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Meine kleine Pierrette war ein schönes Mädchen von entschlossenem, ruhigem und ehrbarem Charakter. Sie ließ sich nicht so leicht aus der Fassung bringen, und seitdem sie mit der Königin gesprochen hatte, ließ sie sich nicht mehr ganz einfach sagen, was man zu tun habe. Sie erklärte dem Herrn Pfarrer und seiner Köchin kurz, ganz so als ob ich nicht für lange, wenn nicht gar fürs ganze Leben vor die Tür geworfen worden wäre, daß sie Mathurin heiraten wolle, und stand des Nachts auf, um an ihrer Aussteuer zu arbeiten.
Eines Tages (am Ostermontag war's, sie hat sich stets daran erinnert, die arme Pierrette, und hat's mir oft erzählt), eines Tages also saß sie vor des Herrn Pfarrers Haustüre und arbeitete und sang, als ob nichts vorgefallen wäre, da sah sie schnell, ganz schnell eine schöne Karosse herankommen, deren sechs Pferde in wunderbarem Zug auf der Allee trabten. Darauf saßen zwei kleine gepuderte Rosapostillons, die sehr hübsch und so klein waren, daß man von weitem nur ihre hohen Stulpenstiefel sah. An ihrem Busenstreifen trugen sie dicke Sträuße und an ihrem Ohr trugen die Pferde auch dicke Sträuße. Geschah es nicht, daß der Stallmeister, welcher vor den Pferden herritt, just vor des Herrn Pfarrers Türe anhielt, wo der Wagen ebenfalls haltzumachen und sich sperrangelweit aufzutun geruhte ? Es saß niemand drin. Als Pierrette mit großen Augen um sich schaute, riß der Stallmeister sehr höflich seinen Hut herunter und bat, sie möchte die Güte haben und in die Karosse steigen. Meinen Sie etwa, daß Pierrette Umstände machte ? Durchaus nicht; dafür besaß sie zuviel gesunden Menschenverstand. Sie fuhr ganz einfach aus ihren beiden Holzpantinen, die sie auf der Türschwelle stehen ließ, zog ihre Silberschnallenschuhe an, legte ihre Handarbeit sorgsam zusammen und stieg in die Karosse, indem sie sich auf des Lakaien Arm stützte, wie wenn sie in ihrem Leben nichts anderes getan hätte, denn, nachdem sie ihr Kleid mit der Königin getauscht, hielt sie sich zu allem fähig.
Oft hat sie mir erzählt, daß sie im Wagen zwei große Ängste ausgestanden: erstens, weil man so schnell fuhr, daß die Bäume der Montreuiler Allee einander wie närrisch nachzulaufen schienen; zweitens, weil sie meinte, wenn sie sich auf die weißen Karossenkissen setzte, ließe sie dort gewißlich einen blaugelben Flecken von ihres Rockes Farbe zurück. Drum hob sie ihn bis zu den Falten auf und hielt sich kerzengrade am Kissenrande. In keiner Weise war sie durch ihr Abenteuer beunruhigt; sie sagte sich ganz einfach, unter solchen Umständen wäre es gut, das, was alle Welt wolle, freiwillig und ohne zu zaudern zu tun.
Im richtigen Gefühle ihrer Lage, das ihr eine glückliche, sanfte und in allen Dingen für das Gute und Wahre eingenommene Natur verliehen, ließ sie sich ohne weiteres von dem Stallmeister den Arm reichen und in die goldenen Gemächer von Trianon geleiten, wo sie einzig Sorge trug, in Rücksicht auf das Parkett aus Zitronenholz und indischen Hölzern, die sie mit ihren Schuhen zu zerkratzen fürchtete, auf den Zehenspitzen zu gehen.
Ehe sie das letzte Zimmer betrat, hörte sie ein munteres Lachen zweier sehr sanfter Stimmen, das sie wohl ein bißchen einschüchterte und ihr Herz recht lebhaft pochen machte; beim Eintreten aber fühlte sie sich gleich wieder sicher, es war ja nur ihre Freundin, die Königin.
Frau von Lamballe war bei ihr, saß aber in einer Fensternische und vor einem Pult für Miniaturmalerei. Auf dem grünen Bezug des Pultes lag eine vollständig vorbereitete Elfenbeinplatte; bei der Elfenbeinplatte Pinsel; bei den Pinseln stand ein Glas Wasser.
»Ach, sie ist da!« rief die Königin mit Feiertagsmiene und lief zu ihr, um sie bei beiden Händen zu fassen.
»Wie frisch sie ist, wie hübsch sie ist! Welch niedliches kleines Modell das für Sie ist! Auf denn, treffen Sie sie ja recht gut, Frau von Lamballe... Setz' Dich dorthin, mein Kind.«
Und die schöne Marie Antoinette zwang sie auf einen Stuhl nieder. Pierrette war ganz sprachlos, und ihr Stuhl war so hoch, daß ihre kleinen Füße herunterhingen und baumelten.
»Aber sehn Sie doch, wie gut sie sich benimmt,« fuhr die Königin fort, »sie läßt sich nicht zweimal sagen, was man will; ich wette, sie hat Geist. Halt Dich grade, mein Kind, und hör' mir zu. Es werden zwei Herrn hierher kommen. Ob Du sie kennst oder nicht, bleibt sich gleich und braucht Dich nicht zu kümmern. Du sollst alles tun, was sie Dich heißen. Ich weiß, Du singst, und Du wirst singen. Wenn sie Dir sagen, Du sollst so eintreten und hinausgehn, gehn und kommen, wirst Du so eintreten, hinausgehn, gehn und ganz genau so kommen, hörst Du? All das geschieht zu Deinem Besten. Die gnädige Frau und ich werden ihnen helfen Dir etwas beizubringen, worauf ich mich gut verstehe, und für unsere Mühen verlangen wir nichts weiter von Dir, als daß Du alle Tage eine Stunde vor der gnädigen Frau sitzest; das wird Dich nicht allzu sehr betrüben, nicht wahr ?«
Pierrette antwortete nur, indem sie bei jedem Worte rot und blaß wurde; war aber so zufrieden, daß sie die kleine Königin am liebsten wie eine Kameradin umarmt hätte.
Als sie, die Augen auf die Tür gerichtet, posierte, sah sie zwei Männer hereinkommen, von denen einer dick, einer groß war. Als sie den großen erblickte, konnte sie nicht umhin zu rufen: »Aber das ist ja ...«
Doch biß sie sich auf den Finger, um sich zum Schweigen zu bringen.
»Nun, wie finden Sie sie, meine Herrn,« fragte die Königin, »hab' ich mich getäuscht?«
»Ist sie nicht ›Rose‹; selber?« fragte Sédaine.
»Eine einzige Note, Majestät,« sagte der dickere der beiden, »und ich werde wissen, ob sie auch Monsignys Rose ist, wie sie die Sédainesche ist.«
»Hören Sie, meine Kleine, wiederholen Sie die Tonleiter hier,« sagte Grétry, ut, mi, fa, so singend. Pierrette wiederholte sie.
»Sie hat eine göttliche Stimme, Majestät«, erklärte er.
Die Königin klatschte in die Hände und sprang auf.
»Sie wird ihre Mitgift gewinnen«, rief sie.