Edgar Wallace
Die gelbe Schlange
Edgar Wallace

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13

Clifford hörte die Tritte nackter Füße auf den Treppenstufen. Sofort wandte er sich mit erhobener Pistole um.

»Rufen Sie Ihre Hunde zurück, Fing-Su!« rief er.

Der andere zögerte einen Augenblick, aber dann zischte er etwas mit einem scharfen Unterton. Das Rascheln hörte auf. Aber als Clifford in die Türöffnung nach unten sah, blitzte eine bloße Klinge auf. Er lächelte.

»Nun zum Ausgang, mein Freund«, rief er. Dabei faßte er den Arm Fing-Sus mit eisernem Griff und führte ihn nach der Mauer, in der sich das Tor befand.

»Mein lieber Mr. Lynne« – sagte der Chinese vorwurfsvoll – »warum in aller Welt haben Sie mir denn nicht einen kurzen Brief geschrieben, wenn Sie unseren Logenraum sehen wollten? Es wäre mir ein großes Vergnügen gewesen, Ihnen das ganze Anwesen zu zeigen. So haben sich diese armen Leute natürlich eingebildet, daß ein Dieb eingebrochen sei – denn wie Sie sich selbst überzeugt haben, befindet sich eine Menge wertvoller Dinge in der Halle der ›Freudigen Hände‹. Ich hätte es mir in der Tat niemals verziehen, wenn Ihnen irgend etwas zugestoßen wäre.«

Der Europäer antwortete nicht, alle seine Sinne waren aufs äußerste angespannt. Seine Blicke tasteten bald zur linken, bald zur rechten Seite ab. Er wußte genau, daß die ganzen Höfe voll von bewaffneten Leuten steckten. Er brauchte Fing-Su nur einen Augenblick von seiner Seite zu lassen, und es war um sein Leben geschehen.

Offenbar dachte Fing-Su dasselbe.

»Ich habe nie gewußt, daß Sie nervös wären, Lynne«, sagte er.

»Mr. Lynne«, verbesserte ihn der andere mit Nachdruck. Sein Gefangener schluckte.

Als sie nahe an das Tor der Mauer gekommen waren, zog Clifford seine Taschenlampe. Das Gelände fiel leicht nach dem Ausgang zu ab. Jetzt drückte er zum erstenmal auf den Lichtknopf. Er hatte dabei keinen Hintergedanken, er wollte nur den Weg beleuchten. Das Licht beschien für eine Sekunde das Tor, und dann wanderten die Strahlen nach rechts. Ein langes Dach, das an der Wand entlang lief, dehnte sich in einer Höhe von sechs Fuß über der Erde, so weit die Mauer reichte. In diesem Augenblick entdeckte Clifford, was er vermutet hatte. Eine lange Reihe von Fahrgestellen stand dicht gedrängt in dem mit Schiefer gedeckten Schuppen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde konnte er die dunklen, grauen Räder sehen, dann wurde ihm die Lampe aus der Hand geschlagen.

»Bitte entschuldigen Sie«, sagte Fing-Su. »Es ist wirklich nur aus Versehen geschehen.« Der Chinese bückte sich, hob die Lampe auf und gab sie ihm zurück. »Es wäre mir lieber gewesen, Sie hätten kein Licht gemacht. Denn es ist mir sehr unangenehm, daß meine Leute beobachten konnten, daß ein Fremder die ›Halle des Geheimnisses‹ gesehen hat. Mr. Lynne, Sie wissen ganz genau, daß dieses Volk sehr erregbar ist und die Fremden haßt. Um es gerade heraus zu sagen, ich bin in großer Sorge, daß ich Sie hier wieder heil herausbringe, ohne daß Ihnen etwas zustößt. Wenn Sie das Licht anmachen, geben Sie den Leuten doch direkt ein Ziel.«

Clifford Lynne antwortete nicht darauf. Sie hatten das Tor erreicht. Fing-Su ging voraus, schloß auf und öffnete die Türe weit. Lynne entfernte sich rückwärts gehend, mit erhobener Pistole.

»Ich möchte Sie warnen«, sagte er zuletzt. »Meine Worte können Ihnen sehr nützlich sein. Sie haben mehr Geld als irgendein anderer Chinese. Gehen Sie doch in Ihre Heimat zurück, brauchen Sie Ihre Reichtümer, um Ihr Vaterland zu heben, und denken Sie nicht mehr an diese phantastischen Träume von Kaiserherrschaft!«

Er vernahm ein ruhiges, selbstbewußtes Lachen und wußte, daß seine Worte vergeblich waren. Das Tor wurde leise hinter ihm zugedrückt, und er hörte, wie der Schlüssel umgedreht wurde. Schnell wandte er sich dem Kanalufer zu, indem er mit der Taschenlampe leuchtete. Still und verlassen lag der Platz da. Er eilte den Weg am Ufer entlang, den er gekommen war. Er zweifelte nicht daran, daß er noch schwer zu kämpfen haben würde, um sicher zu entkommen, wenn es Mr. Grahame St. Clay so gefallen sollte. Noch lief er auf Strümpfen. Ungefähr zwölf Meter vom Haupttor der Fabrik machte er Halt. Das Geräusch der Türangeln zog seinen Blick nach der Richtung. Das Tor tat sich auf.

Sofort ließ er sich auf die Uferbefestigung nieder. Eine Reihe unheimlicher Gestalten strömte heraus. Ohne zu zögern, steckte er seine Pistole in die Tasche und glitt geräuschlos in das Wasser hinab. Vorsichtig schwamm er zum jenseitigen Ufer, in der Richtung auf einen Leichter, der dort festgemacht war. Das Wasser war schmierig und roch ölig, aber er achtete nicht darauf. Es war jedenfalls lange nicht so unangenehm, als wenn er in die Hände der Chinesen gefallen wäre.

Jetzt hatte er das Boot erreicht und hielt sich an einer Kette fest. Schweigend schwang er sich auf das Deck eines Kohlenbootes. Mit ein paar Schritten war er auf der Werft. Irgendwo im Dunkeln heulte ein Hund, vom jenseitigen Ufer hörte er die erregten Stimmen seiner Verfolger. Sie hatten ihn verfehlt und vermuteten jetzt, auf welche Weise er entkommen war.

Er nahm seinen Weg quer durch die Werft, auf der Kisten und Waren umherstanden. Schließlich kam er an ein hohes, hölzernes Tor. Als er darüber klettern wollte, bemerkte er, daß es oben mit einem Rande scharfer, rostiger Spitzen geschützt war, so daß er es nicht übersteigen konnte. Er suchte nach der Türe für Fußgänger. Entschlossen drückte er die Klinke herunter, und mit einem Seufzer der Erleichterung sah er, daß das Tor nachgab.

Aber die Gefahr war noch nicht vorüber, wie er erst jetzt gewahr wurde. Als er durch dieses Labyrinth von engen Gassen lief, erreichte er eine schmutzige Straße, die nur schwach durch trübe Laternen erleuchtet war. Er war ein paar Schritte gegangen, als an dem anderen entfernten Ende das düstere Licht eines Autos auftauchte. Sofort versteckte er sich hinter einem großen Holzstapel. Der Wagen fuhr langsam vorwärts, und er konnte sehen, wie ein Mann, der an der Seite des Fahrers saß, die Straße rechts und links mit einer starken Handlampe absuchte. Der Wagen kam näher. Einige Schritte vor seinem Versteck hielt der Fahrer an. Er hörte das zischende Gewisper, das er so gut kannte. Er stand ganz still, die triefende Pistole in der Hand – aber der Wagen fuhr vorbei, und er lief den Weg zurück, den er gekommen war, erreichte die Kanalbrücke ohne Unfall und sah zu seiner großen Befriedigung zwei Polizisten, die hier auf und ab gingen. Einer richtete seine Lampe auf ihn, als er vorüberging.

»Hallo, Freund, im Wasser gewesen?«

»Ja, ich bin hineingefallen«, sagte Clifford. Ohne weitere Erklärung ging er weiter.

Am Ende der Glengall Road wartete sein Wagen, und eine halbe Stunde später gönnte er sich den Luxus eines heißen Bades.

In dieser Nacht mußte er über vieles nachdenken, besonders aber über die lange Reihe der Wagengestelle, die er unter dem Dach des Schuppens gesehen hatte; er hatte sie als Batterien von Schnellfeuergeschützen erkannt und wunderte sich darüber, wozu Mr. Fing-Su sie verwenden wollte.

 


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