Max Vogler
Gedichte
Max Vogler

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Lieder eines Gefangenen

1876

I.

             

Sie sagen mir, daß alle Fluren
Voll bunter Blumen prangend stehn,
Und daß im Hain auf allen Spuren
Des Frühlings süße Düfte wehn.

Sie künden mir von Vogelsängen,
Die draußen in der lichten Welt
Aus jeder Brust sich jubelnd drängen,
Weil Lieb' und Glück die Herzen schwellt!

Ich aber, – ich! . . An Eisenstäben
Erprob' ich meine junge Kraft
Und horche, wie die Gitter beben,
Bis mir mein müder Arm erschlafft!

Und mit verweinten, trüben Augen
Vermag ich kaum das Sonnenlicht
Tief in mein zornig Herz zu saugen,
Das von der Menschheit Jammer spricht! . .

Ja, spotte nur vor'm Fenster draußen,
Du kleines, fröhlich Vögelein:
Frei dürft in Wald und Flur ihr hausen, –
Wir aber müssen Sklaven sein!

II

Nun hätte schon das Grün begonnen,
Zu lassen seinen frischen Glanz,
Und nach des Lenzes sel'gen Wonnen
Verwelke schon manch' bunter Kranz.

Und bei dem Drang der Aelternsorgen
Verstumme manch' ein Vöglein schon:
Beim Abendsang, am frühen Morgen,
Es fehle da schon mancher Ton.

So hört' ich von des Frühlings Grabe
Die trübe Kunde zu mir gehen, –
Es stockt das Blut! . . O Gott! ich habe
Nicht Blume und nicht Blatt gesehn! . .

In jeder Nacht, an jedem Tage
Hab' nach den Knospen ich gefragt
Und wie der Baum die Blüthen trage, –
Nun hat Natur sie schon beklagt!

Weil meines Herzens feurig Streben
Der Menschheit höchstem Glücke galt,
Und für ein wahres, würdig Leben
Begeistert mir das Blut gewallt,

Ja, weil mein Herz mit frischen Schlägen
Dem Lenz, an den es fest geglaubt,
Auf Sturmesflügeln flog entgegen: –
Drum hat man mir den Lenz geraubt! . .

 


 


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