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»Die Schuppen sind mir von den Augen gefallen«, sagte Herr Preemby.
Er hatte eine Bank oben im Stadtpark gewählt, der eine weite Aussicht über die Stadt bot, über die mit den grünen Kuppeln der Oper gekrönte Stadt, die dalag, als ob die Häuser aus einem Karren den langen Abhang bis zu den Pantiles hinuntergeschüttet worden seien. Dahinter zog sich in weiten Linien das kentische Hügelland hin, blau und ferne.
Christina Alberta wartete auf mehr.
»Dieses Erlebnis,« sagte Herr Preemby, indem er hie und da ein H'rrmp fallen ließ, »alle diese Erlebnisse – sind schwierig zu erzählen. Natürlicherweise denke ich, daß du skeptisch veranlagt bist – nach deiner teuren Mutter zu schließen. Sie war äußerst skeptisch. Gegen psychische Phänomene ganz besonders. Sie sagte, das sei Unsinn. Und wenn deine teure Mutter sagte, daß etwas Unsinn sei, dann war es Unsinn. Es machte einem nur das Leben sauer, wenn man ihr widersprach. Was mich betrifft – ich bin stets für die freie Meinung. Kein Dogma irgendwelcher Art. Ich hielt mich bloß zurück.«
»Aber Vati, hast du denn psychische Erlebnisse gehabt? Wie konntest du hier psychische Erlebnisse haben?«
»Laß mich dir die Geschichte in gehöriger Reihenfolge erzählen. Ich möchte, daß du es so siehst, wie ich's gesehen habe – in gehöriger Reihenfolge.«
»Wie fing es denn an?«
Herr Preemby hielt die Hand beschwichtigend in die Höhe. »Bitte! Auf meine Weise«, sagte er.
Christina Alberta biß sich auf die Lippen und maß die ruhige Entschlossenheit seines Profiles. Nichts vermochte ihn zur Eile anzutreiben; er mußte seine Geschichte erzählen, so wie er sie vorbereitet hatte.
»Ich glaube kaum,« sagte Herr Preemby, »daß ich ein leichtgläubiger Mensch bin. Es ist wahr, ich lasse mich nicht auf Auseinandersetzungen ein. Ich rede nicht sehr viel. Aber ich denke und beobachte. Ich denke und beobachte, und ich hab' eine Art Begabung, die Leute zu beurteilen. Ich glaube nicht, daß ich sehr leicht zu täuschen bin.
Und es muß betont werden, daß ich mit der ganzen Geschichte angefangen habe. Sie begann auf meine Anregung hin. Ich weiß nicht, wie ich auf den Gedanken gekommen bin, aber ich weiß, daß ich es war, der die ganze Sache ins Rollen gebracht hat.
Du weißt, nachdem du fort warst, war unsere kleine Gesellschaft in der Pension ‹Petunia› auf bloß sechs Personen zusammengeschmolzen, wenn man den jungen Herrn aus Cambridge, der, wie Fräulein Rewster sagt, ein ‹Zugvogel› war, nicht mitrechnet. Natürlich fühlten wir sechs uns einigermaßen zueinander hingezogen. Da waren die beiden Fräulein Solbé, beide sehr intelligente junge Damen, da war Herr Hockleby, und Frau Hockleby, und Fräulein Hockleby, und da war ich. Nachdem du fort warst, setzten wir uns zu Mittag zusammen, es war etwas regnerisch, und wir hatten ein Feuer im großen Salon, und Fräulein Solbé, die mit den Augengläsern, versuchte mir eine ihrer Patiencen zu erklären. Wir verwickelten uns in eine ganz interessante Erörterung darüber, ob es möglich ist, mit Hilfe des Willens zu bestimmen, welche Karte als nächste kommen wird. Ich hab' immer zu der Ansicht geneigt, daß es für gewisse Leute, Leute mit der dazu nötigen Gabe, möglich ist, so etwas zu tun, aber Herr Hockleby zeigte sich äußerst skeptisch in dieser Sache. Er behauptete, wenn da eine Karte oben auf dem Paket liegt, fix und fertig zum Vorschein zu kommen, und einer will, daß eine andere Karte zum Vorschein kommen soll, so müßte er rein durch die Macht des Willens zwei von den Karten in dem Paket neu fabrizieren, sie frisch herstellen, jede als die andere, sie blank machen, neu drucken und so weiter. Doch ich versuchte ihm zu erklären, daß das nicht philosophisch begründet ist, und zwar von wegen der Prädestination. Wenn man eben prädestiniert ist zu wollen, daß die und die Karte oben auf dem Paket liegen soll, dann ist diese Karte ebenso prädestiniert, dort zu liegen. Er erhob den Einwand –«
»Aber ist es notwendig, mir das alles zu erzählen, Vati, bevor wir zu deinem psychischen Erlebnis kommen?«
»Ich will nur die Tatsache erläutern, daß Herr Hockleby ein äußerst skeptischer Mensch ist.«
»War der junge Mann aus Cambridge bei dieser Unterhaltung anwesend?«
»Nei–ein. Nein. Er war nicht da. Wahrscheinlich war er in die Garage hinuntergegangen, um nachzusehen, ob seine Ersatzteile schon gekommen waren. Er ging fortwährend in die Garage hinunter, um nach seinen Ersatzteilen zu sehen.«
Herr Preemby h'rrmpte und begann mit einem neuen Abschnitt seiner Erzählung.
»Es war am Abend nach dem Essen,« sagte er, »als die Sache wirklich anfing. Ich ging in den Rauchsalon – um zu rauchen – und nachher ging ich in den großen Salon, und als ich in den großen Salon ging, dachte ich nicht mehr an okkulte Phänomene, Christina Alberta, als daran, über den Mond zu fliegen. Aber als ich in den großen Salon kam, sah ich Fräulein Solbé in ihre Patience-Karten blicken, die sie eben vor sich ausgebreitet hatte, und die Art und Weise, wie sie ihre Hände auf dem Tische hielt, erinnerte mich an die Art und Weise, in der, wie ich gelesen habe, die Leute ihre Hände auf dem Tisch zusammenlegen, wenn sie Versuche im Tischrücken machen. Und beinahe ohne etwas dabei zu denken, sagte ich: ‹Ei, Fräulein Solbé, die Art, wie Sie die Hände halten, ist genau die beim Tischrücken übliche.› Ich sagte das bloß so. »Herr Hockleby las eben seine Zeitung – die ‹Times› glaub' ich, doch es kann auch die ‹Morning Post› gewesen sein – aber als er mich das sagen hörte, legte er sie nieder und schaute mich über seine Gläser hinweg an und sagte: ‹Sie glauben doch nicht an derartige Dinge, Herr Preemby, wie?›
Seine Frau saß mit dem Rücken gegen mich, und aus der Art und Weise, wie sie sprach, nehme ich an, daß sie irgendein Bonbon oder Zuckerplätzchen gegessen haben muß. ‹Ich glaube daran›, sagte sie. ‹Ich habe es zuhause, ehe ich heiratete, dutzendmale gemacht.›
Und ich weiß nicht, wie es mir in den Kopf kam, Christina Alberta; es war beinahe so, als ob etwas hinter mir es mir eingab, oder vielleicht war es eine Art Widerspruchsgeist, wie ich ihn stets gegen diesen Mann Hockleby gespürt habe; kurz und gut, ich sagte: ‹Ich würde wirklich gern einmal dieses Tischrücken versuchen.›
Das jüngere Fräulein Solbé – sie ist wirklich eine recht reizende junge Dame, wenn man sie näher kennen lernt, und es sieht so aus, als ob sie kürzlich ein wenig okkulte Literatur gelesen hätte –«
»Wie alt ist sie denn, Vati?« fragte Christina Alberta; dabei betrachtete sie ihn, von einem plötzlich rege gewordenen Verdacht erfüllt.
»Ich denke, sie kann doch nicht sehr viel mehr als zweiunddreißig oder dreiunddreißig sein. Vierunddreißig allerhöchstens. Und wirklich ganz belesen, ganz belesen. Nun, kurz und gut, sie sagte, sie würde es auch gerne versuchen. Und Fräulein Hockleby, die offensichtlich von ihrem Vater nach durchaus skeptischen Grundsätzen erzogen worden ist, war auch neugierig. Kurz und gut, wir versuchten es also. Nur Herr Hockleby erhob Einwände, doch Frau Hockleby wies sie zurück. Sie war die einzige von uns, die irgendetwas Derartiges jemals zuvor gesehen hatte, und daher war sie es, die alles arrangierte und uns sagte, was wir zu tun hätten. Wir wählten einen äußerst soliden Tisch, den, auf dem gewöhnlich die große Aspidistra steht, und während wir das Licht auslöschten –«
»Aber warum tatet ihr denn das, Vati?«
»Das tut man immer«, sagte Herr Preemby. »Das macht die Atmosphäre günstiger. Wir zündeten eine Kerze an, die uns Fräulein Rewster beschaffte, und drehten alle elektrischen Lampen ab; und während wir das tun, kommt der junge Herr Karl Fenton herein und sagt – Was sagte er nur? Ein eigenartiger Ausdruck war es. Ach ja! ‹Donner und Doria,› sagte er, ‹was ist denn los?›«
»Ist das der junge Mann mit dem Motorrad?«
»Ja. Der junge Herr aus Cambridge. Wir erklärten ihm unser Vorhaben und fragten ihn, ob er mittun wolle. Er behauptete, nicht das geringste von psychischen Phänomenen zu verstehen, hatte niemals damit Experimente gemacht und schien sehr im Zweifel, ob er an unserem Versuch teilnehmen sollte. ‹Ich glaub' nicht, daß irgendetwas dabei herausschaut›, sagte er. ‹Wir werden uns umsonst bemühen.› Richtig, ich erinnere mich jetzt, daß er in der Absicht, ein Tingel-Tangel zu besuchen, fortgegangen war, dann aber wieder zurückkam, weil es regnete. Es ist äußerst wichtig zu beachten, daß er gar keine Lust hatte, mitzutun, und daß er über okkulte Dinge gänzlich uninformiert war; denn wie ich dir erzählen werde, entdeckten wir bald, daß er ein Mensch von außergewöhnlicher psychischer Begabung ist, von einer viel stärkeren psychischen Begabung als sonstwer unter uns.
Gut. Wir setzten uns in der üblichen Weise um den Tisch zurecht, Daumen und kleine Finger einander berührend, und eine Zeitlang schien sich nicht das mindeste ereignen zu wollen. Wir entdeckten, daß Fräulein Emilie Rewster durch die halb geöffnete Tür hereinguckte, und vielleicht hat das einen ungünstigen Einfluß ausgeübt. Vermutlich wollte sie wissen, was wir taten und warum wir ihre Schwester um eine Kerze gebeten hatten. Dann wurde Herr Fenton sehr störrig, brummte in sich hinein und sagte, es wäre doch die verrückteste Art, auf die er je einen Abend verbracht hätte. Es war etwas schwierig, ihn dazu zu überreden, ruhig zu bleiben und auszuharren. ‹Schon gut›, sagte er etwas unwillig. ‹Ich füge mich.› Und dann kamen plötzlich zwei heftige Schläge, Schläge wie schwache Pistolenschüsse, und zwar war es nicht unmittelbar unter dem Tisch, sondern so, als ob es ein oder zwei Fuß unter dem Tisch in der Luft gewesen wäre. Und dann fing der Tisch an, sich zu bewegen. Zuerst nur langsam, indem er sich am Boden hinschob, und dann ganz stark, wobei er sich drehte und gegen unsere Hände stieß. Es war sehr unheimlich und eindrucksvoll, Christina Alberta, wirklich sehr unheimlich und eindrucksvoll. Er hob sich nahezu zwei Fuß hoch, glaube ich; dann brach Herr Hockleby den Kreis, der Tisch fiel, ziemlich heftig, glaub' ich, herunter, und ein Tischfuß schlug gerade gegen Herrn Hocklebys Schienbein. Er schrie auf und bückte sich, um sein Bein zu reiben, und stieß sich in dem unbestimmten Licht den Kopf an der Tischkante an. Das war beinahe wie eine Strafe für seinen Skeptizismus. Wir drehten eine oder zwei Lampen an, um ihm zu Hilfe zu kommen. ‹Das ist nichts für mich›, sagte Herr Fenton. ‹Das ist mir ein wenig zu toll.›
Ich bat ihn, es doch nur noch einmal zu probieren.
‹Ich mag das nicht, wie dieser Tisch da in die Höhe springt›, sagte er. ‹Und welch schlechtes Beispiel für die Stühle. Angenommen, einige von ihnen beginnen mit uns Ball zu spielen! Ein hüpfender Stuhl könnte einem übel mitspielen. Und außerdem erinnert mich das Ganze allzu sehr an eine Fahrt über den Ärmelkanal.›
Ich glaube, wir waren alle über das, was geschehen war, ziemlich aufgeregt, und alle anderen, sogar Herr Hockleby, waren begierig fortzufahren.
‹Das nächste Mal werd' ich ihn festhalten›, sagte er. Ich glaube, er hegte ein wenig Verdacht, daß entweder seine Frau oder ich mit dem Phänomen etwas zu tun haben könnten. Es war klar, daß der Spiritualismus schon seit langem ein ständiger Zankapfel zwischen ihm und seiner Frau gewesen war. Seine Frau sagte, daß sie zwar schon vorher Tische sich bewegen gesehen habe, aber keinen so stark wie diesen.
Wir setzten uns wieder. Wir brauchten kaum eine Minute lang zu warten, als der Tisch auf ganz ungewöhnliche Art hin- und herzuwackeln begann und dann so heftig in die Höhe sprang, daß das ältere Fräulein Solbé auf die Ottomane, die dort steht, zurückgeworfen und ich unter das Kinn gestoßen wurde. Zu gleicher Zeit hörte man eine richtige Salve von Knacksen, wie wenn jemand mit den Fingern knackst, nur unvergleichlich lauter. Es war geradezu eine Erleichterung, das Licht wieder anzuzünden und zu sehen, wie Herr Hockleby den Tisch fest auf seinem gehörigen Platz niederhielt. ‹Verdammt›, rief er – ganz laut. ‹Verdammt noch einmal. Wirst du untenbleiben.› Fräulein Hockleby und ihr Vater hoben Fräulein Solbé auf, die in einer Art hysterischen Lachkrampfes auf dem Boden lag und mit den Füßen herumruderte.
‹Das ist nichts für mich›, sagte Herr Fenton. ‹Es geht durch einen durch wie ein elektrischer Schlag.›
Er sprach ganz gewöhnlich.
Die einzige unter uns, die einige Erfahrung mit okkulten Phänomenen hatte, war Frau Hockleby, und sie hatte seit ihrer Heirat mit Herrn Hockleby vor fünf oder sechs Jahren nichts Derartiges mehr getan, und zwar wegen seines Skeptizismus. Sie sagte nun, daß es ganz klar sei, daß irgendein besonders starker und resoluter Geist zugegen sei und sich uns mitteilen wolle, und sie erklärte uns eine einfache und sichere Methode, auf welche man sich mit ihm in Verbindung setzen kann. Wir hätten wiederum den Kreis um den Tisch herzustellen, dann das Alphabet der Reihe nach aufzusagen und wenn wir zu dem Buchstaben kämen, den der Geist wollte, so würde es einen Schlag tun; so würden wir imstande sein, auf etwas Definitives zu kommen. Es gibt da scheint's in der Geisterwelt einen ganz leichtverständlichen Kodex, bei dem man ‹Nein› durch einen Schlag übermittelt und ‹Ja› durch zwei, und so weiter.
Wir gingen also ans Werk«, sagte Herr Preemby. »Wir fragten, ob der Geist alles ausbuchstabieren wolle, und es antwortete mit zwei sehr lauten Schlägen. Dann sagte Herr Hockleby die Buchstaben her: A B C und so weiter. Als er zu S kam, tat der Geist einen Schlag, so laut, daß ich aufsprang.«
»Und was buchstabiertet ihr heraus, Vati?«
»Einen Namen, der mir damals gänzlich unbekannt war – Sargon, und dann König der Könige. Wir fragten: ‹Ist der Geist, der uns Mitteilungen macht, Sargon?› Als Antwort kam ‹ Nein›. ‹Ist Sargon anwesend?› ‹ Ja.› ‹Wer ist es also, der uns Mitteilungen macht?› ‹ Oujah.› ‹Wer ist Oujah?› ‹ Weiser Mann.› Es war eine sehr langsame Methode, die Worte auf diese Weise zu buchstabieren, und als wir bis dahin gekommen waren, waren wir alle ziemlich müde. Besonders Herr Fenton war sehr müde. Er gähnte und schien gänzlich erschöpft, und zuletzt sagte er, er fühle sich so müde und matt, er müßte zu Bett gehen. Das war nur natürlich, denn er war die ganze Zeit, ohne daß es einer von uns merkte, das tatsächliche Medium unter Oujahs Kontrolle gewesen. Er ging zu Bett, und wir versuchten ohne ihn weiterzukommen, aber der Zauber war entschwunden, und wir konnten den Tisch zu keinem einzigen Schlag bringen. So saßen wir dann eine Zeitlang und besprachen das alles; besonders Herr Hockleby war ganz baff. Schließlich gingen auch wir anderen zu Bett.«
»Es ist klar, daß Herr Fenton die Schläge machte«, sagte Christina Alberta.
»Es ist klar, daß seine Gegenwart notwendig war, damit die Schläge zustandekamen«, verbesserte Herr Preemby. »Ganz unbewußt war er ein Medium.«
Es entstand eine Pause.
»Erzähl' weiter«, sagte Christina Alberta.
»Am nächsten Abend regnete es wieder, und da seine Ersatzteile noch nicht gekommen waren, konnte Herr Fenton noch einmal mittun. Zuerst machte er Einwände. Wie er uns sagte, sind er und seine Leute alle Partikular-Baptisten, und er zweifelte, ob diese Beschäftigung nicht Nekromantie und in der Bibel verboten sei. Doch ich redete ihm das aus. Und diesmal buchstabierten wir eine ganz einzige Botschaft heraus. Sie lautete: ‹ Erwache, Sargon! Steh auf oder sei verdammt auf ewig!›
Schon von allem Anfang an hatte ich so ein Gefühl, als ob diese Botschaften über Sargon irgendetwas mit mir zu tun hätten. Jetzt kam plötzlich Gewißheit über mich. Ich sagte: ‹Ist Sargon gegenwärtig?› ‹ Ja.› Ich wußte schon, daß es so sein würde. ‹Ist es irgendjemand in dem Kreis?› ‹ Ja.› ‹Ist es dieser Herr?› – ich zeigte auf Hockleby. Ein sehr lautes ‹ Nein›. ‹Bin ich es?› ‹ Ja.›
Herr Hockleby setzte, wie ich bemerkte, eine ungehaltene Miene auf – als ob er gerne Sargon gewesen wäre.
Dann stand der junge Herr Fenton plötzlich auf. ‹Oh! ich kann das nicht mehr aushalten›, sagte er. ‹Mein Kopf ist ganz duselig. Dieses Zeug ist bestimmt schädlich.› Er schritt quer durch das Zimmer und setzte sich plötzlich nieder, wobei er die Hände über die Armlehnen herunterhängen ließ – es war einer der großen mit Cretonne überzogenen Armsessel. Wir fühlten uns alle sehr betroffen, aber mir für mein Teil wurde ganz wirr im Kopfe bei dem Gedanken, daß ich dieser Sargon sein sollte und dazu noch so öffentlich aufgerufen wurde, mich zum Handeln aufzuraffen. Ich verstand damals noch nicht ganz, so wie jetzt, was das Ganze für mich bedeutete, doch ich erkannte bereits, daß es sehr, sehr viel bedeutete.«
»Aber was soll es denn bedeuten?« fragte Christina Alberta scharf, und ihr erstaunter Blick forschte in seinem Profil. Seine blauen Augen starrten auf Dinge, die weit, weit über jenen fernen Hügelketten lagen, fremdartige Dinge, phantastische Reiche, geheime Städte, mystische Überlieferungen, und seine Brauen hatten sich bei der Anstrengung, seine Geschichte festzuhalten, zusammengezogen.
»Alles zu seiner Zeit«, sagte Herr Preemby. »Laß mich meine Geschichte auf meine Weise erzählen. Ich erzählte dir gerade, glaube ich, daß der junge Herr Fenton sagte, er fühle sich matt und unwohl. Glücklicherweise war Frau Hockleby dieser Situation vollkommen gewachsen. Sie hatte dieselbe schon früher einmal erlebt. ‹Kämpfen Sie nicht dagegen an›, sagte sie. ‹Lassen Sie sich gehen. Lehnen Sie sich einfach in Ihren Sessel zurück. Wenn Sie ruhig liegen wollen, tun Sie es. Wenn Sie irgendwas sagen wollen, sagen Sie es. Lassen Sie das Fluidum wirken.› Und sie wandte sich an mich und flüsterte: ‹Trance.›
‹Was ist eine Trance?› sagte Herr Fenton – nur so obenhin. ‹Was ist eine Trance?›
Sie begann, die Hände vor seinem Gesicht zu bewegen, ‹einen bestreichen› glaub' ich, nennt man das. Er schloß die Augen, tat so etwas wie einen Seufzer und lehnte den Kopf zurück. Wir saßen alle erwartungsvoll um ihn herum, und bald begann er zu murmeln.
Zuerst war es bloßer Unsinn. ‹Oodjah Wooja Booja›, und ähnliche Worte. Dann etwas verständlicher: ‹Oujah der Weise, Sargons Diener. Oujah kommt Sargon zu dienen. Ihn zu erwecken.› Darauf schien er sich in Geschwätz zu verlieren. ‹Warum ist es eine Maus, wenn es spinnt?› flüsterte er in seiner eigenen Stimme, und dann: ‹Diese verdammten Ersatzteile.›
Frau Hockleby sagte, das sei für diese Art von Trance ganz charakteristisch, und Herr Hockleby holte Bleistift und Notizblock, um alles, was noch gesagt werden würde, niederzuschreiben.
Und als bald darauf Herr Fenton wieder zu sprechen anfing, redete er gar nicht in seiner eigenen Stimme, sondern in einer Art heiseren Flüstertons, der ganz anders als seine gewöhnliche Stimme klang. Es war die Stimme dieses Oujah, die sprach – des Oujah, des Vermittlers. Mit einem leichten Akzent – sumerisch vermutlich.
Nun, die Dinge, die er sagte, waren wahrhaftig äußerst verblüffend. Ich glaube, dieser Oujah war bemüht, meine Aufmerksamkeit zu erregen, indem er mich davon überzeugte, daß er Dinge wußte, ganz private Dinge, die sonst niemand wissen konnte. Zu gleicher Zeit wünschte er die anderen nicht zu klar wissen zu lassen, worauf er es abgesehen hatte. Wie war es nur? Woran kann ich mich noch erinnern? Herr Hockleby hat vieles niedergeschrieben, aber ich hab' bisher noch keine Zeit gehabt, es abzuschreiben. ‹Kind des Meeres und der Wüste,› sagte er, ‹der blauen Wasser und des Wüstensands.› Ist es zu phantastisch, darin eine Anspielung auf Sheringham zu sehen? ‹Kaskaden und große Wasser und ein Ding gleich einem Rad auf einem blauen Schild.› Das ist dunkler. Aber ‹Kaskaden und große Wasser› ließ mich gleich an unsere großen Waschmaschinen denken. Und erinnerst du dich an das Hakenkreuz auf unseren blauen Kundenwagen, Christina Alberta? Deutet das nicht sonderbar genug auf ein Ding gleich einem Rad auf einem blauen Schild hin? Die alten Norsen nannten das Hakenkreuz Feuerrad. ‹Armeen – in langen Reihen flattern die weißen Gewänder – Scharen tüchtiger Helfer.› Das ist wieder komisch. Man denkt dabei an Armeen und auch – halt mich nicht für verrückt – an den Trockenplatz und die Angestellten. Es ist so, als ob eine Sache durchsichtig würde und man eine andre dahinter sehen könnte.«
»Bist du sicher, daß du dich an den genauen Wortlaut der Sätze erinnerst, Vati?«
»Herr Hockleby hat sie aufgeschrieben. Falls ich sie mir nicht ganz richtig gemerkt hab', kannst du seine Notizen nachlesen.«
»Das mit dem Hakenkreuz mag zufällig stimmen«, sagte Christina Alberta. »Oder vielleicht hast du es auf den Rand der Zeitung gezeichnet. Du tust das manchmal. Und er hat es vielleicht gesehen.«
»Das gilt aber nicht für den blauen Grund.« Er legte gerade auf den blauen Grund besonderes Gewicht. »Und er sagte noch anderes; Dinge, um die nur ich und deine teure Mutter wußten. Ich könnte sie dir nicht erzählen, ohne dir alles zu erzählen. Und Kleinigkeiten, die überhaupt nur ich weiß. Der Name meines verstorbenen Großvaters in Diss. Munday hieß er. Es ist manchmal schwierig, Dinge zu beweisen, obwohl man davon absolut überzeugt sein mag. Und all das war mit abgebrochenen Sätzen über eine große Stadt, die zwei Töchter des ‹Westlichen Königs› und den ‹Weisen Mann› vermengt. Er nannte mich auch Belsazar. Belsazar beschäftigte seine Gedanken und verschwand wieder daraus. ‹Komm wieder in eine Welt, die zerrüttet ist.› Das sind bemerkenswerte Worte. Und dann: ‹Hüte dich vor Frauen; sie reißen das Szepter aus den Händen der Könige. Doch verstehen sie zu regieren? Frage Tutankhamen. Frag' die Ruinen in der Wüste.›«
»Pah«, sagte Christina Alberta. »Als ob Frauen jemals dieselben Chancen gehabt hätten wie Männer!«
»Wie dem auch sei, Herr Hockleby hat das aufgeschrieben ... Und mir sah es so aus, als ob es sich auf mich bezöge, denn infolge meiner großen Liebe zu deiner Mutter ließ ich soviele Jahre meines Lebens ungenutzt verstreichen. Er sagte noch viele andre Dinge, Christina Alberta, die alle reichlich auf mich Bezug hatten. Aber ich hab' dir genug erzählt, um dir verständlich zu machen, was vorgefallen ist. Zuletzt kam Herr Fenton ganz plötzlich wieder zu sich, viel plötzlicher, als es in solchen Fällen gewöhnlich geschieht, sagte Frau Hockleby. Er setzte sich auf, gähnte und rieb sich die Augen. ‹Herrgott!› sagte er. ‹Was ist das alles für Unsinn! Ich geh' schlafen.›
Wir fragten ihn, ob er sich erschöpft fühle. Er sagte ja. ‹Vollständig ausgepumpt›, waren seine Worte.
Wir fragten ihn, ob seine Botschaft zu Ende sei.
‹Welche Botschaft?› fragte er. Er konnte sich absolut nicht mehr an seine Mitteilungen erinnern. ‹Hab' ich gesprochen?› fragte er. ‹Man sollte mit diesen Geschichten überhaupt erst gar nicht anfangen. Was hab' ich denn gesagt? Hoffentlich nichts Anstößiges. Sonst bitte ich um Entschuldigung. Ich darf nichts Derartiges mehr tun!›
Frau Hockleby sagte ihm, daß sie nie zuvor jemanden getroffen habe, der so große psychische Kräfte erwarten lasse wie er. Er sagte, es betrübe ihn, das zu hören. Sie sagte, er schulde es sich, eine so seltene und besondere Gabe zu kultivieren, er aber sagte, da würde er schön bei seinen Leuten ankommen. Der Regen hatte aufgehört, und er erklärte, er wolle einen Spaziergang bis zu den Pantiles hinunter und zurück machen, bevor er schlafen gehe. Von Anfang bis zu Ende war er vollkommen einfach und natürlich und eigentlich widerwillig. Und er sah wirklich vollständig ermattet aus.«
»Und er lachte nicht ein einziges Mal?« fragte Christina Alberta.
»Warum sollte er denn? Er schien ein wenig verstört über das, was er uns übermittelt hatte. Am nächsten Tag kamen seine Ersatzteile. Frau Hockleby tat, was sie konnte, um ihn am Nachmittage noch einmal dazu zu bringen, uns seine Offenbarung weiter zu enthüllen, aber er wollte nicht. Er erkundigte sich unaufhörlich nach der Fähre nach Tilbury und der Zeit der Flut. Er wollte uns nicht einmal seinen Namen und seine Adresse geben. Als ich davon sprach, Herrn Hocklebys Aufzeichnungen der ‹Occult Review› einzusenden, erschrak er plötzlich sehr. Er sagte, wenn sein Name in Verbindung mit diesen Aufzeichnungen genannt würde, könnte das soviel wie einen ernstlichen Bruch mit seiner Familie bedeuten. Er wollte uns nicht einmal erlauben, ihn als Herrn F. aus Cambridge zu erwähnen. ‹Setzen Sie einen ganz anderen Namen›, sagte er. ‹Setzen Sie, was Sie wollen, nur darf es nicht auf mich deuten, einen Herrn Walker, sagen wir zum Beispiel, aus London. Oder so irgendwas.›
Natürlich blieb uns nichts anderes übrig als einzuwilligen.«
»Und das waren die Mitteilungen, die du empfangen hast, Vati?«
»Das war bloß der Anfang. Denn nachher begann ich mich zu erinnern. Ich begann mich immer mehr zu erinnern.«
»Woran zu erinnern?«
»An Dinge aus meinem früheren Leben. An vorübergehend Vergessenes. Dieser junge Herr Fenton war, sozusagen, nicht mehr als der erste Schnitt in den Vorhang der Vergessenheit, der zwischen diesem jetzigen Leben und allen meinen früheren Existenzen hing. Jetzt war er entzwei- und aufgerissen, sodaß ich die Dinge hinter ihm von den verschiedensten Seiten betrachten konnte. Ich fange nun erst an zu begreifen, was ich wirklich war, und was ich wirklich sein kann ...
Du weißt, Christina Alberta, daß ich niemals tatsächlich geglaubt habe, ich selbst zu sein – nichteinmal als Schuljunge. Und jetzt weiß und verstehe ich klar, daß ich jemand anderer bin. Ich bin stets jemand anderer gewesen.«
»Aber wer glaubst du denn, daß du bist, Vati?«
»Soweit ich mich besinnen kann, war ich erst ein Häuptling namens Swein in einer Stadt namens Kleb, ganz am Anfang der Welt, Ewigkeiten und Ewigkeiten zurück, und ich zähmte mein Volk und lehrte es viele Dinge. Dann später war ich dieser Sargon – Sargon, der König der Könige. Hier in der Stadtbibliothek, in der ‹Enzyklopaedia Britannica› steht nur sehr wenig über ihn; von einem Emporkömmling, der dreitausend Jahre später seinen, das heißt meinen Namen annahm, wird mehr berichtet: dieser Sargon war ein Assyrer – er verbündete sich mit den Juden und belagerte Samaria –; ich aber war der ursprüngliche Sargon, lange bevor es Juden gab oder irgendwas dergleichen, lang vor Abraham und Isaak und Jakob. Und nachher war ich Belsazar, der letzte Kronprinz der Babylonier, doch das ist nicht ganz klar. Das bleibt im Dunkeln. Nur ein Teil der Vergangenheit ist bisher ins Licht gerückt. Und möglicherweise habe ich auch noch in anderen Gestalten gelebt. Jedoch die Gestalt, die jetzt in meinem Gedächtnis hervorragt, ist Sargon. Sein Andenken ist mir zurückgekehrt. Er selbst ist in mir wiederauferstanden.«
»Aber Vati, du glaubst das alles doch nicht wirklich?«
»Glauben! – Ich weiß es. Lange bevor mir diese Offenbarung zuteil wurde, hatte ich schon Ahnungen – hatte die Gewißheit, daß ich jemand andrer sei. Jetzt sehe ich klar. Ich kann mich an das Leben in Akkadien jetzt genau so deutlich erinnern, wie an die Tage in Woodford Wells. Ich könnte beinahe daran zweifeln, ob ich jemals in Woodford Wells gelebt habe; das scheint jetzt so fernab zu liegen. Als ich, nachdem Herr Fenton fort war, in der Nacht im Bett lag, begannen diese Erinnerungen in mir aufzutauchen. Ich war im Bett, und dann auf einmal war ich gar nicht im Bett – ich ruhte auf einem Pfühl unter einem Baldachin, einem Baldachin, der sehr zart aus reiner weißer Wolle gewebt und mit Symbolen, Emblemen und dergleichen Dingen in Gold bestickt war, und zwar war ich auf meiner Staatsbarke auf dem Euphrat. Zwei Königstöchter, Schwestern, mit schlanken Nacken, den beiden Fräulein Solbé nicht unähnlich, nur daß sie viel schöner waren – und entschieden jünger – viel jünger – und etwas mehr den Erfordernissen eines warmen Klimas entsprechend gekleidet, hauptsächlich in gewobenes Gold – saßen da und fächelten mir mit Fächern aus Adlerfedern zu, die im königlichen Purpur gefärbt waren. Und zu meinen Füßen saß mein Kanzler Prewm, der sonderbarerweise Herrn Hockleby außerordentlich ähnelte – genau denselben stahlgrauen Backenbart hatte er und dieselben kleinen Haarbüschel über den Ohren. Er trug eine äußerst hohe Mütze aus schwarzem, wollenem Zeug und machte mit einem Holzgriffel Aufzeichnungen auf ein Täfelchen feuchten Tons. Es war, als ob man in einen Lehmkuchen schriebe. Und über ihm standen die Offiziere des Bootes auf einer Art Brücke – sie trugen mit Messing beschlagene Lederhelme – und unten sah man die Ruderer an ihre Bänke geschmiedet, und dann dehnte sich auf beiden Seiten der breite braune Fluß aus, von der leichten Brise gekräuselt. Die kleinen Boote flohen, um uns Platz zu machen. Sie hatten grobe, viereckige Segel und senkten sie und schwenkten sie alle in genau derselben Weise zu genau derselben Zeit. Das war sehr hübsch anzusehn. Die Ufer entlang standen kleine Dörfer aus Lehmziegelhäusern und Gruppen oder Reihen von Palmenbäumen; und überall waren primitive Vorrichtungen angebracht, große gebogene Holzbalken wie riesige Angelruten, um das für den Ackerbau nötige Wasser aus dem Fluß zu heben. Und das Volk hatte sich längs des Wasserrandes zusammengeschart, und alle beugten Hände und Stirn in das Wasser und riefen: ‹Sargon der Eroberer, Sargon, König der Könige!›«
»Aber Vati, das war ein Traum!«
»Wie könnte ich von Dingen träumen, die ich nie zuvor gesehen oder gehört habe?«
»Das kommt vor.«
»Das kommt nicht vor«, antwortete er mit ruhiger, unüberwindlicher Hartnäckigkeit. »Ich erinnere mich, daß ich gerade aus dem Süden kam, wo ich einer Menge kriegerischer Stämme Frieden gegeben hatte, den Elamiten und Perriziten und Jebusiten und dergleichen Völkern, und ich kehrte nun in meine Hauptstadt zurück. Ich erinnere mich deutlich an viele Einzelheiten aus dem Feldzug, und ich weiß, daß ich mir mit einiger Anstrengung noch mehr in der richtigen Reihenfolge ins Gedächtnis zurückrufen könnte. Im Traum geschehen absurde Dinge; wenn man Träume nach dem Erwachen überdenkt, sind sie gewöhnlich ganz verworren, aber das hier ist alles vernünftig und geordnet. Man könnte meinen, Christina Alberta, daß all die Erinnerungen an jene frühere Existenz, die jetzt in mir erwachen, ein Gaukelspiel meiner Einbildung seien! Aber es ist so lebendig in mir, als ob es gestern gewesen wäre, und ich bin bei weitem sicherer, Sargon zu sein als Albert Eduard Preemby, dein Vater. Ersterer ist mein wahres Selbst, letzterer ist bloß eine sehr bescheidene und anspruchslose Hülle, die mich zu irgendeinem, mir gegenwärtig noch unerklärlichem Zweck vor der Welt verborgen gehalten hat.«
Er machte eine kühne Handbewegung, wie man sie bei ihm gar nicht gewohnt war. Mit weit geöffneten Augen saß er da und schaute hinaus nach dem Unsichtbaren.
Das Mädchen betrachtete ihn ein paar Sekunden lang schweigend. Sie versuchte, die volle Bedeutung dieser wunderlichen Rede zu erfassen.
»Und das ist deine Mitteilung?« sagte sie schließlich.
»Du mußt es wissen«, sagte er. »Du mußt mir dienen und helfen.«
(Ihm helfen! Wie konnte sie ihm helfen? Oder sich selbst? Wohin mochte das noch führen? Was sollte sie tun?)
»Hast du irgendjemand anderem davon erzählt, Vati?« fragte sie unvermittelt. »Hast du es irgendjemand anderem erzählt?«
Er wandte ihr sein feierliches kleines Gesicht zu.
»Ach, was das betrifft,« sagte er, »müssen wir sehr taktvoll und vorsichtig sein – sehr vorsichtig in der Tat. Es ist hier und eben jetzt nicht an der Zeit, zu verkünden, daß Sargon, der König der Könige, zu der Zivilisation zurückgekehrt ist, die zu gründen er soviel getan. Man muß vorsichtig sein, Christina Alberta. Es gibt da einen Geist des Widerspruchs.
Zum Beispiel, ich habe einiges von meiner ersten Vision – du kannst es meinetwegen Traum nennen, wenn du willst – Herrn Hockleby erzählt. Ich beschrieb ihm die Ähnlichkeit zwischen ihm selbst und Prewm. Er war nicht ihm geringsten entzückt davon. Eine Natur wie die seine ist aufrührerisch, ungehorsam. Außerdem ist mir inzwischen eingefallen, was mit Prewm – nach der Weisung Oujahs – geschah ...
Und ich habe seither die Wahrnehmung gemacht, daß, obwohl man selbst von etwas ganz überzeugt sein mag, nicht notwendig daraus folgt, daß man auch andre Leute davon überzeugt. Es ist wahr, Fräulein Hockleby und die beiden Fräulein Solbé haben mich gebeten, ihnen mehr von meinen Träumen zu erzählen – sie nennen es nämlich auch Träume. Aber sie benahmen sich dabei eher neugierig als ehrfurchtsvoll, und ich verhielt mich äußerst zurückhaltend gegen sie.«
»Das ist mein weiser Vati«, sagte Christina Alberta. »Du mußt daran denken, deine Würde zu wahren.«
»Ja, ich muß an meine Würde denken, daß ist sicher. Nichtsdestoweniger –« seine Hände entfalteten sich zu einer großartigen Bewegung. »Hier bin ich, und dies ist meine Welt. Meine Welt! Ich pflegte sie in ihrer Kindheit. Ich lehrte sie Gesetz und Gehorsam. Hier bin ich, der älteste der Monarchen. Ramses und Nebukadnezar, Griechenland und Rom, Könige und Kaiser – Dinge von gestern, Zwischenspiele, während ich geschlafen habe. Und klarerweise habe ich geschlafen. Und klarerweise bin ich nicht auf die Welt zurückgesandt worden ohne eine Mission. Es ist jetzt eine große und bevölkerte Welt, Christina Alberta, aber sie ist in einem traurigen Zustand und in Unordnung. Sogar die Zeitungen bemerken das. Die Leute sind heutzutage nicht glücklich. Sie sind nicht glücklich, wie sie es vor Tausenden von Jahren unter meiner Herrschaft in Sumerien gewesen. Im Sonnenschein und Überfluß Sumeriens.«
»Aber was kannst du denn tun, Vati?«
»Teure Prinzessin, mein Kind, das muß ich mir eben überlegen. Nur keine Hast; nur keine Übereilung.«
»Ja«, sagte Christina Alberta.
Es entstand eine Pause. »Nur ein Mensch scheint einigen Glauben an mich zu haben. Das jüngere Fräulein Solbé – sagtest du etwas, meine Liebe?«
»Nein. Fahr fort.«
»Ich hab' sie gefragt, ob sie etwa auch Träume hätte und irgendwelche unbestimmten Erinnerungen an eine frühere Existenz. Sie scheint einige Bestätigungen dieser Art auf etwas dunklem Wege empfangen zu haben. Äußerst unbestimmte Andeutungen. Sie erzählt sie schüchtern, wenn ihre Schwester nicht dabei ist. Aber sie steht unter der falschen Auffassung, daß ihre Beziehung zu mir eine besonders enge und vertrauliche war. Sie war nicht meine Königin. Darin irrt sie. Es ist begreiflich, daß sie das glaubt, aber ich erinnere mich ganz genau, wie es war. Sie war eine der ‹Zwanzig Hauptkonkubinen›, die die Adlerfächer trugen.«
»Hast du ihr das erzählt?«
»Noch nicht«, sagte Herr Preemby. »Noch nicht. Man muß in allen diesen Dingen sehr taktvoll vorgehen.«
Eine neue Pause folgte. Christina Alberta schaute auf ihre Armbanduhr. »Du liebe Zeit«, rief sie. »Wir werden zu spät zum Mittagessen kommen!«
Als sie zur Pension ‹Petunia› zurückgingen, bemerkte sie, daß in seiner Haltung und in seinem Benehmen eine leise Veränderung vor sich gegangen war. Er schien größer und schlanker, sein Gesicht offener, und er trug den Kopf höher. Er h'rrmpte nicht ein einziges Mal. Er schien zu erwarten, daß Leute und Dinge ihm aus dem Wege gingen, und es war so, als ob der Pfad ein Teppich wäre, der vor seinem Einzug aufgerollt wurde. Hätte sie sich selbst sehen können, so würde sie eine gleiche Veränderung in ihrem eigenen Betragen wahrgenommen haben. Das Tänzelnde war aus ihrem Gang verschwunden. Sie schritt wie eine, auf deren Schultern die Last des Daseins zu schwer werden könnte.
Sie kamen spät zum Mittagessen; alle anderen Gäste saßen bereits auf ihren Plätzen und hatten eben begonnen. Alle sahen Herrn Preemby an, als er eintrat, und dann warfen sie einander Blicke zu. »So sind Sie also zu uns zurückgekommen«, sagte Frau Hockleby zu Christina Alberta, ihr in die Augen blickend.
»Es ist nett, wieder hier zu sein«, sagte Christina Alberta.