das Floß an den Tauen an dem ziemlich hohen Ufer, und nichts störte die Ruhe.
Wetterleuchten flammte am Horizont, das rührte aber von einem fernen Gewitter her, das sich nicht am Eingang des Sees entlud.