Edgar Wallace
Der Frosch mit der Maske
Edgar Wallace

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12

Es fand ein Konzert in Queens Hall statt, und die Verlockung, den großen Violinspieler zu hören, war so stark, daß selbst in diesen Sommertagen der riesige Zuschauerraum überfüllt war.

Es fiel Dick Gordon mitten in seiner dringenden Abendarbeit ein, daß auch er längst eine Karte bestellt hatte. Er fühlte sich übermüdet, von den rätselhaften Ereignissen genarrt und fast hoffnungslos, sie zu lösen. Ein Brief von Lord Farmley, der heute angekommen war, forderte schleunige Anstalten, um den verlorenen Handelsvertrag wiederzuerlangen. Es war ein Brief, wie ihn ein schwer überarbeiteter Mann schreiben mochte, ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, daß er damit seine eigene Panik auf den Empfänger übertrug, den er doch keinesfalls zu überstürzten Maßnahmen verleiten durfte. Dick entschloß sich, alle Sorgen zur Seite zu werfen und das Konzert zu besuchen. Er rief seine Garage an, ließ aber statt seines eigenen einen geschlossenen Mietwagen vorfahren und war nach zehn Minuten einer von den zweitausend Bezauberten, die dem Spiel des Meisters lauschten. In der Pause schlenderte er ins Foyer, und die erste Person, die er traf, war ein Zentralpolizeibeamter, der seinen Blick vermied. Ein zweiter Geheimdetektiv stand auf der Treppe, die zur Bar führte. Ein dritter rauchte seine Zigarette auf den Stufen vor der Halle. Das Glockenzeichen ertönte, und Dick wollte eben die halbgerauchte Zigarette fortwerfen, als eine prachtvolle Limousine vorfuhr und ein diskret livrierter Lakai absprang, um die Tür zu öffnen. Ein einzelner Herr stieg aus, und Dick erkannte ihn sogleich. Es war Ezra Maitland.

»Heiliger Moses!« murmelte jemand hinter ihm, und als Dick den Kopf wendete, sah er Elk in dem einzigen alten Frack, den dieser je im Leben besessen hatte, hinter sich stehen. Sie waren beide von fassungslosem Erstaunen gelähmt. Denn nicht nur, daß Herr Maitland gleich einem regierenden Monarchen vorfuhr, mit silbernen Beschlägen, mit lackiertem Kupee und livrierter Dienerschaft, der alte Mann trug auch einen vorbildlichen Frack, gebaut nach den Gesetzen der allerletzten Mode. Sein Bart war um ein paar Zoll gekürzt, und über seine fleckenlose weiße Weste spannte sich eine schwere goldene Kette. Im Revers seines Abendmantels steckte eine Kamelie, und es war der glänzendste aller Zylinder der Welt, den er trug, der eleganteste Stock aus Ebenholz und Elfenbein, auf den er sich beim Gehen stützte.

Die Vision des Glanzes zog an ihnen vorbei durch die Halle.

»Er ist verrückt geworden!« flüsterte Elk hohl. Von seinem Platz aus konnte Dick den Millionär beobachten. Er saß während des zweiten Teiles des Programms mit geschlossenen Augen da. Nach jedem Stück applaudierte er mit seinen riesigen, weißbehandschuhten Händen. Dick war dessen sicher, daß er schlief und erst das Klatschen ihn erweckte. Einmal entdeckte er, wie der alte Mann ein Gähnen unterdrückte. Es war im zweiten Satz von Elgars Violinkonzert, das durch seine wundervolle Wiedergabe alle Zuhörer im Bann hielt.

»Das ist der reiche Maitland!« hörte Dick einen Herrn sagen.

»Er hat jetzt das Haus des Prinzen von Caux in Berkeley Square gekauft.«

Elk kam mit noch andern Neuigkeiten zurück.

»Was halten Sie vom Musikverständnis des alten Maitland, Hauptmann Gordon? Nun, er hat im voraus Plätze für jedes große Konzert der nächsten Saison bestellt. Sein Sekretär kam heute nachmittag mit diesem Auftrag her. Der war auch nicht wenig verdutzt darüber, und er sollte einen Tisch für heute abend im Herons-Klub bestellen.«

Elks Gesicht war während seines ganzen Berichtes todernst geblieben. Er winkte einen seiner Begleiter heran.

»Wie viele Leute brauchen Sie, um den Herons-Klub zu besetzen?«

»Sechs«, war die prompte Antwort. »Zehn, um ihn auszuheben und zwanzig, wenn es schlimm zugeht.«

»Nehmen Sie dreißig«, sagte Elk.

Der Klub sah von außen völlig unscheinbar aus, aber befand man sich einmal hinter seinen geschlossenen Türen und zugezogenen Vorhängen, so vergaß man das ärmliche und düstere Aussehen. Ein luxuriöser Gang, mit dicken Teppichen bedeckt und mild erleuchtet, führte nach dem Tanzsaal und Restaurant. Dick wartete auf die Ankunft des Direktors und bewunderte, in der Tür stehend, den Reichtum des Saales. Die Tische standen in einem länglichen Viereck auf dem polierten Parkett, von einer Galerie kamen die Klänge eines Negerorchesters, und innerhalb des ausgesparten Raumes tanzte ein Dutzend Paare und bewegte sich nach dem schnellen, aufpeitschenden Rhythmus der Stakkatomelodie.

»Vergoldetes Laster!« brummte Elk verächtlich. »Ich möchte wissen, was man hier die Frechheit hat für ein Essen zu verlangen. Da ist ja unser Methusalem.«

Methusalem saß am besten Tisch des Saales. Sein kahler Schädel leuchtete im Licht des Kristallüsters, und in seinem Schatten verschmolz sein Patriarchenbart mit der schneeigen Hemdbrust, so daß Dick ihn einen Moment lang nicht erkannte. Vor ihm stand ein großes, mit Bier gefülltes Glas.

»Er trinkt! Er ist immerhin menschlich«, sagt Elk.

Hagn kam heran, freundlich lächelnd, in dem Bestreben, ihnen gefällig zu sein. »Das ist ein unerwartetes Vergnügen, Herr Hauptmann«, sagte er. »Sie wünschen, daß ich Sie hereinlasse? Aber, meine Herren, das ist doch gar nicht nötig. Jeder Polizeioffizier von Rang ist Ehrenmitglied meines Klubs.«

Er ging geschäftig voran, führte sie zwischen den Tischen durch und fand eine leere Loge. Es gab Zecher, deren Mienen sich bei der Ankunft der neuen Gäste umwölkten. Einer zumindest stahl sich hinaus und ward nicht wieder gesehen.

»Wir haben heute abend sehr feine Gäste«, sagte Hagn und rieb sich die Hände. »Hier ist Lord und Lady Belfin, dieser Herr mit dem Bart ist der reiche Maitland, und sein Sekretär ist ebenfalls hier.«

»Johnson?« fragte Dick überrascht. »Wo sitzt er?«

Da bemerkte er auch schon den rundlichen Philosophen. Er saß in einer entfernten Ecke und sah in seinem altmodischen Frack entsetzlich ungeschickt und unglücklich aus. Wie er so auf der Kante seines Sessels saß, machte er ein feierliches und erschrockenes Gesicht und hielt die Hände auf dem Tisch gefaltet.

»Gehen Sie hinüber und holen Sie ihn her«, flüsterte Dick Elk zu. Elk marschierte durch das Wirbeln der Tänzerpaare und erreichte Herrn Johnson, der ihn erlöst ansah und ihm so kräftig die Hand schüttelte, als hätte Elk ihn von einer verlassenen Insel errettet.

»Es war lieb von Ihnen, mich herüberzuholen«, sagte Johnson, als er Dick begrüßte. »Ich fühle mich hier so gar nicht am Platze. Es ist mein erster und mein letzter Besuch.« Und er blickte nach einer kleinen Gesellschaft in der gegenüberliegenden Loge. Gordon war ihrer schon beim Eintritt gewahr geworden. Da waren Ray, in seiner üppigsten Laune, Lola Bassano, herrlich und exzentrisch gekleidet, und der massive Expreisboxer Lew Brady. Johnson wies mit den Blicken nach dem alten Maitland.

»Ist das nicht ein Wunder?« fragte er mit Flüsterstimme. »In einem einzigen Tag hat er seine Lebensweise geändert. Kauft ein Haus in Berkeley Square, beruft eine Armee von Schneidern, schickt mich aus, um Theaterplätze zu bestellen, kauft Juwelen! Ich verstehe nicht«, gestand er kopfschüttelnd. »Besonders, weil er im Büro ganz unverändert ist. Dort ist er noch immer derselbe alte Geizhals. Er wollte, daß ich auch seine Privatunternehmungen führen sollte, aber ich schlug es aus. Was mich ängstigt, ist nur, daß er mich auch an die Luft setzen kann, wenn ich nicht einwillige. Er ist in dieser Woche recht unverdaulich gewesen. – Ob Ray ihn wohl gesehen hat?«

Ray hatte seinen früheren Chef noch nicht bemerkt. Er war zu sehr von der Freude erfüllt, in solch eleganter Umgebung mit Lola zusammenzusein, um ein Interesse an irgend etwas außer sich selbst und dem unmittelbaren Objekt seiner Zärtlichkeit zu nehmen.

»Du machst dich lächerlich, Ray, halb Scotland Yard ist hier und beobachtet dich«, warnte Lola.

Er blickte um sich und schien zum ersten Male zu bemerken, daß sie nicht allein waren. Ihm gegenüber saß Dick, der ihn ernsthaft betrachtete, und dieser Anblick und das Bewußtsein des Beobachtetwerdens machten ihn irrsinnig vor Zorn.

Er sprang auf, lief über das Parkett hin, stieß mit den tanzenden Paaren zusammen und stolperte mehrmals, bis er vor Dick stand.

»Suchen Sie mich?« fragte er laut. »Brauchen Sie mich vielleicht?«

Dick schüttelte den Kopf.

»Sie verfluchter Polizeispitzel, hetzen Sie Ihre Bluthunde auf mich?« tobte der Jüngling blaß vor Wut. »Johnson, was machen denn Sie bei der Bande? Sind Sie vielleicht auch Polizeispion geworden?«

»Aber lieber Ray«, murmelte Johnson.

»Lieber Ray!« spottete der andere. »Sie sind ja eifersüchtig, Sie armer Hund! Eifersüchtig, weil ich aus den Klauen Ihres Blutsaugers entkommen bin! Aber Sie . . .!« Er fuchtelte mit geballter Faust vor Dicks Gesicht umher. »Sie werden mich in Ruhe lassen, Sie! Suchen Sie sich eine andere Beschäftigung, als meiner Schwester Geschichten über mich zu erzählen!«

»Ich glaube, Sie sollten lieber zu Ihren Freunden zurückkehren«, sagte Dick, »oder besser noch, Sie gehen nach Hause.«

All dies hatte sich während einer Tanzpause abgespielt, jetzt fiel das Orchester von neuem ein. Aber die Anteilnahme des überfüllten Klubsaales verringerte sich keineswegs, obwohl Rays hohe Stimme die Trommeln nicht zu übertönen vermochte.

Dick war dessen sicher, daß der Direktor oder einer der Diener des Klubs sogleich intervenieren würde. Der Oberkellner kam auch sofort herbei, um Ray zurückzudrängen. An allen Tischen war man aufgestanden und sah mit langgestreckten Hälsen nach dem zornigen jungen Mann, der sich wütend gegen die beschwichtigenden Kellner wehrte.

So sah niemand den Fremden, der eine ganze Weile die Vorgänge beobachtet hatte, bevor er, die Zuschauer beiseite schiebend, in die Mitte des Saales kam. Der grauhaarige Mann stach in seinem abgetragenen Tweedanzug auffallend von der elegant gekleideten Menge ab. Er stand, die Hände auf dem Rücken, mit leichenblassem, ernstem Gesicht da und betrachtete Ray, der im Augenblick fast nüchtern wurde, als er seinen Vater erkannte.

»Ich muß dich sprechen, Ray«, sagte John Bennett einfach. Sie standen allein inmitten eines großen Zuschauerkreises, der vor ihnen zurückgewichen war. Die Musik wurde abgebrochen, als habe der Dirigent ein Zeichen empfangen.

»Komm mit mir nach Horsham, Junge.«

»Ich geh' nicht!« sagte Ray störrisch.

»Gehen Sie mit Ihrem Vater, Ray.« Johnson legte die Hand eine Sekunde lang auf des jungen Mannes Schulter. Ray schüttelte ihn ab.

»Ich bleibe hier!« sagte er, und seine Stimme klang laut und trotzig. »Du hast kein Recht, hierherzukommen, Vater, und mich lächerlich zu machen.« Er blitzte seinen Vater zornig an. »Du hast mich in all diesen Jahren niedergehalten und mir das Geld verweigert, um das ich dich bat. Und jetzt erlaubst du dir, darüber entsetzt zu sein, daß ich mich in einem anständigen Klub befinde und anständig gekleidet bin. Mit mir ist alles in Ordnung. Kannst du das auch von dir sagen? Und selbst wenn nicht alles bei mir in Ordnung wäre, könntest du mich dann tadeln?«

»Komm fort von hier.« John Bennetts Stimme klang heiser.

»Ich bleibe!« sagte Ray heftig. »Und in Zukunft wirst du mich in Frieden lassen. Der Bruch hat einmal kommen müssen, und es ist gut, daß er gekommen ist.«

Vater und Sohn standen einander gegenüber, und in John Bennetts müden Augen lag ein Blick grenzenloser Trauer.

»Komm mit mir«, sagte er bittend.

Da sah Ray Lolas Gesicht, sah das unterdrückte Lächeln um ihre Lippen, und seine verletzte Eitelkeit machte ihn rasend.

Mit einem Wutschrei brach er los. Der Schlag, der den alten Bennett traf, ließ ihn wanken, aber er fiel nicht. Er sah seinen Sohn lange an, dann senkte er den Kopf und ließ sich wortlos von Dick hinwegführen.

Ray Bennett stand vor Schrecken gelähmt da, sprachlos.

Die Musik begann schmetternd, dudelnd, quietschend von neuem, und Lew Brady holte Ray an den Tisch zurück, wo er reglos, den Kopf in die Hand gestützt und vor sich hinstarrend, sitzen blieb.

Lola bestellte Champagner.


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