Christoph Martin Wieland
Moralische Briefe
Christoph Martin Wieland

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Vierter Brief.

La Providence est juste, en accordant aux sots
Des postes dignes d'eux, pour vieillir en repos
Les maux doivent tomber sur celui qui professe
De nourrir dans son cœur l'amour de la sagesse.
Epitres Diverses.
              Er, dessen diese Welt so wenig würdig ist,
Den ein vergold'ter Narr oft kaum durch Winke grüßt,
An welchen wenige ihn nur zu kennen reichen,
Der, Freundin, so wie du, nicht findet die ihm gleichen;
Wie hat der Weise sich auf eine Welt verirrt,
›Wo er kaum noch im Bild' erkannt von Kennern wird?‹
Wo der die Welt nicht kennt, sein Glück nicht weiß zu machen,
Und werth gehalten wird, daß Kinder ihn verlachen,
Wer die verwachs'ne Spur der alten Tugend sucht;
Den sein demantner Fleiß und mancher Nächte Frucht
Zwar nicht die Kunst gelehrt, sich reich und groß zu rennen,
Doch, ohne Glück vergnügt, Gott, Welt und sich zu kennen.
Wie hat der Schöpfung Herr, der nach der besten Wahl
Dem unbemerktsten Staub Ort, Zeit und Zweck befahl,
Den Weisen, den sein Werth in bess're Welten hebet,
Der Erde zugeschickt, wo er so einsam lebet? 168
Wie kam ein Sokrates, wie kam ein Aristid,
Ins üppige Athen, wo jenem ein Anyt,
Bloß weil er für die Zeit, die seinen Werth verkannte,
Zu gut, zu weise war, zum Lohn den Giftkelch sandte:
Und den der Großen Neid des Vaterlands verwies,
Weil aller Griechen Mund ihn den Gerechten pries.
Wer stößt Hypathien, die Perle weiser Schönen,Hypathia, eine durch Schönheit, Weisheit und Tugend seltene Jungfrau, lehrte zu Anfang des 5ten Jahrhunderts öffentlich zu Alexandria, wo der Bischof Cyrillus die Wuth des Pöbels so gegen diese liebenswürdige Unglückliche reizte, daß sie ein beklagenswerthes Opfer derselben ward.
Zu Menschen, die mit Wuth dem Aberglauben fröhnen?
Wo blind für ein Verdienst, das noch die Nachwelt preis't,
Auf eines Bischofs Wink, der Pöbel sie zerreißt?
Wie löset die Vernunft die räthselhaften Fragen?
Verhängniß, dürfen wir in dich zu schauen wagen?

Ihr Freunde, höret mich, die in der Einsamkeit,
Um euer innres Glück oft Sorg' und Zweifel neid't;
Hört mich und seyd vergnügt! Könnt' ich euch dieses lehren,
Wie willig wollt' ich nicht des Lobs der Welt entbehren!
Und du, der wahren Werth in seiner Brust verschließt,
Obgleich in deinem Staub dich Ruhm und Glück vergißt,
Du unerkanntes Herz, dem Schein und Schminke fehlen,
Uns, mit Tartuffens Kunst, Verehrung abzustehlen,
Dich tröste dieses Lied, wenn dein verborgner Werth
Der ächten Tugend Loos, des Glückes Haß, erfährt;
Und wisse, wenn dich auch die ganze Welt verkennet,
Daß noch mein redlich Herz dich Freund, dich Bruder nennet!

Der Weise ziert die Welt, der Tugend Bild zu seyn:
Sein Daseyn fließet mehr ins Wohl der Menschen ein,
Als manches Claudius so theu'r geschätztes Leben.Tiberius Claudius, dessen sich Augustus und Livia geschämt, den Tiberius öffentlich beschimpft hatte, den seine Mutter für eine Mißgeburt erklärte, seine Mutter, die, um den höchsten Grad der Dummheit auszudrücken, zu sagen pflegte: dümmer als mein Claudius! – eben dieser Claudius wurde deß allen ungeachtet durch eine seltsame Laune der Glücksgöttin nicht nur der vierte Römische Kaiser, sondern erhielt auch nach einer halb tollen, halb abscheulichen Regierung von 13 Jahren die Ehre der Apotheose, die dem Seneca Veranlassung zu seiner Spottschrift Apokosyntose gab, wo aus der feierlichen Erklärung zum Gott eine feierliche Erklärung zum – Kürbis wird, d. i. zum Dummkopf.
Die Thaten, die an ihm den Lehren Stärke geben,
Erwecken oft ein Herz, das seiner selbst vergißt,
Und erst durch ihn erkennt, wozu es ewig ist.
Sein Geist, zu groß dem Tand, womit Sophisten prahlen, 169
Belustigt, Kindern gleich, sich nicht an leeren Schalen,
Er suchet in sich selbst den Kern der Wissenschaft,
Schleicht seinen Trieben nach, wiegt seines Willens Kraft,
Bahnt uns den Weg, worauf so mancher sich verlieret,
Der zur Vollkommenheit, dem Quell der Wonne, führet,
Und gibt, bei stillem Oel, der Wahrheit die er fand,
Gefälliger zu seyn, ein angenehm Gewand;
Wie die Natur, die er zu seinem Vorbild wählet,
Mit einem schönern Geist den schönsten Leib beseelet.
Des Weisen edles Herz ist seiner Gottheit Bild;
Der Kreis der Wirksamkeit, den seine Kraft erfüllt,
Wird nicht von Vorurtheil und Eigennutz umgränzet.
Das Gute theilt sich mit. Das Licht, das von ihm glänzet,
Fließt auf die Menschheit aus; er ist den Sterblichen
Zum Führer und zum Freund vom Himmel ausersehn.
Und ist der Pöbel gleich, unfähig ihn zu ehren,
Bei seinem Beispiel blind, und taub zu seinen Lehren,
So hat die Vorsicht doch ihm Schüler zugesellt,
In welchen, was er sä't, in guten Boden fällt.
Auch wenn sein bester Theil der Erde sich entziehet,
Und in sein Vaterland, das Reich der Geister, fliehet,
Erweckt sein Beispiel noch der Jugend Ruhmbegier,
Und ein Plutarchus stellt ihn uns zum Muster für;
Sein Geist, sein göttlich Herz lebt noch in seinen Schriften.
Wenn manches Herrschers Ruhm in unbekannten Grüften
Mit ihm zu Asche wird, des Moders stilles Spiel,
Lebt noch ein Tullius, nützt noch dein Lied, Virgil.
Wenn wir von Bagdads Pracht, von glänzenden Palmyren,Palmyra, eine vormals berühmte Stadt in Syrien, von deren Pracht noch ihre Trümmern zeugen. – Der Rhodische Koloß, eine von Chares, dem Schüler des Lysippos, verfertigte Kolossal-Statue des Sonnengottes, wurde zu den sieben Wunderwerken der Welt gezählt. Durch ein Erdbeben wurde sie (222 v. Chr.) umgestürzt und nicht wieder aufgerichtet.
Vom Rhodischen Koloß, kaum noch die Stelle spüren,
Führt noch des Weisen Spur, die nichts vom Alter leid't,
Den Enkel, der sie sucht, zu gleicher Ewigkeit. 170

Zwar hier haßt ihn das Glück, er weiß ihm nicht zu schmeicheln;
Der Redliche kann nicht dem Laster Achtung heucheln,
Und gründet nicht sein Glück auf eines andern Fall.
Die Bosheit kränket ihn, der Neid haucht gift'gen Schwall
Auf seine schönste That; er bleibt vergessen sitzen,
Wenn Schmeichler, reich an Gunst, um Dionyse blitzen.Bezieht sich auf den Sokratiker Aeschines, welcher am Hofe des jüngeren Dionysios zu Syrakus anfangs sogar von Platon und Aristippos, seinen ehemaligen Mitschülern, verachtet und verlassen wurde.
Vielleicht daß auch sein Herz der Menschheit Loos erfährt,
Und Schmerz und Ungeduld der Seelen Ruhe stört;
Bis die Vernunft die Nacht vor seinem Aug' erhellet,
Und ihn zu schärferm Blick auf ihre Höhen stellet,
Wo aller Zauberdunst der Vorurtheile flieht,
Und man an Königen auch ihre Plagen sieht;
Wo er den eiteln Glanz, der ihre Noth verbrämet,
Für Flittergold erkennt, und seines Grams sich schämet.

O dreimal selig ist der ehrfurchtswerthe Mann,
Den aller Zeiten Glück nicht reicher machen kann!
Er darf, um groß zu seyn, nie goldne Ketten tragen;
Und hört, mit sich vergnügt, gestürzte Bacons klagen.Bacon, dessen schon mehrmals gedacht ist, stieg eben so schnell zu den höchsten Ehrenstufen hinauf, als von ihnen wieder herab. Aus der Liste der Pairs ausgestrichen und in dem Tower verhaftet, bewies er eben so wenig als in seiner nachmaligen Armuth die Standhaftigkeit eines Philosophen.
Er sieht im Ewigen der Geister Grund und Ziel,
Mißt Zeit mit Ewigkeit; und unser Kinderspiel,
Der Kronen schöne Last, die ungenoss'ne Ehre,
Der Welterobrer Ruhm, erkauft mit ihrer Heere
Dahin geströmtem Blut, und was sich selbst zur Pein
Der Mensch zu Gütern macht, wie wird es ihm so klein!
Die Flittern, die so viel in blöden Augen gelten,
Wie kindisch schimmern sie beim Glanz von tausend Welten,
Der, Thoren unbemerkt, nur weisen Blicken glüht,
Wo ihre Hoffnungen die Tugend strahlen sieht;
Wo Gott sich uns enthüllt und zahlenlose Sphären
Sich zum gesehnten Licht der ersten Sonne kehren.
Da steigt sein Heldensinn, von edelm Muth beschwingt, 171
In Höhn, wohin kein Wunsch bestäubter Sklaven dringt,
Dort, irrend unterm Heer von tausend Orionen,
Bemerkt sein Auge nicht, wo unsre Herrscher thronen;
Versenkt ins Himmlischen der Geister Vaterland,
Den lichtbegier'gen Blick, und wird mit ihm bekannt.

Er fühlt, wie frei sein Geist in diesen Tiefen fähret,
Wie nichts ihm fremde scheint, wie sich sein Wesen nähret,
Und hat zum sichern Grund von seiner Göttlichkeit,
Daß ihn das Göttliche befriedigt und erfreut.Quum illa tetigit, alitur et crescit ac veluti vinculis liberatus in originem redit, et hoc habet argumentum divinitatis suas, quod illum divina delectant, nec ut alienis interest sed ut suis. — Seneca.
Und führt die Menschheit ihn in sein Bezirk zurücke,
Wo seine Laufbahn ihn zum unvollend'ten Glücke
Durch Zeit und Schicksal trägt, doch auf der Weisen Pfad:
So schwebt sein Herz doch stets, wo er sein Erbe hat,
Und ahmt die Richtigkeit der himmlischen Bewegung
In seinem Wandel nach, durch seiner Triebe Regung;
Weiß daß sein Ziel sich nicht mit Sonnenjahren mißt,
Und daß dieß Leben nur des Lebens Schatten ist.

So, Freunde, sucht, wenn ihr erfahrnen Weisen glaubet,
Die Seelenruh', ein Gut, das kein Geschick euch raubet!
So suchet in euch selbst, was keines Fürsten Gunst,
Kein Indien gewährt, des Lebens wahre Kunst.
Wißt, daß ihr euch zur Schmach und ohne Ursach' klaget,
Wenn euch der Vorsicht Huld ein irdisch Gut versaget.
Mit ihrem eignen Reiz zieh' euch die Tugend an, –
Wo hat die Zeit ein Glück, das sie belohnen kann?
Wo ist ein Schmerz der Zeit, den der zu schwer befindet,
Der seiner Hoffnung Bau in Gott und Tugend gründet?

Der Beifall, den mein Herz bei jeder That mir zahlt,
Die meinen Pflichten gleicht, ist, ob er gleich nicht prahlt,
Anständiger für mich als tausend Ewigkeiten,
Die magre Dichter mir für die Gebühr bereiten. 172
Hält seines Herzens mich ein Freund, ein Weiser werth,
So sey es, daß mein Lob die Nachwelt nicht erfährt!
Was dieser Erde bleibt, kann mich nicht glücklich machen.
Hebt Stax sich über mich? ich kann des Thoren lachen,
Der, weil er, wie sein Pferd, von edler Abkunft ist,
Verstand den Bürgern läßt und gern mein Hirn vermißt.
Für Ruhm und Glück versteckt, der großen Welt verborgen,
Will ich mein göttlich Theil, Verstand und Herz, besorgen.
Mich reizt kein kleinrer Stolz, als auf verlass'nen Höhn
Mit munterm Fuß dem Tritt der Weisen nachzugehn;
Ich such' und hoffe nicht des Zufalls eitle Gaben,
Und für mein Wohl soll nur den Dank der Himmel haben. 173

 


 


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