Richard Voß
Die Mutter der Catonen
Richard Voß

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Drittes Kapitel.

Er war bei ihr gewesen und hatte ihr Maß genommen! In seinem neuen römischen Anzuge, darin er wie ein Signore aussah, hatte er diesen stolzesten Gang seines Lebens gethan; mit einem Herzklopfen, als ob es sich um das Heil seines geeinigten Vaterlandes handelte, hatte er an ihren schönen Fuß seine Papierstreifen – blütenweißes Schreibpapier! – angelegt, mit unsichern Händen das Große vollbracht und sich darauf als ein neuer Mensch vor ihr vom Boden erhoben.

Und nun saß er in seinem hübschen, kleinen Hause, das dumme und böswillige Menschen für ein Grab ausgaben; trotz des leuchtenden Frühlingswetters saß er drinnen. So lange die Piazza Lucullo ihren Flickschuster Lucullo besaß, war das nicht geschehen. Die spielenden Kinder hörten in ihrem Spielen auf und schauten hinüber: was wohl mit Sor Lucullo vorgefallen wäre? Die schwatzenden Weiber unterbrachen ihr Geschwätz, kamen aus Via und Vicolo Lucullo herbeigeschlurft: warum wohl Sor Lucullo nicht vor seinem Grabmal säße? Ob er krank wäre, ob er das goldne Huhn gesehen, oder beim Kapuzinerkreuz eine Hexe getroffen hätte? Das war noch niemals dagewesen, daß bei einem solchen Wetter morgens und abends Sor Lucullo drinnen saß, nicht sang, nicht pfiff, nicht plauderte, nicht lachte; sondern immerzu hämmerte, immer, immerzu hämmerte.

Aber die guten Weiber erhielten für ihre teilnahmsvollen Fragen schlechten Dank. Was sie das anginge? Er könnte nach seinem Belieben draußen oder drinnen sitzen; und es beliebte ihm nun einmal, drinnen zu sein. So oft er diese abweisende Antwort erteilte, hörte er mit Hämmern auf und versteckte etwas unter seinem Schurzfell; gerade, als sei eine neue Schuhsohle ein Liebesbrief.

Wohl zwanzigmal des Tages ließ er Hammer und Pfriemen verzagt sinken; denn es wurde nichts daraus! Wohl zwanzigmal hielt er das Ding in die Höhe, betrachtete es mißtrauisch von allen Seiten; ob aus dem Ding ein Schuh wurde? Und er gelangte wohl zwanzigmal zu dem Schluß: ein Schuh würde voraussichtlich daraus werden, aber San Crispino mochte wissen, was für einer. So hat niemals ein Bildhauer bei seiner Statue, ein Künstler bei seinem Gemälde, ein Poet bei seinem Gedicht gebangt und gehofft, gefürchtet und geglaubt wie unser hübscher, lustiger Flickschuster bei seinem Paar neuer Schuhe.

Es ist eine schöne Sitte, daß die Italiener ein jedes Handwerk eine Kunst nennen, und von der Arbeit eines Maurers, eines Steinklopfer und Flickschusters stets von der »arte« des Mannes reden. Aber unser Lucullo verlor über seiner Kunst Appetit und Schlaf, Heiterkeit und Frieden; er hätte sich am liebsten von aller Welt zurückgezogen und seine Kunst bei verschlossenen Thüren getrieben – wenn sein Haus nur ein Fenster gehabt! Nach einem qualvoll hingebrachten Tage wälzte er sich des Nachts ruhelos auf seiner Matte, hatte beängstigende Träume, in denen er seinen Nebenbuhler, den verd...... Sor Tommaso, höhnisch über sich lachen hörte; er litt an Hallucinationen, darin er den schönen Fuß erblickte, für den sein Schuh passen sollte, aber nicht paßte, obgleich er doch unablässig Maß nahm und nicht müde wurde, dem schönen Fuß die Schuhe anzuprobieren.

Er sah sie jeden Tag; jeden Tag kam sie an seinem Hause vorüber, blieb vor der offnen Thür stehen, ließ ihre prachtvollen Augen über ihn hinleuchten, grüßte huldreich, bewegte anmutig ihren großen, bunten Fächer nach ihm hin und erkundigte sich teilnehmend nach dem Zustande ihres Schuhwerks. Da saß er dann, beugte sich tief auf das Leder hinab und meinte mit einer Heuchlermiene, als ginge täglich ein halbes Dutzend Paar neuer Schuhe aus seiner Werkstatt hervor, daß alles in bester Ordnung sei und sie sich darauf verlassen könne, am bestimmten Tage ihre Schuhe zu erhalten. Dann lachte sie, und dann wurde er zornig über ihr Lachen, weil sie keine Ahnung davon hatte, in welcher Verfassung nicht allein sein Leder, sondern auch sein Gemüt sich befand.

»Mach nur, daß ich die Schuhe bald bekomme.«

»Willst du bald wieder beichten gehen?«

»Fürs erste nicht; deswegen hat's keine Eile.«

Sie war eben eine Hexe, eine solche, die einen Mann um Verstand und Vernunft bringen konnte. Ein andermal trat sie sogar auch einen Augenblick bei ihm ein. »Ich will mich nur bei dir umsehen, wie breit die Treppe werden kann, wenn du für deine Frau auf dem Dach ein Villino baust.«

Sie sah sich um.

»Madonna, du mußt dir einen Stock zur Frau nehmen; ich käme da nicht hinauf.«

»Ich habe dich noch nicht darum gefragt,« versetzte er mit vor Aerger erstickter Stimme.

Sie aber lachte ihn aus.

Dann kam die große Stunde. Trotzdem es kein Sonntag war, wurde der Tag als ein Festtag behandelt; demgemäß verwandelte sich unser Sor Lucullo mit Hilfe des neuen Anzugs in einen Signor Lucullo, darauf band er die fertigen Schuhe in das rote Taschentuch, auf dem die Herrliche gesessen hatte, verschloß sein Haus und begab sich feierlichen Schrittes nach der Piazza Spineta, woselbst die schöne Sabina als ihre eigne Herrin mutterseelenallein residierte. Tief Atem holend, kletterte der verliebte Schuster die steile, dunkle Stiege hinauf, klopfte an, hörte sie fragen: wer da sei, antwortete: »Gut Freund!« und trat ein.

Die Wohnung von Frascatis größter und stolzester Schönheit unterschied sich von dem Hause von Frascatis hübschestem und lustigstem Schuhflicker im wesentlichen nur dadurch, daß sie um ein Geringes weniger klein, weniger niedrig und weniger finster war. Auch waren die Wände nicht wie im Grabe des seligen Lucius Lucullus graues, geborstenes Gemäuer, sondern sie trugen blasse Spuren ehemaliger goldgelber Tünche, und der Fußboden zeigte statt des nackten Gesteins den Prunk allerdings stark beschädigter Ziegel. Um übrigens der Wohnung der Schönen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß gesagt werden, daß das Zimmer nach dem Platz hinaus ein Fenster mit noch niemals geputzten Scheiben besaß, und daß in der Mitte das Prachtstück der Einrichtung stand, ein mächtiges Ehebett, mit dem schneeigsten Linnen bedeckt, welches alte wertvolle Spitzen verzierten. Das Bett nahm die Hälfte des Raumes ein, darin sich außerdem nur noch wenige Gerätschaften befanden. Von einem Herde war nichts zu sehen; hatte die schöne Sabina einmal Appetit auf eine Minestra oder Frittata, so mußte sie sich diese Leckerbissen auf dem Herde einer gefälligen Nachbarin bereiten; für gewöhnlich genügte ihr indessen eine Schüssel Salat, oder eine Handvoll roher Bohnen, ein Stück Brot mit Oel beträufelt, oder Früchte.

Als Lucullo in dieses Gemach, das ihn über die Maßen prächtig dünkte, eintrat, saß die Schöne im offnen Fenster und drehte die abgesponnenen Fäden zusammen; die volle Spindel ließ sie zum Fenster hinaushängen, sie von Zeit zu Zeit mit einem herzhaften Ruck in die Höhe schnellend. Lucullos Kommen störte sie in dieser Beschäftigung nicht.

»Nun, da bist du ja! Ich hatte dich schon gestern erwartet. Dort steht Wein und ein Teller mit Ciambelli. Iß und trink. Du kannst dich dabei setzen und dann wollen wir schwatzen.«

» Mille grazie! Ich möchte dir zuerst die Schuhe zeigen.«

»Sie sind gewiß wunderschön.«

»Ich möchte sie dir anprobieren; ich bin nur deshalb gekommen.«

Der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn; zugleich hätte er in diesem stolzen Augenblick mit dem heiligen Vater selbst nicht getauscht.

»Wozu anprobieren? Sie werden gewiß prächtig passen.«

»Was denkst du? Wie könnten die Schuhe passen, wenn ich sie vorher nicht anprobiert habe! Ich werde sie noch oft anprobieren müssen! das Anprobieren ist bei neuen Schuhen die Hauptsache.«

»Nun, so probieren wir.«

Ohne ihre Stellung zu ändern, streckte sie den linken Fuß vor, von dem bei dieser Bewegung der Pantoffel abglitt. Lucullo packte seine Schuhe aus, schob sich zwischen Wand und Bett zum Fenster hin, ließ sich auf ein Knie nieder und setzte auf das andre den Fuß der Schönen.

»Paßt er?«

»Habe doch Geduld! Als ob das Anprobieren eine so leichte Sache wäre und so schnell ginge.«

»Au!«

»Wo drückt er? Nicht wahr, er drückt? Es ist ganz natürlich, daß der Schuh drückt. Das erste Mal muß jeder neue Schuh drücken,« stammelte der arme Lucull.

»Es wird gewiß gehen.«

»Natürlich wird es gehen.«

»Wenn sie zuerst auch ein wenig drücken; zuerst drückt jeder neue Schuh.«

»Meine Schuhe sollen dich aber nicht drücken; ich probiere sie dir so lange an, bis du sie gar nicht mehr fühlst. – Hier sind sie wohl etwas zu eng.«

»Hier und hier. Das nächste Mal werden sie sicherlich besser sitzen. Laß es jetzt nur! Jetzt mußt du Ciambelli essen. Du ißt doch gern Ciambelli?«

»Freilich! Warte, ich will dir den Pantoffel wieder anziehen. Ist das ein Ungetüm! Der kann dich freilich nicht drücken.«

»Du hast recht: diese Pantoffeln sind wahre Bestien.«

Nun wurde er seelenvergnügt.

Nach mehrmaligem Anprobieren paßten die neuen Schuhe bis auf einiges Drücken ganz vortrefflich, und kaum paßten sie in dieser fraglichen Weise, als Lucullo in eine Stimmung von Glückseligkeit geriet, daß Piazza, Via und Vicolo Lucullo von neuem in Aufregung kamen. Nach einigen Tagen wußte bereits ganz Frascati: Sor Lucullo ist verliebt, Sor Lucullo geht auf Freiersfüßen, Sor Lucullo will heiraten! Und wen will Sor Lucullo heiraten? Wen anders als die Sabina, die schöne, hoffärtige Sabina, der schon so viele nachgelaufen sind und die auch den armen Sor Lucullo laufen lassen wird.

Aber darum kümmerte sich Sor Lucullo vorderhand gar nicht; vorderhand war dieser leichtfertige Sor Lucullo bis über seine kleinen, braunen Ohren verliebt, vorderhand wollte sich dieser Schlingel um gar nichts andres kümmern als um seine tolle und sinnlose Verliebtheit. Er saß nun wieder den ganzen Tag vor seiner Thür und hämmerte, pfiff und sang, wie im ganzen römischen Reich noch niemals ein Schuster gehämmert, gepfiffen und gesungen hatte; die Amseln und Nachtigallen, die auf seinem Dache nisteten, wurden förmlich neidisch und bekamen plötzlich den sonderbaren Ehrgeiz, sich mit dem lustigen Flickschuster in einen Wettstreit einzulassen. Da kann man sich vorstellen, was für eine Lust es um das Grab des guten Luculls war; denn auch die Kinder auf der Piazza und die Weiber in der Via und dem Vicolo wollten hinter dem Schuster, den Amseln und Nachtigallen nicht zurückstehen.

Aber auch jetzt bekam er das goldne Huhn mit den goldnen Küken nicht zu sehen, welches seltene Federvieh der Sage nach im Grabmal des alten Römers sein gespenstisches Wesen treiben sollte. Dafür blühte auf dem alten Gemäuer der Ginster in einer solchen Fülle, daß das Haus unsres armen Schuhflickers wieder einmal aussah, als trüge es einen Hügel leuchtenden Goldes.

Da Lucullo von ganz Frascati zu den offiziellen Bewerbern der schönen Sabina gezählt wurde, kam es ihm nunmehr zu, ja, war es fortan seine Pflicht, sich jeden Abend bei dem Gegenstande seiner Neigung einzufinden, um zu zeigen, was er in der Kunst des »far amore« zu leisten vermöchte. Er durfte Geschenke mitbringen, durfte seinen Fazzoletto, welcher in der Farbe der Liebe leuchtete, jeden Tag mit neuen Ausdrücken seiner Leidenschaft füllen und als schuldigen Tribut in den Schoß der Schönen ausschütten. Nun gab es nichts, was ein Liebender seiner Umworbenen in seinem Fazzoletto nicht hätte zutragen dürfen: Blumen, Früchte, Gemüse; Gebäck und Putz; eine Foglietta Wein oder Oel; ein Huhn, ein Paar fetter Wachteln, ein Stück frischen Ricotto, eine zahme Amsel oder eingesponnene Seidenraupen. – Alles konnte in Demut dargebracht werden, alles wurde huldvoll angenommen, überschwenglich bewundert und einer eingehenden Betrachtung unterzogen.

Es war erstaunlich, in welchem Maße der Geist unsres Liebenden erfinderisch war betreffs der Dinge, mit denen er allabendlich sein Fazzoletto für die Geliebte füllte. Seine Einbildungskraft verfiel auf wahrhaft lucullische Leckerbissen. In dem Menü, welches er für die Schöne zusammenstellte, paradierten Froschschenkel und junge, zarte Eulen, Fluß-, Taschenkrebse und Landschildkröten; die Frösche fing er im Cypressenteich der Villa Falconieri, die Eulen holte er aus den antiken Ruinen, und um seiner Angebeteten ein Gericht Taschenkrebse und Schildkröten zu verschaffen, stieg er in die Campagna hinunter, wo er seine Jagdzüge bis nach dem ehrwürdigen Becken des Gabiischen Sees ausdehnte. Einmal gelang ihm in der Macchia von Pontano der Fang eines jungen Stachelschweins. Aus den Froschkeulen machte die schöne Sabina ein Fritto, die jungen Eulen schmorte sie mit Liebesäpfeln, die Krebse röstete sie lebendigen Leibes, während Schildkröte und Stachelschwein in padella zubereitet wurden.

Aber die Triumphe, die Freund Lucull jeden Abend an der Piazza Spineta feierte, wurden ihm durch die Existenz seiner Mitbewerber vergällt, deren so viele waren, daß Sabinas Kammer sie nicht zu fassen vermochte und die Schöne ihren Hofhalt jeden Abend auf den geräumigen Flur einer befreundeten Nachbarin verlegen mußte. Hier saß man um die dreiarmige Oellampe bis nach Mitternacht beisammen, gewöhnlich fand sich noch die eine oder andre Freundin und Gevatterin mit ihrer Spindel ein, und ein jeder und eine jede bemühten sich, auf das anmutigste und witzigste Konversation zu machen. In dieser liebenswürdigen Kunst konnte nun unser Lucull als ein wahrer Meister gelten. War er erst im vollen Eifer des Erzählens, so leuchteten seine Augen, so glühten seine Wangen; immer neue, noch lustigere, noch erstaunlichere Dinge fielen ihm ein, daß der Hofstaat der Königin aus dem Kichern und Lachen gar nicht herauskam. Und gar wenn er seine Guitarre mitbrachte. Dann spielte er und sang dazu, daß auf der Piazza die Leute zusammenliefen, viele ins Haus drangen und nach jedem Liede ein allgemeines Bravo und » bis, bis!« ertönte. Natürlich richtete der verliebte Spielmann alle seine zärtlichen Weisen, schwermütigen Lieder und glühenden Strophen unmittelbar an die Geliebte seines Herzens, wendete beim Singen kein Auge von ihr und sagte ihr in jeder Tonart, daß er, wenn sie ihn nicht baldigst erhöre, allernächstens entweder sich oder sie umbringen würde.

So ging Abend für Abend an dem Liebeshimmel der schönen Sabina Lucullo als Stern auf, dessen Glanz die andren Lichter verdunkelte.

Der Inhalt seines Fazzolettos wurde von Tag zu Tag merkwürdiger, sein Gesang schmelzender, seine Liebe leidenschaftlicher, seine Wut auf die Sippe seiner Nebenbuhler grimmiger.

Diese Menschen waren Tölpel, Tröpfe, dumme Bestien; aber ein jeder von ihnen besaß das Zwanzig- und Dreißigfache wie der arme Lucullo. Der eine hatte ein einträgliches Geschäft, der zweite ein Haus, der dritte einen Weinberg, der vierte lebte sogar von seinen Renten. Bei so klingenden Vorzügen hatte es – das leuchtete selbst Lucullo ein – nichts auf sich, wenn sie im übrigen Tölpel, Tröpfe und dumme Bestien waren. Sie kamen, thaten vornehm, schauten die Schöne mit verliebten Blicken an, redeten albernes Zeug, sahen den Anstrengungen des armen Flickschusters, den Galanten und Liebenswürdigen zu spielen, gleichmütig zu, ergötzten sich wohl gar an seiner Liebesleidenschaft. Im stillen war jeder überzeugt, daß er und kein andrer die Schöne heimführen werde; denn jeder bildete sich ein, mehr zu besitzen als der andre, und auf dieses Mehr kam es bei der Sache an.

Das wußte Lucullo sehr gut, und er war viel zu sehr der Sohn seines Volkes, um daran etwas Besondres zu finden. Es gab Zeiten, wo er seine Bewerbung für vollständig hoffnungslos hielt, wo er sich einen Tropf, einen Tölpel, eine dumme Bestie schalt, Zeiten, wo er wie ganz Frascati nicht begriff, daß die Schöne nicht schon längst ihre Entscheidung getroffen hatte, eine Entscheidung, die selbstverständlich auf denjenigen fiel, der seinen Antrag durch die größte Ziffer unterstützen konnte.

Sie brachte es fertig, alle in Aufregung und Ungewißheit zu erhalten. Keinen ermutigte sie, keiner konnte sich der leisesten Auszeichnung rühmen; für jeden hatte sie denselben Blick, dasselbe Lächeln; zu Lucullos witzigsten Redensarten, seinen lustigsten Schwänken, schwermütigsten Balladen und fettesten Froschschenkeln machte sie genau dasselbe gleichmütig-gnädige Gesicht wie zu den albernen Späßen, mageren Hühnern und seidnen Bändern jener reichen Dummköpfe.

Zu andern Malen fühlte Lucullo wiederum eine starke Zuversicht, in welcher Stimmung er sich sagte: Es ist wahr, du bist ein armer Schlucker und keine andre würde dich nehmen; sie ist aber nicht wie die andern und warum sollte es ihr nicht gefallen, dich zum Mann zu nehmen? Als ob sie einen Hübscheren und Lustigeren und Verliebteren fände?! Ich werde ihr die Treppe schon breit genug machen, daß sie bequem zum Villino hinauf käme. Der Villino, das ist es eben! Sie traut dem Villino nicht. Und aus der schönen Aussicht dort oben macht sie sich nichts. Ja, wenn ich ein andres Haus hätte! Mein Haus ist es! Sie glaubt, was die dummen Leute von meinem Hause reden, und will mit ihrer jungen Schönheit in keinem Grabe wohnen. Der Teufel soll diesen Sor Lucullo holen. Warum mußte sich der Mann auch gerade ein solches verrücktes Ding bauen lassen? Ich wollte, ich könnte ihm meine Meinung sagen: der sollte es von mir zu hören bekommen....

Der aufregendste Tag der Woche für Lucullo war der Sonntag. Gegen Abend, wenn sich halb Frascati vor der Porta Romana befand, begab sich auch unser Sor Lucullo, von Kopf bis zu Füßen ein Signore, seine Minghetti oder Cavour dampfend, auf die Passeggiata, die sich längs der Villen Aldobrandini und Torlonia, oberhalb des neuen Bahnhofes dahinzieht, mit weitem Blick auf Land, Gebirge und Meeresküste. Zu beiden Seiten des Laubganges von japanischem Flieder, auf dem die alten und jungen, die häßlichen und schönen Frascatanerinnen in ihrem besten Staate langsam und würdevoll hin und her wandelten, bildete sich ein dichtes Spalier von Zuschauern: der römische Nobile neben dem halb in Ziegenfell gekleideten Sabiner, der Ciocciare neben dem behäbigen Bürger und Weinbauern; Handwerker und Soldat, sämtliche Honoratioren, die ganze goldne Jugend Frascatis stand hier beisammen. Hier stand auch Lucullo. Frascatis Frauengeschlecht ging an ihm vorüber: die, welche den Hut, das Abzeichen der Signora tragen durften, und die, denen die Sitte für ihr Haupt nur den Schleier oder das hellfarbige Wolltuch gestattete. Sie zogen zu zweien, zu dreien, zu vieren, immer nur Hut mit Hüten, Schleier mit Schleiern. Wenig half es den Trägerinnen der letzteren Zierde im Ansehen der Stadt, daß sie sich gerade wie eine Signora kleideten, nach neuester römischer Mode, in Samt und Seide, und einen mächtigen Fächer entfaltend – der Hut fehlte und somit die Weihe des höheren Standes.

Der ländlichen Sitte gemäß redeten sich gute Bekannte, die sich auf der Passeggiata begegneten, nicht an; fremd gingen sie aneinander vorüber, mit erkünstelt gleichgültigem Blick die Pracht des neuen Kostüms streifend, darin die Freundin heute prunkte. Keiner der Herren grüßte. Ein schwerer Verstoß gegen die Gesetze der ländlichen Passeggiata wäre gewesen, wenn ein junger Mann eins der Mädchen angeredet hätte.

Gleichgültig betrachtete Lucullo den Zug der Frauen und Mädchen; denn die eine war noch nicht da. Dann kam sie! Ein helles Tuch über ihrem leuchtenden Haar, um den Hals eine schwere goldne Kette, das dunkle Kleid ohne jede Nachäffung großstädtischer Mode, aber ein wenig auf dem staubigen Boden nachschleppend. Wie schön sie war! Alle sahen auf sie, die von einer Nachbarin begleitet wurde. Sich auf der Passeggiata ohne Begleitung zu zeigen, hätte selbst sie nicht gewagt.

Leise mit ihrer Gefährtin redend und voll Würde sich fächelnd, schnitt sie an Lucullo vorüber, ihm so wenig wie einem andern einen Blick gönnend. Seine Augen folgten ihr. Sie ging so langsam, sie ging, als wäre sie ermüdet. Dem Verliebten kam ein entsetzlicher Gedanke: sie trug seine Schuhe und seine Schuhe drückten sie!

Ganz verstört blickte Lucullo hinfort einer jeden starr auf die Füße. Sein Gesicht erhellte sich, wenn er zu erkennen meinte: das ist auch eine, die der Schuh drückt!


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