Christoph Martin Wieland
Clelia und Sinibald
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Buch.

              Der Dämon, der in tausend Truggestalten
Muthwillen treibt mit Jungen und mit Alten;
Bald wie ein lächelnd Kind um Hebe's Busen spielt,
Bald fröhlich-wild, gleich einem rohen Knaben,
Den Bogen spannt und gar nach Göttern zielt;
Bald zahm und schmeichelhaft durch tausendart'ge Gaben
Zum Zeitvertreiber sich der schönen Welt empfiehlt,
Doch, eh sie sich's zu ihm versehen haben,
Hier einen Kuß und dort ein Herzchen stiehlt:
Mit einem Wort, der Schalk, den die Poeten
(Ein leichtes Volk!) so reizend, schön und hold,
Mit Rosen um die Stirn' und Flügelchen von Gold
Uns vorzumalen nicht erröthen;
Wiewohl ein Ehrenmann, der ihn bei Lampenlicht
In puris putis einst gesehenEin Ehrenmann, der ihn bei Lampenlicht u. s. w. – S. das erste Capitel von Le Sage's hinkendem Teufel. W.,
Aus seinem eignen Mund' ein Andres von ihm spricht;
Kurz – mit dem Wort' einmal heraus zu gehen,
Asmodi, der nicht leichtlich unterläßt
Zur Mettenzeit in Kirchen und Capellen
Auf gutes Glück sich heimlich einzustellen, 177
War seinem Brauch' auch am Kathrinenfest
Nicht ohne Vorsatz treu geblieben,
Ein Stückchen seiner Kunst im Dunkeln auszuüben.
Ob unsre Heil'ge (mit ihrem Ehrentag
Bemüht genug) ihn hinterm goldnen Schilde
Von einem Sanct-Georgen-Bilde
(Wo er auf Unheil lauernd lag)
Nicht wahrnahm oder ihn mit Wissen
Geduldet, weil die Bösen doch zuletzt
Durch jene Mittel selbst das Gute fördern müssen,
Wodurch sie sich's zu hindern vorgesetzt,
Dieß sey dahin gestellt! Genug, der Dämon laurte
In seinem Hinterhalt, solang die Mette daurte;
Und daß er dort nicht ungeschäftig war,
Macht, was nun folgen wird, uns deutlich offenbar.

Nah an Rosinens Stuhl und schier in gleicher Weite
Von Sanct Kathrinens Hochaltar
Stellt' an der Wand sich noch ein Betstuhl dar,
Wo (einem alten Molch, der sie bewacht, zur Seite)
Ein andres schönes Kind, nach Art der Geister zwar
Von Menschen ungesehn, doch gegenwärtig war.
Der Betstuhl, vorn mit goldnem Laub vergittert,
War ganz aus festem Holz gezimmert und geschnitzt,
So daß der matte Schein, der durch das Laubwerk zittert,
Die Schöne, die dahinter sitzt,
Um ihren Rosenkranz mit schwerem Muth zu käuen,
Vor aller Möglichkeit beschützt,
Durch ihre Augen – sich und Andre zu zerstreuen. 178
Weil dieses Fräulein (zwar ganz ohne ihre Schuld)
Zum Knoten unsers Stücks nicht wenig beigetragen,
So bitten wir den Leser um Geduld,
Ihm, eh wir weiter gehn, ein Wort von ihr zu sagen.

Sie wurde Clelia von Montapert genannt,
War reich, von gutem Haus', in ihren schönsten Tagen
Und mit Rosinen nah verwandt:
Und, weil nur eine Wand die beiden Häuser trennte,
(Die ehmals zu des Ahnherrn Zeit
Ein einzigs ausgemacht) und dieß Gelegenheit
Den beiden jungen Fräulein gönnte,
Durch einen Kammerladen sich
Im Haushabit vertraut und nachbarlich
Zu sehn und oft, bis sie vor Kälte schaudern,
Die halbe Nacht im Mondschein zu verplaudern;
So waren sie, beinah von Kindheit an,
Mit aller Sympathie von leiblichen Geschwistern
(Nach junger Mädchen Art) einander zugethan
Und hatten, ob sie gleich sich alle Tage sahn,
Viel Angelegnes stets einander zuzuflüstern.
Was sonst bei Mädchen pflegt die Freundschaft zu verdüstern,
Erobrungssucht und Nebenbuhlerei,
Ließ ihre Seelen noch von Neid und Argwohn frei;
In zweien Busen schien ein einzig Herz zu wallen,
Und jede, unbelehrt, wie schön sie selber sey,
In ihrer Freundin nur sich selber zu gefallen.

Zu dieser Sympathie kam noch die Aehnlichkeit
In ihrer äußerlichen Lage; 179
Denn beide drückt der Jugend größte Plage,
Gezwungne Abgeschiedenheit.
Die Kirche ist (Dank sey der Wachsamkeit
Und strengen Zucht, worunter beide stehen!)
Der einz'ge Ort,
Wo sie Gesellschaft sehen;
Und, wenn ihr guter Engel dort
Nichts zu vermitteln weiß, bleibt für die armen Dinger
Kein andrer Trost in ihrem Waisenstand',
Als Clelien die überkalchte Hand
Von einem Vormund, der die langen dürren Finger
Sechs Jahre schon nach ihrem Golde krümmt,
Und, wenn die Tante Abschied nimmt,
Rosinen der Prospect – in einen JungfernzwingerJungfernzwinger – Nonnenkloster..

Das sanfte Mädchen schien in stiller Zuversicht
Ihr Los dem Himmel heimzustellen:
Allein so leidsam war die feur'ge Freundin nicht;
Und ihren Leib, den Reiz und Jugend schwellen,
Zu einem Leichnam zu gesellen,
Der nur noch als Gespenst um seine Kisten klirrt,
Ist eine Möglichkeit, wovon ihr übel wird.
Was wollte sie nicht lieber untergehen,
Als lebenslang zu Podagra und Gicht
Und Eifersucht sich eingescharrt zu sehen! –
Doch, leider! zeigt sich ihr bisher kein Ausweg nicht;
So wachsam weiß die anvertraute Pflicht
Pantaleon, ihr Vormund, zu verwalten,
Die Rose, die bereits durch ihre Knospe bricht, 180
Zu hüten, daß sie im Entfalten
Kein böser Hauch versengt, kein Kanker sticht,
Um – für sich selbst sie zu behalten.
Daß ganz Palerm von ihr als einem Räthsel spricht,
Ist für den schadenfrohen Alten
Ein täglicher Triumph. Sogar, wenn sie bei Licht
Zur Kirche geht, verhüllt die schönste der Gestalten
Ein weites Regentuch in Dürerische Falten,
Und eine Maske deckt ihr reizendes Gesicht.
Allein auch dieser traut der alte Sünder nicht.
Kein Schleier, pflegt er oft zu sagen, ist so dicht,
Durch den nicht, trotz der giftigsten Tarantel,
Der freche Blick der Pflastertreter sticht.
Drum schleicht er selbst in seinem rothen Mantel
Ihr auf der Ferse nach, macht selbst des Betstuhls Thür'
Ihr auf, guckt rings herum und riegelt hinter ihr
Sie wieder zu, dreht dann mit knot'gen Händen
Sein Paternoster um und murmelt, ohne doch
Von Clelien ein Auge zu verwenden.

Natürlich ist's, wenn unter solchem Joch'
Ein Mädchen müde wird, mit Kügelchen zu spielen,
Und ihren Hals verlängt, um irgend durch ein Loch
Des Gitterwerks hinaus zu schielen,
Und wär' es nur – am heiligen Sanct Roch,
Der gegenüber steht, sich etwas abzukühlen.

Der Alte, (wie es öfters geht,
Wenn uns zwei Leidenschaften theilen)
Just im Begriff', auf einem Rechenbrett' 181
In seinem Kopf' ein Plänchen auszufeilen,
Womit ein ehrliches pro Cent zu haschen steht,
Gibt, während er es noch um anderthalb erhöht,
Dem Fräulein Zeit, am Gitter zu verweilen.
Doch, da ihr Hals sich gar zu merklich dreht,
Wird er's zuletzt gewahr, zieht sie beim Arme zurücke
Und winkt ihr, daß sich das nicht schicke,
Mit ernsten Runzeln zu: allein er kam zu spät.
Ihr Herz war weg, weg mit dem ersten Blicke.
Der Teufel-Amor mit der Krücke,
Der hinter Sanct Georgens Schild
Von böser Lust wie eine Kröte schwillt,
Hat zwischen ihr und Guido's braunen Wangen
Und schwarzem Aug', wo Lieb' und Trotz sich mischt,
Ein unsichtbares Netz, gleich jenem, aufgehangen,
Worin Vulcan einst seine Frau gefischt,
Und auf den ersten Zug ihr zappelnd Herz gefangen.
Denn Guido, (der ganz schuldlos linker Hand
Vom Hochaltar' an Sinibalden stand)
Den schönen Guido sehn und plötzlich sich entzünden,
Und Alles das für ihn noch feuriger empfinden,
Was ihre Nachbarin für Sinibald empfand,
War nur das Werk von einem Augenblicke;
Wiewohl sein freier Blick, der hin und wieder irrt,
Durchs bloße Ungefähr zu ihr geleitet wird
Und, weil der ihrige sein Auge nicht erreichet,
Nichts weiß von seinem Sieg' und arglos weiter schleichet.

Der Liebe ist vor manchem andern Gift 182
Die sonderbare Tugend eigen,
Daß, jenachdem sie einen Körper trifft,
Sich ihre Wirkungen ganz widersprechend zeigen.
Sie gleicht hierin der Tonkunst und dem Wein:
Dem Frohen gießt sie Lust, dem Traur'gen Schwermuth ein;
Stärkt dem Beherzten Mark und Bein,
Schlägt den Verzagten vollends nieder;
Für jenen lauter Sonnenschein
Und Lebenslust, die ihm durch alle Glieder
Die leichten Geister tanzen macht;
Für diesen eine Mitternacht,
Durch deren dicken Flor kein freundlich Sternchen glimmert,
Wo ihm sogar das zweifelhafte Licht
Des bleichen Monds ein trostlos Grau verkümmert,
Und, wenn noch ja ein Laut die todte Stille bricht,
Der West im Laube seufzt, die Felsenquelle wimmert.
Dem Feigen wird das kleinste Hinderniß
Zum Berg': er steht bestürzt und ungewiß
Vor jedem selbstgemachten Zweifel,
Und Amor ist für ihn ein wahrer Teufel;
Da er im Gegentheil dem Tapfern allezeit
Ein guter Dämon ist, ihm Witz, Entschlossenheit
Und Stärke gibt, das Aergste zu ertragen;
Und, weil er in den schweren Lagen
Sich und die Hoffnung nie verliert
Und immer fertig ist, das Aeußerste zu wagen,
Am Ende doch, wie weit der Sturm ihn auch verschlagen,
Ihn glücklich in den Hafen führt. 183

Das Wort des Räthsels, liebe Leute,
Ist – unter uns – (doch, sagt es nicht zu laut,
Damit die böse Welt es nicht zum Argen deute)
Der Dämon steckt in unsrer eignen Haut.
Du selber bist dein Teufel oder Engel:
Und Oberon sogar, mit seinem Lilienstängel
Und seinem Horn, (das sonst sehr wohl zu brauchen ist)
Hilft dir zu nichts, wenn du kein Hüon bist.

Die schöne Clelia war eine von den Seelen
Der phosphorischen Art, die lauter Flamme sind,
Wie Amor sie berührt; die, überhaupt, im Wählen
Und im Beschließen sehr geschwind,
Mehr durch zu viel als durch zu wenig fehlen
Und zwischen einem Wunsch, worauf ihr Herz besteht,
Und dem Moment, worin er in Erfüllung geht,
Minuten gern für Tage zählen.
Indeß entschuldigt sie vielleicht
Die traurige Clausur, worin bei ihrem Alten
Ihr Frühling unbenutzt verstreicht,
Und die Gefahr, als Jungfer zu veralten,
(Was ihr das schrecklichste von allen Uebeln däucht)
Zumal da der Susannenbruder,
Vor dessen Athem ihr nicht minder als vor Pest
Und Aussatz graut, sie täglich stärker preßt.
Was Wunder, wenn ein Schiffchen ohne Ruder
Dem ersten Winde sich auf Willkür überläßt?
Allein, daß just am Sanct Kathrinenfest'
Ein Unbekannter in der Mette 184
Ihr gegenüber stehn und auf den ersten Schuss'
Ihr unbesorgtes Herz so tief verwunden muß!
»Ist's nicht, gesteh mir's frei, Laurette,
(Spricht sie zu ihrer Magd) als ob ein Genius
Die Sache recht mit Fleiß so eingefädelt hätte?«

Laurette, die ein gutes Mädchen war,
Fand nichts dagegen einzuwenden;
Bei ihr war Clelia in sehr gefäll'gen Händen;
Sie glich in diesem Stück Frau Claren auf ein Haar.
Die Schwierigkeit ist bloß, den Junker zu erfragen,
Den Clelia von Kopf zu Fuß ihr zwar
Zum Sprechen malt und, wie er sich getragen,
Vom Absatz bis zum ausgezackten Kragen
Genau beschreibt, nur, leider! wie der Mann
Sich nennt, und wer er ist, ihr nicht berichten kann.
Doch Laure ist (zum Glück) gewandt und wohl beschlagen;
Und was geläng' auch einem Mädchen nicht,
Das Dienste dieser Art als seine Pflicht betrachtet,
Sich selbst davon viel Zeitvertreib verspricht
Und lange schon nach einem Handel schmachtet,
Der ihre Gaben weckt und ihre Tugend übt,
Wobei es immer was zu haspeln und zu spinnen,
Ins Ohr zu flüstern, auszusinnen,
Zu theidigenTheidigen – Unterreden, vor Gericht stellen, woher noch vertheidigen. und abzureden gibt?

Erwünschter konnte nichts dem guten Mädchen kommen;
Und kurz, vermittelst Ort und Zeit, Gestalt
Und Kleidung, wird, nach vieler Müh', entnommen,
Der Mann sey Guido von Ripalt; 185
Ein Ritter von der fröhlichen Gestalt,
Der – statt in blanken Stahl von Fuß auf sich zu kleiden
Und ohne Noth mit Mohren und mit Heiden
Sich zu entzwein, auf Abenteur zu gehn
Und wilde Hünen zu bestehn
Und blöde Jungfraun zu beschirmen –
Sich in der Kunst, die letztern zu bestürmen,
Den schönen GalaorGalaor – Der Bruder des Amadis von Gallien. zum Muster ausersehn.
Laurette hört gefährlich von ihm sprechen.
Ihm, heißt es, ist's ein Spiel, ein zartes Herz zu brechen;
Sein unplaton'scher Sinn sucht nichts als Zeitvertreib
Und liebt an schönen Seelen bloß den Leib.

»Und keine wagt es, an dem Frechen
Die Lieb' und ihr Geschlecht und beider Ruhm zu rächen?«
Die tapfre Clelia in unbesorgter Ruh
Für eigne Sicherheit, traut diesen Sieg sich zu;
Sie brennt vor Ungeduld, sein Herz bald aufzumahnen,
Und Laure schickt sich an, den Weg dazu zu bahnen. 186

 


 


 << zurück weiter >>