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Dreizehnter Abschnitt.


Der Leser erfährt, wozu große Ohren taugen und daß die Eva in einer Woche zweimal heiraten soll.

 

Der vielliebe Leser, der die Geschichte der Schneckenhausbewohner bislang teilnehmend und wohlwollend verfolgt, den eigenen Jugendtraum nochmals geträumt und das süße Glück der friedfertigen und genügsamen Armut wonniglich verkostet hat, wird es nicht verschmähen, mich trotz des strengen Winters und der gehäuften Schneemassen nach Bergdorf zu geleiten, um eine Persönlichkeit kennen zu lernen, die, gleich dem Feinde im Evangelium, aus der Tiefe auftauchend, in den Weizen unseres stillen Glückes Unkraut säen und die in eins gestimmten Saiten guter Herzen mit frevelnder Hand zerreißen sollte.

Der Weg nach Bergdorf führte damals durch eine Doppelreihe kraftstrotzender Kastanienbäume, deren dichtes Laubdach im Sommer kühlenden Schatten bot und in deren Geäste wir Knaben glückselig herumzuklettern, den Meislein und Zeislein Nachstellungen zu bereiten und unsere Hosen schmählich zu zerreißen pflegten, dann über die morsche Brücke, unter der Jungfer Ill, die resche Montafonerin, munter und schwatzbar dahintanzte und, ganz gegen weibliche Art, ihrem Bräutigam, dem jugendtollen Herrn Rheine, von freien Stücken nachlief, endlich durch einen Baumgang uralter Pappeln, deren halbverfaultes Gezweige das ganze Jahr hindurch unschön in die Lüfte starrte und deren Hohlstämme den spielenden Kindern willkommene Verstecke boten.

Am Beginne dieser Pappelreihen, die nun schon längst vom Erdboden verschwunden sind und einem Geschlechte besserer Art Platz gemacht haben, stand eine Kapelle des Schirmers in Wassernöten, des heiligen Beichtigers Johannes, dem der Sage nach ein Walserbüblein seines bescheidenen Schweigens halber all seine Butter verkauft haben soll, und wo die letzten dieser vornehmen und doch häßlichen Bäume mit ihrem Alter prunkten, erhob sich ein gewaltiges, nüchternes Fabriksgebäude, in dessen tausend Fenstern die liebe Sonne das Elend vergoldete, das auch hier an den Webeschifflein seufzte, an den Spindeln fluchte und in den Staubwirbeln des Wollteufels mit todkranker Lunge schwer Atem schöpfte.

Sodann hob sich das Dorf mit seinen steinbeschwerten Schindeldächern, seinen Düngerhaufen und Baumgärten, seinen Wiesen und Feldern und dehnte sich, bis ihm eine himmelanragende Felswand halt gebot, welche die freundliche Kirche mit ihrem alten, gebrechlichen Turme jeden Augenblick zu erdrücken und in ihrem Falle zu begraben drohte.

Ihr zur Linken ragte der altersgraue, mit verkrüppelten Fichten bewachsene Wartturm von Roseneck empor, ihr zur Rechten zogen sich etliche verwegene und armselige Hütten weit in die schauerliche und doch so herrlich schöne Schlucht, aus welcher der unergründliche Bergsee seine eiskalten, tiefklaren, schäumenden Gewässer unermüdlich entsendet.

In dieser Schlucht stand auch das Holzhäuslein des »Buckels«, eines etwa fünfzig Jahre alten, mit Gott und der Welt zerfallenen Männleins, von dem die Leute allerlei zu berichten wußten, nur nicht viel Gutes.

Seinen Namen trug das Männlein von einer Erhöhung auf der rechten Schulter; denn die sah aus, als ob es unter seinem Rocke beständig einen Kürbis versteckt hielte, und es war auch mit all jenen geistigen Eigenschaften bestens versorgt, die das Volk den »Gezeichneten« zuschreibt und die sie leider nur zu oft infolge fremder und eigener Schuld besitzen.

In seiner Jugend hatte der Buckel etliche Jahre die Studierschule besucht; da aber sein Geist mehr zu List, Ränken oder auch offener Händelsucht als zu einem ruhigen Aneignen der Wissenschaften hinneigte, war er schmählich entlassen und aus der Anstalt verwiesen worden. Hierauf hatte er sich als Advokatenschreiber so lange geduldet, bis er des Gesetzes soweit kundig worden war, daß er hoffen durfte, selbem auch ohne seines Herren Beihilfe eine Nase drehen und es um die Finger wickeln zu können.

Also ließ er sich von seinem bisherigen Herrn hinauswerfen, gewann gegen ihn den ersten Rechtshandel und machte sodann als Winkelschreiber, Rechtspfuscher und Unfriedenstifter seine sauberen Geschäfte. Auch nahm er ein Weiblein, das seine Mutter hätte sein können, an dem jedoch Haus und Wiese und Feld hingen und dem es nun einmal um einen Mann zu tun war, und hätte es selben auch mit blutigen Fingern aus dem Erdboden graben müssen.

Das eheliche Leben der beiden war denn auch darnach, und wie das hart gestrafte Weiblein endlich durch den mitleidigen Tod, der das Leid der armen Haut nimmer ansehen konnte, aus dem Fegefeuer erlöst wurde, da blieb es sehr zweifelhaft, ob es freiwillig gestorben oder von dem buckelten Zankteufel ins Jenseits hinübergeprügelt worden sei.

Das unglückliche Wesen hatte dem Buckel zwei schmierige, wilde Buben hinterlassen, deren Erziehung sich der vielbeschäftigte Vater nicht im geringsten angelegen sein ließ und die vielleicht gerade deshalb Ebenbilder ihres Vaters zu werden versprachen.

Also war um die Mutter nicht viel Trauer im Hause in der Schlucht; wohl aber ging es dem Buckel zu Herzen, wenn er so ein Ding überhaupt besaß, daß er in seinem Weibe eine Sklavin verloren, die unter seiner Peitsche die Felder bestellt, die Wiesen gemäht und den Stall versorgt hatte, und dieweil nun seine Wirtschaft in die Brüche zu gehen drohte, so entschloß er sich, nochmals zu freien und, da er seines guten Rufes halber eine mit Geld nimmer zu erhaschen hoffte, sich wenigstens nach dem tüchtigsten Werkmensch der Gegend umzusehen.

Und da fiel seine Wahl auf unser vielliebe Mutter Eva!

Da er nun deren frommen Sinn kannte und gewissermaßen mit allen Salben geschmiert war, so nahm er sich vor, zur Erreichung seines Zweckes den Heiligen zu spielen, und so fand ihn zum allgemeinen Erstaunen mehrere Wochen hindurch jeder Sonntagmorgen in dem stillen Kapuzinerkirchlein, in dem sich die Eva für ihre schweren Aufgaben mit dem Gnadenbrote zu stärken pflegte. Dort kniete er in ihrer Nähe, hatte einen gewaltigen Rosenkranz um seine rechte Hand geschlungen, verdrehte seine Fuchsaugen, nickte in ein großes, altes Gebetbuch und murmelte und seufzte gleich dem bekannten Bösewicht Reineke, wie er die Klosterhennen berückte.

Dieses seltsame und mit seinem sonstigen Wesen wenig übereinstimmende Gebaren war endlich den beiden Schwestern aufgefallen, und während eines Mittagmahles meinte die Eva, es komme ihr vor, als ob der Schluchtenbuckel nun doch zu bereuen anhebe. Er sei freilich ein grundschlechter Kerl, wo ihn die Haut anrühre, aber daß Gott einem wahrhaft reuigen Sünder nicht verzeihe, das sei noch nie erhört worden. Auch trügen die Leute gewiß viel Schuld an seiner Verderbtheit und hätten ihn durch Spott und Hohn und Verfolgung aller Art von Kindsbeinen an dermaßen verbittert, daß er mit seinem Buckel alle Menschen für seine Feinde gehalten und darum stets Böses mit Bösem vergolten habe.

Darum sollten wir Kinder uns ja recht in acht nehmen und einem, der ein leibliches oder geistiges Gebresten habe, nur ja recht liebevoll entgegenkommen, auf daß er merke, daß man ihm wohlwolle und ihn sein Unglück nicht entgelten lasse.

Wir nahmen uns diese Worte sehr zu Herzen, und so wurde auch der Hennensepp, ein närrischer Bursche, der trotz seiner vierundzwanzig Jahre noch nicht einmal sagen konnte, wie viel Gott es gebe, bald unser bester Freund, mit dem wir manche Stunde Karten spielten, obschon er nur den Welli kannte und dennoch jedes Spiel gewinnen wollte, und der uns manche Stunde als gutmütig duldsames Pferd auf seinem Rücken über Wies und Feld trug und so für unsere kindlich mitleidige Zuneigung nach besten Kräften dankte.

Am Tage nach dem obenerwähnten Gespräche aber hatte ich – ich will auch diese Sünde gestehen – das Schulfieber. Es war eben im Bette so warm und in der Welt draußen so kalt und ich hatte, obschon ich stets in der ersten Bank sitzen durfte, eine schwere Aufgabe nicht zu lösen vermocht. Deswegen wollte es mich fast bedünken, als ob ich Kopfweh hätte, wozu sich auch noch ein teils natürlicher, teils künstlicher Husten gesellte.

Also durfte ich ausnahmsweise in der Kammer liegen bleiben und das Ministrieren konnte der Mesner besorgen und mit der schweren Aufgabe konnte sich der Herr Lehrer selber abquälen.

Das behagte mir auch bis gegen zehn Uhr des Vormittags ziemlich gut; dann aber wurde mir das Kranksein zu langweilig und ich wäre gar so gerne im Schnee herumgesprungen und hätte dem Schneemanne, den ich tagszuvor zu bilden begonnen hatte, gar so gerne die Kohlenaugen eingesetzt und ihm den alten Besen in die Hand gegeben, wenn ich nur die ernste Strafrede der Eva, die in der Stube wacker darauf loshaspelte, nicht gar so sehr gescheut hätte.

Also blieb ich seufzend liegen und mein Brüderlein leistete mir Gesellschaft und schlief endlich, des Häusleinbauens und der zwei- und dreibeinigen Holzschäflein müde, neben mir ein.

Da ging draußen die Stubentüre auf und die schnarrende Stimme eines älteren Mannes sagte gar fromm und demütiglich:

»Gelobt sei Jesus Christus, Eva!«

Augenblicklich fand ich, zu was meine großen Ohren gut seien; denn ich vernahm sogar, daß der fremde Mann in den Weihwasserkessel getupft und denselben an der Wand etwas gerückt hatte.

»In Ewigkeit, Adam, wenn's dir ernst ist!« erwiderte die Eva.

Jetzt war ich über die Persönlichkeit des Besuchers nimmer im Zweifel; denn Adam hieß in der ganzen Gegend nur der Buckel und also spitzte ich meine Ohren, daß sie wie die eines berühmten Professors bis an die Wand reichten.

Draußen wurde eine Schnupftabakdose aufgeklappt und der Buckel sagte:

»Magst eine Prise, Evele? Ich hab' einen guten ... einen geschwärzten!«

Die Eva schnupfte von Herzen gerne und lebte der festen Überzeugung, das Schwärzen oder Paschen, das der Buckel, wenn einmal Friede im Lande war, persönlich betrieb, sei zwar vor dem weltlichen Gesetze strafbar, wenn man sich erwischen lasse, vor dem Gewissen aber sei es keine Sünde. Sie pflegte sich in diesem Punkte sogar auf den Kaiser Josef zu berufen, der zum Papste gesagt hätte, Sünde solle es den Paschern nicht sein, aber wenn er sie kriege, dann heiße es gehörig blechen.

So sagte die Eva, die den billigen Schweizer Tabak nicht verachtete:

»Gib her eine!«

Nun wurde in der Stube tapfer geschnupft und dann hub der Buckel an, indem er sich die Hände rieb und nach jedem fünften oder sechsten Worte auf den Boden spuckte:

»So will ich's in Gottes heiligem Namen – pt – angehen und der heilige Antonius, der Ehepatron, wird mich nicht – pt – stecken lassen in meinem – pt – Anliegen!

Daß mein gutes, liebes Weib – pt – selig im Herrn verstorben ist, das weißt du ja, Evele, und daß meine zwei Kinder – pt – einer christlichen Zucht bedürfen und daß meine Felder und meine Kühe – pt – versorgt sein müssen und daß ich das alles – pt – nicht allein kann, das weißt du auch, Evele.

So muß ich halt in Gottes Namen wieder – weiben, und weil ich Adam heiße und du – pt – Eva, so tät halt auf der weiten Welt niemand besser zusammenpassen, als – pt – wir zwei.«

Da ließ die Eva den Haspel stehen und sagte gedehnt:

»Ja so, pfeift der Wind aus dem Loch? Ich hab' g'meint, du wollest Kapuzinerbrüderlein werden, und derweil gehst du gar aufs Heiraten aus, du alter Schragen!

Aber schwätz' weiter und sag' mir's, wenn du fertig bist, und mach' dir nichts draus, wenn ich weiter hasple; weißt, ich verdien' in zehn Minuten gerade einen Kreuzer, und da muß ich mich tummeln, wenn ich für alle die Mehlsuppe aufbringen will!«

Da knackten einige Finger, die der Buckel in die Länge gezogen hatte; dann fuhr er fort:

»Muß ich nicht – pt – muß ich nicht?! Es tät' mir liberaments alles zugrunde gehen, wenn ich nicht eine bekäm', die mir – pt – auf meine Sächlein schauen tät'! Also überleg' dir's nicht lang – pt – Evele, daß es einen Schick gibt! Wirst's gut bei mir haben, und meine zwei – pt – Buben, die werden dir schon wacker folgen, eben weil du mit – pt – Kindern umgehen kannst.«

»Ja,« erwiderte die Eva und ließ den Haspel mit einem Rucke halt machen, »was meinst, Adam, was soll ich denn mit den Kindern anfangen, die mir des Schneckennazis Katharina auf den Hals geladen und denen ich Mutter zu sein versprochen habe?«

Da bekam der Buckel einen recht lustigen Hustenanfall und er kicherte:

»Hi, hi, das ist sehr einfach, wenn du mich – pt – gern hast und – pt – eine Frau werden willst, die nimmer zu haspeln und mit der Kiste in die Fabrik zu laufen braucht! Mein Gott, der große Friedrich hat so wie so die Auszehrung und wird's wohl nimmer lang machen, und dann fällt sein Geldlein dorthin, wo's her ist, und was die kleinen Buben betrifft – pt, pt – da tät' ich halt – pt – abladen, abladen: im Armenhause ist allweil noch Platz genug.«

Mein lieber Gott, wie sich mir im Bette die Haare sträubten! Ich saß weit aufgerichtet und zitterte am ganzen Leibe, die Augen wollten aus ihren Höhlen und der Mund starrte weit geöffnet, der kalte Schweiß rann mir in schweren Tropfen von der Stirne und netzte mein Hemdlein: ich war das leibhaftige Entsetzen und, so gerne ich den Buckel erwürgt hätte, ich vermochte mich nicht zu rühren ob des unerhörten Vorschlages.

Es rührte sich aber, Gott sei Lob und Dank, jemand anderer, und das war die getreue Eva.

»So,« sagte sie langsam und beinahe tonlos, indem sie den ächzenden Haspel hob, um die Strähne abzunehmen, »so, jetzt bist, mir scheint, fertig und ich auch!«

Dann wurde ihre Stimme, wie das schon ihre Art war, wenn sie sich in die Hitze hineinredete, immer kräftiger und lauter und der Herr Adam erlebte ein regelrechtes Donnerwetter mit prasselndem Hagel und zündendem Blitzschlag.

»So,« fuhr die Eva fort, »jetzt ist's gut, daß du fertig bist, sonst tät'st mir am Ende noch alle drei Buben auf der Stelle umbringen, du ausbündiger Nichtsnutz!

Pfui, du scheinheiliger Heuchler, der du mit dem Namen Gottes im Munde und mit dem Teufel im Herzen diese Schwelle betrittst, um dir eine zweite Sklavin zu holen, die du abermals totschlagen kannst, wenn sie sich halbtot gerackert und geschunden hat! Pfui über dich, du herzloser Wicht, der diesen verlassenen Waisen die Mutter rauben und sie in sein Rabennest setzen will, auf daß ihr die jungen Raubvögel die Augen aushacken!

Ich hab' schon vielmals Mitleid mit dir gehabt und mir gedacht, du wärest vielleicht ein besserer Mensch 'worden, wenn du nicht das Unglück gehabt hättest hinter deinem Hals; wer aber so grundverderbt ist, wie du dich gezeigt hast, bei dem ist jedes Mitleid verschwendet, und Gott wird wissen, warum er dich gezeichnet hat, du alter, ränkesüchtiger, eigenliebiger, herzloser Winkelschreiber und Federfuchser!

Wir zwei sind fertig auf ewige Zeiten, und also kannst dich gleich umdrehen und schauen, daß du die Tür findest, sonst vergess' ich noch, daß ich ein Weib bin, und zeig' dir, was du für ein wackeres Werkmensch an mir finden kannst!«

Der Buckel war, während das wohlverdiente Unwetter auf ihn niederging, fortwährend wie einer, der den Regen abschütteln will, in der Stube auf und ab getrippelt und hatte noch mehr gespuckt denn zuvor.

Und wie die Eva auch fertig war, da fragte er mit heiserer Stimme:

»Ist das dein letztes Wort, sanftes Evele?«

»Mein allerletztes,« entgegnete die Eva kraftvoll, »so wahr mir Gott helfe!«

»Wer weiß, wer weiß?« sagte der Buckel, indem er höhnisch auflachte; »es hat schon mancher am Abend anders gesprochen als am Morgen, und es sind lang nicht alle – pt – ledig geblieben, die's Heiraten verschworen haben!

Na – pt – heute will ich dir nimmer länger im Weg umgehen, du – wilde Katz; aber das merk' dir: wenn sich der Buckel etwas vornimmt, so setzt er's auch durch, und geht's nicht im Namen Gottes, nun – pt – so geht's ins Teufels Namen!«

Damit schlug er die Türe hinter sich zu, daß das Häuslein wiederhallte und die Holzwände aus den Fugen fahren wollten; ich aber stürzte, wie ich war, aus der Kammer, warf mich in die Arme der Eva, weinte und schluchzte, daß sich ein Stein hätte erbarmen mögen, und bat und flehte, sie möge uns nicht verlassen und den bösen Mann nicht heiraten, der uns alle ins Armenhaus schicken wolle.

»Ja,« bekannte ich reumütig unter heißen Tränen, »ich weiß, daß der liebe Gott mich strafen will für meine Sünde, weil ich die Schule geschwänzt habe, und hat mir doch rein gar nichts gefehlt, und weil ich Euch angelogen habe, ich hätte Kopfweh; aber ich will es gewiß kein gotteinzigesmal mehr tun, wenn Ihr verzeiht und bei uns bleibt!«

So jammerte ich in der Trostlosigkeit meines Kinderherzens und weckte durch meine Klage das Brüderlein, und das kam auch herbei und weinte auch mit, obschon es nicht wußte, was uns für ein Leid widerfahren war.

Die gute Eva aber trocknete uns und sich selber die Augen, lächelte in ihre Tränen, strich uns die Haare glatt und sprach:

»Habt keinen Kummer, ihr zwei närrischen Kerle! Der Buckel bringt uns einmal nicht auseinander und wenn wir alle mitsammen betteln gehen müßten.«

J–a–edla!« sagte der tapfre kleine Lorenz, der in der schwierigen Kunst der Rede gute Fortschritte machte und sich nun gleich zum Betteln bereit erklärte.

Ich aber fragte bedenklich:

»Ja ... wenn er Euch aber umbringen will ...?«

»Ah was,« entgegnete die Eva lachend, während sie schon wieder die Fäden der Püppchen zu neuem Gewinde eifrig an den Haspel klebte, »dann werdet ihr mich halt wacker verteidigen, daß er sich nimmer hereintraut!«

Das gefiel uns nicht übel. Also suchte der Lorenz sein gutes Holzschwert, ich aber schlich, kaum daß ich mich halbwegs angezogen hatte, in die Küche, griff nach dem größten Messer in der Lade, eilte in den Holzschopf zum Schleifstein und schliff es furchtbar blank – und nun sollte er nur kommen, der böse Buckel!

Der Buckel begegnete aber noch am nämlichen Vormittage in der Pappelallee dem Friedrich, der, aus der Fabrik heimging und es gar eilig hatte, um die Erdäpfelsuppe noch warm genug zu bekommen und sie blasen zu können, was ihm alleweil großen Spaß machte, dieweil er hierbei tagtäglich den Witz vom Musikanten anbringen konnte, der nur dieses einzigen Instrumentes mächtig war.

Der gute, selige Friedrich war eben auch im Scherze genügsam!

Den nahm nun der Buckel beiseite, tat gar freundlich mit ihm und sagte:

»Du, jetzt muß ich dir etwas – pt – anvertrauen, weil ich weiß, daß du die Eva – pt – so gern hast.

Denk dir, dein Vormund und die Gerichtsherren – pt – sind zusammengekommen und haben beraten und haben's herausgebracht, daß dein – pt – Sach bald draufgehen tät', wenn alleweil fünf Leutlein dran zehren.«

Da tat der gute Bursche ein leises Pfeifen und meinte, das sei ihm ganz gleich, wenn seine Brüder und seine Basen mit ihm teilen täten, und wenn's fertig sei, habe er wenigstens keinen Kummer, es könnt's ihm irgend ein Schuft stehlen.

Der Buckel aber entgegnete:

»Freut mich wahrhaftig – pt – freut mich, daß du so an den Leutlein hängst; wird dir aber doch nichts nützen, eben weil die Herren dir dein Sächlein erhalten müssen und also eins geworden sind, dich von der Eva und den jungen Schnecken wegzunehmen ...«

Jetzt wurde der arme Bursche, der für sein Leben kein ander' Glück verlangte, als nur immer bei uns zu sein, bleich wie eine frisch getünchte Wand und von seinen Lippen entwich jegliches Blutströpflein zum geängstigten Herzen.

Fabrik und Kirchturm und die schneereichen Berge rings huben an, sich vor seinen Augen zu drehen, also daß er sich an eine Pappel lehnte, um nicht umsinken zu müssen.

»Jesus, Jesus,« stammelte er ratlos, »gibt's denn da gar kein ... Mittel ... dagegen?«

»Eines gäb's freilich,« sagte der Buckel und lächelte freundlich und schupfte die tiefere Achsel ein klein wenig in die Höhe; »aber das wird dir halt nicht gefallen! Das wär' nämlich, wenn du – pt – die Eva heiraten tätest! Dann wärest du auf einmal volljährig und kein Hahn dürft' darnach krähen, wo du dein Erbteil hintätest, und ob du's verlumpest oder ob du Weibergut machest, das geht dann keinen – pt – Menschen einen blauen Pfifferling an! Dann bist du der Herr im Hause, und wenn du zu deinen Verwandten noch ein Dutzend Handwerksburschen und neunundneunzig alte Waschweiber hineinnimmst, so hat sich niemand zu mucksen und du kannst deinem Vormund die Türe vor seiner Nase – pt – zuschlagen, ja – pt – das kannst du!«

Mein Gott, wer kann denn einem trüben Strome auf den Grund sehen?! Dazu gehören wohl gar gute Augen und die besaß der gute Friedrich schon gar nicht.

Also griff er begierig nach dem rettenden Strohhalm.

Vom Heiraten wußte er in seiner kindlichen Einfalt und Unschuld freilich nicht viel mehr, als der Maulwurf vom Fliegen oder der Winterschnee vom Schwitzen, und wenn von dem Dinge hie und da die Rede war, so gab er gewöhnlich die eines Weltweisen würdige Begriffserklärung zum besten:

Das Heiraten ist eine Dummheit!

Nun aber sollte ihn eine Heirat mit allen den Lieben untrennbar verbinden, die sein Herz ausfüllten, und also war er um eines solchen Preises willen augenblicklich bereit, die große Dummheit zu begehen.

»Ja,« sagte er, erleichtert aufatmend, wenn's weiter nichts ist, die Eva will ich wohl heiraten; aber ... wie muß man's angehen, Herr Adam, wenn man ... eine ... ums ... Heiraten ... angehen will?«

Während der letzten Worte war dem guten Freier das Blut dermaßen ins Gesicht geschossen, daß er sein Lebtag nie so rosig ausgesehen hatte, noch je wieder so aussah, wie dazumal.

Der edle Adam aber rieb sich vergnügt die Hände, stopfte sein Löschhorn mit dem schwarzen Schweizersamen voll und sagte:

»Hi, hi, hi, wer das Zeug dazu hat, braucht keine Hilfe; wer aber eines – pt – Rates bedarf, tut gut, wenn er tut, als wär' er selber draufgekommen, eben weil's eine Schande ist, wenn ein wackerer – Pt – Bursche erst noch fragen muß, wie er's sollt' – pt – angehen!

Na, weil's du bist, will ich dir sagen, wie man's anzugehen hat, wenn man – pt – weiben will.

Fürs erste wird einer, der auf – pt – Freiersfüßen einherzugehen gedenkt, allen Bekannten und Kameraden auf eine feine Art zu verstehen geben, daß er – pt – etwas Wichtiges vorhabe und daß er allsgemach anfange, des – pt – ledigen Standes überdrüssig zu werden. Wenn er noch hinzufügt, daß er seine Augen bereits auf eine geworfen habe, so macht das – pt – einen gar günstigen Eindruck, und wenn er gelegentlich einfließen läßt, daß er Weibergut zu machen, d. h. seinem künftigen Weibe all sein Hab und Gut bis auf den letzten Heller zu verschreiben vorhabe, dann hat er, kannst mir's glauben, bei ihr – pt – schon einen gewaltigen Stein im Brette, bevor er mit ihr nur ein – pt – Sterbenswörtlein über die Sache geredet hat.

Nun kann er mit dem – pt – Schöntun anheben.

Er wird also die Auserwählte recht freundlich grüßen, wenn sie zum Fenster herausguckt; er wird sie vor allen Leuten recht lange anschauen und dann ein wenig seufzen; er wird ihr ein Krämlein kaufen und jedem Mädel – pt – sagen, wem er's bringe, auf daß sie der Neid grün und gelb färbt; er wird die Haare oder die Augen oder die Wangen oder wenigstens den Rock der Geliebten loben und mit jedem – pt – Burschen Streit anheben, der seine Künftige nicht für wunderschön halten will.

So haben's die alten – pt – Ritter auch schon gemacht, wenn sie haben – pt – heiraten wollen.

Sehr gut ist's freilich, wenn einer seine Holde auf Weg und Steg begleiten und sie etwa gar einmal bei der – pt – Hand nehmen kann! Dann darf er's wohl gelegentlich versuchen und bescheidentlich anfragen, ob sie ihn mögen tät! Sagt sie ja, ist's gut, sagt sie nein, ist's noch besser – hast mich verstanden – pt – Friedrich?«

Der Friedrich hätte nun freilich gewaltig lügen müssen, hätte er behaupten wollen, des Buckels Rede sei eine frischgeputzte Spiegelscheibe. Da er aber als Freiersmann nicht für völlig dumm gelten wollte, tat er sein pfiffigstes Lächeln in sein Gesicht, blinzelte ein wenig und meinte, mit Ausnahme der letzten Worte sei ihm die Geschichte klar und er wolle sich unverzüglich ins Zeug legen.

Der Buckel sagte grinsend, in dem Punkte werde ihm schon noch ein Lichtlein aufgehen; die Wohltat eines Korbes vermöge nur der zu würdigen, der's – pt – erfahren habe.

Also gab sich der Friedrich zufrieden und ging das Ding gar eifrig an und betrachtete im Dahinschreiten seine Füße, die ja nun Freiersfüße waren, beinahe mit Ehrfurcht.

Anstatt das Häuslein seiner hungerigen Gewohnheit nach zu stürmen und sich hinter den Tisch zu drängen, blieb er solange im Schnee stehen und schaute solange in die Fenster, bis die Eva einen Flügel öffnete und ihm zurief, er solle keine Dummheiten machen, die Suppe sei allbereits kalt und bedürfe keines Musikanten mehr, der sie blase.

Da schwenkte er seine gestrickte Wollmütze und grüßte aufs beste; dann erst folgte er dem Gebote seines Magens und löffelte darauf los, als gälte es, sieben Drescher zu beschämen. Zwischen der Mehlsuppe und dem Maisbrei aber verstieg er sich zu der für uns völlig rätselhaften Behauptung, er habe vor, eine große Dummheit zu begehen, die uns allen von Vorteil sein und also gewissermaßen zugute kommen werde.

In der Fabrik sprach er sich seinen Mitarbeitern gegenüber schon deutlicher aus. Wie ihn ein Aufseher anfluchte, entgegnete er kecklich, er sei nunmehr des ledigen Standes überdrüssig, und habe er einmal ein Weib, so pfeife er auf die ganze Fabrik samt ihren rasselnden Maschinen und ihren groben Spinnmeistern. Zu einer alten, eisgrauen Weberin, die er sonst gut leiden mochte, sagte er ohne jede Veranlassung, so schöne Haare wie die Eva habe sie doch nicht, und den Fabriköler, der es mit dem Bäslein Nanne bereits in Richtigkeit gebracht hatte und im Frühjahre Hochzeit halten wollte, fragte er trocken, ob er bereits Weibergut gemacht habe. Hätte er sich nicht geschwind geduckt, so wäre die Antwort eine Ohrfeige gewesen; denn der Zukunftsvetter besaß zwar ein paar kräftige Arme aber keinen Heller Barvermögen und mußte also in der sonderbaren Frage eitel Spott und Hohn erblicken.

Der Friedrich ließ sich jedoch durch eine Versuchsohrfeige von seinem ersten Vorhaben nicht abhalten.

In den folgenden Tagen brachte er der Eva wiederholt einen Eierzopf oder einen Schild, der aus vier weißen Brötlein bestand, aus Bergdorf mit, und als wir am Lichtmeßtage gemeinsam in die Kirche eines benachbarten Frauenklosters gingen und die Schwestern uns kleine Kinder traulich an der Hand führten, da wollte das große Kind von der Eva auch ein wenig geführt werden und ließ nicht nach, zu bitten und zu betteln, bis die Eva dem »Närrisch« nachgab und ihm auf etliche fünfzig Schritte das kleine Fingerlein ihrer Linken zum Einhäckeln reichte.

Und nun hielt der gute, ängstliche Bursche seine Zeit für gekommen und es für angemessen, sich seines Lebensglückes möglichst bald zu versichern und den Bestrebungen des gefürchteten Vormundes früh genug entgegen zu arbeiten. Er senkte also sein lockiges Haupt und seufzte tief auf, und wie sich die Eva teilnehmend nach seinem Weh erkundigte, meinte er, es quäle ihn schon lange die Besorgnis, daß die Eva ihn am Ende nicht mögen täte.

»Was dir doch für närrisches Zeug einfällt!« rief die Eva lachend. »Warum soll ich dich denn nicht mögen? Bist ja fleißig und sparsam und gut mit uns allen. Kränkt's dich vielleicht, daß du uns fremder bist und zu dem Buben da nur der Stiefbruder? Das braucht dich nicht zu kränken; denn für mich seid ihr alle gleich und ich wüßt' wahrhaftig gar nicht zu sagen, wen ich lieber oder weniger lieb hab'.«

»Na also,« sagte der Friedrich, »wenn die Sachen so stehen, dann könnten wir ja gleich zum Pfarrer gehen und uns verkünden lassen, und ich mach' dann Weibergut und schreib' dir alles zu, Raub und Staub vom Kamin bis zum Keller, und wenn dann der Vormund kommt und will mich von euch fortreißen, ei, so schlag' ich ihm die Türe vor der Nase zu, daß es nur so kracht!«

Also brachte der Friedrich seinen Heiratsantrag in wohlgesetzten Worten vor und ich bedauere lebhaft, daß ich damals die ganze Lage der Dinge zu wenig erfaßt und also auch zu wenig beobachtet habe, wie sich die Überraschung im Antlitze der viel umworbenen Eva spiegelte.

Sie wurde aber nicht zur Salzsäule; denn dazu war sie zu lebhaft veranlagt, und nur das Ungeheuerlichste, wie sie's wohl noch erleben mußte, wäre imstande gewesen, sie für einige Zeit der Sprache und der Bewegung zu berauben.

Also ertönte bald ihr gutmütig versöhnliches Lachen. Sie warf den Arm des Bruders mit einem Rucke von sich und sagte:

»Jetzt nimmt's mich nur um des Himmels willen wunder, ob du Komödie spielst oder ob dir am Ende wirklich ernst ist! Willst einen Spaß machen, so mach' einen andern und wähl' dazu den Fastnachtsdienstag, wo so wie so die meisten Leute närrisch sind; ist's dir aber wirklich ernst, so müßt' ich freilich aus einem andern Ton mit dir reden. Ich hab' versprochen, deine Mutter zu sein und will sie auch bleiben, und also kann's nie einen Schick mit uns geben, und pudelnärrisch wär's ohnedies, wenn ein so junger Bursche, der noch nicht volljährig ist, ein so altes Weibsbild heiraten tät'.«

»Ja,« sagte der Friedrich kleinlaut, »das hab' ich auch gedacht, es sei eine große Dummheit; aber ich hab' mir halt nicht anders zu helfen gewußt, weil mich das Gericht von euch wegreißen will.«

»Schau,« erwiderte die Eva tröstend und reichte ihm voll des innigsten Mitleides die Hand, »da hat dich halt ein boshafter Mensch für'n Narren gehalten, du ängstlicher Bue! Hab nur keinen Kummer; denn das Gericht hat andere Sachen zu tun, als uns auseinander zu reißen, und der Vormund hat ja selber gesagt, wenn wir so weiter hausen, so könne man uns ja beieinander lassen! Darum schlag' dir die Grillen und die Dummheiten aus dem Sinn und bleib' mein braver, guter Sohn wie bisher!

Und jetzt sind wir ja schon bei der Kirche. Da wollen wir hineingehen und recht andächtig beten, auf daß der liebe Gott die Kümmernis von deinem Herzen nimmt, und du mußt mir versprechen, nie wieder von der großen Dummheit zu reden!«

Wie gerne versprach das der getröstete Bruder! So schwerfällig er auch war in seinem Denken, in seinem Innersten ahnte er es doch, daß er keines Weibes, wohl aber einer treuliebenden Mutter bedürfe, und die hatte er ja an der Eva!

Wenn wir nur beisammen bleiben durften!


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