Alfred de Vigny
Die Abendunterhaltung in Vincennes
Alfred de Vigny

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7. Feuerstellung in erster Reihe

In dieser kleinen Schenke traf ich drei wackere Männer, deren Hüte mit goldenen Borden besetzt waren, in weißer Uniform mit rosa Aufschlägen, mit schwarzen hochgewichsten Schnurbärten und ganz schneeweiß gepuderten Haaren; die sprachen ebenso schnell wie Marktschreier. Diese drei Wackeren waren ehrsame Werber. Sie sagten zu mir, ich brauchte nur mit ihnen zu Tisch zu gehn, um einen richtigen Begriff von dem vollkommenen Glücke zu kriegen, dessen man sich immerdar im Leibregiment Auvergne erfreue. Sie setzten mir gebratne Hähnchen, Rehrücken und Rebhühner vor, ließen mich Bordeaux- und Champagnerwein und ausgezeichneten Kaffee trinken und schwuren mir auf Ehre, daß ich im Leibregiment Auvergne nie etwas anderes vorgesetzt kriegte.

Später sah ich denn auch klar und deutlich, daß sie die Wahrheit gesagt hatten!

Sie schwuren mir auch, denn sie schwuren in einem fort, daß man sich im Leibregiment Auvergne der süßesten Freiheit erfreue, daß einfache Soldaten dort unvergleichlich viel besser dran seien als die Hauptleute anderer Korps; daß man dort den angenehmsten Umgang mit Männern und schönen Damen habe, daß man da viel Musik mache und die hochschätze, welche Klavier spielten.

Letzter Umstand sorgte dafür, daß ich mich entschied.

Folgenden Morgens hatt' ich also die Ehre, Soldat des Leibregiments Auvergne zu sein. Wahrlich, es war ein sehr schönes Korps, doch sah ich weder Pierretten noch den Herrn Pfarrer mehr. Ich forderte ein Hühnchen zum Mittag, man gab mir jene angenehme Mischung von Kartoffeln, Hammelfleisch und Brot zu essen, die man Schlangenfraß nannte, nennt und sonder Zweifel immer nennen wird.

Man brachte mir die Haltung eines unbewaffneten Soldaten mit solcher Vollendung bei, daß ich später dem Zeichner als Vorbild diente, welcher die Stiche zum Exerzierreglement von Siebzehnhunderteinundneunzig herstellte, ein Reglement, das, wie Sie ja wissen, Herr Leutnant, ein Meisterwerk der Genauigkeit ist. Man brachte mir Exerzieren und Schießen in der Weise bei, daß ich das Laden mit zwölf Handgriffen, schnelles Laden und Laden nach Gutdünken ausführen konnte, indem ich die Bewegungen nach dem Takte zählte oder sie auch nicht zählte, und zwar ebenso vollkommen wie der straffste der Korporale des Königs von Preußen, Friedrichs des Großen, dessen sich die Veteranen noch mit der Rührung von Leuten erinnerten, welche die lieben, mit denen sie sich geschlagen haben. Man erwies mir die Ehre und versprach mir, wenn ich mich gut aufführte, würd' ich schließlich in der ersten Grenadierkompagnie aufgenommen werden.

Bald hatte ich einen gepuderten Zopf, der auf meinen ziemlich anständigen weißen Rock hinunterhing; doch sah ich weder Pierretten noch ihre Mutter, noch den Herrn Pfarrer von Montreuil jemals und machte auch keine Musik.

Als ich eines schönen Tages in der nämlichen Kaserne, in der wir hier sind, Arrest hatte, weil ich in der Waffenhandhabung drei Fehler gemacht, ließ man mich Feuerstellung in erster Reihe, ein Knie auf dem Pflaster, üben. Mir gegenüber hatte ich eine blendende und köstliche Sonne. Ich war gezwungen das Gewehr in vollkommener Unbeweglichkeit anzulegen, bis die Ermüdung mich nötigte, die Arme wie beim Aderlaß zu beugen; und angefeuert, meine Waffe so zu halten, wurde ich durch eines ehrenwerten Korporals Anwesenheit, der mein Bajonett, wenn es sich senkte, mit seinem Flintenkolben dann und wann in die Höhe praktizierte; es war das eine kleine Strafe von Herrn von Saint-Germains Erfindung.

Seit zwanzig Minuten bemühte ich mich in dieser Stellung die höchst mögliche Stufe der Versteinerung zu erreichen, als ich vor meinem Flintenlauf des Steinmetzen Michels, meines guten Freundes sanftes und friedliches Gesicht erblickte.

»Du kommst gerade zur rechten Zeit, mein Freund,« sagte ich zu ihm, »und würdest mir einen großen Dienst erweisen, wenn Du, ohne daß man es merkte, Deinen Stock einen Augenblick unter mein Bajonett schöbest. Meine Arme würden sich besser und Dein Stock nicht schlechter dabei befinden.«

»Ach, Mathurin, mein Freund,« sagte er, »arg bist Du ja dafür gestraft worden, daß Du Montreuil verließest; des guten Pfarrers Ratschläge und Unterrichtsstunden mußt Du entbehren, und gänzlich hast Du jene Musik vergessen, die Du so sehr liebtest und die der Parademarsch sicherlich nicht aufwiegt.«

»Das ist gleich,« sagte ich, meines Flintenrohrs Ende aufhebend und aus Stolz von seinem Stocke herunternehmend, »das ist gleich, man hat so seine Gedanken.«

»Du wirst nun nicht mehr Spaliere und schöne Pfirsiche mit Deiner Pierette pflegen, die ebenso frisch ist wie sie, und deren Lippen ebensolch leichten Flaum wie sie tragen.«

»Das ist gleich,« sagte ich, »ich habe so meine Gedanken.«

»Recht lange wirst Du so auf den Knien liegen und mit einem Schießprügel auf nichts zielen, eh' Du auch nur Korporal wirst.«

»Das ist gleich,« erwiderte ich abermals, »wenn ich auch langsam vorankomme, komm' ich doch immerhin vorwärts; für den, der zu warten weiß, kommt alles recht gelegen, wie es heißt; und wenn ich erst Sergeant bin, stelle ich was vor und werde Pierretten heiraten. Ein Sergeant ist ein feiner Herr; und Ehre, wem Ehre gebühret.«

Michel seufzte.

»Ach, Mathurin,« sagte er, »Du bist nicht klug; Du besitzest zuviel Stolz und Ehrgeiz, mein Freund; würdest Du Dich nicht lieber durch einen Stellvertreter ersetzen lassen, wenn jemand einen für Dich bezahlte, und Deine kleine Pierrette heiraten?«

»Michel, Michel,« antwortete ich ihm, »Du bist recht schlecht geworden in der Welt. Ich weiß nicht, was Du in ihr tust, und Du siehst nicht gerade nach einem Maurer aus, da Du statt eines Rocks einen Taffetanzug trägst. Das aber würdest Du nicht zu der Zeit gesagt haben, wo Du mir immer wiederholtest: Sein Schicksal muß man selber zimmern... Ich will mich nicht mit dem Gelde anderer Leute verheiraten und zimmere mir, wie Du ja siehst, mein Los selbst... Übrigens hat mir die Königin das in den Kopf gesetzt und die Königin kann sich nicht irren, wenn sie beurteilt, was wohlgetan ist. Sie hat selber gesagt: Er wird Soldat und ich werde sie miteinander verheiraten; sie hat nicht gesagt: er wird wiederkommen, wenn er Soldat gewesen ist.«

»Wenn zufälligerweise die Königin«, sagte er zu mir, »Dir etwas geben wollte, damit Du Dich verheiraten könntest, würdest Du es dann annehmen ?«

»Nein, Michel, ich würde ihr Geld nicht nehmen, wenn sie so lächerlich wäre und das wollte.«

»Und wenn Pierrette ihre Mitgift selber verdiente?« fuhr er fort.

»Ja, Michel, dann würd' ich sie sofort heiraten,« sagte ich.

Der gute Junge sah ganz gerührt aus.

»Gut,« erwiderte er, »das will ich der Königin sagen.«

»Bist Du närrisch,« sagte ich, »oder bist Du gar ein Diener ihres Hauses?«

»Weder das eine noch das andere, Mathurin, ob ich gleich keine Steine mehr schneide.« »Was schneidest Du denn ?« fragte ich.

»Ach ich schneide Theaterstücke, Papier und Federn zurecht.«

»Bah!« sagte ich, »ist das möglich?«

»Ja, mein Kind, ich mache kleine, ganz einfache und leichtverständliche Stücke. Du sollst das schon mal sehn ...«

»Wahrlich,« sagte Timoléon, den Adjutanten unterbrechend, »des guten Sédaine Werke behandeln keine höchst schwierige Fragen; in ihnen stößt man auf keine Synthese des Endlichen und Unendlichen, der Endzwecke, der Gedankenverkettung und persönlichen Identität; in ihnen bringt man keine Könige oder Königinnen durch Gift oder Beil um, sie führen keine tönenden Namen, die mit philosophischem Beiwerk umkleidet sind, sondern heißen: »Blasius,« »das verlorene Lamm,« »der Deserteur«; oder auch wohl »der Gärtner und sein Herr,« »die unvorhergesehene Wette.« Ihre Personen sind ganz einfache Leute, sprechen wahr und sind ohne es zu wissen Philosophen, wie Sédaine selber, den ich für größer halte, als man es tat.«

Ich antwortete nichts.

Der Adjutant fuhr fort:

»Schön; desto besser,« sagte ich, »lieber will ich Dich so etwas machen sehn als Steine schneiden.« »Ach, was ich damals baute, war mehr wert, als was ich jetzt zimmere. Das unterlag nicht der Mode und wird länger aufrecht stehn. Doch wenn es einfällt, könnte es wen zermalmen, während das, was ich jetzt mache, wenn es einstürzt, keinem Menschen wehe tut.

»Das ist gleich, ich bin immer sehr froh,« sagte ich...

Das heißt, ich wollte es sagen, denn der Korporal versetzte Michels Stock einen so furchtbaren Kolbenhieb, daß er da unten hinflog, sehen Sie, da unten nach dem Pulvermagazin hin.

Gleichzeitig brummte er der Wache, die einen Zivilisten hereingelassen hatte, sechs Tage Arrest auf.

Sédaine begriff wohl, daß er fortgehn müsse; er hob friedlich seinen Stock auf und sagte zu mir, als er sich nach der Waldseite entfernte:

»Sei versichert, Mathurin, all das werde ich der Königin erzählen.«


 << zurück weiter >>