Richard Voß
Die Mutter der Catonen
Richard Voß

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Viertes Kapitel

Unter den Freiern befand sich einer, der Lucullo selbst in seinen hoffnungsvollsten Stimmungen überaus gefährlich erschien. Es war dies der langweiligste von allen, ein träger, hagerer, langer Geselle, steif wie aus Holz geschnitten, mit einem Gesicht, darin keine Muskel sich bewegte, trotz seiner Jugend ein alter Mann und so sauertöpfisch, daß Lucullo von ihm behauptete, er hätte statt des Blutes Essig in den Adern. Selten sprach er ein Wort, niemals lachte oder lächelte er; aber immer war er da: der erste, der kam, der letzte, der ging. Er hockte stets in demselben Winkel und starrte mit seinen hellen, blöden Augen unverwandt die Schöne an; man sagte ihm nach, daß er bis dahin noch keinem Weibe ins Gesicht gesehen, sich für Frauenreize überhaupt gänzlich unzugänglich gezeigt hätte. Um so verliebter war er jetzt. Der seltsame Kauz hieß Pepino Bonifazi; aber wie Lucull, hatte er einen Beinamen, über dem sein eigentlicher Name fast vergessen wurde. Auch jener Beiname war überaus absonderlich; hieß doch der biedere Pepino in der ganzen Gegend, wie eins der berühmtesten Geschlechter des Altertums geheißen hatte: nämlich Catone, Sor Catone, und es rührte dieser Name – gerade wie bei Lucullo – von dem Ort her, wo der gute Pepino wohnte.

Sor Catone war nämlich kein Frascataner, sondern stammte aus dem berühmten Weinstädtchen Monte Porzio, woselbst seine Familie seit geraumen Zeiten eine umfangreiche Vigna besaß. Seine Eltern waren tot und er bewirtschaftete in vollster Unabhängigkeit seinen Weinberg, der zwischen Monte Porzio und Frascati lag und der sich von den tusculanischen Abhängen bis zur Landstraße hinabzog. Die »Vigna del Catone« war wegen ihres schweren, feurigen Weines weit und breit berühmt; nur bedauerte man allgemein, daß inmitten des schönen Grundstückes die Ruinen einer mächtigen antiken Villa lagen und somit ein großer Teil des köstlichen Bodens für die Kultur des Weinbaues verloren ging, wodurch der Wert des schönen Besitztums um ein Bedeutendes geschmälert wurde.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts, da man die ganze Gegend nach vergrabenen Schätzen und verschütteten Bildwerken durchsuchte, fanden sich namentlich in dieser Vigna viele prächtigen Marmorsachen: Statuen, Inschriften, Mosaiken, welche entweder von Napoleon für den Louvre, oder vom Papst für das lateranische Museum angekauft wurden. Später blieb die Ruine, nachdem die Familie durch ihre Ausbeutung begütert geworden, als ein Stein des Anstoßes inmitten des weiten Rebengefildes liegen. Nun hatten die Gelehrten, die jedes Stücklein antiken Gemäuers voller Behagen mit einem möglichst hochklingenden Namen tauften, ausfindig gemacht, daß jene großen und prächtigen Ruinen zu dem tusculanischen Landhause des Cato von Utica gehörten, dessen Geschlecht hier umfangreiche Gründe besessen; wie denn auch der Name des nächsten Ortes, Monte Porzio, von Portius, dem Familiennamen der Catonen, abgeleitet wird. Damit das alte Gemäuer doch zu etwas dienlich sei, ließ der junge Pepino nach seines Vaters Tode ein Haus in die Ruinen hineinbauen; denn er war ein überaus weiser junger Mann. Weil nun der Villino des Pepino in den Ruinen der Villa der Catonen stand, so dauerte es nicht lange, und der Name des Hauses war auf den Besitzer übergegangen. Auf diese Weise wurde aus einem modernen Pepino ein Cato.

Er war wirklich die Tugend in Person. Sogar die guten Weine, die er aus seinen Reben gewann, ließ er lieber von andern trinken, als daß er sie selbst getrunken hätte. Jeden Monat genoß unser Menschenfreund den schönen Anblick, aus seiner Vigna einen langen Zug Maultiere traben zu sehen, von denen ein jedes zwei Fäßchen guten Rebensaftes auf seinem Rücken gen Rom trug. Das schrille Geläut der Schellen an dem Halse der Tiere dünkte den Weisen die lieblichste Musik; denn diese gellenden Töne klangen den Ohren unsres Cato gleich dem holden Getön, das aufgezählte Scudi verursachen. Um möglichst häufig in diesem Wohllaut schwelgen zu können, trank er selten andern Wein als jenen abscheulichen Aufguß, wie ihn die römischen Landleute auf das Feld mitnehmen. Bei jedem Schluck des elenden Gebräus freute sich der Weise, daß er nicht bei jedem Schluck nachzurechnen brauchte, um wie viele Bajocchi er sich leichtsinnigerweise brachte. Was für einen schlagenderen Beweis seiner catonischen Weisheit hätte er wohl vorbringen können, als durch diese Handlungen zu zeigen: Ich bin der Mann, der das Problem gelöst hat; denn ich weiß, was das Geld bedeutet, ich liebe das Geld, ich verehre das Geld, ich würde das Geld anbeten, wenn ich dadurch zu Geld käme. O, ich bin ein Weiser!

Er liebte es, sich in sinnreiche Betrachtungen zu vertiefen. Wenn er im Frühling durch seine Vigna ging, grübelte er darüber; warum der Weinstock nicht ohne die Arbeit und Hilfe des Menschen wachse und Früchte trage; warum die Früchte sich nicht selbst kelterten, der Wein nicht von selbst sich in Fässer ergoß, die fertig, mit festen Reifen und geteert, auf den Bäumen wuchsen. Was kostete es, bis ein Weinberg so weit gebracht war, daß er den Saft seiner Trauben hergab! Am besten war unser Cato auf die Sonne zu sprechen, welche die Reben reifte und das Blut in den Trauben kochte, ohne daß sie dafür bezahlt werden mußte. Mit Ausnahme dieses himmlischen Feuers und des Regens war nichts auf Erden umsonst.

Ungemein befriedigte den Weisen die Einrichtung der menschlichen Natur, zu ihrem Bestehen nicht viel mehr zu brauchen als eine Handvoll roher Bohnen, eine Schüssel Salat, daran der Mensch, wollte er auf die Höhe seines Daseins gelangen, das Oel sparen konnte, und ein Stück Brot, das sehr hart und sehr grau sein durfte. Bei der Beschaulichkeit seines Wesens würdigte Catone diese Herrschaft, die der Mensch über seine Begierden auszuüben vermochte, in ihrem ganzen Umfange; ein Ciocciare, der zum großen Teil von Zwiebeln lebte, und ein Ochse, der mit hartem, dürrem Gras vorlieb nahm, standen dem Weisen sittlich viel höher als einer jener Schlemmer, denen man nachsagte, daß sie täglich Pfunde von Maccaroni verschlangen, wohl gar Maccaroni al burro oder al sugo! Wie man gern lachen konnte, darüber gab ihm seine Philosophie keine genügende Erklärung; wenn er die Leute zum Rasseln des Tamburins tanzen sah, hatte er die Empfindung, als sähe er die menschliche Vernunft selbst sich im Kreise drehen. Die Vögel, von deren Gesang seine Oliveta erschallte, stellte er auf eine Stufe mit jenen Maccaroni-Essern; und er freute sich – soweit er sich überhaupt zu freuen vermochte – wenn das unnütze Singvieh weggeschossen wurde. Besonders waren unserm Cato die Lerchen, Amseln und Nachtigallen verleidet.

Er hatte sich in seiner Vigna nur deshalb ein Haus gebaut, weil ihn der schöne, unbenutzte Travertinstein ärgerte, der in solchen Mengen umherlag, daß man davon eine Stadt hätte aufmauern können. Da indessen niemand auf den Einfall kam, in der Nähe von der Vigna des Cato ein zweites Rom zu gründen, und die Leute in Monte Porzio sowohl, wie in Frascati Ruinen genug hatten, ärgerte sich unser Weiser so lange über die Verschwendung von Baumaterial auf seinem Grund und Boden, bis er sich entschloß, das Haus seiner Väter in Monte Porzio zu vermieten und für sich und sein von ihm zu zeugendes Geschlecht eine neue »Villa der Catonen« erstehen zu lassen.

Dieses Landhaus wurde das närrischste, wunderlichste Bauwerk, welches man sich denken konnte. Unser Weiser wollte natürlich von keinem Architekten hören; er dingte selbst die Handwerker und nun konnte das Bauen anfangen und weitergehen, so gut es eben ging. Die größte Freude seines Lebens bereitete ihm der Umstand, daß er den zum Bau nötigen Kalk nicht zu kaufen brauchte, sondern ihn selbst brennen konnte – aus dem Marmorgetrümmer, das überall herumlag. Er ließ einen Ofen herrichten, wohinein das antike Gerümpel gesteckt wurde: Fragmente von Säulen, Gebälkstücke, Kapitäle, Inschriftstafeln – alles kam in den feurigen Ofen! Auch sonst bereitete der Bau keine großen Schwierigkeiten. Sor Catone wählte den besterhaltenen Teil der Ruinen und flickte das alte, herrliche Mauerwerk einfach aus. Die Fresken, die sich noch da und dort an den Wänden befanden, übertünchte er säuberlich, die Reste einer Marmorbekleidung in einer weiten Halle riß er voll Ordnungsliebe von den Mauern herab, verschonte dagegen einige Mosaikfußböden, sowie Stuccaturen an der Decke, die sich noch in so trefflichem Zustande befanden, daß die Ausgabe von Ziegeln für den Fußboden und die Holzbekleidung für die Decke gespart werden konnte. Großes Kopfzerbrechen verursachten ihm die vielen tiefen Nischen, welche die Wände unterbrachen. Wozu dieselben gedient hatten, war ihm gleichgültig, er überlegte nur, wozu sie ihm dienen könnten, und verfiel schließlich darauf, sie mit leeren Wein- und Oelfässern auszufüllen.

Als das Haus fertig stand, wurde der herrliche, wie Gold strahlende Travertin sauber abgeputzt und schön rosenrot angestrichen, ein Dutzend Gerätschaften hineingestellt, und nun begann der Weise seine Gedanken auf eine Hausfrau zu richten. Denn wohl vertraut mit den großen Eigenschaften seiner Person, hielt er es für seine Pflicht, das Geschlecht der modernen Catonen fortzupflanzen. Wochenlang ging er in tiefem Sinnen umher, alles bedenkend und sämtliche Jungfrauen auf ihre Tugenden, also auf ihren Geldwert, prüfend und wägend, eine schwere und mühevolle Arbeit, welcher sich der zukünftige Vater der Catonen mit aller Geduld unterzog und die er voller Weisheit zu Ende führte. Seine Wahl fiel auf eine gewisse Filomela Barocchi, eine Jungfrau, ebenso tugendhaft wie er selbst und beinahe noch weiser als er; denn sie liebte das Geld in einem Maße, daß unser Cato nicht zweifeln konnte, für das zu gründende Catonengeschlecht die würdige Stammmutter gefunden zu haben. So standen die Dinge, als ein schnöder Zufall das ganze Kalkül des großen Mannes über den Haufen warf: der weise Cato sah die schöne Sabina.

Das ist im Leben häßlich eingerichtet, daß selbst der weiseste Mensch nicht davor sicher ist, eine Dummheit zu begehen, die dann gewöhnlich eine recht gründliche Dummheit ist. Unser Cato verliebte sich dermaßen in Frascatis größte Schönheit, als ob er der erste beste, dumme Junge gewesen wäre. Er schien plötzlich gar nicht mehr überlegen zu können; und was das Rechnen anbetraf, darin er bei all seiner Jugend die Erfahrung des Alters besaß, so war er plötzlich außer stande, zu berechnen, wie wenig Geld und wie viele Freier die Jungfrau hatte, die er zu seinem Weibe und zur Mutter der Catonen zu machen gedachte. Es gab für ihn gar keine reiche und weise Filomela Barocchi mehr, es gab für ihn nur die schöne, die wunderschöne Sabina, die, indem sie aus einem Geizhals einen Verschwender machte, das größte aller Wunder bewirkte. Denn jeden Nachmittag lieh der verliebte Philosoph in seinem Weinberg ein Körbchen mit Früchten und eine Foglietta mit Wein füllen, oder er ließ ein Huhn schlachten, oder er kaufte in Frascati einen Fächer, einige Bänder, einen Schleier als Tribut für seine Schöne. Man konnte ihm nicht nachsagen, daß er alle diese Dinge gern that, aber er that sie doch, sich wohlweislich hütend, darüber Betrachtungen anzustellen, wie dies eigentlich in seiner Natur lag. Die Liebe zur schönen Sabina machte den Weisen treulos gegen sein eigenstes Wesen.

Und Abend für Abend trat er mit dem Körbchen oder der Foglietta, mit dem Huhn oder dem Putzwerk seinen Leidensgang an; denn es war seinem streng sittlichen, ernsthaften und männlichen Wesen zuwider, ein Mädchen, welches er zum Weibe haben wollte, nicht kurzweg zum Weib nehmen zu können, sondern erst um das Mädchen werben zu sollen. Wenn er in dieser Sache etwas nicht begriff, war es, daß man ihn, den Sor Catone, werben lassen konnte. Er fand es eines weisen Mannes unwürdig, Abend für Abend von Monte Porzio nach Frascati zu gehen und im Winkel eines fremden Zimmers zu sitzen, kein kluges Wort reden zu können, dafür die größten Narrheiten anhören zu müssen: Geschwätz, Gelächter, Geklimper und Gesang. Es blieb unserm Cato vollkommen unerfindlich, wie ein Mädchen, dem zugedacht worden, sein Weib und die Mutter seiner Sühne, der modernen Catonen, zu werden, an derartigen Dummheiten Gefallen finden, wie dieses Mädchen überhaupt noch im Zweifel sein konnte, ob sie den zukünftigen Vater jenes glorreichen Geschlechtes zum Manne nehmen wollte oder nicht. Er beschloß also, in allernächster Zeit mit der Schönen zu reden.


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