Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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13

»Hast du für den heutigen Klubabend irgendwelche besonderen Wünsche?« fragte Colonel Rowcliffe zuvorkommend und ließ seinen Blick sekundenlang von dem schnurgeraden Weg zu der Freundin an seiner Seite gleiten. Er hatte zwar augenblicklich weit ernstere Sorgen, aber das hartnäckige Schweigen von Miß Ormond, und die Art, wie sie das feine Stupsnäschen in die Luft reckte, begannen ihn zu beunruhigen. Diese Anzeichen deuteten auf Sturm, und er konnte in diesen Tagen Szenen nicht brauchen, da er weder Zeit noch Lust dazu hatte. Andererseits vermochte er sich über die Launen des temperamentvollen Rotkopfes auch nicht einfach hinwegzusetzen, denn er war verliebt wie ein sentimentaler Kater.

Deshalb versuchte er dem seit vierundzwanzig Stunden drohenden Krach durch allerlei Aufmerksamkeiten vorzubeugen, aber Miß Jetta Ormond reagierte darauf nicht. Sogar mit einer reizenden Brillantspange hatte er nicht mehr erzielt, als daß sie sie ihm höchst unwirsch entrissen und wortlos eingesteckt hatte.

Die maßlose Empörung des Stars der Parisiana-Bühne datierte von dem Augenblick an, da Rowcliffe gestern von der Verfolgung der schlagfertigen Grace Wingrove sichtlich erregt und etwas atemlos zurückgekehrt war, ohne die Missetäterin an den Haaren mitgeschleift zu bringen.

»Ich möchte, daß du heute abend den Mittelpunkt der Gesellschaft bildest«, sagte er mit seiner sanften, öligen Stimme und verdrehte verliebt die Augen. »Es sind einige Gäste angesagt, und wir dürfen uns auf keinen Fall aus dem Feld schlagen lassen. – Ich glaube, daß sich zu deinem Haar und deinem Teint ein Rubinschmuck sehr gut ausnehmen müßte. Es ist ein altes Familienstück«, fügte er gefühlvoll hinzu, »aber ich wüßte für ihn keine geeignetere Trägerin als dich. Nur mußt du dazu auch ein etwas freundlicheres Gesichtchen machen.«

Miß Jetta Ormond war noch ärger als eine Elster, denn sie konnte von etwas Glänzendem nicht einmal hören, ohne in Aufregung zu geraten. Und ein Rubinschmuck war jedenfalls eine Sache, um die es sich lohnte zu verhandeln. Nur traute sie der Geschichte noch nicht recht und war daher vorsichtig.

»Ich verzichte«, brach sie ihr vierundzwanzigstündiges Schweigen und warf den roten Kopf mit den schimmernden Löckchen energisch in den Nacken. »Du glaubst wohl, daß sich die Schmach, die mir angetan worden ist, dadurch ungeschehen machen läßt? – Das sieht dir ähnlich, aber ich bin nicht so. Solange ich für die Ohrfeige nicht eine entsprechende Genugtuung bekomme, werde ich mich entehrt fühlen. Wenn du ein Gentleman wärst«, – Miß Jettas Stimme wurde bedenklich kreischend, und der Colonel sah starr geradeaus – »hättest du es nie dazu kommen lassen dürfen oder dieser gemeingefährlichen Person wenigstens sofort zwei oder drei herunterhauen müssen. Statt dessen läufst du ihr nach und kommst wie ein begossener Pudel zurück. – Warum warst du denn so hinter ihr her?« forschte sie mißtrauisch.

»Wegen der Pantherkatze«, erklärte Rowcliffe, der in gewissen Dingen vor seiner Freundin keine Geheimnisse hatte.

»Weshalb?« fragte ihn Jetta verständnislos, aber energisch weiter.

»Du weißt doch – die Tätowierung. Eben einige Tage vorher hatte mir der Alte in Limehouse den Auftrag erteilt, ein Mädchen mit einem Leoparden auf der linken Schulter um jeden Preis ausfindig zu machen und hatte mir hierzu verschiedene Anhaltspunkte gegeben. Aber diese waren etwas spärlich und mangelhaft, und ich kam damit nicht weiter. Bis ich plötzlich aus deinem Munde erfuhr, daß die Gesuchte dicht neben mir gestanden hatte. Du kannst dir meine Bestürzung vorstellen. Es ging um eine Sache, die dem Alten offenbar sehr wichtig war, und es gab hierbei ein hübsches Stück Geld zu verdienen.« Der Colonel verzog die dicken Lippen und sah äußerst mißmutig drein. »Ich sollte jedoch kein Glück haben. Ich erreichte sie zwar noch, aber es gab eine förmliche Straßenszene, und schließlich entwischte sie mir. Allem Anschein nach ist uns ein anderer zuvorgekommen, denn sie ist seither spurlos verschwunden. Nicht einmal in ihrem Haus weiß man etwas über ihren derzeitigen Aufenthalt . . .«

Für Jetta Ormond bekam die Sache durch diese Erklärung ein wesentlich anderes Gesicht, und auch mit der Ohrfeige war das nun nicht so arg. Sie kannte den geheimnisvollen Alten in Limehouse sehr wohl, und wenn er sich für diese ordinäre Person so lebhaft interessierte, so konnte dies nur zweierlei bedeuten: Entweder war diese Grace Wingrove eines seiner Werkzeuge, dann vermochte sie eine Jetta Ormond überhaupt nicht zu beleidigen, oder sie war eines seiner Opfer, dann konnte sie, Jetta Ormond, sicher sein, daß jene die Ohrfeige gründlich heimgezahlt bekam. Mit dieser Erwägung war der Zwischenfall für die praktisch denkende Miß Ormond abgetan, und sie beeilte sich, das festzuhalten, was davon übrig geblieben war.

»Woraus besteht der Schmuck?« fragte sie leichthin und noch immer nicht allzu gnädig, aber Rowcliffe beeilte sich, die gewünschte Auskunft zu geben.

»Er ist komplett: Ein kleines Diadem, ein Collier, Ohrgehänge, ein Armband und ein Ring. Ganz auserlesene Steine in gediegenster Fassung. Ein altes Familienstück, wie ich dir schon gesagt habe.«

Das stimmte in gewisser Hinsicht, war aber für die nüchterne Jetta nicht von sonderlicher Bedeutung. Es kränkte sie bloß, daß sie von dem Schatz nicht schon früher Kenntnis erhalten hatte, und sie konnte es nun nicht erwarten, ihn in ihren Besitz zu bekommen.

Ihre Geduld wurde aber auf eine ziemlich harte Probe gestellt, denn als der Wagen bei dem Landhaus an der Hauptbucht vorbeifuhr, wurde der Colonel von Mr. Hearson mit Beschlag belegt, der in der kühlen Halle bereits auf ihn gewartet hatte.

»Wie Sie sich denken können, Miß Ormond, handelt es sich um eine sehr dringende geschäftliche Angelegenheit«, entschuldigte er sich höflich, »aber ich werde Mr. Rowcliffe nur wenige Minuten in Anspruch nehmen.«

Jetta paßte zwar dieser Besuch gar nicht, aber sie lächelte sehr kokett und verbindlich, da Mr. Hearson ein sehr reicher und einflußreicher Mann war, und trippelte gehorsam in ihre Zimmer, während die Herren sich in einer gemütlichen Ecke niederließen.

Die halblaut geführte Unterredung währte aber nicht bloß wenige Minuten, sondern über eine halbe Stunde und wurde fast ausschließlich von Hearson bestritten, der sehr besorgt und mißmutig aussah.

»Ich fürchte, daß doch einiges von dem gewissen Vorfall in der heutigen Nacht durchgesickert ist«, begann er in seiner pedantischen Art, »denn die Gäste stecken überall die Köpfe zusammen, und ich bin sogar schon direkt darüber befragt worden. Natürlich habe ich die Sache als völlig harmlos hingestellt und möchte Sie nun bitten, mich dabei zu unterstützen, damit keine Beunruhigung entsteht. So etwas könnten wir jetzt weniger denn je brauchen, denn wir stehen ja unmittelbar vor der großen Werbewoche, für die wir eine so kostspielige Reklame eingeleitet haben. Die Sache läßt sich auch sehr vielversprechend an, denn schon für den heutigen ersten Abend haben wir gegen fünfzig Anmeldungen. Durchwegs allererste Gesellschaft. Und die folgenden großen Veranstaltungen werden sicher noch mehr Besucher anlocken.«

Er fuhr sich etwas nervös über den tadellosen, melierten Scheitel und sah den Colonel aus seinen kalten Fischaugen, die hinter den starken Gläsern noch starrer wirkten, bedeutsam an. »Dieses glänzende Geschäft darf natürlich nicht gefährdet werden. Wir müssen die Leute beruhigen und dazu bringen, daß sie an nichts anderes denken, als an die Vergnügungen, die ihrer harren. Mittlerweile muß natürlich die Untersuchung mit aller Gründlichkeit und Beschleunigung durchgeführt werden. Das ist sehr wichtig, denn wir müssen unbedingt wissen, woran wir mit diesen sonderbaren Geschehnissen sind. Hoffentlich gelingt es Mr. Murphy, sie in einer Weise aufzuklären, die weitere Besorgnisse ausschaltet. Aber . . .«

Er vollendete nicht, sondern machte sich an seiner Brille zu schaffen, und sein hageres, blasses Gesicht hatte einen etwas skeptischen Ausdruck.

Colonel Rowcliffe verriet bei den letzten Worten zum erstenmal einiges Interesse, denn er hob gespannt den dunklen Kopf und seine olivgelben Wangen schienen noch um einen Ton fahler als sonst.

»Meinen Sie den Oberinspektor von Scotland Yard?« fragte er leichthin, indem er sorgfältig die Asche von seiner Zigarre streifte. »Ist er bereits hier?«

»Jawohl«, bestätigte Hearson hastig und mit wichtiger Miene. »Aber wir wollen natürlich auch davon nichts verlauten lassen. Er wird ganz als Privatmann auftreten und seine Erhebungen so unauffällig wie möglich anstellen.« Er beugte sich ganz nahe zu dem Colonel und dämpfte seine ohnehin leise Stimme noch mehr. »Zunächst werde ich ihn um sechs Uhr einmal nach dem Tatort führen. Er ist zwar schon gegen Mittag eingetroffen, fühlte sich aber zu müde, um den Lokalaugenschein sofort vorzunehmen.«

Hearson machte eine kleine Pause und strich nachdenklich seinen gepflegten Spitzbart.

»Alle diese unangenehmen Dinge wären meines Erachtens zu vermeiden gewesen«, fuhr er nach einer Weile übellaunig fort, »wenn Mr. Johnson mit sich reden ließe. Aber er macht selbst gegen die vernünftigsten Vorschläge Opposition. Es scheint dies so eine Art Manie von ihm zu sein, und da er leider über ein sehr ansehnliches Aktienpaket verfügt, läßt sich dagegen nichts tun. Er ist zwar nie zu sehen, sowie es sich jedoch um irgendwelche Beschlüsse handelt, legt er uns meist sein schriftliches Veto auf den Tisch.«

Hearson sah den Colonel an, als ob er von diesem irgendein Wort oder wenigstens eine Geste der Zustimmung erwartete, aber Rowcliffe zog es vor, sich lediglich zu räuspern. Wenn die Rede auf den seltsamen Alten in Limehouse kam, vermied er es, sich irgendwie die Zunge zu verbrennen. Fred Johnson war zweifellos ein sehr mächtiger Mann, und der Colonel hatte verschiedene gewichtige Gründe, sich dessen Gewogenheit zu erhalten. Hearson allerdings war auf den Alten seit jeher schlecht zu sprechen, und es schien zwischen den beiden ein erbitterter Kampf um die Führung des Konsortiums zu bestehen. Der immer geschäftige und etwas selbstbewußte Hearson war dadurch äußerst verstimmt und ließ keine Gelegenheit vorübergehen, dies zum Ausdruck zu bringen. Das verlegene Schweigen Rowcliffes berührte ihn deshalb sehr peinlich und veranlaßte ihn, noch überzeugender zu werden.

»Vielleicht erinnern Sie sich, daß ich seinerzeit den Antrag gestellt habe, alle die kleinen Häuser hier im Ort anzukaufen und einfach abzutragen. Sie wären um billiges Geld zu haben gewesen, und wir hätten damit eine gewisse Kontrolle über die Ortseinwohner gehabt. Aber Mr. Johnson war dagegen, und die baufälligen Hütten verschandeln weiter die Gegend und bieten allen möglichen zweifelhaften Elementen Unterschlupf. Wenn man mir gefolgt hätte, wäre die ganze Gegend gesäubert worden. – Auch Spittering Farm durfte nicht in fremde Hände kommen.«

Der Colonel fand es nicht verfänglich, diesmal zustimmend zu nicken und wiederum ein etwas lebhafteres Interesse zu zeigen. »Wer sind eigentlich die Leute dort? Man hört die fürchterlichsten Geschichten über sie. Und zwei Sundapanther sollen sie auch mit sich führen.«

Der elegante ältere Herr mit der Brille hob verdrießlich die Schultern.

»Jedenfalls ein seltsamer Aufzug und kein Gewinn für unsere Gegend«, meinte er. »Mr. Rayne, der der Besitzer zu sein scheint, kenne ich nicht, aber sein Faktotum, das mit einem Malaien die Farm bewohnt, sieht keinesfalls vertrauenerweckend aus. Und dann bin ich unterwegs einige Male einem weißhaarigen Mann mit einem roten Widdergesicht begegnet, der mir auch nicht recht gefallen will.«

In Rowcliffes Erinnerung tauchte blitzartig das Bild des kleinen Herrn auf, der gestern zwischen ihn und Grace Wingrove getreten war, und er mußte sich sofort Gewißheit verschaffen. Er beschrieb den Fremden eingehend, und Hearson nickte bei jedem der angeführten charakteristischen Merkmale nachdrücklich mit dem Kopf.

»Allerdings. – Kennen Sie ihn auch?«

»Nur vom Sehen und ganz flüchtig«, gab der Colonel zurück, indem er tief aufatmete. »Er hat ein Gesicht, das einem unbedingt auffallen muß, und das man auch nicht so leicht vergißt.« Er begann etwas ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch zu trommeln und legte plötzlich eine Zerstreutheit an den Tag, die Hearson zum Aufbruch drängte.

Rowcliffe geleitete ihn bis zur Tür des Vorgartens, wo noch sein Zweisitzer stand, und steuerte diesen dann um das Haus herum zu einem langgestreckten Garagenbau, der den Besitz an der Rückseite einfriedete. Das Gebäude hatte noch so etwas wie ein Obergeschoß, und es war allgemein bekannt, daß der Colonel hier die seltsamsten Rassetauben züchtete. Er war aber nicht nur ein Liebhaber dieser niedlichen Tiere, sondern ein wirklicher Kenner, der auf jeder Ausstellung die ersten Preise davontrug.

Anschließend an die Garage befand sich ein großer mit Bäumen bestandener Futterplatz, und dann stieg die dicht mit Buschwerk und Laubholz bewachsene Lehne an.

Nachdem der Colonel den Wagen untergebracht hatte, öffnete er eine zweite Tür und stieg eine primitive Holztreppe hinan. Die aufgescheuchten Tauben schwirrten gegen den Dachfirst und durch die Fluglöcher, aber Rowcliffe verschwand sofort in einem versteckt angebrachten kleinen Verschlag, dessen Öffnung er sorgfältig hinter sich schloß. Dann schaltete er eine elektrische Birne ein, entnahm einer Aushöhlung in einem der Balken ein griffelartiges Instrument und einige in Papier gewickelte Blechplättchen und überlegte eine Weile, bis er sich über die Fassung der Botschaft, die er zu senden hatte, im klaren war. Hierauf ritzte er einige Buchstaben und Zeichen in einen der kupfrigen Streifen und zog aus einem Winkel einen Käfig hervor. Er enthielt drei graue Tauben, von denen er einer das Plättchen sorgsam um das Bein wickelte. Dann ging er mit dem Tierchen unter den Dachfirst und hielt es vor eines der Ausfluglöcher.

Die Taube blinzelte für den Bruchteil einer Sekunde in das helle Licht, dann begann sie kräftig mit den Flügeln zu schlagen und flatterte ins Freie. Über dem Futterplatz stieg sie in Spiralen hoch, schwebte einen Augenblick still und schoß dann schnurgerade wie ein abgeschnellter Pfeil nach Südwest.


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