Alfred de Vigny
Die Abendunterhaltung in Vincennes
Alfred de Vigny

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6. Die rosa Dame

»Eins erscheint mir als ganz gewiß, meine lieben Kinder,« sagte er, sich nach seiner Tochter Seite hin wendend, »daß nämlich die Vorsehung in ihrer Güte mein Leben so, wie es gewesen ist, zimmerte. In den zahllosen Stürmen, die es aufpeitschten, hab' ich – und das kann ich angesichts der ganzen Welt sagen – mich immer wieder auf Gott verlassen und seiner Hilfe geharrt, nachdem ich mir selbst mit allen meinen Kräften zu helfen gesucht hatte. Auch habe ich, das sag' ich Euch, wenn ich auf erregten Fluten wandelte, nicht verdient, kleingläubig wie der Apostel genannt zu werden, und wenn mein Fuß strauchelte, hob ich meine Augen gen Himmel und ward wieder aufgerichtet.«

(Hier blickte ich Timoléon an ... »Der ist besser als wir,« sagte ich leise.)

Er fuhr fort:

»Der Herr Pfarrer von Montreuil liebte mich sehr, und behandelte mich mit so väterlicher Freundschaft, daß ich ganz vergaß, woran er mich immer wieder erinnerte, daß ich von einem armen Bauer und einer armen Bäuerin, die fast gleichzeitig von den Blattern hinweggerafft wurden und die ich nicht einmal gesehn hatte, in die Welt gesetzt worden war. Mit sechzehn Jahren war ich ungesittet und einfältig, konnte aber ein bißchen Latein, verstand viel von Musik und war in allen möglichen Gärtnerarbeiten ziemlich geschickt. Sehr friedlich und glücklich verstrich mein Leben, weil Pierrette immer da war, und sie schaute mir beim Arbeiten stets zu, ohne indessen viel mit ihr zu reden.

Eines Tages stutzte ich die Zweige einer der Parkbuchen, und als ich ein kleines Reisigbündel zusammenband, sagte Pierrette zu mir:

»O, Mathurin, ich hab' Bange. Da kommen zwei hübsche Damen vom Alleeende her auf uns zu. Was sollen wir nur tun?«

Ich blickte hin und sah tatsächlich zwei junge Damen, die schnell, ohne sich den Arm zu reichen, über die trockenen Blätter gingen. Eine war etwas größer als die andere und in ein einfaches Gewand aus rosa Seide gekleidet. Sie lief mehr als sie ging und die andere schritt, ob sie gleich sie begleitete, fast hinter ihr.

Instinktiv wurde ich wie ein armer kleiner Bauer, der ich ja auch war, von Schrecken gepackt und sagte zu Pierretten:

»Retten wir uns!«

Aber bah, dazu hatten wir keine Zeit; und was meine Angst verdoppelte, war, daß ich die rosa Dame Pierretten ein Zeichen geben sah; die wurde über und über rot, wagte sich nicht zu rühren und faßte mich schnell bei der Hand, um sich Mut zu machen. Ich nahm meine Mütze ab und lehnte mich ganz verdutzt gegen den Baum.

Als die rosa Dame bei uns angekommen war, ging sie gerade auf Pierretten zu und faßte sie ohne Umschweife unters Kinn, um sie der anderen Dame zu zeigen, und sprudelte hervor:

»Nun, ich sagte es Ihnen ja, das ist mein Milchmädchenkostüm für Donnerstag... Ein hübsches kleines Mädchen das! Mein Kind, Du sollst all Deine Kleider, die Du hier anhast, den Leuten geben, die sie von mir aus bei Dir abholen werden, nicht wahr? Dafür will ich Dir meine schicken.«

»O gnädige Frau,« sagte Pierrette zurückweichend.

Die andere junge Dame begann mit feiner, zärtlicher und melancholischer Miene, deren rührender Ausdruck mir unvergeßlich ist, zu lächeln. Mit gesenktem Haupte näherte sie sich, faßte Pierrette sanft bei ihrem bloßen Arme und erklärte ihr, sie solle nur näher kommen und alle Welt müsse der Dame da zu Willen sein.

»Laß es Dir nicht einfallen an Deinem Anzüge etwas zu ändern, meine schöne Kleine,« fuhr die rosa Dame fort, indem sie ihr mit einem dünnen Spazierstöckchen mit Goldknopf drohte, den sie in der Hand hielt. »Das ist ein großer Bursche, der wohl Soldat wird, und ich werd Euch miteinander verheiraten.«

So schön war sie, daß ich, dessen erinnere ich mich genau, sehr versucht war, mich vor ihr auf die Knie niederzulassen; Sie werden darüber lachen, wie ich seitdem oft bei mir selber darüber gelacht habe; wenn Sie sie aber gesehn hätten, würden Sie begreiflich finden, was ich sage. Wie eine kleine sehr gütige Fee sah sie aus.

Sie sprach schnell und heiter und versetzte Pierretten einen leichten Klaps auf die Wange, dann ließ sie uns beide ganz wortlos und ganz verdutzt zurück; wir wußten nicht, was wir tun sollten, und sahen die beiden Damen die Seitenallee von Montreuil verfolgen und hinter dem kleinen Gehölz in den Park einbiegen.

Dann blickten wir uns an und gingen, immer Hand in Hand gehend, zu dem Pfarrer; wir sagten nichts, waren aber recht zufrieden.

Pierrette war ganz rot und ich senkte den Kopf. Er fragte uns, was wir hätten, und ich sagte mit tiefem Ernst zu ihm:

»Herr Pfarrer, ich will Soldat werden.«

Er meinte darüber schier auf den Rücken zu fallen, er, der mir Solfeggien beigebracht hatte!

»Wie, liebes Kind,« sagte er zu mir, »Du willst mich verlassen? Ach, mein Gott! Pierrette, was hat man ihm denn getan, daß er Soldat werden möchte? Liebst Du mich etwa nicht mehr, Mathurin? Liebst Du vielleicht Pierretten nicht mehr ? Sag, was haben wir Dir denn getan ? Und was willst Du mit der schönen Erziehung anfangen, die ich Dir hab' zuteil werden lassen ? Das wäre wahrlich viel verlorene Zeit. Aber antworte doch, böser Junge,« fügte er, mich am Arme schüttelnd, hinzu.

Ich kratzte mir den Kopf und sagte immer nur, meine Holzpantinen anblickend:

»Ich will Soldat werden.«

Pierrettens Mutter brachte dem Herrn Pfarrer ein großes Glas kaltes Wasser, weil er ganz rot geworden war, und sie hub zu weinen an.

Pierrette weinte auch und wagte nichts zu sagen; doch war sie nicht ärgerlich auf mich, weil sie sehr wohl wußte, daß ich, um sie heiraten zu können, fort wollte.

In diesem Augenblick traten zwei große gepuderte Lakeien mit einer Kammerfrau ein, die wie eine große Dame aussah, und fragten, ob die Kleine die Sachen, welche die Königin und die Frau Prinzessin von Lamballe verlangt hätten, fertig gemacht hätte.

Der arme Pfarrer stand so verwirrt auf, daß er sich nicht eine Minute auf den Beinen halten konnte, und Pierrette und ihre Mutter zitterten so heftig, daß sie eine Kassette, die man ihnen für das enganliegende Kleid und die Haube schickte, nicht zu öffnen wagten, und machten sich an das Umkleiden, beinahe so, wie wenn man sich für die Hinrichtung anzieht.

Als der Pfarrer allein mit mir war, fragte er mich, was geschehen sei, und ich sagte ihm alles, was ich Euch erzählt habe, nur etwas kürzer.

»Und deshalb willst Du fort, mein Kind?« fragte er mich, mich mit beiden Händen heranziehend, »aber bedenke doch, daß die höchste Dame Europas nur zur Zerstreuung so mit einem kleinen Bauernjungen wie Dir gesprochen und sicher schon nicht mehr weiß, was sie Dir sagte. Wenn man ihr erzählt, Du hättest das für einen Befehl oder für ein Horoskop gehalten, würde sie sagen, Du seist ein großer Einfaltspinsel, und Du könntest Dein ganzes Leben lang Gärtner bleiben, ihr sei das gleich. Was Du als Gärtner verdienst, und was Du verdienen wirst, wenn Du in Vokalmusik unterrichtest, gehört Dir, mein Freund; was Du dagegen in einem Regimente verdienen wirst, wird Dir nicht gehören und bei tausend Gelegenheiten wirst Du es in Vergnügungen verschwenden, die von Sitte und Religion verboten sind; alle guten Grundsätze, die ich Dir beigebracht habe, wirst Du vergessen und ich werde Deinetwegen erröten müssen. Zurückkommen wirst Du, (wenn Du je zurückkommst) mit einem anderen Charakter als dem, den Du bei Deiner Geburt mitgekriegt hast. Du warst sanft, bescheiden gelehrig, wirst roh, schamlos und laut werden. Die kleine Pierrette wird gewißlich niemals einwilligen, eines üblen Burschen Frau zu werden, und ihre Mutter wird sie daran hindern, wenn sie es doch werden wollte; und ich, was werd' ich für Dich tun können, wenn Du die Vorsehung gänzlich vergissest ? Siehst Du: Du wirst die Vorsehung vergessen, und ich versichere Dir, daran wirst Du zugrunde gehn.«

Die Augen auf meine Holzpantinen geheftet, stand ich mit gerunzelten Augenbrauen und ein schiefes Gesicht ziehend da, kratzte mir den Kopf und erklärte:

»Das ist gleich, ich will Soldat sein.«

Der gute Pfarrer fackelte nicht längerer machte die Tür ganz weit auf und wies mir traurig die Hauptstraße.

Ich verstand sein Gebärdenspiel und ging hinaus. An seiner Statt würd' ich sicherlich genau so gehandelt haben. Doch so denke ich jetzt, an jenem Tage dachte ich nicht so. Ich setzte meine Baumwollmütze aufs rechte Ohr, krämpelte meinen Kittelkragen auf, nahm meinen Stock und ging geraden Wegs, ohne einem Menschen Lebewohl zu sagen, in eine kleine Schenke an der Versailler Landstraße.


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