Richard Voß
Die Rächerin und andere römische Novellen
Richard Voß

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5.

Jetzt kam Cé mit dem fetten Lamm, welches er an einem Spieß aus hartem Ölbaumholz befestigte und über einem gelinden Feuer zu braten begann, indessen Vater Lorenzo die zähen Blätter des geliebten bitteren Cichorienkrautes zu einem Salat verarbeitete.

Noch immer versuchte ich meinen lakonischen Wirt redselig zu machen, ohne jedoch einen rechten Erfolg zu erzielen. Plötzlich fand ich durch einen Zufall die Zauberformel, welche dieses verschlossene Gemüt für mich aufthat.

»Ihr habt dort über der Madonna den Giuseppe Garibaldi hängen?«

»Giuseppe! Jawohl, den Giuseppe!«

Lorenzo that diesen Ausruf mit einem solchen Aufleuchten seiner melancholischen Hirtenaugen; er sprach den Namen des berühmten Freiheitskämpfers mit solcher Inbrunst, daß ich sogleich begriff: der Schutzgeist des Latinischen Hauses hieß Giuseppe Garibaldi.

»Ja, so, mein wackerer Cencio, Ihr seid mit Leib und Seele Garibaldianer?«

»Herr, ich kämpfte unter Giuseppe bei Mentana!«

Und er berichtete mir von seiner Teilnahme an der berühmten Schlacht, in welcher die Garibaldianer durch die Franzosen und Päpstlichen jene empfindliche Niederlage erlitten hatten, mit einer Miene, als wäre der Tag von Mentana der große Glückstag der italienischen Nation und seines ganzen Lebens gewesen.

Ich fragte ihn, wie er aus seinen Sabinerbergen nach Mentana zu seinem vergötterten General gekommen sei?

»Wie, Herr? Durch den Checco.«

»Durch welchen Checco?«

»Ihr kennt nicht den Checco?«

»Checco? Ich kenne keinen Francesco.«

»Herr, der Checco ist ja doch der Crispi. Und sie sagen ja wohl: nicht der Umberto wäre König von Italien, sondern der Checco, wie in eurem Lande der Bismarco.«

Bei näherer Bekanntschaft mit meinem biedern Sabiner stellte sich heraus, wie er von Deutschland überhaupt nichts wußte, als daß es das Vaterland des »Bismarco« wäre. Diesen hielt er für eine Art von Giuseppe Garibaldi, der bei Sedan die Franzosen geschlagen und den Deutschen einen König gegeben hatte – sehr zum Überfluß, da er doch selber Deutschland regierte.

Ich erkundigte mich: »Aber wie wurdet Ihr denn mit dem Checco bekannt?«

»O, den kenn' ich gut. Wie meinen Bruder kenn' ich den!«

Und während, von Cé eifrig gewendet, das fette Lamm am Feuer briet, und durch das tausendjährige Römergrab ein appetitreizender Duft sich verbreitete, erzählte mir der Hirte von seinem brüderlichen Freunde, dem großen Staatsmann Francesco Crispi.

»Ja, Herr! Der Checco! Das war damals, als die Franzosen in Rom waren – Herr, nichts als Franzosen! Und was die Rothosen wohl wollten? Den heiligen Vater schützen. Vor wem wohl? Vor seinen eigenen Söhnen? Als wäre das notwendig gewesen! Aber davon verstanden wir nichts.

Ich und der Oreste – der Oreste, Herr, war mein jüngerer Bruder – wir bezogen damals, als die Franzosen in Rom waren, mit der Herde einen Weideplatz, der an der appischen Straße lag, ganz nahe bei den Mauern und dem Thor von Sebastiano, Da konnten wir das ganze Franzosenwesen so recht mit ansehen. Denn früh morgens trieb ich die Ziegen in die Stadt hinein bis auf den spanischen Platz und verkaufte die Milch an jeden, der sie mir bezahlte. Und das muß ich sagen: Franzosen zahlten besser als die Römer. Es waren Galantuomini.

Aber auf den Giuseppe Garibaldi schimpften sie, als ob er der Teufel selber wäre. Ich hörte das Fluchen und Verwünschen mit an; denn was scherte mich der Giuseppe Garibaldi? Herr, wir waren sabinische Hirten, die in Rom ihre Ziegenmilch verkaufen wollten. Damit basta!

Ich muß Euch auch sagen, daß mein Bruder sechzehn, ich selber erst achtzehn Jahre war. Was wußten also wir von diesen Sachen?

Wir wußten vom heiligen Vater und von der Madonna und – damit basta!

Da war's im Oktober, daß die Franzosen auf der appischen Straße nach Albano und Velletri marschierten und der Weg ganz bunt von ihnen war. Sie zogen ins Albanergebirg, wo die Leute, so sagten uns die andern Hirten, den Giuseppe Garibaldi zum König haben wollten. Dafür sollten sie nun von den Franzosen totgeschlagen werden. Was das die Franzosen wohl anging?

Einige Tage darauf kam plötzlich der Oreste über das Feld hergelaufen: auf der Straße liege ein erstochener Mann! Ich fragte nur, ob es ein Franzose sei? Denn dann hätte der Mann mich nichts geschert. Aber es war kein Franzose. Also ging ich mit meinem Bruder hin, obgleich damals auf den römischen Straßen viele Erstochene zu finden waren.

Richtig war's ein Landsmann! Er war in die Seite getroffen, aber er lebte noch. Also hoben wir ihn auf, trugen ihn in unsre Capanna, verbanden ihn mit heilsamen Kräutern und halfen ihm mit dem Leben davon.

Solange er noch sprechen konnte, hatte er uns erzählt, daß er von seinem Hauptmann aus Albano abgeschickt worden sei, um dem General Garibaldi Briefe nach Monterotondo zu bringen; daß die Franzosen ihm aufgelauert, die Briefe abgenommen und ihn dann niedergestoßen hätten. Und er sagte uns: er wäre Sizilianer aus der Gegend von Girgenti und hieße Francesco Crispi.

Das also war der Checco, der in unsres Capanna lag und der ohne meinen Bruder und mich elend umgekommen wäre. Und er mußte bei uns bleiben, denn er hatte das Wundfieber. Als er wieder zu seinen Sinnen kam, sagte er uns: einer von uns müßte sogleich nach Monterotondo laufen zum General Garibaldi und diesem eine Botschaft ausrichten. Da ich die längeren Beine hatte, so lief ich; und ich sollte dem General sagen: er möge um alles in der Welt keinen Angriff auf Rom unternehmen, sondern mit allen seinen Leuten von Monterotondo abziehen ins Sabinergebirg, vorerst nach Tivoli. Nachdem ich dem Checco diese Worte vielmals vorgesagt hatte, lief ich mitten in der Nacht davon. Bereits vor Sonnenaufgang kam ich in Monterotondo an und war gleich mitten unter den Rothemden. Und als ich sagte, ich sei vom Checco geschickt, brachten sie mich zum General. Der wohnte im Dom, wo auch sein Pferd stand – gerade hinter dem Altar! Die ganze Kirche war rot von den Hemden der Garibaldianer. Der General schlief noch – im Beichtstuhl! Sie weckten ihn aber und er kam sogleich heraus. Alle die Rothemden drängten zu ihm und schrieen ihn an, als käme er vom Himmel herab. Herr, da begriff ich dummer Junge, was ein Mensch auf Erden sein kann – was der Giuseppe Garibaldi war in Italien.

Ich sagte ihm alles vom Checco und was ich ihm ausrichten sollte. Aber da wurde er böse. Er schwur, daß er dennoch in Rom einziehen und die Fremden vertreiben oder sterben wollte. Und alle die Rothemden schrieen: sie wollten sterben mit ihrem General. Und ich – Herr, ich schrie auch.

Bis dahin hatte ich mich um Giuseppe Garibaldi weniger gekümmert, als um ein krankes Lamm. Aber jetzt plötzlich wollte ich sterben mit ihm. Ob für Rom oder für irgend eine andre Sache, galt mir gleich. Herr, wie kommt so etwas nur über einen Menschen, der doch kein unvernünftiges Tier ist?

Der General stieg auf die Kanzel, setzte sich und schrieb Briefe. Die Tinte stand vor ihm in einem silbernen Kelch. Aber die Madonna und die Heiligen werden darüber nicht böse gewesen sein – es war ja doch der Vater Giuseppe!

Auch an den Checco schrieb der General einen Brief.

Bevor ich wieder heimkehrte, machte ich mir aus blutrotem Kirchentuch ein Hemd. Auch für meinen Bruder nahm ich ein Stück mit. War der Oreste auch noch ein Knabe – unter Vater Giuseppes Leitung hatte ich wahre Kinder gesehen. Auch die Kinder wollten mit Vater Giuseppe sterben.


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