Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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33

Der erste Morgenzug nach London passierte Chesterhills kurz nach halb sieben Uhr, aber Murphy saß mit seinem Hund bereits vor sechs hinter einer Hecke nächst der Station und sprach sehr nachdrücklich auf den verschüchterten Spang ein.

»Wenn Sie mir Hannibal herumflanieren lassen, kommen Sie in des Teufels Küche, das sage ich Ihnen. Führen Sie ihn hübsch an der Leine und kümmern Sie sich um ihn. Seine Milch hat er schon bekommen, aber mittags braucht er etwas Ausgiebiges. Suchen Sie in der Nähe ein anständiges Wirtshaus, denn den Fraß in Ihrem ›Tanzenden Delphin‹ würde er wahrscheinlich nicht vertragen. – Und dann halten Sie Augen und Ohren offen. Streichen Sie vor allem ein bißchen um Spittering Farm herum, ob sich dort nicht etwas zusammenbraut. Der Wichtigtuer Kitson will heute nacht in der Gegend auffallend viele Stromer bemerkt haben, aber wahrscheinlich war er betrunken. Er säuft jetzt aus lauter Glückseligkeit, weil er eine Braut hat, und dann wird er aus Verzweiflung saufen, weil er ein Weib hat. Das ist immer so.« Der dünne Sergeant fuhr mit seiner spitzen Nase so lebhaft auf und nieder, daß der Oberinspektor seine philosophischen Betrachtungen unterbrach und ihn mit ärgerlicher Verwunderung betrachtete.

»Was machen Sie denn mit Ihrem Rüssel für Turnübungen?«

»Es stimmt, Sir«, flüsterte Spang. »Als ich gestern abend von Ihnen in den ›Delphin‹ zurückkehrte, saßen dort vier Burschen und steckten die Köpfe zusammen. Darunter McKidd, den sie das ›Kamel‹ nennen, weil er einen langen Hals und einen Buckel hat.«

»Der Bucklige . . ., so!« entfuhr es dem Oberinspektor, und es dauerte eine ziemliche Weile, bevor seine Ohrenspitzen wieder zur Ruhe kamen.

Aber er ging augenblicklich nicht weiter auf die Sache ein, sondern kam erst etwa drei Stunden später im Büro des Chefs des Konstablerwesens darauf zurück. Er fand dabei ein sehr erlesenes und gespanntes Auditorium, denn man wußte in Scotland Yard seit dem frühen Morgen, daß es diesmal nicht nur um einen umfangreichen und komplizierten Kriminalfall, sondern im Zusammenhang damit auch noch um andere sensationelle und wichtige Dinge ging. Das bereits vorliegende Protokoll der nach Stevenford entsandten Kommission hatte die Vermutungen des Oberinspektors vollauf bestätigt: In dem kleinen Sarg waren in einem Bündel lediglich einige Holzstücke vorgefunden worden, und diese Feststellung gab auch allen übrigen Folgerungen Murphys eine bedeutsame Grundlage. Nun saßen die Herren um den mächtigen Tisch, und aller Augen waren erwartungsvoll auf den massiven Mann gerichtet, der den bisher erwiesenen Tatbestand und seine Kombinationen kurz und bestimmt darlegte. Murphy verzichtete diesmal auf alle seine kleinen Späße und brachte auch nur das vor, was ihm paßte. Er erachtete den Zeitpunkt zu seinem Eingreifen noch nicht für gekommen und machte auch kein Hehl daraus.

»Was den Fall Grace Lyndsell betrifft«, sagte er, »so ist wohl alles klar, und auch in der anderen Sache gibt es für mich kein Rätsel mehr, aber darum geht es uns vorläufig eigentlich nicht. Wir sind durch ein an sich unbedeutendes Vorkommnis auf eine Serie von Verbrechen gestoßen, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen, und alles deutet darauf hin, daß sie sämtlich von demselben Kopf ausgeheckt und von seiner straffen Organisation von Helfershelfern verübt wurden. Zweifellos hat die Bande auch sonst noch Verschiedenes auf dem Kerbholz, und wenn es uns endlich gelingt, das Nest auszuheben, so werden wir sicher einen guten Fang machen. Aber wir müssen unbedingt die ganze Gesellschaft zu fassen bekommen, und deshalb möchte ich nicht zu früh losschlagen. Wenn wir sie noch ein oder zwei Tage in Ruhe lassen, werden sie uns vielleicht selbst ins Garn laufen. Sie wissen nicht, wie weit die Dinge mit Al Evans und dem Mädchen bereits gediehen sind und scheinen noch einen entscheidenden Schlag führen zu wollen. Bis dahin möchte ich noch warten«, schloß er mit hartem Gesicht, »und auch im Fall von Stevenford vorläufig nichts weiter unternehmen.«

»Handeln Sie ganz nach Ihrem Gutdünken, Mr. Murphy«, sagte der Chefkonstabler so verbindlich, wie er selten zu sprechen pflegte, fügte aber, als der Unterstaatssekretär ein leises Räuspern hören ließ, rasch und nachdrücklich hinzu: »Nur in der gewissen heiklen Sache möchte ich Sie um ein tunlichst taktvolles Vorgehen bitten. – Sie verstehen mich wohl?«

Der Oberinspektor machte eine etwas ungelenke Verbeugung und gab eine Viertelstunde später dem Kommandanten der Fliegenden Kolonne seine knappen, präzisen Anweisungen.

»Wir brauchen ungefähr dreißig Mann. Die tüchtigsten und kräftigsten Leute, die Sie haben, denn es wird vielleicht etwas heiß hergehen. Fahren Sie so los, daß Sie mit Anbruch der Dunkelheit die Gegend von Chesterhills erreichen, und dann ziehen Sie um Spittering Farm einen Kordon. Aber alles so unauffällig wie möglich, denn ich glaube, daß die andern auch schon auf dem Platz sein werden. Am besten ist es, Sie kostümieren ihre Mannschaften als Streckenarbeiter und halten sich an die Bahnlinie. Im übrigen werde ich mich schon rechtzeitig bei Ihnen einfinden. Halten Sie sich während der Nacht an der Südspitze des Wäldchens bei Spittering Farm auf, aber im Gehölz selbst machen Sie sich nicht zu schaffen. Ich habe meine guten Gründe, Ihnen das zu sagen. Bei Einbruch der Morgendämmerung können Sie dann Ihre Leute zurückziehen und irgendwo ausruhen lassen. Wahrscheinlich werden Sie eine oder zwei Nächte umsonst opfern müssen, aber besser, wir kommen zu früh als zu spät.«

Murphy verabschiedete den jungen Kollegen mit einem kräftigen Händedruck und machte sich dann eine geraume Weile mit seiner Kartothek zu schaffen, der er einige der hieroglyphenbedeckten Zettel entnahm, um sie mit hängender Unterlippe und unruhigen Ohrenspitzen nachdenklich durchzustudieren. Eine weitere Stunde kramte er im Archiv in allen möglichen Aktenfaszikeln herum, und schließlich setzte er sich mit einer großen Grundstücksmaklerfirma in Verbindung, um eine Auskunft einzuholen.

»Könnten Sie mir etwas über die Besitzverhältnisse bei den zwei großen Häuserblocks an der Ecke der Well Street in Limehouse sagen?« fragte er den Chef, der selbst an den Apparat gekommen war.

»Zufällig ja«, kam es beflissen zurück, »denn ich habe die Sache damals gemanagt. Der ganze Komplex gehört einem Konsortium. Durchweg angesehenen und kapitalkräftigen Leuten.«

»So, einem Konsortium«, meinte Murphy etwas enttäuscht. »Das kann natürlich alles mögliche sein. – Näheres wissen Sie nicht?«

»O doch, wenigstens einiges«, erklärte der Mann. »Der Grund hat ursprünglich einem Mr. Johnson gehört, der auch heute noch in einer alten Bude mitten drin sitzt. Durch meine Vermittlung wurde er dann an eine Gesellschaft unter Führung eines Mr. Hearson verkauft, die sofort mit den Neubauten begonnen hat. In der letzten Zeit scheint aber Johnson wieder die Aktienmehrheit an sich gebracht zu haben, und Hearson ist aus der Verwaltung ausgeschieden. – Mehr ist mir allerdings nicht bekannt«.

»Danke, das genügt«, schloß Murphy lebhaft, legte den Hörer auf und verließ kurz nachher Scotland Yard.

Der Alte in Limehouse saß wie immer in dem verdunkelten Hofzimmer des kleinen Hauses und hatte sein Faktotum in der Arbeit.

Der Mann bekam seinen geheimnisvollen Herrn täglich meist nur für wenige Augenblicke zu Gesicht und oft auch das nicht, aber die kurzen Minuten genügten, den robusten Burschen in ständiger Erregung und Sorge zu halten. Er wußte, daß das Wesen hinter dem Schreibtisch, das er bereits zu hundert Malen in den verschiedensten Verkleidungen, aber noch nie in seiner wirklichen Gestalt gesehen hatte, von unberechenbaren und unerbittlichen Entschließungen war und daß sein Leben nur an einem haardünnen Faden hing, sooft er die Schwelle des düsteren Zimmers überschritt. Er hatte auf Geheiß seines Gebieters ungezählte »Urteile« vollstreckt, die oft aus den nichtigsten Ursachen entstanden waren, und seit den Fehlschlägen in dem Wäldchen bei Spittering Farm und dem mißlungenen Überfall auf das Mädchen konnte er die Angst vor einem plötzlich hereinbrechenden Strafgericht nicht loswerden.

Aber Johnson begnügte sich mit gelegentlichen derben Flüchen und Verwünschungen und war überhaupt in den letzten Tagen so ganz anders, als ihn der Pockennarbige in mehr als zwei Jahrzehnten je gesehen hatte. Die eiserne Ruhe schien völlig von ihm gewichen, und in seinem Gehaben lag dieselbe nervöse Fahrigkeit wie in seinen Anordnungen. Eben widerrief er zum drittenmal den Befehl, den er wegen Spittering Farm erteilt hatte.

»Wir werden die Sache doch noch um einen Tag verschieben«, entschied er. »Es muß alles bis ins kleinste klappen, und außerdem ist vorher noch verschiedenes andere zu erledigen. Ich möchte nicht hier in der Falle sitzenbleiben, wenn es auch diesmal wieder schiefgehen sollte. Nimm dir heute nacht die Leute noch einmal her und bläue ihnen ein, worum es sich vor allem handelt. Wenn wir Al Skinner abtun und die Kiste in dem Zwinger und das Mädchen in unsere Hand bekommen, können wir vielleicht noch aus der verdammten Schlinge schlüpfen. Dieser Murphy ist zwar ein ganz gefährlicher Spürhund, aber schließlich, wenn es sein muß . . .« Er vollendete nicht und ließ eine ziemlich lange Weile verstreichen, bevor er fortfuhr. »Mehr Sorge macht mir der andere, denn der ist nicht so leicht zu fassen, und der Teufel weiß, was er eigentlich vorhat. Dir ist er beim Tor in den Weg gekommen, und mir hat er in einer der letzten Nächte zweimal eine Kugel dicht vor die Füße gesetzt. Dabei habe ich nicht einmal den Schatten von ihm zu sehen bekommen.«

In die Stille des Raumes klang das dumpfe Rattern des Türklopfers, und Herr und Diener hoben gleichzeitig den Kopf.

»Sind Sie zu sprechen, Sir?« fragte der Pockennarbige hastig, aber Johnson überlegte so lange, bis der Klopfer neuerlich in Bewegung gesetzt wurde.

»Das kommt darauf an«, sagte er nachdrücklich. »Für Lady Shelley ja, weil es etwas sehr Wichtiges sein kann, und auch für den Colonel. – Aber wenn es Hearson sein sollte oder jemand anders, so bin ich todkrank.«

Der Diener blieb ziemlich lange aus, aber plötzlich schlüpfte er mit großer Hast wieder ins Zimmer und schob den Riegel vor die Tür. Dabei war sein Aussehen so verstört, daß der hinfällige Mann hinter dem Schreibtisch unwillkürlich auffuhr.

»Was gibt's?« stieß er betreten hervor.

»Mr. Murphy«, flüsterte der andere erregt. »Er ist nicht abzuweisen, und ich weiß nicht, was ich tun soll.«

Johnson ließ sich wieder in seinen Stuhl fallen, und seine Hände tasteten einige Augenblicke unruhig auf dem Schreibtisch herum. »Ist er allein?« fragte er dann, und der Pockennarbige hörte in der Stimme seines Herrn wieder jenen Ton mitklingen, der ihm durch Mark und Bein ging.

»Jawohl, Sir.«

»Dann laß ihn in fünf Minuten eintreten«, sagte Johnson kalt und bestimmt, »aber nicht eine Sekunde früher. Und sowie sich die Tür hinter ihm geschlossen hat, gehst du aus dem Haus und betrittst es nicht früher wieder, bis du von mir Nachricht erhältst. Kümmere dich sofort um die Sache mit Spittering Farm, und wenn du nichts anderes hörst, bist du morgen um zehn Uhr abends beim Tor.« Er rückte sich in seinem Stuhl zurecht und überlegte einige Sekunden. »Vielleicht wird es jetzt leichter gehen«, schloß er halblaut, und der Diener beeilte sich, der verabschiedenden Handbewegung Folge zu leisten.

Gleich darauf ließ er den Mann von Scotland Yard ein.

Murphy kam wie ein guter alter Bekannter und entfaltete bereits an der Schwelle eine gemütliche Redseligkeit.

»Sie sind krank, wie ich gehört habe, Mr. Johnson. Das tut mir aufrichtig leid. Ich werde Sie auch sicher nicht lange aufhalten, aber ich habe augenblicklich in Chesterhills einen sehr bösen Fall, und da ich alle die anderen netten Herren draußen bereits kennengelernt habe, wollte ich . . .«

Er stockte und suchte sich in dem dunklen Raum so weit zurechtzufinden, um dem Herrn des Hauses die Hand drücken zu können, aber Johnson kam ihm mit hastiger, zittriger Stimme zuvor.

»Nehmen Sie Platz, bitte. Dort in dem Stuhl zu Ihrer Rechten. Ich kann mich leider nicht rühren, und es ist hier etwas bescheiden.«

»Und etwas düster und dumpfig«, ergänzte der Oberinspektor, indem er sich vorsichtig in dem vorsintflutlichen Fauteuil niederließ. »Sie sollten es einmal mit recht viel Licht und frischer Luft versuchen, Mr. Johnson. Glauben Sie mir, das wirkt Wunder. Ich bin auch schon einmal fast am Abkratzen gewesen, aber das hat mich wieder auf die Beine gebracht. – Soll ich nicht die Fenster ein bißchen öffnen? Wir haben heute den herrlichsten Sommertag . . .«

Er machte Miene, sich zu erheben, aber der Mann hinter dem Schreibtisch hielt ihn durch seinen ängstlich hervorgestoßenen Einwand zurück.

»Das wäre mein Tod. Ich vertrage weder einen Luftzug, noch das geringste Licht. Mein Arzt hat mich vor beidem gewarnt. Ich bin eben ein armer Krüppel.«

»Schade«, meinte Murphy bedauernd und lehnte sich wieder in seinen Stuhl zurück. »Diese Ärzte sind die ärgsten Feinde jedes Kranken, und ich wundre mich nicht, wenn sich da Ihr Zustand nicht bessern will. – Sie müssen ja von dem Aufenthalt in diesem muffigen Loch schon wie der leibhaftige Tod aussehen.«

Aus seiner Hand schoß blitzschnell ein kleiner Lichtkegel hinter den Schreibtisch, aber Johnson beugte ebenso blitzschnell den Kopf, und es war lediglich der wirre graue Haarschopf auf dem spitzen Schädel wahrzunehmen.

»Was fällt Ihnen ein?« fauchte der Kranke mit hoher Fistelstimme zornig. »Wie können Sie so mit einem halbblinden Mann umgehen? Wenn ich das Augenlicht verliere, werden Sie die Folgen zu tragen haben.«

»Meinetwegen«, gab der Oberinspektor gelassen zurück. »Aber ich habe mir in den Kopf gesetzt, Sie mir einmal etwas genauer anzusehen; und wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, so tue ich es. Machen Sie also keine Geschichten. Es wird sehr kurz und schmerzlos sein, aber ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß ich in der anderen Hand einen Revolver halte, der . . .«

Murphy kam nicht dazu, den Satz zu vollenden. Er stürzte mit seinem Sitz jählings hintenüber, und gleichzeitig klappte es über ihm mit einem stählernen Schnappen zusammen, als ob ein schwerer Deckel zufiele. Im nächsten Augenblick vermochte er kein Glied zu bewegen; nur seine Unterschenkel waren frei, aber unterhalb der Knie verspürte er einen schmerzhaften Druck.

Der Oberinspektor wußte, daß es für ihn in diesen Minuten um Leben oder Tod ging, und er spannte alle seine Kräfte bis zum äußersten an, aber schon nach kurzer Zeit sah er die Vergeblichkeit seiner Bemühungen ein. Er war völlig erschöpft und verspürte eine beklemmende Atemnot, die ihm immer mehr das Bewußtsein schwinden ließ . . .

Plötzlich war ihm, als würde er emporgehoben, und als ob der furchtbare Alp von ihm wiche. Aber es bedurfte noch einer geraumen Weile, bevor er die Augen aufzuschlagen und um sich zu blinzeln vermochte.

Er sah sich in einem Raum, der von Licht durchflutet war und in dem die Tür und die Fenster weit offen standen. Nur der Schreibtisch mit dem Lehnstuhl dahinter und der unförmige Fauteuil, in dem er wieder saß, verrieten ihm, daß es dasselbe Zimmer war, das er betreten hatte, und er schnellte zunächst einmal rasch empor, um von der gefährlichen Sitzgelegenheit wegzukommen. Er fühlte sich wie zerschlagen und verspürte eine seltsame Beklommenheit, die ihn instinktiv zu dem offenen Fenster trieb. Es ging nur auf einen kleinen Hofraum, aber das bißchen frische Luft tat ihm doch gut, und plötzlich vermochte er auch den süßlichen Geruch wahrzunehmen, der aus dem Zimmer strömte. Er wandte sich hastig um, um nach der Gasleitung zu sehen, aber der Hahn war verschlossen, und der Geruch verflüchtigte sich auch immer mehr.

Der Oberinspektor stand eine Weile mit verkniffenen Augen und hängender Unterlippe, dann begann er, seinen zerknüllten äußeren Menschen halbwegs in Ordnung zu bringen. Er war überzeugt, daß es für ihn hier augenblicklich nichts Besonderes mehr zu erfahren gab, und was zu tun war, konnten andere besorgen. An der Schwelle des Zimmers machte er aber doch noch einmal halt und lüftete sehr höflich den Hut in den leeren Raum.

»Also zum dritten Male, mein Lieber«, murmelte er dabei mit seinem freundlichen Gesicht. »Das kann eine nette Rechnung werden.«

Er humpelte etwas schwerfällig durch den Flur, da ihn die Schienbeine schmerzten, und auch auf der Gasse mußte er ein sehr langsames Tempo einschlagen. An der nächsten Ecke war glücklicherweise ein Droschken-Halteplatz, aber der Oberinspektor hatte ihn noch nicht erreicht, als dicht neben ihm ein Auto hielt und Hearson ihm lebhaft die Hand entgegenstreckte.

»Was machen Sie in London?« fragte er überrascht. »Ich wollte erst meinen Augen nicht trauen, da ich Sie natürlich in Chesterhills wähnte. Warum haben Sie mir nichts gesagt? Wir hätten ja sehr gut zusammen fahren können.«

»Ich habe Ihrem Freund Johnson einen Besuch abgestattet«, erklärte Murphy und blinzelte geheimnisvoll mit den Augen, aber Hearson machte eine leicht abwehrende Geste.

»Nun, Freunde sind wir gerade nicht«, stellte er mit einem kühlen Lächeln fest, »obwohl . . .« Er sprach nicht aus, sondern sah den Oberinspektor etwas ratlos an und schob eifrig an seiner Brille herum. »Wissen Sie, nun kenne ich mich in dem Mann überhaupt nicht mehr aus«, fuhr er dann vertraulich fort. »Er hat mir nämlich das, worum wir lange Jahre einen erbitterten Kampf geführt haben, plötzlich ganz freiwillig auf den Tisch gelegt. Ich komme eben von seinem Anwalt, wo die Sache perfekt geworden ist. Ich habe für das Konsortium alle seine Aktien von Chesterhills und außerdem das kleine Haus hier erworben. Und jetzt bin ich unterwegs, um mit ihm Frieden zu schließen.« Hearson strahlte vor Eifer und Genugtuung, aber Murphy schüttelte bekümmert den Kopf.

»Ich fürchte, Sie werden ihn nicht antreffen«, meinte er. »Und auch an dem Haus werden Sie vorläufig keine rechte Freude haben, da ich Ihnen einige von unseren Leuten hineinsetzen werde.«

Der arme Hearson schien den Sinn dieser Worte nicht gleich fassen zu können, denn er starrte den Oberinspektor sekundenlang völlig verständnislos an, dann aber bekam sein Gesicht einen ganz verstörten Ausdruck, und er vermochte seine Frage nur stammelnd hervorzubringen.

»Was ist geschehen, um Himmels willen?«

»Ein kleiner Mordversuch«, raunte ihm Murphy wichtig zu und tippte auf seine breite Brust. »An mir. Mit einem ganz hinterlistigen Stuhl, mit Leuchtgas und wer weiß, was noch. – Schauen Sie mich nur an, wie ich aussehe. – Aber wenn er gehenkt wird«, schloß er giftig, »werde ich mich an diese Niederträchtigkeit erinnern, und es wird mir dann nicht so schwer werden, ihn baumeln zu sehen.«

Er zog sein Taschentuch, um sich gefühlvoll zu schneuzen und schüttelte dann dem Herrn mit der Brille herzhaft die Hand.

Er war schon längst um die Ecke verschwunden, als ihm Hearson noch immer fassungslos nachstarrte.


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