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Es war einmal ein Zaunkönig, der mit seinem Weibchen in Frieden und Eintracht lebte. Alle Jahre bauten die beiden ihr Nest in einem Zaun, nicht ganz oben, damit es nicht hinein regne, und nicht ganz unten, damit keine Katze sie überraschen könne, sondern schön gerade in der Mitte. Jahr um Jahr taten sie das und waren glücklich und zufrieden dabei.
Aber einmal – kein Mensch wußte warum – fiel es dem Zaunkönig ein, sich einen andern Platz auszusuchen, um sich sein Nest zu bauen.
»Frau,« sagte er, »mir ist es verleidet, immer im Zaun herumzukriechen. Bin ich ein König oder bin ich es nicht? Also! Wenn ich aber König bin, so will ich auch hoch auf einem Baum nisten, wie es sich für einen König schickt!«
»Aber, Männchen,« sagte erschrocken die Zaunkönigin, »was fällt dir nur ein. So lange leben wir nun im Zaun und sind glücklich dabei, was willst du denn Besseres?«
»Gerade weil wir so lange im Zaun saßen, soll es nun anders werden. Und kurz und gut, ich will auf einer Tanne nisten, oder auf einer Pappel wie der Rabe.«
»Mann!« rief die Zaunkönigin, »du wirst doch nicht! Auf einer Pappel, wo Regen und Wind hindurchbläst, und der Sturm ...«
»Und kurz und gut, ich will auf einer Pappel nisten,« schrie der Zaunkönig noch einmal, »und morgen fangen wir an unser Nest zu bauen.«
Das Weibchen schwieg. Es war klug und wußte wohl, daß es nichts Gescheiteres tun konnte, aber daß die Sache schlimm ablaufen würde, das wußte es ebenfalls im voraus.
Früh am Morgen saß der Zaunkönig schon auf dem höchsten Zweig seines Zaunes und hielt Umschau. Er war stolz auf seinen Entschluß und überzeugt, daß die Vögel ihn bewundern würden ob seines Mutes und seines Unternehmungsgeistes.
Er wählte die allerhöchste Pappel aus unter den vielen, die da standen, besichtigte deren Äste und Zweige und fand endlich eine passende, geschützte Stelle, ganz oben, wo man das Land überblicken konnte. Erfreut flog er heim zu seinem Weibchen.
»So, Frau,« rief er »nun können wir anfangen! Ich habe gefunden, was wir brauchen!« Seufzend band das Weibchen das Notwendigste in ein Bündelchen, streichelte zärtlich mit dem Schnabel sein altes Nestlein und folgte seinem Gemahl in die neue Heimat.
Als es sich auf dem Ast niederließ, den der Zaunkönig ausgesucht hatte, wurde ihm ganz elend zu Mute. Es durfte gar nicht daran denken, was geschehen könnte, wenn eines der zukünftigen Jungen da hinausfallen würde. Weil es aber wußte, daß es nun zu spät sei, etwas zu sagen, so war es wiederum ganz still.
Ein Rotkehlchen, das in der Nähe ihrer früheren Wohnung hauste, kam angeflogen, um zu sehen, was Zaunkönigs denn so lange auf der Pappel zu tun hätten.
»Wir bauen unser Nest,« sagte selbstbewußt der Zaunkönig.
»Was! Da oben auf der Pappel, wo der Regen herein kann und der Wind?«
»Schweig!« schrie der Zaunkönig, »das ist meine Sache und geht dich gar nichts an!«
»Gar nichts,« sagte vergnügt das Rotkehlchen und freute sich, daß die Sache schief ausgehen würde.
Darauf kam der Rabe geflogen. Er wohnte auf der nächsten Pappel.
»Ich gratuliere zu der neuen Wohnung,« krächzte er höhnisch, »du bist auch der Rechte, um hier oben zu wohnen, du Zwerg!«
Die Federn des Zaunkönigs sträubten sich vor Zorn. »Lümmel!« schrie er, »sieh du zu deinen Sachen und mach', daß du fortkommst.«
Aber der Rabe blieb sitzen und sah zu, wie das Paar Reiserchen zusammentrug, feine Halme und zarte Moose, und dachte bei sich, daß der Sturm sogar sein eigenes Nest, das doch aus fingerlangen und dicken Reisern gebaut war, schüttelte. Endlich flog er davon.
Der Zaunkönig fuhr fort, mit Feuereifer zu bauen, und sein Weibchen half ihm getreulich. Nachbarn kamen und fragten, was er denn da oben mache?
»Ich baue mein Nest,« sagte er jedesmal stolz, und die Vögel flogen weg und unterhielten sich über den Größenwahn des Zaunkönigs.
Nach einigen Tagen war das Nest fertig bis auf ein paar weiche Federchen und einige feste Grashalme, um es am Hauptzweig zu befestigen.
»Siehst du nun?« triumphierte der Zaunkönig.
Das Weibchen hätte sagen können, daß es noch nicht aller Tage Abend sei, aber es war ein sehr kluges Weibchen und sagte nichts.
In der Nacht aber fingen die Blätter der Pappel leise zu zittern an, die schlanken Zweige bogen sich, Wolken ballten sich am Himmel zusammen, und Blitze zuckten. Der Regen klatschte nieder auf die Pappel und überschwemmte das neuerbaute Nestlein, der Wind zauste daran, und bei jedem Blitzstrahl sahen der Zaunkönig und sein Weibchen, wie ein Stück ihres mühsamen Werkes nach dem andern davonflog. Zuletzt wirbelte der Sturm das ganze Nest in die Lüfte.
Naß bis auf die Haut saßen die armen kleinen Vögel auf ihrem Zweig. Sie zitterten vor Kälte, die Hagelkörner trafen ihre zarten Körperchen, und in Todesangst streckten sie ihre Köpfchen unter die Flügel.
Der Zaunkönig hatte beständig nach seinem Weibchen geschielt, ob es nicht schelten werde, aber das gute, kleine Geschöpf mochte ihn nun nicht höhnen, da das Unglück über ihn gekommen war. Es schwieg ganz still und duckte sich so nahe an einen Ast, als es konnte.
Der Rabe auf der Pappel schrie aber in einem fort! »Siehst du wohl! Siehst du wohl! Siehst du wohl!«
Am andern Morgen, als der Himmel wieder schön blau auf die Vögelchen hinunterstrahlte, die Sonne schien und die Schmetterlinge herumflogen, glättete der Zaunkönig seine Federn, schüttelte sich und flog ohne weiteres seinem alten Wohnort zu.
»Es ist doch merkwürdig,« sagte er zu seiner Frau, als ob nichts geschehen wäre, »wie wohl es einem daheim ist! Ich begreife gar nicht, warum wir eigentlich fortgezogen sind!«
Das Weibchen zog ein widerspenstiges Federchen durch seinen Schnabel und glättete es. Es sagte aber nichts, sondern sah den Zaunkönig nur von der Seite an. Der sang seelenvergnügt in den Morgen hinein.
Am Abend kam Besuch, und man sprach von diesem und jenem. Auch von dem Glück des königlichen Paares.
»Nachbarn,« sagte der Zaunkönig, »ich und mein Weibchen, wir haben uns noch nie gezankt! Sie hat freilich einen harten Kopf und weiß was sie will. Aber ich bin der Gescheitere, ich gebe nach. Gelt, Frau!« Der Zaunkönig glaubte wahrhaftig, was er sagte.
»Natürlich,« sagte sie, denn sie war ein sehr kluges Weibchen. Der Zaunkönig nickte zufrieden, er hatte gar keine andere Antwort erwartet!
Gedruckt bei Oscar Brandstetter in Leipzig