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Kürzlich besuchte ich in Rom einen Landsmann.
Er heißt mit Vornamen Heinrich und ist ein junger Maler von Talent. Trotzdem wird ihm schwerlich eine Zukunft blühen; denn er ist durchaus kein »Moderner«, was natürlich seine eigene Schuld ist. Er malt mit hartnäckiger Vorliebe sogenannte »klassische« Landschaften mit idealer Staffage.
Nun bewegt sich der Charakter der römischen Landschaft in dem feierlichsten Rhythmus von Linien und Farben; und die Bewohner jener Gegenden haben das Besondere, was man »Stil« nennt. Aber diese große Landschaft mit ihrem schönen Menschenschlage sollte – wenn man dergleichen heutzutage überhaupt noch abbildet – ausschließlich mit dem erbarmungslosen Blick des Naturalisten gesehen und dargestellt werden. Und das unmittelbar auf die Leinwand; denn das Skizzenbuch ist dem modernen Maler ein abgethanes Requisit seiner Kunst.
Ich sah in dem Atelier meines Bekannten Studien und Entwürfe, die mir schön und bedeutend erschienen; und in demselben Maße deuchten sie mir auch wahr. So, grade so, sah wenigstens ich die mir seit einem Menschenleben vertraute römische Landschaft mit ihrer Galerie von Figuren.
Lange stand ich betrachtend vor dem Hauptwerk des jungen Künstlers, einem umfangreichen Ölgemälde, welches die Bezeichnung »Fiammetta« hatte.
In einer öden Steppe ein einsames junges Weib. Gleich einer biblischen Frauengestalt tragt sie ein ultramarinblaues Mantelgewand, das sie von Kopf bis zu Füßen einhüllt. Beide Arme erhängen schlaff an dem feinen schlanken Leib herab. Mit weit offenen Augen schaut sie unverwandt in die Ferne. Ihre jungen leidenschaftlichen Lippen pressen sich zusammen, als ob sie ein Stöhnen erstickten. Mit ersticktem Stöhnen steht sie und wartet. Sie ist ringsum der einzige Mensch; sie scheint der einzige Mensch auf der Welt zu sein. Um sie her ein Gefild von blühenden Königskerzen, die, ebenso schlank wie die junge Frauengestalt, aus silbergrauem sammetweichem Blattwerk aufwachsen, von der Sommersonne durchglüht.
Unabsehbar dehnt sich die leuchtende Landschaft. Der Dunst eines Sommertags brütet darüber wie flimmernder funkelnder Nebel. Alles ist Licht, grelles, blendendes, unbarmherziges Sonnenlicht; ist Glanz und Glut eines römischen Sciroccohimmels.
Man fühlt es: die weit hinaus Schauende ist unfähig, eine Bewegung zu thun; der sommerliche Mittagszauber römischer Wildnis hat sie gebannt. Sie wird dastehen, bis der mörderische Sonnenball endlich sinkt und weicht. Dann wird sie zu Tode ermattet davonschleichen – zu irgend einer Hütte aus braunem verbranntem Ginstergesträuch in enger Thalschlucht. Dort wird sie sich hinwerfen, wird beim ersten Morgengrauen sich wieder aufraffen, wieder hinausgehen, wieder warten ...
Ich fragte den Künstler:
»Auf wen wartet sie?«
»Auf einen, der nicht kommt.«
»Auf einen treulosen Liebhaber also?«
»Auf einen Gestorbenen.«
»Den das wunderschöne Geschöpf nicht vergessen kann?«
»Dessen gewaltsamen Tod sie sühnen muß.«
»Eine Rächerin also?«
»Ja.«
»Fiammetta existiert demnach und das Bild hat eine Geschichte?«
»Noch dazu eine wahre Geschichte.« »Die Sie kennen?«
»Die ich mit erlebte.«
»O! ... Und hat Ihre Heldin den Tod des Geliebten gesühnt?«
»Nein! Noch nicht.«
»Sie hat ihre Liebe wie ihre Rache vergessen, hat sich längst getröstet, steht jetzt und wartet auf einen, der kommt.«
»Ich glaube nicht.«
»Sie sind Idealist. Wer ist diese Fiammetta?«
»Ein Modell – natürlich.«
»In das Sie sich verliebten – natürlich. Das müssen Sie mir gelegentlich erzählen.«
»Wer versteht diese Art von Frauen? ... Aber jetzt kommen Sie. Bei den Campanelle sind heute nachmittag die Rennen, Wir wollen die römische Aristokratie anfahren sehen. Es sind wundervolle Menschen darunter.«
Da das Wetter köstlich war: ein nicht zu heißer Maitag, so kam mir der Vorschlag ganz recht. Wir frühstückten bei Pannelli, nahmen am spanischen Platz einen Wagen und verließen die Stadt durch Porta San Giovanni in einem dichten Gewühl von Fuhrwerken und Menschen, die sämtlich dem einige Miglien entfernten Rennplatze zuströmten.