Christoph Martin Wieland
Moralische Briefe
Christoph Martin Wieland

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Dritter Brief.

Est inter Tanaim quidquam socerumque Viselli,
Est modus in rebus, sunt certi denique fines,
Quos ultra citraque nequit consistere rectum.
Horat. Sermon. I. Libr. I.
                Umsonst betäubt Chrysipp mit Gründen unser Ohr,
Malt uns den Weisen ab, und schreibt Gesetze vor,
Nach denen unser Herz alsdann erst sich wird regen,
Wenn, stillen Monden gleich, Kometen sich bewegen.
Den Unempfindlichen, der keine Thränen kennt,
Der von der Weisheit sich nie einen Schritt getrennt,
Den nie die Reu' gefärbt, den keine Schönheit rühret,
Dem beider Indien Schatz nicht einen Wunsch entführet,
Der in PerillusSo hieß der Athenische Künstler, der dem Tyrannen Phalaris den bekannten ehernen Ochsen gemacht haben soll, in welchem die durch untergeschürte Glut gemarterten Personen wie Ochsen brüllten. Es ist ein bekannter Stoischer Lehrsatz, daß der Weise auch in Phalaris Ochsen selig sey. Kuh sich so zufrieden fühlt,
Als wenn ein Abendwind um seine Wangen spielt,
Den Mann sey unbemüht bei Menschen zu erfragen;
Die Welt, die er bewohnt, mag dir ein Huygen sagen.Christian Huygens, dieser berühmte holländische Mathematiker, Physiker und Astronom des 17ten Jahrhunderts, äußerte in seinem Kosmotheoros oder Weltbeschauer mancherlei zum Theil kühne Vermuthungen über die Einrichtung anderer Weltkörper, die Beschaffenheit ihrer Bewohner u. s. w.

Der, Freundin, kennt uns nicht, der ein empfindlich Herz 162
Gefühllos halten will; mit Recht ist uns der Schmerz
Verhaßt, die Lust beliebt; wir leben durch Begierden,
Und wären wir beglückt, wenn sie uns fehlen würden?

Sieh einen Zeno an, der sich aus Weisheit plagt,
Der Menschen Umgang flieht und aller Lust entsagt;
›War er, mit aller Müh' zum Stein sich abzuhärten,
›Vielleicht zufriedner als in seinen stillen Gärten
›Der Freund Leontions,Epikur. der bloß im Ruhestand
›Der Selbstgenügsamkeit der Güter höchstes fand?‹
Ist nicht der Feind der Lust zuletzt dem Schmerz erlegen?Anspielung auf die Sage, daß Zeno, da er in einem hohen Alter einen seiner Finger gebrochen, sich auf der Stelle erhängt habe.
Wer stieß in Catons Brust den falschberühmten Degen?
Der Stolz, derselbe Stolz, der ihm die Menschheit raubt,
Doch nicht zum Gott ihn macht. Wenn er nach Rache schnaubt,
Voll Wuth den Göttern flucht, die seinen Feind erheben,
Und, seiner Hoheit Fall ja nicht zu überleben,
Von eignen Händen stirbt, wo bleibet da der Held?
Er blendet uns im Glück; es weicht, und Cato fällt.
Wer sich bestrebt sein Herz affectenlos zu machen,
Wird oft zum Menschenfeind. Wenn andre um ihn lachen,
Spielt er den Heraklit, und machte Gottes Welt
Uns gern zum Jammerthal, bloß weil sie uns gefällt;
Er kennt kein Mitgefühl; wenn wir zu froh ihm scheinen,
Schilt er an uns die Lust, und zürnet, wenn wir weinen.
Flieh, Timon, unsre Welt schließt lauter Menschen ein;
Bei Eulen möchtest du vielleicht ein Weiser seyn!

Doch wie? soll ich mein Herz durch stete Lust verwöhnen,
Und ,Wollustsklaven gleich, nur den Begierden fröhnen?
Kein Mänius zu seyn, werd' ich ein Nomentan?Quid mi igitur suades? ut vivam Maenius? aut sic ut Nomentanus? Horat. – Mänius steht als Filz dem Verschwender Nomentan entgegen.
Nein! zwischen beiden zeigt die Weisheit eine Bahn.
›Dem Trieb ist die Vernunft zum Mentor zugegeben,
›Ihn recht zu leiten, ist die wahre Kunst zu leben.‹ 163

Nicht der Begierden Tod, den ihnen Zeno dräut,
Nur ihre Mäßigung macht die Zufriedenheit.
Sie sind den Winden gleich: wenn die auf sanften Schwingen,
Von Blüthen duftend, uns den jungen Frühling bringen;
Wenn sich auf ihren Hauch des Blutes Wallung legt,
Der Wangen Glut entfärbt, das Herz gelinder schlägt,
So sind sie angenehm; dann säugen sie die Kräuter,
Dann wird die blaue See mit ihrem Himmel heiter,
Dann schnaubt das muntre Reh, dann legt die Schäferin
Sich am zufriednen Bach auf weiche Blumen hin,
Und athmet dich, o West! Doch wenn vom schwülen Süden
Der Stürme wildes Heer im Streiten sich ermüden,
Die Luft, dem Meere gleich, auf Wolken Wolken wälzt,
Der Alpen Gipfel dampft, das Erz der Berge schmelzt:
Dann schreckt des Windes Grimm, bestürzt entfliehn die Heerden,
Die Eich' entwurzelt sich aus der gleich alten Erden,
Der Himmel stürzt herab, das feste Land wird Fluth,
Und alles unterliegt der Elemente Wuth.

Die friedsame Begier, die sanft die Brust erhebet,
Und gleich dem Frühlingswest das heitre Herz belebet,
Die Lust, an der der Geist sein Antheil nicht verliert,
Hat edle Seelen stets, und ohne Reu' gerührt.
So fühlt dein schönes Herz, in jenen Augenblicken,
Wenn unsre Lippen sich, o Freundin, zärtlich drücken,
Wenn Freud' und Seelenruh' in deinen Augen glüht,
Und, süßer Thränen voll, dein Blick gen Himmel sieht:
Wie schön wird durch Vernunft die Leidenschaft gemildert!
So hat uns Xenophon die Panthea geschildert.

Die Stimme der Begier, die Fähigkeit zur Lust,
Ist in der Thoren Herz wie in der Weisen Brust. 164
Im Gegenstand allein ist's, wo sich beide scheiden.
Der sucht in Glück und Zeit, umsonst, den Quell der Freuden,
Und jener klügre wählt ein Gut, das nie vergeht,
Und dessen Schönheit stets sich im Genuß erhöht.

Das Gut, wornach aus Wahn die Thoren sich bemühen,
Ergreift das ganze Herz, und macht die Triebe glühen;
Je mehr man sie ernährt, je stärker wird der Brand,
Je herrschender das Thier, je schwächer der Verstand.
Grundlosen Strudeln gleich, die Meere nicht erfüllen,
Macht der Genuß sie arm, und weiß sie nicht zu stillen.
Gib dem Eroberer der sieben Hügel Macht,
Schließt er wohl Janus Thor?Macht der sieben Hügel, d. i. Roms, denn diese Stadt war auf sieben Hügel erbaut. – Schließt er Janus Thor? d. i. wird er den Krieg wohl einstellen? Der Tempel des Janus war nur im Kriege offen, und im Frieden verschlossen. – Potosi's Schacht. Der Berg Potosi bei der gleichnamigen Stadt in Peru lieferte den Spaniern im ersten Jahrhundert nach Entdeckung seiner Minen jährlich über 4 Millionen Piaster. – Der Schatz Amphitritens, der Meeresgöttin, Gemahlin Neptuns, besteht hauptsächlich in Perlen. Du magst Potosi's Schacht
Und Amphitritens Schatz dem alten Harpax schenken,
Noch wird er auf ein Schiff, den Mond zu plündern, denken.
Hat den Tiberius dein Amt, Cäson,Novum instituit officium a voluptatibus, praeposito equite Romano, T. Caesonio Prisco. — Sueton. in Tiberio. Tiberius hatte ihn also im Sold, um neue Arten von Wollüsten zu erfinden. vergnügt?
Und hätte Philipps Sohn wohl jemals ausgesiegt?

Viel anders wirkt das Gut, das sich der Weise wählet!
Er wird nicht im Genuß von stärkerm Durst gequälet;
Es läutert sich sein Herz selbst im Genuß der Lust,
Und er verliert nie ganz beim bittersten Verlust.
Er adelt jeden Wunsch, der seiner Brust entfähret,
Und nur die Tugend zeugt die Lust, die er begehret.
Er kennt der Güter Werth, der Dinge wahren Brauch,
Die Schätze der Natur, und er genießt sie auch.
Wohin sein Blick sich kehrt, strömt Wollust ihm entgegen,
Ihm triefet jeder Tritt von seines Schöpfers Segen;
Kein innerlicher Feind macht in der Freude Schooß,
Ihn zu vergönnter Lust verstockt und sinnenlos.
Des Himmels holdes Blau, der Athem sanfter Winde,
Des Frühlings Malerei, der Schatten tiefer Gründe, 165
Ist seinem Sinn genug, indem der bess're Geist,
Erhabner Bilder voll, den Schöpfer sieht und preis't;
Was schön ist, ist's für ihn; sein Auge zu ergötzen,
Entladet Indien sich von seinen reichsten Schätzen:
Zwar nennt er sie nicht sein, doch strahlen sie für ihn
An Celimenens Hals. Die größte Königin
Besitzt nicht mehr vom Schmuck, der ihre Stirn umblitzet,
Als der, der sie beschaut. Nur wer die Güter nützet,
Besitzt sie in der That. So lehret AddisonS. die 49ste Abhandlung im II. Theil des Guardians. – Der Bettler Irus ist aus der Odyssee bekannt; Harpagon, Geizhals.
Den Irus reicher seyn als jeder Harpagon.
Der Preis, den wir dem Glanz gefärbter Steine setzen,
Beweis't er nicht, daß wir nach Wahn die Dinge schätzen?
Wie manche Blume seufzt von unserm Fuß erdrückt,
Die jedem Edelstein der Farben Preis entrückt?
Die Wunder der Natur, der Muscheln bunte Schalen,
Läßt man am öden Sand dem frommen LesserLesser gehört zu den Physiko-Theologen des 17ten Jahrhunderts, und suchte in seiner Testaceo-Theologie die Weisheit und Größe Gottes aus den Muscheln zu beweisen, wie andre aus anderen Naturerzeugnissen und Erscheinungen. strahlen.

Des Weisen Urtheil fälscht des Pöbels Irrthum nicht;
Kein schimmernd Vorurtheil gibt seiner Wahl Gewicht.
Ihn rührt die Reizung kaum, der andre unterliegen,
Er prüft und nutzt allein das irdische Vergnügen.
Nur der sie sparsam braucht, empfindet, unbereut,
Das Allersüßeste der Lust der Sinnlichkeit.
Wenn der ermüd'te Geist in ungewohnten Höhen
Sich nicht mehr halten kann, wo sich in Ur-Ideen
Der Weise Platons senkt, dann stärkt die Leidenschaft
Mit wohlgewählter Lust die nachgelass'ne Kraft.
Dem Zug, den jeder fühlt zur strahlenreichen Ehre,
Folgt auch des Weisen Herz. Zwar würgt er keine Heere
Um einen Lorbeerkranz, und um der Hoheit Schein
Verlangt er nicht der Sklav' von LamienLamia, eine Flötenspielerin, besaß noch in ihrem Alter Reize genug, um sich bei Demetrius Polyorketes in außerordentlicher Gunst zu erhalten. Plutarch in dessen Leben. zu seyn;
Auch mehrt er nicht die Zahl der fruchtbaren Scribenten, 166
Mit deren Schriften wir sie selbst verbrennen könnten.
Der Ehre höchster Grad, den wenige erreicht,
Ist ihm, wenn immer mehr sein Geist dem Urbild gleicht,
Wenn Tugend und Vernunft, was er beginnet, treiben,
Und er das üben kann, was Posidone schreiben.Posidonius aus Apamea in Syrien, ein Anhänger der Stoa, legte zu Rhodus eine Schule der Philosophie an, wo unter andern auch Pompejus und Cicero ihn hörten, von denen beiden er sehr hoch geachtet wurde. Sein Moralsystem hatte nicht ganz die Strenge des stoischen; doch wollte er den Schmerz für kein Uebel gelten lassen, und blieb sich darin auch während einer schmerzlichen Krankheit treu. 167

 


 


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