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Fing-Su saß mit untergeschlagenen Beinen auf einem Diwan in seinem mit übertriebener Eleganz eingerichteten Bureau. Aufdringliche orientalische Düfte stiegen aus großen Räucherbecken auf. Die Uhren der Kirchtürme von London zeigten vier Uhr. Dächer und Türme der großen Stadt hoben sich als dunkler Schattenriß gegen die frühe Morgendämmerung ab.
Um diese Stunde gaben die Großen in China ihre Audienzen. Fing-Su saß da in einem mit reicher Stickerei überladenen Gewande, in seidenen Beinkleidern und Schuhen, deren Sohlen mit weichem Filz gepolstert waren. Auf seinem Kopfe trug er die Zeichen eines Ranges und Titels, die ihm nicht zustanden.
Zwischen den Lippen hielt er eine lange, starke Pfeife mit einem mikroskopisch kleinen Kopf. Aber er rauchte kein Opium, sondern Tabak. Ein kleines Chinesenmädchen mit dicken, schweren Augenlidern saß in einer Ecke des Raumes auf den Fersen. Sie bediente ihn, in jedem Augenblick gewärtig, seine Pfeife zu stopfen, oder seine Teetasse zu füllen, die neben ihm stand. Ein ungesund aussehender Chinese saß in kauernder Haltung zu seinen Füßen. Er trug europäische Kleider, und ein steifer Filzhut lag neben ihm auf dem Fußboden. Fing-Su hob die henkellose Tasse von dem niedrigen Tisch an seiner Seite und schlürfte geräuschvoll Tee.
»Von allen Leuten in diesem üblen Lande habe ich dich ausgesucht, Li Fu«, sagte er, indem er seine Tasse niedersetzte. »Ich will dich gut bezahlen, und wenn die Sache gelingt, bekommst du noch eine große Belohnung obendrein. Dein Name wurde mir genannt wegen deiner Kühnheit, und weil du diese Stadt soviel besser kennst als ich, der ich so viele Jahre auf der Universität zugebracht habe.«
Wenn Li Fu sich bei diesem Vorschlag nicht wohl fühlte, so war in seinem pockennarbigen Gesicht doch nichts davon zu entdecken.
»Es gibt ein Gesetz in diesem Lande, das sehr hart gegen Fremde ist«, sagte er. »Nach diesem Gesetz kann man mich gefangennehmen, auf ein Schiff setzen und nach China zurückbringen. Ich war schon drei Monate in einem Gefängnis, wo keiner den andern sprechen kann. Und bedenke, Fing-Su, in China bin ich ein toter Mann. Der Tuchun von Lanchow hat einen Eid geschworen, meinen Kopf in einem Korb über dem Stadttor aufzuhängen.«
Fing-Su rauchte mit großem Genuß und sandte dicke blaue Ringe zu der dunkelroten Decke.
»Lanchow ist nicht ganz China«, sagte er. »Auch wird sich in nächster Zeit vieles ändern. Und wer weiß, ob du nicht selbst eines Tages Tuchun sein wirst? Meine Freunde werden reich belohnt werden. Du wirst Geld bekommen, aber nicht Messing-Cash, Kupfermünzen oder mexikanische Dollars, sondern Gold. Ich weiß einen Ort, wo eine Statue aus purem Golde steht . . .«
Er sprach von Urga, dem mongolischen Mekka, wo Reliquienschreine und eine große goldene Buddhafigur aus purem Golde stehen, und wo in den Kellern des »Lebenden Buddha« ein Schatz aufbewahrt wird, der so groß ist, daß man ihn nicht in einer Geldsumme ausdrücken kann.
Li Fu hörte zu, ohne daß man merkte, daß die Worte Fing-Sus Eindruck auf ihn gemacht hätten. Der Entschluß wurde ihm schwer. Auf der einen Seite drohten die dunklen Tore des Pentonville-Gefängnisses, auf der anderen Seite lockte die reiche Belohnung, die ihm soeben angeboten worden war. Er war kein armer Mann, wie die Chinesen in London es gewöhnlich sind, aber sein Landsmann hatte ihm ein großes Vermögen in Aussicht gestellt, das er sofort erwerben konnte.
»Du hast den Vorteil, daß du eine weiße Frau hast«, fuhr Fing-Su in seiner dünnen Stimme fort. »Unter diesen Umständen würde es für dich doch eine einfache Sache sein. Niemand würde es herausbringe«.«
Li Fu blickte auf.
»Warum gibst du mir diesen Auftrag? Ich bin keiner von deiner Sippe. Du hast doch Hunderte von Leuten, die dir wie Sklaven gehorchen.«
Fing-Su klopfte die Asche seiner Pfeife ab. Durch eine Handbewegung gab er zu erkennen, daß er sie nicht wieder gefüllt haben wollte. Dann lehnte er sich in seine seidenen Kissen zurück.
»Der Weise hat gesagt: ›Man muß dem Sklaven Befehle erteilen, und des Herrn Wille wird ausgeführt werden‹,« zitierte er. »Ich kann nicht hinter jedem meiner Leute stehen und sagen: ›Tue dies‹. Wenn ich sagen würde ›Li Fu hat mich beleidigt, laßt ihn sterben‹, dann würdest du sterben, weil es leicht ist, jemanden das Leben zu nehmen. Aber diesmal muß derjenige, der meine Befehle ausführen soll, klug und schlau sein, sonst verliere ich mein Gesicht.«
Li Fu überlegte sich die Sache, er drehte seine Daumen gleichmäßig umeinander. Sein flinker Geist war beschäftigt. Hier bot sich ihm ein Verdienst, der viel einträglicher war als sein Kokainschmuggel. Auf diesem Wege konnte er schneller zu Vermögen kommen als durch das Zusammenraffen von Kupfermünzen bei einem verbotenen Glücksspiel. Seine Frau, die nicht ganz weiß war, aber weiß genug, um die Rolle zu spielen, die Fing-Su ihr zudachte, hatte in der Tat schon die Räume gemietet, die ein schlimmeres Geschäft maskieren sollten als einen Putzladen.
Fing-Su wußte, daß Li Fu ein solches Ausstellungszimmer in Fitzroy Square einrichten wollte. Er kannte auch Li Fus Verbindungen, denn die Geheimnisse und das unterirdische Treiben der Chinesenkolonie wurden ihm durch den Klatsch zugetragen.
»Du wirst zuerst zahlen«, sagte Li Fu. Dann folgte wie stets ein höfliches Feilschen, denn zwei Chinesen schließen niemals ein Geschäft zu dem erstgenannten Preise ab.
Schließlich wurde Li Fu entlassen.
Der Mann, der nun aus dem kleinen Vorzimmer hereinkam, war gewöhnt, daß ihn sein Chef warten ließ. Aber die vorherige Unterredung hatte denn doch länger gedauert, als er erwartete. Major Spedwell war deshalb ermüdet und nicht in bester Stimmung.
»Nun wohl, haben Sie die Sache arrangiert?« fragte er kurz.
Fing-Su betrachtete ihn durch seine halbgeschlossenen Augenlider.
»Ja, es war unvermeidlich!« sagte er.
»Ich glaube nicht, daß Sie die junge Dame ohne großes Aufsehen in Ihre Gewalt bekommen. Wirklich nicht.« Spedwell ließ sich in einen Sessel sinken und zündete sich eine Zigarre an. »Sie spielen hier mit dem Feuer, und ich bin nicht sicher, daß wir nicht in den nächsten Stunden einen großen Skandal erleben werden«, sagte er. »Lynne war in Scotland Yard –«
»Scotland Yard –« murmelte der andere mit einem spöttischen Lächeln.
»Da gibt es nichts zu grinsen«, sagte Spedwell rasch. »Diese Hunde schnappen schnell zu, wenn sie erst einmal auf die Spur gesetzt sind! Und ich bin schon die ganzen Tage beobachtet worden.«
Fing-Su richtete sich plötzlich auf.
»Sie?«
Spedwell nickte.
»Ich dachte, daß Sie Interesse an dieser Mitteilung hätten. Und ich will Ihnen noch mehr erzählen. Miß Bray wird ebenso sicher bewacht. Leggat hat viel mehr geschadet, als wir wissen – was werden Sie mit ihm anfangen?« fragte er plötzlich.
Fing-Su zuckte seine seidenen Schultern.
»Lassen Sie ihn laufen«, sagte er gleichgültig.
Spedwell kaute an seiner Zigarre und blickte auf die weiß gestrichenen Fensterrahmen.
»Scotland Yard ist alarmiert und bereits in Tätigkeit«, sagte er mit Nachdruck. »Glauben Sie nicht, wenn wir Lynne gefangensetzen, daß er nachher alles ausplaudert?–«
»Das ist schon möglich.« Ungeduld und Ermüdung konnte man aus Fing-Sus Stimme heraushören. »Trotzdem habe ich bestimmt, daß man so mit ihm verfahren soll, wie Sie es ja wissen. Dieses Land hemmt mich in jeder Weise!« Er erhob sich und begann in dem Raume auf und ab zu gehen. »So viele Dinge würden in China viel einfacher sein! Lynne – – wo würde er sein? Man würde eines Tages einen kopflosen Körper in einer verlassenen Gegend finden – oder in eine Soldatenuniform gesteckt, würde er in irgendeinem Festungsgraben modern. – Diese Frau interessiert mich.«
Er stand still und nagte an seiner dünnen Lippe.
»Miß Bray?«
»Ja . . . Sie ist, wie ich vermute, hübsch, ja, sehr hübsch.« Er nickte. »Ich würde sie gern einmal in der Kleidung unserer Frauen sehen. Das würde schrecklich für Lynne sein, wenn er wüßte, daß sie irgendwo in China – in einem unzugänglichen Platze sich aufhielte – meine Armeen zwischen ihm und ihr –«
Spedwell erhob sich langsam. Ein häßlicher Blick war in seinem Gesicht.
»Diesen hübschen, netten Traum, den Sie sich da ausgedacht haben, können Sie ein für allemal aus Ihrem Gedächtnis streichen«, sagte er kühl. »Der jungen Dame darf nichts geschehen – nichts Derartiges!«
Fing-Su lächelte.
»Mein lieber Spedwell, wie amüsant! Was für einen sonderbar übertriebenen Wert legt ihr Engländer euren Frauen bei, daß ihr deshalb große Vermögen aufs Spiel setzt – aber ich machte ja nur Scherz. Sie gilt mir nichts. Ich würde lieber alle Frauen der Welt im Stich lassen, als Ihre Hilfe und Freundschaft verlieren.«
Aber Spedwells Argwohn war nicht so leicht zerstreut. Er wußte genau, wann und warum seine Dienste überflüssig werden würden, denn der Augenblick war nahe, wo sich Fing-Su durch einen rücksichtslosen Schritt von all diesen hindernden Einflüssen, die ihn umklammerten und nicht vorwärtskommen ließen, befreien wollte. Und er wußte genau, daß alles dazu vorbereitet war.
»Wie entwickeln sich die Dinge in China?« fragte er, um abzulenken.
»Die Stunde der Entscheidung ist nahe«, sagte der Chinese mit leiser Stimme. »Die Befehlshaber der beiden Armeen haben sich verständigt. Wei-pa-fu will von Harbin abmarschieren, und Chi-sa-lo hat seine Kräfte in unmittelbarer Nähe von Peking konzentriert. Jetzt ist es nur noch eine Geldfrage. Die Geschütze sind gelandet worden, aber ich hätte sie nicht zu senden brauchen. Munition und Ausrüstung ist alles, was Wei-pa-fu notwendig hat. Wenn ich erst einmal die Verfügung über die Reservefonds der Yünnan-Gesellschaft habe, kann ich alles sehr leicht arrangieren. Aber natürlich wollen die Generäle ihre Belohnung haben – vier Millionen würden mich zum Kaiser von China machen.«
Spedwell drehte gedankenvoll an seinem kleinen Schnurrbart.
»Und wieviel würde es kosten, daß Sie Kaiser blieben?«
Aber Fing-Su ließ sich durch diese Frage nicht beirren.
»Wenn ich erst einmal zur Macht gekommen bin, würde es schwierig sein, mich beiseite zu stoßen«, sagte er. »Wenn ich den europäischen Mächten Konzessionen garantiere, läuft ihr Interesse mit dem meinigen parallel.«
Spedwell hörte mit Verwunderung, mit welch ruhigem Vertrauen dieser Kaufmannssohn einen Thron mit Gold bezahlen wollte, den die Mings und Mandschus nur durch ihre persönliche Tüchtigkeit erworben hatten. Und während Fing-Su immer weiter sprach, wurde draußen die Welt immer lichter, und die finsteren Umrißlinien des Towers, in dem soviel aufstrebender Ehrgeiz hatte sterben müssen, verloren ihre Schrecken in der sich ausbreitenden Helligkeit des Tages.