Richard Voß
Die Mutter der Catonen
Richard Voß

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Erstes Kapitel.

Von allen Herrlichkeiten der Villa des Lucull, welcher dieser große Lebemann des Altertums im Albanergebirge besessen, ist nur ein einziges Stück unscheinbaren, grauen Gemäuers auf die heutige Zeit gekommen – das Grab Luculls. Die Gruft, darin der geniale Schlemmer von dem Bacchanal seines Lebens ausruhte, war einstmals im Schmuck ihrer Marmorbekleidung ein leuchtender Prunkbau, der weit hinausstrahlte über die Gärten und Rosengefilde jenes unvergleichlichen Landsitzes. Räuberische Hände haben das kostbare Gestein zertrümmert, das prangende Grab aufgerissen, nach Schätzen durchwühlt und den stillen Bewohner des schönen Hauses aus seinem Marmorbette gezerrt. Heute ist das Denkmal ein öder Steinhaufen, die Grabkammer eine leere Höhlung, in welche die Sonne hineinscheint.

Der Bau befindet sich mitten in Frascati, das nebst allen seinen Kirchen, Klöstern und Palästen von den Trümmern der Lucullischen Villa gebaut ward; es liegt eingezwängt zwischen zwei armseligen Häusern, die beide, um eine Wand zu ersparen, das alte Steinwerk benutzten. Diese bequeme Bauart gibt einem jeden der Häuschen ein wunderlich schiefes Aussehen und läßt den hohen, schlanken Rundbau der Grabruine wie einen derben Keil erscheinen, den eine Riesenfaust in eine menschliche Wohnung getrieben, sie mitten durchspaltend. Der Geschmack des einen Hausbesitzers ließ die Wände seines Eigentums schön rosenrot anstreichen, während die Mauern des andern Häuschens im zartesten Himmelblau erglänzen: dazwischen steht nun das arme, seiner Schönheit beraubte Römergrab grau und trübselig da, gleich einem mißmutigen alten Gesellen, der an jedem Arm ein sonntäglich geschmücktes, bescheidenes, aber frisches, junges Ding führt, mit welchen guten Kindern der Griesgam womöglich zu Tanze gehen soll.

Aber auch der Alte kann sich herausputzen. Wie ein Bursch, der auf Freiersfüßen geht, sich den Hut voller Blumen und bunter Bänder steckt, so lustig farbig trägt es die ehrwürdige Ruine auf ihrem greisen Haupt; denn mit der Zeit hat sich auf der zertrümmerten Grabkuppel ein wilder Garten angesiedelt. Im Frühjahr leuchtet das Gemäuer von Goldlack und Goldregen, als ob alle Schätze Roms darüber ausgeschüttet wären; einige Wochen später umranken es buntes Caprifolium, blaue Wicken und rote Winden, die in der Sonne wie Edelsteine funkeln: Rosen klettern auf und ab, Weißdorn und wilder Schneeball verhüllen mit ihrem winterlichen Schimmer die Risse; und ist die eine Blumengattung verblüht, knospet bereits wieder eine andre, so daß das ganze Jahr hindurch von dem grauen Gestein ein süßer Wohlgeruch ausgeht, als entströmten dem Grabe des berühmten Prassers noch immer die Düfte Arabiens.

Auch das war schön von der alten Ruine, daß sie selbst den wildesten und verwegensten Straßenjungen Frascatis nicht auf ihre ehrwürdige Wölbung hinauf, nicht in ihr Zaubergärtlein hinein ließ. Diese Eigenschaft, welche das Grabmal mit hohen Türmen und steilen Felsen gemein hatte, machten sich die Vogel zu nutze; in Scharen nisteten sie droben, und es waren nicht etwa gemeine Dohlen, Krähen und Falken, sondern vornehme Amseln, Drosseln und Nachtigallen, die in den lauen römischen Frühlingsnächten das Grab Luculls umfluteten und umschluchzten, als lagen Romeo und Julia, die seligen Liebenden selbst, hier begraben.

Vor der Ruine befindet sich ein kleiner Platz, in dessen Sand- und Schmutzhaufen die junge Brut der Frascataner mit einer Schar von Hühnern, Hunden und Schweinen sich teilt; redlich bemühen sich die Kinder, die Natur ihrer Spielgefährten anzunehmen; sie krähen wie die Hähne, heulen wie die Hunde und grunzen wie die Schweine, mit denen sie sich im Schmutze wälzen. Der Platz heißt Piazza di Lucullo! Es gibt auch eine Via di Lucullo und ein Vicolo di Lucullo, eine dunkle, enge, schmierige Gasse, und ein dunkles, enges, schmieriges Gäßchen, welche beide von der Piazza di Lucullo steil nach dem Domplatz hinabführen und in denen dieselbe Bevölkerung wie auf der Piazza sich herumtreibt, nur daß zu den Kindern, zu den Hühnern, Hunden und Schweinen eine Menge von Weibern sich gesellt; Weiber, die spinnend an den schwarzen Wänden lehnen, Weiber, die müßig in den Thüren, auf den schmutzigen Treppen kauern, Weiber, die ihren Salat waschen, ihre Haare kämmen, ihren Säuglingen die Brust reichen und die alle zusammen ein Geschrei anheben, als ob ein Mord geschehen wäre.

Doch es gab in Frascati nicht nur eine Piazza, eine Via und ein Vicolo di Lucullo, sondern es gab daselbst auch eine Calzoleria di Lucullo; denn in der Grabkammer des glückseligen Heiden hauste ein junger Schuhmacher, der eigentlich Angelo Principini hieß, der aber, weil er im Grabe Luculls wohnte, von ganz Frascati Sor »Lucullo« genannt ward.

Lucullo war nur ein Flickschuster; aber was für ein Flickschuster war er! Für die braunen, zierlichen Füße der schönen Frascatanerinnen aus der gegerbten Haut einer Ziege oder eines Rindes mit Hilfe von Pfriemen und Ahle einen Schuh herzustellen, ein solches Kunstwerk hätte unser wackerer Lucullo allerdings nicht zu stande gebracht; doch wenn eine der vielen schwarzhaarigen, schwarzäugigen und braunwangigen Töchter der wonnigen Weinstadt – Lucullo flickte mit Vorliebe die Schuhe der Frascatanerinnen: der jungen Frascatanerinnen, aus dem plumpen Fußwerk der Frascataner machte er sich nichts – wenn eine der braunen, hübschen Hexen über den Platz, der seinen Namen führte, zu seiner Grabwohnung geschritten kam, das helle Schleiertuch über dem Kopf, in der einen Hand den Fächer und in der andern den zerrissenen Schuh, so pochte dem guten Lucullo das Herz, als ob ein neckischer Kobold mit seinem Hammer kräftig auf des Flickschusters Brust losschlüge, als ob diese ein Stück grober Rindshaut wäre. Die Schöne kam und brachte unserm wackern Meister den zerrissenen Schuh. Zunächst wurden auf das zierlichste Grüße getauscht und höfliche oder scherzhafte Reden gewechselt, darauf nahm Lucullo, mit einem eindringlichen Blick in die Augen seiner Kundin, ihr den Schuh sanft aus der Hand, prüfte auf das bedächtigste – bei der sehr jungen und sehr hübschen Frascatanerin auf das andächtigste – zog den Fall mit gebührender Wichtigkeit in Erwägung, sich so voller Inbrunst in die Sache versenkend, daß er, um den zerrissenen Schuh in seiner Hand wieder herstellen zu können, durchaus den andern Schuh, den die Schöne am Fuße trug, eingehend betrachten und in allen seinen Formen studieren mußte. War nun der zerrissene Schuh dermaßen defekt, daß er sich kaum noch sticken ließ, und kam, während der Meister das Objekt mit nachdenklichen Blicken betrachtete, die Schöne selbst zu dieser Ueberzeugung und meinte sie: sie thäte eigentlich besser, bei Sor Tommaso ein neues Paar Schuhe zu bestellen, geriet der gute Lucullo in die höchste Aufregung. Er bestritt auf das heftigste den hoffnungslosen Zustand des kranken Schuhs, bewies auf das schlagendste, wie gut er noch zu heilen sei, meinte, es wäre eine Sünde, dem Dasein des hübschen Schuhwerks ein so frühes Ende zu bereiten, und seine Kundin brächte sich um Geld und Gut, würde sie sich bei dem albernen Tropf, dem Tommaso, schon wieder ein neues Paar bestellen. Gelang es seiner Beredsamkeit, die Schöne von ihrem Vorsatz abzubringen, so hatte unser Lucullo einen besonders guten Tag. Mit wahrer Wonne nahm er die Ruine von einem Schuh in Arbeit, so lange daran herumflickend und -hämmernd, bis das scheinbar Unmögliche möglich geworden war.

Und wie er bei der mühseligen Arbeit pfiff und sang: welche neckischen Rispetti, allerliebsten Ritornelli und schwermütigen Canzonen er dem Volk auf der Piazza zum besten gab, wie er, war sein Werk vollendet, den Schuh putzte, bis er in dem Glänze sich spiegeln konnte: wie er sein hübsches Bild auf dem blanken, schwarzen Grunde anlachte; wie er der Schönen pünktlich an dem bestimmten Tage die Arbeit zurückgab (sie mußte dieselbe aber selbst abholen); wie er sich an ihrem Staunen ergötzte; wie er schließlich eine so geringe Forderung machte, daß die Schöne ganz verlegen wurde; wie diese ihm dann auf das anmutigste dankte; wie er von neuem sang und pfiff und pfiff und sang –, man mußte ein Stein am Grabmal Luculls sein, um vollständig gleichgültig dabei zu bleiben.

Mißlangen indessen alle Künste Lucullischer Ueberredungsgabe, oder scheiterten sie an dem unheilbaren Leiden des Schuhes, und verließ die schöne Frascatanerin den fleißigsten, lustigsten und hübschesten aller Schuhflicker des römischen Reiches, um sich bei Sor Tommaso ein neues Paar Schuhe zu bestellen, so konnte es vorkommen, daß unserm wackern Meister den ganzen Tag über nicht ein einziges zärtliches, schwermütiges oder leidenschaftliches Lied einfiel. Verdrossen saß er im tiefsten Innern seiner Gruft, flickte mißmutig darauf los, und wahrend er flickte, sangen auf dem Grabmal Luculls die Amseln und Nachtigallen, bei deren klagenden Tönen unser armer Meister sich eindringlichst vorstellte, wie sein Nebenbuhler und Todfeind, der lahme, schieläugige, griesgrämige Sor Tommaso, dem schönen Geschöpf die Schuhe anmaß – sage anmaß! – und daß er in seinem ganzen Leben noch nicht ein einziges Mal einen vollständig neuen Schuh gemacht, geschweige denn angemessen hatte. Dabei wußte er ganz genau: dieser Sor Tommaso war ein jammervoller Ignorant, ein elender Pfuscher und Stümper, dessen miserabel gearbeitetes Schuhzeug noch niemals auf einen Fuß gepaßt hatte – wenigstens nicht auf einen Frauenfuß! Was aber that dieser schnöde Tropf, was that er? Zweimal probierte er sein Machwerk an! Ja, war das Mädchen sehr jung und ganz besonders schön, so war es vorgekommen, daß der Elende seinen Schuh dreimal anprobiert hatte. Und das ließen sich die armen, hübschen, gequälten Geschöpfe gefallen, von diesem klumpfüßigen, buckligen, widerwärtigen Sor Tommaso! Mit einem Wort: der schwere Kummer unsres Lucullo war, daß er als Flickschuster seiner Lebtage nicht dazu kommen würde, ein Paar Schuhe anzumessen, sondern immerzu flicken, immerzu flicken mußte. Was für Vorwürfe hatte er seinem lieben Heiligen und guten Schutzpatron, dem werten San Crispino, schon um dieser Sache willen gemacht!

Im übrigen, wäre auf der Welt der verfl.... Sor Tommaso und das verd..... Anmessen nicht gewesen, so hätte unser Meister Lucullo mit keinem Menschen getauscht, und wäre sein berühmter Namensvetter und Vorbewohner seines hübschen kleinen Hauses, der selige Römer Lucius Lucullus, selber gekommen, um ihm für den Pfriemen einen seiner weltberühmten Rosenkränze abzutreten.

Es war aber auch ein herrliches Leben, welches er, Lucullus Nr. 2, führte. Sobald die Sonne über das Blumengärtchen auf der Kuppel des ehemaligen Prachtbaues ihre ersten Strahlen gaukeln ließ, öffnete sich die grün angestrichene Holzthür, welche das einzige Gemach des Hauses abschloß, und Lucullo trat heraus. War das Wetter schlecht, zog sich unser Meister in seine Grabkammer zurück wie eine Schnecke in ihr Haus; war es schön, verlegte er die ganze Werkstatt ins Freie, scherzte mit allen, schwatzte mit allen, lachte mit allen, dazwischen flickend und hämmernd, pfeifend und singend, von morgens früh bis spät in die Nacht hinein.

Es war merkwürdig: alle Neuigkeiten Frascatis wurden auf der Piazza Lucullo zusammengetragen, als ob sich dort für dergleichen Artikel ein Magazin befände. War einer ermordet worden oder hatte eine in der Tombola gewonnen; war jemand gestorben, jemand geboren; hatte sich jemand verlobt, jemand verheiratet – bevor diese wichtigen Ereignisse in der Stadt bekannt waren, wußte sie Freund Lucull. Weder beim Barbier im Corso Vittorio Emanuele, noch in der Apotheke auf der Piazza del Duomo oder beim Pizzicarol gab es so viel zu hören wie bei dem jungen, hübschen Flickschuster am Grabe Luculls.

Eine Quelle unerschöpflicher Belustigung waren für unsern Meister die Fremden, die Inglesi und Tedeschi, von denen täglich etliche daher kamen, sich feierlich vor den alten Bau aufpflanzten, ein rotes oder braunes Buch aus der Tasche zogen, zu lesen begannen und dann starren Blickes sein kleines Haus betrachteten, als wären Wunderdinge daran zu sehen. Einigemal ereignete es sich sogar, daß das Haus Meister Luculls abgemalt und abgezeichnet wurde, und eines Tags kam ein Fremder zu ihm und fragte: ob er, der im Grabe Luculls wohnte, auch wisse, wer dieser Lucull gewesen sei?

Wer dieser Lucull gewesen sei – – Lucull mußte lachen: wie sollte er missen, wer dieser Lucull gewesen sei? Vielleicht auch ein Flickschuster.

Uebrigens bestand zwischen dem seligen Lucius Lucullus und unserm guten Freund eine starke Seelenverwandtschaft: gab es doch in ganz Frascati keinen solchen Feinschmecker wie Lucull Nr. 2.

Was das Trinken anbetraf, so galt er darin als eine unbestrittene Autorität, und das wollte in Frascati etwas besagen. Er kannte die Beschaffenheit jeder Traube aller Vignen von Albano bis Monte Compatri. Sein Prüfen der verschiedenen Weinsorten war mehr als ein Talent, es war Genie: mit dem unfehlbaren Instinkt eines Hundes witterte er den rechten Keller und in dem Keller das rechte Faß; der Weinschank, den er besuchte, fühlte sich geehrt und machte Reklame damit. Wie Lucullo in einer der hundert Spelunken Frascatis bald einen rosso asciuto, bald einen bianco dolce, jetzt einen aleatico, dann einen spumante kostete, war ein sehenswerter Anblick.

Ein eben solcher Künstler war er im Essen. In der Trattoria, wo er jeden Mittag und jeden Abend speiste, wurden die Artischocken, die gefüllten Tomaten und die Maccaroni genau nach seiner Angabe zubereitet; er wußte aus verschiedenen Kräutern und Gemüsen eine ausgezeichnete Minestra zu komponieren; und es gab ein Lieblingsgericht der Frascataner, eine Art von Spaghetti, die nach ihrem Erfinder »al Lucullo« genannt wurde. Sonntags schoß er sich gewöhnlich selbst seinen Braten. In aller Frühe stieg er nach Tusculum hinauf, in den tiefen Waldungen des Ruinenbergs nach unschuldigen Singvögeln fahndend. Amseln zog er den Drosseln vor, und lieber als Amseln jagte er Nachtigallen. Für die berühmte Pastete, die einst sein Namensvetter aus den Zungen jener lieblichen Sänger bereiten ließ, wäre unser Lucullo just der rechte Gast gewesen.


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