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Vierzehnter Abschnitt.


Hier wird mitgeteilt, wie die Leute närrisch werden und wie sie sich auf den Frühling freuen.

 

Wie die Eva den Friedrich mit seinem vom bösen Feinde eingegebenen und der Angst entsprossenen Begehren abwies, da erwähnte sie der Zeit, in der ohnedies die meisten Leute närrisch würden, und das war Wasser auf unsere Mühle; denn in uns Jungen war einmal der Trieb nach all dem Närrischen, was Stadt und Land bieten mochte, und nebst dem Essen und Trinken und Schlafen war uns dazumal nichts lieber als ein herzliches, glückseliges Auflachen. Deswegen gingen uns auch die Taten des Till Eulenspiegel über alles, deswegen konnten wir uns von den seltsamen Schildbürgerstücklein kaum trennen und deswegen liebten wir auch jene Lehrer am meisten, die es verstanden, in ihren Lehren Ernst und Scherz zu mischen und unser Gemüt zu einer für alles Gute, Wahre und Schöne empfänglichen Heiterkeit zu stimmen.

Wenn ich daher in meinen zahlreichen Geschichtlein, die nun schon seit Jahren in der Welt herumfliegen, den bildenden und sittigenden Wert des Frohsinns so hoch anschlage und das Lachen über eine Dummheit als Heilmittel gegen dieselbe betrachte, so kann ich in diesem Punkte wie in so vielen andern auf meine eigene Erfahrung verweisen, die ich hie und da, dem Worte des Dichters Glauben schenkend, höher schätze, als die an grünen Tischen ausgeklügelten und doch grauschimmernden Erziehungsvorschriften. Vgl. »Alraunwurzeln«, 4. Aufl. S. 1 ff. In der Schule allerdings, da muß ich von Jahr zu Jahr ernster werden; denn ein Schulvorstand hat mir bedeutet, es zieme sich nicht, die der Wissenschaft geweihten Räume durch Scherze zu profanieren. So muß ich meine Natur schweren Herzens verleugnen und gleich Dantes Katze (vgl. die Einleitung in »Erlauschtes«) mit finsterem Amtsgesicht den Leuchter halten. Hie und da entflieht freilich selbst beim besten Willen halt doch ein harmloser Scherz dem Gehege der Zähne ... die Katze läßt eben das Mausen nicht und die Natur trägt schließlich den Sieg über die Kunst davon. Gott und die Behörde möge dem alten, reuigen Humoristen verzeihen! (1904.)

Und die Zeiten der Narrenfreiheit rückten heran und ließen uns Kinder jeglichen Ernst des Lebens völlig vergessen.

Es kam der unsinnige oder rahmige Donnerstag, an dem sich die Nachbarn Spaßes halber die Fleischtöpfe stibitzten und an dem der ertappte Dieb mit Ruß eingerieben wurde nach dem Spruche des steinalten Hildebrand:

»Wer sich an alten Kesseln reibet, der empfängt auch leichtlich Rahm!«

Es kam der Fastnachtssonntag, an dem bereits vereinzelte Masken, Jöri, das heißt Schmutzfinken, genannt, durch die Gassen liefen und ihre prallen Schweinsblasen auf unsern Rücken tanzen ließen, der Tag, an dem selbst ältere Leute verrückt wurden und sich im Kreise drehten, bis sie der Schwindel ergriff und die Geldstücklein klirrend davonflogen.

Es kam endlich der langersehnte Fastnachtsdienstag, an dem die Burschen des Städtleins nach uraltem Brauche und mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung förmliche Maskenzüge veranstalteten und für eine heilsame Erschütterung des Zwerchfelles hinlänglich Sorge trugen.

Für gewöhnlich offenbarte sich in diesen Mummereien allerdings keine besondere Erfindungsgabe und die Künstler kamen über die freilich sehr anschauliche Darstellung betrunkener Bauern, zitternder Pantoffelhelden, keifender Weiber, wahrsagender Zigeuner oder einer lärmenden Bärentreibergesellschaft selten hinaus. Wurden einmal den entzückten Zuschauern die sieben Schwaben vorgeführt, die mit ihrem Wiesbaumspieße auf das Ungeheuer von einem Hasen Jagd machten, so galt dies bereits als eine großartige Leistung, von der weit in den Sommer hinein gesprochen wurde.

In diesem Jahre aber hatte sich unter den Burschen ein schöpferischer Geist gezeigt, der alle die verschiedenartigen Bestrebungen der nach Verkleidungsscherz lüsternen Jugend planmäßig ordnete, die einzelnen Gruppen zu einem Ganzen verband und nichts Geringeres zur Darstellung brachte, als einen erschrecklichen Feldzug der Schweizer Soldaten gegen irgend einen furchtbaren Feind und den ruhmreichen Sieg der tapfern Eidgenossen gegen die nicht näher zu bestimmende Übermacht der Gegner.

Ich brauche hierbei nicht zu erwähnen, daß meine Landsleute mit den Bewohnern der Schweiz, seitdem der Hader vergangener Jahrhunderte vergessen ist, gute Nachbarschaft halten und sich als Brüder eines Stammes freundschaftliche Gesinnungen entgegenbringen. Bildet der Rhein auch die Grenze der beiden Staaten, so führt der (bisweilen heimliche) Verkehr doch die Leute zusammen und der Schweizer fühlt sich in dem von Habsburgs Kaiseraar beschirmten Ländchen vor dem Arlberg ebenso heimisch, wie der Österreicher in den freien Kantonen.

Diesem gemütlichen Verhältnisse tut auch ein jeweiliges Hänseln und Necken, wie's die Schwaben schon nicht lassen können, keinen Eintrag, und wenn sich die Vorarlberger als Angehörige einer großen Militärmacht in meinen Kinderjahren über die damals etwas altväterische Drillung der Schweizer Truppen lustig machten, so schädigte dies die friedlichen Beziehungen nicht im geringsten und ich habe wenigstens nicht gehört, daß solch harmlose Verunglimpfung von der Schweiz je als Kriegsfall betrachtet und mit der Abberufung der Gesandten beantwortet worden wäre.

Also war die Losung des Fastnachtsdienstages in meinem Geburtsorte ein Schweizerkrieg, und nachdem wir Kinder das Mittagessen hastig verschlungen hatten, durften wir, vom großen Friedrich sorgsam geführt, die Gassen des Städtleins durchwandern und an der Lustbarkeit teilnehmen; die beiden Schwestern aber verbrachten den Nachmittag, der Pflichten ihres frommen Ordens gedenkend, in dem Kirchlein der ehrwürdigen Kapuzinermönche und nahmen an dem vierzigstündigen Gebete teil, um dem Erlöser für die Sünden der Welt Sühne zu bieten und dessen Barmherzigkeit auf die Irrenden herabzurufen.

Als wir uns dem Städtlein näherten und durch die Mühlgasse aufwärts schritten, drang bereits der Lärm des närrischen Tages, das Getute des Hornes von Uri, das Geklapper der Pritsche und das Geschrei der wogenden Menge an unser Ohr.

Auf dem Rathausplatze hatten sich die Volksmassen gestaut und dort hub auch die Geschichte mit der Nachahmung einer gerichtlichen Versteigerung an.

Auf einem Brettergerüste zeigte sich ein Beamter in brennrotem Fracke und riesenhaften Vatermördern. Sein bebrilltes Antlitz war mit Mehl und Ziegelrot gefärbt und seine Nase künstlich ums fünffache verlängert. Der bot mit beißendem Spotte, wobei er weder Stadt noch Land verschonte, allerlei Seltsamkeiten feil und hielt, indem er den Stadtklatsch des verflossenen Jahres in seine Worte mischte, eine Art Volksgericht. Auf seine Narrenrechte pochend, wagte er es sogar, zur allgemeinen Belustigung den Behörden eines anzuhängen, indem er unter anderm einen alten Zylinderhut ohne Boden in den Lüften schwenkte und behauptete, es sei dies die Steueramtskasse, der man's deutlich ansehe, weshalb sie nie voll würde. Hierauf reichte ihm ein Kerl, der einem wilden Garibaldiner so ähnlich sah wie ein Ei dem andern, einen mit Tüchern wohl verhüllten Gegenstand, der von dem Manne auf dem Gerüste als der europäische Friede bezeichnet und um einen ungeheuern Preis angeboten wurde. Allein es wollte niemand einen Kreuzer darum geben, bis ihn mein Bruder, der in seiner Kindlichkeit das Vertrauen auf menschliche Verhältnisse noch nicht eingebüßt hatte und zum Staatsmanne so wenig Anlage besaß wie ich selber, um einen halben Kreuzer bar erstand. Wie der Käufer aber, von den Nahestehenden gedrängt, die Hülle abwand, entglitt seiner Hand eine Glasscheibe und zerfiel auf dem steinhart gefrorenen Boden in tausend Scherben.

Augenblicklich schwang sich ein Herold auf die Bretterbühne, gebot mit schmetterndem Trompetenstoße Schweigen und verkündete der Menge mit lauter Stimme, der europäische Friede sei gebrochen, der Krieg sei bereits erklärt, der Feind dringe in hellen Haufen gegen die Stadt, Heil und Rettung beruhe einzig und allein auf dem tapferen Heere, das sich soeben auf dem Marktplatze mit Krautmesser und Morgenstern, Taschenveitel und Dreschflegel sammle, um dem Feinde zu beweisen, daß es noch allweil Männer gebe ohne Furcht und Tadel vom Scheitel bis zum Wadel, ohne Angst und Not bis in den dustern Tod.

Wir folgten der Weisung des Heroldes und gelangten, in der sich schiebenden und drängenden Menge mehr getragen als gegangen, auf den Marktplatz, und da standen nun schon die Kriegshelden und nahmen von ihren Verwandten tränenreichen Abschied.

Dieweil nun die Helden Bürger eines freien Landes waren, hatte ihnen der Feldherr hinsichtlich der Kleidung völlige Freiheit gelassen, und so trug der eine über kurzen Kniehosen einen bis auf den Boden baumelnden Großvaterfrack, der andere über langem Schlotterbeinkleide ein Röcklein, das nicht die Hüften bedeckte und das Hemd hervorquellen ließ. Ein dritter war in dichtem Schafpelze und in Schlappschuhen dem Rufe des Kriegsobersten gefolgt, ein vierter eilte in Hemdärmeln zur Heerschau, und die Kopfbedeckungen ließen gleichfalls an Mannigfaltigkeit und malerischer Abwechslung nichts zu wünschen übrig.

Nur darin waren sie alle einig, daß jeder ein Papierschild mit dem weißen Kreuze im roten Felde auf dem Hute oder der Mütze trug und jeder auf der rechten Achsel ein Bündel Heu, auf der linken aber ein Bündel Stroh festgebunden hatte, auf daß so die anbefohlenen Wendungen leicht und ohne zeitraubende Irrung vollzogen würden.

Die Schießwaffen hatte man einer Sammlung aus dem freiherrlichen Schlosse entlehnt, das sich ob dem Städtlein in all seiner ziegelroten Pracht in die Lüfte hebt. Sie gehörten zwar den verschiedensten Systemen alter Zeit an, verdienten aber wegen ihrer völligen Ungefährlichkeit gleichmäßig das höchste Lob und können deshalb bei einer wieder einmal nötig werdenden Neubewaffnung allen Kriegsministern der Erde nicht warm genug empfohlen werden.

Und nun lichteten sich die Scharen der Zuschauer; denn von Bergdorf her sprengte der Oberbefehlshaber des Heeres, das nach einer oberflächlichen Schätzung, den Tambour und den Kompagnieschreiner sowie das Horn von Uri und eine alte Marketenderin inbegriffen, gewiß dreißig Mann zählte.

Er sprengte heran auf einem muntern Grautiere, das ein reicher Fabriksherr in anerkennenswerter Opferwilligkeit dem edlen Zwecke zur Verfügung gestellt hatte. Es war ein gutes Tier: wenn es sich je bäumte, so geschah dies sehr rücksichtsvoll von hinten, und sein Leibsprüchlein hieß: »Eile mit Weile!«

Der Feldherr aber schwang in seiner nervigen Faust ein altes Schlachtschwert, das wahrhaftig geblitzt hätte, hätte der zollhohe Rost es zugelassen; im übrigen trug er einen schön geblümten Schlafrock, das Zeichen des blumenreichen Sieges, und auf dem Haupte eine schwarzseidene Zipfelmütze mit baumelnder Quaste, das Zeichen des Todes.

Wie der Stier von Uri seines Herrn ansichtig wurde, da blies er mit vollen Backen seine zwei Töne und die strammen Helden stellten sich, mehrfach Rücken gegen Rücken, in Reih und Glied und gaben so Anlaß zu einem lustigen Donnerwetter.

Das ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Der Feldherr schüttelte Kopf und Zipfelhaube, wiegte sich ärgerlich auf seinem Schlachtrosse, beguckte die Lage der Dinge durch ein glasloses Fernrohr und fuhr drein:

»Jetzt hab' ich mir die Kerle wahrlich schon lang ang'luget und kann beim Bluest nicht finden, wo sie's Fröntlein haben. Wollt ihr sogleich »Heuum« machen, Numero 3, 7, 9 und 15! So – jetzt seh' ich lauter Affeng'sichter!«

Und nun winkte er den Kompagnieschreiner heran, auf daß er die Stirnseite des Heeres abmesse, und der wickelte seine in rote Farbe getauchte Schnur bedächtig ab, spannte sie mit Hilfe des Trommlers vor der ersten Reihe, zog sie an und ließ sie schnellen, und richtig hatte jeder der vorderen Krieger ein rotes Strichlein am Bauche. Also war das »Fröntlein« in Ordnung und man konnte allsgemach anheben, mit Trommel und Tuthorn gegen den Feind zu ziehen.

Nach einer großartigen Schwenkung, an welcher der scharfblickende Feldherr nur auszusetzen hatte, daß hie und da ein Kämpe infolge einer unliebsamen Verwechslung beide Beine gleichzeitig in den Lüften habe, trabte und hatschte das kampflustige Heer ins Städtlein zurück und hinter ihm bewegte sich feierlich langsam das grobe Geschütz, die dickste Brunnenröhre auf schwerem, hölzernem Schlitten, von zwei Ochsen gezogen, den größten und stärksten des Inlandes, Montafoner Schlag.

Vor einem Wirtshause mußte der Zug halt machen; denn nun legte sich der Feldherr ins Zeug und ließ eine feurige Kriegsrede vom Stapel, der zu entnehmen war, daß es nun ernst werde und daß der Feind jeden Augenblick hinter irgend einem Düngerhaufen hervorbrechen könne.

Wenn das Schießen anhebe, lautete zum Schlusse die väterliche Mahnung, sollten nur alle recht vorsichtig sein und hoch genug zielen, um ja kein Unheil anzurichten. Auch rate er jedem wohlmeinend, beim Losdrücken die Augen zu schließen; denn so gut die Waffen auch seien, so könne es doch geschehen, daß einem etwa ein Kapselsplitter in die Augen fliege, und das wolle und könne er nicht verantworten. Ferner sei es mehr als wahrscheinlich, daß die Feinde beim Anblicke der heldenmütigen Schar reißaus nehmen und Fersengeld geben würden. Dann sollten nur alle recht tapfer nachlaufen. Käme aber der Feind wider alles Erwarten wütend und mit gefälltem Krautmesser dahergestürmt, dann möge jeder bedenken, wie kostbar und unersetzlich das Leben eines Vaterlandsverteidigers sei, und also gelte in diesem schrecklichen Augenblicke nur das gute Sprüchlein: Rette sich, wer kann!

Diese wackere Rede machte sowohl auf das todesmutige Heer als auch auf die gaffende Menge einen sichtlichen Eindruck und es war nur ein Beweis wahrhaft väterlicher Gesinnung, daß der Feldherr nun sein »Fröntlein« abritt und jeden Einzelnen fragte, ob er nicht noch einen letzten Wunsch hätte oder ob er nicht sein Testamentlein zu machen und ihn zum Erben einzusetzen gedächte.

Da trat denn einer hervor, dessen Ächzen und Schnauben schon längst unsere Aufmerksamkeit erregt hatte, dick wie ein Weinfaß und mit einem Kropfe gleich einem Wasserkübel. Der jammerte entsetzlich und klagte, daß er weder zum Verfolgen des geschlagenen Feindes noch zum vernünftigen Davonlaufen geeignet sei und daß ihm sein Leib, ein lebendiger Kugelfang, die größte Sorge bereite.

Wie nun der Kriegsoberste einer so ungeheuern Tatsache gegenüber selbst ratlos dastand und sich in die Haare fuhr, da ward vom Hofe des Wirtshauses her ein großes Getümmel und es erschien ein Mann, der eine drei Stock hohe Angströhre auf dem lockenumwallten Haupte, eine Urgroßmutterhornbrille auf der Nase und verschiedene ärztliche Werkzeuge, wie ein vielschartiges Metzgermesser und eine große Schmiedezange, unter dem Arme trug. Der gab sich als der berühmte Doktor Eisenbart zu erkennen und erklärte sich bereit, gegen Bezahlung einer Maß Bier nicht nur jedem Zuschauer auf den Zahn zu fühlen sondern auch an dem unglücklichen Dickwanst das Narrenschneiden vorzunehmen.

Der lebendige Kugelfang wurde unverzüglich auf eine Holzbank geworfen und von den Gehilfen des berühmten Arztes festgehalten, und der begann nun sein Werk damit, daß er sich von einem der Umstehenden einen Pfeifenstocher ausborgte und denselben bis ans Heft in den Kropf des kranken Mannes einbohrte. Und siehe – aus dem Kropfe sprang ein frischer Brunnen roten Weines hoch in die Luft und die Geschwulst verschwand unter dem Drucke der heilkundigen Hände. Sodann sägte der Doktor mit seinem schartigen Messer in den prallen Wanst eine Öffnung und zog aus derselben mehr als hundert Fetzenpüppchen, die Dummheit und die Einbildung, den Geiz und die Verschwendung, die Händelsucht und die Feigheit und wie sie alle heißen mögen, die Familien, Gemeinden und ganze Staaten zugrunde richten, und wie diese Lasterpuppen unter die Zuschauer geflogen waren, da erhob sich der Mann frisch und gesund und schlank wie eine Hopfenstange und stellte sich fröhlich und wohlgemut in die Reihen der Kämpfer.

Da sich aber der Feind, trotzdem nach allen vier Weltgegenden Kundschafter ausgesendet worden waren, nirgends blicken ließ, so war der Feldherr der Ansicht, dies sei die beste Art, einen Krieg ruhmreich zu beendigen. Er ließ also das Horn blasen und die Trommel rühren, und wie alles schwieg, erklärte er feierlich:

»Da nun der Feind nicht kommt und meine Adjutanten von ihm nichts gefunden haben als einen alten Montafoner Krauthobel und zwei angebissene rohe Grundbirnen, so haben wir g'siegt, ihr Männer, und können wieder friedlich heimgehen oder ins Wirtshaus, wer Geld hat!

»Naß ist nicht trocken,
Trocken nicht naß,
Spaß ist nicht Ernst,
Ernst ist nicht Spaß,
Wer da nicht mitlacht,
Kriegt eins auf d'Nas',
Daß es kracht,
Gute Nacht!«

So fand der erschreckliche Feldzug sein unblutiges. Ende, und da es die Adjutanten nicht versäumt hatten, mit der Sammelbüchse die Kriegskosten einzutreiben, so konnten sich die wackern Helden nach den Mühen und Ängsten des Tages beim Glase gütlich tun; ich aber schritt an der Seite meines Stiefbruders heimwärts und der Lorenz, dessen schwache Beinlein schon längst den Dienst versagt hatten, saß wohlgemut auf des großen Burschen Schultern und hatte von dieser nicht unbeträchtlichen Höhe aus das merkwürdige Schauspiel mit weiten Augen und stummem Staunen verfolgt ...

Wenn nun aber jemand wähnt, das lustige Treiben habe mit dem letzten Faschingstage sein Ende erreicht, den muß ich eines anderen belehren.

Allerdings erhob die Kirche bereits ihre warnende Stimme, allerdings predigte sie mit ihren des Schmuckes beraubten Altären, mit der blauen Farbe der gottesdienstlichen Gewänder, mit ihren ergreifenden Trauergesängen gar ernst Abkehr von allem irdischen Tand, allerdings bestreute sie unsere Häupter mit gesegneter Asche, auf daß wir gedenken sollten unseres Ursprunges und Endes: das Volk aber wollte der Lustbarkeit nicht allsogleich entsagen, und während die Burschen am Aschermittwoch in kläglichem Aufzuge und mit trauriger Geberde die Fastnacht, eine in Lumpen gehüllte Strohpuppe, in die Erde vergruben und den Platz mit einem leeren, lochreichen Geldbeutel an einem eingesteckten Stabe bezeichneten, regte sich bereits in jung und alt das Verlangen, dem allgewaltigen Lichte, das von Tag zu Tag sieghafter vordrang, das uralte Brandopfer zu bringen, den Funkenbaum zu errichten, die Fackeln zu wirbeln und das auflodernde Sinnbild der Frühlingszeit, der Sonnenzeit, jubelnd zu umtanzen.

Uralter Brauch war es, daß der erste Sonntag in der Fasten als Festtag galt und durch Feuerbrand und unendliches Essen geheiligt wurde.

Die Gelehrten, die alles wissen, behaupten sogar, daß wir das Fest der Frühlingssonnenwende von den alten Heiden geerbt hätten und also noch einen gewissen Götzen Donar verehren täten; aber das kümmerte uns blutwenig. Wir hatten von Götzendienst und Heidentum keine blasse Ahnung, wir freuten uns gar nicht wissenschaftlich, sondern wir gehorchten blindlings jenem Triebe, der die Kinder im Frühling mit Schussern spielen heißt, im Herbste aber mit Drachen, ohne daß im Kalender die Schusserntage oder die Drachentage besonders vermerkt wären.

Also wußten auch wir Kinder ohne besondere Unterweisung, was in den nächsten Tagen unsere Pflicht sei, und wir saßen bereits am Aschermittwoch so ruhig in der Schule, als sei uns ein Wespennest in die Kleider geraten.

Kaum war das Gebet gesprochen, so stürmten wir gleich einem wilden Volke über die alten, gebrechlichen Holzstiegen und Treppengeländer des baufälligen Schulhauses ins Freie, je 4–5 Knaben taten sich zu einer Rotte zusammen, zogen, ohne lange zu fragen, aus dem nächsten Stalle den nächstbesten Schlitten und wanderten nun gar fröhlich von Haus zu Haus, überall milde Gaben heischend für den Frühlingsbrand, Holz und Stroh, Hanfstengel und alte Fetzen und alles, was irgendwie die Fähigkeit besaß, aufzulodern oder wenigstens mit Gestank zu glimmen, und unser Lied lautete also:

»Holz, Holz,
Sind wir stolz!
Stroh, Stroh,
Sind wir froh!
Stengel, Stengel,
Sind wir Engel!
Scheiter, Scheiter,
Geh'n wir weiter!
Lumpen, Lumpen,
Zu der Hex'!«

Und als ob es gelte, einer allgemeinen Not zu steuern, taten sich alle Türen auf und alle Hände legten Holz und Stroh und allerlei Brennzeug auf unsere Schlitten und selbst der Ärmste der Armen kam mit einigen Tannenzapfen daher, die er im Sommer gesammelt oder soeben erbettelt hatte.

Vergeblich schüttelten etliche Pharisäer, die nur alles dem trockenen Nutzen in den Rachen stecken und der liebwerten Freude auch nicht des Nagels Breite gönnen wollten, ihre griesgrämigen Häupter ob der unerhörten Verschwendung: draußen im freien Felde türmten sich die Haufen, und so oft wir Knirpse uns mit den hochgebürdeten Schlitten durch den knietiefen Schnee Bahn brachen, so oft wurden wir von kräftigen Jünglingen mit freudigem Juhschrei empfangen und unsers wackern Wirkens halber bestens belobt.

Den Jünglingen lag es nämlich ob, für Errichtung und Umkleidung des Baumes zu sorgen.

Deshalb hatten sie sich allbereits zum würdigen Bürgermeister des Städtleins verfügt und ihn wie alljährlich um Beisteuer zum großen Werke aus Gemeindemitteln demütig ersucht, und der würdige Bürgermeister hatte wie alljährlich über den dummen Brauch und die nutzlose Vertuerei weidlich geschimpft und die Achseln geschupft und sich geäußert, wie daß er nicht eigenmächtig handeln dürfe und daß er eine so große Ausgabe vor dem Gemeinderate nicht verantworten könne; dann aber hatte er – zum allerletztenmale gestattet, es dürfen sich die Jünglinge eine passende Tanne im Gemeindewalde aussuchen und – wohl gemerkt – auf eigene Kosten fällen und ins Feld ziehen.

Das ließen sich die Jünglinge nicht zweimal sagen und am Sonntage der alten Festnacht stand die allergrößte Tanne der Gemeinde mitten im Felde, umkleidet mit den brennbaren Herrlichkeiten, die wir zugeführt hatten, und gekrönt mit einer Schreckgestalt, einer Hexe aus Werg und Stroh, die mit weithin sichtbarem Besenszepter ins Land drohte und deren Brust mit ruchlosen Gedanken erfüllt war; denn in ihr lauerte ein schwarzer Same, Bruder Bertholds Erfindung.

Der Bürgermeister aber hatte an demselben Tage infolge eines kleinen Mißverständnisses die Rechnung für das Fällen und die Überführung der Tanne im Sacke und – er bezahlte sie nach uraltem Brauche zum allerletztenmale.

Am selbigen Tage wurde vor der Brandfeier in allen Häusern für des Magens Bedürfnisse in ausgiebigster Weise Sorge getragen.

Es war auch dies ein uralter Brauch, den das Volk seit Jahrhunderten mit einer Zähigkeit festhielt, die – nun, die wir Kinder am wenigsten verdammen zu müssen glaubten.

So hatte sich bereits Graf Rudolf V. von Montfort, der im Jahre des Heils 1390 zu seinen Vätern hinüberging und in der Kirche des heiligen Nikolaus zu Feldkirch beigesetzet wurde, nach Sebastian Münsters treuherzigem Bericht dieser etwas sonderbaren Sonntagsheiligung beflissen.

Dieser Freund der Volkes pflegte sämtliche Knaben seiner Landschaft jedes zweite oder dritte Jahr nach Feldkirch zu laden und daselbst zu bewirten. Dem Wunsche des Grafen gemäß zogen die Knaben mit hölzerner Wehr, mit Fähnlein und Spielleuten in kriegerischer Haltung auf, und wenn sie sich vor den Augen ihres Herrn ein unblutiges Treffen geliefert und auch sonst ihre Geschicklichkeit im Gebrauche der Waffen und in künstlichen Aufmärschen sattsam dargetan hatten, so wurden sie mit Hirsebrei und je einem Laiblein Brotes gelezt, und mußten die Buben den Brei auf offener Gaffe aus den Kanälen lecken, wie man etwa den Schafen ihr Geleck macht.

Die ehrsamen Väter der Städt hielten sich aber auch nach dem Tode Rudolfs V. aus Dankbarkeit für die vielen und seltenen Freiheiten, die er ihnen am 17. Wintermond 1376 verbrieft hatte, für gebunden, dieses artige Fastnachtsspiel fortzusetzen, und zum letztenmale wurde selbes im Jahre 1539 in der vom genannten Grafen erfundenen Form abgehalten. Zu dieser Fütterung hatten sich 2200 Knaben eingefunden. Für sie war der Brei in jenem Stadtteile, der heute noch die Neustadt heißt, in 13 Kesseln über offenem Feuer gekocht worden, und bedeutete, wie der gute Sebastian beifügt, selbiges Fressen dem Landmanne ein besonders fruchtbares Jahr, was, wie ich beifüge, nach solch' einem Fressen allerdings not tun mochte.

Späterhin waren auch die Bewohner meiner Heimat in ihren Genüssen wählerischer geworden. Die Knaben wollten nicht mehr gleich den Schafen aus Steintrögen oder Kanälen lecken, die Alten lüsterten nach Leckerspeisen, und so bürgerte sich anstatt des faden Breies der Kuchen oder das Küchlein ein, und der erste Sonntag in der Fastenzeit hieß und heißt deswegen auch der Küchlesonntag.

So hatten auch heuer wieder die sorgsamen Hausmütter schon unter der Woche ihre Nasen in den Schnitztrog gesteckt, die Mehlvorräte abgeschätzt und den Schmalzstock halb mitleidig, halb wonnesam angeschaut.

Und nun, wie der kirchliche Sonntag ausgeläutet und der Segen gesprochen war, da wurde in allen Häusern, in Stadt und Land, geküchelt auf Leib und Leben, also daß man den Schmalzgeruch selbst auf freiem Felde verspüren konnte.

Gewöhnliche Leute, wie wir waren, begnügten sich mit zwei Gattungen dieser geliebtesten aller Mehlspeisen, mit den Öhrlein, so aus gewöhnlichem Teig gewalkt, mit einem Rädlein in Zipfelchen geschnitten und im Schmalz gebacken wurden, und mit den weinbeerreichen Hepfküchlein, deren Sauerteig in der Ofenwärme die größte Schüssel füllte und die sich in der Pfanne gleich den Wangen der pfeifenblasenden Buben blähten.

Edlere Sorten dagegen, als da sind Schnür- und Spritzkrapfen, Indianer und Strauben und andere Herrlichkeiten, die ich unwissender Bube damals nicht einmal dem Namen nach kannte, wurden natürlich nur in den Häusern der reichsten Leute erzeugt, an denen mich der betrunkene Ruprecht vor neun Jahre trotz, meiner Einrede vorbei getragen hatte; aber Hunger leiden und der Nationalspeise entbehren durfte an diesem Tage niemand, soweit die Sonne über ehrsame Schwaben leuchtete.

An diesem Tage aß alles Küchlein vom Bischof bis zum Bettler und, so wahr ich lebe, sie schmeckten allen gleich gut.

Wer kein Schmalz hatte, der borgte es auf Nimmerwiedergeben, wessen Mehltrog die Mäuse verhungern ließ, der erbat es sich vom Nachbarn, wer keine Pfanne hatte, erhielt eine vom Kupferschmied oder vom wandernden Kesselflicker fürs Mitessen, wer gar nichts hatte, der nahm eine Strohtasche oder einen Tragkorb und focht Küchlein von Haus zu Haus und war nicht am schlechtesten dran; denn er bekam Küchlein von allen Sorten und hatte die Wahl ... ohne Qual.

Gutherzige Leute hielten an diesem Tage sogar offene Tafel für die Notleidenden, und wie ich etliche Jahre später im Studierstädtlein lateinisch zu reden anhub, kam es noch vor, daß auf offenem Herde im Freien Küchlein gebacken wurden, also daß sich die Ortsarmen und die Handwerksburschen die süße Gabe aus dem protzelnden Schmalze holen und damit einheizen konnten ....

Es war abends fünf Uhr, als wir im Schneckenhause um den stämmigen Tisch mit der wuchtigen Steinplatte saßen und ungeduldig der Dinge harrten, die aus der Küche kommen sollten.

Dort stand die Eva mit feuerrotem Angesichte. Sie hatte die Hemdärmel über die Ellbogen gewunden und warf die weichen Flecke vom Nudelbrett ins heiße Schmalz, daß sie laut aufschrieen und sich bäumten und bräunten und bald mit der Spießgabel auf die weite Schüssel getürmt und mit wundersüßem Zuckermehl bestreut werden konnten. Und die kleine Senza drehte schweigend die Kaffeemühle, schob schnell aufflackerndes Reisig in die Glut und rührte die dürren Äpfel, Birnen und Zwetschken im Topfe um, und dann ging die Tür sperrangelweit auf, der Küchleturm schwebte herein und der Schnitznapf hinterdrein, und dann arbeiteten wir in der schönsten Glückseligkeit d'rauf los, bis sich der Grund der Schüssel zeigte und der Lorenz zu weinen anhub, weil er voll war bis zum Hals herauf und nicht eine einzige Zwetschke mehr in seinem Körperlein Platz hatte.

Da erzitterten plötzlich die Fenster von drei Pöllerschüssen, daß die Senza auffuhr und die Kaffeeschale umwarf, da drangen die rauschenden Klänge des Radetzkymarsches an unser Ohr, und das trieb uns hinaus in die kalte, nachtschwarze und doch so schone Welt.

Der Friedrich hatte uns bereits an den früheren Abenden unserer Stärke angemessene Kienfackeln gebunden und die trugen wir nun in unseren Armen der Musikkapelle nach – zum Funken, zum Funken!

Und siehe, da stand er auf weitem, weißem Felde, ein schwarzes, riesengroßes, dickbauchiges Ungetüm!

Unweit brannte ein niedriges Haufenfeuer und beleuchtete die Schergen, die ihre steife Hände an der Flamme wärmten, und warf irre Lichter auf die ungezählten Volksmassen, die sich um den Baum bewegten und unablässig, Kobolden oder Heinzelmännchen gleich, aus der dunkleren Ferne wie aus dem Erdboden auftauchten.

Und nun erschollen abermals die Klänge der Musik, nun schwang der stärkste Bursche vom niedern Feuerlein den Fackelbrand gegen das stille, traumverlorene Ungeheuer, nun leckte und züngelte es herum und aufwärts, höher und immer höher, bis der ganze gewaltige Baum in ein weithin sichtbares Flammenmeer getaucht war.

Da senkten wir jungen Leute unsere Fackeln ins Flammenmeer, da schwangen wir die lichterloh brennenden Fackeln im Kreise, da umtanzten wir den auflodernden und prasselnden Riesen, und den ältesten Leuten entrang sich ein Juchschrei der Bewunderung und der nicht zu bändigenden Wonne.

Und siehe – da wurde es endlich der Hexe aus ihrem goldigen Feuerthrone ungemütlich! Schon beleckte die gierige Flamme ihre Füße, schon verzehrte die unersättliche ihr Lumpengewand, schon lüsterte sie nach den schwarzen Gedanken in ihrer Brust – da fuhr die Hexe wie in alter Zeit, da solche Unholdinnen auf den Blocksberg ritten, mit einem entsetzlichen Krach in die Luft, Funken und glimmende Fetzen flogen nach allen Richtungen wirr durcheinander und der Besen fiel unter die lachende, jubelnde Menge und wurde von dem glücklichen Finder gleich einem kostbaren Schatze nachhause getragen.

Und zu derselben Zeit, in der unser Funke gen Himmel loderte, unsere Fackeln wirbelten und unsere Hexe in nichts zerstob, flammten in jedem Dorfe, jedem Weiler des Walgaues die Funken empor, und wer von einer Anhöhe, etwa vom lieblichen Mariagrün aus, Umschau hielt, der konnte der Feuer in den Tälern und auf den Höhen nach hunderten zählen und mußte ob all der wunderbaren Schönheit wohl zu träumen wähnen.

So wurden wir in unserem Heimatlande närrisch und so freuten wir uns auf den leuchtenden, siegreichen Frühling, der ja bald kommen und den kalten, nachtdunklen, lumpigen Winter mit Schimpf und Schande aus Berg und Tal vertreiben mußte.


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