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Von Karl Weiken
1. Zweck der Schweremessung. Dem Plane Alfred Wegeners, auf mehreren Punkten des grönländischen Inlandeises die Größe der Schwerkraft zu messen, lagen etwa folgende Überlegungen zugrunde:
Den äußersten Teil der festen Erdrinde bilden die aus dem leichtesten Gesteinmaterial unserer Erde bestehenden Kontinente. Die Kontinente schwimmen als einzelne untereinander nicht zusammenhängende Schollen in einem ebenfalls noch zur festen Erdrinde gehörenden, die ganze Erde umschließenden Mantel schwereren Gesteins, etwa so, wie Eisschollen im Wasser schwimmen. Die zwischen diesen schwimmenden Kontinentalschollen liegenden Räume der Erdoberfläche werden durch die Wassermassen der Tiefsee ausgefüllt.
In den langen geologischen Epochen hat das Antlitz unserer Erde manche Änderung erfahren. Durch seitliche Bewegungen werden die Kontinentalschollen hier zusammengestaucht, dort auseinandergerissen. Wind und Wasser werden nicht müde, große Erdmassen aus dem einen Gebiet fortzutragen, um sie an andern Stellen wieder abzulagern. Durch diese und andere Vorgänge ergeben sich für die verschiedenen Gebiete einer Kontinentalscholle immer wieder Änderungen in dem Bestande ihrer Massen und damit auch Änderungen des Gewichtes, mit dem diese Massen auf ihre Unterlage drücken.
Die Änderung des Druckes, den die Massen einer Kontinentalscholle auf den sie tragenden Untergrund ausüben, bewirkt nun wiederum einen Ausgleich der Massen. Dort, wo sich ein Überschuß an Masse gebildet hat, sinkt die Kontinentalscholle tiefer in den Untergrund ein. Massen des Untergrundes fließen dafür zur Seite ab. Umgekehrt taucht die Kontinentalscholle dort etwas auf, wo ein Massenmangel eingetreten ist. Doch diese Vorgänge des Massenausgleichs brauchen sehr viel Zeit, da die festen Gesteinmassen den jeweils überwiegenden Kräften von Druck und Auftrieb nur sehr langsam nachgeben. So sind die durch die ungeheure Eislast der letzten Eiszeit abgedrückten skandinavischen Länder heute noch – mehr als 20 000 Jahre nach Fortgang des Eises – im Aufsteigen begriffen.
Die Messung der Größe der an einem Ort der Erdoberfläche wirkenden Schwerkraft gibt uns Aufschluß darüber, ob in der Umgebung dieses Ortes die Massen der Erdrinde in einem Gleichgewichtszustande sind, ob hier – wie die Wissenschaft sagt – Isostasie herrscht oder ob dieser Gleichgewichtszustand gestört ist. Ist ein Massenüberschuß vorhanden, dann ergibt die Messung in diesem Gebiet einen größeren Wert der Schwerkraft, als der für diesen Punkt der Erdoberfläche errechnete normale Wert ist. Fehlt dagegen Masse, dann mißt man einen kleineren Wert der Schwerkraft. Die Schweremessung ist ein unentbehrliches Hilfsmittel für das Studium des geologischen Aufbaues der oberen Erdschichten.
Grönland ist eine Kontinentalscholle für sich. Das ganze Land ist bis auf einige Küstengebiete mit einer ungeheuren, mehrere Kilometer dicken Eiskappe bedeckt. Diese Eiskappe bedeckte früher auch alle heute eisfreien Küsten und die vorgelagerten Inseln. Überall ließ das Eis deutliche Spuren zurück. Wahrscheinlich ragten nur die Spitzen der höchsten Küstenberge noch aus dem Eise heraus. Seit damals ist die Eisbedeckung Grönlands also stark zurückgegangen.
Wohin geht heute die Entwicklung des grönländischen Inlandeises? Ist es im Zurückgehen, in einem stationären Zustand oder etwa sogar im Anwachsen? Die kaum zwei Jahrhunderte alte Beobachtung der vom Inlandeis gespeisten Gletscher läßt noch kein eindeutiges Urteil zu. Von der Schweremessung erhoffen wir nun eine klare Antwort auf diese Fragen. Sie soll uns Aufschluß geben, ob das Gleichgewicht der Massen der grönländischen Kontinentalscholle nach der einen oder andern Seite hin gestört ist und welche Kräfte augenblicklich im Innern des Kontinentes wirken. Die hier zu erwartenden neuen Erkenntnisse müssen wertvolle Rückschlüsse auf die geologischen Verhältnisse der früheren Eiszeiten in andern Gebieten der Erde ermöglichen.
2. Methoden der Schweremessung. Den absoluten Betrag der Schwerkraft zu messen, ist äußerst schwierig und erfordert eine sehr langwierige und sorgfältige Arbeit, die nur in einem eigens dazu eingerichteten Laboratorium geleistet werden kann. Der genaueste absolute Schwerewert wurde im Preußischen Geodätischen Institut in Potsdam gemessen. Auf diesen Schwerewert von Potsdam werden jetzt alle Schweremessungen der Erde bezogen; bei allen wird der Wert der Schwerkraft abgeleitet aus der Schwingungszeit eines Pendels. Aus dem Unterschied der Schwingungszeiten eines beliebigen Pendels an zwei verschiedenen Orten kann man ohne weiteres den Unterschied der Schwerkraft dieser beiden Orte ableiten. Ist der Schwerewert des einen Ortes bekannt, so ist der des andern Ortes damit also auch gegeben.
Aber auch zu dieser relativen Schweremessung ist eine umfangreiche und teilweise sehr empfindliche Apparatur notwendig. Die wichtigsten Teile des Schweregerätes sind die Pendel selbst. Auf der Expedition benutzte ich vier Pendel aus Invar, einer Nickel-Stahl-Legierung, die besonders unempfindlich gegen Temperaturschwankungen ist. Als Pendelstativ diente ein Vierpendelapparat. Auf seinen vier sich paarweise gegenüberliegenden Konsolen konnten alle vier Pendel gleichzeitig eingehängt werden. Jedes Pendel schwingt mit einer scharfen Achatschneide auf der blanken Achatfläche einer Konsole. Kurz über der Achatschneide tragen die Pendel kleine Spiegel. Durch elektrische Sekundenkontakte einer Präzisionsuhr werden über ein Relais in einem dem Pendelapparat gegenüber aufgebauten besonderen Gerät, dem Koinzidenzapparat, Lichtblitze ausgelöst. Diese Lichtblitze werden durch die Pendelspiegel aufgefangen und in ein auf dem Koinzidenzapparat angebrachtes Beobachtungsfernrohr geworfen.
Die Schwingungszeit der Pendel ist etwas geringer als eine halbe Sekunde, so daß die Pendel nach einer gewissen Zeit – in unserm Falle etwa 30 bis 35 Sekunden – die Sekundenschläge der Uhr um eine Pendelschwingung überholt haben. Im Fernrohr wird nun immer der Zeitpunkt beobachtet, in dem ein Sekundenblitz mit dem Durchgang des Pendels durch die Ruhelage zusammenfällt oder – wie der Fachmann sagt – eine Koinzidenz eintritt. Ein einmal angestoßenes Pendel schwingt wegen des Luftwiderstandes nur etwa zwei Stunden mit genügend großen Ausschlägen. In dieser Zeit sind etwa 200 Koinzidenzen eingetreten.
Durch diese Beobachtungsmethode wird es ermöglicht, die etwa eine halbe Sekunde betragende Schwingungszeit eines Pendels bis auf eine millionstel Sekunde genau zu messen. Da es keine Uhr gibt, deren Gang die für solche Pendelmessungen erforderliche Gleichmäßigkeit hat, hilft man sich heute in der Zeit der Funkentelegraphie, indem man den Stand der Uhr mit den besonders genauen Koinzidenz-Zeitzeichen von Nauen, Bordeaux und Rugby zu Anfang, während und zum Schluß der Messung vergleicht. Schwankungen des Uhrganges zwischen den Zeitzeichen werden durch die ununterbrochen stattfindenden Pendelmessungen selbst wieder kontrolliert.
Während der Pendelmessungen sind die Temperatur der Pendel, der Luftdruck und die Luftfeuchtigkeit ständig zu beobachten. Ihr Einfluß auf die Schwingungszeit der Pendel muß berücksichtigt werden.
Kurz vor Abgang der Expedition waren im Pendelkeller des Geodätischen Instituts in Potsdam mit dem Pendelgerät mehrere Beobachtungsreihen durchzuführen. Zunächst mußten für alle vier Pendel die Schwingungszeiten in Potsdam bestimmt werden, um damit an den bekannten Potsdamer Schwerewert anzuschließen. Durch andere Messungsreihen wurde der Einfluß der verschiedenen Temperatur- und Luftdruckverhältnisse auf die Schwingungszeit der Pendel festgestellt. Alle diese Messungen sind nach Rückkehr der Expedition zu wiederholen. Dadurch wird dann jede auf der Expedition etwa eingetretene Änderung der sehr empfindlichen Pendel festgestellt.
Eine weitere Vergleichsmessung wurde später an der Westküste Grönlands in Uvkusigsat vor Beginn und nach Beendigung der Inlandeisarbeiten vorgenommen.
3. Zweck des trigonometrischen Nivellements. Neben der Ausführung der Schweremessungen übertrug mir Alfred Wegener auch die zweite geodätische Aufgabe der Expedition: das trigonometrische Nivellement zwischen der Westküste Grönlands und der Station »Eismitte«.
Bisher sind auf dem grönländischen Inlandeis wie in vielen andern großen Gebieten der Erde die Höhen nur barometrisch gemessen worden. Die Messung des mit zunehmender Höhe abnehmenden Luftdruckes gestattet es, aus dem Luftdruckunterschied auf den Höhenunterschied zweier Punkte zu schließen. Dazu ist es aber notwendig, die Dichteverhältnisse der dazwischenliegenden Luftschichten zu kennen. Die Schwierigkeiten wachsen mit zunehmender Horizontalentfernung der zu vergleichenden Stationen. In Grönland kommen als besondere Schwierigkeiten hinzu die ungewöhnlichen Temperaturverhältnisse in den Luftschichten über dem Inlandeis und die dadurch bedingten abnormen Luftdruckverhältnisse.
Auf Grund der bisherigen Beobachtungen nahm man vielfach an, über dem grönländischen Inlandeis liege ein ständiges Hochdruckgebiet, eine Antizyklone. Über diese für die Meteorologie so wichtigen Verhältnisse wollte Alfred Wegener nun endgültig Klarheit schaffen. Auf vier Stationen der Expedition wurde über ein ganzes Jahr hin der Luftdruck mit Quecksilberbarometer und Barograph fortlaufend gemessen. Die Stationen lagen an der Westküste, auf dem westlichen Inlandeisrand in 3000 Meter Höhe, auf der Mitte des Inlandeises in 3000 Meter Höhe und an der Ostküste. Notwendig war für alle Stationen eine einwandfreie Bestimmung ihrer Höhe über dem Meeresspiegel. Für die beiden nicht an der Küste liegenden Stationen sollte das durch das trigonometrische Nivellement geschehen.
4. Methode des trigonometrischen Nivellements. Bei dem trigonometrischen Nivellement werden die Höhenunterschiede von Punkt zu Punkt durch Messung der Entfernungen und der Höhenwinkel bestimmt. Zur Winkelmessung wurde von mir ein Theodolit gewählt, der ein möglichst schnelles und ungestörtes Arbeiten auf dem Inlandeis gewährleistete.
Die größte Gefahr für eine einwandfreie Messung der Höhenwinkel lag in dem Umstand, daß über die wahrscheinlich sehr ungewöhnliche Brechung der Lichtstrahlen in den unteren Luftschichten auf dem Inlandeis bisher keinerlei Erfahrungen vorlagen. Deshalb konnte nur eine solche Methode der Messungen in Frage kommen, die es gestattet, die mit Tageszeit und Witterung stark wechselnde Strahlenbrechung ihrer jeweiligen Größe nach aus den Messungen selbst genau zu erfassen. Über alle für die Durchführung der Messungen wichtigen äußeren Bedingungen wurde ich von Alfred Wegener genauestens unterrichtet. Danach konnte ich einen Plan aufstellen, der später den jeweiligen Verhältnissen auf dem Inlandeis immer leicht angepaßt werden konnte.
Auf dem Wege zwischen Weststation und »Eismitte« wurden durch die erste Schlittenreise alle 500 Meter eine schwarze Flagge gesteckt und alle fünf Kilometer ein Schneemann mit schwarzer Stoffbespannung gebaut. Diese Flaggen und Schneemänner waren die gegebenen Marken für die Übertragung der Höhen von einem Instrumentenstandpunkt zum nächsten. Andere brauchbare Anhaltspunkte gibt es auf der gleichförmigen Schneefläche des Inlandeises nicht. Für die Durchführung der Messungen ergab sich so folgende Arbeitsweise:
Mit dem etwa ein Kilometer südlich der Route aufgestellten Instrument wurden die Höhenwinkel, die Horizontalwinkel und die magnetischen Richtungen nach allen von dort aus sichtbaren Flaggen und Schneemännern gemessen. Der nächste Standpunkt wurde immer so gewählt, daß von ihm aus noch der mit Schneemann und roter Flagge bezeichnete vorige Standpunkt und mehrere bis dahin schon eingemessene Flaggen der Route zu sehen waren. Die dadurch gegebene mehrfache Höhenübertragung, einmal direkt vom vorigen Standpunkt, dann indirekt über mehrere Routenflaggen mit verschiedenen Entfernungen, ermöglicht es, die Wirkung der Strahlenbrechung zu erkennen. Auf der ganzen Strecke von der Küste bis »Eismitte« ergaben sich nach dieser Methode etwa 200 Instrumentenstandpunkte mit durchschnittlich je 20 Zielen.
Die Messung der Horizontalwinkel zwischen den Zielen diente dazu, in Verbindung mit der Messung von nur wenigen kurzen Strecken die Lage aller Punkte zueinander und damit alle Zielentfernungen zu bestimmen. Die Entfernung der einzelnen Standpunkte voneinander wurde außerdem noch roh nach den Umdrehungen eines Meßrades ermittelt.
5. Die geodätischen Arbeiten im Sommer 1930. Schon während der Wartezeit im Mai und Juni 1930 konnte ich mit meinen Arbeiten beginnen. Zunächst führte ich an der Küste von Uvkusigsat eine Schweremessung durch. Dann bestiegen wir zu sechs Expeditionskameraden den über Uvkusigsat gelegenen Spitzberg. Nachdem ich einige Messungen ausgeführt hatte, errichteten wir dort einen 3½ Meter hohen Steinmann. Der Spitzberg als eine der vom Inlandeis aus am besten zu sehenden Landmarken ist der Hauptanschlußpunkt unserer geodätischen Messungen an die von der dänischen Landesaufnahme seit einigen Jahren betriebene Küstenvermessung.
Außer einer astronomischen Ortsbestimmung konnte ich dann mit Jülg zusammen noch einige trigonometrische und photogrammetrische Aufnahmen machen.
Während der kommenden Sommermonate wurden alle unsere Kräfte für die Transportarbeiten und die Schlittenreisen nach »Eismitte« beansprucht. Mit Hilfe meiner Kameraden gelang es mir aber trotzdem, lange Beobachtungsreihen über den mit den Gezeiten wechselnden Wasserstand im Kamarujuk-Fjord zu erhalten. Auf die mittlere Höhe des Meeresspiegels mußten ja alle meine geplanten Höhenmessungen bezogen werden.
6. Die Höhenmessung bis Scheideck. Im Oktober führte ich für Alfred Wegener eine Vermessung des Kamarujuk-Gletschers durch, zu der Wegener selbst niemals Zeit gefunden hatte. Dabei konnte ich gleichzeitig die Höhenmessung bis halbwegs nach Scheideck hinauf erledigen. Wegen dringender Transportarbeiten und wegen der Entsatzreise nach km 62 mußte ich dann abbrechen.
Erst im Januar konnte ich diese Arbeiten fortsetzen. Das recht ungemütliche Winterwetter störte zwar sehr, aber vor Beginn der Sommerarbeiten auf dem Inlandeis wollte ich doch die Messungen bis zur letzten festen Landmarke fertig haben. Wenn es nötig wurde, fand immer der eine oder andere Kamerad Zeit, mir zu helfen. Da nur wenige geeignete natürliche Festpunkte vorhanden waren, mußten etwa 15 Steinmänner oder sonstige Marken errichtet werden. So konnte ich dann, als die Tage etwas heller wurden, die Messungen bis zum Nunatak Scheideck fortsetzen und auch das einige Kilometer entfernt liegende Winterhaus einmessen. An diese Messungen schloß ich möglichst viele der vom Inlandeis aus sichtbaren Bergspitzen an.
7. Das Nivellement von km 200 bis km 38. Die ersten Frühjahrsschlittenreisen mußten dem Entsatz der Station »Eismitte« dienen. Erst nach meiner Rückkehr von »Eismitte« konnte ich mich meinen eigenen Arbeiten widmen. Vorbereitung und Beginn der Arbeiten waren um fast zwei Monate verzögert. Außerdem war der noch vorhandene Rest des mühsam beschafften Hundefutters weder ausreichend noch geeignet, damit sofort wieder nach »Eismitte« zu reisen. Neues gutes Hundefutter war frühestens im Juni zu erwarten. Wir mußten also zunächst das Nivellement auf der Außenstrecke von km 200 nach draußen durchführen.
Bei allen geodätischen Arbeiten des Jahres 1931 hat mir Jülg geholfen. Bis zur Heimfahrt im Oktober haben Jülg und ich als die »geodätische Gruppe« alle Reisen und Arbeiten gemeinsam gemacht. Am 31. Mai reisten wir zusammen mit Sorge, der mit drei Grönländern auf die Suche nach Rasmus auszog, von der Weststation ab. Auf dem Wege nach km 200 legten wir zwei Lebensmittel- und fünf Hundefutterdepots an. Am 6. Juni endlich konnten Jülg und ich bei km 200 mit der Inlandeisarbeit beginnen.
Viele Wochen zogen wir zu zweit nach Westen, immer in einem solchen Abstande südlich von der Route, daß wir ihre Flaggen noch gerade sehen konnten. Unsere gesamte Ausrüstung führten wir auf einem Hundeschlitten mit. Unser kleines Gespann von fünf kräftigen Hunden hatte gute Zeiten. Die kurzen Märsche von Standpunkt zu Standpunkt wurden immer mit großem Eifer und sehr rasch erledigt. Sie bildeten ja für die Hunde nur kleine Unterbrechungen des faulen Herumliegens während unserer Messungen.
Die Tage verliefen ziemlich gleichmäßig. Wir begannen mit der Arbeit, wenn der Morgendunst verschwand. Mit dem Theodolitfernrohr suchte ich vorsichtig den Horizont ab. Flaggen und Schneemänner erschienen nacheinander im Gesichtsfeld des Fernrohrs. Ihre Spitzen wurden genau angezielt. Meine Ablesungen am Horizontal- und Höhenkreis und an der Magnetnadel trug Jülg ins Feldbuch ein. Nebenbei beobachtete Jülg auf jedem Standpunkt Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Windrichtung und -stärke, Sonne, Bewölkung und anderes. Als Sonnenschirm zum Schutz der empfindlichen Theodolitlibellen vor der Sonnenstrahlung diente ein über zwei Skier gezogener Futtersack. Waren die Messungen auf dem Standpunkt erledigt, so marschierte Jülg als geübter Skiläufer schnell weiter und suchte den nächsten Standpunkt aus. Mit einem guten Fernglas achtete er darauf, daß der letzte Standpunkt und mehrere einen guten Anschluß gewährleistende Routenflaggen noch zu sehen waren. Inzwischen errichtete ich auf dem fertigen Standpunkt einen Schneemann mit roter Flagge, genau mit Stand und Höhe des Instrumentes übereinstimmend. Auf den Standpunkten, die eine weite Sicht nach Westen gestatteten, die wir also von Westen noch lange sehen würden, wurde die Flagge auf eine hohe Bambusstange gesteckt und auch der Schneemann höher gebaut. Dann nahm ich mit dem Schlitten geraden Kurs auf Jülg. Dadurch ergab das Meßrad die Entfernung zum nächsten Standpunkt ohne große Umwege. Diese Arbeitsteilung ermöglichte ein schnelles und sicheres Arbeiten. Am Abend, wenn die Temperatur der unteren Luftschichten stark abnahm, wurden die Fernrohrbilder sehr bewegt. Oft gab es geradezu Luftspiegelungen. Die Ziele schwankten auf und ab, die Horizontlinie bekam Zacken und Verwerfungen. Dann war es Zeit, die Messungen abzubrechen, weil sonst die starke und unregelmäßige Strahlenbrechung die Höhenwinkel sehr verfälscht hätte.
Auch im übrigen ergab sich bald eine praktische Arbeitsteilung. Während ich Schlitten und Hunde versorgte, richtete Jülg abends das Zelt ein und kochte den Pemmikan und anschließend den Tee. Dafür war es wieder meine Aufgabe, am Morgen die Hafergrütze und den Kaffee zu bereiten. Eine Zwischenmahlzeit während der Tagesarbeit hatten wir uns bald abgewöhnt. Alle Handgriffe bei den täglich wiederkehrenden Arbeiten, wie Aufbau und Abbruch des Zeltes, Auf- und Abzurren des Schlittens, klappten bald wie nach einem Exerzierreglement. Alles war auf Zeitersparnis eingestellt.
Für die 200 Kilometer lange Strecke hatten wir eine Arbeitszeit von 30 Tagen veranschlagt. Da wir mit Liegetagen rechnen mußten, erstrebten wir eine Durchschnittsleistung von täglich zehn Kilometer. Trotz des guten Wetters in den ersten zehn Tagen konnten wir diesen Durchschnitt nicht ganz erreichen. Die leichten Wellen in der Inlandeisoberfläche zwangen uns oft zu sehr kurzen Entfernungen zwischen den einzelnen Standpunkten.
In der zweiten Hälfte des Juni wurden wir durch unsichtiges Wetter sehr ausgehalten. Nebel und Schneefegen machten an manchen Tagen jede Messung unmöglich. Im Juli wurden die schlechten Tage immer häufiger. Zwischen km 62 und 80 standen nur rote Flaggen auf der Route. Durch die Sonne waren sie jetzt vollständig ausgebleicht und vom Schnee kaum mehr zu unterscheiden. Diese Strecke machte deshalb besondere Schwierigkeiten. Am 7. Juli waren wir bei km 62. Von dort konnten wir zwei von Wölckens Nordstation herausfahrenden Grönländern einen Brief an Kurt Wegener mitgeben, der inzwischen als neuer Expeditionsleiter auf der Weststation eingetroffen war.
Von km 85 ab hatten wir von fast allen Standpunkten einige besonders markante Spitzen der westlichen Randberge anvisiert. Dadurch waren unsere Messungen schon an meine früheren Messungen um Scheideck angeschlossen. Da inzwischen gutes Hundefutter in Kamarujuk eingetroffen sein mußte, waren wir entschlossen, unsere Messungen hier draußen vorläufig abzubrechen, sobald die Möglichkeit bestand, die Arbeiten jenseits von km 200 zu beginnen. Meldungen über den Stand der Reisevorbereitungen an der Weststation konnten uns jetzt schnell überbracht werden. Bis zum Eintreffen einer sicheren Nachricht wollten wir aber die jetzigen Messungen jedenfalls fortsetzen. Vielleicht glückte doch noch der direkte Anschluß an Scheideck in den nächsten Tagen, wenn nicht, so wurde doch der indirekte Anschluß über die Randberge mit jedem weiteren Standpunkt sicherer.
Am Morgen des 12. Juli traf Sorge mit einer kleinen Schlittenkolonne bei uns ein und überbrachte einen Brief von Kurt Wegener. Wir waren inzwischen bis km 38 gekommen. Draußen waren die neuen Pferdetransporte nach Scheideck im Gange. Kelbl hatte auf dem jetzt heraustauenden Ebenendepot meine fehlenden Instrumentenkisten gefunden und mein Radiogerät in Ordnung gebracht. Wir brachen die Arbeiten sofort ab und fuhren zur Weststation.
8. Das Nivellement von km 400 bis km 200. Schweremessungen. Inzwischen war mir klar geworden, daß es uns nicht mehr möglich sein werde, Schwere- und Höhenmessungen bis »Eismitte« durchzuführen. Zu der durch den Entsatz von »Eismitte« im Frühjahr verlorenen Arbeitszeit kam jetzt noch das unerwartet ungünstige Sommerwetter auf dem Inlandeis. Kurt Wegener war mit folgendem Vorschlag einverstanden: Jülg und ich pendeln bei km 300, nivellieren von km 300 bis km 200 und setzen von dort aus die Schweremessungen fort. Das Nivellement zwischen km 300 und 400 macht eine andere Gruppe. Lissey und Gudmund übernahmen es, mit einer besonderen Schlittenabteilung die Auflösung der Station »Eismitte« durch die Propellerschlitten zu sichern, für die weiteren geodätischen Arbeiten Depots auszulegen und dann das Nivellement von km 400 bis 300 durchzuführen.
Meine nächste Aufgabe war es nun, das endlich zusammengefundene Pendelgerät instand zu setzen. In einem Zelt auf Scheideck-Landende baute ich es auf. Es dauerte lange, bis alles in Ordnung war. Endlich am 23./24. Juli konnten Jülg und ich eine einwandfreie Schweremessung durchführen.
Am 24. Juli reisten Lissey und Gudmund mit drei Grönländern ab, am 27. Juli folgten Jülg und ich ebenfalls mit drei Grönländern. Jeder unserer fünf Schlitten hatte ungefähr 350 Kilogramm Last. Mühselig war die Durchquerung der Bach- und Schneesumpfzone. Überall dort, wo die Hunde in dem tiefen Schneewasser schwimmend den festen Grund verloren, mußten wir selbst mit vereinten Kräften die Schlitten einzeln vorwärts bringen. Es war ein sehr naßkaltes Vergnügen. Die gerade jetzt recht unangenehme Spaltenzone zwang uns zu einigen Umwegen, konnte uns aber keinen weiteren Schaden antun. Leider hatten Eis und Harsch die Hundepfoten übel zugerichtet. Am 7. August erreichten wir km 300. Dort trafen wir Georgi, Sorge, Schif, Kraus und einen Grönländer auf der Rückreise mit den Propellerschlitten. Sie warteten hier bessere Bahn ab.
Jülg und ich machten uns sofort daran, mit Hilfe unserer Grönländer das Pendelzelt ein Meter tief im festen Firn aufzustellen. In einer Zeltecke wurden drei hölzerne Vierkantpfähle von 1,20 Meter Länge in den Firn eingerammt. Auf ihnen sollte der Pendelapparat mit seinen drei Fußschrauben stehen. Auf zwei Primuskochern wurde dann Schnee geschmolzen und so lange Schmelzwasser um die Pfähle geschüttet, bis der ganze Firnblock ringsherum ein fester Eisklumpen war. Dann setzte ich den schweren Pendelapparat auf die Pfähle und ließ dem Firn zwei Tage Zeit, feine durch das Wasser stark gestörte Temperatur der Umgebung wieder etwas anzugleichen und sich dem Druck der belasteten Pfähle anzupassen.
Der schwere, massive Pendelapparat und der festeste Untergrund geraten durch den wechselnden Zug eines schwingenden Pendels selbst etwas in Schwingung. So gering dieses »Mitschwingen« sein mag, es beeinflußt die Schwingungszeit der Pendel stark. Die Größe des Mitschwingens muß deshalb gemessen und berücksichtigt werden. Entgegen meinen Befürchtungen zeigten die Messungen, daß das Mitschwingen bei der oben beschriebenen Aufstellung im Firn nicht größer ist als auf gewachsenem Felsen.
Während der zwei Tage bis zur eigentlichen Schweremessung wurden alle andern Geräte aufgebaut. Die Uhr, ein Marinechronometer, wurde in einem eigens dazu gebauten Wärmekasten auf eine möglichst gleichbleibende Temperatur über 0 Grad gebracht, in Gang gesetzt und schon mit den Zeitzeichen verglichen.
Nach all den Vorbereitungen haben wir dann am 10./11. August 24 Stunden lang »gependelt«. Am 12. August bauten wir die Station wieder ab. Die erste Schweremessung auf dem Inlandeis war geglückt.
Durch Kraus, der sein Funkgerät im Propellerschlitten mitführte, erfuhr ich von Kurt Wegener, daß die für km 200 geplanten Eisdickenmessungen wegen der vorgeschrittenen Jahreszeit bei km 120 stattfinden würden. Da bei der Auswertung der Schweremessungen die Eisdicken zu berücksichtigen sind, schickte ich deshalb die Schweregeräte nicht nach km 200, sondern nach km 120. Noch am Abend des 12. August fuhren unsere drei Grönländer mit den vielen Pendelkisten nach Westen. Zwei von Lissey aus »Eismitte« zurückgeschickte Grönländer hatten sich ihnen angeschlossen. Kurz vor ihnen waren auch die Propellerschlitten aufgebrochen.
Jülg und ich blieben wieder allein und begannen das Nivellement von km 300 bis 200. Wegen des tiefen Neuschnees hatten wir jetzt acht Hunde für unsern Schlitten zurückbehalten.
Das Wetter war in den letzten Wochen immer schlechter geworden. Der Wind kam immer häufiger aus Süd und Südwest und brachte warme Luftmassen heran. Die Folge waren Nebel und Schneefall, die die Messung immer mehr behinderten. Kam dann mal wieder für einige Tage der sonst vorherrschende Ostsüdostwind mit kalter klarer Luft, dann genügte schon eine geringe Windstärke, um große Massen des weichen Neuschnees aufzuwirbeln.
Am 22. August überholten uns Lissey, Gudmund und der Grönländer Daniel Davidson. Sie waren am 8. August in »Eismitte« angekommen. Schon auf der Ausreise hatten sie, da ihre Schlittenlast nur noch gering war, südlich der Route Standpunkte ausgesucht und mit Schneemann und Flagge versehen. Lissey hatte den Grönländer Daniel mit einem zweiten Hundeschlitten zurückbehalten. Daniel hat fleißig geholfen, wo er nur konnte, besonders aber die zeitraubende Zeltarbeit auf sich genommen. Die Wellen in der Inlandeisoberfläche sind drinnen kaum mehr wahrnehmbar. Jedenfalls ist Lissey durch sie nie in der Sicht behindert worden. Schwierigkeiten hatte aber der Theodolit gemacht. Das Instrument war gut, aber für Inlandeisarbeiten zu klein. Lissey mußte die Handschuhe vorne öffnen, um mit bloßen Fingern die kleinen Schrauben bedienen zu können. Trotz dieser Schwierigkeiten hatte er, von Gudmund unterstützt, das Nivellement von km 400 bis 300 in zwölf Tagen erledigt. Das war eine gewaltige Leistung.
Auf unserm gemeinsamen Zeltplatz bei km 250 fanden wir Kurt Wegener vor. Er hatte in Begleitung von zwei Grönländern das Grab seines Bruders besucht und war uns bis hier entgegengefahren. Zufällig trafen alle drei Kolonnen zusammen. Am nächsten Tage mußten wir liegenbleiben. Dichtes Schneefegen machte nicht nur das Messen, sondern auch das Reisen unmöglich.
Am 24. August reisten Wegener, Lissey und Gudmund mit ihren Grönländern ab. Jülg und ich setzten das Nivellement fort. Wir hatten noch viel schlechtes Wetter und manchen Liegetag. Am 1. September endlich erreichten wir den Anschluß an km 200. Da von Lissey und Gudmund das Nivellement zwischen km 400 und 300 schon durchgeführt war, war hiermit die trigonometrische Höhenmessung zwischen der Westküste Grönlands und der Station »Eismitte« vollständig.
Am gleichen Tage reisten wir noch weiter bis zu Wegeners Grab, um dort aus Bambusstangen ein hohes Zeichen zu errichten. Wir fanden das von der Propellerschlittengruppe inzwischen errichtete Kreuz aus Bohrstangen vor. Trotzdem bauten wir noch ein zehn Meter hohes Zeichen dazu. Etwa 20 Jahre mögen vergehen, bis auch dieses Zeichen unter den immer mehr anwachsenden Schneemassen verschwindet. Jülg und ich nahmen als letzte von unserm toten Führer Abschied.
Am 3. September trafen wir bei km 120 unsere Eisdickenmesser Wölcken, Brockamp und Herdemerten bei der Arbeit. Am nächsten Tage traf Holzapfel mit vier Grönländern ein, unsere Instrumente abzuholen. Er war auf eine längere Wartezeit eingerichtet.
In fünf Tagen hatten Jülg und ich auch hier die Schweremessung beendet. Da die »Bibberer« ebenfalls gerade fertig waren, fuhren wir am 9. September alle zusammen nach km 81.
Dort machten wir die dritte Schweremessung auf dem Inlandeis. Die »Bibberer« hatten nur noch geringe Sprengstoffmengen und mußten sich deshalb mit einigen wenigen Eisdicken begnügen. Beide Gruppen waren in fünf Tagen mit den Arbeiten auf dieser Station fertig. Nach einer zweitägigen Reise kamen wir am 16. September auf der Weststation an.
9. Die letzten geodätischen Arbeiten. Auf der Rückreise trafen wir bei km 25 Lissey und Gudmund. Seit zwei Wochen hatten sie versucht, den noch fehlenden direkten Anschluß unseres bei km 38 abgebrochenen Nivellements an Scheideck herzustellen. Wegen Nebel, Schneefall oder Fegen hatten sie aber nur an wenigen Tagen messen können. Von Scheideck beginnend, waren sie bis km 25 gekommen. Die noch fehlenden 13 Kilometer hofften sie auch noch bewältigen zu können.
Da wir von 19 Standpunkten zwischen km 85 und 38 immer wieder vier bis fünf Bergspitzen anvisiert hatten, hielt ich auch diesen indirekten Anschluß über die Bergspitzen für ausreichend. Für alle Fälle wollten Jülg und ich versuchen, den Anschluß der Bergspitzen an die Steinmänner bei Scheideck noch zu verbessern. Wir schickten das Schweregerät nach Kamarujuk und warteten im Winterhaus auf gute Sicht. In den nächsten Tagen gelang es, das Winterhaus noch einmal an Scheideck anzuschließen, so daß daraus die Bewegung des dortigen Eises seit der ersten Vermessung am 28. Januar berechnet werden kann.
Am 24. September endlich hatten wir einen hellen klaren Tag. Jülg und ich fuhren auf das Hochlandeis zwischen Kamarujuk und Ignerit. Wir konnten unsere Messungen durchführen, dazu noch einige Aufnahmen mit dem Phototheodolit machen. In der Dunkelheit war der Rückweg zwischen den Spalten hindurch nicht leicht zu finden. Um 10 Uhr abends endlich waren wir wieder im Winterhaus.
Kurz vor uns waren dort auch Lissey und Gudmund eingetroffen. In den letzten acht Tagen waren sie nur noch acht Kilometer vorwärts gekommen, von km 25 bis 33. Weiteres Warten war aussichtslos. Bei schlechtem Wetter hinderten Schneefall und Nebel, bei gutem Wetter dichtes Schneefegen jede Arbeit mit dem Theodoliten. Als sie auch heute, an dem seit langem schönsten Tage, keine Sicht hatten, stellten sie den Höhenunterschied der noch fehlenden fünf Kilometer zwischen km 33 und 38 barometrisch fest. Sie maßen mit zwei Aneroiden auf Hin- und Rückweg sorgfältig den Luftdruckunterschied zwischen beiden Punkten und dazu die Lufttemperatur mit dem Schleuderthermometer. Dann kehrten sie am 24. September als letzte Gruppe vom Inlandeis zurück.
Am 26. September trafen Jülg und ich mit allen geodätischen Instrumenten in Uvkusigsat ein. Wir hatten elf Tage Zeit, auf der Schwerestation von Mai/Juni 1930 die Abschlußmessung zu machen. Damit waren die geodätischen Arbeiten der Expedition beendet.