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In allernächster Zeit ein Wort mit der vielumworbenen Schönen zu reden, hatte auch Lucullo beschlossen. Er ertrug diesen Zustand nicht länger. Seine erschöpfte Phantasie war nicht länger im stande, jeden Tag etwas andres zu ersinnen, das er abends im Fazzoletto der Schönen überreichen konnte. Er wußte keine neuen Melodieen, keine neuen Lieder mehr, fühlte seinen Witz erlahmen und seine Eifersucht bis zur Tollheit wachsen. Uebrigens: was wollte sie? Seitdem er ihr ein Paar neuer Schuhe gemacht hatte, war er kein Flickschuster mehr; und sie wollte ja nicht zugeben, daß die Schuhe drückten. Es war doch gewiß sehr in Betracht zu ziehen, einen Mann zu haben, der für seine Frau jederzeit ein Paar Schuhe machen konnte; nicht allein für die Frau, sondern auch für die Kinder, für eine ganze Schar von Kindern! Lucullo nahm sich vor, ihr das recht eindringlich vorzustellen.
Eines Sonntags vormittags also begab er sich zu ihr; aber wie ward ihm zu Mute, als er bereits einen andern bei ihr fand: den Sor Catone, als er vernahm, daß vor ihm bereits Sor Catone mit der Schönen gesprochen hatte, von der Schönen bereits angenommen worden war. Totenblaß stand er da, sagte kein Wort, blickte bald den Bräutigam, bald die Braut an, hätte am liebsten zuerst dem Bräutigam und dann der Braut ein Leides zugefügt. Sor Catone strahlte, aber mehr von Selbstgefühl als von Glück. Er hatte gewußt, daß er die Braut heimführen würde; denn er hatte gewußt, daß die Braut rechnen konnte, eine Kunst, darin er einst Meister gewesen und die er jetzt vollkommen verlernt zu haben meinte. Die Schöne dagegen that, als wäre nichts geschehen, zeigte sowohl ihrem Verlobten, als dem armen Flickschuster ein höchst gleichmütiges Gesicht; doch als Lucull wütend fortstürzen wollte, sagte sie mit lauter Stimme, ohne sich an ihren Bräutigam zu kehren: »Höre du, Lucullo, ich habe dir etwas zu sagen.«
Lucullo blieb stehen.
»So sag's.«
»Daß du dich wie ein rechter Narr aufführst.«
Lucullo schrie: »Und du wie eine rechte Närrin!«
Sie lachte.
»Weil ich dich nicht zum Manne nehme?«
»Weil du lieber einen mit Silber beschlagenen Stock zum Mann nimmst als mich.«
Damit war er zur Thür hinaus. Von den beiden Zurückgebliebenen war der Bräutigam von ausnehmender Würde, die Braut von ausnehmender Lustigkeit.
Acht Tage lang sprach man in Monte Porzio sowohl wie in Frascati von dem großen Ereignis: Der reiche Sor Catone heiratet die arme Sabina!
Wäre der reiche Sor Catone erstochen worden, oder hätte die arme Sabina in der Tombola eine Quaterne gewonnen, es wäre nicht eine Sache von solcher Wichtigkeit gewesen. Halb Frascati kam zu Lucullo gelaufen: »Weißt du schon? Der reiche Sor Catone heiratet die arme Sabina. Ist der dumm!« Worauf Lucullo gleichmütig erwiderte: »Ist die dumm! Die arme Sabina hätte den armen Lucullo zum Mann bekommen können und sie nimmt den reichen Sor Catone.«
Die Ueberbringer der Verlobungsnachricht waren daher von der Wirkung, die ihre Neuigkeit auf unsern Flickschuster ausübte, zunächst etwas enttäuscht; dann aber mußten sie lachen und schließlich meinten sie: »Freilich war sie dumm. Denn nach einem so lustigen Mann, wie der arme Lucullo einer ist, kann sie weit und breit suchen.« Und die guten Leute rühmten den Witz des abgewiesenen Freiers in der ganzen Stadt.
Weil er wußte, daß es der Braut etwas die gute Laune verdarb, saß Lucullo wie in seinen besten Zeiten den ganzen Tag über vor seinem Grabmal, pfiff und sang, hämmerte und stickte den ganzen Tag, als hätte er niemals in seinem Leben ein Paar neuer Schuhe gemacht. Anders des Abends, wenn er seine Arbeit eingestellt, sein Abendbrot eingenommen und sein Haus geschlossen hatte. Dann brach es aus ihm hervor wie ein Krampf, alle Qualen eifersüchtiger Liebe, sinnloser Eifersucht, tödlich beleidigten Stolzes. Stöhnend wälzte er sich auf seinem Lager, raste gegen die Schöne: weil dieses Weib nicht in von ihm verfertigten Schuhen an seiner Seite durchs Leben gehen wollte; raste gegen den Sor Catone: weil dieser Mensch eine Vigna, eine Oliveta und eine Villa besaß; raste gegen sich selbst: weil er ein armer Flickschuster war und weil er gegen die beiden raste, anstatt die glückliche Braut ein albernes Geschöpf und den glücklichen Bräutigam einen Dummkopf zu heißen. Noch elender, als während dieses Paroxismus von Leidenschaft, fühlte er sich in den Stunden, wo er genügend bei Verstand war, um einzusehen, daß die Schöne sehr gescheit gewesen, den armen Freier laufen zu lassen und den reichen zu nehmen, und daß im ganzen römischen Reich jede andre genau dasselbe gethan haben würde. In solchen Augenblicken der Erkenntnis erinnerte er sich ihrer letzten Worte und gestand sich, daß sie vollkommen recht gehabt, ihn einen Narren zu schelten. Und was das Schlimmste war: er blieb ein Narr; denn er blieb verliebt.
Einen wahren Haß warf er auf sein kleines, hübsches Haus; denn immer mehr wurde es ihm zur Gewißheit, da es hauptsächlich sein Haus gewesen, daran die schöne Sabina Anstoß genommen und weshalb sie verschmäht hatte, Frau Lucullo zu werden.
Und sein Ingrimm steigerte sich, wenn er des Erbauers seines Hauses gedachte. Warum hatte der Mann nicht ein Haus bauen können wie andre vernünftige Menschen?!
Einmal sah er sie. Sie kam aus dem Vicolo, ging langsam über den Platz, dicht an seinem Hause vorüber, blieb, ihren Fächer entfaltend, vor ihm stehen und sagte mit ihrer wohlklingendsten Stimme: »Da bist du ja.«
Er versetzte, daß er allerdings da wäre.
»Wie geht dir's?«
Er antwortete, es ginge ihm nicht schlecht.
»Wir haben uns lange nicht gesehen.«
Er meinte, so lange wäre es doch nicht. Und da sie darauf eine Miene machte, als ob sie lachen wollte, so spitzte er seinen Mund, als wollte er pfeifen. Nun lachte sie wirklich, nun pfiff er wirklich.
Nachdem dieses hübsche Duett eine Zeitlang gedauert hatte, wurde er zornig, warf das Leder, auf das er gerade loshämmerte, fort, schlug die Arme übereinander, sah die schöne Treulose mit seinen hübschen, schwarzen, leuchtenden Augen bitterböse an und fragte: Ob sie vielleicht zu ihm gekommen wäre, um ihm ihre zerrissenen Schuhe zum Flicken zu bringen?
Aber ihre Schuhe waren heil und ganz.
Dann wäre sie wohl gekommen, ihn zur Hochzeit einzuladen?
Auch darum nicht. Die Einladung zur Hochzeit ging sie nichts an, das war die Sache des Bräutigams. Ob sie ihren Bräutigam bitten sollte, ihn einzuladen?
Wie sie wollte.
Sie darauf: Er früge ja gar nicht, wann die Hochzeit wäre?
Das ging ihn nichts an: er wollte nur wissen, weshalb sie zu ihm gekommen?
Da bekam er es zu hören: »Um zu sehen, ob du noch immer ein Narr bist.«
»Nun, bin ich noch einer?«
»Ja.«
Sie klappte ihren Fächer heftig zusammen, warf ihrem abgewiesenen Freier einen verächtlichen Blick zu, schritt stolz davon auf das Kreuz zu. Er rief ihr nach: »Wenn du heute beichtest – meinethalben brauchst du kein böses Gewissen zu haben. Ein Narr bin ich freilich immer noch, aber kein verliebter Narr mehr.«
Er horchte, ob sie ihn vielleicht auslachte. Aber sie ging ruhig ihres Weges weiter. Von diesem Tage an that Lucull nichts andres mehr, als darüber nachzugrübeln, warum er wohl noch immer ein Narr sein sollte und warum sie sich davon hatte überzeugen wollen. Doch so sehr er sich auch den Kopf zerbrach, er ward sich darüber nicht klar.
Was ging es sie an? Er konnte ein so großer Narr sein, wie ihm beliebte.
Kurze Zeit nach dieser Unterredung erfuhr Lucullo durch seine Freundinnen und Klientinnen, wann der reiche Sor Catone und die arme Sabina Hochzeit hielten: am 24. März, also sehr bald. Lucullo vernahm, was für ein Kleid die Braut tragen würde und wie viele Kleider sie von ihrem Bräutigam außerdem geschenkt erhalten hatte; man beschrieb ihm jede Kette, jedes Armband, jeden Ring; man teilte ihm mit, wo das Hochzeitsmahl stattfinden sollte und was die Gäste zu essen bekommen würden: Maccaroni al burro und Maccaroni al sugo, Fettuccini al pomo d'oro und gnocci al pomo d'oro; dann fritto misto, dann manzo in umido, dann arrosto; endlich zuppa inglese – ein Fürst hätte seinen Gästen kein herrlicheres Mahl auftischen können!
Die guten Frascatanerinnen wußten noch mehr: Gleich nach dem Hochzeitsmahl fuhr das Brautpaar mit allen Gästen nach Grottaferrata, wo »Schinkenfest« war und wo zum zweitenmal gegessen und getrunken werden sollte. Abends begaben sich die Neuvermählten der Sitte gemäß zu Wagen nach Rom, wo sie – auch der Sitte gemäß – eine volle Woche in Herrlichkeit und Freuden zubrachten, worauf der junge Ehemann seine junge Frau in sein Haus führte. Nun wußte Lucullo Bescheid.
Mit jedem Tage verdüsterte sich sein Gemüt mehr. Er stellte die Arbeit gänzlich ein, schloß sein Haus zu und trieb sich von Morgen bis Abend umher. Entweder er saß in einer Osteria, wo er die feurigsten Weine hinunterstürzte, oder er verließ die Stadt, stieg nach Tusculum hinauf, durchstreifte die Ruinen, warf sich erschöpft nieder und blieb stundenlang liegen, in die Luft starrend und mit offnen Augen träumend.
Als er am Morgen des Hochzeitstages erwachte, war sein Entschluß gefaßt. Obgleich es ein Festtag war, zog er nicht seinen »Herrenanzug« an; er band die Leinwandtasche um, die jeder Frascataner als leidenschaftlicher Vogeljäger besitzt, warf die Büchse über die Schulter, steckte zu sich, was er an Geld besaß, und verließ das Haus. Als er am Dom vorüberging, wurde drinnen Messe gelesen. Einen Augenblick dachte er daran, hineinzugehen und die Kugel ins Weihwasser zu tauchen: doch er war sicher, auch ohne das zu treffen.
Im »Sole« nahm er eine frühzeitige Colazione ein, sah die Hochzeitstafel decken und mit Bollwerken von Blumen, Pizzen, Ciambelli und Confetti beladen, aß und trank mit gutem Appetit und begab sich sodann auf den Weg.
Er ging nicht die große Landstraße, die über Marino nach Albano führt, und die an diesem Tage von Fuhrwerken, Reitern und Fußgängern wimmelte; sondern er nahm den Seitenweg über Villa Muti durch den Wald von Grottaferrata. Auch auf diesem Wege war ein buntes Getreibe; denn der Markt, der in der alten, berühmten Klosterstadt zweimal des Jahres stattfindet, ist das Lieblingsfest des Volkes, zu dem die Landleute aus den Marken, den Sabinerbergen und den Abruzzen herbeigeströmt kommen, die einen auf Maultieren und Eseln, die andern auf Ochsenkarren. Seit Lucullos Kinderzeiten war der Jahrmarkt von Grottaferrata für ihn der höchste Festtag gewesen; daß er heute an der allgemeinen Lust nicht von ganzem Herzen teilnehmen konnte, steigerte den Groll gegen die Braut, den Haß gegen den Bräutigam bis zum Aeußersten. Er mußte sich vorstellen, welche Feier es heute hatte für ihn sein können: neben dem Maultier, das seine Braut, die schöne Sabina, trug, durch das Gewühl zu schreiten. Da hätte die Welt erfahren sollen, was für ein glücklicher Mann solch ein armer Flickschuster zu sein vermochte. Statt der Welt einen glücklichen Mann zeigen zu können, mußte er unter den Scharen von Glücklichen einsam hinwandern, darauf bedacht, wie er einen Menschen am sichersten niederschoß.
Viele der Frascataner, die auf demselben Wege nach der Klosterstadt zogen, fragten ihn, was für einem seltenen Wild er heute nachzustellen gedächte, daß er am Festtage auf die Jagd ginge? Lucullo erwiderte in seiner lustigsten Weise, sie würden es gewiß erfahren, was für einen Vogel er gejagt hätte; vielleicht käme ihm nur ein Gimpel in den Schuß.
Als er den Wald erreichte, bog er vom Wege ab und verlor sich in die Dickichte. In den Kronen der Eichen, bis zum Wipfel mit Epheu umsponnen, ertönte ein Chorus jubelnder Vogelstimmen, durch das düstere Gezweig des Lorbeers und Mastix schlüpften glänzende Blaudrosseln, wilde Tauben gurrten in den Laurustinusbüschen; aber der Jäger kümmerte sich nicht um sie. Er hielt es nicht lange aus in der Einsamkeit und schlug sehr bald eine Richtung ein, die ihn wieder unter Menschen und nach dem Kloster brachte.
Die Ulmenallee, welche, das reiche Weinland durchschneidend, vom Walde her dem Heiligtum zuführt, glich heute dem Bett eines lebendigen Stromes, der sich mit tausendstimmigem Getöse schwerfällig vorwärts wälzte. Weithin leuchteten die roten Röcke der Ciocciarenweiber, die gelben Mieder der Frauen von Olevano und Genazzano, die bunten Schürzen der Mädchen aus Subiaco und Scarpa; und über den braunen Gesichtern, auf dem düstern Haar glänzten die weißen Schleiertücher.
Zu beiden Seiten der Straße bildeten die Bettler Spalier, auf Leintüchern ausgestreckt liegend, ihre scheußlichen Gebrechen, ihre eiternden Wunden und schrecklichen Verstümmelungen entblößend und mit gellendem Geschrei von der Menge den Obolus heischend. Lucullo warf sein sämtliches Kupfergeld auf die ausgebreiteten Laken. Alle schrieen ihm nach, daß sie für ihn beten wollten. Das konnte seinem Unternehmen nicht schaden.
Dann trieb er mit der Menschenflut auf der weiten Festwiese umher, die sich durch das ehrwürdige Thor in das Innere des Klosters zieht. Es war genau so, wie es bereits zu Lucullos Kinderjahren gewesen. Da befanden sich die Hügel von Schinken und Speckseiten, die vom Landvolke von weither herbeigeschleppt worden waren, um dieses köstlichste und ziemlich einzige Produkt ihrer Kultur in Grottaferrata an die Römer zu verkaufen; da waren die mit Rosmarin und Gewürzen gefüllten, an Spießen von Olivenholz gebratenen Schweine, die aus Lorbeerzweigen und Ginster erbauten Hütten, die lodernden Feuer, auf denen in gewaltigen Kesseln Meerfische brieten, die riesigen Fässer, daraus Wein gezapft ward; da waren auch die hoch über den Häuptern der Menge schwebenden, an langen Stangen befestigten goldnen und bunten Papierblumen, mit denen an diesem Tage jeder Männerhut, jeder Frauenkopf geschmückt sein mußte. Auch Lucullo steckte sich den breitkrämpigen hellen Filz voll solcher lustigen Blüten, daß er einer phantastischen Krone glich; auch er ließ sich von einer wackern Bürgersfrau aus Ariccia ein saftiges Stück gebratenen Schweins abschneiden, erwarb sich mit Mühe und Not ein Brot und suchte darauf ein Faß, neben dem noch Platz für einen durstigen Mann war. Unter den Platanen, die den Brunnen überschatten, fand er noch Raum. Er warf sich der Länge nach auf den Boden, ließ sich den goldigen Trank in die Kehle fließen, starrte hinauf in das Geäst der Bäume, durch das der blaue Himmel niederstrahlte, hörte auf das Brausen der Menge, auf das Gebrüll der Esel, auf das gellende Geschrei der Verkäufer und Ausrufer, auf das Rasseln der Tambourins und dachte, daß morgen die Carabinieri auf einen Mörder fahnden würden. Es war spät am Nachmittage, als er sich aufmachte, und mit schwerem Kopf und schweren Gliedern durch die Menge drang. Da wurde er zur Seite gedrückt, denn mitten durch das Gedränge fuhren die Hochzeitswagen. Die Räder streiften ihn fast, es war ihm indessen unmöglich, die Büchse von der Schulter zu reißen. Er stand wie eingemauert und schaute der jungen Frau steif ins Gesicht.
Sie sah so schön aus, daß man ihr von allen Seiten zujauchzte und zurief: » Quant' è bella! Ah, la bella !« daß man ihr laut applaudierte und sie überall mit Jubel empfing. Sie trug ein Kleid von bernsteingelber Seide, einen schwarzen Spitzenschleier und eine Menge Schmuck. Ihre Augen leuchteten, sie grüßte wie eine Königin nach allen Seiten. Plötzlich erblaßte sie. Sie beugte sich weit aus dem Wagen vor und kam mit ihrem Gesicht Lucullo so nahe, daß er sie hätte auf den Mund küssen können. Sie flüsterte ihm etwas zu, aber er verstand sie nicht. Da sah sie die Büchse. Ihre Augen schienen ihn zu fragen: Das willst du thun? Und seine Augen antworteten ihr: Ja, das will ich thun. Sie sah ihn an: Sei kein Narr! Er nickte: Freilich bin ich einer.
Darauf schickte er sich an, Grottaferrata zu verlassen und den Ort aufzusuchen, wo er sein Vorhaben am sichersten ausführen konnte. Bevor er ging, füllte er seine Jagdtasche mit Lebensmitteln und rief darauf dem ersten besten Frascataner seiner Bekanntschaft zu: »Sage doch dem Gigio Maggi, daß ich nach Pontano auf die Wachteljagd gegangen wäre, vielleicht käme er morgen auch. Er weiß schon, wo er mich treffen kann.«
So war auch das besorgt. Wenn die Carabinieri, denen er begegnete, gewußt hätten, daß sie morgen viel darum geben würden, ihn zu finden! Er freute sich, den verhaßten bunten Gesellen einen Streich spielen zu können.
Es begann zu dämmern, als Lucullo sich auf der Landstraße befand. Aber anstatt den Weg einzuschlagen, welcher in die Macchia von Pontano führt, ging er auf der Via Tusculana Rom zu. Bereits lagen die tusculanischen Hügel hinter ihm, bereits hatte er die Ruinen von Roma vecchia vor sich. Dort lag die Osteria von Mezza via, dort sollte es vollbracht werden.
Die Nacht war angebrochen, als Lucullo das einsame Gehöft erreichte. In geringer Entfernung vom Hause erhob sich eine hohe Cypresse, ringsum der einzige Baum. Hinter dem Stamm faßte Lucullo Posten; die Büchse schußgerecht, den Hahn gespannt, wartete er.
Es war eine helle Nacht; am Himmel stand der junge Mond, die Sterne funkelten. Stunde auf Stunde verstrich. Nur Caretti kamen unter dem Getös ihrer Schellen die Landstraße daher, schlaftrunken kauerte der Vetturin unter seinem Gezelt und schrie halb im Traum einen wilden Gesang ab. Aus der Campagna herüber schallte das Geblök der Schafe, das Geheul der Hunde.
Lucullo ward ungeduldig. Wo blieben sie so lange? Ein andrer junger Ehemann hatte es eiliger gehabt, von seinen Gästen fortzukommen. Daran sah man recht, was für ein Tropf dieser Mensch war. Vielleicht hatte er sich gar berauscht! Einmal kam dem Wartenden der Gedanke: wenn sie recht hätte, wenn er wirklich ein Narr wäre? Denn es war eine Narrheit, um diesen Menschen in die Maccia zu gehen und ein halbes Jahr in der Wildnis wie eine Bestie zu leben.
Da hörte er das Rollen eines Wagens. Die Pferde schienen zu rasen; da waren sie schon.
Es geschah so, wie Lucullo gehofft hatte. Vor der Schänke hielt der Wagen und das Paar stieg aus. Lucullo wollte losdrücken, aber Sabina deckte ihren Mann und beide verschwanden im Hause. Nach einer Weile erschien jemand in der Thür; es war die junge Frau, die dem Vetturin zurief: »Geh hinein und laß dir zu trinken geben.«
Der Mann antwortete: »Ich muß bei den Pferden bleiben; sie sind heute rein wie toll.«
Aber Sabina gebot ihm: »Geh und trinke deinen Wein. Ich gebe indessen auf die Pferde acht. Oder meinst du, ich könnte es nicht?«
Der Vetturino meinte, sie könnte es recht gut, sie könnte alles, was sie wollte; aber sie sollte sich in den Wagen setzen und die Zügel nehmen. Das that Sabina und der Mann ging. Kaum war er verschwunden, als die junge Frau sich vom Sitze erhob und mit gedämpfter Stimme zur Cypresse gewendet rief: »Ich weiß, daß du dort stehst und warum du dort stehst. Gleich komm hervor, sonst rufe ich meinen Mann und die andern!«
Lucullo trat langsam hervor und an den Wagen heran. Sie raunte ihm zu: »Du willst ihn erschießen?«
»Ja!«
»Ich wußte es und habe Todesangst um dich ausgestanden.«
»Todesangst um mich?«
»Daß du wirklich ein solcher Narr sein könntest! Auf dem ganzen Wege spähte ich nach dir aus; als wir zur Osteria kamen und ich den Baum sah, wußte ich gleich, daß du es hier thun wolltest.«
»Wenn er herauskommt, schieße ich ihn nieder! du sollst mich davon nicht abhalten. Aber warum hast du meinetwegen Todesangst ausgestanden?«
»Weil ich dich liebe.«
Sie beugte sich weit vor, ließ die Zügel fahren, umschlang ihn und wollte ihn küssen. Er jedoch entriß sich ihr.
»Bin ich auch ein Narr, so dumm bin ich nicht, solchen Unsinn zu glauben. Wenn du mich liebst, warum hast du dann den andern zum Mann genommen?«
Sie wurde böse: »Weil ich nicht in einem Grabe wohnen wollte.«
Lucullo erwiderte gelassen: »Dafür soll der andre in ein Grab kommen.«
Darauf sie mit plötzlicher heftiger Angst: »Sie werden dich fangen, sie werden dich ins Gefängnis werfen, dich auf die Galeere schicken!«
Er höhnte: »Das laß meine Sorge sein.«
Doch sie war nicht zu beruhigen.
»Nun ja, du gehst in die Macchia; aber sie bekommen jetzt auch solche, die in die Macchia gehen. Seit der neuen Regierung bekommen sie fast alle. Thu es nicht, Lucullo!«
»Still! Ich glaube, da kommt er. Rufst du, so töte ich dich zuerst.«
Die Pferde wurden unruhig. Sabina ergriff die Zügel von neuem; sie zitterte heftig und flüsterte: »Ich werde nicht rufen. – – Also du willst es wirklich thun, du willst um mich zum Mörder werden, du willst meinethalben auf die Galeere kommen?«
»Ja.«
»So liebst du mich?«
»Wie ein Narr.«
Sie stieß einen lauten Schrei aus.
»Die Pferde, die Pferde!«
Zugleich faßte sie nach der Peitsche.
Lucullo rief leise: »Was thust du? Sie werden scheu!«
»Meinetwegen.« Und sie schlug wild auf die Pferde los.
Lucullo sprang in den Wagen, wollte ihr die Zügel entreißen; aber die Tiere waren nicht zu halten und jagten mit den beiden davon. Aus der Osteria stürzte der Vetturin, stürzten der junge Ehemann und der Wirt. Sie sahen die Pferde durch die Nacht dahinrasen, sie hörten das Angstgeschrei der in Todesgefahr schwebenden jungen Frau – –
Der Vetturin hatte es gleich gesagt: die Pferde waren heute abend rein wie toll! Aber sie hatte nicht hören wollen.
Erst am nächsten Abend gelang es dem verzweifelten Gatten, seine junge Frau in Rom in einem hübschen, ruhigen Albergo aufzufinden; nicht nur lebend und mit vollständig heilen Gliedmaßen, sondern strahlend von Schönheit, Freude des Wiedersehens und Gattinnenglück.
Aber es war schrecklich gewesen, wie die scheugewordenen Tiere mit ihr davongerast waren; ganz schrecklich war es gewesen! Ob er sie nicht hatte schreien hören? Vor Schreck und Entsetzen dem Tode nahe, hatte sie im Wagen gelegen und in einem fort gerufen: »Mein Catone, mein lieber Catone, mein armer Catone!« Und es wäre sicher ein Unglück geschehen, hätte die Madonna nicht ein Wunder gethan und zur rechten Zeit den Retter gesendet. Und wer war dieser Bote des Himmels? Wer anders als der arme Sor Lucullo! Der arme Sor Lucullo hatte nämlich nach Roma vecchia auf die Wachteljagd gehen wollen; der arme Sor Lucullo, ohne eine Ahnung zu haben, wer die schreiende Frau im Wagen sei, warf sich den Pferden in den Weg; und er brachte mit Gefahr seines Lebens die wilden Tiere zum Stehen; der arme Sor Lucullo rettete die junge Frau vom Tode; der arme Sor Lucullo beruhigte sie, pflegte sie, sorgte für sie. Sie und ihr Mann, ihr lieber Catone, mußten dem armen Sor Lucullo Zeit ihres Lebens dankbar sein.
Warum sie nicht umgekehrt und zurückgefahren wären?
Wenn sie das nur gekonnt hätten! Aber die Pferde wollten und wollten nicht umkehren. Sor Lucullo hatte sich solche Mühe mit den eigensinnigen Tieren gegeben; er war so zornig geworden. Und sie, die junge Frau, hatte in einem fort geschrieen: Sie wollte umkehren, sie wollte zu ihrem lieben Catone; man sollte sie zu ihrem Catone bringen! Aber die Pferde hatten nun einmal nicht umkehren wollen.
So hatten sie sich denn fügen und – es war schrecklich gewesen – weiter fahren müssen. An Porta San Lorenz fanden sie einen Mann, den sie noch in der Nacht zur Osteria schickten, um dem armen Catone die wunderbare Rettung seiner jungen Frau zu melden. Fünf Paoli hatte Sor Lucullo dem Boten gezahlt.
Catone hatte von einem Boten nichts gehört noch gesehen.
Wie, er war nicht gekommen? Der schlechte Kerl! Was für Menschen es doch gab! Darum also hatte Catone sie erst jetzt gefunden. Und sie hatte solche Angst um ihn ausgestanden, hatte so auf ihn gewartet, sich so nach ihm gesehnt. Sie war so böse auf ihn gewesen! Daß er seine junge Frau so lange in aller Angst hatte warten lassen können, Sor Lucullo konnte es bezeugen; Sor Lucullo hatte sie beständig trösten müssen; ohne Sor Lucullo wäre sie vollständig verzweifelt. Es war nicht zu sagen, welchen Dank sie und ihr Mann dem Sor Lucullo schuldig waren.
Doch nun war die Angst überstanden, nun hatte sie ihren lieben Catone wieder, nun war alles wieder gut. Aber ganz schrecklich war es gewesen. ...
Um die wunderbare Rettung seiner schönen, jungen Frau aus Todesgefahr zu feiern, und um den Retter seine Dankbarkeit – einen kleinen Teil seiner Dankbarkeit – zu bezeigen, bestellte Sor Catone ein Mahl, als ob er zum zweitenmal Hochzeit halten wollte. Und der »arme« Sor Lucullo aß und trank, als käme er direkt aus der Macchia von Pontano, und der »arme« Sor Lucullo war so vergnügt, als ob er heute selber Hochzeit machte; Sor Lucullo hatte über Nacht eingesehen, daß er wirklich ein Narr gewesen war.
Kurze Zeit nach diesen Ereignissen wurde das Grabmal des Lucull von seinem Besitzer um ein Billiges verkauft; ein andrer Flickschuster erwarb es, ein andrer Flickschuster saß fortan vor der Thür des alten Römergrabes, von früh bis spät hämmernd und flickend, von früh bis spät pfeifend und singend. Aber darüber war ganz Frascati einig: so lustig wie Sor Lucullo vor seinem Hause gehämmert und gepfiffen hatte, brachte es kein zweiter zu stande.
Zum großen Leidwesen sämtlicher Frascatanerinnen – besonders der jungen und hübschen – konnten sie bei dem lustigen Sor Lucullo nicht mehr ihre Schuhe flicken lassen; denn der lustige Sor Lucullo flickte keine Schuhe mehr, der lustige Sor Lucullo war ein Signor Lucullo geworden, ohne darum von seiner Lustigkeit verloren zu haben.
Das war so gekommen: In der Hochzeitsnacht der schönen Sabina und des reichen Sor Catone hatte der arme, abgewiesene Freier der jungen Frau das Leben gerettet – welch ein Edelmut! Zum Dank dafür hatte Sor Catone dem armen, abgewiesenen, edelmütigen Freier in seinem eignen Hause eine Wohnung eingeräumt und ihn zum wohlbestellten Hüter über seine Weinberge eingesetzt. Doch war die Arbeit nicht allzu schwer und beschränkte sich auf das Probieren der verschiedenen Weinsorten, in welcher Kunst der gewesene Flickschuster bekanntlich Meister war. Sor Catone probierte nicht, Sor Catone trank nach wie vor keinen Tropfen von seinen herrlichen Rebensäften, Sor Catone hätte am liebsten nur Wasser, nichts als Wasser, getrunken; denn Sor Catone mußte sparen, sparen, sparen, sonst hätte er allmählich aufgehört, der weise Catone zu sein. Denn weise war er noch immer! Wenn er sein heranblühendes Geschlecht ansah – lauter Buben! Die prächtigsten Lockenköpfe mit pechrabenschwarzen, lustigen Augen –, wollten ihn zuweilen trübe Gedanken beschleichen. Aber als Philosoph tröstete er sich: er war auf der Welt nicht der einzige weise Mann, der ein schönes Weib hatte.
Und sie wurde mit jedem Jahre schöner, Sabina, die Mutter der Catonen.