Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Einst herrschte im grauen Altertum vor vielen Jahrhunderten ein König, Namens Schah Seman, welcher Herr vieler Städte und Länder und großer tapferer Heere war. Er hatte vier Gemahlinnen, sämtlich Königstöchter, und sechzig Beischläferinnen, und residierte auf einer nicht weit von Persien liegenden Insel, welche Chalidan hieß.
Schah Seman war kinderlos. Er ließ daher eines Tages seinen Vezier vor sich kommen und klagte ihm sein Unglück, keine Kinder zu haben. »Großmächtigster König!« antwortete der Vezier, »in dergleichen Anliegen kann man allein zu dem erhabenen Gott (gepriesen sei er!) seine Zuflucht nehmen; darum rate ich dir, eine große Mahlzeit bereiten zu lassen, Fakire und Arme dazu einzuladen, daß sie nach Lust essen, und dann zu Gott beten, daß er dir ein Kind schenke. Vielleicht findet sich unter ihnen eine reine Seele, deren Gebet vor Gott angenehm ist, so daß dein Wunsch erfüllt wird, und du einen Sohn bekommst, welcher dir in der Regierung folgt, dein Geschlecht fortpflanzt und dein Gedächtnis nach deinem Tode erhält.«
Schah Seman befolgte diesen Rat des Veziers, der ihm vortrefflich dünkte. Er ließ sogleich reiche Almosen austeilen, lud Fakire zu einer gemeinschaftlichen Mahlzeit ein und eröffnete ihnen seine Absicht, daß sie für die Erhörung seines Wunsches zu Gott beten möchten.
Wirklich erlangte Schah Seman durch die Gnade des Himmels, was er begehrte: eine seiner Frauen fühlte sich nach einiger Zeit gesegneten Leibes. Der König war außer sich vor Freude und gab aufs neue viele Almosen und erwies sich wohltätig gegen Witwen und Waisen, bis endlich ihre Tage und ihre Nächte um waren und sie mit Gottes Hilfe einen Sohn gebar, ein Geschöpf dessen, dem alles sein Dasein verdankt. Man veranstaltete Freudenfeste, Trommeln und Jubelgeschrei ertönten und die Stadt wurde sieben Tage lang geschmückt. Man färbte dann die Augenlider des Knaben mit Kohel, kleidete ihn in Gold und Seide und brachte ihn seinem Vater, der ihn zwischen die Augen küßte und so schön fand, daß er ihm den Namen Kamr essaman (Mond der Zeit) gab. Dann bestellte man ihm Ammen und Diener, und das Kind wuchs kräftig heran, bis es 18 Monate alt war. Jetzt wurde der Knabe entwöhnt, und nachdem er das vierte Jahr zurückgelegt hatte, war er das vollkommenste Bild von Schönheit und Anmut, seine Worte bezauberten jedes Herz und jedermann sah mit Wohlgefallen nach ihm, wie nach einem blühenden Garten, so daß ein Dichter folgende Verse auf ihn dichtete:
»Wo er erscheint, spricht man: Gepriesen sei Gott, der ihn geschaffen und gebildet!«
»Er ist der Fürst unter den Schönsten der Schönen, und alle müssen bekennen: Wir sind deine Untertanen.«
Der Prinz Kamr essaman wurde immer größer und kräftiger. Als er das siebente Jahr erreicht hatte, schickte ihn sein Vater in die Schule und es dauerte nicht lange, so hatte derselbe den ganzen Koran gelernt und war in der arabischen Sprachwissenschaft, in Theologie und anderen Wissenschaften so bewandert, daß er eine Ausnahme unter den Ausnahmen machte.
Als der Prinz vierzehn Jahre zählte, hatte sich seine Schönheit im höchsten Grad entwickelt; ein frischer Flaum verbreitete sich über seine roten Wangen, deren Glanz durch ein braunes Fleckchen wie ein Ambrakügelchen gehoben wurde, so daß folgende Verse auch von ihm galten:
»Schlank ist sein Wuchs; seine Haare sind so schwarz und seine Stirn so glänzend weiß, daß die Welt dadurch zugleich in Dunkelheit gehüllt wird und in hellem Lichte strahlt.«
»Mißbilliget aber nicht das Mal auf seiner Wange: hat doch auch die Anemone schwarze Pünktchen.«
Der Sultan, der ihn so zärtlich liebte, daß er es keine Stunde ohne ihn aushalten konnte, sagte eines Tages zu seinem Vezier: »Wackerer Vezier! ich fürchte, es könnte meinen Sohn ein Mißgeschick treffen, darum möchte ich, um vor meinem Tode mich noch an ihm zu erfreuen, mich von der Regierung zurückziehen und ihm meinen Thron einräumen.« Der Vezier erwiderte: »Tapferer Fürst und mächtiger Löwe! meine Ansicht ist, daß du ihn zuvor vermählest, ehe du ihn auf den Thron erhebest, denn die Ehe hält den Mann in Schranken.«
Die Ansicht des Veziers gefiel Schah Seman, und er beschloß, sich mit seinem Sohne darüber zu besprechen, und ließ ihn alsbald zu sich rufen. Kamr essaman erschien, grüßte seinen Vater, küßte ihm die Hand und neigte bescheiden, wie ein wohlgebildeter Jüngling, den Kopf zur Erde. Der König sagte zu ihm: »Weißt du, mein Sohn, warum ich dich habe rufen lassen?« - »Herr!« antwortete der Prinz, »Gott allein kennt das Verborgene; ich weiß nicht, was du mir zu sagen hast.« - »Es geschieht«, fuhr der Sultan fort, »um dir zu sagen, daß es mein Wunsch ist, dich vermählt zu sehen und mich daran zu freuen. Was hältst du davon?«
Als Kamr essaman die Worte seines Vaters hörte, stieg ihm die Röte der Scham ins Gesicht; er schlug voll Verwirrung die Augen nieder, und Schweißtropfen standen auf seiner Stirne. Endlich antwortete er: »Mein Vater! ich habe keine Lust, mich zu vermählen und mein Herz fühlt keine Neigung zu den Frauen, wie sollte es auch, da doch ein Dichter gesagt hat:
»Fragt ihr mich über die Weiber, so weiß ich euch Bescheid zu geben; ich kenne ihre Fehler:«
»Wenn des Mannes Haupt weiß wird, oder sein Reichtum abnimmt, so hat ihre Liebe keinen Bestand.«
»Ich kann deinen Wunsch unmöglich erfüllen, sollte mir auch aus meiner Weigerung Tod und Verderben erwachsen.«
Der König war über den Widerwillen des Prinzen sehr betrübt. Seine Liebe zu ihm war aber so groß, daß er ihm nichts weiter sagte, sondern ein ganzes Jahr ruhig abwartete. Nach Verfluß eines Jahres ließ er ihn wieder zu sich rufen und sagte zu ihm: »Nun, mein Sohn, wirst du mir noch nicht gehorchen und mir gestatten, dir eine Gattin zu geben, damit ich vor meinem Tode mich an dir freue?«
Der Prinz ließ den Kopf ein wenig sinken, dachte eine Weile nach, erhob ihn dann wieder und antwortete: »Mein Vater! mein Entschluß, unverheiratet zu bleiben, steht fest, so lange ich lebe. Denn ich habe in Geschichtsbüchern und anderen Werken gelesen, wie viel Jammer und Unglück die Arglist der Weiber zu aller Zeit in der Welt verursacht hat. Wenn du es verlangst, so will ich dich mit ihrem Tun und Treiben bekannt machen: sie sind voll List und Trug und treulos in Wort und Tat. Ein Dichter hat sie mit den Worten bezeichnet:
»Ihre Fingerspitzen sind gefärbt, ihre Haare geflochten, ihr Turban hängt auf die Seite und viel Kummer geben sie zu schlucken.«
»Kannst du den Blitz in einem Netze fangen oder Wasser in einem Siebe schöpfen?«
Damit verließ Kamr essaman seinen Vater und ging seines Weges. Der König Schah Seman ließ seinen Vezier rufen und setzte ihn in Kenntnis von allem, was zwischen ihm und seinem Sohne sich zugetragen hatte. Dann sagte er zu ihm: »Da du mir doch den Rat erteilt hast, ihn zu vermählen, sage mir, was ich jetzt, da er sich so ungehorsam zeigt, mit ihm anfangen soll!« - »Mein König!« antwortete der Vezier, »gib dem Prinzen noch ein Jahr Frist. Nach Verfluß des Jahres läßt du ihn wieder vor dem ganzen Divan zu dir rufen und sprichst wieder von seiner Vermählung. Er wird sich gewiß schämen und es nicht wagen, dir zu widersprechen.« Der König nahm diesen Rat an und wartete wieder ein Jahr. Dann versammelte er den Divan und ließ seinen Sohn rufen. Als er erschien, küßte er die Erde vor seinem Vater und blieb stehen. Sein Vater sagte zu ihm: »Mein Sohn! ich habe dich zu dieser Stunde vor dieser großen Versammlung hierher rufen lassen, um wegen deiner Vermählung mit dir zu sprechen, denn ich möchte, daß du heiratest und ich vor meinem Tode noch an deiner Familie meine Freude habe. Vielleicht schenkt dir Gott einen Knaben, wodurch unser Andenken erhalten und unser Reich bei unserem Geschlechte bleibt. Ich habe schon zweimal deshalb mit dir gesprochen und du hast das Gespräch abgebrochen, deshalb habe ich dich jetzt hierher beschieden und ich verlange von dir eine Antwort.«
Als Kamr essaman dies hörte, geriet er vor Ärger ganz außer sich, er neigte den Kopf eine Weile zur Erde, dann antwortete er, indem er schnell den Kopf in die Höhe warf, mit jugendlicher Tollkühnheit: »Ich habe schon tausendmal erklärt, daß ich nicht heiraten wolle. Du bist eben jetzt bejahrt und altersschwach, dein Verstand hat abgenommen, darum schwatzest du Unsinn und bist kaum mehr imstande, eine Herde Schafe zu hüten.« Der Sultan fühlte sich tief verletzt durch diese Worte vor den Anwesenden. Mit königlichem Stolze schrie er jetzt seinen Sohn an, daß er vor Schrecken bebte. Hierauf ließ er ihn durch seine Waffenträger und Mameluken festnehmen und befahl ihnen, ihn in Ketten zu legen. Als sie ihn gebunden vor seinen Vater brachten, ließ er sein Haupt sinken, und seine Stirne war mit Schweiß bedeckt. Der König schmähte ihn und sagte: »Wehe dir! kann deinesgleichen mir eine solche Antwort geben? doch hat dich bis jetzt noch niemand gezüchtigt.« Er befahl dann den Mameluken, ihm die Bande abzunehmen und ihn einzusperren. Sie führten ihn in ein altes Gemach eines uralten Turms, in dessen Mitte eine römische Zisterne war. Alsbald kamen die Kammerdiener herbei, reinigten das Zimmer, brachten ein Ruhebett, eine Matratze, ein Kissen und eine Laterne und ließen dann den Prinzen allein, nur ein Diener blieb vor der Türe stehen. - Kamr essaman stand auf, wusch sich, verrichtete sein Abendgebet, und nachdem er noch einige Kapitel des Koran gelesen hatte, legte er sich nieder. Die Laterne stand zu seinen Füßen und eine Wachskerze brannte über seinem Haupte. Er schlief bis ein Dritteil der Nacht vorüber war, ohne zu ahnen, was das geheime Geschick ihm bereitete.
Sowohl das Gemach als der Turm waren nämlich seit Jahren nicht bewohnt und die römische Zisterne diente einer Fee zum Aufenthalte, einer von den Nachkömmlingen des verfluchten Iblis. Sie hieß Maimuna und war die Tochter Damerjads, eines Königs der Genien. Es war um Mitternacht, als Maimuna sich nach ihrer Gewohnheit aus dem Brunnen emporschwang. Sie war sehr verwundert, in dem Turm, in welchem sich seit vielen Jahren niemand aufgehalten hatte, Licht zu erblicken, und da das Licht von dem Gemache herkam, schwebte sie hinein. Sie fand zu ihrem Erstaunen einen schlafenden Diener, und ein Ruhebett, auf welchem ein junger Mann schlief. Da senkte sie ihre Flügel, näherte sich ihm und hob die Decke ein wenig auf und erblickte einen Jüngling, dessen Antlitz heller strahlte, als die Flamme des Lichts neben seinem Bette. Sie war ganz betroffen über diese Fülle von Schönheit, Anmut und reizender Körperbildung und sprach zu sich selber, nachdem sie im stillen den Schöpfer gepriesen: Bei Gott, ich will ihm nichts zuleide tun! Ein solches Gesicht verdient vor jedem Unheil bewahrt zu werden. Allein ich begreife nicht, welchen Anlaß er gegeben haben kann, daß er von seinen Leuten nach diesem verlassenen Orte gebracht worden ist. Nachdem sie sich dann zu ihm niedergebeugt und ihn auf die Wangen, auf den Mund und zwischen die Augen geküßt hatte, legte sie die Decke wieder, wie sie zuvor gewesen war, und schwang sich gen Himmel empor. Als sie eine Weile so geflogen war, vernahm sie einen Flügelschlag, was sie bestimmte, ihren Flug in derselben Richtung zu nehmen. Bald gelang es ihr, dem Geräusche nahe zu kommen, und sie erkannte, daß es von einem ungläubigen Geiste herrührte, welcher Dahnesch hieß und ein Sohn des Schamhurasch war. Als Dahnesch die gegen ihn herfahrende Maimuna erkannte, zitterte er vor Angst und Schrecken und sagte mit bittendem Tone zu ihr: »Ich beschwöre dich bei dem hohen, verehrten, unaussprechlichen Namen, sei gnädig gegen mich und tu' mir nichts zuleid; ich war ja nie dein Feind und bin dir nicht ebenbürtig.« »Verfluchter Geist!« erwiderte Maimuna, »du hast mich bei dem Heiligsten beschworen, doch sage mir zunächst, woher du kommst, und was du diese Nacht gesehen und getan hast?«
Dahnesch antwortete: »Ich will dir etwas Wunderbares erzählen, was ich diese Nacht gesehen habe. Wisse, Herrin! ich komme diese Nacht von dem äußersten China, von den innersten Inseln. Aber, du versprichst mir doch, mir zu verzeihen und mich in Freiheit zu lassen, wenn ich deine Neugier befriedigt habe?« - »Fahre fort, fahre fort, Verruchter!« erwiderte Maimuna, »und fürchte nichts. Hüte dich nur, mir etwas zu sagen, was nicht wahr ist: sonst reiße ich dir die Federn aus deinen Flügeln und schinde dir die Haut vom Leibe.« - Dahnesch erwiderte: »Gut, meine Herrin, so wisse denn, daß ich von den innersten Inseln komme, über welche Ghajur, der Herr des Meeres und der Inseln herrscht. Er hat eine einzige Tochter, von solcher Schönheit, wie man noch keine auf Erden gesehen hat. O ich kann mit meinen Lippen und meiner Zunge nicht einmal einen Teil ihrer Reize schildern. Doch will ich versuchen, sie zu beschreiben. Sie hat Haare so lang wie ein Roßschweif und in solcher Fülle, daß, wenn sie frei herunterwallen, sie ineinander verschlungenen Trauben gleichen. Unter diesen Haaren wölbt sich eine Stirn, glatt wie ein hellgeschliffener Spiegel und leuchtend wie die Strahlen der Sonne. Augen hat sie wie Narzissen, doch kann sie der wackerste Jäger nicht fesseln, das Weiße davon gleicht der Luft in der Morgendämmerung und das Schwarze der finstern Nacht; die Nase, fein und scharf wie eine geschliffene Schwertklinge, ist weder zu lang, noch zu kurz. An diese schließen zwei Purpurwangen, deren Färbung von der Röte der Kirsche in die Weiße des Marmors verschwimmt. Ihr Mund ist klein und rot wie die aufbrechende Knospe der Granatblüte; ihre Zähne gleichen einer Perlenschnur; wenn sie die Zunge zum Sprechen bewegt, so ertönt eine süße und anmutige Stimme, und was sie sagt, bekundet die Schärfe ihres Verstandes und die Lebhaftigkeit ihres Geistes. Ihre Lippen sind wie Korallen von Honig angefeuchtet. Ihr Kopf wiegt sich auf einem Nacken, der einer silbernen Waschkanne über einem marmornen Halse gleicht. Sie hat eine starke Brust, die zum Genusse reizt. An diese schließen sich ein Paar Oberarme, so rein und rund wie Perlen und Margarite. Die Vorderarme sind wie Silber mit Gold gepaart. Ihre Brüste gleichen Granatäpfeln, ihre Taille ist so zart, daß man glaubt, sie wollte fliegen und die runden glatten Schenkel und Beine werden von zierlichen Füßchen getragen, die Gott, so klein sie sind, doch stark genug gemacht hat, um alles, was darüber ist, in schwebender Bewegung zu halten. Der Vater dieser Prinzessin ist ein rauher Krieger und gewalttätiger, unerschrockener Herrscher, er besitzt große Heere und regiert über viele Länder, Städte und Inseln. Dieser König liebt seine Tochter so sehr, daß er ihr sieben Paläste hat bauen lassen. Der erste Palast ist von Bergkristall, der zweite von Erz, der dritte von feinem Stahl, der vierte von Blei, der fünfte von schwarzem Stein, der sechste von Silber und der siebente von gediegenem Gold. Alle sind mit unerhörter Pracht ausgeschmückt, mit den kostbarsten seidenen Teppichen und mit Gerätschaften und Gefässen von Gold und Silber versehen. Man sprach bald in allen Ländern von der Schönheit und Anmut dieser Prinzessin und Könige schickten Gesandte und ließen um sie werben. Wenn aber ihr Vater sich deshalb mit ihr besprach, sagte sie: ich habe keine Lust mich zu vermählen, ich bin Herrin und will mich nicht unter die Herrschaft eines anderen beugen. Der König ließ sie geraume Zeit in Ruhe, bis einst ein gewisser Fürst um sie werben ließ und große Reichtümer als Morgengabe sandte. Da wiederholte der König seinen Wunsch, sie zu vermählen. Sie zeigte sich aber ungehorsam, schrie ihren Vater an und nannte ihn einen Schwachkopf. Schließlich sagte sie zu ihm: wenn du mit mir noch einmal von meiner Vermählung sprichst, so mache ich meinem Leben ein Ende und du hast eine Tochter meinesgleichen verloren. Der König geriet in Zorn darüber und sagte: wenn dies dein fester Entschluß ist, so mußt du auch ein einsames, zurückgezogenes Leben führen. Er ließ sie daher in ein einzelnes Gemach in einem seiner Paläste einsperren, woselbst er ihr nur zehn alte Weiber zur Gesellschaft gab, und gestattete ihr nicht mehr, nach ihren Palästen zu gehen, und zeigte ihr, daß er sehr aufgebracht gegen sie sei. Zugleich ließ er durch seine Gesandten den fürstlichen Bewerbern sagen, seine Tochter sei geisteskrank geworden, er werde alles anwenden, um sie zu heilen und sie dann dem zur Frau geben, den das Glück begünstigt. »Nun, Maimuna«, fuhr Dahnesch fort, »verfehle ich nicht, jede Nacht mich bei ihr einzufinden, ihre Schönheit und Anmut zu bewundern und sie zwischen die Augen zu küssen; denn ich liebe sie so sehr, daß ich ihr nicht das geringste Leid zufügen kann. Ich beschwöre dich, meine Herrin, komm und sieh wie schön sie ist, um dich mit eigenen Augen zu überzeugen, daß ich wahr gesprochen.« Maimuna brach in ein lautes Gelächter aus, spuckte gegen Dahnesch aus und sagte zu ihm. »Wehe deinem Gesichte! Ich erwartete Wunder, was du mir erzählen würdest, und du unterhältst mich von einer Nichtswürdigen! Pfui, schäme dich! Was würdest du, Verruchter, erst sagen, wenn du meinen Geliebten gesehen hättest, bei welchem ich diese Nacht war? Fürwahr, du würdest närrisch darüber werden und zerplatzen.« - »Herrin«, erwiderte Dahnesch, »wer ist der Geliebte, von dem du sprichst?« - »Wisse«, antwortete ihm Maimuna, »daß es ihm ebenso ergangen ist, wie der Prinzessin, von welcher du mich hier unterhalten hast. Der König, sein Vater, wollte ihn mit aller Gewalt vermählen; er weigerte sich, und sein Vater ließ ihn in einen alten Turm sperren, der mir zum Aufenthalt dient und wo ich ihn diese Nacht erblickt habe.« - Dahnesch versetzte: »Meine Herrin, du wirst mir doch gestatten, deinen Prinzen zu sehen, um ihn mit meiner Geliebten zu vergleichen, damit ich erkenne, wer am schönsten ist, denn ich behaupte, daß meine Geliebte an Schönheit ihresgleichen in der Welt nicht findet.« - »Du lügst, Verruchter!« entgegnete Maimuna. »Ich will nicht den Eigensinnigen gegen dich spielen. Komm mit mir«, versetzte Dahnesch, »um meine Prinzessin zu sehen, und dann zeigst du mir deinen Prinzen.« Maimuna entschloß sich, dieser Aufforderung zu folgen, aber nur unter der Bedingung, daß Dahnesch eine Wette einging: wenn ihr Prinz schöner wäre, sollte Dahnesch verloren, würde aber die Prinzessin schöner gefunden, so sollte er gewonnen haben. Nachdem Dahnesch seine Zustimmung hierzu gegeben, sagte Maimuna: »So folge mir denn!« Dahnesch erwiderte aber: »Komm du zuerst mit mir, da wir doch der Prinzessin näher sind.« Sie begaben sich hierauf zusammen in das Gemach der Prinzessin und Maimuna fand sie so schön, daß sie zu Dahnesch sagte: »Ich beschwöre dich bei der Inschrift, die auf dem Siegelringe Salomos, des Sohnes Davids eingegraben ist, nimm sogleich die Prinzessin und lege sie neben den Prinzen.« Sie flogen dann beide wieder fort und trugen die Prinzessin mit sich und legten sie an die Seite Kamr essamans auf das Ruhebett, dann deckten sie ihr Gesicht auf und sie glichen zwei leuchtenden Vollmonden, wie der Dichter sagt:
»Mit meinen Augen sah ich zwei Schlafende auf der Erde, wohl wünschte ich, ich könnte ihnen meine Augenlider zum Bett anweisen.«
»Sie sind wie zwei Halbmonde am Himmel, wie zwei Sonnen in der Mittagsstunde, wie zwei herrliche Gazellen, wie zwei blühende Zweige, in welche sich die Schönheit geteilt hat.«
Als der Prinz und die Prinzessin also neben einander lagen, erhob sich zwischen dem Geist und der Fee ein Zwist über den Vorzug ihrer Schönheit. Dahnesch sagte zu Maimuna: »Nun siehst du, daß meine Prinzessin schöner ist als dein Prinz.« Maimuna erwiderte: »Du mußt blind sein, wenn du nicht siehst, daß mein Prinz deine Prinzessin weit übertrifft, betrachte seine Schönheit, seine Anmut, seinen Wuchs und das Ebenmaß seiner Glieder, doch höre, wie ich ihn näher beschreibe.« Dann neigte sie sich über Kamr essaman hin, küßte ihn zwischen die Augen und sprach folgende Verse:
»Was liegt daran, wenn mir auch deinetwegen die Freunde zürnen? Wo fände Trost, wer deine biegsame Gestalt gesehen?«
»Das schwerste Mißgeschick kann mich nicht verderben, wenn der Wein deiner Lippen mich erquickt.«
»Dein Auge verschönert sich, so oft man es ansieht; die treueste Geliebte kann sich nicht mehr von ihm abwenden.«
»O du, der du meiner Sehnsucht dich entwindest, darf man so dem Versprechen der Liebe zuwiderhandeln?«
»Die schwerste Liebespein bürdest du mir auf, während ich zu schwach und unmächtig bin, mein Gewand zu tragen.«
»Du lässest mich so lange weinen, bis man fragt: Fließen ihr nicht blutige Tränen aus der Nase?«
»Wäre mein Herz so hart wie das deine, so wäre mein Körper nicht so geschwunden, daß er jetzt deiner Taille gleicht.«
»Weh' über den Anblick eines Mondes, dessen Schönheit und Anmut von allen Menschen gepriesen wird.«
»Weh' über dein hartes Herz! Lernte es doch Biegsamkeit von deinem Wuchse, so würd' es sich zärtlich mir zuneigen.«
»O mein Gebieter! Du hast über deine Schönheit einen Aufseher, der mir Unrecht tut, und einen Wächter, der grausam gegen mich ist.«Im Text ist hier ein unübersehbares Wortspiel, in dem das Wort Aufseher zugleich Blick und das Wort Wächter auch Augenbrauen bedeutet.
»Wer da sagte, die Schönheit sei in Joseph vereint, der hat nicht wahr gesprochen: wie manchen Joseph enthält deine Schönheit.«
»Schwarz ist das Haar, leuchtend die Stirne, das Auge ist das einer Huri, und schlank ist der Wuchs.«
Als Maimuna schwieg, schüttelte Dahnesch lachend den Kopf und sagte: »Bei Gott, Herrin, deine Beschreibung ist schön! Darauf verstehe ich mich nicht so gut wie du. Doch will ich versuchen, was in meinen Kräften steht.« Damit stellte er sich vor das Mädchen und sprach:
»Sie tadeln mich, weil ich die Schönheit liebe; aber wie ungerecht ist ihr Urteil!«
»Ihr Wuchs ist schlank wie der Zweig des Baumes Irak und biegsam wie der des Ban.«
»Erfreue deinen Geliebten durch deine Nähe: denn hältst du ihn noch lange fern von dir, so wird er vor Sehnsucht vergehen.«
Maimuna erteilte den Versen Dahneschs das gebührende Lob, wollte aber nun wissen, welcher von den beiden Personen der Preis der Schönheit zukommen solle. Dahnesch behauptete, die Prinzessin sei schöner, während Maimuna dem Prinzen den Vorzug gab. Nach langem Streit sagte Dahnesch: »Ich glaube, o Herrin, daß es dir schwer fällt, die Wahrheit einzugestehen, darum wollen wir einen Dritten entscheiden lassen und seinen Spruch anerkennen.« Maimuna willigte ein und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Sogleich tat sich die Erde auf, und daraus hervor stieg ein scheußlicher Geist, er war bucklig und halbblind. Seine Augen waren der Länge nach gespalten; er hatte sechs Hörner am Kopfe, und vier Haarbüschel hingen ihm bis zu den Füßen hinunter. Seine Hände waren wie die eines Kutrub und seine Füße wie die eines Wehrwolfs, mit Nägeln, gleich den Klauen des Löwen. Sobald er herauf war und Maimuna erblickte, so warf er sich ihr zu Füßen, küßte den Boden, legte die Hände hinter den Rücken und fragte, was seine Gebieterin zu befehlen habe. »Kaschkasch« (so hieß der Geist), sagte sie zu ihm, »ich rief dich, um einen Streit zu entscheiden, den ich mit diesem verfluchten Dahnesch habe. Wirf deinen Blick auf das Bett und sage uns, wer dir schöner dünkt, der Jüngling oder die Jungfrau?« Kaschkasch betrachtete den Prinzen und die Prinzessin, wie sie, in Schlaf versunken, neben einander lagen, unbewußt sich umarmend und an Schönheit und Liebreiz gleich, wie der Dichter sagt:
»Halte fest an dem Gegenstand deiner Liebe und laß dich durch das Gerede des Neides nicht irren: die Tadler führen zu nichts in der Liebe.«
»Gott hat nichts Schöneres geschaffen, als ein liebendes Paar auf einem Lager, das, eins durch das andre beglückt, mit dem Ausdruck innigster Zufriedenheit im Antlitz sich fest umarmt hält.«
»Ist einmal ein Herz mit der Liebe vertraut, so mag lange die Welt auf kaltes Eisen schlagen.«
»O du, der du Liebende der Liebe wegen tadelst, bist du wohl imstande, ein krankes Herz zu heilen?«
»Und begegnet dir in deinem Leben ein heiterer Tag, so sei zufrieden und lebe von diesem einen!«
Nachdem der Geist beide eine Weile betrachtet hatte, sagte er zu Maimuna: »Herrin! Keiner von beiden verdient den Vorzug, es ist einer schöner als der andre, aber es gibt ein Mittel, sich darüber aufzuklären. Das ist, sie nacheinander aufzuwecken und sich dahin zu vereinigen, daß, welches für das Andere durch seine Glut und Heftigkeit mehr Liebe bezeigt, gewissermaßen auch weniger Schönheit habe.« Der Rat gefiel Maimuna und Dahnesch, und Kaschkasch fragte die Erstere, ob er ihren Liebling aufwecken solle. Auf ihre Bejahung verwandelte er sich in einen Floh und sprang auf Kamr essamans Hals. Er stach ihn so heftig, daß er aufwachte und mit der Hand nach der Stelle fuhr; aber er fing nichts. Seine Hand fiel auf eine andere Hand, die zarter und weicher anzufühlen war als frische Butter. Er schlug die Augen auf und war höchst erstaunt, etwas der Länge nach neben sich liegen zu sehen. Er setzte sich aufrecht. Da lag vor ihm ein Mädchen, schön wie der Mond oder die Sonne, wie eine aufgeputzte Braut oder eine kostbare Perle, von schlankem Wuchs, blitzenden Augen und schön gewölbten Augenbrauen, wie der Dichter sagt:
»Vier Dinge haben sich vereint, um mein Herz zu verwunden und mir den Tod zu geben: Das Licht der Stirne, die Nacht der Haare, die Rose der Wangen und die Perlen des lächelnden Mundes.«
Wie er sie so da liegen sah, in dem feinen Hemde, das die Reize ihrer Gestalt nur halb verhüllte, die bloßen Arme mit kostbaren Spangen, die Hände mit Ringen und Hals und Busen mit goldner Kette geschmückt, die mit kostbaren Edelsteinen ausgestattet war, bemächtigte sich die Liebe auf die lebhafteste Weise seines Herzens, und er konnte sich nicht enthalten auszurufen: »Welche Schönheit! welche Reize! Mein Herz! meine Seele!« Und indem er dies sagte, neigte er sich zu ihr hin, küßte sie auf die Wangen und sog an ihren Lippen mit immer steigender Leidenschaftlichkeit; er wollte sie aufwecken, aber durch Dahneschs Bezauberung schlief sie sehr fest. Er schüttelte sie, während er zu sprechen fortfuhr: »Mein Herz! meine Seele! erwache doch, ich bin der Prinz Kamr essaman.« Aber sie wachte immer nicht auf, und Kamr essaman wurde verlegen und nachdenklich. »Wenn mich meine Vermutung nicht täuscht«, sagte er bei sich selber, »so ist dies das Mädchen, welches der Sultan, mein Vater, mir zur Gattin geben wollte. Gleich in aller Frühe will ich hingehen und ihn bitten, mir sie zur Frau zu geben, und ehe der Abend vergeht, wird sie mir als Gattin vorgeführt und ich kann mich ihrer Schönheit und Anmut freuen.« Er neigte sich abermals über die Schöne, um sie zu küssen. Da fuhr ihm ein anderer Gedanke durch den Kopf, und indem er sich selbst bezwang, sprach er: »Vielleicht hat mein Vater dieses Mädchen abgeschickt und ihr befohlen, sich nicht wecken zu lassen und ihm zu berichten, was geschehen wird. Oder wer weiß, ob er sich nicht irgendwo versteckt hat, wo er alles sieht: wenn ich mich nun von der Leidenschaft hinreißen lasse, wird er mir morgen Vorwürfe machen und mich beschämen. Er wird sagen: hast du nicht behauptet, du habest keine Lust zu heiraten, warum hast du denn dieses Mädchen geküßt und umarmt? Bei Gott, ich will sie nicht berühren oder lieber gar nicht mehr ansehen; auf jeden Fall aber will ich mir ein Andenken von ihr nehmen.« Er ergriff dann ihre Hand und sah an ihrem Finger einen goldnen Siegelring mit einem Rubin aus Balchaschan, auf welchem folgende Verse eingegraben standen:
»Glaube nicht, daß ich vergessen habe, was du mir geschworen;«
»Seitdem du mich verlassen, ist mein Herz auf glühenden Kohlen.«
Diesen Ring zog er der Prinzessin vom Finger und steckte ihr den seinigen dafür an. Hierauf kehrte er ihr den Rücken zu, und es währte nicht lange, so schlief er wieder ein. Sobald er eingeschlafen war, sagte Maimuna zu Dahnesch: »Hast du gesehen, verfluchter Geist, wie wenig sich mein Prinz aus deiner Prinzessin macht? Er hat sie nicht umarmt, er hat ihr den Rücken zugekehrt und ist wieder eingeschlafen.« Dahnesch erwiderte: »Ich habe alles gesehen«, und verwandelte sich in einen Floh, sprang hin und stach die Prinzessin. Sie wachte auf und richtete sich empor, und als sie die Augen öffnete, war sie sehr erstaunt, sich neben einem Mann liegen zu sehen, mit Augen und Augenbrauen, wie sie kein Mädchen hatte, mit einem kleinen Munde und zarten Lippen, die Farbe der Wangen gleich einem Apfel. Kurz, seine Zunge vermochte seine Reize zu schildern, und es ließen sich die Worte des Dichters auf ihn anwenden:
»Man brachte die Schönheit selbst, daß sie sich mit ihm messe, und sie beugte beschämt ihr Haupt vor ihm.«
»Man fragte sie: Hast du je so etwas gesehen? und sie antwortete: Nein, ein solcher Anblick ist mir noch nie zuteil geworden.«
Als sie diese Reize eine Weile bewundert hatte, schrie sie: »Wehe! Wehe! welche Schande, so neben einem Jüngling zu liegen! Hätte ich gewußt, daß du bei meinem Vater um mich geworben, ich hätte dich nicht abgewiesen. Wach' auf, wach' auf, mein Geliebter! und ergötze dich an meinen Reizen!« Indem sie dieses sprach, faßte sie den Prinzen Kamr essaman und schüttelte ihn, aber er erwachte nicht, denn die Fee Maimuna hatte ihn durch ihre Bezauberung in einen tiefen Schlaf versenkt. Die Prinzessin schüttelte ihn auf diese Weise zu wiederholten Malen, und als sie sah, daß er nicht aufwachte, fuhr sie fort: »Mein Geliebter! Ich beschwöre dich bei meinem Leben, erwache doch, daß wir uns freuen! Öffne deine Augen und sieh' meine Narzissen! Fühle meinen zarten Körper! Sollte ein auf unser Glück neidischer Nebenbuhler dich behext und in diesen unüberwindlichen Schlaf versenkt haben? Oder ist es vielleicht Veranstaltung von meinem unglückseligen Vater, daß du dich nicht mit mir unterhalten willst?« Aber der Jüngling erwachte nicht, und ihre Leidenschaft ward immer heftiger. Sie verschlang ihn mit Blicken, welche tausendfachen Schmerz in ihrem Busen zurückließen. Endlich küßte sie seine Hand und bemerkte ihren Ring an seinem Finger. Da seufzte sie tief auf und sagte: »Wehe dir, was verstellst du dich so? Gewiß hast du gewacht, während ich schlief, und hast mich geküßt, und - o Gott! Ja, diesen Ring nehme ich nicht zurück.« Sie küßte ihn dann zwischen die Augen, auf die Wangen und auf den Mund, öffnete seinen Hemdkragen und suchte nach etwas, das sie als Andenken nehmen könnte, fand aber nichts; zuletzt streckte sie sich neben ihn hin, legte eine Hand unter, die andere über ihn, und in dieser Umarmung schlief sie wieder ein. Als sie fest schlief, sagte Maimuna zu Dahnesch: »Nun, du Verfluchter! Hast du's gesehen? Bist du nun überzeugt, daß deine Prinzessin nicht so schön ist als mein Prinz? Doch ich verzeihe dir.« Und indem sie sich zu Kaschkasch wandte, fügte sie hinzu: »Geh' mit Dahnesch und hilf ihm die Prinzessin an ihren Platz zurücktragen, denn die Nacht ist vorüber und ich kann mein Ziel nicht weiter verfolgen.« Kaschkasch gehorchte, und die beiden Geister flogen mit dem Mädchen nach ihrer Heimat, wo dann jeder seines Weges ging, und Maimuna entfernte sich gleichfalls.
Als der Prinz Kamr essaman am folgenden Morgen erwachte, blickte er um sich, fand aber das Mädchen nicht mehr. Da sagte er bei sich selber: »Ich hatte mir es doch gleich gedacht, daß mich mein Vater nur necken will.« Er rief dann dem Sklaven und sagte zu ihm: »Wehe dir, du nichtswürdiger Hund! wie lange willst du noch schlafen? Steh' einmal auf!« Der Diener stand ganz betäubt auf und brachte ihm Waschbecken und Wasser. Kamr essaman erhob sich von seinem Lager, wusch sich, und nachdem er sein Gebet verrichtet hatte, nahm er den Koran und las eine zeit lang. Dann ging er wieder zum Sklaven und sprach zu ihm: »Wehe dir, wenn du mich belügst! Komm her und sage mir die Wahrheit: wo ist das Mädchen hingekommen, das heute Nacht an meiner Seite geschlafen hat?« - »Mein Herr!« versetzte der Sklave, »ich schwöre dir, daß ich nichts davon weiß. Wie sollte denn ein Mädchen hereingekommen sein, da ich doch an der Türe schlafe?« - »Du lügst, verdammter Sklave!« erwiderte der Prinz. »Du bist auch mit ihnen im Einverständnis.« Der Verschnittene wich erschrocken vor ihm zurück und wiederholte: »Bei Gott, mein Herr, ich habe nichts gesehen!« Aber Kamr essaman hieß ihn näher treten, faßte ihn an der Kehle, warf ihn zu Boden, kniete auf ihn und trat ihn mit Füßen; dann schleppte er den Ohnmächtigen zum Brunnen hin, band ihm das Seil unter die Arme, ließ ihn daran hinab und tauchte ihn mehrmals mit dem Kopf unters Wasser. »Ich lasse dich nicht herauf«, rief er ihm zu, als er nach Hilfe schrie, »wenn du mir nicht sagst, wer das Mädchen ist, und wie es zu mir hereinkommen ist.« Der Sklave dachte: Ohne Zweifel hat der Prinz, mein Herr, den Verstand verloren, und ich kann nur durch eine Lüge mich retten. - »Mein Herr!« sagte er hierauf, »ziehe mich herauf, ich verspreche dir, alles zu sagen.«
Der Prinz zog nun den vor Furcht zitternden Sklaven wieder herauf. Dieser sagte aber: »Mein Herr, vergönne mir, meine Kleider zu wechseln, dann will ich dir über das Mädchen Auskunft geben.« - »Ich gewähre es dir«, erwiderte Kamr essaman; »aber mach' geschwind, du elender Sklave, hättest du nicht den Tod vor Augen gesehen, so würdest du mir nicht die Wahrheit eingestehen.« Der Sklave ging hinaus und lief, wie er war, in den Palast. Der König unterhielt sich eben mit seinem Großvezier über Kamr essaman. Er hatte eine lange schlaflose Nacht gehabt und an die Worte des Dichters gedacht:
»Mir wird die Nacht so lange, während die Verleumder ruhig schlafen; ist es nicht genug an einem Herzen, das unter Gram und Kummer erliegt?«
»Während die Nacht noch immer nicht weichen will, rufe ich dem Tageslichte zu: Willst du gar nicht mehr erscheinen?«
Er konnte kaum den Morgen erwarten, bis er mit dem Vezier allein war. Dieser sagte: »Gott verfluche diese Welt! Aber, lasse den Prinzen eine Weile eingesperrt, bis die jugendliche Hitze verraucht, dann wird er deinem Wunsche, sich zu vermählen, willfahren.«
Der Vezier endigte soeben diese Rede, als der Sklave in seinen durchnäßten Kleidern vor den König Schah Seman trat. »Herr!« sagte er zu ihm, »dein Sohn spricht von einem Mädchen, welches vergangene Nacht bei ihm geschlafen habe, er ist rasend geworden und hat mich in den Zustand versetzt, in welchem du mich hier siehst.« Nachdem der König den Sklaven angehört hatte, warf er einen vorwurfsvollen Blick auf den Vezier und rief: »O mein Sohn, mein armer Sohn!« Hierauf befahl er dem Vezier, selbst hinzugehen und zu erforschen, was sich zugetragen. Der Vezier gehorchte auf der Stelle. Beim Eintritt in das Zimmer fand er den Prinzen lesend. Er grüßte ihn, und Kamr essaman erwiderte den Gruß. Nachdem er sich hierauf neben ihm niedergelassen, sprach er zu ihm: »Gott verdamme deinen Sklaven, der dem König etwas eingeflüstert, das ihn in solchen Schrecken gesetzt hat!« - »Wieso?« erwiderte der Prinz, »ich glaube doch eher, daß er mir was vorgeschwatzt hat.« - »Prinz!« versetzte der Vezier, »verhüte Gott, daß dasjenige, was er von dir berichtet hat, wahr sei! Es wäre jammerschade um deine Jugend und Schönheit.« - »Nun«, erwiderte der Prinz, »da ihr doch meinen Sklaven über seine Rede tadelt, so sage du mir, du bist doch ein verständiger Mann, wo das Mädchen ist, welches diese Nacht bei mir geschlafen hat.« Bei dieser Frage rief der Vezier: »Gott schütze dich, mein Sohn! Wie wäre es möglich, daß ein Mensch bei Nacht hier eingedrungen sein sollte, da doch die Türe verriegelt ist und ein Sklave vor derselben schläft? Nimm deinen Verstand zusammen!« Der Prinz geriet in heftigen Zorn und rief: »Wehe dir! sage mir, wo das Mädchen hingekommen ist, das ich nur aus Furcht und Scheu vor meinem Vater unberührt gelassen?« Der Vezier war sehr erstaunt über diese Worte und rief: »Es gibt keinen Schutz und keine Macht außer bei dem erhabenen Gott! Sage mir, mein Herr! hast du das Mädchen mit deinen eigenen Augen gesehen?« - »Ja, ja!« antwortete der Prinz, »ich habe sie gesehen und wohl gemerkt, daß sie eurer Weisung zufolge kein Wort mit mir sprach, doch habe ich an ihrer Seite geschlafen und des Morgens sah ich sie nicht mehr.« - Der Vezier versetzte; »Mein Herr! du hast vielleicht das Mädchen nur im Traume gesehen.« - »Du kommst also auch nur, um deinen Spott mit mir zu treiben«, erwiderte zornig der Prinz, »und um mir zu sagen, daß dasjenige, was ich dir erzähle, ein Traum sei. Der Diener wird aber sogleich kommen und mir die Wahrheit berichten.« Mit diesen Worten griff Kamr essaman dem Vezier in den Bart, schlang denselben um seine Hand und bearbeitete den Unglücklichen so lange mit Schlägen, bis er das Bewußtsein verlor. Sobald er sich erholt hatte, dachte er bei sich selber: Hat sich doch der Diener aus der Gefahr zu ziehen gewußt, warum sollte ich nicht auch mein Leben retten. Er rief daher dem Prinzen zu, er möchte aufhören ihn zu schlagen, und als er einhielt, sagte er: »Entschuldige mich, mein Sohn! ich bin nur dem Befehl deines Vaters gefolgt, dem ich mich nicht widersetzen konnte, warte nur, ich will dir alles erzählen.« - »So steh' auf«, versetzte der Prinz, »und erzähle!« - »Mein Herr!« sprach der Vezier, »du willst über das schöne Mädchen Auskunft haben?« - »Ja«, antwortete der Prinz, »sage mir, wer sie hergebracht hat und wo sie jetzt ist, damit ich sie heirate, sage dies meinem Vater und bitte ihn herzukommen, und mir sie zur Frau zu geben. Mache geschwind!« Der Vezier hörte kaum die Worte, als er sich auf den Weg machte, und zwar so schnell, daß er über die Schleppe seines Kaftan stolperte. Er glaubte sich nicht eher in Sicherheit, als bis er aus dem Turme war. Als er vor dem König erschien, fragte dieser, »Was bringst du?« - »Herr«, antwortete der Vezier, »dein Sohn ist wahnsinnig.« Schah Seman sagte zu dem Vezier: »Daran ist der Rat schuldig, den du mir gegeben hast! Bei Gott, wenn meinem Sohn etwas widerfahren ist, so lasse ich dir den Kopf abschlagen und alles wegnehmen, was du besitzest!« Hierauf erhob er sich und machte sich auf den Weg nach dem Turme. Der Vezier begleitete ihn.
Als Kamr essaman seinen Vater eintreten sah, stand er auf, küßte ihm die Hand, trat dann ehrerbietig wieder einige Schritte zurück und neigte sein Haupt, während ihm Tränen aus den Augen stürzten. Der König setzte sich auf den Divan, rief den Prinzen an seine Seite und wendete sich mit zornigem Blicke zuerst an den Vezier: »Wie kommst du dazu, von meinem Sohne zu sagen, er sei wahnsinnig? du Hund von einem Vezier.« Dann fragte er ihn: »Welchen Tag haben wir heute?« Er antwortete: »Freitag«, und zählte dann die Tage in ihrer Reihenfolge her bis Donnerstag, ebenso die zwölf Monate des Jahres. Voll Freude darüber rief der König aus: »Gelobt sei Gott für dein Wohl, mein Sohn! Du Hund von einem Vezier! da siehst du, daß er den Verstand nicht verloren hat; wohl aber wird es bei dir nicht ganz richtig sein.« Der Vezier schüttelte den Kopf und dachte: Warte nur ein wenig, du wirst's schon noch erfahren.
Endlich sagte der König zu dem Prinzen: »Mein Sohn, sage mir doch, was für eine Bewandtnis es mit dem Mädchen hat, welches diese Nacht bei dir geschlafen haben soll.« - »Mein Vater«, antwortete Kamr essaman, »ich beschwöre dich bei Gott, meinen Verdruß über diesen Gegenstand nicht noch zu vermehren; beeile dich, sie mir zur Gattin zu geben.«
Der König Schah Seman versetzte: »Besinne dich doch, und der Name Gottes schütze dich und bewahre deinen Verstand und deine Jugend! Bei dem erhabenen Gott, ich weiß nicht das geringste von dem Mädchen, von welchem du redest. Gewiß warst du gestern Abend in einem aufgeregten Zustand und hast im Traum ein Mädchen gesehen, drum nimm deine Zuflucht zu Gott vor dem Satan!« - »Mein Herr und Vater«, versetzte der Prinz, »lasse solche Reden! ich will dir beweisen, daß das, was ich sage, kein Traum, sondern wirklich und wahrhaftig ist. Hat je in seinem Leben einer geträumt, er sei im Gefecht und kämpfe, und hat beim Erwachen ein bluttriefendes Schwert gefunden?« - »Nein, mein Sohn«, antwortete der König, »das ist nie der Fall gewesene - »Nun«, fuhr Kamr essaman fort, »ich träumte gestern gegen Mitternacht, ich sei wach, und fand ein Mädchen an meiner Seite, helleuchtend wie der Mond und mir gleich an Jugend und Gestalt. Ich wollte sie küssen, fürchtete aber, du möchtest dich irgendwo versteckt haben, um uns zu belauschen. Ich hielt daher an mich, nahm aber doch ein Andenken von ihr.« Auf die Frage seines Vaters, worin dieses Andenken bestehe, zog er den Ring vom Finger und überreichte denselben seinem Vater.
Der König rief in höchstem Erstaunen aus: »Ich stehe in Gottes Hand und wende mich zu ihm: ich begreife nicht, wie hier jemand hat eindringen können.« Da sagte Kamr essaman: »Bei Gott, mein Vater, wenn du mir nicht bald dieses Mädchen bringst, sterbe ich vor Verzweiflung.« Darauf sprach er folgende Verse:
»Wollt ihr euer Versprechen, mich zu besuchen, nicht in Wirklichkeit halten, so erscheint mir wenigstens im Traume, denn ihr habt am Trennungstage in meinem Herzen eine brennende Flamme zurückgelassen. Doch hat ein Traumbild je einen Menschen besucht, den der Schlaf flieht? Meine Neider werden sich an meinem Zustande freuen, und während ich früher ein Beneideter war, bin ich jetzt ein Verschmähter.«
Dann fuhr er fort: »Mein Vater, meine Leidenschaft ist schon so heftig, daß ich mich nicht stark genug fühle, ihr zu widerstehen.« Der König schlug die Hände übereinander und rief aus: »Es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei dem erhabenen Gott! Ich weiß kein Mittel, deinen Wunsch zu erfüllen.« Indem er dies sprach, faßte er den Prinzen bei der Hand und führte ihn wieder in den Palast, wo derselbe liebeskrank wurde und sich zu Bette legte. Der König setzte sich ihm zu Häupten und trauerte mehrere Tage mit ihm, ohne weder bei Tag oder bei Nacht von seiner Seite zu weichen, bis endlich der Vezier eines Morgens kam und ihm vorstellte, daß sein ganzes Heer und sein Volk über seine Zurückgezogenheit zu murren anfange. »Meine Meinung ist daher«, fuhr er fort, »den Prinzen nach dem inneren Schlosse mit Aussicht auf das Meer zu bringen und zwei Tage in der Woche den Regierungsangelegenheiten zu widmen. Die übrigen Tage bringst du dann bei deinem Sohne zu, bis Gott helfen wird.« Der König Schah Seman billigte diesen Rat, begab sich zu dem Prinzen in das innere Schloß, das mitten im Meere lag, zu welchem ein 500 Ellen langer Damm führte. Das Schloß hatte 40 Fenster nach dem Meere hin, der Boden war mit farbigem Marmor gepflastert, in die Wände waren die kostbarsten Steine eingelegt, die Decke war mit den verschiedenartigsten Malereien geschmückt, Es war mit seidenen Teppichen, Ruhebetten, Vorhängen und Polstern versehen. Der König verließ den Prinzen nur an den beiden Tagen, welche für die Besorgung der Staatsgeschäfte bestimmt waren. Die übrige Zeit brachte er an dem Bette Kamr essamans zu, der wenig aß und schlief und bald sehr mager und blaß wurde.
So viel, was Kamr essaman angeht. Was die Prinzessin Bedur betrifft, so hatten die Genien sie wieder in ihren Palast zurückgebracht und aufs Bett gelegt. Am Morgen beim Erwachen setzte sich die Prinzessin aufrecht und blickte rechts und links; als sie aber ihren Geliebten nicht fand, geriet sie in die äußerste Unruhe und rief ihren Sklavinnen mit so lauter Stimme, daß diese schleunig herbeiliefen und ihr Bett umgaben. Die älteste von ihnen näherte sich und fragte:
»Meine Gebieterin, was ist dir geschehen?« - »Sage mir«, sprach die Prinzessin, »wo ist der Jüngling hingekommen, den ich von ganzem Herzen liebe, mit schwarzen Augen und zusammenlaufenden Augenbrauen?« - »Gebieterin!« antwortete die Alte in höchstem Erstaunen, »was soll diese Rede bedeuten?« - »Wisset«, fuhr die Prinzessin fort, »ein schöner Jüngling hat diese Nacht bei mir geschlafen, und ich habe ihn vom Abend bis zum Morgen in meinen Armen gehalten.« - »Bei Gott! meine Herrin«, versetzte die Sklavin, »du willst uns sicherlich nur zum besten haben. Aber spaße nicht: denn nach Mutwillen und Scherz kommt der Tod. Ich bin ein altes Weib und stehe am Rande des Grabes; soll ich noch vor der Zeit sterben?« - »Du verdammte Alte«, erwiderte Bedur; »du willst meiner spotten.«
Die Prinzessin fiel hierauf über die Alte her, warf sie zu Boden und schlug sie, bis sie in Ohnmacht fiel. Als sie wieder zu sich kam, begab sie sich zu der Mutter der Prinzessin und erzählte ihr, was sich zwischen ihr und der Prinzessin zugetragen. Dann fuhr sie fort: »Eile zu deiner Tochter, denn sie ist von Sinnen.« Die Königin eilte zur Prinzessin. Nachdem sie sich gegenseitig begrüßt hatten, ließ sich die Königin neben ihrer Tochter auf den Divan nieder und erkundigte sich nach ihrem Befinden und nach dem Sinne ihrer an die Sklavin gerichteten Worte. »O meine Mutter«, antwortete die Prinzessin, »du willst mich auch verspotten; aber ich erkläre, daß ich eher keine Ruhe haben werde, als bis der liebenswürdige Jüngling, der die verflossene Nacht bei mir geschlafen hat, mein Gemahl ist.« Zugleich sprach sie folgende Verse eines Dichters:
»Ach, wie wunderbar war seine Schönheit! und doch ist seine Schönheit nur ein geringer Teil seiner Eigenschaften. In allen seinen Bewegungen liegt ein Zauber.«
»Wenn jemand zu dem Monde sagte: Rühme dich! so würde er sprechen: Ich verdanke meinen Glanz den Tulpen seiner Wangen.«
»Wie der Punkt im Buchstaben, so entsage ich ihm doch nicht, möge ihm Gott auch diese als Tugenden anrechnen.«
»Ich hörte nicht auf, von der Zeit zu fordern, daß sie mich mit ihm vereinige, und er in meine Nähe komme; allein sich fern zu halten, scheint ihm eigen zu sein.«
»Ich verzieh dem Schicksal all seine Ungerechtigkeit, als es ihn zu mir führte, und warf einen Schleier über all seine Unbilden.«
»In fester Umarmung haben wir die Nacht zugebracht: trunken war er von meinen Liebkosungen und ich von dem Becher seines Mundes.«
»Ich drückte ihn fest an mich, wie ein Geiziger seinen Reichtum hält, aus Furcht, es möchte mir eine von seinen Schönheiten geraubt werden.«
»Ich hielt ihn in meinen Armen, als wäre er eine Gazelle, von der ich besorgte, sie möchte mir entfliehen.«
»Wehe dir, meine Tochter!« erwiderte die Königin, »was sollen diese Reden bedeuten?« Die Prinzessin rief: Verruchte Alte! Der König, mein Vater, sucht schon lange mich zur Vermählung zu bewegen, als ich keine Lust dazu hatte: jetzt ist mir diese Lust gekommen, und ich will durchaus den Jüngling, der vergangene Nacht bei mir war, zum Gatten haben, oder ich bringe mich um.«
Die Königin sprach: »Es ist kein Mann zu dir hereingekommen.« Die Prinzessin aber fiel über sie her, schnitt ihr die Haare ab und schlug sie, wobei sie immer wiederholte: »Du lügst, du weißt es, sage mir, wo mein Geliebter ist!« Die Königin rief: »Es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei dem erhabenen Gott!« machte sich mit Hilfe der Sklavinnen von Bedur los und eilte fort zum König. Dieser war eben vom Bett aufgestanden, als die Königin eintrat und ihm zurief: »Stehe auf, geh zu deiner Tochter, denn sie ist wahnsinnig geworden.« Der König machte sich auf und begab sich zu der Prinzessin. Er grüßte sie, und Bedur erwiderte seinen Gruß und küßte ihm die Hand. Hierauf fragte der König: »Meine Tochter, welche Reden habe ich von deiner Mutter hören müssen?«
Bedur antwortete: »Mein Vater, reden wir nicht davon; gib mir nur schnell den Jüngling zum Gatten, der diese Nacht bei mir geschlafen hat.« - »Was, meine Tochter«, versetzte der König, »hat jemand diese Nacht bei dir geschlafen?« - »Mein Vater«, erwiderte die Prinzessin, »es war ein schöner Jüngling mit schmachtenden Augen, und er lag in meinen Armen bis zum Morgen.« Als der König dies hörte, hielt er sie für besessen, kniete auf sie und ließ sie in ein Gemach bringen und verließ sie höchst traurig, nachdem er einige alte Frauen und Eunuchen vor die Türe gestellt hatte. Er berief dann den Vezier und die Großen seines Reichs und setzte sie in Kenntnis von dem, was seiner Tochter widerfahren war. Er sagte ihnen, daß er an ihrem Finger einen wertvollen Ring gesehen habe, und fügte hinzu: »Wenn jemand so geschickt ist, ihre Heilung zu unternehmen und zu bewirken, so will ich sie ihm zur Frau geben und ihm die Hälfte meines Reiches schenken; wer aber ihre Heilung unternimmt und sie nicht zu bewirken imstande ist, dem schwöre ich zu, daß ihm der Kopf abgeschlagen wird und keine Fürbitte was nützt.«
Als die Anwesenden die Worte des Königs vernahmen, wünschten sie ihm alle, daß Gott die Prinzessin heilen möchte. Unter den Anwesenden war auch ein Emir, welcher der Beschwörungskunst kundig war, er sagte dem König: »Ich will sie heilen.« Der König hielt ihm nochmals die Bedingungen vor, unter denen er es wagen müßte; jener bestand darauf, die Heilung zu versuchen. Er ließ sich von dem König zu Bedur begleiten und nahm allerlei Beschwörungen mit ihr vor. Als die Prinzessin den Mann sah, sagte sie zu ihrem Vater: »Wozu bringst du diesen Mann her? Schämst du dich nicht, einen fremden Mann herzuführen?« - »Meine Tochter«, erwiderte der König, »ich habe ihn nur hierher gebracht, damit er den bösen Geist austreibe, der von deiner Seele Besitz genommen hat.« - »Von meiner Seele«, versetzte die Prinzessin, »hat niemand anders Besitz genommen, als der schöne Jüngling, den ich von ganzem Herzen liebe.« Der Emir erkannte wohl, daß ihr Wahnsinn nichts anderes als eine heftige Liebe sei. Er wagte es nicht, dies dem König zu erklären, sondern küßte die Erde vor ihm und sagte: »Mein König! ich weiß kein Mittel gegen ihr Übel.« Der König ließ ihn sogleich festnehmen und hinrichten.
So blieb nun die Sache eine Zeit lang, und dem König schmeckte weder Speise noch Trank. Er ließ in seiner Hauptstadt, auf den anderen Inseln, in den Festungen am Meere und in allen Ortschaften des platten Landes ausrufen: jeder Sterndeuter möchte zum König kommen. Da kam einer, den jemand im Spital getroffen hatte, und erbot sich, die Prinzessin zu heilen und willigte ein, sein Leben zu verwirken, wenn es ihm nicht gelingen sollte. Der König ließ ihn durch einen Diener zur Prinzessin führen. Als der Sterndeuter in Bedurs Zimmer trat und die Ketten an ihrem Hals erblickte, glaubte er nicht anders, als daß sie in der Tat wahnsinnig sei. Er zog aus seinem Sack kupferne Federn, Blei und Papier, zündete Feuer an, streute Weihrauch darauf, spielte die Mandoline und machte alle möglichen Beschwörungen. Die Prinzessin fragte, was alle diese Anstalten bedeuten. Der Sterndeuter antwortete: »Ich bin ein Sterndeuter und will den bösen Geist beschwören, von welchem du besessen bist. Ich will ihn in eine von diesen kupfernen Büchsen sperren, sie mit Blei verschließen und in das Meer werfen, wo es am tiefsten ist.« - »Verfluchter, schweig!« rief die Prinzessin aus; »ein schöner, anmutiger Jüngling, der bis zum Morgen bei mir geschlafen, hat sich meines Herzens bemächtigt, kannst du mir den wieder herbringen und mich mit ihm vereinen?« Bei diesen Worten fing die Prinzessin an zu weinen, und der Sterndeuter sagte zu ihr: »Wenn es sich so verhält, Gebieterin, dann wende dich an deinen Vater: der und nicht ich kann dir verschaffen, was du begehrst.« Hierauf packte er seine Gerätschaften wieder zusammen und entfernte sich, höchst verdrießlich.
Als er vor den König kam, sagte er: »Habt ihr mich zu einer Wahnsinnigen oder zu einer Verliebten gebracht?« Der König ergrimmte über diese Worte und ließ ihm den Kopf abschlagen. So kam noch ein Dritter und Vierter, welche dasselbe Los hatten, wie die beiden ersten. Der König ließ ihre Köpfe auf der Zinne seines Palastes aufstecken; aber es kamen noch viele, bis endlich hundert und fünfzig Köpfe auf der Zinne des Schlosses hingen, zu deren Betrachtung täglich eine große Schar aus der Stadt herbeiströmte. Nun hatte die Amme der Prinzessin einen Sohn, Namens Marsawan, der mit Bedur erzogen und gesäugt worden, folglich ihr Milchbruder war und erst im Jünglingsalter von ihr getrennt worden war. Marsawan hatte Astronomie und Astrologie, Sympathie und Magie studiert und er war darin sehr geschickt geworden. Auch hatte er sich auf Reisen begeben, und zehn Jahre lang unter Ärzten und Wahrsagern gelebt.
Als Marsawan endlich in die Hauptstadt zurückkam, sah er die auf der Zinne des Palastes aufgesteckten Köpfe, und er erkundigte sich nach der Prinzessin, seiner Milchschwester, und man erzählte ihm ihre Geschichte. Hierauf begab er sich zu seiner Mutter, die ihn alsbald fragte, ob er schon wisse, was seiner Milchschwester zugestoßen, und erzählte ihm alles ausführlich. Er erwiderte, er habe schon davon gehört und fragte, ob sie ihm nicht dazu verhelfen könnte, die Prinzessin Bedur heimlich zu sehen, ohne daß der König, ihr Vater, etwas davon erfahre.
Als Marsawans Mutter dies hörte, senkte sie den Kopf; nach einer Weile erhob sie ihn wieder und sagte zu ihm: »Mein Sohn! warte bis morgen früh, dann werde ich ein Mittel ausfindig machen.« Sie wandte sich an den Diener, der die Wache an der Türe hatte, und sagte zu ihm: »Ich habe eine Tochter, die ich mit der Prinzessin gesäugt, und vor einiger Zeit verheiratet habe; sie denkt viel an die Prinzessin, wegen des Unglücks, das ihr widerfahren, ich wünschte daher, sie zu ihr zu bringen, daß sie nach ihr sehe, und sie dann wieder verlasse, ohne daß jemand etwas davon erfahre.« Der Verschnittene sagte zu ihr: »Komm in Gottes Namen diese Nacht mit deiner Tochter, nachdem sich der König entfernt hat.« Die Amme küßte dem Diener die Hand und entfernte sich.
Sobald die Nacht anbrach, ging sie zu ihrem Sohne Marsawan, zog ihm Frauenkleider an, verschleierte ihn und führte ihn nach dem Palaste. Der Verschnittene ließ sie eintreten. Marsawan setzte sich, nachdem er das Obertuch abgenommen und Bücher und Amulette und Beschwörungssprüche aus seiner Tasche gezogen hatte. Die Prinzessin begrüßte ihn und beklagte sich über seine lange Abwesenheit, während derer sie nichts von ihm gehört. Er erwiderte: »O meine Schwester, ich bin aus der Fremde zurückgekommen, als ich Dinge über dich gehört, die meinem Herzen heißen Schmerz bereiteten, in der Hoffnung, dich retten zu können.« Diese aber rief aus: »Wie, mein Bruder! auch du glaubst, ich sei wahnsinnig geworden?« Und sie sprach folgende Verse:
»Sie sagen, Liebe habe meinen Verstand verrückt; ich aber antworte ihnen: Ist das nicht die wahre Wonne des Lebens, wenn Liebe so heftig ist, daß sie den Verstand raubt?«
»Es ist wahr, ich bin verrückt, bringt mir den, um dessen willen ich wahnsinnig bin, und wenn er meinen Wahnsinn heilt, so tadelt mich nicht.«
Aus diesen Reden erkannte Marsawan, daß sie verliebt war und bat sie, ihm alles zu erzählen, was ihr widerfahren sei. Bedur tat es und verschwieg ihm auch nicht den geringsten Umstand.
Als die Prinzessin geendigt hatte, stand Marsawan eine Zeitlang nachdenkend mit niedergeschlagenen Augen. Endlich erhob er den Kopf und sprach: »Meine Schwester, ich kann nicht daran zweifeln, daß sich alles so verhält, wie du gesagt hast. Ich bitte dich nur, den Mut nicht sinken zu lassen und noch eine Weile Geduld zu tragen, ich will alle Länder durchreisen, vielleicht bringe ich dir Trost.«
Nach diesen Worten nahm Marsawan Abschied von der Prinzessin, und bei seinem Weggehen hörte er sie noch folgende Verse sagen:
»Die Sehnsucht malt dein Bild in meinem Herzen, obgleich es schon lange ist, daß wir uns besuchten.«
»Die Hoffnung bringt dich mir nahe, gleich einem Blitz, der in die Augen dringt und verschwindet.«
»O, zögere nicht länger! Du bist das Licht meiner Augen; so lange du dich entfernt hältst, bleibt alles dunkel um mich her.«
»Freut dich die Trennung von mir, so freue ich mich mit deiner Freude.«
»Sei stille, mein Herz, und enthalte dich, ihm Vorwürfe zu machen; denn an dem Tage, wo wir uns finden, müßtest du dich selbst darüber anklagen.«
»Klagt er ja doch mich auch nicht an, und doch verstehen sich unsere Herzen.«
Die Liebesklagen, welche Marsawan beim Weggehen von ihr noch gehört hatte, gingen ihm zu Herzen und trieben ihn zu solcher Eile, daß er sich sogleich reisefertig machte und am folgenden Morgen die Stadt verließ. Er zog von Ort zu Ort, von Land zu Land und von Insel zu Insel und überall, wo er hinkam, hörte er nur von der Prinzessin Bedur und von ihrer Geschichte.
Nach Verfluß von vier Monaten gelangte er nach Tarf, wo er nicht mehr von der Prinzessin Bedur, sondern von dem Prinzen Kamr essaman und seiner Krankheit sprechen hörte, und von dem bösen Geiste, der ihm den Verstand getrübt. Er erkundigte sich, in welcher Stadt dieser Prinz lebe, und erfuhr, daß er zu Lande sechs Monate, zu Wasser aber nur einen Monat brauche, um sie zu erreichen. - Marsawan bestieg einen eben reisefertigen Kauffahrer, auf welchem er nach Verlauf eines Monats die Hauptstadt von Schah Semans Königreich erblickte, denn das Schiff war nur noch eine Tagesreise weit vom Ufer entfernt. Da stieß das Schiff auf einen Felsen. Die Bretter flogen auseinander und das Schiff versank mit allem, was darauf war. Marsawan wurde aber von der Strömung dem Ufer zugetrieben. So gelangte er bis in die Nähe des Schlosses, in welchem Kamr essaman sich aufhielt. Zufälligerweise war es an einem Tage, an welchem die Emire dem König ihre Aufwartung machten. Der König saß auf dem Ruhebette und hatte den Kopf seines kranken Sohnes auf dem Schoße liegen, während ein Diener die Fliegen von ihm verscheuchte. Der Prinz rief in einem fort: »O ihr Wuchs! o ihre Wangen!« Endlich schlief er ein, und der Vezier, der ihm zu Füßen saß, blickte nach dem Meere hin und sah, wie Marsawan dem Ertrinken nahe war. Voll Mitleid mit ihm, benachrichtigte er den König davon und sagte: »Wenn du es erlaubst, so will ich hingehen und ihn vom Tode retten: wer weiß, ob nicht Gott auch deinen Sohn von seinem Übel befreit.«
Der König willfuhr der Bitte, und der Vezier öffnete die Türe, die nach dem Meere führte und ging den Damm entlang und kam gerade am Ufer an, als Marsawan noch einmal aus den Wellen auftauchte. Er reichte ihm die Hand und half ihm heraus und wartete eine Weile, bis er wieder zu sich gekommen war, dann zog er ihm seine Kleider aus und gab ihm andere. Dann sagte er ihm: »Mein Sohn! Ich bin das Werkzeug deiner Rettung, und so kann vielleicht durch dich auch anderen geholfen werden.«
Marsawan bat, ihm zu erzählen, wem geholfen werden sollte und der Vezier sagte ihm alles, was sich mit Kamr essaman zugetragen hatte, von Anfang bis zu Ende.
Die Erzählung des Veziers traf genau mit demjenigen zusammen, was Marsawan schon anderwärts gehört hatte, er konnte jetzt nicht mehr zweifeln, daß der Prinz Kamr essaman derjenige sei, für den die Prinzessin von China in Liebe entbrannte, und er sah sich am Ziel seiner Wünsche. Er folgte dann dein Vezier ins Schloß. Dieser setzte sich zu den Füßen des Prinzen, während Marsawan vor letztern hintrat. Als er ihn erblickte, rief er: Gepriesen sei der Schöpfer! Sein Wuchs, seine Farbe, seine Wangen sind wie die der Prinzessin. Als der Prinz die Augen aufschlug und mit seinen Ohren aufhorchte, sprach Marsawan, nach dem Gebete über Mohammed, folgende Verse:
»Ich sehe dich kummervoll und vernehme dein Seufzen. Deine Gedanken schwärmen bis zu den äußersten Wolken des Himmels.«
»Hat Liebe sich deiner bemächtigt, oder bist du von Pfeilen getroffen? Denn alles, was ich an dir sehe, ist Zeichen eines verwundeten Herzens.«
»Hüte dich, an nächtliche Besuche mich zu erinnern; denn schon der Mund, der von ihr spricht, erregt meine Eifersucht.«
»Ich beneide ihre Kleider, weil sie ihren zarten Körper umgeben, und den Becher mit Getränk, weil er ihre Lippen berührt.«
»Tödlich bin ich verwundet, doch nicht von der Schneide des Schwerts, sondern von Blicken, die gleich Pfeilen in mich drangen.«
»Als wir uns begegneten, fand ich ihre Fingerspitzen rot, als wären sie mit dem Safte des Drachenblutes gefärbt.«
»Ach, sagte ich zu ihr, wie kannst du deine Hände noch färben, wenn ich ferne von dir bin? Ist das der Lohn für Liebespein und Trennungsschmerz?«
»Bei deinem Leben, antwortete sie mir, und ihre Rede schleuderte einen unauslöschlichen Liebesbrand in mein Herz, und kam aus einem Herzen, das aus seiner Liebe kein Geheimnis macht: das ist nicht Farbe, womit ich meine Finger gefärbt habe! laß dich durch diesen Schein nicht trügen und vermehre nicht deinen Kummer durch solche Vermutung;«
»Wisse, als ich dich ferne von mir sah, der du mein Ober- und Unterarm warst, entquoll Blut meinen Augen: davon sind meine Finger so rot.«
»Leicht hätte ich mich trösten können, wenn ich zuerst geweint hätte; aber sie weinte vor mir, und ihre Tränen brachten auch mich zum Weinen und der Vorzug gebührte dem Vorangehenden.«Dieser Vers kommt bei älteren Dichtern vor, es fehlt aber das Vorhergehende, in welchem von einer klagenden Taube die Rede ist.
»O scheltet mich nicht, daß ich sie liebe: denn bei meiner Liebe! es ist schon Leid genug bei der Liebe!«
»Schönheit sondergleichen hat ihr Antlitz geschmückt, und in keinem Lande hat mein Aug' etwas Ähnliches gesehen.«
»Schmachtend sind ihre Augen, fein ihr Wuchs; Rosen sind ihre Wangen, und Wohlgeruch ist ihr Mund. Sie hat die Weisheit Lokmans und die Schönheit Josephs, die Stimme Davids und die Keuschheit Marias.«
»Aber ich empfinde den Schmerz Jakobs und die Angst des Jonas, die Qualen Hiobs und die Reue Adams.«
»Schont ihres Lebens, wenn ihr auch Macht habt, sie zu töten; fragt sie nur, wie sie mein unschuldiges Blut vergießen mochte.«
Der Prinz Kamr essaman fühlte bei diesen Worten Marsawans eine süße Erquickung in seinem Herzen, seine Zunge bewegte sich in seinem Munde und er gab seinem Vater durch Winke zu verstehen, er möchte erlauben, daß der Fremdling sich neben ihn setze. Der König, außer sich vor Freude, stand auf und setzte Marsawan zu Häupten seines Sohnes. Er fragte ihn dann, wer er sei und woher er komme, und nachdem Marsawan ihm geantwortet hatte, er sei ein Untertan des mächtigen Königs von China und komme aus dessen Staaten, sagte er: »Wollte Gott, daß du meinen Sohn von seiner Krankheit heilen könntest.« »So Gott will, wird es geschehen,« erwiderte Marsawan. Er näherte sich hierauf dem Ohre des Prinzen und sprach zu ihm: »Mein Herr, fasse Mut und höre auf, dich so zu betrüben! Frage nicht nach der, um welcher willen du leidest, noch nach ihrem Zustande: du hast dein Geheimnis in deine Brust verschlossen und bist dadurch krank geworden; sie aber hat alles geoffenbart und leidet noch mehr; ihr Zustand grenzt an Wahnsinn, und sie trägt deshalb Ketten an Händen und Füßen.«
Marsawans Worte brachten auf den Zustand Kamr essamans eine so mächtige Wirkung hervor, daß dieser seinen Vater herbeiwinkte, um ihn im Bette aufrecht zu setzen. Der König und der Vezier richteten ihn empor und unterstützten ihn mit zwei Polstern. Die Emire waren hoch erfreut und der König ließ die Pauken schlagen und sagte zu Marsawan: »Das verheißt uns eine glückliche Zukunft.« Dann ließ er Speisen und Getränke bringen. Kamr essaman trank und aß, der Sultan war beglückt durch die Genesung seines Sohnes, der sich den ganzen Abend von Marsawan erzählen ließ, was er von der Prinzessin Bedur wußte. Zuletzt sagte Marsawan: »Mein Herr! was dir mit deinem Vater widerfahren ist, hat sich auch bei ihr mit ihrem Vater ereignet, doch fasse Mut und stärke dein Herz, ich werde dich zu ihr bringen und euch vereinen.« So unterhielt er den Prinzen, bis er gegessen und getrunken und sich wieder gestärkt hatte.
Der König ließ die Stadt sieben Tage hintereinander festlich schmücken, Geschenke unter die Truppen austeilen, alle Gefängnisse öffnen, jede Gewalttat aufhören und die Zölle abschaffen. Als der Prinz mit Marsawan allein war, sagte er zu ihm: »Wie wird es mir mit der Reise gehen? Mein Vater liebt mich so sehr, daß er sich nicht eine Stunde von mir trennen kann; sage mir, wie ich es angreifen soll: ich werde deinem verständigen Rat pünktlich gehorchen und mich in allem deinen Befehlen fügen.« Bei diesen Worten konnte der Prinz seine Tränen nicht zurückhalten. - »Mein Herr«, antwortete Marsawan, »der Zweck meiner Reise hierher war kein anderer, als meinem Herrn, dem König Ghejjur, seine Tochter geheilt wieder zu geben, ich rate dir nun: bitte den König, deinen Vater, er möchte dir vergönnen, morgen mit mir auf die Jagd zu gehen. Willigt er ein, so besteigst du ein gutes Pferd und führst ein zweites neben dir her, ich tue desgleichen, und wir nehmen auch einen Sack Geld mit auf die Reise und flehen Gott um seinen Schutz an.
Am folgenden Morgen ging der Prinz Kamr essaman zu seinem Vater und bezeigte ihm seinen Wunsch, mit Marsawan auf die Jagd zu reiten. »Ich erlaube es gern«, antwortete der König, »jedoch nur unter der Bedingung, daß du nicht mehr als eine Nacht ausbleibest. Du weißt, daß ich fern von dir am Leben keine Freude habe und eine längere Abwesenheit würde mir Sorge machen: denn ich befinde mich in dem Zustande, welchen der Dichter beschreibt:
»Lebte ich im schönsten Wohlbehagen und besäße das Reich der Chosroen, ja die ganze Welt, so würde das alles in meinen Augen nicht den Wert der Flügel einer Mücke haben, wenn mein Auge dich nicht sähe.«
Der König ließ alles zu dem Ausfluge vorbereiten, vier Pferde satteln und einen Dromedar mit Wasser und Lebensmitteln bepacken. Hierauf nahm er von seinem Sohne Abschied, schloß ihn in seine Arme, küßte ihn und war voller Angst und Sorge. Er wollte ihm einen Diener mitgeben, aber Kamr essaman schlug es aus und ritt mit Marsawan hinweg.
Sie beschleunigten ihre Reise und ritten den ganzen Tag. Abends stiegen sie ab, stärkten sich mit Speise und Trank und ritten dann wieder die ganze Nacht durch bis zum Morgen.
Beim Anbruche des Tages befanden sie sich auf einem Kreuzwege. Marsawan tötete eines von den Pferden, zog ihm die Haut ab und begrub dieselbe samt den Knochen; das Fleisch aber nahm er und schnitt es in Stücke. Hierauf nahm er Kamr essamans Mantel, Oberkleid und Hemd, zerriß sie, färbte sie mit Blut und wickelte einige Stücke von dem Pferdefleisch hinein. Auf gleiche Weise machte er es mit seinem eigenen Oberkleid und warf die Fetzen hierhin und dorthin rechts und links auf den Kreuzweg. Kamr essaman fragte Marsawan, was er damit beabsichtige. »Mein Herr«, antwortete Marsawan, »nur dadurch kann unsere Sache gelingen, denn sobald der König, dein Vater, sehen wird, daß wir länger als eine Nacht ausbleiben, wird er uns nachreiten und uns einholen, oder Postboten nachschicken und uns aufsuchen lassen. Kommen sie nun bis hierher und finden diese zerrissenen Kleider und die Spuren von Fleisch und Blut, so werden sie nicht zweifeln, daß uns entweder Straßenräuber ermordet oder wilde Tiere gefressen haben. Der König wird die Hoffnung aufgeben, dich lebend wieder zu finden, und wir können indessen gemächlich unsere Reise fortsetzen.« - »Du hast wohl getan«, erwiderte Kamr essaman. - Sie setzten hierauf ihre Reise ohne ferneren Aufenthalt fort, bis ihnen endlich nach Verfluß geraumer Zeit die Inseln des Königs Ghejjur entgegenleuchteten. Dieser Anblick erfüllte sie mit großer Freude. Sie wünschten sich gegenseitig Glück, und Kamr essaman dankte dem Marsawan für das, was er getan.
In der Stadt angekommen, stieg Marsawan mit dem Prinzen vor einem Chan ab, woselbst sie drei Tage blieben. Am vierten Tage gingen sie zusammen ins Bad und als sie herauskamen, zog Marsawan dem Prinzen das Gewand eines Kaufmanns an, dann ließ er ihm eine goldene geomantische Tafel machen, welche mit Edelsteinen besetzt war, nebst anderen Instrumenten, wie sie Sterndeuter haben und sagte ihm: »Gehe jetzt, stelle dich unter das Tor des königlichen Palastes und rufe, du seist ein Sterndeuter. Der König wird dich sogleich kommen lassen und zu deiner Geliebten führen. Sobald diese dich sieht, wird sie geheilt sein, und der König, voll Freude, wird dich mit ihr vermählen und dir Anteil an seiner Regierung geben.« Kamr essaman merkte wohl auf alles, was Marsawan ihm angab, verließ den Chan in obigem Aufzug mit seinem Apparat, ging nach dem königlichen Palast und rief hier mit lauter Stimme: »Ein Sterndeuter, ein Sterndeuter.«
Die Neuigkeit verbreitete sich schnell in der ganzen Stadt und versammelte eine unzählige Volksmenge um den Prinzen Kamr essaman. Denn es war schon lange Zeit vergangen, daß sich ein Sterndeuter gemeldet hatte. »Wo denkst du hin, Herr?« sagten die Leute zu ihm, »setze dein Leben nicht einem gewissen Tode aus, um eine Prinzessin zur Frau zu bekommen; haben dich die Köpfe, die du dort siehst, nicht abgeschreckt? Um Gottes Willen, tu dies nicht!«
Aber der Prinz Kamr essaman wiederholte seinen Ausruf. »Du bist ein Eigensinniger«, riefen sie, »bei Gott, erbarme dich deiner Jugend!« - Kamr essaman rief zum dritten Mal: »Ein Sterndeuter, ein Sterndeuter!« und jetzt endlich kam der Großvezier des Königs und führte ihn hinein. Sobald der Prinz den König erblickte, warf er sich nieder und küßte den Boden vor ihm. Der König ließ ihn näher treten und sich neben ihn setzen. »Mein Sohn«, sagte er zu ihm, »nenne dich nicht einen Sterndeuter und unterwirf dich meiner Bedingung nicht, denn ich habe beschlossen, den hinrichten zu lassen, der zu meiner Tochter geht, ohne sie zu heilen und sie nur dem zur Frau geben, der sie heilt. Laß dich von ihrer Schönheit und Anmut nicht verleiten, denn bei dem erhabenen Gott, ich lasse dir den Kopf abschlagen, wenn du sie nicht heilst.« Kamr essaman erwiderte: »Ich unterwerfe mich deinen Bedingungen bereitwillig.«
Der König ließ ihn dies vor Zeugen erklären und befahl nun einem Diener, Kamr essaman zu der Prinzessin Bedur zu führen. Der Diener ergriff seine Hand und führte ihn durch den Gang. Kamr essaman eilte so schnell vorwärts, daß er strauchelte. Der Diener rief ihm zu: »Wo läufst du denn so schnell hin? Nicht einer von so vielen Sterndeutern, die ich hier gesehen, hat eine solche Eile bezeigt.« Kamr essaman sah den Diener an, und sprach folgende Verse:
»Ich kenne alle Vorzüge deiner Schönheit; sie haben mich ganz verwirrt, ich bin wie besinnungslos und weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Nenne ich dich Vollmond, so spreche ich unrichtig: denn der Vollmond ist dem Abnehmen unterworfen; deine Schönheit aber bleibt stets unvermindert.«
»Sage ich Sonne zu dir, so weiß ich, daß deine Schönheit sich nie vor meinen Augen verdunkelt, während die Sonne sich oft meinen Blicken entzieht.«
»Vollkommen, ohne Mangel sind deine Reize: sie zu beschreiben ist der Beredsamste unfähig und der Verständigste zu schwach.«
Der Diener ließ dann den Prinzen hinter einem Vorhang vor dem Zimmer der Prinzessin stehen. Kamr essaman sagte zu dem Diener: »Was willst du lieber, soll ich mit dir zu deiner Gebieterin hineingehen, oder soll ich sie von hier aus heilen?« Der Diener war höchst erstaunt über diese Frage und erwiderte: »Es ist besser, wenn du die Heilung von hier aus vollbringst.«
Kamr essaman setzte sich hinter den Vorhang, zog Tinte und Kalam heraus und schrieb folgenden Brief: »Gegenwärtiges ist der Brief eines Menschen, den Unglück verfolgt, den Liebespein verzehrt, den Schmerz und Kummer vor Sehnsucht vernichtet: für ihn ist jede Lebenshoffnung dahin, er sieht dem gewissen Tod entgegen. Nichts kann sein trauerndes Herz vom Gram befreien, und niemand vermag seinem von Kummer stets wachenden Auge beizustehen. Sein Tag vergeht ihm in Flammen und seine Nacht in Qualen. In der Schwäche seines Zustands wiederholt er folgende Verse:
»Ich schreibe dir mit einem Herzen, welches von deinem Andenken glüht, und mit Augen, welche die Sehnsucht entzündet hat, so daß sie Tränen vergießen.«
»Brennende Liebespein umhüllt meinen Leib mit dem Gewande der Magerkeit und erniedrigt ihn.«
»Ich klage die Liebe an um deswillen, was sie mir geschadet: denn nimmer länger bin ich im Stande, ihre Schläge zu ertragen.«
»O sei doch milde und huldreich gegen mich, erbarme dich mein und neige dich mir zu; nimm in deinen Schutz einen Jüngling, dessen Innerstes schon ganz zerrissen ist.«
Unter diesen Brief schrieb er noch folgendes: »Heilung der Herzen ist nur bei Wiedervereinigung der Geliebten, und ihre schrecklichste Qual ist die Trennung. Wer seinen Geliebten hintergeht, den wird Gott zur Verantwortung ziehen, und wer von uns beiden dem anderen treulos wird, dem möge keiner seiner Wünsche erfüllt werden. Du erhältst diesen Brief von dem, der sich nicht zu nennen braucht, um erkannt zu werden; an das schönste und lieblichste der Mädchen, vom treuen Liebenden an die grausame Geliebte, vom Verzweifelnden, Umherirrenden an die schmachtende Gazelle, an die vollkommene Jungfrau, die Perle ihres Geschlechts. Die Nächte bring' ich schlaflos zu, die Tage in düsterem Sinnen; zunehmend ist meine Magerkeit und Entstellung, gering meine Erholung und Ruhe. Ich habe keinen Freund und niemand teilt meinen Kummer. In meiner Brust brennt eine Flamme, die nicht zu ersticken ist; mein Inneres verzehrt eine Glut, die stets sich nur wilder anfacht. Heil wünsch' ich und Segen aus den unerschöpflichen Quellen der Gnade Gottes - dir, bei der mein Herz und meine Seele ist! Der Friede des Himmels sei mit dir, so lange das Siebengestirn über dein holdes Angesicht aufgeht!« Im Übermaß meines Hinsiechens schreibe ich dir:
»Voll Sehnsucht und Verwirrung schreibe ich dies aus schmerzbeengter Brust an den Halbmond, an die Sonne, an die Gazelle, an den Myrtenzweig.«
Und auf die Rückseite setzte er den Schluß:
»Forsche in meinem Brief und in meinen Schriftzügen nach: Sie werden dir von meinem peinlichen Zustande Kunde geben.«
»Während meine Hand schrieb, rannen Tränen aus meinen Augen, und der Kalam klagte meinen Schmerz dem Papier. Meine Tränen flossen unaufhaltsam auf das Papier, und als sie versiegten, folgte ihnen mein Blut.«
»Sei mir also huldreich, gewogen und günstig! Ich sende dir hiermit deinen Ring, sende du mir auch den meinigen.«
Als der Prinz Kamr essaman den Brief vollendet hatte, tat er den Ring der Prinzessin hinein und legte ihn zusammen. Hierauf gab er beides dem Diener und sagte zu ihm: »Geh' und bring dies deiner Gebieterin und öffne das Schreiben vor ihr.« Der Diener trat in das Zimmer der Prinzessin und öffnete das Schreiben vor ihr. Sobald sie es gelesen hatte, tat sie einen lauten Schrei, stemmte sich mit den Füßen gegen die Wand, zerriß die Kette, mit welcher sie angeschlossen war, lief nach der Türe und öffnete den Vorhang. Sie erkannte den Prinzen, der Prinz erkannte sie, und beide stürzten aufeinander zu und umarmten sich zärtlich und waren voll Verwunderung, wie sie sich nun nach ihrer ersten Zusammenkunft in jener Nacht wieder sahen. Der Diener staunte sie eine Weile an, dann entfernte er sich, um den König von China von dem Vorgang zu benachrichtigen. »Mein Herr«, sagte er zu ihm, »dieser Sterndeuter, der wackerste von allen, hat die Prinzessin geheilt, während er hinter dem Vorhang war.« Nachdem er nun dem König das Vorgefallene berichtet, machte letzterer sich freudig auf und begab sich zu seiner Tochter, die er auf dem Divan sitzend fand. Als sie ihren Vater erblickte, stand sie ehrerbietig auf, ging ihm entgegen und küßte ihm die Hand. Der König küßte sie auf dem Haupte und zwischen die Augen; desgleichen den Prinzen und dankte ihm und fragte ihn nach seinen Verhältnissen. Der Prinz sagte zu ihm: »Ich bin ein Prinz, Sohn eines Königs, mein Name ist Kamr essaman, mein Vater heißt Schah Seman und beherrscht die Kanarieninseln.« Hierauf erzählte er ihm seine Geschichte, wobei er die Zusammenkunft mit der Prinzessin in jener Nacht heraushob, in welcher er den Ring von ihrem Finger genommen. Als der Prinz Kamr essaman geendigt hatte, rief der König erstaunt aus: »Bei Gott, diese Geschichte ist so außerordentlich, daß sie verdient, urkundlich aufgezeichnet und der Nachwelt überliefert zu werden.« Die Vermählung wurde noch an demselben Tag gefeiert. Die beiden Liebenden sahen sich am Ziel ihrer Wünsche und erfreuten sich der Seligkeit ihrer Vereinigung.
Nach einiger Zeit dachte Kamr essaman an seine Eltern und sein Leben trübte sich. Eines Nachts hatte er einen Traum, in welchem er seinen Vater zu sehen glaubte, wie er ihm Vorwürfe machte und zu ihm sagte: »Mein Sohn, ist es auch recht, daß du so gegen deinen Vater handelst, der dir das Leben gegeben? Wie schnell hast du mich vergessen! Bei Gott! du mußt wiederkehren, daß ich meine Sehnsucht nach dir stille, ehe ich sterbe!« Dieser Traum machte den Prinzen sehr traurig, und er teilte ihn seiner Gemahlin mit. Bedur ging zu ihrem Vater, küßte ihm die Hand und bat ihn um die Erlaubnis, mit Kamr essaman zu ihrem Schwiegervater reisen zu dürfen, da sie es keine Stunde ohne ihn aushalten könne. Der König von China gewährte seiner Tochter die Bitte und gestattete ihr, ein Jahr am Hofe des Königs Schah Seman zu bleiben; nach Verfluß desselben sollte sie zurückkehren und ihn jedes Jahr besuchen. Die Prinzessin versprach es, und der König gab Befehl zu den Anstalten der Reise; er machte Kamr essaman viele wertvolle Geschenke, empfahl ihm seine Tochter, ließ die Pferde und Kamele vorführen und reiste mit bis an die Grenzen seines Reichs. Dann nahm er von ihnen Abschied und kehrte nach seiner Hauptstadt zurück.
Ungefähr nach Verlauf eines Monats kam das neuvermählte Paar auf seiner Reise in eine große, grüne, fruchtbare Ebene, und da die Hitze außerordentlich drückend war, so beschloß Kamr essaman, hier zu lagern und sich und den Pferden Ruhe zu gönnen, und sie stiegen ab. Die Zelte wurden aufgeschlagen. Die Prinzessin Bedur schlief bald ein. Als Kamr essaman in ihr Zelt trat, fand er sie auf dem Rücken schlafend, nur von einem leichten Hemde und einer Kopfbinde bedeckt, und er ergötzte sich an ihrem Anblick. Dann bemerkte er einen Knoten am Bande ihrer Beinkleider, und als er ihn löste, fand er einen dunkelroten Stein, auf welchem zwei Zeilen ihm unbekannter Namen eingegraben waren. »Dieser Stein«, sagte er leise vor sich hin, »muß meiner Gemahlin sehr wert sein, sonst würde sie ihn nicht so sorgfältig bei sich tragen.« Um ihn besser betrachten zu können, trat er aus dem Zelte. Indem er ihn nun auf der Hand hielt, schoß plötzlich ein Vogel aus der Luft nieder, ergriff ihn und flog damit weg; doch erhob er sich nicht weit vom Boden.
Kamr essaman, sehr bestürzt darüber, lief auf den Vogel zu, wie er aber herankam, flog der Vogel auf. Der Prinz verfolgte ihn so von Tal zu Tal und von Hügel zu Hügel bis zum Abend, da schwang sich der Vogel auf den Gipfel eines hohen Baumes und ließ sich darauf nieder. Kamr essaman blieb erschrocken stehen. Er wollte umkehren, wußte aber nicht, von welcher Seite er gekommen war, bald ward es vollständig Nacht und er rief: Wir sind Gottes und zu ihm kehren wir zurück, legte sich dann unter den Baum und schlief. Am folgenden Morgen verließ der Vogel den Baum, und Kamr essaman lief ihm wieder den ganzen Tag nach, indem er sich von Kräutern nährte und aus Bächen trank, denn der Vogel flog nur langsam vor ihm her. Wunderbar, rief der Prinz aus, der Vogel lockt mich entweder in eine Einöde, in der ich umkomme, oder in ein bewohntes Land, wo ich Rettung finde. Die Nacht brachte der Vogel wieder auf einem Baume und der Prinz unter demselben zu. So trieb er es bis zum zehnten Tage. Endlich am elften Tage gelangte Kamr essaman mit dem Vogel in die Nähe einer großen Stadt. Hier verschwand der Vogel in einem Nu seinen Blicken. Kamr essaman näherte sich den Toren der Stadt, setzte sich vor denselben nieder, wusch Hände, Füße und Gesicht, ruhte ein wenig aus und dachte über sein unglückliches Schicksal nach. Dann ging er in die Stadt hinein, welche, wie er jetzt bemerkte, am Ufer des Meeres lag. Er schlenderte längs des Ufers hin, und nachdem er an verschiedenen Baumgruppen vorübergewandelt war, blieb er endlich vor der Türe eines Gartens stehen. Der Gärtner kam zu ihm heraus, hieß ihn willkommen und sagte: »Gelobt sei Gott, daß du den Bewohnern dieser Stadt glücklich entronnen bist; tritt herein!« Kamr essaman gehorchte und fragte den Alten: »Was ist es denn mit den Leuten dieser Stadt?« - »Wisse, mein Sohn, diese Stadt ist von lauter Götzendienern bewohnt, doch was führt dich hierher?« Da erzählte ihm Kamr essaman, was ihm widerfahren. Der Alte erstaunte sehr darüber und sagte: »Mein Sohn! man braucht zur See vier Monate, um auf islamitisches Gebiet zu gelangen, zu Land aber ein volles Jahr!« Dann sagte er ihm: »Jedes Jahr geht ein Schiff nach der Ebenholzinsel ab, von wo aus du nach den Kanarieninseln gelangen kannst.« Nach einigem Bedenken hielt es Kamr essaman für das beste, bis zur Abfahrt des Schiffes nach der Ebenholzinsel in diesem Garten zu verweilen. Er blieb also da und half dem Gärtner in seinen Gartenarbeiten; die Nacht aber brachte er bei der Erinnerung an seinen Vater und an seine Geliebte mit Seufzen, Klagen und Weinen hin. So viel von Kamr essaman.
Was die Prinzessin Bedur betrifft, so war dieselbe sehr verwundert, als sie beim Erwachen den Prinzen Kamr essaman nicht fand und bemerkte, daß der Knoten an den Beinkleidern gelöst und der Stein nicht mehr darin war. Sie sagte: »Bei Gott, ich glaube, Kamr essaman hat ihn genommen, und er kennt dessen Geheimnis nicht, es muß ihm was zugestoßen sein, sonst würde er nicht fern von mir weilen. Gott verdamme den Stein«, rief sie aus, »und die Stunde, in welcher er solches Unheil herbeigeführt.«
Die Prinzessin Bedur dachte dann über ihren Zustand nach und sagte zu sich selbst: »Wenn ich hinausgehe und dem Gefolge sage, daß ich meinen Gatten vermisse, so wird es lüstern nach mir werden, und ich bin doch nur ein Weib.« Sie stand daher schnell auf, zog Kamr essamans Kleider an, setzte seine Kopfbedeckung auf, legte seine Sandalen an, ergriff seine Keule und warf ein Tuch um ihr Gesicht. Dann befahl sie einer ihrer Sklavinnen, den Kamelsattel einzunehmen, auf welchem sie die Reise bis hierher gemacht hatte, bestieg ein Pferd, das sie den Dienern ihr vorzuführen befahl, ließ die Kamele bepacken und reiste weiter, ohne daß jemand von der Veränderung etwas bemerkte; denn ihre Person hatte große Ähnlichkeit mit der des Prinzen Kamr essaman.
Die Reise ging nun fort, bis man an eine Stadt am Ufer des Meeres gelangte. Die Prinzessin stieg vor den Toren ab, ließ ihr Lager aufschlagen, erkundigte sich nach dem Namen der Stadt und ihres Beherrschers und erfuhr, daß sie vor der Hauptstadt des Reichs der Ebenholzinseln angekommen sei, deren König Armanus heiße und der eine Tochter mit Namen Hajat Alnusus habe. Als der König Armanus von der Ankunft der Fremden hörte, schickte er einen Boten, um zu hören, wer die Ankömmlinge seien und was sie hierher geführt habe. Der Bote brachte die Nachricht, es sei der Sohn des Königs Schah Seman, welcher auf der Rückkehr in seine Heimat sich verirrt habe und seinen Weg nach den Kanarieninseln fortzusetzen wünsche. Der König Armanus ging sogleich, von seinen Großen umgeben, Bedur entgegen, und nach gegenseitiger Begrüßung führte er sie in die Stadt und bot ihr seinen Palast zur Wohnung an. Er ließ ihr Lager abbrechen und ihre Dienerschaft nebst allem, was sie mit sich führte, in seinem Palast unterbringen. Er bewirtete sie drei Tage hindurch, und als die drei Tage verflossen waren, kam der König Armanus zu ihr. Sie war eben aus dem Bade gestiegen, hatte ihr Gesicht unverhüllt und trug einen seidenen Kaftan, der mit Gold durchwirkt war. Der König sprach zu ihr: »Mein Sohn, wisse, daß ich ein bejahrter Greis bin ohne männliche Nachkommen, aber ich habe eine Tochter, welche dir, gelobt sei Gott! an Schönheit und Anmut nahe kommt. Da ich nun zu schwach bin, um noch länger zu regieren, so könntest du wohl in meinem Lande dich niederlassen, meine Tochter heiraten, ich übergebe dir die Regierung und begebe mich in den Ruhestand.«
Die Prinzessin Bedur senkte ihren Kopf zur Erde, um die Schamröte zu verbergen, welche ihr Schweißtropfen auf die Stirne trieb. Was soll ich tun? dachte sie; ich bin ja selber ein Weib. Weigere ich mich, so bin ich meines Lebens nicht sicher, der König wird mir nachstellen lassen, mich in seine Gewalt bringen und mein Geheimnis entdecken, und ich weiß ja nicht, was aus meinem Geliebten geworden ist. Es bleibt mir also nichts übrig, als hier zu bleiben und zu erwarten, wie der Himmel weiter hilft.
Sie erhob daher ihr Haupt wieder und gab ihre Zustimmung zu erkennen. Der König war sehr erfreut darüber und ließ das freudige Ereignis in seinem ganzen Reiche bekannt machen und sowohl in seiner Hauptstadt als auf den umliegenden Inseln Feste veranstalten. Auch versammelte er seinen Rat, entsagte in Gegenwart desselben der Regierung zugunsten seines Eidams, der in königlichem Ornat erschien, und die Großen seines Reiches, die obersten Staatsbeamten und die Truppenbefehlshaber huldigten der Prinzessin Bedur, welche alle für einen Prinzen hielten. Hierauf ordnete der König die Ausstattung und die Hochzeitsfeierlichkeiten an, und am Abend wurde Prinzessin Hajat al Rufus ihrem vermeintlichen Bräutigam zugeführt, und sie glichen zwei Monden. Als hierauf Bedur sich in das Brautgemach begab, fiel ihr die lange Trennung von ihrem geliebten Kamr essaman schwer aufs Herz. Sie seufzte und setzte sich schweigend neben Hajat al Rufus und küßte sie; dann stand sie auf, wusch ihre Hände und betete so lange, bis Hajat al Rufus die Augen schloß. Dann legte sie sich neben ihr nieder, kehrte ihr den Rücken zu und erwartete den Anbruch des Morgens.
Da begab sich der König Armanus und seine Gemahlin in das Gemach ihrer Tochter und erkundigten sich, wie es ihr in der verflossenen Nacht ergangen sei und sie erzählte ihnen, was sich zugetragen hatte. Da sprach der König Armanus zu ihr: »Meine Tochter, das muß dir keinen Kummer machen. Der Prinz Kamr essaman dachte wahrscheinlich an seinen Vater und seine Familie und gab sich deshalb nicht der Liebe hin, in der kommenden Nacht wird es anders werden.« Die Prinzessin Bedur beschäftigte sich den Tag hindurch mit Annahme der Glückwünsche ihrer Veziere, Emire und Truppen, denen sie freundlich zulächelte. Sie verteilte Ehrenkleider und andere Geschenke und vermehrte die Lehengüter der Emire, gab Befehle und erließ Verbote, erwarb sich den Beifall und die Liebe aller.
Es war schon Abend, als sie den Divan entließ und sich wieder in den Palast der Königin Hajat al Nufus begab. Beim Eintritte fand sie dieselbe auf einem Divan sitzend, neben welchem eine Wachskerze brannte. Bedur setzte sich neben sie und küßte sie auf die Wangen, dann fiel ihr wieder ihr Geliebter ein, sie erhob sich, begann ihr Gebet zu verrichten, machte es aber wieder so lange, daß Hajat al Nufus darüber einschlief. Jetzt legte sie sich neben sie und schlief auch. Am folgenden Morgen stand sie auf, legte den königlichen Schmuck an und begab sich wieder in die Versammlung des Staatsrates. Der König Armanus ermangelte auch diesen Morgen nicht, seine Tochter zu besuchen, und fragte sie nach ihrem Zustande und sie erzählte ihm wieder, was sich ereignet hatte. Da sagte er zu ihr: »Meine Tochter, habe noch Geduld bis zur nächsten Nacht! Benimmt er sich nochmals so, so will ich ihn wieder absetzen und aus meinem Lande verbannen.«
Es war schon Nacht, als Bedur wieder zu Hajat al Nufus kam, welche wieder dasaß bei einer brennenden Wachskerze und wie der Vollmond aussah. Sie betrachtete sie, dachte dabei an ihren Geliebten, wusch sich, betete und wollte aufstehen; aber Hajat al Nufus sagte zu ihr: »Schämst du dich nicht vor meinem Vater und denkst du nicht an das Gute, das er dir erwiesen?« Bedur setzte sich wieder und sagte: »Was sagst du da?« »Was ich sage«, versetzte Hajat al Nufus, »hat man je einen von seiner Schönheit so eingenommenen Menschen wie du gesehen? sind etwa alle hübschen Männer so eingebildet? doch bei Gott, ich sage das nicht aus Verlangen nach dir, sondern aus Liebe und Mitleid. Wisse, der König, mein Vater, wartet nur noch den folgenden Tag ab. Er hat sich vorgenommen, wenn er von mir nicht erfährt, was er sich wünscht, dich morgen der Regierung zu entsetzen und davonzujagen, er könnte dich, wenn seine Entrüstung zu heftig wird, sogar ums Leben bringen. Ich habe dir jetzt meinen Rat erteilt: tue nun, was du willst.« Diese Rede setzte die Prinzessin Bedur in Verlegenheit. Sie senkte ihr Haupt und überlegte: Widersetze ich mich, so bin ich verloren. Nun bin ich aber doch Königin der Ebenholzinseln. Mein Gemahl, der Prinz Kamr essaman muß auf dem Wege nach dem Reiche seines Vaters notwendig hierher kommen.
Nachdem Bedur auf diese Weise überlegt hatte, sagte sie mit ihrer natürlichen Frauenstimme: »Geliebte Prinzessin, was ich getan habe, ist nicht freiwillig, sondern gezwungen geschehen.« Sie vertraute ihr dann ihre Lage an, erzählte ihr ihre ganze Geschichte. Zu gleicher Zeit entblößte sie ihren Busen und fuhr fort: Du siehst, ich bin ein Weib wie du, und bat sie, ihr Geheimnis zu bewahren, bis der Prinz Kamr essaman ankommen wird. Hajat al Nufus fühlte das innigste Mitleid mit der Prinzessin. Sie versicherte dieselbe, daß sie keinen sehnlicheren Wunsch habe, als sie möchte mit ihrem Gemahl bald wieder vereinigt werden. Hierauf umarmten die beiden Prinzessin einander zärtlich, scherzten und lachten bis sie einschliefen. Kurz vor dem Morgengebete stand Hajat al Nufus auf und traf alle Anstalten, um die Ihrigen über das Vorgefallene zu täuschen und Jubelgeschrei ertönte aus dem Munde der Sklavinnen. Die Prinzessin Bedur begab sich nach wie vor in die Versammlung des Divans, und fuhr fort zu regieren. So verging eine geraume Zeit, während welcher Bedur ihre Tage mit Staatsangelegenheiten und ihre Abende in freundlichen und vertraulichen Gesprächen mit der Prinzessin Hajat al Nufus zubrachte.
Während diese Dinge auf der Ebenholzinsel vorgingen, war der Prinz Kamr essaman noch immer in der Stadt der Götzendiener bei dem Gärtner, der ihn aufgenommen hatte. Sein Vater aber, der König Schah Seman, war äußerst niedergeschlagen, als er ihn die ersten Nächte nicht von der Jagd zurückkommen sah. Mit der größten Ungeduld erwartete er den dritten Morgen. Sogleich mit Tagesanbruch bestieg er ein Pferd, nahm eine große Zahl Soldaten mit sich und verteilte sie nach verschiedenen Seiten und bestimmte ihnen den Kreuzweg zum Sammelplatz. Auf diese Weise streiften sie mehrere Tage umher. Am dritten Mittag endlich kamen sie bei dem Scheidewege zusammen. Da erblickten sie die zerrissenen Kleider und die Spuren von Fleisch und Blut. Als er dies sah, stürzte er mit dem Ausruf: »Wehe, mein Sohn!« ohnmächtig zu Boden. Nachdem er durch seine Leute, welche ihm Wasser ins Gesicht spritzten, wieder zu sich gebracht worden war, schlug er mit geballten Fäusten gegen sein Haupt, zerriß seine Kleider und glaubte fest, daß er seinen Sohn auf immer verloren habe. Die Leute des Königs stimmten in die Klagen des Vaters mit ein, zerrissen gleichfalls ihre Kleider, streuten Erde auf ihr Haupt und schrien und weinten, bis die Nacht hereinbrach. Verzweiflung im Herzen und dem Tode nahe, kehrte der König in seine Hauptstadt zurück und ließ auf allen Inseln seiner Herrschaft ausrufen, daß man wegen des Todes seines Sohnes Trauerkleider anlege, er ließ auch ein Gebäude aufführen, das er das Haus der Trauer nannte, und brachte außer den zwei Wochentagen, an welchen er die Regierungsangelegenheiten besorgte, alle seine Zeit weinend und Trauergedichte rezitierend, daselbst zu.
Indessen hatte der Prinz Kamr essaman den Gärtner, bei welchem er sich aufhielt, in seiner Arbeit unterstützt. Eines Morgens, als er wieder in seine Geschäfte gehen wollte, hielt ihn der Gärtner davon ab. »Die Götzendiener«, sagte er zu ihm, »haben heute ein großes Fest, deshalb magst du auch feiern. Ich lasse dich hier, und da die Zeit herannaht, daß das Schiff, von welchem ich dir gesagt habe, nach der Ebenholzinsel unter Segel gehen wird, so will ich mich nach dem Tage seiner Abfahrt erkundigen, und zugleich dafür sorgen, daß du mitfahren kannst.« Als der Prinz Kamr essaman allein war, tauchte die Erinnerung an sein Schicksal wieder in ihm auf; er wandelte im Garten umher, bis er auf einem Baume zwei Vögel erblickte, die miteinander in Streit waren. Einer derselben hackte dem anderen mit dem Schnabel den Hals ab, so daß er tot vom Baume herabfiel, worauf jener sich wieder in die Luft schwang und verschwand. Sogleich kamen von einer anderen Seite zwei große Vögel, setzten sich, der eine zu dem Haupte, der andere zu den Füßen des Toten, betrachteten ihn eine Weile kopfschüttelnd, kratzten ihm dann mit ihren Klauen ein Grab und legten ihn hinein. Sobald die beiden Vögel das Grab zugescharrt hatten, flogen sie weg, kamen aber nach kurzer Zeit wieder und hielten mit ihren Schnäbeln den Vogel, der den ersten getötet hatte. Sie schleppten ihn auf das Grab des Ermordeten, knieten auf ihn und hackten so lange auf ihn los, bis er tot war. Zuletzt rissen sie ihm den Bauch auf, zogen die Eingeweide heraus, und ließen die zerstreuten Stücke des Leichnams liegen. Kamr essaman hatte mit großer Verwunderung zugesehen. Er näherte sich dem Platze, auf welchem der Kampf stattgefunden hatte, und indem er die Augen auf die zerstreuten Eingeweide warf, sah er aus dem Magen des getöteten Vogels etwas Rotes hervorragen, das wie Feuer glitzerte. Er hob den Magen auf, trocknete ihn ab und fand, daß der Stein darin war, der seine Trennung von seiner Geliebten verursacht. Außer sich vor Freude, warf er sich zur Erde nieder und rief: »Bei Gott, das ist ein gutes Zeichen! Ich nehme es als Vorbedeutung, daß der Himmel beschlossen hat, mich wieder mit meiner Geliebten zu vereinigen.« Nach diesen Worten küßte er den Edelstein, drückte ihn an sich und legte sich schlafen. Am folgenden Morgen umgürtete sich Kamr essaman, nahm eine Hacke und einen Korb und durchstreifte den Garten, bis er an einen Johannisbrotbaum gelangte. Als er nun einen Ast der Wurzel durchhieb, traf er auf etwas, das einen hellen Klang gab. Er räumte die Erde weg und entdeckte eine große eherne Platte, unter welcher er, nachdem er sie rings herum frei gemacht und aufgehoben hatte, eine ausgehauene Treppe von zehn Stufen fand. Er stieg hinab und kam in ein Gewölbe in Form eines großen Saals, in welchem er fünfzig große eherne Gefäße, wie Urnen gestaltet, rings herum stehen sah. Er nahm eine Hand voll davon und siehe da, sie waren voll mit Goldstaub, so fein wie Mehl. Da dachte er: das Unglück ist verschwunden, und das Glück ist wieder bei mir eingekehrt, stieg aus dem Gewölbe herauf, deckte die Platte wieder auf die Treppe und ging nach Hause.
Als der Gärtner nach Hause kam, rief er: »Gute Nachricht, mein Sohn! das Schiff ist ausgerüstet und wird in drei Tagen absegeln. Ich werde dir einen Platz belegen.« Kamr essaman erwiderte: »Ich kann dir auch eine Neuigkeit mitteilen, welche dir Vergnügen machen wird.« Er erzählte ihm hierauf von der Platte und den Urnen. Der Alte freute sich und sagte: »Ich bin schon achtzig Jahre hier - denn ich wohnte schon zu meines Vaters Lebzeit hier - ohne etwas Ähnliches zu entdecken; du bist noch nicht ganz ein Jahr hier. Das ist ein Beweis, daß dir Gott diesen Schatz beschert, um dein Unglück zu enden, und dich zu den Deinigen zurückkehren zu lassen.«
Der Prinz beteuerte aber, daß er durchaus nichts davon nehmen würde, wofern nicht der Gärtner die Hälfte für seinen Teil behielte, und so gingen sie miteinander hin und teilten sich jeder fünfundzwanzig Gefäße zu. Nach geschehener Teilung sagte der Gärtner zu Kamr essaman: »Mein Sohn, du mußt auch eine Anzahl große Töpfe mit Oliven aus unserm Garten mitnehmen, denn die hiesigen sind so gut, daß sie nach allen Ländern versendet werden. Fülle die Töpfe zur Hälfte mit Goldstaub und lege die Oliven oben darauf; und lasse sie auf das Schiff bringen.« Kamr essaman befolgte diesen Rat und verpackte fünfzig Töpfe und stellte sie unter die Mauer des Gartens, nachdem der Gärtner einen Platz für ihn auf dem Schiffe bestellt hatte, auf welchem noch andere Kaufleute sich befanden. Er unterhielt sich hierauf mit dem Gärtner, dachte dann an seine Geliebte und sagte zu sich selbst: wird sie wohl in ihre Heimat zurückgekehrt sein, oder ihre Reise nach der meinigen fortgesetzt haben, oder ist ihr gar ein Unglück widerfahren? Wehe! Wehe! o meine Geliebte! Er wünschte, daß die Zeit bis zur Abfahrt schon zu Ende ging und erzählte dem Gärtner die Geschichte von den Vögeln und dem Edelsteine, worüber dieser sehr erstaunte. In der folgenden Nacht wurde der Gärtner krank; die Krankheit nahm am zweiten Tage überhand, und am dritten Morgen befand er sich noch schlechter. Kamr essaman war sehr betrübt darüber. Da kamen Leute zu dem Gärtner und sagten: »Das Schiff ist zur Abfahrt bereit; wo ist der Reisende, den wir nach den Ebenholzinseln mitnehmen sollen?« - »Ich bin es selber«, antwortete Kamr essaman. »Der Gärtner liegt krank und bewußtlos, traget diese Töpfe inzwischen auf das Schiff.« Die Matrosen trugen die Töpfe fort und stellten sie beiseite und sagten zu Kamr essaman: »Verfehle nicht, unverzüglich nachzukommen; der Wind ist günstig.«
Er ließ dann all sein Gepäck und seinen Proviant auf das Schiff bringen und ging wieder zu dem Gärtner hinein, um ihm Lebewohl zu sagen, aber er fand ihn in den letzten Zügen, und kaum hatte er ihn noch sein Glaubensbekenntnis hersagen lassen, so sah er ihn verscheiden. Kamr essaman drückte ihm die Augen zu, wusch den Leichnam, kleidete ihn in das Totengewand und beerdigte ihn. Als er damit fertig war, neigte sich der Tag bereits zu seinem Ende. - Mit brennendem Herzen lief er nun nach dem Hafen, um sich einzuschiffen; aber als er ankam, fand er das Schiff nicht; es hatte längst die Segel gespannt und war bereits außer Sicht. Die Kaufleute hatten bereits drei Stunden auf ihn gewartet, waren aber dann, da der Wind günstig war, ohne ihn abgereist.
Kamr essaman geriet ganz außer sich, streute Erde auf sein Haupt und schlug sich auf die Brust und ins Gesicht. Er kehrte dann nach dem Garten zurück und mietete denselben von dem Eigentümer. Er nahm einen Arbeiter in Dienst, welchen er lehrte, wie er die Pflanzen begießen sollte, dann begab er sich in das unterirdische Gewölbe und tat den Goldstaub in fünfzig andere Krüge, die er oben mit Oliven füllte und gab die Hoffnung auf, vor Ablauf eines Jahres abreisen zu können, denn man sagte ihm, daß kein zweites Schiff in diesem Jahre mehr abgehen würde. Er war außer sich vor Schmerz und weinte Tag und Nacht, denn auch den Edelstein hatte er mit dem Golde verpackt, das auf das Schiff gebracht worden war. - Mittlerweile setzte das Schiff seine Fahrt mit sehr günstigem Winde fort und langte glücklich in der Hauptstadt der Ebenholzinsel an. Das Schicksal wollte, das die Königin Bedur gerade am Fenster stand und zusah, wie das Schiff vor Anker ging. Da pochte ihr Herz und ihr Innerstes geriet in die größte Aufregung. Sie ließ alsbald Pferde vorführen und ritt in Begleitung mehrerer Emire und Kammerherrn nach dem Hafen und kam gerade dort an, als die Waren ausgeschifft und von den Kaufleuten in ihre Magazine gebracht worden. Sie ließ den Schiffshauptmann vor sich kommen und fragte ihn, was er mitgebracht habe. Dieser nannte ihr unter anderen Waren kostbare Stoffe, Spezereien und Wohlgerüche, Moschus, Ambra, Kampfer, Oliven u. s. w. Als die Prinzessin Bedur von Oliven hörte, welche sie leidenschaftlich liebte, so sagte sie, um die wahre Absicht, welche sie herbeigeführt hatte, durch längeren Aufenthalt nicht zu verraten: »Bei Gott! nach Oliven sehne ich mich schon lange; wieviel hast du an Bord?« - Es sind fünfzig sehr große Krüge«, antwortete der Schiffshauptmann, »aber der Eigentümer ist nicht mitgekommen: doch mag der König, den Gott bewahre, davon so viel nehmen, als ihm beliebte.« »Bringet sie her!« sagte Bedur.
Der Hauptmann schickte seine Leute nach dem Schiff und ließ die Oliven holen. Die Prinzessin erklärte ihren Wunsch, alle fünfzig Krüge zu kaufen und fragte nach dem Preise. »Mein Herr«, antwortete der Schiffshauptmann, »in dem Lande, aus dem sie kommen, sind sie gar nichts wert; dort kosten fünfzig Krüge hundert Dirham und ihr Eigentümer ist nur ein armer Mann.« »Und was sind sie hier wert?« fragte Bedur. »Tausend Dirham«, antwortete der Schiffshauptmann. »Wohl«, sagte Bedur, »ich nehme sie für tausend Dirham«, und nachdem sie in ihrer Gegenwart die Krüge wegtragen lassen, kehrte sie nach dem Palaste zurück und begab sich zu Hajat al Nufus, und sie ließ die fünfzig Olivenkrüge bringen. Sie öffnete einen und leerte den Inhalt des Gefäßes in eine große Schüssel. Ihr Erstaunen konnte nicht größer sein, als sie die Oliven mit Goldstaub vermischt sah. »Was ist das?« rief sie aus, stand auf und leerte auch die anderen Krüge aus, und, siehe da! alle waren mit Goldstaub gefüllt und nur einige Oliven darauf gelegt. Als sie das Gold näher untersucht, fand sie zuletzt auch noch ihren Edelstein und erkannte ihn. Bei diesem unerwarteten Anblick war ihre Überraschung so groß, daß sie ohnmächtig auf den Divan zurücksank.
Sobald Bedur ihrer Sinne wieder mächtig war, sprach sie zu Hajat al Nufus: »Dieser Stein ist die Ursache der Trennung von meinem Geliebten gewesen: er wird nun auch, so Gott will, unsere baldige Wiedervereinigung herbeiführen.«
Die Prinzessin Bedur konnte den Morgen kaum erwarten, und schickte, sobald es Tag war, hin, und ließ den Schiffshauptmann holen. Als er gekommen war, sagte sie zu ihm: »Wehe dir! wo hast du den Eigentümer der Oliven gelassen?« Der Schiffshauptmann antwortete: »Der Eigentümer der Oliven ist ein Gärtner in der Stadt der Götzendiener.« »Bei dem erhabenen Gott.« sagte die Prinzessin Bedur, »wenn du nicht sogleich zurückkehrst und mir ihn herbringst, so wirst du sehen, was dir und den Kaufleuten, welche mit deinem Schiff angekommen sind, widerfährt!« Sie ließ dann die Magazine der Kaufleute versiegeln und die Vornehmsten unter ihnen bewachen und sagte: »Der Eigentümer dieser Oliven hat eine Schuld gegen mich abzutragen, wenn ihr ihn nicht herbringt, so lasse ich euch alle hinrichten und bemächtige mich eurer Güter.« Die Kaufleute baten den Schiffshauptmann, mit dem Schiffe sogleich wieder umzukehren, und sie von diesem König zu befreien, Gottes Lohn werde ihm nicht ausbleiben.
Der Kapitän ging sogleich auf sein Schiff, rief seine Matrosen herbei und ließ Lebensmittel an Bord schaffen, so viel er zur Reise nötig hatte, und ging unter Segel. Gott ließ ihn in Frieden ziehen, und nach einer glücklichen Fahrt kam er vor der Stadt der Götzendiener an und begab sich alsbald nach Kamr essamans Garten.
Kamr essaman hing seinem Schmerze über die Trennung von seiner Gattin nach, und weinte und stöhnte, als er an die Gartentüre pochen hörte. Er eilte hin, um zu öffnen, kaum aber hatte er dies getan, als der Kapitän und die Matrosen, ohne ein Wort zu reden, über ihn herfielen und ihn auf das Schiff brachten, welches dann unverzüglich wieder nach der Ebenholzinsel segelte.
Kamr essaman fragte jetzt den Kapitän, was ihn veranlasse, ihn so gewaltsam zu entführen. »Bist du nicht der Schuldner des Königs der Ebenholzinsel?« fragte ihn dagegen der Kapitän. Kamr essaman erwiderte: »Ich habe nie sein Königreich betreten.« - Sie fuhren dann immerfort, bis sie wieder zur Hauptstadt kamen. Ob es gleich schon Nacht war, als sie in dem Hafen ankerten, so stieg der Kapitän dennoch ans Land und führte den Prinzen Kamr essaman zum König.
Sobald Bedur den Prinzen erblickte, erkannte sie ihn sogleich. Doch tat sie sich Zwang an und sagte: »Laßt ihn bei meinen Dienern.« Darauf gab sie den Kaufleuten ihre Waren frei und machte dem Kapitän des Schiffs reiche Geschenke, ging zu Bette und erzählte alles Hajat al Nufus und sagte zu ihr: »Halte ja alles verborgen, bis ich meinen Zweck erreicht habe.« Am anderen Morgen ließ sie Kamr essaman ins Bad führen und anständig kleiden, ernannte ihn darauf zum ersten Emir, und schenkte ihm Mamelucken, Diener, Pferde und Schätze und alles, was sonst ein Emir bedarf. Kamr essaman kam aus dem Bade wie der Zweig eines Ban; er ging ins Schloß und küßte die Erde vor der Prinzessin. Als Bedur ihn sah, mußte sie sich wieder viel Gewalt antun, um ruhig zu erscheinen; sie nahm ihm die Emirstelle ab, machte ihn zum Schatzkämmerer und näherte sich ihm so viel wie möglich; sie machte allen Großen seinen Rang bekannt, und alle liebten und verehrten ihn, und machten ihm viel Geschenke. Bedur brachte ihn sich immer näher, überhäufte ihn mit Geschenken und Kamr essaman war nicht wenig erstaunt darüber und konnte es sich gar nicht erklären. Auch machte er viele Geschenke, teilte Geld aus und diente dem König Armanus, und näherte sich ihm mehr und mehr, bis er ihn heftig liebte; auch alle Großen und alle Stadtbewohner liebten ihn sehr und schworen bei seinem Leben. Als die Königin Bedur sah, daß er alle Herzen gewonnen, sagte sie zu ihm: »Kamr essaman, du mußt diese Nacht bei mir zubringen; ich habe etwas mit dir zu beraten.« Er sagte: »Ich werde gehorchen.« Als es Nacht war und alle Leute weggingen, blieb Bedur allein mit ihm und stellte den Obersten der Verschnittenen an die Türe; sie setzte sich auf ein Sofa und lehnte sich an ein Kissen und streckte ihre Füße aus. Kamr essaman blieb unten stehen mit gefalteten Händen; er war sehr verlegen und dachte, warum will wohl der König mit mir allein bleiben; doch es geschehe, was Gott will! Bedur sagte ihm: »Komm herauf zu mir!« Kamr essaman aber antwortete: »Mein Platz hier ist gut.« Sie sagte: »Willst du nicht gehorchen, wenn ich dir etwas zu sagen habe?« Er wiederholte: »Ich stehe hier ganz gut.« Da sagte sie: »Wehe dir! darfst du wohl mir widerspenstig sein? Komm zu mir her, daß ich dich um Rat frage.« Kamr essaman trat ängstlich zu ihr hin und fürchtete, der König möchte Ungebührliches von ihm verlangen. Nachdem er sich aber eine Weile geängstigt hatte, gab sich ihm Bedur zu erkennen; worauf sie sich umarmten und sich gegenseitig erzählten, was ihnen seit ihrer Trennung widerfahren. Kamr essaman machte dann seiner Gattin Vorwürfe, daß sie ihre Verstellung so lange fortgesetzt, sie bat ihn um Entschuldigung, indem sie ihm sagte: durch diesen Scherz, den sie sich erlaubt, sei die Freude nachher um so größer geworden.
Am folgenden Morgen ließ Bedur den König Armanus zu sich rufen und teilte ihm ihre ganze Geschichte und ihr Verhältnis zu Kamr essaman mit. Er war sehr erstaunt, als er erfuhr, daß er seine Tochter mit einer Frau vermählt, und daß Kamr essaman der Sohn eines Sultans. Er wendete sich dann zu diesem und sagte ihm: »Da du König und Sohn eines Königs bist, so wünsche ich, daß du meine Tochter Hajat al Nufus zur Gattin nehmest.« Kamr essaman willigte ein und alsbald wurde der Heiratsvertrag geschrieben und die Ehe vollzogen.
Am folgenden Morgen teilte Kamr essaman unter den Truppen Geschenke aus und leitete alle Regierungsgeschäfte mit Unparteilichkeit, so daß der Ruf seiner Gerechtigkeit sich über alle Länder verbreitete. Die Nächte brachte er abwechselnd bei Bedur und bei Hajat al Nufus zu und vergaß ganz seinen Vater und seine Mutter. Er bekam zwei Söhne, einen von Bedur und einen von Hajat al Nufus, und nannte den einen Asad (der Glückselige), den anderen Amdjad (der Glorreiche). Als sie groß wurden, lernten sie Philosophie, schöne Wissenschaften und Kalligraphie, bis sie das männliche Alter von zwanzig Jahren erreicht hatten. Sie liebten einander sehr, schliefen in einem Bett, und alle Leute beneideten sie wegen ihrer Schönheit und Eintracht. Sooft Kamr essaman auf die Jagd ging, setzte er einen seiner Söhne, jeden Tag einen andern, auf den Thron. Die beiden Königinnen hatten eine unglaubliche Zärtlichkeit für sie, und wenn die Prinzen nach Hause kamen, sah jede der beiden Frauen den Sohn der anderen mit Liebe an. Bedur war ganz für Amdjad, und Hajat al Nufus für Asad eingenommen, und sie scherzten und liebkosten mit ihnen; denn der Teufel hatte ihnen ihr Betragen als schön vorgemalt, so daß jede von ihnen den Sohn der anderen an ihre Busen drückte und ihn küßte. Dadurch nahm ihre Leidenschaft immer mehr zu, und die liebenden Frauen konnten weder essen, noch trinken, noch schlafen. Eines Tages ging Kamr essaman auf die Jagd, und Amdjad saß auf dem Thron als Richter. Da schrieb ihm Bedur, die Mutter Asads, einen Brief, in dem sie ihm offen ihre Liebe erklärte. Sie schickte den Brief durch einen Diener nach der Wohnung der Königin Hajat al Nufus; aber der Diener fand ihn nicht dort, denn er hielt Sitzung bis nach zwei oder drei Uhr Mittags: dann erst gab er das Zeichen zum Aufbruch und schickte sich an, wegzugehen. Er war gerade auf den Treppen des Schlosses, da übergab ihm der Verschnittene den Brief. Amdjad öffnete ihn und las, daß die Frau seines Vaters ihm untreu werden wolle. Mit einem zornigen Ausrufe: »Gott verdamme die Weiber!« zog er das Schwert, ging auf den Diener los und sagte ihm: »Wehe dir, nichtswürdiger Diener! an dir ist nichts Gutes, du machst den Briefträger der Frau deines Herrn!« Er schlug ihm dann den Kopf herunter, ging zu seiner Mutter, erzählte ihr, was vorgefallen, schmähte sie und sagte: »Ihr seid alle eine schlimmer als die andere. Bei dem erhabenen Gott! fürchtete ich nicht Allah, ich würde ihr den Hals abschneiden.« Der Prinz ging dann zornig von ihr weg, seine Mutter aber ward ihm böse und dachte auf eine List gegen ihn.
Am folgenden Tage saß Asad auf dem Thron; da schrieb ihm Hajat al Nufus auch einen Brief, in dem sie ihn bat, zu ihr zu kommen, und sandte den Brief durch eine Alte. Diese wartete, bis die Sitzung zu Ende war, dann gab sie ihm den Brief. Als er ihn las, ward er sehr aufgebracht, zog sein Schwert und hieb die Alte mitten auseinander. Darauf ging er zu seiner Mutter, gab ihr den Brief hin und machte ihr Vorwürfe; aber sie schimpfte ihn und ward ihm feind, und sann darauf, ihn zu verderben. Asad erzählte dann die Geschichte seinem Bruder, und dieser sagte ihm auch, was ihm widerfahren. Die beiden Frauen aber kamen zusammen, hielten Rat, und beschlossen, ihre Kinder zu verderben. Sie legten sich ins Bett und stellten sich krank. Am folgenden Tage kehrte Kamr essaman von der Jagd zurück und brachte den Tag mit Regierungsangelegenheiten zu. Als der Divan aufgehoben war, kam er nach Hause und fand die beiden Frauen im Bette. Da er glaubte, sie seien krank, fragte er sie, wo es ihnen fehle? Bedur sagte: »Dein Sohn Amdjad ist zu mir mit entblößtem Schwert gekommen und hat mich zur Treulosigkeit zwingen wollen; davon erschrak ich so sehr, daß ich krank geworden bin.« Hajat al Nufus erzählte dasselbe von Asad. Kamr essaman war sehr aufgebracht gegen seine Söhne, und wollte sie umbringen. Der König Armanus aber bat für sie und sagte: »Mein Sohn, schicke sie lieber mit einem Mamelucken ins Freie, der soll sie umbringen, damit du ihren Tod nicht vor Augen siehst.« Der König übergab sie einem seiner Mamelucken, der Emir Djandar hieß, und befahl ihm, sie zu töten. Dieser ging mit ihnen bis zur Zeit des Nachmittagsgebets in eine öde Wüste; dann stieg er von seinem Pferde ab, um sie zu töten und dem erhaltenen Befehle gemäß ihre Kleider dem Könige zu bringen. Als er aber abgestiegen war, auf sie losging, um ihr Blut zu vergießen, und sie ansah, übermannte ihn die Rührung und er mußte weinen. Er sagte: »Prinzen, es tut mir sehr weh, euch etwas zuleide zu tun; doch euer Vater hat mir befohlen, euch umzubringen.« Sie antworteten: »Tu', was dir befohlen worden, du bist an unserm Blute nicht schuldig.« Sie umarmten sich dann und weinten. Asad sagte: »Mein Freund, laß mich nicht meines Bruders Amdjad Tod sehen, bring mich lieber zuerst um!« Sie weinten dann beide, und Emir Djandar mußte mit weinen. Asad sagte: »Das ist eine ruchlose Tat; doch es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei dem erhabenen Gott!« Sie sagten dann dem Emir Djandar: »Binde uns mit einem Strick fest zusammen, ziehe dein Schwert, haue kräftig zu, so daß wir, zusammen sterben.« Er antwortete: »Ich will euch gehorchen,« nahm dann weinend ein breiten Riemen, schlang ihn um die beiden, zog sein Schwert und sagte: »Nun, meine Herren, habt ihr noch etwas zu bestellen?« - »Ja«, erwiderten sie, »wenn du zu unserm Vater kommst, grüße ihn und sage ihm: deine Söhne haben dich von ihrem Blute freigesprochen; denn du bist im Irrtum über ihr Vergehen.« Djandar hob dann die Hand mit dem Schwerte auf, um sie zu töten. Durch die Bewegung seines Armes erschrak sein Pferd, zerriß den Zaum, sprang fort und floh ins Weite. Dieses Pferd war fünfhundert Dinare wert, und hatte einen goldenen Sattel mit einem ägyptischen Sattelknopf und Verzierungen von großem Wert. Als der Emir sein Pferd entfliehen sah, warf er das Schwert aus der Hand, denn er war ganz außer sich, und lief dem Pferde in einen Wald nach, stets weiter hinein. Das Pferd schlug auf den harten Grund mit seinen Hufen und wieherte; das hörte ein alter, häßlicher Löwe, der in diesem Walde hauste, er kam aus seiner Höhle, um zu sehen, was es gäbe. Als der Emir sah, daß er auf ihn loskam, erschrak er sehr; er wollte entfliehen, wußte aber nicht, wohin; auch hatte er sein Schwert nicht bei sich, denn er hatte es weggeworfen, als er dem Pferde nachlief, er sagte zu sich: »Das ist mir gewiß wegen Asad und Amdjad widerfahren.« Diesen ward indessen sehr heiß und sie wurden so durstig, daß sie Gott um Hilfe baten. Amdjad sagte: »Siehst du, mein Bruder, wie wir nun verdursten müssen, weil der Emir das Schwert weggeworfen hat und dem Pferde nachgelaufen ist. Nun sind wir hier gebunden, und wenn ein wildes Tier kommt, zerreißt es uns; besser, wir wären durch das Schwert umgekommen, als von einem wilden Tiere aufgefressen zu werden.« - »Habe Geduld, mein Bruder«, erwiderte Asad, »das Pferd ist gewiß nur entronnen, damit wir das Leben behalten; nur plagt uns der Durst sehr.« Er schüttelte und dehnte sich dann rechts und links, zersprengte seine Bande und befreite auch seinen Bruder, dann gingen sie an eine Quelle und stillten ihren Durst. Hierauf ergriff Amdjad Djandars Schwert, und sie gingen zusammen in den Wald, den Spuren des Pferdes folgend. Amdjad sagte: »Laß uns beisammen bleiben, es möchte ein Löwe hier sein.« Sie gingen dann miteinander und trafen gerade den Löwen, wie er über Djandar herfiel, mit der Tatze nach ihm langte und ihn zu Boden warf, während Djandar nach dem Himmel blickte. Amdjad sprang auf ihn zu und sagte: »Du bist gerettet, Emir Djandar!« und versetzte dem Löwen, der jetzt auf ihn lossprang, einen so gewaltigen Schlag, daß er tot niederfiel. Als Djandar aufstand, sah er, daß er den Söhnen seines Herrn, die er hatte töten wollen, seine Rettung verdanke. Er warf sich ihnen zu Füßen und sagte: »Meine Herren! ihr verdient nicht, daß euch Gewalt angetan werde. Bei Gott! das soll nie geschehen.« Sie aber sagten: »Nein, Emir Djandar, tu', was dir befohlen worden.« Sie fingen dann sein Pferd, gingen zum Walde hinaus an ihren frühern Platz und sagten dann wieder. »Tu', was unser Vater dir befohlen.« Djandar aber sagte: »Das verhüte Gott! Alles, um was ich euch bitte, ist, daß ihr nur euere Kleider auszieht und die meinigen dafür nehmt; ich gehe dann zum König zurück und sage, ich habe euch umgebracht, und ihr reist indessen von Land zu Land; denn Gottes Erde ist weit.« Sie taten, wie er ihnen geraten. Er wechselte dann mit ihnen die Kleider, gab ihnen, wovon sie leben konnten und nahm Abschied von ihnen. Darauf besudelte er die Kleider der Prinzen mit dem Blute des erschlagenen Löwen, und brachte sie dem König Kamr essaman. Dieser fragte: »Hast du sie umgebracht?« Djandar antwortete: »Ja, hier sind ihre blutigen Kleider.« Kamr essaman fragte weiter: »Wie haben sie ihren Tod ertragen?« Er antwortete: »Ich habe sie standhaft im Tode gefunden, und sie haben gesagt: Gottes Wille geschehe, wir sterben unschuldig, aber unser Vater ist an unserm Tode nicht schuld, denn er kannte die Wahrheit nicht.«
Kamr essaman ward sehr betrübt darüber, nahm die Kleider seiner Kinder, durchsuchte sie und fand in Amdjads Rock einen Brief. Er öffnete ihn und erkannte die Handschrift seiner Frau Bedur und fand auch Haare von ihr dabei. Er las den Brief und sah daraus, daß sie Liebe von ihm forderte, und er seinem Sohn Unrecht getan. Er durchsuchte dann auch die Kleider Asads, und fand auch darin den Brief, den seine Frau Hajat al Rufus geschrieben, und in dem sie ihn zu verführen suchte. Er schrie laut auf und fiel in Ohnmacht, denn er erkannte, daß er seine Söhne unschuldig verurteilt hatte. Er ward sehr traurig und betrübt darüber, und er sah daraus die List der Frauen, trennte sich von ihnen und besuchte sie nicht wieder.
Asad und Amdjad durchwanderten indessen die Wüste, aßen die Pflanzen des Bodens und tranken Regenwasser. Während der Nacht schlief der eine, und der andere wachte bis Mitternacht; dann schlief der zweite und der erste hielt Wache. So lebten sie einen ganzen Monat lang, bis sie endlich an einen schwarzen, felsigen Berg kamen, von dem man gar kein Ende sah. Sie fanden wohl einen Weg, der hinauf führte, aber sie scheuten sich, ihn einzuschlagen, weil sie auf dem Berge Mangel an Wasser und Pflanzen fürchteten. So gingen sie vier bis fünf Tage am Fuße des Berges umher, fanden aber gar keinen Ausweg und kamen endlich sehr müde wieder an ihren ersten Ort zurück. Da entschlossen sie sich, den Weg einzuschlagen, der auf den Berg führte. Sie stiegen den ganzen Tag immer aufwärts, je höher sie aber hinauf kamen, um so höher schien sich auch der Berg über sie zu erheben. Als die Nacht über sie hereinbrach, sagten sie: »Wir gehen zugrunde.« Asad sagte: »Mein Bruder! ich bin so müde, daß ich's nimmer aushalte, ich gebe den Geist auf.« Amdjad antwortete: »Mach dir Mut, mein Bruder! Vielleicht wird Gott uns helfen.« Asad aber war so müde, daß er sich setzen mußte, und so brachten sie die Nacht zu; bald gingen sie ein wenig, bald ruhten sie wieder. Des Morgens endlich erreichten sie den Gipfel des Berges und fanden dort eine sprudelnde Wasserquelle und einen Granatapfelbaum. Sie konnten kaum den Augenblick erwarten, wo sie über die Quelle herstürzen und sich satt trinken konnten. Dann ruhten sie, bis die Sonne aufging, wuschen hierauf ihre Hände und Füße und aßen Granatäpfel. Sie waren noch so müde, daß sie den ganzen Tag hier sitzen blieben und auch die Nacht durch hier schliefen.
Am folgenden Morgen wollten sie wieder weiter; aber Asad klagte und wollte noch bleiben; sie ruhten daher noch einen Tag, am dritten Tage setzten sie ihren Weg auf dem Berge fort. Nach fünftägiger Reise leuchtete ihnen aus der Ferne eine Stadt entgegen, was ihnen große Freude machte. Amdjad sagte zu Asad: »Laß mich nun in die Stadt gehen, um zu sehen, was es für eine Stadt ist und von wem sie beherrscht wird; ich will auch Speisen daraus mitbringen und mich erkundigen, in welchem Lande wir sind.« Asad entgegnete: »Bei Gott! mein Bruder, ich will in die Stadt gehen, und gerne gebe ich mein Leben für deine Rettung hin. Wenn du in die Stadt gingest und nicht mehr wiederkehrtest, würde ich mir tausend Vorwürfe machen.« Er beschwor dann seinen Bruder Amdjad und sagte: »Halte mich nicht länger auf, ich will in die Stadt gehen.« Er nahm Geld und stieg den Berg hinunter, Amdjad aber wartete hier seiner. Als Asad in die Straßen der Stadt kam, begegnete ihm ein alter Mann, dessen grauer Bart in zwei Teilen über seine Brust fiel; er trug einen Stock in der Hand, war sehr vornehm gekleidet und hatte einen roten Turban auf dem Kopfe. Asad sah ihn mit Verwunderung an, grüßte ihn und sagte: »Herr! führt dieser Weg auf den Markt?« Der Alte sah in lächelnd an und sagte: »Du scheinst hier fremd zu sein, mein Sohn!« Asad antwortete: »Ja, Herr, ich bin ein Fremdling.« Der Alte hieß ihn vielmals willkommen und sagte: »Du hast mit deiner Gegenwart unser Land beglückt; sage mir, was willst du auf dem Markte?« Asad antwortete: »Ich und mein Bruder, wir kommen von einem fernen Lande, und sind schon drei Monate auf der Reise. Während dieser Zeit sind wir ohne Unterbrechung fortgereist, und heute erst haben wir uns dieser Stadt genähert; ich habe meinen älteren Bruder auf dem Berge gelassen, weil er sehr müde ist von der weiten Reise, und bin herunter gekommen, um Nahrungsmittel zu kaufen, dann will ich wieder zu ihm zurückkehren.« - »Mein Sohn«, erwiderte der Alte, »erwarte nur alles Gute. Ich habe heute eine große Mahlzeit für viele Gäste zugerichtet und viele Tiere geschlachtet und unter sie verteilt. Noch ist aber das Beste von den Gerichten übrig geblieben, und wenn du mit mir nach Hause gehen willst, so gebe ich dir Brot und andere Speisen, bis du genug hast für dich und deinen Bruder. Ich werde dir auch während der Mahlzeit Auskunft über unsere Stadt geben. Gelobt sei Gott, daß du keinem anderen in die Hände gefallen bist, als mir!« Asad sagte: »Verfahre mit mir, wie es dir geziemt!«
Der Alte ergriff Asad bei der Hand, ging mit ihm in eine enge Gasse und sagte lachend: »Gelobt sei der, der von den Leuten dieser Stadt dich befreit hat.« Als er an sein Haus kam, führte er ihn in einen großen Saal, in dem vierzig steinalte Männer einen Kreis um ein Feuer bildeten, das sie als ihren Gott anbeteten. Asad erschrak sehr, als er dies sah, und wußte gar nicht, was es bedeute. Der Alte rief dann: »O ihr Alten, Diener des Feuers, wie gesegnet ist dieser Tag!« Dann rief er: »Ghadban! komm her!« Auf diese Worte erschien ein schwarzer Sklave, stürzte auf Asad zu, schlug ihn ins Gesicht, warf ihn zu Boden und fesselte ihn. Als er fertig war, sagte der Alte: »Trage ihn ins unterirdische Zimmer, rufe schnell meine Tochter Bestan und meine Sklavin und sage ihnen, daß sie ihn Tag und Nacht schlagen und peinigen, und ihm nur ein Laibchen Brot des Tags und eins jede Nacht geben, bis die Zeit zur Reise nach dem blauen Meere und dem Feuerberge kommt: dann wollen wir ihn auf dem Berge als ein Opfer schlachten.«
Sobald der Greis diesen Befehl gegeben hatte, ergriff der schwarze Sklave den Prinzen Asad, schleppte ihn zur Türe des Saales hinaus, zu einer anderen Türe hinein, hob eine Platte auf, ging eine Treppe von zwanzig Stufen mit ihm hinunter in ein großes Gemach, und legte ihm eine schwere Kette an die Füße. Als er dies getan, stieg er wieder hinauf und gab seinem Herrn davon Nachricht. Der Alte brachte diesen Tag mit seinen Feueranbetern zu, dann ging er zu seiner Tochter und Sklavin und sagte: »Steigt hinunter zu dem Muselmann, den ich heute gefangen habe, peiniget ihn und habet kein Mitleid mit ihm.« Die Sklavin sagte: »Wohl, mein Herr!« Sie ging dann zu ihm hinunter, entkleidete ihn und prügelte ihn, bis das Blut von seinen Seiten herunterlief und er ohnmächtig niedersank. Nach dieser Mißhandlung stellte sie einen Wasserkrug mit einem Laibchen trockenen Brotes neben ihn und ging wieder hinauf. Asad erwachte erst um Mitternacht aus seiner Ohnmacht und weinte so, daß die Tränen ihm über die Wangen herunterströmten; er dachte an seinen Bruder und an seinen frühern glücklichen Zustand als Prinz.
Als Amdjad indessen den ganzen Tag hindurch bis Mitternacht seinen Bruder vergebens erwartet hatte, ward er immer trauriger; sein Herz klopfte und er fürchtete, schon von ihm getrennt zu sein. Am folgenden Tage ging er den Berg hinunter, und Tränen strömten über seine Wangen. Er ging in die Stadt und fragte nach ihrem Namen; man sagte ihm, es sei die Stadt der Magier, und die meisten Einwohner beteten das Feuer an. Er erkundigte sich auch, wie weit es von hier nach den Ebenholzinseln sei, und man sagte ihm, zu Land brauche man ein Jahr und zu Wasser vier Monate, um dahin zu kommen, und dort regiere Kamr essaman, der Gemahl der Hajat al Rufus. Als er den Namen seines Vaterlandes und seines Vaters hörte, erwachte sein Schmerz aufs neue, und er ging traurig in der Stadt umher, um seinen Bruder aufzusuchen. Indem er nun so die Stadt durchstreife, kam er zu einem Schneider, der ein Muselmann war. Er grüßte ihn, setzte sich zu ihm in seinen Laden und teilte ihm seine Geschichte mit. Als er mit seiner Erzählung zu Ende war, sagte ihm der Schneider: »Mein Sohn, wenn dein Bruder in die Hand eines Magiers gefallen ist, so wirst du ihn nie mehr wieder sehen. Willst du nun bei mir bleiben?« Amdjad nahm das Anerbieten an. Er blieb dann etwa einen Monat bei demselben, der ihn wegen seines Bruders tröstete, ihm Geduld einflößte und ihn das Schneiderhandwerk lehrte.
Eines Tages ging Amdjad nach dem Meere hin und wusch seine Kleider, er badete sich auch, zog reine Kleider an und nahm wieder den Weg nach dem Laden des Schneiders; da begegnete ihm eine schöne, anmutige Frau; als sie ihn sah, hob sie den Schleier ein wenig in die Höhe und sagte: »Wohin gehst du, Herr?« und lächelte dabei so reizend, daß er seinen Verstand verlor. Er sagte: »Ich gehe nach Hause oder zu dir, wie du es wünschest.« Sie antwortete: »Gott strafe die Weiber! Sie haben keine andere Gelegenheit, als bei den Männern.« Amdjad beugte den Kopf gegen die Erde, denn er schämte sich, mit ihr zum Schneider zu gehen. In dieser Verlegenheit ging er immer vorwärts, und das Mädchen folgte ihm von einer Straße zur anderen und von einem Platz zum andern. Endlich fragte sie ihn: »Wo wohnst du denn?« - Er sagte: »Meine Herrin, wir werden bald an mein Haus kommen.«
In seiner großen Verwirrung geriet er endlich in eine Straße, die keinen Ausgang hatte, und sagte: »Es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei Gott.« Am Ende der Straße sah er ein großes, geschlossenes Tor, und auf jeder Seite desselben war eine Bank. Amdjad ging dahin und setzte sich auf eine Bank, und das Mädchen auf die andere. Sie sagte dann: »Worauf wartest du?« - »Ich habe den Schlüssel nicht«, antwortete er; »ich habe ihn einem Mamelucken gegeben, dem ich befohlen, Getränke und Speisen einzukaufen und alles herzurichten, während ich ins Bad ging. Nun ist er aber noch nicht zurückgekommen und wird wohl noch lange ausbleiben; es ist sonst niemand da, was soll ich tun?« Amdjad hoffte durch diese Worte sie zu vertreiben und von ihr befreit zu werden. Als das Mädchen dies hörte, sagte sie: »Ist es nicht eine Schande, hier zu sitzen, weil der Sklave zu lang ausbleibt?« Sie stand dann auf, nahm einen Stein, schlug das Schloß auf und die Türe öffnete sich. Amdjad kam ganz von Sinnen, er sagte: »Was fällt dir ein, das Schloß herunter zu reißen?« Sie antwortete: »Nun, mein Herr, ist dies nicht dein Haus? was tut das?« - »Es tut weiter nichts«, erwiderte er, »als daß eben das Schloß verdorben ist.« Er seufzte dann und jammerte; aber das Mädchen ging voran ins Haus. Amdjad blieb an der Türe, mit einem Fuße drinnen und dem anderen außen, in großer Verwirrung stehen. Das Mädchen sah sich nach ihm um und sagte: »Warum gehst du nicht in deine Wohnung? Er neigte den Kopf zur Erde und sagte: »Wohl, aber der Sklave bleibt gar zu lange aus; ich habe ihm gesagt, er solle kochen, das Zimmer aufräumen und den Marmor abputzen, und ich weiß nicht, ob er etwas von dem, was ich ihm befohlen, getan hat oder nicht.« Endlich ging er hinein. Er fand einen schönen, geräumigen Saal mit vier einander gegenüberliegenden Erhöhungen, mit Speisegemächern und anderen kleinen Kabinetten. Der Boden war mit seidenen Teppichen und Kissen bedeckt, und mitten im Saal war ein kostbarer Springbrunnen, daneben standen Tische und Schüsseln voll Speisen, Früchten und Wohlgerüchen, Flaschen von Wein und ein Leuchter mit festlichen Wachskerzen und Gefäße mit klarem und wohlriechendem Wasser gefüllt. In dem Saal sah man überall kostbare Waren und verschlossene Kästen. Auf den Erhöhungen standen zwei Reihen Stühle, und auf jedem derselben lag ein Bündel Kleider und ein Beutel mit Gold. Als Amdjad das alles sah, erschrak er, legte den Finger an den Mund und dachte: Amdjad, es ist aus mit dir! du kommst von Gott und kehrst wieder zu ihm zurück. Das Mädchen hingegen freute sich, als sie dies sah, und sagte: »Mein Herr, dein Sklave hat nichts vernachlässigt; er hat den Marmor gereinigt, das Fleisch gekocht und alles hergerichtet. Was stehst du so nachdenkend da? Hast du allenfalls eine andere hierher bestellt, so will ich mich umgürten und dich und sie bedienen.« Amdjad mußte ungeachtet seines Kummers über diese Worte lachen und dachte, schwer atmend: welchen schlimmen Tod werde ich erdulden müssen. Das Mädchen setzte sich neben ihn, scherzte und lachte. Amdjad war ernst und traurig und machte sich tausend Gedanken; er dachte: alles wird damit enden, daß der Hausherr kommt, und was wird der dazu sagen? gewiß geht's um meine Seele. Das Mädchen schürzte sich auf, nahm die Schüssel mit Speisen, deckte den Tisch und aß. Dann sprach sie zu Amdjad: »Wirst du mir nicht die Freude gönnen, zwei Bissen mit mir zu essen, denn dein Sklave bleibt gar zu lange.« Amdjad setzte sich endlich zu ihr, um zu essen, aber es schmeckte ihm nicht, er sah immer nach der Türe hin, bis das Mädchen gegessen hatte und satt war; dann tat sie die Schüssel weg, bracht die Platte mit Früchten und aß davon. Darauf öffnete sie den Weinkrug, füllte einen Becher und trank; dann füllte sie ihn wieder und reichte ihn Amdjad. Er nahm ihn und dachte: Wehe, wenn der Hausherr uns sieht. Er blickte immer ängstlich nach dem Gang, und auf einmal kam der Hausherr. Derselbe war Oberster aller Mamelucken des Königs der Magier und ihr Anführer; in dieser einsamen Wohnung ließ er sich oft wohl sein in Gesellschaft derjenigen, deren Umgang er liebte.
An diesem Tage nun hatte er gerade hierher geschickt, um alles herzurichten. Sein Name war Bahdar und er ein Mann der.... Gott bewahre jeden guten und ehrlichen Menschen vor seinesgleichen. Als er an den Saal kam und die Türe offen fand, schlich er ganz leise näher, streckte den Kopf hinein und sah hier Amdjad mit dem Mädchen an seiner Seite, und vor ihnen stand eine Platte mit Früchten und Weingefäßen. In diesem Augenblicke nahm gerade Amdjad den Becher in die Hand, sah nach der Türe und begegnete dem Auge des Hausherrn. Bei diesem Anblicke ward er ganz blaß und zitterte an allen Gliedern. Bahdar gab ihm dadurch, daß er den Finger auf den Mund legte, zu verstehen, er möge nur schweigen; dann gebot er ihm durch einen Wink mit der Hand, zu ihm zu kommen. Amdjad stand auf, setzte den Becher weg und sagte dem Mädchen, das ihn fragte, wo er hin wolle: er müsse sich einen Augenblick entfernen. Amdjad ging dann barfuß in den Gang. Als Bahdar ihn sah, ging er schnell auf ihn zu und sagte: »Wie kommst du hierher?« Amdjad küßte ihm die Hände und erwiderte: »Ich beschwöre dich bei Gott, Herr! höre mich an, ehe du mich zum Polizeimeister der Stadt führst.« Er erzählte ihm dann seine ganze Geschichte von Anfang bis zum Ende; wie er nicht gerne in das Haus haben gehen wollen; wie das Mädchen das Schloß aufgeschlagen und an allem schuld sei, und entdeckte ihm seine Herkunft. Als Bahdar die Rede Amdjads hörte und seine Abenteuer, und daß er ein König, Sohn eines Königs sei, bekam er Mitleiden mit ihm und erbarmte sich seiner. »Höre, Amdjad«, sprach er, »ich schwöre bei dem erhabenen, barmherzigen Gott, daß, sobald du dich meinem Willen in etwas widersetzest, ich dich umbringen lasse.« Amdjad sagte: »Du kannst befehlen, Herr, ich werde dir nie ungehorsam sein; bin ich doch von deinem Schwerte befreit und habe nichts von dir zu befürchten.« Da sage der Hausherr: »Gehe jetzt gleich wieder in den Saal und bleibe ruhig sitzen. Ich heiße Bahdar und werde später kommen. Wenn ich dann eintrete, so schimpfe, schmähe und schlage mich, und nimm gar keine Entschuldigung an; sage immer: wo bist du heute so lange geblieben, nichtswürdigster aller Sklaven? und behandle mich ohne alle Rücksichten. Jetzt geh', iß und trinke und mache dir Vergnügen; laß dir wohl sein die ganze Nacht durch, und morgen gehst du dann wieder deines Wegs. Ich will dich als Fremder auf diese Weise ehren, denn ich bin ein Freund der Fremden.« Amdjad küßte ihm darauf die Hand und ging wieder in den Saal zurück; seine Wangen hatten ihre Blässe verloren und waren wieder rot. Ehe er noch ganz im Saale war, sprach er zu dem Mädchen: »Meine Gebieterin! du hast diesem Orte viel Anmut verliehen.« Sie freute sich dieser Worte und sagte: »Ich wundere mich, dich endlich heiter zu sehen.« Er antwortete: »Bei Gott! Herrin, ich glaubte, mein Sklave habe mir einige Schnüre Edelsteine gestohlen, von denen jede zehntausend Dinare wert ist, doch habe ich sie wieder gefunden, aber sein langes Ausbleiben soll er schon büßen.« Dann setzten sie sich zu Tische und scherzten miteinander und aßen und tranken bis gegen Sonnenuntergang.
Bahdar wechselte seine Kleider, zog einen Schurz und grobe Schuhe an, und trat dann in den Saal zu Amdjad und dem Mädchen. Er grüßte sie, küßte die Erde vor Amdjad, kreuzte die Arme und neigte den Kopf zur Erde. Amdjad aber sah ihn zornig an und sagte: »Wehe dir, du verfluchtester aller Sklaven! wo bist du gewesen? warum bleibst du so lange aus?« - »Mein Herr!« antwortete Bahdar, »ich habe meine Arbeit getan und darauf meine Kleider gewaschen, ich wußte nicht, daß du schon hier bist, denn ich war erst zur Zeit des Nachtgebets bestellt.« Amdjad schrie ihn an und sagte: »Du lügst, du verruchter Sklave! Ich bringe dich um!« Und damit stand er auf, streckte Bahdar auf den Boden hin, nahm einen Stock und gab ihm damit einige nicht starke Schläge. Das Mädchen aber riß Amdjad den Stock aus der Hand und fiel über Bahdar mit so derben Schlägen her, daß ihm die Tränen über das Gesicht herabflossen, er um Hilfe schrie und die Zähne zusammenbiß. Amdjad rief ihr zu, bat sie, aufzuhören; sie aber sagte: »Laß mich nur meinem Herzen Luft machen, damit er dir ein andermal nicht mehr so lange ausbleibe.« Und so fuhr sie fort, aus allen Kräften auf ihn loszuschlagen, bis Amdjad aufstand, ihr den Stock aus den Händen wand und sie zurückstieß. Bahdar hatten die Schläge sehr weh getan; er trocknete seine Tränen, bediente sie und schenkte ihnen ein. Dann schürzte er sich auf und reinigte den Saal, ging darauf hinaus, die Lampen anzuzünden, kam wieder und bereitete alles, was sie brauchten. So oft er aber in den Saal kam, verfehlte das Mädchen nie, ihn mit Schimpf- und Schmähreden und Drohungen zu überschütten. So blieben sie bis Mitternacht, aßen und tranken, und Bahdar bediente sie. Um Mitternacht bereitete er ihnen auf dem Sofa ein Bett, verließ den Saal und ging hinaus, um sich zum Schlafen niederzulegen, denn er war sehr müde von seiner Arbeit und den vielen Schlägen; dann schlief er auch bald ein und schnarchte. Nach einer Weile erwachte das Mädchen und mußte hinausgehen; sie fand Bahdar schlafend und schnarchend, und sprach beim Eintreten zu Amdjad: »Herr, ich beschwöre dich bei meinem Leben, steh' auf, nimm das Schwert und schlage deinem Diener den Kopf ab; tust du es nicht, werde ich dich ins Verderben stürzen.« Amdjad sagte: »Was fällt dir ein, daß du ihn umbringen willst?« Das Mädchen versetzte aber: »Ich will es nun einmal so haben, und wenn er nicht durch deine Hand stirbt, so soll er durch meine eigene sterben.« Amdjad erwiderte: »Bei Gott! tu' das nicht und laß mich damit in Ruhe.« Sie aber sagte: »Es bleibt dabei, er muß umgebracht werden.« Und mit diesen Worten ergriff sie das Schwert und zog es aus der Scheide. Amdjad eilte dem Mädchen nach, als er sah, daß sie ihn durchaus umbringen wolle und sagte: »Gib mir das Schwert; wenn es durchaus geschehen soll, ziemt es mir eher, einen Sklaven umzubringen, als dir.« Er nahm ihr dann das Schwert aus der Hand, schwang es und schlug ihr den Kopf vom Rumpfe, so daß er auf den Hausherrn fiel. Dieser richtete sich auf, öffnete seine Augen und sah Amdjad mit einem blutigen Schwerte in der Hand und neben ihm das getötete Mädchen. Er fragte, was geschehen sei, und Amdjad erzählte ihm alles. Bahdar stand auf, küßte Amdjad und sagte: »Nun müssen wir sie vor Tag aus dem Hause schaffen,« umgürtete sich hierauf, nahm das Mädchen auf die Schulter und sagte Amdjad: »Unbekannt, wie du bist, in dieser Stadt, bleibe ruhig hier und erwarte mich bis Sonnenaufgang. Kehre ich bis dahin nicht zurück, so ist dies ein Zeichen, daß mein Urteil gefällt ist. Für diesen Fall schenke ich dir mein Haus mit allem Geräte darin und Friede sei mit dir - du kannst dann ohne weiteres davon Besitz nehmen.« Nachdem Bahdar so gesprochen, verließ er das Haus und ging von Straße zu Straße dem Meere zu.
Er war schon nahe an dem Ufer des Meeres, da kam ihm der Polizeioberste mit einigen Polizeibeamten entgegen. Die Diener des Richters umringten ihn, nahmen ihm den Korb ab, öffneten denselben und fanden das erschlagene Mädchen darin. Der Richter, welcher den Obersten Bahdar erkannte, ließ ihn festnehmen und führte ihn am anderen Morgen zu dem König. Der König ward sehr zornig, als ihm der Richter das Verbrechen des Obersten berichtete und sprach: »Wehe dir! Bringst du immer die Leute um und wirfst sie ins Meer, um zu nehmen, was sie besitzen? Wieviel hast du schon erschlagen?« Bahdar neigte den Kopf zur Erde und sprach kein Wort. Der König befahl nun, daß man ihn hinrichte. Man brachte ihn weg, und ließ durch den Ausrufer seine Hinrichtung verkünden.
Als Amdjad aber bei Tagesanbruch dies ausrufen hörte, weinte er und sprach bei sich: Das ist Unrecht und Gewalt, ich bin ja der Mörder, bei Gott, dies darf nicht geschehen! Er ging dann aus dem Saale, schloß ihn zu und lief nach dem Hinrichtungsplatze. Hier sah er den Polizeiobersten: er trat zu ihm und sagte: »Herr! tu' Bahdar nichts, er ist, bei Gott! unschuldig; ich war's, der das Mädchen erschlagen hat.« Der Richter nahm beide, Bahdar und Amdjad, und führte sie vor den König, dem er den Vorfall berichtete.
Der König sah Amdjad an und sprach: »Du hast also das Mädchen ermordet?« Dieser antwortete: »Ja!« und erzählte ihm alles, wie es sich ereignet hatte von Anfang bis zu Ende.
Der König verwunderte sich sehr darüber und sagte hierauf: »Ich verzeihe dir und Bahdar.« Der König schenkte dann beiden Ehrenkleider und ernannte Amdjad zum Vezier. Dieser verwaltete sein Amt, indem er Gerechtigkeit übte. Er ließ auch durch einen öffentlichen Ausrufer zur Auffindung seines Bruders auffordern, konnte aber nichts von ihm erfahren.
Asad wurde indessen fortwährend gepeinigt, bis endlich das Fest der Feueranbeter herannahte. Da machte Bahram (so hieß der Magier, bei dem Asad war), Vorbereitungen zur Reise, rüstete ein Handelsschiff aus und ließ alles, was er nötig hatte, an Bord schaffen. Als alles in Ordnung war, nahm er den Prinzen Asad, legte ihn in eine Kiste und deckte ihn mit allerlei Waren zu.
Als der Prinz Amdjad Bahrams Diener mit den Waren kommen sah, schlug ihm das Herz in der Brust; er befahl sogleich seinen Dienern, ihm ein Pferd vorzuführen, begab sich mit seinen Mamelucken auf das Schiff und ließ es durch seine Leute untersuchen. Da er aber nichts darin sah als Waren, so kehrte er traurig und mit bewegtem Herzen in seinen Palast zurück.
Als aber der Hund Bahram auf hoher See war, ließ er Asad aus der Kiste hervorholen, legte ihm eine Kette an und steuerte nach dem Feuerberge, da erhob sich ein harter Sturm und trieb sie mitten ins Meer. Schon waren sie dem Untergange sehr nahe, da ward ihnen Gott gnädig und leitete sie. Sie sagten dann dem Schiffsmann: »Steig einmal auf den Mastbaum und sieh' wo wir sind.« Er stieg ganz hinauf, sah sich um und sagte: »Wir sind an der Insel der Königin Murdjane, die eine rechtgläubige Muselmännin ist; wenn sie erfährt, daß wir Feueranbeter sind, nimmt sie unser Schiff und läßt uns bis auf den letzten Mann umbringen.« Bahram sagte: »Ich meine, daß wir den Muselmann, welchen wir mit uns führen, heraufbringen und ihm Sklavenkleider anziehen.«
Alle Schiffleute stimmten Bahram bei und sagten: »Das ist ein guter Gedanke.« Kaum war er mit diesen Worten zu Ende, als das Schiff in den Hafen einlief, wo er Anker werfen ließ. Sobald die Königin Murdjane das Schiff vor Anker liegen sah, verließ sie den Palast, Bahram landete sogleich mit dem Prinzen Asad, den er als Mamelucken kleidete und dem er vorher befohlen hatte, auf Befragen zu bestätigen, daß er sein Sklave sei. Als er vor die Königin kam, warf er sich vor ihr nieder und küßte die Erde zu ihren Füßen und gab ihr Auskunft über die Verhältnisse. Asad hatte von dem Augenblicke an, als ihn die Königin Murdjane sah, ihr Herz gewonnen. Sie fragte ihn: »Wie heißest du?« Er antwortete: »Dein Sklave«, und seine Augen schwammen dabei in Tränen. Gerührt darüber fragte sie ihn nochmals: »Wie heißest du, Jüngling?« und er sagte: »Willst du wissen, wie ich jetzt heiße oder wie ich früher hieß?« - »Wie?« versetzte die Königin, »hast du denn zwei Namen?« - »Ach, leider ist es so!« sagte Asad: »ehemals hieß ich Asad (Glückseliger), jetzt aber heiße ich Mu'tarr (Unglückseliger).« Murdjane fragte: »Kannst du lesen und schön schreiben?« Er antwortete: »Ja.« Da überreichte sie ihm Papier und sagte: »Schreibe etwas darauf!« Er schrieb folgende Verse:
»Oft weicht der Blinde einer Grube aus, in die der Sehende stürzt. Der Unwissende hütet sich oft vor einem Worte, das den Gelehrtesten ins Verderben stürzt. Der Rechtgläubige hat oft wenig Lebensunterhalt, während der Ruchlose und Ungläubige im Überfluß schwelgt. Was nützt dem Klügsten Geist? Alles dies hat der Allmächtige vorherbestimmt.«
Als er das Blatt vollgeschrieben hatte, überreichte er es der Königin, welche den Inhalt las und zum tiefsten Mitgefühle bewegt ward. Sie wandte sich zu Bahram und sagte: »Verkaufe mir diesen Sklaven.« - »Ich kann ihn nicht verkaufen,« entgegnete dieser; »denn er ist der einzige den ich noch besitze.« - »Du mußt ihn mir aber verkaufen,« sprach sie, »oder mir ihn schenken.« Bahram aber sagte: »Ich kann ihn weder verschenken, noch verkaufen.« Hierüber ward die Königin Murdjane sehr aufgebracht, schrie Bahram an, ergriff Asad beim Arme, und ging mit ihm auf die Zitadelle. Bahram aber ließ sie durch einen Boten sagen: »Verlasse sogleich unsere Stadt, oder ich nehme alles, was du besitzt, und lasse dein Schiff zertrümmern.« Als ihm diese Botschaft zukam, ward er sehr betrübt und sagte: »Das ist keine glückliche Reise.« Er machte dann seine Vorbereitungen bis Nacht und sprach zu seinen Leuten: »Packt eure Effekten zusammen und füllt eure Schläuche, denn bei Anbruch der Nacht wollen wir absegeln.« Soviel, was diese angeht. Die Königin Murdjane aber ging mit Asad ins Schloß und ließ die Fenster öffnen, die aufs Meer gingen; dann befahl sie ihren Sklavinnen, das Essen zu bereiten, und hieß Asad neben sich sitzen. Dann ließ sie Wein auftragen und trank mit ihm und Gott flößte ihr immer mehr Liebe zu ihm ein. Sie sprach ihm so viel zu, bis er mehr getrunken hatte, als er ertragen konnte. Nachdem die Tafel aufgehoben war, wollte Asad sich ein wenig in der frischen Luft erquicken. Er ging zum Saal hinaus und kam in eine Halle, und als er dort eine offene Türe fand, ging er hinein und kam in einen großen Garten, in dem Bäume mit den verschiedenartigsten Früchten standen. Er setzte sich unter einen Baum, ruhte eine Weile aus, stand wieder auf und wandelte im Garten umher. So kam er an den Springbrunnen, der mitten im Garten war, und wusch darin seine Hände und sein Gesicht. Eben wollte er wieder weggehen, da erhob sich eine so angenehme frische Luft, daß er sich wieder auf den Rasen niederlegte und nach einer Weile einschlief. So brach die Nacht an und Bahram rief seinen Leuten zu: »Machet euch fertig, daß wir absegeln!« Sie erwiderten: »Wir wollen nur noch unsere Schläuche füllen.« Sie gingen dann um die Zitadelle herum und überstiegen die Gartenmauer. Dann gingen sie einem Wassergraben nach, bis sie an den Springbrunnen kamen, wo sie Asad im tiefsten Schlafe, gleich einem Toten, liegen fanden. Sie erkannten ihn sogleich und füllten die Schläuche und schleppten Asad mit sich fort, stiegen mit ihm über die Mauer, und brachten ihn Bahram in aller Eile und schrieen: »Kapitän, dein Tamburin schlägt und deine Flöte bläst (d. h. du hast viel Glück). Hier ist dein Gefangener, den die Königin Murdjane dir entrissen hat«, und warfen ihn vor ihn hin. Da hüpfte ihm das Herz in die Brust, und er kam fast von Sinnen vor Freude, und er ließ alle Segel aufspannen und steuerte wieder dem Feuerberge zu.
Die Königin war indessen, als sie eine Weile vergebens die Rückkehr Asads erwartet hatte, aufgestanden, um nach ihm zu sehen und als sie keine Spur von ihm fand, fing sie an, unruhig zu werden. Sie befahl ihren Frauen, ihn mit Lichtern zu suchen. Dann machte sie sich selbst auf, und da sie die Türe des Gartens offen stehen sah, trat sie hinein. Als sie an dem Springbrunnen vorüberging, sah sie einen Pantoffel liegen. Von Asad fanden sie aber keine Spur, obgleich sie die ganze Nacht ihn aufsuchten. Sie fragte nach dem Schiffe Bahrams und erfuhr, daß er im ersten Dritteil der Nacht wieder abgesegelt und sie zweifelte nicht mehr daran, daß er Asad wieder mitgenommen. Dies tat ihr wehe und brachte sie sehr auf. Sie ließ alsbald zehn große Schiffe segelfertig machen und schiffte sich selbst mit ihren bewaffneten Mamelucken und Sklavinnen ein, und sagte dem Kommandanten: »Wenn ihr das Schiff des Magiers einholet, so habt ihr ein schönes Ehrengeschenk und viel Geld zu erwarten; holt ihr's aber nicht ein, so lass' ich euch alle ohne Ausnahme hinrichten.« Die Schiffleute schrien nun einander Mut zu, und verfolgten das Schiff des Magiers den ganzen Tag, die Nacht und den zweiten ganzen Tag, ohne es zu erblicken. Am dritten Morgen aber sahen sie das Schiff in weiter Ferne, und so gut segelten die Schiffe der Königin, daß sie noch vor Mittag Bahrams Schiff umringt hatten. Bahram hatte eben Asad aufs Verdeck bringen lassen, und ihn so derb geschlagen, daß er vor Schmerzen um Hilfe schrie. Als aber die Schiffe herankamen und das Fahrzeug Bahrams umzingelten, sah dieser seinen Tod vor Augen. Er schrie Asad an: »Wehe dir, du bist schuld an allem meinem Unglück!« Mit diesen Worten faßte er ihn an der Hand und befahl seinen Leuten, ihn ins Meer zu stürzen. Asad aber tauchte unter, kam wieder in die Höhe und arbeitete mit Händen und Füßen, bis eine Welle ihn ans Land trieb, denn der erhabene Gott hatte beschlossen, ihn zu retten. Er stieg ans Land und konnte kaum an seine Rettung glauben. Dann zog er seine Kleider aus, drückte und breitete sie auf einem Felsen aus, setzte sich nackt hin und weinte über die vielen Unglücksfälle, die ihm zugestoßen. Er brachte zehn Tage in einem öden Lande zu und aß von den Kräutern der Erde und trank vom Wasser der Bäche. Endlich kam er an eine Stadt, die er für die Stadt der Magier erkannte, in welcher sein Bruder Amdjad Vezier war. Er freute sich sehr darüber; aber die Nacht überfiel ihn, und die Tore der Stadt waren schon geschlossen. Das Schicksal wollte es, daß Asad wieder umkehren mußte; er ging nach den Gräbern, um dort zu schlafen, fand ein Grabmal ohne Türe, ging hinein und schlief dort bis Mitternacht. Dies geschah mit Asad; was aber Bahram angeht, so fragte ihn die Königin Murdjane, als ihr Schiff das seinige eingeholt hatte, nach Asad, und er schwor ihr, daß er sich nicht bei ihm befinde, auch gar nichts von ihm wisse. Murdjane ließ nun das Schiff durchsuchen, aber man fand ihn nicht. Sie ließ ihn ergreifen und wieder nach der Zitadelle bringen und wollte ihn, um Asad zu rächen, töten, er kaufte sich aber durch seine ganze Habe los, und er wurde mit seinen Sklaven freigelassen. Bahram und seine Leute wanderten zehn Tage, bis sie wieder nach Hause in die Stadt der Magier kamen. Weil das Tor schon geschlossen war, denn es war schon Nacht, sahen sie sich auch genötigt, auf dem Begräbnisplatz ein Grabmal aufzusuchen. Bahram sah auch das Grabmal, das keine Türe hatte, trat ein und fand einen schlafenden Mann, welcher laut schnarchte, und den Kopf auf der Brust liegen hatte. Bahram ging auf ihn zu, hob seinen Kopf in die Höhe und rief, ihn erkennend: »Ha! Ha! Du bist's, wegen dessen ich mein Schiff und all mein Gut verloren habe.« Ohne ein weiteres Wort band er ihn und verstopfte ihm den Mund. Als der Morgenstern sich zeigte, und die Tore der Stadt geöffnet wurden, ließ er ihn durch seine Sklaven in sein Haus tragen. Seine Tochter Bostane und seine Sklavin kamen ihm alsbald entgegen, und er erzählte ihnen, was er wegen dieses Gefangenen gelitten und verloren habe, und wie er ihn auf einem Grabmal wieder gefunden und nun hergebracht. Er befahl dann seiner Tochter, ihn wieder in das unterirdische Gemach bringen zu lassen, und ihn zu schlagen und zu peinigen, noch ein Jahr lang, bis zum nächsten, wo er bei dem Besuche des Feuerberges geopfert werden solle. Man trug Asad hinunter, und als er erwachte, fand er sich wieder an demselben Orte, wo er früher gewesen war. Bostane ging auf ihn zu, entkleidete ihn, und schlug ihn. Sein Jammern und seine Tränen machten aber solchen Eindruck auf Bostane, daß sie sich des Mitleids nicht länger erwehren konnte. Ihr Herz wurde erweicht und sie fragte ihn: »Wie heißest du?« Er sagte: »Fragst du mich nach meinem frühem oder nach meinem jetzigen Namen?« Sie versetze: »Hast du denn zwei Namen?« - »Ja«, antwortete er, »einst hieß ich Asad, und jetzt heiße ich Akasch (der Gefallene).« Tränen rollten über seine Wangen. Bostane weinte mit ihm und sagte: »Bei Gott! mein Herz hat Erbarmen mit dir. Halte mich nicht länger für eine Ungläubige, meine Erzieherin hat mich heimlich, ohne Wissen meines Vaters, zum Islamismus bekehrt. Zwar muß ich meinen Glauben noch verbergen, ich bete aber zu Gott, daß er mir alle die schweren Mißhandlungen, die ich dir zugefügt habe, vergebe. So Gott will, werde ich ein Mittel finden, dich aus deinem Gefängnisse zu retten.«
Diese Rede Bostanens gereichte dem Prinzen Asad zu nicht geringem Troste und er dankte dem allmächtigen Gott. Bostane verließ ihn dann und holte einen Becher Wein und gab ihm zu trinken und kochte ihm eine Hühnersuppe und stellte sie ihm vor. So kam sie jeden Tag zu dem Prinzen Asad und brachte ihm Wein, Suppen und Hühner und betete mit ihm.
Eines Tages stand Bostane an der Haustüre, als sie einen öffentlichen Ausrufer etwas verkündigen hörte, und siehe da! Sie erblickte hinter dem Ausrufer den Vezier Amdjad, von vielen Mamelucken umgeben. Der Ausrufer verkündete folgende Bekanntmachung: »Ihr Bewohner dieser Häuser! Der Großvezier, der in eigener Person hier gegenwärtig ist, befiehlt, wenn jemand seinen Bruder, der so und so aussieht, bei sich hat, und ihm Anzeige davon macht, so erhalte er ein Ehrenkleid und viele Reichtümer, wer aber seinen Aufenthaltsort verheimlicht, dem wird, wenn es herauskommt, sein Haus geplündert, sein Harem geraubt und sein Blut preisgegeben, wer vorher droht, den trifft nachher keine Schuld, und wer warnt, handelt gerecht.« Als Bostane diese Worte hörte, eilte sie zu Asad und benachrichtigte ihn von dem, was sie gehört. Er erwiderte. »Das ist mein Bruder Amdjad.« Er stieg dann mit dem Mädchen hinauf, ging zur Türe hinaus und sah seinen Bruder Amdjad zu Pferd, und warf sich über ihn. Amdjad, der ihn auch wieder erkannte, drückte ihn an sich, ließ ihn dann ein Pferd besteigen und führte ihn, umgeben von einer Menge Mamelucken und Dienern, in den Palast, wo er ihn dem König vorstellte.
Als er dem König seine Erlebnisse erzählt hatte, befahl dieser, daß man Bahrams Haus ausplündere, ihn selbst aber vor den König bringe. Dieser Befehl wurde vollzogen, Bostane aber mit Ehrerbietung behandelt. Bahram wurde zum Tode verurteilt. Da rief er: »Mächtiger König, kann mich nichts vom Tode retten?« Der König erwiderte: »Es gibt keine Gnade für euch, wenn ihr euch nicht zu der muselmännischen Religion bekehrt.« Bahram neigte den Kopf zur Erde, hob ihn dann wieder in die Höhe und sprach das Glaubensbekenntnis aus und ward ein guter Muselmann. Als Bahram die Geschichte Amdjads und Asads erzählen hörte, ging er zu ihnen und sagte: »Ich will mir ein Schiff ausrüsten und euch zum König Kamr essaman, eurem Vater, zurückführen.« Am folgenden Morgen gingen die Prinzen zu dem König, um Abschied zu nehmen. Da erhob sich plötzlich in der ganzen Stadt ein großer Lärm; zu gleicher Zeit eilte ein Offizier herbei und rief: »Wisse, König der Zeit, es ist eine starke Armee mit entblößten Waffen vor die Stadt gedrungen, und niemand weiß, was sie beabsichtigt.« Amdjad sagte: »Ich will nachsehen, wer dieser Feind ist.« Er eilte fort. Bald erblickte er die Armee, die ihm sehr mächtig erschien. Als man Amdjad erblickte, den man für einen Gesandten hielt, führte man ihn vor den König. Als Amdjad vor ihm stand, erkannte er in ihm eine verschleierte Frau. Er beugte sich vor ihr zur Erde und sagte: »Königin! was bedeutet dein Zug, ist er friedlich oder feindlich?« Die Prinzessin erwiderte: »Gesandter! ich habe kein Verlangen nach eurer Stadt, der Grund meines Kommens ist mein Sklave, Namens Asad, der, wie ich gehört habe, sich hier aufhält, es soll euch gar nichts zuleid geschehen.« Sie erzählte dann ihre ganze Geschichte mit Asad, wie sie ihn Bahram entrissen hatte, und was sich von Anfang bis zu Ende ereignet hatte. Endlich sagte sie auch: »Ich bin die Königin Murdjane.« »Herrin!« versetzte hierauf der Prinz Amdjad, »die Freude ist nahe, denn ich bin der Bruder dieses Sklaven.« Er erzählte ihr dann seine ganze Geschichte und sie war sehr erstaunt darüber und freute sich, Asad wieder gefunden zu haben, und erteilte Befehl, ihre Zelte aufzuschlagen. Amdjad begab sich dann zum König und erstattete ihm Bericht von den Worten Murdjanes. Der König und Asad bestiegen Pferde, um die Königin zu begrüßen, da erhob sich auf einmal ein mächtiges Lärmen und ein Staub, der die ganze Luft erfüllte. Als er sich legte, erblickte man ein Heer, das sich wie ein Meer über das ganze Land ergoß; es umgab die Stadt, wie das Weiße das Schwarze vom Auge, und der König sagte zu Amdjad: »Was will diese zweite Armee? Das sind gewiß Feinde, die uns überfallen.«
Amdjad eilte fort, stieg zu Pferde, und nachdem er das Heer der Königin Murdjane unter Waffen gerufen, ritt er als Gesandter dem Heere entgegen, trat vor den König, warf sich mit dem Gesicht zu Boden, und fragte, warum er gekommen? Der König erwiderte: »Ich bin der König Ghejjur, Herr der Inseln und Meere. Ich wandere umher, meine Tochter Bedur zu suchen, die ich mit dem Prinzen Kamr essaman, Sohn des Schah Gema, Königs der Kanarieninsel, vermählt habe. Sie hat mich verlassen und ich habe nichts mehr von ihr gehört.« Als Amdjad diese Rede des Königs hörte, beugte er den Kopf gegen die Erde, und als er erkannte, daß er der Vater seiner Mutter, fiel er über ihn her und küßte ihm die Hand und sagte ihm: »Ich bin ein Sohn Kam essamans und der Königin Bedur.«
Als der König dies hörte, drückte er ihn ans Herz, und beide weinten. Amdjad erzählte ihm dann seine und seines Bruders Asad Geschichte von Anfang bis zu Ende. Als er geendet hatte, sprach der König von China: »Gelobt sei Gott für eure Rettung! ich werde dich und deinen Bruder mit eurem Vater versöhnen.«
Amdjad eilte zu seinem Bruder und erzählte ihm, wie er seinen Großvater getroffen, und erstattete auch dem König von allem Bericht und der König erteilte die nötigen Befehle zur Bewirtung des Fürsten Ghejjur. Da erhob sich auf einmal wieder eine Staubwolke, die die ganze Luft verfinsterte. Der König sagte: »Dies ist gewiß ein segensreicher Tag; geht und seht, was diese frischen Truppen wollen.« Asad und Amdjad gingen hinaus, nachdem sie die zwei ersten Armeen gemustert hatten. Als sie die neuen Truppen sahen, erkannten sie dieselben sogleich für die der Ebenholzinseln, mit ihrem Vater, dem König Kamr essaman, an der Spitze. Sie warfen sich über ihren Vater und küßten ihm die Hände und er umarmte seine beiden Söhne, indem er viele Tränen vergoß, und entschuldigte sich bei ihnen über sein Verfahren gegen sie, und teilte ihnen mit, was er nach ihrer Trennung gelitten. Die Prinzen sagten ihm dann, daß der König von China, sein Schwiegervater, angekommen sei, um seine Tochter zu suchen. Kamr essaman machte sich mit einem kleinen Gefolge auf, ihn in seinem Lager zu besuchen und zu begrüßen. Asad und Amdjad ritten voran zu ihrem Großvater und meldeten ihm die Ankunft ihres Vaters. Er bestieg auch ein Pferd, sprengte ihm entgegen und schloß ihn fest in seine Arme. Kamr essaman erzählte ihm alles, von Anfang bis zum Ende. Während sie so beisammen waren, und der König vor freudigem Erstaunen sich kaum fassen konnte, sah man wieder eine Staubwolke, größer noch, als alle vorhergehenden; sie kam von der Seite Persiens her. Der König sprach: »Das ist ein wundervoller Tag; gehet und seht, was es gibt!« Asad und Amdjad ritten durch die drei Armeen und erkannten persische Truppen. Sie ließen sich vor dem König führen, grüßten ihn und fragten nach der Ursache seiner Ankunft. Der Vezier sprach: »Der König, vor dem ihr steht, ist Schah Geman, der König der Kanarieninseln: er hat seinen Sohn Kamr essaman verloren und sucht ihn nun in allen Ländern.«
Die Prinzen kehrten zu Kamr essaman zurück, um ihm zu melden, wer angekommen. Als Kamr essaman dies hörte, stieß er einen lauten Schrei aus und fiel in Ohnmacht. Als er wieder zu sich kam, weinte er sehr heftig, bestieg sogleich ein Pferd und eilte zu seinem Vater. Als er ihn erblickte, stieg er ab und küßte ihm die Hand. Nach gegenseitiger Begrüßung erzählten sie einander, was sie durch die Trennung erlitten und Schah Geman sagte: »Gelobt sei Gott, der ein so gutes Ende herbeigeführt. Alles, was geschehen, war vom erhabenen Gott beschlossen.«
Die drei Könige und die Königin Murdjane blieben drei Tage am Hofe des Königs der Magier, der große Mahlzeiten und Festlichkeiten veranstaltete. In diesen drei Tagen wurde auch die Hochzeit Asads mit der Königin Murdjane und die Amdjads mit Bostane gefeiert. Jener ward Sultan der Ebenholzinseln und dieser Sultan des Landes der Magier. Die Magier wurden aufgefordert, sich zum Islamismus zu bekehren, wer ihn annahm, ward geschont, wer sich weigerte, verlor das Leben. Dann bereitete sich Kamr essaman zur Abreise mit seinem Vater Schah Geman vor und nahm Abschied von seinen Kindern; der König Ghejjur aber verließ sie mit seiner Tochter Bedur. Kamr essaman, dessen Vater und der König Ghejjur wurden bei ungetrübter Heiterkeit alt, und besuchten einander von Zeit zu Zeit, bis sie der Zerstörer aller Freuden und der Trenner aller Vereinigungen, der Tod, überfiel. Sie starben als gute Muselmänner. - Gelobt sei Gott, der Herr aller Welten!
Die Sultanin Schehersad fuhr fort, den Sultan mit ihren schönen Geschichten zu unterhalten und begann nun die