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Zweiter Abschnitt.


Ich bestehe die Ahnenprobe und erläutere den Namen dieser Geschichte; kann füglich überschlagen werden.

 

Es gibt eine Menschenklasse, die, so lange ihnen Gott den Atem schenkt, nach rückwärts blicken, die ihre Ahnen bei jedem dritten Worte im Munde führen, die den Fremdling der Ahnenbilder lange Reihe bewundern lassen und die Taten der Vorfahren mit viel schönen Reden preisen.

Welcher billig Denkende wird es ihnen verargen? Oder würde er sich nicht selber freuen, wenn sein Bruder im Kampfspiele den Siegespreis errungen, wenn sein Vater im Ernstkampfe das Reich vor Schmach und Untergang gerettet, wenn sein Ohm als weiser Gesetzgeber ein Volk beglückt hätte?

Vererbt sich Geld und Gut, so mag sich wohl auch die Großtat der Väter und die Gnade des Fürsten auf den Enkel vererben, und so einer das Erbe antritt, wer mag ihn schelten? Am wenigsten, wenn er dem Adel der Geburt den Adel der Gesinnung gesellt und den Adel des redlichen Strebens, etwas Tüchtiges zu werden im Reiche der Geister.

Aber es gibt unter dieser bevorzugten Menschenklasse auch Leute, die, so lange ihnen Gott den Atem schenkt, nur nach rückwärts blicken und sich in ihrem Altertumstaumel, über den keine Satire zu schreiben wahrlich schwer fällt, für berechtigt halten, ihre ganze Lebenszeit im Schatten ihres Stammbaumes zu vergähnen und die geschäftig Vorübereilenden höhnisch anzunäseln: »Äh – haben Sie Ahnen?«

Wer die Ahnenprobe nicht besteht, der wird von ihnen nicht für vollgültig genommen, ja es ist unter ihnen eine ungelöste Streitfrage, ob ein Mensch ohne Ahnen überhaupt ein Mensch sei.

Da ich nun einerseits die Lust in mir fühle, meine Geschichte fortzuspinnen, da anderseits aber die Schriftsteller meines Volkes sich ganz verzweifelt wehren würden, ein Wesen, das weniger als ein Mensch ist, als Kameraden anzuerkennen, so muß ich wohl oder übel den Beweis erbringen, daß ich eigentlich auch das Recht hätte, unter dem Baume zu – gähnen.

Was nun meine Stammeltern betrifft, so kann ich eine zweifellos echte Urkunde vorlegen, welche dartut, daß ich in gerader Linie von einem Ehepaar entsprossen bin, das auch schon unter dem Baume gegähnt hat, obschon es der Ahnen ermangelte.

Der Stammvater nannte sich Adam, die Stammmutter Eva, und es waren die beiden, selbst ohne Ahnen, geborne von Erdheim. Die Urkunde aber, daran das Siegel der Gottheit hängt, ist die heilige Schrift.

Nun aber bin ich leider nicht in der Lage, den Stammbaum mit sicherer Hand zu zeichnen und meine Väter mit Geburts- und Sterbejahr der Reihe nach daranzuhängen. Mag der gerechte Leser die Versicherung auf Treue und Glauben hinnehmen, daß tatsächlich keine Unterbrechung stattgefunden hat; Sache des Zweiflers wäre es, das Gegenteil zu erweisen.

Erst bei meinen Großeltern von väterlicher Seite beginnt sich das Dunkel zu lichten, obschon die Gelehrten aus meinem Namen, der soviel wie »Kampfmann« bedeuten soll, den Schluß ziehen, daß die unbekannten Ahnen beim urdeutschen Heerbanne sicherlich im Vordertressen gestanden seien.

Die Großeltern gehörten aber wahrscheinlich dem Landadel an; denn sie betrieben nebst anderen Beschäftigungen den Landbau eigenhändig und gehörten somit jenem Stande an, der die Grundlage aller menschlichen Bildung genannt wird und ohne den selbst das blaueste Blut seine Wanderungen vom und zum Herzen einstellen würde.

Sie stammen aus Franken, der Großvater aus Goßmannsdorf, die Großmutter aus Aschaffenburg und – wer weiß, ob ihre Ahnen nicht mit dem berühmten Götz von Berlichingen zu Jaxthausen in Berührung gekommen sind.

Reich waren diese Großeltern wohl nicht; aber der Geschichtskundige weiß, daß dieser Umstand bei der Ahnenprobe durchaus nicht ins Gewicht fällt.

Wohl aber waren sie nach besten Kräften bestrebt, ihr hartes Los zu verbessern, und also wanderten sie am Ende des achtzehnten oder zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts in die grüne Steiermark und ließen sich in der lieblichen Murstadt dauernd nieder.

Das Geburtshaus meines Vaters steht oder stand in der Grazbachgasse. Später bezog die Familie die Jakominigasse, wo der Großvater lange Jahre das Amt eines Mundschenken versah, ein Amt, das, im Mittelalter wenigstens, nur Adelige zu versehen pflegten.

Unter den zahlreichen Brüdern und Schwestern meines Vaters will ich nur einiger gedenken.

Ein Oheim gehörte dem Geistesadel an und ich bin so stolz auf ihn, daß ich ihm, da er sich in seiner Bescheidenheit meines Lobes nicht mehr zu erwehren vermag, einige Worte widmen muß.

Dieser Oheim wandte sich in jungen Jahren dem geistlichen Stande zu und trat in das Kloster des heiligen Benedikt zu Admont im Ennstale.

Nachdem er lange Zeit in unterschiedlichen Bergdörfern die Seelen betreut hatte, zwang ihn andauernde Kränklichkeit, das beschwerliche Amt des Leutepriesters mit einem seiner Gebrechlichkeit besser zusagenden Wirkungskreise zu vertauschen. Das brennende Verlangen nach wissenschaftlicher Betätigung erleichterte ihm diesen Schritt; der damalige Abt jedoch, der mehr den klösterlichen Gehorsam als persönliche Neigung und Naturanlage berücksichtigen zu müssen wähnte, setzte den nach Wissenschaft dürstenden Mann der Kellerei vor und erst nach mehreren schier unerträglichen Jahren ward es ihm gestattet, die reiche Bücherei und die Urkundensammlung der Brüdergemeinde zu verwalten – die letztere eigentlich erst wiederherzustellen; denn der große Brand des Jahres 1865, dem das Blasienstift zum Opfer fiel, hatte auch einen großen Teil des Archives zerstört, das Gerettete nach allen Richtungen der Windrose zerstreut.

Seiner Sachkenntnis und rastlosen Tätigkeit aber ist es zu danken, daß Admont auch nach dem Brande wieder ein Archiv besitzt, das durch seinen innern Gehalt und äußern Umfang manches ähnliche Institut übertrifft.« Vergl. den Aufsatz Hettingers in den historisch-politischen Blättern, Band 92, Heft 11, S. 786 ff.

So also konnte sich der Mann erst in den Jahren, die anderen Sterblichen als Beginn der behaglichen Altersruhe erscheinen, dem hingeben, wozu es ihn schon als Jüngling getrieben hatte, und dennoch gelang es seinem eisernen Fleiße und seiner unermüdlichen Selbstbildung, sich in der Gelehrtenwelt weit über Österreich und Deutschland hinaus einen Namen vom besten Klange zu verschaffen und den Ruhm des weltabgeschiedenen Klosters neu zu begründen.

Ich mag nicht erwähnen, welche äußern Anerkennungen seines verdienstvollen Wirkens dem allbeliebten P. Jakob zuteil geworden sind; nur dessen möchte ich gedenken, daß ihn die Universität Würzburg vor etlichen Jahren zum Ehrendoktor ernannt und so zugleich auch auf den Ursprung unseres Geschlechtes verwiesen hat.

Am 23. Oktober 1903 habe ich, was an ihm sterblich war, unter Tränen zur Gruft geleitet? Einige seiner historischen und kultur-historischen Schriften seien hier erwähnt: Die Bibliothek der Abtei Admont mit besonderer Berücksichtigung des Zustandes derselben in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Mitt. des histor. Vereins für Steierm. XX, 67); Das Admonter Archiv in seinem gegenwärtigen Zustande (Beiträge zur Kunde steiermärk. Geschichtsquellen XI, 71); Eine obersteirische Pfarre zur Zeit der französischen Invasion (Mitt, des hist. Ver. f. Steierm. XXIII, 61); Über einige Urbare aus dem 14. und 15. Jahrhundert im Admonter Archiv (Beiträge ... XIII, 33); Über die letzte Ruhestätte des Christoph Rauber, Administrators des Bistums Sekau Mitt ..... XXVII, 79); Ein wiedererstandenes Klosterarchiv in Steiermark (Löhers »Archivalische Zeitschrift« III, 137); Geschichte des Benediktinerstiftes Admont (Graz 1874–80, vier Bände, 2147 S.); Die Benediktiner-Abtei Admont (Brunners »Benediktinerbuch« 1880); Das ehemalige Nonnenkloster O. S. B. zu Admont (Wissenschaftliche Studien und Mitteilungen aus dem Benediktiner-Orden, Brünn 1880); Eine Admonter Totenrotel des 15. Jahrhunderts (Brünn 1884); Beiträge zu einer Geschichte des Heilwesens, der Volksmedizin, der Bäder und Heilquellen in Steiermark bis inklusive Jahr 1700 (Graz 1885); Geschichte des Klarissenklosters Paradeis zu Judenburg in Steiermark (Wien 1888); Kloster Admont in Steiermark und seine Beziehungen zur Kunst (Wien 1888); Das ehemalige Franziskanerkloster zu Mautern in Steiermark (Graz 1890); Kloster Admont und seine Beziehungen zum Bergbau und zum Hüttenbetriebe (Wien 1891); Kloster Admont und seine Beziehungen zur Wissenschaft und zum Unterricht (Graz 1892). – P. Florian Kinnast zählt im Nekrologe 46 gedruckte, 26 unedierte Werke und 21 Kataloge auf!

Ein anderer Oheim, dessen Vornamen ich trage, war ein Minnesänger und die gehörten bekanntlich im zwölften und dreizehnten Jahrhunderte beinahe ausschließlich dem Adel an.

Er zog mit der Laute oder Gitarre von Burg zu Burg oder auch von Wirtshaus zu Wirtshaus und sang schlecht und recht und bekam von der Milde der Hörer bald reichliche Miete, bald wurde er hinausgeworfen.

Dem Ulrich von Liechtenstein ist's nicht besser ergangen und also mögen beide unter ein und demselben Baume ausruhen.

Von seinen Liedern hat sich keines erhalten, obschon er des Schreibens kundiger war, als der genannte Herr Ulrich und andere mehr.

Ich aber sah ihn in den Träumen meiner Kindheit allfort herumziehen und wartete lange auf den Augenblick, wo er, das Haar bestäubt, das Antlitz verbrannt, eintreten und zu klimpern anheben würde. Ja, ich lernte später selber auf der Gitarre einige Akkorde zupfen, um ihn würdig begleiten zu können.

Die Türe hat sich nie geöffnet – möge ihm die Erde leicht sein!

Etwas stolz bin ich auch auf den Mann meiner Base Magdalena, eines Geschwisterkindes. Derselbe heißt Karl Morre und hat sich als Verfasser von wahrhaft dichterischen, kerngesunden, sittlich erhebenden Volksschauspielen Die bekanntesten derselben sind:
»Die Familie Schnecke; Die Frau Rätin; Durch die Presse: 's Nullerl; Silberpappel und Korkstoppel; Der Glückselige; Ein Regimentsarzt; Vor'n Suppenessen.«
zahlreiche Bühnen und weit mehr Herzen erobert.

Auch trat derselbe als Berater in Land und Reich für das Volk, vor allem für den hart bedrängten Bauernstand mannhaft in die Schranken. Vergleiche dessen Schrift: »Die Arbeiter-Partei und der Bauernstand. Ein ernstes Wort in ernster Zeit.« Graz 1890.

Nun ruht auch er schon längst an der Seite seiner treuen Leni im Zentralfriedhofe zu Graz ....., die leidige Politik hat zuerst den Dichter und dann den edlen Menschen getötet – kein Wunder, daß ich, durch seinen Schaden klug geworden, das garstige Lied nicht singen mag!

Mein seliger Vater endlich, nun, der war ein – Glücksritter.

Kaum war er der Schule entronnen, so griff er zur Lanze, leistete Knappendienste und erwarb sich binnen wenigen Jahren im Stechen und Schneiden eine solche Fertigkeit, daß er es seinem Meister, einem gewissen Ritter Jörg von Geißheim mit der stählernen Schere, völlig gleichtat.

Also hub er sich von dannen, um auf Abenteuer auszuziehen und bei berühmten Meistern wie z. B. bei dem mit dem glühenden Bügeleisen oder dem mit der eichenen Elle neue Künste zu lernen.

Bevor es ihm jedoch gelang, sich mit dem Schwunge der Lanze eine Burg zu erobern und Herz und Hand einer minniglichen Maid zu gewinnen, war der Ruf seiner Heldenhaftigkeit zu den Ohren des Kaisers gedrungen, und so folgte er durch volle zehn Jahre dem Heerbanne des obersten Kriegsherrn, übte sich im Gebrauche der modernen Waffen, des Gewehres und des Bajonettes, sah auf seinen Zügen ein gut Stücklein Welt und kam endlich nach Bludenz. Daselbst wandte er sich, des täglichen Waffengeklirres und der nächtlichen Flohjagden überdrüssig, den Werken des Friedens zu, nahm ein Weib und begründete einen Hausstand.

Aber es wollten ihm keine guten Lose zufallen; er hatte, wie die Leute sagen, kein Gefälle, und so holte ihn die blasse Not immer wieder ein, so oft er das Glück eines gesicherten Familienlebens erhascht zu haben glaubte.

Der Versuch, sich gleich den Fürsten Thurn und Taxis in den Dienst des öffentlichen Verkehres zu stellen und die Reisenden mit Pferd und Wagen von einem Städtlein zum anderen zu befördern, mißlang, weil damals in dem Ländlein vor dem Arlberge höchstens alle heiligen Zeiten einmal einer eine Reise tat und dann gemeiniglich auf Schusters Rappen.

Ebenso wenig gelang es, einen Handel mit Mehl und Schmalz, Talgkerzen und Salz und ähnlichen Dingen so in die Höhe zu bringen, daß sich die Arbeit auszahlte, und wie er gleich seinem Vater Mundschenk werden wollte, verlor er die zur Instandsetzung dieses Geschäftes nötige Summe in allzugroßer Vertrauensseligkeit an eine Person, von der eine Rückerstattung nie zu erhoffen war.

Überhaupt trug seine Herzensgüte einen Teil der Schuld an dem Mißlingen seiner Pläne. Er vermochte es nicht, die Tränen der Not zu sehen, und er brachte es nicht über sich, einen Bittenden von seiner Türe fort zu weisen. Die Leute wußten das und manche waren niederträchtig genug, seine ihn ehrende Schwäche auszunützen und ihn wiederholt um bedeutende Summen zu prellen.

Während dieser traurigen Mühen verstarb seine erste Frau und hinterließ ihren Kindern ein kleines Vermögen, das teilweise in dem Hause Nr. 116 samt dazu gehörigen Grundstücken, teilweise in sicher angelegten Bargeldern bestand.

Also verlegte sich mein Vater, dem die Vormundschaftsbehörde die Verwaltung und den gemeinschaftlichen Nutzgenuß zugestanden hatte, auf die Landwirtschaft und führte nach etlichen Jahren meine Mutter als sein zweites Eheweib ins Heim seiner Kinder aus erster Ehe.

Was nun die Freundschaft von mütterlicher Seite her betrifft, so möge ja kein Leser denken, daß es mein Vater über sich gebracht hätte, eine Mißheirat oder »Mesalliance« auf sein Gewissen zu laden.

Meine Mutter war auch – eine geborene und zwar eine Vaplon.

Eine glaubhafte und ehrwürdige Familienüberlieferung erwähnt, die Vaplons seien holländische Einwanderer gewesen und hätten eigentlich »Van der Blon« geheißen.

Mag dem nun sein wie immer, mag der Urahne aus Holland holländisch abgefahren sein oder nicht, eines steht fest, daß sich die Familie den Adel einer ehrenhaften Gesinnung, einer herzinnigen Frömmigkeit, einer unermüdlichen Tätigkeit, einer geduldigen Ertragung unvermeidlicher Leiden zu verschaffen und zu erhalten wußte.

Der Großvater war seines Zeichens ein Gerber; doch gingen zu viele Leute barfuß, als daß er mit seinen paar Häuten seine große Familie hätte nähren und kleiden können. Zudem war er kränklich und früh arbeitsunfähig und seine Lebensgefährtin, ein kleines, dürres Weiblein, brachte auch mehr Zeit auf dem Krankenlager zu als beim Spulrade.

Deshalb war es nötig, die Kinder nur allzufrüh zur Arbeit anzuhalten, und es war dies leichter als heutzutage, weil damals Schulzwang und Arbeiterschutz völlig unbekannte Dinge waren.

Es waren eben große Fabriken im Entstehen und es wurde, weil die Bauten für den Bedarf nicht ausreichten, gestattet, daß viele Arbeiter ihr Werk zu Hause verrichteten; auch trug man noch viele selbstgewirkte Zeuge und lag in Betten, die man sozusagen selbst gepflanzt hatte.

So wurde ein feuchtes, dumpfes Kellerloch zur Weberei umgestaltet und darin sauste der Haspel vom Morgengrauen bis zur sinkenden Nacht, schnurrte das Spinnrad und flog das Webeschifflein, was gibst du, was hast du, nach dem Liede:

»Fein oder grob,
Geld gibt's doch,
Aschengraue, dunkelgraue,
Pum, pum, pum!«

Es gab aber bei den niedrigen Löhnen des Geldes wenig genug, und so mußte man sich auch anderweitig abzappeln und wehren mit Hand und Fuß. Es galt, neben der Webearbeit die paar Äckerlein zu bebauen, um die Grundbirnen in den Keller und den Türken in die Küche zu liefern und die Gerste und den Roggen in den Backtrog; es hieß die Wiese mähen und das Heu auf dem Buckel in den Stall tragen, um die einzige Kuh zu reichlicher Milchspendung zu zwingen; es war notwendig, daß die starken Buben und die ältern Mädchen im Walde Dürrholz sammelten oder dem wilden Gewässer des Gebirgsflusses unter Lebensgefahr Schwemmholz entrissen, um Herd und Ofen zu versorgen: denn des baren Geldes bedurfte man zur Beschaffung der Oberkleider für die Gesunden und der Heilmittel für die Kranken und nicht zuletzt zur Deckung der Steuern und Abgaben.

Aus dieser ehrenwerten Familie holte sich mein Vater sein zweites Weib, die Katharina.

Sie hieß aber eigentlich nicht Katharina allein, und dies führt mich zur Erläuterung des Kopfes meiner Geschichte.

Zu jener Zeit, da mein Vater auf Freiersfüßen ging, lebte man im Städtlein trotz manchen Zankens und Scheelblickens, trotz vielfachen Neides und etwelcher Übervorteilung, wie dergleichen unter Menschen leider immer vorkommen wird, beinahe wie in einer Familie und nannte sich demgemäß stets beim Vornamen.

Das machte, weil ein und derselbe Name nur zu häufig vorkam, gewisse Unterscheidungen nötig, was man durch Zusammensetzung mit dem Namen des Vaters oder Großvaters oder durch Beifügung eines Spitznamens oder auch durch beides zu erreichen wußte.

Bei meinem Großvater in der Mühlgasse war beides der Fall.

Er hieß Ignaz und wurde darum schlechtweg der Naze genannt. Da es aber der Naze mehrere gab, so verhalf ihm ein an sich harmloser Vorfall zu einer genauem Benamsung.

Als der Naze nämlich noch zur Schule ging und sich in Haltung und Bewegung sowie in Beantwortung der an ihn gestellten Fragen äußerst schwerfällig und langsam stellte, da sagte der Lehrer einmal:

»Naze, du bist ja gerade wie eine Schnecke!«

Von diesem Tage an hieß mein Großvater der Schneckennaze, sein Haus das Schneckenhaus und diese Bezeichnung ging auch mit passenden Änderungen auf uns über, also daß meine Mutter d's Schneckennazis Katharina, ich selber d's Schneckennazis Katharinas Josef und das Haus am Bächlein Katharinas Schneckenhaus genannt wurde.

Mein Vater blieb bei diesen volkstümlichen Bezeichnungen völlig aus dem Spiele; vielleicht betrachteten sie den eingewanderten Grazer als einen Fremden, dem sie nicht die Ehre antun wollten.

Also habe ich die Jahre, in welchen meine Geschichte spielt, im Schneckenhause verbracht, und also soll die Geschichte auch davon den Namen tragen.


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