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John Bennett kam aus seinem Holzschuppen, den er zur Dunkelkammer umgewandelt hatte, und in jeder Hand trug er eine flache, viereckige Kassette. »Ella, ich bitte dich, sprich jetzt nicht zu mir«, sagte er, »oder ich werde diese zwei verwünschten Dinger verwechseln. Das da«, er schüttelte seine rechte Hand, »ist eine Forellenaufnahme und eine wirklich wunderschöne Aufnahme!« sagte er begeistert. »Der Mann, der die Forellenfarm leitet, hat sie mich durch die Glasseite des Behälters machen lassen, und es war ein wunderbar sonniger Tag.«
»Und die andere, Papa?« fragte Ella.
»Ach, das ist die verdorbene«, sagte er bedauernd.
»Dreihundert Meter guter Film sind verdorben. Vielleicht habe ich zufällig auch ein Bild mit aufgenommen, aber ich kann es nicht riskieren, sie auf jeden Fall entwickeln zu lassen. Ich will sie aufheben, und eines Tages, wenn ich Geld habe, werde ich mir das Vergnügen leisten, meine Neugierde zu befriedigen.«
Er trug beide Kassetten ins Haus und war im Begriff, die kennzeichnenden Etiketten zu schreiben, als Dick Gordons fröhliche Stimme unter dem Fenster erklang. Er stand hastig auf und ging zu ihm hinaus.
»Nun, Hauptmann, wie steht es?« fragte er.
»Ich hab's bekommen!« rief Dick feierlich und schwang einen Briefumschlag in die Luft. »Sie sind der erste Kinophotograph, der die Erlaubnis hat, im Zoologischen Garten Aufnahmen zu machen, aber ich mußte vor den hohen Herrschaften meinen Kotau machen, um mir die Erlaubnis zu erwirken.«
Bennetts blasses Gesicht rötete sich vor Vergnügen. »Das ist ja großartig!« sagte er.
»Es sind noch niemals Aufnahmen vom Zoo gemacht worden, und Selinski hat mir eine fabelhafte Summe versprochen, falls ich ihm den Film bringe.«
Ella erinnerte sich nicht, ihren Vater je lächeln gesehen zu haben.
»Die fabelhafte Summe ist bereits in Ihrer Tasche, Herr Bennett«, lachte Dick.
»Es war sehr nett, sich für mich zu verwenden, Herr Hauptmann.«
»Ich habe ja gewußt, daß Sie sich für Tierphotographien so sehr interessieren.«
John Bennett ging mit leichterem Herzen zu seinem Pult zurück als an so manchem Tag.
Er schrieb die Zettel fertig, befeuchtete den Klebstoff und zögerte. Dann stand er auf und ging in den Garten.
»Ella, erinnerst du dich, in welcher von den zwei Kassetten der Film mit den Forellen war?«
»In der rechten Hand, Papa«, sagte sie.
»Das habe ich mir auch gedacht«, sagte er und ging, um seine Arbeit zu vollenden. Aber als er die Schildchen aufgeklebt hatte, kam ihm ein neuer Zweifel. Er besann sich nicht mehr, an welcher Seite des Tischchens er gestanden hatte, als er die Kästchen niederstellte. Dann begann er mit einem Achselzucken die Forellenaufnahme einzupacken, und die beiden jungen Leute sahen, wie er, das Kästchen unter dem Arm, zum Dorfpostamt ging.
»Noch keine Nachricht von Ray?« fragte Dick. Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Was meint Ihr Vater?«
»Er spricht nie von ihm, und ich habe auch die Tatsache ihm gegenüber nicht erwähnt, daß seit Rays letztem Brief so lange Zeit vergangen ist.« Sie schlenderten durch den Garten hin, nach dem kleinen Häuschen, das John Bennett erbaut hatte, als Ray noch ein Schuljunge war. »Und haben Sie nichts von ihm gehört?« fragte sie. »Ich denke Sie mir immer mit einer Allwissenheit ausgestattet, die Sie vielleicht gar nicht besitzen. Haben Sie den Mann noch nicht gefunden, der Herrn Maitland erschossen hat?«
»Nein«, sagte Dick. »Aber ich würde wahrhaftig wünschen, daß ich allwissend wäre. Ich habe in all diesen Tagen immer wieder nur an dies eine gedacht . . .«
Sie hob fragend den Blick, aber sie senkte ihn sogleich wieder. Eine tiefe Röte schoß über ihre blassen Wangen, und in ihre schöne Stimme trat ein zu beherrschendes Zittern.
»Woran haben Sie gedacht, Hauptmann Gordon?«
»An dich«, sagte Dick. »Nur an dich. Ob du mich liebst wie ich dich und ob du meine Frau werden willst?«
John Bennett wartete an jenem Tag lange auf seinen Lunch. Er ging hinaus, um zu sehen, wo seine Tochter blieb, da traf er Dick, und in kurzen Worten sagte ihm dieser alles. Er sah den Schmerz auf des alten Mannes Zügen und sagte, indem er die Hand auf dessen breite Schulter legte: »Ella hat sich mir angelobt und wird ihr Versprechen nicht mehr zurücknehmen, was immer auch geschieht, was immer sie auch erfährt.«
John Bennett erhob seinen Blick zu Dicks Antlitz.
»Aber Sie, werden Sie Ihr Versprechen nicht zurücknehmen, was immer Sie auch erfahren mögen?«
»Ich weiß«, sagte Dick einfach.
Ella Bennett ging an jenem Tag wie auf Wolken. Eine wunderbare Sicherheit war über sie gekommen, die alle Zweifel und Befürchtungen verbannte. Ihr Vater ging nach Dorking hinüber, und als er zurückkam, hatte sein Gesicht jenen gequälten Ausdruck, der sie tief in der Seele schmerzte.
»Ich werde wieder in die Stadt fahren müssen, Liebling«, sagte er. »Es hat seit zwei Tagen ein Brief auf mich gewartet. Ich bin von meinen Aufnahmen so in Anspruch genommen gewesen, daß ich beinahe meine anderen Verpflichtungen vergessen hätte.«
Der Vater suchte sie nicht mehr im Garten auf, um sie zum Abschied zu küssen, und als sie ins Haus zurückkehrte, war er in solcher Eile aufgebrochen, daß er nicht einmal seinen Apparat mitgenommen hatte.
Ella fürchtete das Alleinsein nicht, da sie auch schon in der Zeit, als Ray noch im Haus wohnte, viele Nächte hatte einsam verbringen müssen.
Sie bereitete den Tee und begann einen langen, glücklichen Brief an Dick zu schreiben. Etwa hundert Meter von der Straße entfernt war ein Postkasten angebracht. Ella entschloß sich, den Brief sogleich aufzugeben. Es war eine schöne Nacht, und die Leute standen vor ihren Haustüren und schwatzten, als sie vorüberging. Sie warf den Brief in den Kasten, kam in das Haus zurück, versperrte und verriegelte das Tor und setzte sich mit ihrem Arbeitskorb nieder, um die Stunde bis zum Schlafengehen auszufüllen.
Während sie nähte, kehrten ihre Gedanken immer wieder zu Ray zurück.
Die einzige Beleuchtung des gemütlichen Speisezimmers war eine mit einem Lampenschirm bedeckte Petroleumlampe, die auf dem Tisch neben ihr stand und ihr genügend Licht zur Arbeit gab. Außerhalb ihres Lichtkreises lag alles im Dunkeln. Ella hatte soeben die Socken ihres Vaters fertiggestopft, und stach mit einem glücklichen Seufzer die Nadel in das Polster, als ihr Blick die Tür streifte, die in die Küche führte.
Sie hatte sie vorhin geschlossen. Aber nun öffnete sie sich langsam, Zoll für Zoll.
Einen Augenblick saß Ella starr vor Schrecken da, ehe sie auf die Füße sprang.
»Wer ist da?« rief sie.
Da erschien im dunklen Türrahmen eine Gestalt, deren bloßer Anblick den Schrei in ihrer Kehle erstickte. Sie schien riesengroß in dem engen schwarzen Mantel, den sie trug. Gesicht und Kopf waren hinter einer scheußlichen Maske von Gummi und Glimmer verborgen. Das Lampenlicht reflektierte auf den großen Augengläsern und erfüllte sie mit unheimlichem Feuer.
»Schrei nicht und rühr dich nicht!« sagte der Maskierte, und die Stimme klang hohl und weit entfernt. »Ich werde dir nichts tun.«
»Wer sind Sie?« stammelte Ella.
»Ich bin der Frosch«, sagte der Fremde. Für die Dauer einer Ewigkeit stand sie hilflos, jeder Bewegung unfähig. Er begann von neuem zu sprechen. »Wie viele Männer lieben dich, Ella Bennett?« fragte er. »Gordon und Johnson und der Frosch, und der liebt dich am meisten.«
Er machte eine Pause, als erwarte er ihre Antwort, aber sie war nicht imstande, zu sprechen.
»Die Männer arbeiten für das Weib, und sie morden für das Weib, und hinter allem, was sie tun, ob es ehrlich oder unehrlich sein mag, steht ein Weib«, sagte der Frosch. »Das Weib bist du für mich, Ella.«
»Aber wer sind Sie?« versuchte sie zu fragen,
»Ich bin der Frosch«, wiederholte er, »und du wirst meinen Namen erfahren, wenn du selbst ihn von mir empfangen hast. Ich will dich besitzen.« Er hob die Hand, als er das Entsetzen in ihrem Antlitz aufsteigen sah. »Und du wirst freiwillig zu mir kommen!«
»Sie sind wahnsinnig!« rief sie. »Ich kenne Sie nicht. Wie kann ich, ach, es ist sinnlos, nur daran zu denken . . . Bitte gehen Sie!«
»Ich werde gehen«, sagte der Frosch, »willst du mich heiraten, Ella?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Willst du mein Weib werden, Ella?« fragte er nochmals.
»Nein!« Sie hatte ihre Ruhe und auch ein wenig Selbstbeherrschung wiedergewonnen.
»Ich will dir alles schenken, was du . . .«
»Und wenn Sie mir alles Gold der Erde geben würden, ich würde Sie nicht heiraten!« sagte sie.
»Ich will dir noch etwas viel Kostbareres schenken«, seine Stimme wurde sanfter, fast unhörbar. »Ich will dir ein Menschenleben schenken.«
Sie dachte, daß er von Dick Gordon spräche.
»Ich will dir das Leben deines Bruders schenken.«
Eine Sekunde lang drehte sich das ganze Zimmer im Kreis um sie, und ihre Hand tastete nach einem Stuhl.
»Was meinen Sie?« fragte sie.
»Ich will dir das Leben deines Bruders geben, der im Gefängnis von Gloucester zum Tode verurteilt sitzt«, sagte der Frosch.
Mit äußerster Anstrengung klammerte sie sich an den Stuhl an.
»Mein Bruder?« fragte sie stammelnd.
»Heute ist Montag«, sagte der Frosch. »Und am Mittwoch stirbt er! Gib mir dein Wort, daß du kommst, wenn ich dich rufe, und ich werde ihn retten.«
»Was hat er verbrochen?«
»Er hat Lew Brady getötet.«
»Brady?« keuchte sie. Der Frosch nickte.
»Das ist nicht wahr!« brachte sie hervor. »Sie sagen das nur, um mich zu erschrecken.«
»Willst du mein Weib werden?« fragte er.
»Nie! Nie!« schrie sie. »Eher sterben! Sie haben gelogen!«
»Wenn du meiner bedarfst, so rufe mich«, sagte der Frosch.
»Stelle eine weiße Karte in dein Fenster, und ich werde deinen Bruder retten.«
Sie lag vornüber auf den Tisch geworfen, den Kopf auf ihren verschränkten Armen.
»Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr!« schluchzte sie.
Es kam keine Antwort, und als sie aufsah, war das Zimmer leer. Sie wankte in die Küche hinaus. Die Tür, die in den Garten ging, stand weit offen. Sie lauschte ins Dunkel, aber sie vernahm keinen Schritt. Sie hatte noch die Kraft, die Tür zu verriegeln und sich in ihr Zimmer hinauf und zu ihrem Bett zu schleppen, dann fiel sie in Ohnmacht.
Das Tageslicht schien durch das Fenster, als sie zur Besinnung kam. Alle Glieder schmerzten sie, ihre Augen waren rot vom Weinen, ihr Kopf wirbelte. Aber sie fühlte sich wohler und überblickte ihr Abenteuer ruhigeren Blutes. Es war nicht wahr, konnte nicht wahr sein. Der Mann hatte sie nur erschrecken wollen.
Sie zog sich in Hast an und eilte in die Stadt, um den Frühzug zu erreichen. So viele Gedanken ihr Hirn auch durchkreuzten, so erwog sie doch keinen Augenblick lang die Übergabe, und nicht ein einziges Mal sah sie nach dem Fenster, in das eine weiße Karte hätte gelegt werden können, um das Leben ihres Bruders zu retten.
Dick und Elk saßen gerade beim Frühstück, als sie eintrat, und der erste Blick sagte ihnen, daß sie schlechte Nachrichten brachte.
»Gehen Sie nicht, Herr Elk!« sagte sie, als der Inspektor seinen Sessel zurückschob. »Sie müssen alles erfahren.«
So kurz sie es vermochte, schilderte sie die Ereignisse der vergangenen Nacht, und Dick lauschte mit aufsteigendem Zorn.
»Ray zum Tode verurteilt?« fragte er ungläubig.
»Das ist nicht wahr!«
»Wo sagten Sie, daß sich Ray befindet?« fragte Elk.
»Im Gefängnis von Gloucester.«
In Gegenwart ihrer beiden Freunde schmolz Ellas Beherrschung dahin, und sie kämpfte mit den aufsteigenden Tränen.
»Gloucester?« wiederholte Elk langsam. »Es sitzt dort ein zum Tode Verurteilter, ein Mann namens . . . namens . . .« Er strengte sich an, um sich zu erinnern. »Carter«, sagte er schließlich.
»Richtig, Carter, ein Vagabund, er hat einen andern Stromer mit Namen Phenan ermordet.«
»Natürlich hat das nichts mit Ray zu tun«, sagte Dick und drückte Ellas Hand. »Dieser Unmensch hat dich nur erschrecken wollen. Wann sollte diese Hinrichtung stattfinden?«
»Morgen!« schluchzte Ella. Nun, da die Notwendigkeit der Selbstbeherrschung fehlte, schien sie die letzte Grenze ihrer Kraft erreicht zu haben.
»Mein Liebling, weine noch nicht, Ray ist wahrscheinlich auf dem Kontinent«, tröstete sie Dick. Und als die Unterredung bei diesem Punkt angelangt war, hielt es Elk für angemessen und zartfühlend, sich leise hinwegzustehlen.
Elk war nicht ganz so fest wie Gordon davon überzeugt, daß der Frosch nur einen Streich hatte spielen wollen. Er war kaum in seinem Büro angelangt, als er seinem neuen Beamten klingelte.
»Rekord«, befahl er kurz. »Alle Details über einen Mann namens Carter, im Gefängnis zu Gloucester zum Tode verurteilt. Photographie, Fingerabdrücke und das Protokoll über das Verbrechen.« Nach zehn Minuten kam der Beamte mit einer kleinen Mappe zurück.
»Wir haben noch keine Photographie bekommen«, sagte er. »In Mordfällen bekommen wir die vollen Berichte der Landpolizei erst nach der Hinrichtung.« Elk verfluchte die Landpolizei mit ungewohnter Geläufigkeit und machte sich an die Durchsicht der Papiere. Diese hatten ihm wenig oder nichts zu sagen. Die Höhe und das Gewicht des Mannes schätzte er beiläufig als übereinstimmend mit dem von Ray ein. Kennzeichen waren nicht angegeben, nur die Bemerkung »leichter Bart«.
Elk fuhr auf. »Leichter Bart?« Ray Bennett hatte sich doch aus irgendeinem Grunde einen Bart wachsen lassen? »Ach was!« sagte er laut und warf die Fingerabdruckskarte auf das Pult, »es ist unmöglich!« Es war unmöglich und dennoch . . . Er zog die Telegrammformulare heran und schrieb eine Depesche:
›Direktor S. M. Gefängnis Gloucester, sehr dringend. Schickt mit besonderem Boten Photographie von James Carter, unter Mordanklage in Ihrem Gefängnis. An Polizeidirektion, Berichtabteilung. Bote mit dem ersten Zug fortzusenden. Sehr dringend!‹
Er nahm sich die Freiheit, dies mit dem Namen des Polizeipräsidenten zu unterzeichnen. Nachdem das Telegramm abgesandt war, kehrte er wieder zur Untersuchung der Personalbeschreibungstabelle zurück. Und plötzlich entdeckte er eine Bemerkung, die er früher übersehen hatte: »Impfnarben am rechten Unterarm.« Das war ungewöhnlich. Die meisten Leute waren am linken Oberarm geimpft. Er zeichnete dies an und kehrte zu der Arbeit, die seiner wartete, zurück.
Mittags kam eine Antwortdepesche von Gloucester mit der Mitteilung, daß die Photographie auf dem Wege sei. Dies zumindest war befriedigend. Aber wenn sie erwies, daß es Ray war, was sollte man dann beginnen? In seinem Herzen betete Elk inständig, daß der Frosch sie belogen hatte.
Gerade vor ein Uhr rief Dick ihn an und lud ihn ein, mit Ella und ihm im Autoklub zu Mittag zu speisen. Es war dies eine Einladung, die Elk unter allen Umständen angenommen haben würde, denn er liebte es höchlichst, anderer Leute Klubs zu besuchen.
Als er ankam (ungewöhnlich pünktlich sogar), fand er das Mädchen in einer sicheren und fast fröhlichen Stimmung. Und sein rasches Auge entdeckte an ihrem Finger einen Ring von überraschender Schönheit, den er früher an ihr nie gesehen hatte.
Dick Gordon hatte von seinem freien Nachmittag guten Gebrauch gemacht.
»Ich fürchte, Elk, daß ich meine Arbeit vernachlässige«, sagte Dick, nachdem er die beiden in das fürstlich ausgestattete Speisezimmer des Autoklubs geführt, ein Kissen für den Rücken des Mädchens gesucht und ihren Stuhl genau dorthin gestellt hatte, wo er am bequemsten stand. »Aber ich vermute, Elk, Sie haben den Vormittag verbracht, ohne meine Abwesenheit zu hart zu empfinden.«
»Sicherlich habe ich das«, sagte Elk. »Es war ein sehr interessanter Vormittag. Im Ostende von London grassieren wieder die Blattern«, fuhr er fort, »und ich habe in der Direktion davon gehört, daß eine Neuimpfung des ganzen Personals durchgeführt werden soll. Wenn es etwas gibt, was ich nicht leiden mag, so ist es diese Impferei. Ich finde, ich in meinem Alter sollte schon gegen jeden Bazillus immun sein, der zufällig in der Welt umherspaziert.«
Ella lächelte. »Armer Herr Elk, da fühle ich mit Ihnen. Als Ray und ich, vor ungefähr fünf Jahren, während der großen Epidemie, geimpft wurden, ist es uns schrecklich arg ergangen. Aber bei mir war es noch lange nicht so arg wie bei Ray. Er mußte fast zwei Wochen den Arm in der Schlinge tragen.«
Sie zog den Ärmel ihrer Bluse hinauf und wies auf drei winzige Narben auf der Unterseite des rechten Arms.
»Der Doktor sagte, er will uns dort impfen, wo man es nicht so stark bemerkt. War das nicht eine gute Idee?«
»Ja«, sagte Elk langsam. »Und Ihr Bruder ist genau auf derselben Stelle geimpft worden?«
Sie nickte und fragte bestürzt: »Was haben Sie, Herr Elk?«
»Ach, ich habe so einen Olivenkern verschluckt«, sagte Elk. »Ich verstehe nicht, warum nicht irgend jemand endlich anfängt, Oliven ohne Kerne zu ziehen.« Er sah angelegentlich zum Fenster hinaus. »Na, Sie haben sich einen netten Tag für Ihren Besuch ausgesucht, Fräulein Bennett.« Und er begann mit einem ausschweifenden und langatmigen Verdammungsurteil über das englische Klima.
Es schien Elk Stunden zu währen, bis die Mahlzeit endlich beendet war.
Ella sollte nach Gordons Haus zurückfahren, um die Kataloge anzusehen, die Dick telefonisch nach Harley Terrace bestellt hatte.
»Wollen Sie nicht ins Büro kommen?« fragte Elk.
»Ungern! Halten Sie es denn für nötig?« forschte Dick.
»Ich möchte Sie zehn Minuten lang sprechen«, näselte Elk. »Vielleicht auch eine Viertelstunde.«
»Kommen Sie in den Klub zurück.«
»Ja, richtig, daran dachte ich gar nicht«, sagte Elk.
»Vielleicht gibt es hier einen Damensalon? Ich erinnere mich, einen gesehen zu haben, als ich durch die Marmorhalle ging, und Fräulein Bennett wird nichts dagegen haben?«
»Aber gewiß nicht«, sagte Ella. »Wenn ich im Weg bin, so bin ich gerne bereit, alles zu tun, was Sie nur wünschen. Führe mich in den Damensalon.«
Als Dick zurückkam, saß der Detektiv rauchend da, die Ellenbogen auf dem Tisch, die braunen, mageren Hände unter dem Kinn gefaltet, und prüfte mit den Augen eines Kenners die wunderschön geschnitzte Zimmerdecke.
»Worum handelt es sich, Elk?« fragte Gordon und setzte sich auf den Stuhl neben ihm.
Elks Blicke verließen die Decke und hefteten sich auf Dicks Gesicht.
»Der Mann, der zum Tode verurteilt wurde, ist Ray Bennett«, sagte er.