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Oscar Wilde.
Lehren und Sprüche für die reifere Jugend

Der Weg des Paradoxen ist der Weg zur Wahrheit. Um die Wirklichkeit zu prüfen, muss man sie auf dem Seil tanzen lassen. Wenn Wahrheiten zu Akrobaten werden, kann man sie beurteilen.

 

Wir sind nicht in die Welt geschickt, um unsern moralischen Vorurteilen Luft zu machen.

 

Das Leben ist zu wichtig, um darüber ernsthaft zu sprechen.

 

Wir denken gut von andern, weil wir uns fürchten. Die Basis des Optimismus ist nackte Furcht.

 

Worin besteht das Wesen der schönen Lüge? Darin, dass sie sich selbst zu erkennen gibt. Ist einer so phantasielos, dass er seiner Lüge mit Beweisen zu Hilfe kommt, dann soll er lieber gleich die Wahrheit sagen.

 

Ein Gedanke, der nicht gefährlich ist, ist gar nicht wert, ein Gedanke zu sein.

 

Die Wahrheit ist nicht mehr wahr, wenn mehr als ein Mensch an sie glaubt.

 

Wenn der Ernst zu Jahren kommt, wird er Langeweile.

 

Greise glauben alles, Männer misstrauen allem, die Jugend weiss alles.

 

Im Examen fragen Narren, worauf Weise keine Antwort wissen.

 

Der Fleiss ist die Wurzel aller Hässlichkeit.

 

Nur die Eigenschaften der Oberfläche dauern, – des Menschen tiefere Natur kommt bald zu Tage.

 

Die Voraussetzung der Vollkommenheit ist der Müssiggang. Das Ziel der Vollkommenheit ist die Jugend.

 

Es liegt etwas Tragisches darin, dass eine so ungeheure Zahl junger Leute ihr Leben in Schönheit beginnt, um schliesslich einen nützlichen Beruf zu ergreifen.

 

Selbstliebe ist der Anfang zu einem lebenwährenden Roman.

 

Es ist von Wichtigkeit, keine geschäftlichen Verpflichtungen einzuhalten, wenn man den Sinn für die Schönheit des Lebens nicht verlieren will.

 

Wer hartnäckig einsam bleibt, macht sich zu einer beständigen öffentlichen Versuchung.

 

Drei Adressen flössen selbst Kaufleuten Vertrauen ein.

 

Die erste Pflicht im Leben ist, so künstlich als möglich zu sein. Die zweite Pflicht ist noch nicht entdeckt.

 

Alle Wege führen zu einem Ziel – zur Enttäuschung.

 

Wer über andere redet, ist meistens langweilig. Wer von sich erzählt, fast immer interessant. Wenn man ihn zuklappen könnte, wie ein Buch, dessen man müde ist, wäre er ganz vollkommen.

 

Nur die geistig Verlorenen streiten.

 

Etwas, worüber man nicht redet, ist gar nicht geschehen. Nur das Wort gibt den Dingen Realität.

 

Es ist bei weitem schwerer, über etwas zu reden, als es tun. Im Umkreis des wirklichen Lebens liegt das auf der Hand: jeder kann Geschichte machen, aber nur ein grosser Mensch kann Geschichte schreiben.

 

Mässigkeit wirkt tödlich. Nur Übermut tut immer gut.

 

Mässigkeit ist verhängnisvoll: genug ist so wenig wie ein Mahl. Mehr als genug so viel wie ein Fest.

 

Handeln ist immer leicht. Ja, wo es in gedrängtester Fülle, weil ununterbrochen, auftritt – ich meine den Fleiss –, da ist es nichts anderes als das Asyl der Leute, die gar nichts sonst zu tun haben.

 

Aufopferung sollte gesetzlich verboten sein. Sie demoralisiert die Leute, denen man sich aufopfert. Sie gehen immer daran zu grunde.

 

Der Tod und die Vulgarität – das sind zwei Tatsachen des neunzehnten Jahrhunderts, die sich nicht wegdisputieren lassen.

 

Es hat keinen Sinn, Vorschriften darüber zu machen, was man lesen soll und was nicht. Mehr als die Hälfte der modernen Kultur entstammt dem, was man nicht lesen soll.

 

Jeder Einfluss ist schlecht, aber ein guter Einfluss ist das allerschlechteste.

 

Nichts macht so alt wie das Glück.

 

Fragen sind nie indiskret, Antworten sind es bisweilen.

 

Pflicht ist, was man von andern verlangt, nicht was man selbst tut.

 

Eine feinfühlige Person ist eine Person, die immer andere auf die Füsse tritt, weil sie selbst Hühneraugen hat.

 

Wenn es überhaupt einen Zweck des Lebens gibt, so ist es dieser: sich immer in Versuchungen zu begeben.

 

Der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben.

 

Es gibt keine Sünde ausser der Dummheit.

 

Gewissen und Feigheit sind durchaus dasselbe. Gewissen ist die Firma der Kompagnie, das ist alles.

 

Der Mensch ist alles andere eher als vernünftig.

 

Nur weil die Menschheit nie wusste, wohin sie ging, hat sie noch immer vermocht, ihren Weg zu finden.

 

Der Mensch ist das vernünftigste Tier, das immer die Geduld verliert, wenn es im Einklang mit den Vorschriften seiner Vernunft handeln soll.

 

Die einfachen Genüsse sind die letzte Zuflucht komplizierter Menschen.

 

Jede Begierde, die wir ersticken, brütet in unserer Seele ein Gift aus, an dem wir zu grunde gehen.

 

Die Sünde ist das einzig Farbige, das im modernen Leben übrig geblieben ist.

 

Jeder Eindruck, den man macht, schafft einem einen Feind. Um populär zu bleiben, muss man mittelmässig sein.

 

Kein Verbrechen ist vulgär, aber jede Vulgarität ist ein Verbrechen. Vulgarität ist das Benehmen der andern.

 

Erst Manieren, dann Moralen!

 

Man kann den moralischen Instinkt so ausbilden, dass er überall hervorbricht, wo er überflüssig ist.

 

Selbstaufopferung ist ein Überbleibsel jener Selbstverstümmelung der Wilden, ein Stück jener Anbetung des Schmerzes, die in der Weltgeschichte eine so schlimme Rolle spielt und jetzt noch ihre Opfer fordert.

 

Es ist gut für unsere Eitelkeit, dass wir den Mörder hinrichten. Denn liessen wir ihn am Leben, könnte er sehen, was wir durch sein Verbrechen gewannen. Es ist gut für den Frieden des Märtyrers, dass er in sein Martyrium geht. So braucht er nicht das Grauen seiner Ernte zu sehen.

 

Handeln ist nichts als gemeine Anbequemung an die Tatsachen.

 

Früher erhoben wir unsere Helden zu Göttern, jetzt ziehen wir sie in den Staub der Erde nieder. Volksausgaben grosser Bücher können köstlich sein, aber Volksausgaben grosser Männer sind einfach abscheulich.

 

Lebten wir lange genug, um die Erfolge unseres Tuns zu sehen, es könnte sein, dass die, die sich die Guten nennen, unter dem Alp der Gewissensqual dahinsiechten, und dass die, welche die Welt die Bösen nennt, von edelster Freude erfüllt, sich erhöben.

 

Zurück zum Heiligen können wir nicht, weit eher können wir vom Sünder lernen.

 

Der, dem das Gegenwärtige das einzig Gegenwärtige ist, weiss nichts von der Zeit, in der er lebt.

 

Das wahre Geheimnis der Welt liegt im Sichtbaren, nicht im Unsichtbaren.

 

Das Überhandnehmen des ›gemeinen Menschenverstandes‹ in Dingen der Religion kann nicht genug bedauert werden. Es bedeutet das eine höchst törichte und herabsetzende Einwilligung in eine ganz gemeine Art des Naturalismus, und entspringt einer vollkommenen psychologischen Unkenntnis. Die Menschheit kann an Dinge glauben, die unmöglich sind, sie wird aber nie an Dinge glauben, die unwahrscheinlich sind.

 

Die Moral ist immer die letzte Zuflucht der Leute, die die Schönheit nicht begreifen.

 

Wer vom Leben nichts wissen will, für den gibt es ein sicheres Mittel: er suche sich nützlich zu machen.

 

Bei uns ist das Denken stets auf den Vorteil gerichtet und dadurch verächtlich geworden. Wer von ihnen allen, die im Getriebe und Gedränge des wirklichen Daseins stehen, als lärmende Politiker, schreiende Weltverbesserer oder beschränkte Priester, die alle von dem Leiden des kleinen, unwichtigen Teils der Gemeinden, in die ihr Los sie warf, geblendet sind – wer von ihnen allen könnte sich über irgend etwas ein unabhängiges Urteil bilden? Jeder Beruf ist schon ein Vorurteil. Der Zwang, ›Carriere zu machen‹, treibt jeden in die Arme von Parteien. Wir leben in einer Zeit, die zu viel arbeitet und zu wenig erzogen ist, in einer Zeit, wo die Leute vor Fleiss blödsinnig werden.

 

Die, welche da das Volk zu führen suchen, können es nur, indem sie dem Pöbel folgen. Die Wege der Götter müssen durch die Stimme eines Predigers in der Wüste bereitet werden.

 

Die Entwicklung einer Rasse hängt von der Entwicklung des Einzelnen ab, und wo die Selbsterziehung nicht mehr das Nächste ist, da sinkt sofort der geistige Massstab und oft genug geht er völlig verloren. Selbsterziehung ist das wahre Ideal des Menschen. Goethe wusste das, und was wir Goethe verdanken, ist mehr als wir irgend einem verdanken seit den Tagen der Griechen.

 

Wenn im Gebiete der Ethik der Menschenfreund die anstössigste Erscheinung ist, so ist es im Reiche des Geistes derjenige, der so sehr damit beschäftigt ist, andere zu erziehen, dass er nie Zeit hat, das an sich selbst zu besorgen.

 

Es ist so leicht, mit den Leuten Mitleid zu haben. Und, so schwer, Gedanken mitzufühlen.

 

Wer rückwärts in seine Vergangenheit schaut, verdient nicht, dass vor ihm eine Zukunft liegt, in die er schauen könnte.

 

Was die Menschen Unaufrichtigkeit nennen, ist nichts anderes als ein Mittel, unsere Wesenheit zu vervielfältigen.

 

Es ist immer schwerer zu zerstören als aufzubauen, und wenn das, was wir zerstören müssen, Dummheit heisst, so fordert die Zerstörung nicht nur Mut, sondern auch Verachtung.

 

So lange der Krieg als gottlos angesehen wird, wird er seinen Reiz behalten. Erst wenn man ihn als gemein ansieht, wird er seine Popularität verlieren.

 

Schöne Sünden sind wie alle schönen Dinge das Privilegium der Reichen.

 

Von allen Posen ist die moralische die unanständigste.

 

Es gibt nur eine Entschuldigung dafür, sich manchmal ein wenig übertrieben anzuziehen: immer überkultiviert zu sein.

 

Es gibt nichts Ungesunderes als das Denken, und die Menschen gehen daran zu grunde wie an jeder anderen Krankheit.

 

Wer einen Unterschied zwischen Seele und Körper findet, hat weder das eine noch das andere.

 

Verworfenheit ist ein Mythus, den gute Leute erfunden haben, um die seltsame Anziehungskraft anderer zu erklären.

 

Wären die Armen nur nicht so hässlich, wäre die soziale Frage leicht gelöst.

 

Religionen sterben, sobald man ihre Wahrheit nachweist. Die Wissenschaft ist die Geschichte verstorbener Religionen.

 

Nur die Götter kosten vom Tode. Apollo schwand dahin, doch Hyacinth lebt fort, ob auch die Menschen sagen, Apollo habe ihn erschlagen. Nero und Narcissus sind immer um uns.

 

Unwissenheit ist eine zarte exotische Frucht: berühre sie und der Flaum ist verschwunden.

 

Es gibt nur zwei Arten von Menschen, die wirklich faszinieren: die, welche absolut alles wissen, und die, welche absolut nichts wissen.

 

Vermeide stets zu begründen. Es ist immer gemein und überzeugt bisweilen.

 

Die beiden schwachen Seiten unserer Zeit sind ihr Mangel an Prinzipien und ihr Mangel an Physiognomie.

 

Das Unerwartete zu erwarten ist das Zeichen eines ganz modernen Intellekts.

 

Moralität ist eine Pose; wir wenden sie gegen Leute an, die uns unangenehm sind.

 

Gebildete widersprechen andern, Weise widersprechen sich.

 

Wenn man die Wahrheit sagt, kommt es sicherlich früher oder später an den Tag.

 

Das Vergnügen ist das einzige, wofür man leben sollte.

 

Die Zigarette ist der vollendete Typus eines vollkommenen Genusses: sie ist köstlich und lässt uns unbefriedigt.

 

Nur wer seine Schulden nicht bezahlt ist sicher, im Gedächtnis von Krämern zu leben.

 

Zeit ist Geldverschwendung.

 

Man sollte stets ein wenig unwahrscheinlich sein.

 

Es schwebt ein Verhängnis über allen guten Entschlüssen: man fasst sie ohne Ausnahme zu früh.

 

Nur Flachköpfe kennen sich.

 

Frühreif sein heisst: vollkommen sein.

 

Ehrgeiz ist die letzte Zuflucht der Schiffbrüchigen.

 

Wer sich darüber Gedanken macht, was im Benehmen recht oder unrecht ist, verrät, dass er geistig zurückgeblieben ist.

 

Die griechische Kleidung war wesentlich unkünstlerisch. Nur der Körper soll den Körper offenbaren.

 

Die Zeiten leben in der Geschichte durch die Anachronismen.

 

Dass man nicht über uns spricht, ist das einzige, was schlimmer ist als dass man über uns spricht.

 

Die Humanität nimmt sich zu ernst. Sie ist die erste Sünde der Welt. Hätte der Höhlenmensch das Lachen gekannt, die Geschichte wäre einen anderen Weg gegangen.

 

Gute Vorsätze sind Checks, die man auf eine Bank zieht, bei der man kein Konto hat.

 

Geistiges zu generalisieren ist immer interessant. Aber Moralisches zu generalisieren ist ein Unsinn.

 

Was heisst Tugend? Renan sagt uns, die Natur kümmere sich wenig um die Keuschheit. Und vielleicht verdanken unsere Lukretien ihre Makellosigkeit weniger ihrer eigenen Reinheit als der Schande der Magdalenen.

 

Der Wert einer Idee hat nichts mit der Wahrhaftigkeit dessen zu tun, der ihr Ausdruck gibt. Es ist sogar wahrscheinlich, dass eine Idee um so geistiger ist, je unaufrichtiger der Mensch ist. Denn umso weniger wird sie von seinen Bedürfnissen, seinen Wünschen oder seinen Vorurteilen modifiziert sein.

 

Gut sein, heisst: mit sich im Einklang sein.

 

Das einzig Furchtbare in der Welt ist die Langeweile. Das ist die Sünde, für die es keine Vergebung gibt.

 

Mir gefallen Menschen besser als Prinzipien. Und Menschen ohne Prinzipien besser als irgendwas in der Welt.

 

Weshalb können nur die Menschen nicht von dem alten ausgetretenen Sündenpfad abweichen und ein bisschen originell in ihren Lastern sein – wenn sie schon einmal sündigen müssen.

 

Der einzige Unterschied zwischen einem Heiligen und einem Sünder ist der, dass jeder Heilige eine Vergangenheit und jeder Sünder eine Zukunft hat.

 

Es gibt Sünden, die schöner sind als irgendwas in der Welt, Sünden und Laster, die unwiderstehlich immer wieder den anziehen, der die Schönheit über alles liebt.

 

Das Geheimnis der Liebe ist grösser als das Geheimnis des Todes.

 

Die Leute, die nur einmal in ihrem Leben lieben, sind die wirklich Oberflächlichen. Was sie ihre Treue nennen, das nenne ich die erschlaffende Wirkung der Gewohnheit oder einen Mangel an Phantasie. Treue ist für das Leben des Gefühls dasselbe wie Konsequenz für das Leben des Intellekts: das Eingeständnis des Misserfolges.

 

Was für ein Reden die Leute um die Treue machen. Selbst in der Liebe ist sie nur ein Problem der Physiologie. Sie hat mit unserem Willen gar nichts zu tun. Junge Leute möchten treu sein und können es nicht. Alte Leute möchten untreu sein und können es auch nicht. Mehr kann man da kaum sagen.

 

Wer treu ist, kennt nur die triviale Seite der Liebe. Die Untreuen allein kennen ihre Tragödien.

 

Oberflächliche Trauer und oberflächliche Liebe leben lang. Grosse Liebe und grosser Schmerz vernichten sich durch ihre eigene Fülle.

 

Wenn man liebt, täuscht man immer zuerst sich, später andere.

 

Was ist der Unterschied zwischen einer Laune und einer ewigen Liebe? Die Laune dauert ein wenig länger.

 

Ein Mann kann mit jeder Frau glücklich sein, vorausgesetzt, dass er sie nicht liebt.

 

Die Frauen lieben uns um unsere Fehler. Hätten wir genug Fehler, so würden sie uns alles verzeihen, selbst unser Genie.

 

Man kann immer nett gegen die sein, die einen nichts angehn.

 

Wir können im Leben höchstens eine grosse Erfahrung haben. Und das Geheimnis des Lebens ist, sie so oft als möglich wiederzuhaben.

 

Erfahrung ist eine Sache des intuitiven Lebens.

 

Ich bin durchaus nicht cynisch, ich habe nur Erfahrung – und das ist so ziemlich dasselbe.

 

Gesunden Menschenverstand kann jedermann haben – vorausgesetzt natürlich, er hat keine Phantasie.

 

Ein Cyniker ist ein Mensch, der von allen Dingen den Preis und von keinem den Wert weiss. Ein Sentimentaler ist ein Mensch, der allen Dingen einen lächerlichen Wert gibt und von keinem einzigen den Marktpreis kennt.

 

Das Leben ist eine Taktfrage.

 

Niemand begeht ein Verbrechen ohne zugleich eine Dummheit zu begehen.

 

Es ist so leicht, andere, und so schwer, sich selbst zu bekehren.

 

Das einzige, was uns das ganze Leben hindurch aufrecht erhält, ist die Überzeugung von der entschiedenen Inferiorität der andern.

 

Die Tragödie des Alters liegt nicht darin, dass man alt wird, sondern dass man jung ist.

 

Wir vom Ende dieses glorreichen Jahrhunderts sind zu verfeinert, zu kritisch, zu intellektuell und zu lüstern nach erwählten Genüssen, um Spekulationen über das Leben für das Leben einzutauschen. Uns ist die Citta Divina farblos, die Fruitio Dei leer geworden. Die Metaphysik befriedigt uns nicht und die religiöse Ekstase ist aus der Mode. Die Welt, die den Philosophieprofessor zum Zuschauer aller Zeiten und alles Seins macht, ist nicht mehr die Welt der Ideale, sondern nur noch eine Welt abstrakter Ideen. Wir verhungern unter den Gespenstern des Denkens. Die Hallen der Stadt Gottes stehen uns nicht mehr offen. An ihren Toren steht die Dummheit Wache, und wer hinein will muss erst alles abliefern, was göttlich an ihm ist.

 

Jeder Mensch lebt sein Leben und zahlt seinen Preis dafür. Nur schade, dass man so oft für ein und dasselbe zahlen muss. In seinen Geschäften mit den Menschen schliesst das Schicksal seine Rechnung nie.

 

Jeder grosse Mann hat heute seine Jünger, und seine Biographie schreibt immer – Judas.

 

Ich glaube, wenn auch nur ein Mensch sein Leben ganz und von Grund auf auslebte, wenn er jedem Gefühl Form, jedem Gedanken Ausdruck, jedem Traum Wirklichkeit verliehe – es würde ein so neuer Strom der Freude durch die Welt fliessen, dass wir alles Kranke des Mittelalters vergessen und zum griechischen Ideal zurückkehren würden, vielleicht sogar zu einem noch feineren, reicheren als dem griechischen Ideal.

 

Die Furcht vor der Gesellschaft, auf der die Moral sich gründet, die Furcht vor Gott, die das Geheimnis der Religion ist – das sind die beiden Gewalten, die uns beherrschen.

 

Wenn ich über die Religion nachdenke, ist es mir, als ob ich gern einen Orden für die gründen möchte, die nicht glauben können. Ich möchte ihn Brüderschaft der Ungläubigen nennen. In ihr würde auf einem Altar, auf dem keine Kerze brennte, ein Priester, in dessen Herzen der Friede keine Ruhestatt hätte, mit ungeweihtem Brot und einem Kelche, in dem kein Wein ist, Gottesdienst halten. Um wahr zu sein, muss alles zur Religion werden. Die Lehre der Agnostiker sollte ebenso ihr Ritual haben wie der kirchliche Glaube. Sie hat ihre Märtyrer gesät, sie sollte ihre Heiligen ernten und Gott täglich dafür danken, dass er sich den Blicken der Menschen verborgen hat.

 

Die meisten Leute sind andere Leute. Ihre Gedanken sind die Meinungen anderer, ihr Leben ist Mimikry, ihre Leidenschaften sind ein Zitat.

 

Die Banausen, denen das Leben eine arglistige Spekulation ist, die von einer sorgfältigen Berechnung der dazu nötigen Mittel und Wege abhängt, wissen allezeit, wohin sie gehen, und gehen auch dahin. Sie treten mit dem idealen Lebenszweck auf den Plan, Kirchendiener zu werden, und einerlei auf welchen Posten sie gestellt sind, das gelingt ihnen auch. Mehr nicht. Ein Mann, der danach trachtet, etwas zu werden, was nicht in ihm liegt: ein Parlamentsmitglied, ein erfolgreicher Grünkramhändler, ein hervorragender Anwalt, Richter oder sonst etwas ganz gleich langweiliges, sieht allemal sein Streben von Erfolg gekrönt. Das ist seine Strafe. Wer eine Larve will, der muss sie auch tragen. Menschen, die nur auf die Entfaltung ihres eigenen Ich aus sind, wissen niemals, wohin sie ihr Weg führt, und können es nicht wissen, denn niemand, kann die Bahn seiner eigenen Seele berechnen.

 

Seine eigenen Erfahrungen bedauern, heisst, seine eigene Entwicklung hemmen. Seine eigenen Erfahrungen verleugnen, heisst, seinem eigenen Leben eine Lüge auf die Lippen legen.

 

Die Wahrheit sprechen ist etwas peinliches. Lügen sagen müssen ist aber viel schlimmer.

 

Grosse Leidenschaften sind für grosse Seelen, und die grossen Ereignisse können nur von denen erkannt werden, die auf gleicher Höhe mit ihnen stehen.

 

Die meisten Menschen werden gezwungen, Rollen zuspielen, für die sie nicht passen. Unsere Güldensterne spielen den Hamlet und unser Hamlet muss scherzen wie Prinz Heinz. Die Well ist eine Bühne, aber die Rollen sind schlecht verteilt.

 

Die Gesellschaft verwildert weit mehr durch tägliches Beschäftigen mit Bestrafungen als durch gelegentliche Verbrechen.

 

Das Publikum fühlt sich am wohlsten, wenn eine Mittelmässigkeit zu ihm redet. Es ist merkwürdig duldsam. Es verzeiht alles, nur nicht das Genie.

 

Selbstmord ist das grösste Kompliment, das man der Gesellschaft machen kann.

 

Man sollte nie etwas tun, worüber man nach Tisch nicht reden kann.

 

Die Basis für einen Klatsch ist eine unmoralische Gewissheit.

 

Ich liebe Männer, die eine Zukunft, und Frauen, die eine Vergangenheit haben.

 

Nur über Dinge, die einen nichts angehen, kann man unparteiisch urteilen.

 

Wenn ein Mann anfängt, seine häuslichen Pflichten zu vernachlässigen wird er unangenehm weibisch.

 

Verwandte sind nichts als eine Gesellschaft von Leuten, die keine Ahnung davon haben, wie man leben soll, noch den Takt besitzen, zur rechten Zeit zu sterben.

 

Manche Frau versucht, einen Salon zu gründen, und es gelingt ihr nur, ein Restaurant zu eröffnen.

 

Nichts nehmen die Leute so übel, als wenn sie keine Einladung bekommen.

 

Die einzige mögliche Gesellschaft ist man selbst.

 

Um sich auch in der besten Gesellschaft gut einzuführen, muss man sie heutzutage entweder gut füttern oder gut amüsieren oder aber entsetzen.

 

Es ist lächerlich, die Leute in gute und böse einzuteilen. Die Leute sind entweder amüsant oder langweilig.

 

Die Familie ist eine schreckliche Last. Besonders für jemanden, der nicht verheiratet ist.

 

Die Männer lernen das Leben zu früh, die Frauen es zu spät kennen. Das ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern.

 

Weiber sind Bilder, Männer sind Probleme. Wenn Sie wissen wollen, was eine Frau wirklich meint, – was nebenbei gesagt immer eine gefährliche Sache ist – so sehen Sie sie an, aber hören Sie ihr nicht zu.

 

Frauen werden nie durch Komplimente entwaffnet, Männer immer.

 

Die Frauen behandeln uns wie die Menschheit ihre Götter; sie beten uns an, und wir müssen uns abmühn, etwas für sie zu tun.

 

Die Frauen geben uns Männern den Wunsch, Meisterwerke zu schaffen und hindern uns, sie auszuführen.

 

Die Männer wollen immer die erste Liebe einer Frau sein. Darin liegt ihre Ungeschicklichkeit. Die Frauen haben in diesen Dingen einen subtileren Instinkt: sie wollen die letzte Leidenschaft eines Mannes sein.

 

Es gibt im Leben einer Frau nur eine einzige Tragödie: die Tatsache, dass ihre Vergangenheit immer ihr Geliebter, ihre Zukunft regelmässig ihr Gatte ist.

 

Die Frauen lieben mit den Ohren, wie die Männer mit den Augen lieben – wenn überhaupt.

 

Die Frauen leben von ihren Gemütsbewegungen und nur von diesen. Sie haben keine Lebensauffassung.

 

Frauen verteidigen sich durch Angriff, wie sie angreifen, indem sie sich plötzlich ergeben.

 

Ich liebe Männer, die eine Zukunft, und Frauen, die eine Vergangenheit haben.

 

Frauen haben einen wundervollen Instinkt. Sie finden alles, nur nicht, was auf der Hand liegt.

 

Der einzige Reiz der Vergangenheit ist, dass sie vergangen ist. Aber die Frauen wissen nie, wann das Spiel aus ist. Sie verlangen immer einen sechsten Akt. Sobald jedes Interesse am Spiel vorbei ist, gerade dann wollen sie es fortsetzen. Wenn man ihnen ihren Willen liesse, so hätte jede Komödie einen tragischen Schluss und jede Tragödie ginge auf eine Farce aus.

 

Die Geschichte der Frauen ist die Geschichte der schlimmsten Form der Tyrannei, die die Welt je erkannt hat. Nämlich die Tyrannei der Schwachen über die Starken.

 

Bei einer bezaubernden Frau ist ihr Geschlecht keine Verteidigung, sondern eine Herausforderung.

 

In der Saison dreht sich alles um die Ehe: entweder man jagt nach Ehemännern, oder man verbirgt sich vor ihnen.

 

Frauen verstehen die Schönheit nicht zu würdigen, wenigstens die guten Frauen nicht.

 

Eine Frau kann einen Mann immer nur dadurch anders machen, dass sie ihn so lange quält, bis er alles Interesse am Leben verloren hat.

 

Schlechte Frauen sind lästig, gute sind langweilig – das ist der einzige Unterschied.

 

Jede Frau wird schliesslich wie ihre Mutter – das ist ihre Tragödie.

 

Die Männer heiraten aus Müdigkeit, die Weiber aus Neugierde – und beide sind dann arg enttäuscht.

 

Meine Meinung ist, dass immer die Frauen uns Männern den Antrag machen, und nicht wir den Frauen.

 

Wenn eine Frau zum zweitenmal heiratet, tut sie es, weil sie ihren ersten Mann verabscheute. Wenn ein Mann zum zweitenmal heiratet, so tut er es, weil er seine erste Frau anbetete. Frauen versuchen ihr Glück, die Männer setzen das ihre aufs Spiel.

 

Zwanzig Jahre Romantik machen eine Frau zu einer Ruine. Aber zwanzig Jahre Ehe machen sie fast zu einem öffentlichen Gebäude.

 

Das Glück eines verheirateten Mannes hängt von Leuten ab, die er eigentlich gar nicht geheiratet hat.

 

Der Reiz der Ehe liegt gerade darin, dass sie ein Leben der Täuschung für beide Teile unmöglich macht.

 

Der wirkliche Nachteil der Ehe ist der, dass sie uns selbstlos macht. Und selbstlose Leute sind, farblos. Es fehlt ihnen an Individualität. Aber es gibt Temperamente, die durch die Ehe nur noch komplizierter werden. Sie bewahren ihren Egoismus und gewinnen noch manches neue Ich hinzu. Sie sind gezwungen, mehr als ein Leben zu führen. Sie werden höher organisiert. Und hoch organisiert zu sein, ist das Ziel unseres Daseins. Und dann ist jede Erfahrung wertvoll, und eine Erfahrung, das ist die Ehe sicher, was man auch sonst gegen sie sagen kann.

 

Wenn eine Frau ihre Fehler nicht reizvoll machen kann, so ist sie nur ein weibliches Wesen.

 

Das Buch der Bücher fängt mit einem Mann und einer Frau in einem Garten an und endigt mit Enthüllungen und Offenbarungen.

 

Mit dem Jeu de Mariage ist es eine eigene Sache: die Frauen haben alle Trümpfe in den Händen und verlieren doch immer den letzten Stich.

 

Heute leben alle verheirateten Männer wie Junggesellen und alle Junggesellen wie verheiratete Männer.

 

Wenn ein Mann etwas ganz Blödsinniges tut, so tut er es immer aus den edelsten Motiven.

 

Ich möchte wissen, weshalb unsere Eltern immer so langweilig sind.

 

Kinder lieben anfangs ihre Eltern; wenn sie älter werden, beurteilen sie sie; bisweilen verzeihen sie ihnen.

 

Was ist Wahrheit? In Sachen der Religion: die Meinung, die überlebte Meinung. In den Dingen der Wissenschaft: die letzte Entdeckung. In der Kunst: unsere letzte Stimmung.

 

In der Kunst gibt es keine allgemeine Wahrheit. Eine Wahrheit in der Kunst ist etwas, dessen Umkehrung ebenso wahr ist.

 

Alle Kunst ist nutzlos.

 

In der Dichtung kann man nur Dinge brauchen, die man im Leben zu gebrauchen aufgehört hat.

 

Die Kunst zu offenbaren, den Künstler zu verbergen – das ist das Ziel der Kunst.

 

Kein Künstler will beweisen. Selbst Dinge, die wahr sind, lassen sich beweisen.

 

Eine ethische Sympathie ist beim Künstler unverzeihliche Manier des Stiles. Kein Künstler ist moralisch.

 

Den Zuschauer, nicht das Leben spiegelt die Kunst in Wahrheit.

 

Die einzig wirklich schönen Dinge sind die, die uns nichts angehen. Gerade weil uns Hekuba nichts angeht, bilden ihre Leiden einen so herrlichen Gegenstand der tragischen Kunst.

 

Die Kunst stellt nichts dar ausser sich selbst.

 

Das wahre Geheimnis der Welt liegt im Sichtbaren, nicht im Unsichtbaren.

 

Dass ein Künstler ein Giftmörder ist, sagt nichts gegen seine Prosa. Häusliche Tugenden gehen die Kunst nichts an, wenn sie auch Künstlern zweiten Ranges zur Empfehlung gereichen mögen.

 

Alles was wirklich vorfällt, ist für die Kunst verloren. Alle schlechte Dichtung kommt aus echtem Gefühl. Natürlich sein heisst allzu verständlich sein, und allzu verständlich sein heisst unkünstlerisch sein.

 

Nicht nur in der Kunst ist der Körper die Seele.

 

Man kann die Kunst auf doppelte Weise hassen: einmal, indem man sie hasst. Und dann: indem man sie in den Grenzen der Vernunft liebt.

 

Durch die Kunst und nur durch die Kunst werden wir vollkommen. Die Kunst und nichts als die Kunst kann uns vor den schmutzigen Gefahren des Lebens schützen.

 

Es ist wichtiger, dass jemand sich über eine Rosenblüte freut, als dass er ihre Wurzel unter das Mikroskop bringt.

 

Alles Schöne gehört nur einer Zeit an.

 

Wir leben in einer Zeit, die zu viel liest, um weise, die zu viel denkt, um schön zu sein.

 

Die Kunst kann nur durch sich selber vollkommen werden. Die Ähnlichkeit mit der sichtbaren Welt ist für die Beurteilung vollständig gleichgültig. Sie ist eher ein Schleier als ein Spiegel. Ihr sind Formen zu eigen, die wirklicher sind als das Leben, und auch die holten Urbilder, von denen alle wirklichen Dinge nur unvollendete Abbilder sind.

 

Die Abneigung des neunzehnten Jahrhunderts gegen den Naturalismus ist die Wut Calibans, der sein Gesicht im Spiegel sieht. Die Abneigung des neunzehnten Jahrhunderts gegen die Romantik ist die Wut Calibans, der sein Gesicht nicht im Spiegel sieht.

 

Wer hässlichen Sinn in schönen Dingen findet, ist verderbt, ohne zu bezaubern. Das ist ein Fehler. Wer schönen Sinn in schönen Dingen findet, hat Kultur. Für ihn ist Hoffnung. Die Auserwählten sind die, denen schöne Dinge nichts sonst bedeuten als Schönheit.

 

Man sagt bisweilen, die Kunst werde zu krankhaft. Soweit die Psychologie in Betracht kommt, war sie nie krankhaft genug. Wir haben erst an die Haut der Seele gerührt, weiter nichts.

 

Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol. Wer unter die Oberfläche dringt, tut es auf eigene Gefahr. Wer das Symbol liebt, tut es auf eigene Gefahr.

 

Die Kunst hat glücklicherweise noch immer gewusst, die Wahrheit zu verbergen.

 

Ein wirklich gut gemachtes Bukett fürs Knopfloch ist das einzige, was Kunst und Natur verbindet.

 

In allen unwesentlichen Dingen kommt es auf den Stil, nicht auf die Wahrhaftigkeit an. In allen wesentlichen Dingen kommt es auf den Stil und nicht auf die Wahrhaftigkeit an.

 

Kein grosser Künstler sieht die Dinge, wie sie wirklich sind. Er würde aufhören, Künstler zu sein.

 

Nur den grossen Meistern des Stiles gelingt es, dunkel zu sein.

 

Die Art des Lügens, die allein über jeder Kritik steht, ist das Lügen um seiner selbst willen, und ihre höchste Entwicklungsstufe ist die Lüge in der Kunst. Das letzte Geheimnis der Kunst wird denen für immer verborgen sein, die die Wahrheit mehr lieben als die Schönheit.

 

Mancher junge Mensch tritt ins Leben mit der natürlichen Anlage zu übertreiben, einer Anlage, die man sorgfältig pflegen und an den höchsten Beispielen züchten sollte, damit etwas Grosses und Herrliches aus ihr werde. In der Regel aber geht ein solcher junger Mensch zu Grunde. Er gerät entweder in den Schlendrian einer peinlichen Genauigkeit, oder er sucht die Gesellschaft von älteren und wohlunterrichteten Leuten auf. Beides ist seiner Phantasie – und der Phantasie eines jeden – verhängnisvoll: es dauert nicht lange, so beginnt er eine krankhafte Vorliebe für die Wahrheit zu zeigen.

 

Unser Geschlecht ist entartet: wir haben unsere Erstgeburt für ein Gericht von Tatsachen verkauft.

 

Welcher Unterschied ist zwischen Journalismus und Literatur? Die Journalisten kann man nicht lesen, und die Literatur liest man nicht.

 

Die Tatsachen vulgarisieren die Menschheit. Wenn nichts geschieht, um die heutige Vergötterung von Tatsachen auszurotten, oder sie doch einzudämmen, dann wird die Kunst welken und die Schönheit von uns gehen.

 

Wenn der Mensch handelt, ist er eine Puppe. Wenn er schildert, ist er ein Dichter. Das ist das ganze Geheimnis.

 

Die einzigen Porträts, an deren Echtheit man glaubt, sind solche, in denen das Modell die Nebenrolle, die Persönlichkeit des Malers die Hauptrolle spielt. Holbeins Zeichnungen von Männern und Frauen wirken durch ihre unmittelbare Lebendigkeit. Das liegt aber daran, dass Holbein das Leben zwang, seine Bedingungen anzunehmen, die Grenzen, die er ihm setzte, zu wahren, den Typus, den er schuf, nachzubilden und nur in der Gestalt Erscheinung zu werden, in der er es wünschte. Es ist der Stil, der unser Zutraun erweckt, und nur der Stil. Die meisten unserer heutigen Porträtmaler werden notwendig in vollkommene Vergessenheit geraten. Sie malen niemals was sie sehen; sie malen, was das Publikum sieht, und das Publikum sieht gar nichts.

 

Das Schweifende, Gehaltlose stösst immer das ästhetische Empfinden ab. Die Griechen waren ein Volk van Künstlern, weil sie den Sinn des Unendlichen nicht kannten. Wie Aristoteles, wie Goethe, nachdem er den Kant gelesen hatte, sehnen wir uns nach dem Festen, Greifbaren, und nichts sonst als das Greifbare kann uns befriedigen.

 

Die Form ist alles. Sie ist das Geheimnis des Lebens. Gib der Trauer Ausdruck, so ist sie dir teuer. Gib der Freude Ausdruck, sie ist dir verdoppelt. Beginne mit der Verehrung der Form, und kein Geheimnis der Kunst wird dir unentschleiert bleiben.

 

Alle die zarte Arbeit der Phantasie ist bewusst und gewollt. Kein Dichter, wenigstens kein grosser Dichter singt, weil er singen muss. Er dichtet, weil er es will. Und so war es immer und so ist es jetzt. Es gibt keine Kunst ohne Bewusstheit.

 

Es ist ein Irrtum, wenn man meint, die Leidenschaft während des Schaffens zeige sich jemals in dem Werke, das man schafft. Die Kunst ist stets abstrakter, als wir denken. Form und Farbe erzählen von Form und Farbe, von weiter nichts.

 

Gute Künstler existieren nur in dem, was sie schaffen, und sind als Personen deshalb uninteressant.

 

Die Schönheit hat so viele Bedeutungen wie der Mensch Stimmungen hat. Sie ist das Symbol der Symbole.

 

Die Schönheit offenbart alles, weil sie nichts ausdrückt.

 

Die Musik ist der vollkommenste Typus der Kunst: sie verrät nie ihr letztes Geheimnis.

 

Die Kunst spiegelt den Zuschauer, nicht das Leben.

 

Ich möchte die Kritik ein Schaffen aus Geschaffenem nennen. Denn wie die grossen Künstler von Horner und Aeschylos bis zu Shakespeare und Keats nicht dem Leben selbst ihre Stoffe entnahmen, so behandelt der Kritiker Stoffe, die andere für ihn gleichsam schon gereinigt, geformt haben. Ich gehe noch weiter: die höchste Kritik gibt die reine Form persönlichen Eindrucks und ist also in ihrer Art schöpferischer als das Schaffen selber. Denn sie kann an keinem äusseren Massstab gemessen werden. Sie ist ihre eigene Ursache, in sich und für sich ein Ziel und Ende, Man kann von der Dichtung an die Welt der Tatsachen appellieren. Über der Seele aber gibt es keine Instanz – und die höchste Kritik ist nichts anderes, als ein Erzählen von seiner eigenen Seele.

 

Der kritische Geist ist es, der neue Formen schafft. Das Schaffen neigt zu Wiederholungen. Jede neue Schule verdanken wir der Kritik, wie jede neue Form, die sich der Kunst darbietet. Jede neue Schule flucht der Kritik und dankt ihr doch ihr Dasein. Blosse schaffende Kraft neuert nicht, sondern wiederholt.

 

Für den Kritiker ist das Kunstwerk nur der Ausgangspunkt für ein neues, eigenes Werk, das nicht notwendig eine sichtbare Ähnlichkeit mit dem kritisierten Werke zu haben braucht. Das wichtigste Merkmal der schönen Form ist, dass man hineinlegen kann, was man will, und in ihr sehen kann, was man zu sehen wünscht.

 

Die Kritik erfordert viel mehr Kultur, als das Schaffen. Einen dreibändigen Roman kann jeder schreiben. Dazu braucht man weder etwas vom Leben, noch von der Literatur zu wissen. Für den Kritiker aber liegt die grösste Schwierigkeit darin, überhaupt irgend einen Massstab zu behaupten. Wo kein Stil ist, ist natürlich jeder Massstab unmöglich. Die armen Leute sind nur noch die Berichterstatter der literarischen Polizei. Sie melden die Taten der Gewohnheitsverbrecher in der Kunst.

 

Der Kritiker ist ein Mensch, der es versteht, seinen Eindruck von schönen Dingen in einen andern Stil oder ein neues Mittel zu übertragen. Er ist ein Mensch, der uns ein Kunstwerk in einer neuen Form zeigt. Wer aber ein neues Verfahren anwendet, ist ein Kritiker und ein Schaffender zugleich.

 

In der ästhetischen Kritik kommt alles auf den Standpunkt an.

 

Die höchste und die niedrigste Form der Kritik ist eine Art Autobiographie.

 

Der Kritiker kann im gewöhnlichen Sinne des Wortes gar nicht gerecht sein. Ein unparteiisches Urteil ist wertlos. Wer beide Seiten einer Sache sieht, sieht gar nichts. Nur ein Auktionator kann unparteiisch und gleichmässig alle Kunstschulen bewundern.

 

Der Kritiker kann die Persönlichkeit und das Werk anderer nur dann auslegen und deuten, wenn er seine eigene Persönlichkeit so stark als möglich betont.

 

Der feinfühlige Kritiker wird jene aufdringlichen Kunstarten ablehnen, die nur eine Botschaft zu bringen haben und nachher stumm und unfruchtbar sind. Er sucht nach einer Kunst, die seinen Traum und seine Stimmung befruchtet und durch ihre unirdische Schönheit jede Deutung als wahr, aber keine Deutung als endgültig erscheinen lässt.

 

Die Kunst wendet sich zunächst weder an den Verstand, noch an das Gefühl, sondern einzig an das künstlerische Temperament. Und dieser ›Geschmack‹ wird unbewusst gebildet und erzogen durch die häufige Berührung mit den besten Werken, bis er endlich etwas wie ein richtiges Urteil wird.

 

Das erste Erfordernis für einen Kritiker ist Temperament – ein Temperament, das für die Schönheit und die Sensationen der Schönheit feinstempfänglich ist.

 

Kein Kunstwerk darf nach Gesetzen beurteilt werden, die nicht aus seiner spezifischen Art abgeleitet sind. Die Frage ist nur, ob es in sich geschlossen ist oder nicht.

 

Man sagt den Kritikern bisweilen nach, sie läsen die Bücher gar nicht durch, die sie besprechen sollen. Das tun sie auch nicht, sollten es wenigstens nicht tun. Täten sie es, sie würden für ihr Leben zu Misanthropen. Und es ist auch gar nicht nötig. Um Lage und Wert eines neuen Weines zu bestimmen, braucht man kein Fass leer zu trinken. Es sollte doch nicht schwer sein, nach einer halben Stunde zu entscheiden, ob ein Buch etwas taugt oder nicht. Wer den Sinn für die Form hat, der hat an zehn Seiten genug.

 

Der Satz, der Künstler sei der beste Kunstrichter, ist so falsch, dass man sagen kann: ein grosser Künstler ist ausserstande, über Werke anderer und kaum über seine eigenen zu urteilen. Jene Intensität des Schauens, die einen Menschen zum Künstler macht, beschränkt schon durch ihre Stärke seine Fähigkeit zu feinerer Wertung. Gerade weil jemand etwas nicht machen kann, kann er es beurteilen. Denn das Schaffen engt den Gesichtskreis ein, während das Betrachten ihn erweitert.

 

Das neunzehnte Jahrhundert wurde ein Wendepunkt der Geschichte: durch Darwin und Renan. Der eine war der Kritiker des Buches der Natur, der andere der Kritiker des Buches Gottes. Wer das nicht versteht, verkennt die Bedeutung einer der wichtigsten Epochen in der Entwicklung der Welt. Das Schaffen bleibt immer hinter seiner Zeit zurück. Die Kritik führt uns.

 

Die Verpflichtung, dem Chaos Form zu geben, hört mit dem Fortschritt der Welt nicht auf. Nie war die Kritik nötiger als jetzt. Die Zukunft gehört der Kritik.

 

In der Kunst verdient alles, was überhaupt getan zu werden verdient, gut getan zu werden.

 

Ein Mensch, der nicht für sich selbst denkt, denkt überhaupt nicht.

 

Nichts sieht so sehr wie Unschuld aus als eine Indiskretion.

 

Besser schön sein als gut, besser gut sein als hässlich.

 

Frauen sind da, um geliebt, nicht um verstanden zu werden.

 

So lange eine Frau zehn Jahre jünger aussehen kann als ihre Tochter, ist sie vollkommen zufrieden.

 

Es war immer meine Meinung: ein Mann, der sich verheiraten will, soll entweder alles wissen oder nichts.

 

Wenn du andere verstehen willst, musst du deine eigene Persönlichkeit dichter machen.

 

Wie schade, dass wir im Leben unsere Lektionen erst bekommen, wenn wir gar nichts mehr damit anfangen können.

 

Es ist besser, ein ständiges Einkommen zu haben als zu faszinieren.

 

Sowie Leute alt genug werden, um es besser zu wissen, wissen sie überhaupt gar nichts mehr.

 

Die geeignetste Basis für die Ehe ist ein wechselseitiges Missverstehen.

 

Die Wahrheiten der Metaphysik sind die Wahrheiten der Masken.

 

Die glücklichen Menschen haben ihren Wert, aber bloss den negativen einer Folie: sie übertreiben und steigern die Schönheit und die Bestrickung der Unglücklichen.

 

In dieser Welt sind nur zwei Tragödien: die eine ist, das nicht bekommen, was man will, die andere, es bekommen – und diese letzte ist die schrecklichere, die wirkliche Tragödie.

 

Es ist nicht klug, in allem was man sieht, Symbole zu finden. Es macht das Leben zu erfüllt – von Schrecken.

 

Es ist immer albern, Ratschläge zu geben, aber gute Ratschläge zu geben ist verhängnisvoll.

 

Ein Ding ist nicht notwendig deshalb wahr, weil einer dafür stirbt.

 

Gewöhnliche Frauen sind immer auf ihre Gatten eifersüchtig, schöne Frauen niemals. Sie haben nie Zeit dazu, sind immer vielzusehr damit beschäftigt, eifersüchtig auf die Gatten anderer zu sein.

 

Eine Frau, die öffentlich mit ihrem Mann schön tut, das sieht so schlecht aus, es ist: seine saubere Wäsche vor dem Publikum waschen.

 

Musikalische Leute sind so lächerlich unvernünftig. Sie wollen einen immer dann völlig stumm haben, wenn man völlig taub sein möchte.

 

Man kann das Volk nicht durch einen Parlamentsbeschluss gut machen – das ist immerhin etwas.

 

Merkwürdig sind doch heutzutage die Leute; sie sagen hinter Eines Rücken Dinge, die tatsächlich und völlig wahr sind.

 

Man soll nie einer Frau trauen, die einem ihr wirkliches Alter sagt. Eine Frau, die das tut, ist imstande, einem alles zu sagen.

 

Ich habe Skandalgeschichten von andern Leuten gern, aber die über mich interessieren mich nicht: sie entbehren des Reizes der Neuheit.

 

Keine Frau soll genau in der Angabe ihres Alters sein, es sieht das so berechnend aus.

 

Es ist schrecklich, wenn ein Mensch plötzlich entdeckt, dass er sein ganzes Leben lang nichts als die Wahrheit gesagt hat.

 

In einem Heiligtum soll alles ernst sein, ausser dem, was man anbetet.

 

Die Frauen geben den Männern das wahrhafte Gold ihres Lebens, jawohl; aber sie verlangen es immer wieder in kleiner Münze zurück.

 

Es gibt zwei Arten, die Kunst nicht zu lieben; die eine ist, sie nicht lieben, die andere ist, sie vernünftig lieben.

 

Pünktlichkeit bestiehlt die Zeit.

 

Nichts in der Welt geht über die Liebe einer verheirateten Frau – etwas, wovon kein verheirateter Mann etwas weiss.

 

Sag mir nicht, du habest das Leben erschöpft. Wer das sagt, den hat das Leben erschöpft.

 

Nach einem guten Diner kann man allen verzeihen, selbst seinen Anverwandten.

 

Sprich zu jeder Frau, als ob du sie liebtest, zu jedem Mann, als ob er dich langweilte, und am Ende deiner ersten Saison hast du den Ruf eines gesellschaftlich höchst taktvollen jungen Mannes.

 

Wir liegen alle in der Gosse, aber einige von uns blicken nach den Sternen.

 

Wenn eine Frau sich von ihrem Mann vernachlässigt findet, wird sie entweder sehr nachlässig in ihrer Kleidung, oder sie bekommt wundervolle Toiletten, die anderer Frauen Gatten bezahlen müssen.

 

Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er von sich spricht. Gib ihm eine Maske, und er wird seine Wahrheit sagen.

 

Jede Frau wird wie ihre Mutter, und das ist ihre Tragödie; kein Mann wird wie seine Mutter, und das ist seine Tragödie.

 

Bloss eine Klasse der Gesellschaft denkt mehr über das Geld nach als der Reiche, und das ist der Arme. Der Arme kann nichts sonst denken. Und dieses ist das Elend der Armut.

 

Leben, das ist das allerseltenste in der Welt. Die meisten Menschen existieren nur.

 

Persönlichkeit ist ein Mysterium. Ein Mensch kann nicht immer nach seinem Tun gewürdigt werden. Er mag das Gesetz beobachten und doch wertlos sein. Er mag das Gesetz brechen und doch wertvoll sein. Er kann schlecht sein, ohne je etwas Schlechtes zu tun. Er mag gegen die Gesellschaft sündigen und doch durch diese Sünde seine wahre Vollendung finden.

 

Wir können bestenfalls nur eine grosse Erfahrung im Leben haben, und das Geheimnis des Lebens ist, diese Erfahrung so oft als möglich zu reproduzieren.

 

Heimliche Laster, das gibt es nicht. Das Laster schreibt sich in das Gesicht.

 

Die Frau ist kein Genie, sie ist dekorativer Art. Sie hat nie etwas zu sagen, aber sie sagt es so hübsch.

 

Es gibt viele Dinge, die wir am liebsten wegwerfen Wollten, fürchteten wir nicht, dass andere sie aufhebten.

 

Der Gatte einer sehr schönen Frau ist kriminell.

 

Der führt ein Christus-gleiches Leben, der ganz und gar es selber ist. Er mag ein grosser Dichter sein oder ein grosser Gelehrter; ein junger Student oder ein Schafhirt; ein Dramatiker wie Shakespeare oder ein Gottdenker wie Spinoza; ein spielendes Kind oder ein Fischer, der sein Netz auswirft. Daran liegt gar nichts, was er ist, solange er nur die Seele vollendet, die in ihm ist.

 

Wie doch die Ehe den Mann ruiniert! Sie ist so demoralisierend wie Zigaretten, aber viel kostspieliger.

 

Wirkliche Schönheit endet dort, wo der geistige Ausdruck beginnt. Der Intellekt ist eine Art Übertreibung. In dem Augenblick, da sich einer hinsetzt, um zu denken, wird er ganz Nase oder ganz Stirn oder sonst was Schreckliches.

 

Leute, die es gut meinen, handeln immer schlecht und sind wie jene Damen, die unmögliche, schlechtsitzende Kleider tragen, um ihre Frömmigkeit zu zeigen. Gute Absichten sind immer ungrammatikalisch.

 

Moderne Memoiren haben gewöhnlich Verfasser, die völlig ihre Erinnerungen verloren und niemals etwas getan haben, was zu erzählen Wert hat.

 

Frauen leben wie die Minderjährigen von ihren Erwartungen.

 

Erziehung ist schon eine wundervolle Sache, aber es ist ganz gut, von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, dass nichts Wissenswertes gelehrt werden kann.

 

Jeder, der zum Lernen unfähig ist, hat das Lehren auf sich genommen – dahin sind wir mit unserem Enthusiasmus für Erziehung gekommen.

 

Ich dachte, ich hätte kein Herz. Nun finde ich, ich habe eines, aber es steht mir nicht. Es geht irgendwie nicht mit unserer modernen Kleidung zusammen. Man sieht alt damit aus, und ruiniert einem in kritischen Momenten die Karriere.

 

Glaube, das ist die vielseitigste Sache, die ich kenne. Man nimmt von uns an, wir glaubten alle dasselbe auf verschiedene Weise. Es ist wie Essen aus derselben Schüssel mit verschiedenfarbigen Löffeln.

 

Selten sagen die Menschen Wahrheiten, die des Sagens wert sind. Wir sollen unsere Wahrheiten ebenso, sorgfältig aussuchen, wie wir es mit unseren Lügen tun, und unsere Tugenden so bedacht wählen, wie wir es mit unseren Feinden machen.

 

Zu viel Schminke und zu wenig Kleider – das ist bei einer Frau immer ein Zeichen von Verzweifeltheit.

 

Nichts ist einer Persönlichkeit unangenehmer, als Versprechen halten, ausser dieses, die Wahrheit zu sagen.

 

Ich wähle meine Freunde nach ihrem hübschen Gesicht, meine Bekannten nach ihrem guten Charakter, meine Feinde nach ihrer starken Intelligenz.

 

Nichts ist mir peinlicher, als auf Tugend in einem Menschen zu stossen, in dem ich sie nie vorhanden dachte. Es ist, wie eine Nadel in einem Bündel Heu finden. Es sticht einen. Die Tugendhaften sollten doch wirklich vor sich warnen.

 

Ein Echo ist oft schöner als die Stimme, die es wiederholt.


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