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Rabansers Behausung.
Der Dachboden eines Vorstadthauses. In der ungefähren Mitte des düsterphantastischen Raumes eine Art Verschlag, durch Mauerwerk und Holzwände gebildet, nach vorne zu jedoch offen und nur durch ein mächtiges Holzgatter abzuschließen, dessen beide Flügel nach links und rechts aufgeschlagen sind. Der rechte Gatterflügel lehnt sich an eine Mauer, in die die Kamine eingebaut sind und durch die ganz rechts eine eiserne Tür auf die Bodentreppe hinabführt. Der linke Flügel lehnt sich an eine Bretterwand, die einen kleinen Nebenraum des Verschlages gegen den Zuschauer hin abgrenzt, Links davon der eigentliche Bodenraum, in dem man mannigfaches Gebälke, übereinandergetürmte Kisten und Kasten und den matten Schimmer aufgehängter Wäsche mehr ahnt als sieht. Der Verschlag selbst ist ein unregelmäßig viereckiger Raum. Sein Hintergrund wird von der geneigten Innenfläche des Daches gebildet und verfügt über eine große torartige Öffnung in den Himmel hinaus. In der linken rückwärtigen Ecke des Verschlages ist auf ein paar niederen Kisten mit alten, rot und weiß gestreiften Matratzen ein geräumiges Lager hergestellt. In der rechten rückwärtigen Ecke steht ein uralter Kleiderständer, auf dem ein Anzug und ein Hemd hängen. An der schräg nach vorne verlaufenden gemauerten Rechtswand nächst dem Kleiderständer ein eisernes Waschgestell. Weiter vorne ein wackeliger Tisch, ganz an die Wand gerückt. Über ihm ein improvisiertes Regal mit Büchern, Broschüren, Heften, Zigarettenschachteln usw. Daneben links und rechts, mit Reißnägeln an die Wand befestigt, ungerahmte Blätter mit Bildnissen von Lassalle, Rousseau und Schiller. Vor dem Tisch ein verfallener Biedermeierstuhl, neben dem Tisch an der Wand ein ausrangierter weißer Gasthaussessel. Ganz vorne rechts eine niedere Truhe, über die ein Stück von einem alten Vorhang gebreitet ist. Darüber an der Wand ein kleiner japanischer Papierfächer, eine Laute, ein ausgestopfter Uhu und eine Stallaterne. Links vorne führt eine rohgezimmerte schmale Tür durch die Holzwand in den erwähnten kleinen Nebenraum des Verschlages.
Wenn der Vorhang aufgeht, ist der Raum vor dem Verschlage und der Vordergrund des Verschlages selbst von der brennenden Stallaterne matt erleuchtet. Durch die Dachöffnung scheint der Himmel der hellen, besternten Nacht herein und erfüllt den Hintergrund mit einem sanften, bläulichen Dämmer. Dort sitzt
Taube auf dem Rande der Lagerstätte, in sich zusammengekauert und dennoch sichtlich auf irgendein Erwartetes mit allen Nerven gespannt. Sie ist ein ungefähr sechzehnjähriges Mädchen mit kindlich dürftigen Formen und einem blassen, bei weitem älteren Gesicht von slawisch-zigeunerhaftem Schnitt. Ihr dunkles Haar hat sie im Nacken zu einem kleinen Knoten gebunden. Ihre ärmliche Tracht ist phantastisch zusammengestückelt: ein kurzes, dunkles Röckchen, eine Art Hemdbluse und eine farbig-gestreifte Schürze in der Art der dalmatinischen Gewebe. Ihre Beine und Füße sind nackt.
Man hat aus der Tiefe des Bodenraumes zwei weibliche Stimmen sprechen gehört. Von dorther kommen nun
Frau Pogatschnigg, die Hausbesorgerin, mit einer brennenden Laterne und das
Dienstmädchen, das einen leeren Wäschekorb trägt.
Die Pogatschnigg ist eine ältere, unwirsch aussehende Frau, ganz der Typus ihres Standes, das Dienstmädchen eine junge blonde Person vom Lande, simpel, ausdruckslos, aber trotzdem in ihrem Wesen und Gehaben mit dem schlichten Anteil begabt, den Arme für noch Ärmere haben. Es ist daher mehr als bloße Neugierde, wenn sie am Verschlage links, so daß sie von Taube nicht gesehen werden kann, stehenbleibt und durch den vorstehenden Teil des Lattengatters hineinspäht. Auch Frau Pogatschnigg bleibt im Vordergrund stehen und blickt mit dem Ausdruck mißbilligender Besorgtheit auf Taube, die von all dem nichts merkt. Erst nach einigen Augenblicken beginnen die beiden Frauen miteinander gedämpft zu sprechen.
Dienstmädchen
Da sitzt sie noch immer wie vor einer Stund' –
Pogatschnigg
Die sitzt wohl schon länger so und wartet auf ihn.
Dienstmädchen
Wann hätt' er denn kommen sollen?
Pogatschnigg
Gestern auf die Nacht spätestens. Völlig närrisch war sie schon vor Freud' und Aufregung. Um Blumen hat sie mich angebettelt für den Tisch und zum Anstecken. Sind auch welk worden über Nacht, und das Essen steht heut auch noch dort für ihren Rabanser. Keinen Bissen hat sie angerührt.
Dienstmädchen
So gern hat sie ihn?
Pogatschnigg
Auch alle Ursach'! Wo wär' die heute, wenn er nicht ist? Verhungert oder schlecht –
Dienstmädchen
Leicht möglich, wo sie doch taub ist –
Ein Elend auf der Welt.
Dienstmädchen
Wo ist er denn eigentlich hin, der Rabanser?
Pogatschnigg
Zur Prüfung, gestern mittags –
Dienstmädchen
Da könnt' er doch leicht daheim sein!
Pogatschnigg
Freilich. – Aber so ein junger Mensch hat halt noch nicht die Religion, wie wenn einem Gesetzteren ein Unglück passiert. Wirft die Hoffnung weg, und das Leben geht mit darauf.
Dienstmädchen Ereignis witternd
Was, Sie glauben ein Unglück, Frau Pogatschnigg?
Pogatschnigg
Weiß man's? Hängt ja schier alles ab für ihn von der Prüfung.
Dienstmädchen
So gewissenlos wird er doch nicht sein!
Pogatschnigg
Das Leben nimmt sich keiner, der nicht glaubt, es muß sein. Mit dem Gewissen hat das nix zu tun, Fräulein Karolin'!
Das wär' ja schrecklich für das arme Ding!
Pogatschnigg vor sich hin
Na, solang die Mutter Pogatschnigg ist –
Dienstmädchen
Das ist wohl wahr! Sie werden sie nicht verlassen!
Pogatschnigg in der Maske der Rauheit
Aber arbeiten heißt's dann für das Fräulein! Arbeiten und was verdienen! Händ' und Fuß' hat sie ja. Kann s' die Lauten schlagen, wird s' einen Strumpf auch noch stricken können. Da braucht s' keine Ohren dazu!
Dienstmädchen
Hört s' denn gar nichts?
Pogatschnigg noch immer polternd
Einen Schimmer wird s' schon haben. Was er ihr sagt, versteht sie alles. Ihm liest sie's vom Mund ab.
Dienstmädchen
Ja, wenn unsereinem ein Sinn fehlt!
Pogatschnigg wie oben
Nur wenn eins pfeift oder aufstampft mit'm Fuß auf dem Erdboden, vernimmt sie's auch auf Entfernung, aber nicht mit dem Gehör, sondern hier herum, Geste um die Schläfen, mit dem Gefühl.
Dienstmädchen
Nicht zum glauben!
Pogatschnigg
Ja, unser Herrgott weiß halt doch immer noch seiner Kreatur zu helfen. Für eins, was er ihr tot macht, macht er ihr ein anderes um so lebendiger.
Dienstmädchen
Ist völlig ein Wunder –
Pogatschnigg
Ist alles ein Wunder auf der Welt. – Kommen S' jetzt mit herunter, Fräulein Karolin'!
Dienstmädchen gutmütig ergeben
Wohl! Können ihr ja doch nicht helfen.
Während die beiden sich anschicken rechts abzugehen, hört man polternd-tappende Schritte und eine unwillig räsonierende Männerstimme die Bodentreppe heraufkommen.
Taube wird lebendig, schnellt von ihrem Sitze auf und ist mit ein paar Schritten rechts vorne bei der Truhe und steht, ihre Wange lauschend hingeneigt, in ängstlich-freudiger Erwartung einige Augenblicke still. Sie hat die beiden Frauen gewahrt und bittet sie, mit dem Finger am Mund, um Stille.
Pogatschnigg erschüttert, leise
Da haben Sie das Wunder! Sie spürt wen die Stiegen heraufkommen!
Dienstmädchen fast ängstlich vor dem Unbegreiflichen, leise
Meiner Seel'! Es kommt wer!
Taube in höchster Erregung
Höher – immer höher! – Jetzt? – Ihr Gesicht verfällt in abgespannt-hoffnungslosen Ausdruck Nicht Rabanser! – Noch immer nicht. Sie läßt sich auf die Truhe nieder und schaut ganz starr und teilnahmslos vor sich hin ins Leere.
Pogatschnigg bei Taube, streichelt ihr mütterlich-mitleidig das Haar, hält dem Dienstmädchen die Laterne hin und sagt gedämpft mit verhaltener Bewegung
Leuchten S' einmal hinunter, Fräulein Karolin'!
Dienstmädchen geht zur Tür, öffnet sie zaghaft. In ihrem Rahmen steht bildhaft-überraschend und überrascht
Herr Melchior Magentrost.
Er ist ein kleiner, stämmiger, vollsäftiger Mann von dem Aussehen eines wohlsituierten Weinreisenden. Glatzkopf, schwarzgefärbter, englisch geschnittener Schnurrbart, ebenso gefärbte Augenbrauen; diskret alkoholische Nase mit schiefsitzendem, goldenem Kneifer, über und neben den hin die kugelrunden, beweglichen, listigen und unbarmherzigen Äuglein rasche, mißtrauische, zwinkernde, lauernde und hurtig-prüfende Blicke schießen. Er trägt einen kurzen, gelbbraunen Sommerüberzieher, eine derbkarierte Hose, spitze gelbe Schnabelschuhe, vorne weit offenen Stehkragen, knallroten Schlips mit einer protzigen Brillantnadel. In der Linken hält er einen braunen, steifen Hut und ein ganz dünnes, schwarzes Spazierstöckchen mit filigraner Silberkrücke. Er redet mit verlogen-übertriebener Höflichkeit, hinter der eine große Brutalität jederzeit zum Sprunge bereit ist.
Magentrost volltönend, mit verschmitztem Lächeln
Guten Abend! Falls ich die Herrschaften gestört haben sollte, bitte ich um gewogene Verzeihung.
Pogatschnigg nach vorn kommend
Wer ist's?
Magentrost
Domiziliert hier, bitte, Seine Edelgeboren Herr Doktor Theophil Rabanser?
Pogatschnigg mißtrauisch, trocken
Ein Herr Rabanser, Student seines Zeichens, wohnt hier.
Magentrost konstatierend
Dann bin ich am Orte. – Herumblickend Luftige Gegend! Bei Katz' und Fledermaus. Nette Kundschaft.
Dienstmädchen entfernt sich mit unterdrücktem Kichern.
Pogatschnigg sachlich Was wünschen Sie von Herrn Rabanser?
Kann ich mit Seiner Gnaden nicht persönlich sprechen?
Pogatschnigg kurz
Nein.
Magentrost
Sehr bedauerlich! – Periculum in mora, wie die Herren Lateiner unter meinen Klienten sagen. Es ist nämlich – Gefahr im Verzuge!
Pogatschnigg mit beherrschtem Erschrecken
Was für eine Gefahr?
Magentrost mit plötzlicher Verbeugung
Terminsverlust, meine Gnädigste, Terminsverlust!
Pogatschnigg vor Beklommenheit grob
Reden Sie deutsch!
Magentrost unbeirrt, zieht die Uhr
Soeben, vor einer halben Stunde, ist das gefürchtete Ereignis, leider Gottes, eingetreten. Die Sache steht in Kürze wie folgt: ich habe Seiner Liebden behufs Ablegung der Reifeprüfung einen schwarzen Gehrock mit Seidenfasson und Atlasfütterung zu leihen die Ehre gehabt. – Ich heiße Melchior Magentrost, in Firma Balthasar Magentrost und Sohn; der Sohn bin ich! – Bemeldeter Rock nun wäre heute Schlag acht bei mir abzuliefern gewesen, was nicht geschehen ist.
Pogatschnigg etwas kleinlaut
Sie werden Ihren Rock schon wiederbekommen.
Magentrost tückisch
Leichter gesagt als getan, Madam! Woher wissen Sie, daß ich jetzt, nach Verfall des Termines, auf das Kleidungsstück noch Gewicht lege?
Pogatschnigg ihn durchschauend, wetterleuchtend
Sondern?!
Magentrost mit höhnischer Verbindlichkeit
Geld, meine Gnädigste, der volle Anschaffungspreis, das ist es, worauf ich seit dem englischen Gruße ein Recht habe! Zieht ein Papier Hier steht es! Einverständlich, zwanglos und ordnungsgemäß rubriziert, mundiert und subskribiert! Bitte sich zu überzeugen!
Pogatschnigg mühsam gehalten, rauh
Mein lieber Herr Magentropf, oder wie Sie sonst heißen, ich werde Ihnen jetzt etwas sagen!
Ich lausche.
Pogatschnigg
Ich, die Emerentia Pogatschnigg, bürg' Ihnen dafür, daß Sie Ihr Sach' wiederbekommen, einen Fall ausgenommen!
Magentrost
Den Rock? Nein, das Geld!
Pogatschnigg immer drohender
Einen Fall ausgenommen!
Magentrost einlenkend
Der wäre?
Rabanser erscheint leise in der Bodentür und bleibt lauschend stehen.
Pogatschnigg rauh
Wenn der junge Herr vielleicht ins – Wasser gegangen sein sollte!
Magentrost ganz unberührt
Und wenn dies der Fall ist, wodurch der Rock einigermaßen schadhaft geworden sein dürfte und sintemalen es mir doch nicht zugemutet werden kann, meine Leihgegenstände auf den Trockenplätzen für Wasserleichen zusammenzusuchen –?
Pogatschnigg bebend an sich haltend
Dann bekommen Sie das Geld von mir, aber gleichzeitig –!
Magentrost hurtig ihr Papier und Bleistift hinreichend
Wollen Sie mir das nicht schriftlich geben?!
Pogatschnigg ihm das Zeug aus der Hand schlagend
Aber gleichzeitig mache ich gegen Sie die Anzeige bei der Polizei! Leutschinder! Hyäne! –
Magentrost maskenlos, außer sich, ordinär
Wie? Was? Polizei? Sind Sie bei Trost?! Mir wollen Sie mit der Polizei drohen? Mir, einem konzessionierten Gewerbe?!
Rabanser tritt mit ein paar raschen Schritten urplötzlich zwischen die beiden, der Pogatschnigg sanft, dem Magentrost unsanft die Hand auf die Schulter legend
Pax vobiscum! Brav, alte Wehmutter! Recht guten Abend, Herr Magentrost! – Beide starren ihn einigermaßen entgeistert an. Rabanser zieht gelassen den Rock aus und hält ihn an der Schlinge zwischen die beiden. Seht, welch ein Rock! Hier haben Sie ihn, Herr Magentrost! Nehmen Sie ihn schön über den Arm! Legt ihm den Rock unausweichlich über Ohlala! Ruhe! Ich weiß schon: Terminsverlust! Ihn zur Bodentür führend So und jetzt durch diese Tür über die Treppe! Alsdann halblinks kehrt, wieder drei Treppen! Immerfort abwärts, ohne Zaudern und Widerspruch, bis auf die Straße! An der zweiten Ecke rechts steht übrigens Ihr verehrtes Fräulein Tochter und scharmuziert mit einem Kanonier! Laufen Sie, laufen Sie! Vielleicht kommen Sie noch zurecht, um einem Familienereignis vorzubeugen! Wünsche wohl gespeist zu haben!
Magentrost der unter fortwährenden Protesten, wie: Das verbitte ich mir! Terminsverlust! Mein Geld! Unverschämt! bis auf die Stiege gelangt ist, schon halb unten, losbrechend
Sie werden von mir hören!
Rabanser ihm nachrufend
Nur ungern! Schlägt die Tür zu, nach vorne kommend So! Das wäre erledigt!
Pogatschnigg die mit Zeichen des Beifalls die Szene begleitet hat
Bravo, Herr Rabanser! Dem haben Sie gut heimgeleuchtet!
Taube die den Tumult angstvoll gespannt und angestrengt beobachtet hat, in Heller, erlöster Freude
Rabanser!
Rabanser die Arme nach ihr ausbreitend So flieg mir doch an die Brust, Taube!
Taube wirft sich ihm unter Lachen und Weinen an den Hals.
Rabanser hält sie an sich, streichelt sie inbrünstig, zärtlich, aber sein Gesicht hat den Ausdruck qualvoller Verstellung. Über Taube hinweg, leise, grimmig, weh
Sie haben mich fallen lassen, Mutter Pogatschnigg, die Hunde! – Still! Aufgepaßt! Diese da soll noch nichts davon wissen! Heute wenigstens noch nicht! Verstanden?! Löst sich von Taube los und lacht wild auf So lachen Sie doch mit der ganzen strahlenden Breitseite Ihres falschen Gebisses! Lachen Sie doch! Er packt die Pogatschnigg bei beiden Händen und schwingt sie einmal im Kreise herum. Die Pogatschnigg macht gute Miene zum bösen Spiel, Taube klatscht vergnügt in die Hände.
Rabanser mit den Gesten des Essens, voll scheinbaren Übermuts
Hunger, Taube! Diese läuft zum Tisch und ordnet ihn.
Pogatschnigg herb
Steht ohnehin noch auf dem Tisch dort, das Nachtmahl von gestern! Nicht einen Bissen hat sie angerührt.
Rabanser schwer, abgewandt Ich habe nur das eine Herz! Das brechen Sie mir gefälligst nicht. Sie wissen schon, für wen ich's brauche.
Pogatschnigg einfach, mit dem Unterton verschämter Mütterlichkeit
Daß Sie nur wieder daheim sind! Hab' völlig schon Angst gehabt um Ihnen –
Rabanser verhalten
Ich auch, Mutter Pogatschnigg! – Wenn die auf Taube weisend nicht gewesen wäre und Sie nicht, kreuzbrave Menschenhaut, dann – weiß Gott! Da Taube sich herangeschlichen und zu beobachten scheint In des Dreiteufels Namen, was stehen Sie denn da wie die hundertundsiebzehn Klagefrauen des Königs Abimelech?! Sehe ich aus, als ob ich Kondolenzcour abhielte?! Lachen Sie, hab' ich gesagt! Beide markieren Gelächter. Da Taube sich wieder entfernt hat, beklommen Und für ein Jahr werden Sie mir schon noch manches kreiden müssen. – Wieviel Hab' ich denn eigentlich bereits auf dem Kerbholz?
Pogatschnigg aus Zartgefühl grob
Deswegen, weil sie durchgefallen sind, brauchen Sie mich noch lang' nicht beleidigen! Wendet sich zum Gehen.
Rabanser unwillkürlich hell auflachend, ihr nach
Da hast du einen Kuß, alte Korybantin und Kupplerin!
Pogatschnigg sich losmachend
Pfui, schämen Sie sich! Gottloser Mensch Sie! Rechts ab.
Rabanser einige Augenblicke an der Tür versunken, dann sich zusammennehmend
Und nun zu dir, Kartoffelprinzessin! Folgt der Komödie zweiter Teil! In tollem Überschwang des Selbstquälens Wein, Taube, Wein! Ich verlechze! Trinken! Gestus Liebfrauenmilch, Lacrimae Christi! Gereift, gegoren, geklärt Anno hunderttausend vor Buddha in Urgesteinschlüften bei Krummholz und Bartkiefern! In Rohre gefaßt und geleitet bis zu der grünspanumwitterten Pipe, Paphnuciusgasse sieben, im Dachgeschoß, Tür Nummer dreizehn! Wein, Taube, Wein!
Taube in kindlicher Freude des Dienens und Überraschens, hebt einen irdenen, braunen Wasserkrug unter dem Tische hervor und hält ihn springend und lachend hoch
Erst Gläser, Rabanser, erst Gläser!
Rabanser nach dem Krug greifend, mit ihr balgend, mit grimmigem Humor
Ach was! Her damit! So weit braucht die Katzenjammersymbolik nicht zu gehn! An die Lippen den bauchigen Mischkrug! Anders trank nicht Achilles und der honigzüngige Nestor! Setzt den Krug an und macht ein paar gierige Züge, hält plötzlich inne und sieht Taube mit einem unbeschreiblichen Blick aus Überraschung, Beschämung und Zorn an.
Taube unbändig lachend, in die Hände klatschend
Wein! Wirklicher Wein!
Rabanser stellt den Krug hart hin
Auch das noch! Aus gewürgter Kehle sie plötzlich anfahrend Wo hast du den Wein her? Sie am Gelenk packend Wo du den Wein herhast, Figur!?
Taube gedemütigt, am Weinen
Mutter Pogatschnigg –
Rabanser wild
Hab' ich dir nicht verboten, betteln zu gehn für mich? – Wollt ihr mich denn alle zum – Schmarotzer machen auf Gottes Erdboden? Zum hundeelenden Schmarotzer?
Sieht an Taube vorüber, den Ausbruch bereuend, mit zunehmender, aber verhaltener Erschütterung Und was ist das? Deckt den Teller auf Seit wann essen wir kalten Braten zu Abend? Schiebt den Teller weg und laßt sich schwer nieder.
Taube behutsam
Ist denn nicht – Festtag heute? Fängt an, leise zu schluchzen.
Rabanser am Rande der Verstellung
Festtag? – Plötzlich wild auflachend Ich ersticke an dieser Komödie. Läßt den Kopf auf den Tisch sinken.
Taube ihm übers Haar streichend
Guter Rabanser! – Hat man ihm wehgetan? – Will er Taube nicht ansehn? – Ich spiel' ihm die Laute – ich sing' ihm!
Rabanser in schmerzlicher Abwehr
Geh! – Geh, sag' ich dir! Weist nach der Tür links.
Taube demütig, leise schluchzend, langsam links zur Tür, wirft noch einen Blick zurück, dann ab.
Rabanser hebt nach einigen Augenblicken den Kopf, starrt eine kurze Weile in tiefer Trostlosigkeit vor sich hin, dann findet sein Blick die Tür, durch die Taube verschwunden ist. Als wollte er sie um Verzeihung bitten, faltet er nun wie ein Kind die Hände; im Ton großer Zärtlichkeit und schmerzvoller Reue Taube! – Taube! Er läßt die Hände in den Schoß sinken und sieht ganz verloren vor sich hin ins Leere.
Auf der Bodenstiege Schritte, unsicher-hastige. Die Tür wird rasch geöffnet.
Hubert erscheint wie ein Erschöpfter, Verfolgter auf der Bühne. Totenbleich, ohne Hut, mit windzerrauftem, schweißdurchnäßtem Haar, tastet er sich, mit den Händen in dem dunklen Raum nach Halt und Führung suchend, bis zum Verschlag vor, an dessen Eingang er, an die Mauer gelehnt, stehenbleibt.
Hubert wie mit letzter Kraft
Rabanser!
Rabanser! auffahrend
Holla! Wer da?!
Ich – Hubert!
Rabanser aufschäumend
Du?! – Beherrscht, aber hart Ich verhehle nicht mein Befremden!
Hubert dringend
Du mußt mich anhören!
Rabanser scharf
Nach dem, was vorgestern –?!
Hubert
Unseliges Mißverstehen!
Rabanser zügellos
Vor die Füße hätte ich dir dein Almosen werfen müssen und hab's nicht getan! Glaubst du, aus einem anderen Grunde, als weil ich zufällig darauf vergessen?! Red oder –!
Hubert qualvoll sich aufbäumend
Rabanser! Dies alles wiegt federleicht in dieser Minute!
Rabanser aufblitzend
Was? Der Bettelstolz eines durchgefallenen Studenten? Meinst du das?!
Hubert steht starr, gehemmt, dann plötzlich ein jähes Aufschluchzen und Wanken durch seine Gestalt.
Rabanser unwillkürlich mit einem Schritt auf ihn zu
Was hast du? Wie siehst du denn aus? Jammerfigur! Fängt ihn förmlich in seinem Arm auf und drückt ihn auf die Truhe nieder Werde doch nicht gleich ohnmächtig! Schluck Wein gefällig? Macht eine Wendung zum Tisch hin, bleibt aber stehn.
Hubert dies und das Folgende wie im Fieberdelirium
Aus, Rabanser, aus! – Gelaufen, gerannt, gehetzt! Furien an meinen Fersen! Lacht grell auf Ihre Stimmen noch wirbeln auf meinem Trommelfell! –
Rabanser grausam
Wessen?
Hubert
Ihre geschliffenen Blicke, wie Dolche, tanzen vor meinen Augen! Das war das Letzte!
Rabanser wild erregt
Wer oder was?! Subjekt, Prädikat!
Hubert
Nein, nein, nein, nein! Nicht fragen! Ein Schuft, der sein Nest beschmutzt! Ein Nichts, aber kein Schuft! Almosen ich der Unlust an die Langeweile! Und als ich nicht mehr zu vermeiden war, sahen sie aneinander vorüber! Genug, genug, genug!
Genug auch mir! Es wird Licht über dem Chaos!
Hubert
Wie zwei Mühlsteine zerreiben sie mich, seit ich denke! Sand geworden, hilflos unnützer Sand! Jeder Windstoß wirbelt mich auf, verbläst mich! Aufklagend Sie haben mich nicht gewollt!!
Rabanser mit wildem, grimmigem Auflachen
Nicht gewollt!? Das sieht ihnen ähnlich!
Hubert jäh aufschnellend
Lach nicht, Rabanser! Du sollst nicht so lachen!
Rabanser voll Haß
Wie?! Mannsbilder, die zur Freite gehen, weil sie die Wirtshauskost ödet und das Waschweib bestiehlt?! Wie? Biedermänner, die den Familienkoller kriegen, weil sie der Hurenlohn reut und die Syphilis scheucht!?
Hubert angstvoll, niedergeschmettert
Was soll das heißen?!
Rabanser immer grimmiger
Frauenzimmer, die sich zu Markte tragen, damit sie nicht ranzig werden und dem Bresthaus entgehen in ihren zahnlosen Jahren? Zuhälter bei Universalerbinnen! Kebsweiber bei schweißigen Versorgern und Verdienern?!
Hubert
Rabanser!
Rabanser
Gesindel, das mit solcher Stirne Spottgeburten in die Welt setzt und über die Kinder der Lust den Schandfluch ausschüttet?! Wie?! Und ich soll nicht lachen!?
Hubert
Lach, wie du willst! Nur hilf mir, ich bin am Ertrinken!
Rabanser
Was geht mich dieser Bankrott an? Soll ich der Strohhalm sein?
Hubert
Ich kehre nicht mehr zurück, woher ich gekommen!
Rabanser
Flucht? Und ich dein Lehrer im Kneifen?!
Hubert
Noch bin ich nicht stark genug, noch muß ich weichen!
Rabanser
Ohne es ihnen zuerst ins Gesicht zu schreien?!
Hubert verzweifelt
Ich kann nicht anklagen!
Warum?!
Hubert fassungslos
Es sind ja doch – meine Eltern! Wirft sich auf die Truhe.
Rabanser nach einer Stille, mit gesenkter Stimme
Ach so! – Ich habe nicht gewußt, daß dieses Wort noch immer so viel Pathos für dich besitzt. Da kann ich bei meiner Verkommenheit nicht mitreden. Habe den Elternzauber nie selbst verkostet, bloß eben ein – Findelbalg.
Hubert wieder gesammelter, aber in dumpfer Fiebrigkeit
Rabanser! Zu keiner Seele noch hab' ich von all dem gesprochen. Zu dir nur, dem Ersten und Letzten. – Es ist furchtbar, Rabanser, Fleisch vom Fleische zweier Menschen zu sein, die einander hassen! Mich selber hassen sie ja nicht. Nur die Stunde verfluchen sie, die sie in mir verkettete.
Rabanser mit gebändigtem Grimm, vor sich hin
Als ob es ein Lottospiel wäre, einen Menschen zu machen und ihn hernach nicht scharmant zu finden!
Hubert immer zerrissener
Verpfuscht, verkrüppelt fühlen sie sich in mir! Und ich – das grausame Widerspiel ihrer unversöhnlichen Kräfte in einem Herzen! Muß man da nicht entzweigehn? Kann da ein Wille wachsen zu sicherem Tun? Jede Empfindung schon an der Quelle vermischt, jedes Wort selbst zerspalten in Ja und Nein! Dort kann ich nicht bleiben! Dort einen die Teile sich nie! Dort festigt sich niemals die Achse! Und haltlos kreise ich in Verzweiflung. Verstehst du mich jetzt, Rabanser?
Rabanser rauh, in sich arbeitend, verschlossen
Nur weiter im Texte!
Hubert
Aber befreit von ihrem Banne, der jede entschiedene Regung im Aufflug niederzwingt, werde auch ich mich sammeln! Was kann denn die Fremde Herberes drohen, als mißachtet zu werden von seinem eigenen Vater?! Und habe doch auch sein Blut in mir! Das wird sich schon auswärtsringen. Davon genügt ein Tropfen, um Felsen vom Ort zu rücken! Aber dann, wenn es endlich vollbracht ist, wenn ich dastehen werde auf meinen eigenen starken Füßen, dann will ich es ihm schon weisen, dann wird auch er sein Kind nicht mehr verleugnen!
Rabanser nach einer kurzen Pause, mit etwas gesenkterer Stimme
Du träumst, Hubert! – Wieder hart und gestrafft Aber der Augenblick ist nicht zum Träumen. Wir müssen das Senkblei tiefer auf Grund lassen. Bloß um eine Meinung über dich zu berichtigen, das lohnte den Salto mortale ins Fragliche nicht. – Auch ich habe zu dir noch nie – von mir gesprochen.
Hubert
O tu es, Rabanser! Ich bin ja so durstig nach einem Menschenwort!
Rabanser mit immer wachsender innerer Erregung, die er nach außen durch Schärfe verbirgt
Auch wenn ich mit – Messern rede?
Hubert erbangend
Mit Messern? – Muß denn das sein?
Rabanser scharf
Jawohl! Je schärfer, desto barmherziger! Mit Falzbeinen merzt man Geschwüre nicht. – Aufgepaßt! Erst ein paar Schritte auf und ab, dann starr in gebändigter Erregung Als ich mit vierzehn Jahren aus dem Haus meiner Kindheit, dem – Waisenhaus, in diese Welt entlassen wurde, da hieß sie zunächst: die Straße. Man gibt dir zwar einen Vormund, aber was kümmerst du ihn, der dich nur kennt aus dem Wisch, ihm zugestellt wie ein Auftrag zur Zahlung der Steuer? – Allein! – Bist du jemals allein gewesen in deinem Leben?
So nicht.
Rabanser immer erregter
Ich glaub' dir's! – Nur Wüsten könnten es dir versinnbilden, was es heißt, so allein zu sein. – Du ließest dich in den Strom gleiten, und kein Hund würde fragen, wohin du verkommen. Höchstens – ein Name würde gelöscht mit der Zeit in irgendeinem Register, ein Bündel Papiere ad acta gelegt. Nichts weiter. Fast drohend Aber die Ungewollten dieser Art – sind zäh!
Hubert betroffen, gepeinigt
Sind sie das?
Rabanser
Zum mindesten hie und da – einer! Der will nicht Bierjunge werden, Cabskutscher oder Zuhälter! Hat die Hoffart im Blut, will Aufstieg, Geborgenheit – Bildung! Warum auch nicht?! Sie ist ja erhältlich, nur kuschen! – Armutszeugnis, Stipendium, Stundengeben! Da lernt man das Leben kennen! In dem sind Hunger und Frost noch gnädiger Rutenstreich. Doch die Entwürdigungen, das ewige Imverdachtstehn! Gerade daß sie dir nicht das Silberzeug vor der Nase wegräumen, wenn du ins Haus deines reichen Schülers zum Freitisch kommst! Da gehört schon eine Chimborassoportion – Güte dazu, um nicht bösartig zu werden oder zerbrochen!
Hubert mit einer Bewegung des Anteils, erschüttert
Rabanser –
Rabanser mit rauher Abwehr
Kein Beileid, wenn ich bitten darf! Scharf Nicht um Anteil für mich, nur um Klarheit für dich wirbt diese Geschichte. Ich – habe ja ein Gebiß bekommen, das Kieselsteine zermalmt! Aber du? Du Vater- und Mutterkind! Könntest du auch nur Ähnliches auf dich nehmen?
Hubert in innerem Aufruhr
Ich weiß nicht, mein Fall liegt anders, Rabanser!
Rabanser immer überlegener
Wohl liegt er anders. Denn was war dein Leben bisher?
Hubert
Schlafen und träumen vorerst, dann aber jäh erwachen in einem Hause, das brennt! – Aber was geht es mich heute noch an? Ich werfe es hinter mich!
Rabanser
Wohl geht's dich auch heute noch an! Denn – Gleiten war es von Landung zu Landung. Du bist kein Fahrzeug zum Rammen. Das wird man nicht über Nacht!
Woher soll ich Kraft nehmen, wenn niemand an mich glauben will?
Rabanser
Niemals ward an eine Kraft geglaubt, die noch nicht bewiesen! Drum sage ich: bleib, wo du bist!
Hubert
Das will und kann ich nicht!
Rabanser
Es lernt sich schon bei gedeckten Tischen und Lavendelbettzeug.
Hubert mit Auflehnung
Das ist nicht alles!
Rabanser
Nicht alles, aber viel! Mehr, als du ahnst. Soll ich dir zeigen, wie viel es ist?
Hubert mit dem Ingrimm der Schwäche
Du bist grausamer zu mir als – mein Vater!
Rabanser wild
Was gehen mich Väter an?!
Hubert
Deine Überlegenheit willst du mich kosten lassen!
Das hab' ich nicht nötig! – Soll ich dir zeigen, wie viel es ist?!
Hubert hitzig
Tu, was du willst!
Rabanser wild
Das habe ich immer getan und kann, was ich will! – Augen und Ohren auf! Die Verheißungen eines Zauberbudenausrufers sind Limonade gegen das, was ich dir zu bieten habe! Ich stampfe mit dem Fuße und kreische: hereinspaziert, Paradigma des Elends! Holla! Hereinspaziert, Phantom aus Jännernächten, wo man unter Brücken erfröre, wenn nicht ein Bettelstudent Ertränkungsabsichten hätte! Holla! Hereinspaziert, Gymnasiastendirne!
Taube ist von links zaghaft eingetreten und kommt langsam, mit lauschend seitlichhingeneigtem Gesicht, blaß, verweint und demütig in die Mitte des Verschlages, wo sie, den Blick auf Rabanser gerichtet, stehenbleibt.
Rabanser
Da hast du das Gaukelbild!
Hubert verwirrt
Rabanser, wer ist –?
Rabanser im Paroxysmus des Selbstquälens auflachend
Wer!? – Schaudert's dich endlich? Schwindelt es dir vor diesem Kinoeffekt des unterirdischen Lebens?! Sieht sie nicht aus wie im siebenten Jahr eines Hungerkriegs? Fürcht dich doch nicht! Sie ist kein Gespenst! Sie leibt, lebt! Hat Blut in den Adern, wenn auch nur dünnes und fieberndes! Ist aber rosig wie Vogelblut und läßt sich auch husten!
Hubert
Laß es genug sein, Rabanser!
Rabanser immer grimmiger
Noch lang nicht genug! Ich bin erst am Anfang! – Kind eines Bettelmusikanten, Lautenschlägerin zu seiner winselnden Geige! Absammlerin mit dem Blechteller! Wenn aber die Kupfer nicht reichten für seinen täglichen Fusel, dann schlug er sie! Schlug sie auf den kleinen geduckten Rücken, auf die frostwunden Händchen, ins verweinte Gesicht! Schlug sie und schlug sie, bis er sie taub schlug! Darum nenn' ich sie Taube! Ist dieses Wortspiel nicht zum Sterben komisch? Darf ich mir den Scherz nicht erlauben? Hab' ich das Püppchen nicht aufgelesen hart am Gefriertod? Ist sie deshalb ein Weibsbild, mit dem ich mich im Lotterbett wälze? Muß ich sie mir von Spürhunden besudeln lassen? Darf ich die Büttel, die sie mir rauben wollen, nicht über die Stiege werfen mit diesen meinen Armen?! Mit erschöpfter Stimme, aber furchtbarer Drohung Und wenn sie wiederkommen mit ihren feisten, verschmitzten Fratzen – bin ich Auswurf, so brauche ich auch die Waffen des Auswurfs! Es soll sich mir keiner nähern! Er hat sich wie schützend vor Taube gestellt und steht nun wie einen Feind erwartend. Allmählich aber weicht diese Bereitschaft einer seelischen Erschöpfung. Die Arme sinken ihm herab, und er sieht aus, als wäre er stehenden Fußes in einen tiefen Schlaf verfallen.
Hubert in dessen Gesicht inzwischen die Ruhe dumpfer Entschlossenheit eingekehrt ist, auf ihn zu, behutsam
Rabanser, wach auf! – Wach auf, Rabanser!
Rabanser sich mit großer Energie allmählich sammelnd, mit müder und wunder Stimme
Ich bin ja wach! – Bin ich etwa nicht wach? – Sollten meine Nerven ausgelassen haben? – So dreh' ich mir heut noch einen Strick aus ihnen und hänge mich auf an ihm. – Du bist in keiner guten Stunde gekommen, Hubert! Eigene Unbill macht hart gegen die Leiden anderer. – Verzeih mir!
Hubert verhalten
Ich – kenne dich ja, Rabanser!
Rabanser
Und wenn du jetzt immer noch – Lust hast, zu dem, was du vorgehabt, so kannst du bei mir ja – bleiben. Dies – Rattenquartier beherbergt noch leicht einen Dritten. Anders kann ich dir nicht helfen.
Ich weiß es, Rabanser, und – brauch' ja auch keine Hilfe mehr. Das war ja der – Gnadenstoß.
Rabanser müde, abwesend
Wem?
Hubert
Wem? – Meinen Träumen.
Rabanser
Das ist gut, Hubert, die sind gar schlimme Verführer.
Hubert
Dank – und leb wohl, Rabanser.
Rabanser
Auf – Wiedersehen.
Hubert bedeutsam, leise
Wenn es ein Wiedersehen gibt –
Rabanser in anderem Sinne
Ja – wenn!
Hubert langsam wie im Traume ab.
Tiefe Stille, in der man Huberts Schritte auf der Treppe hört. Dann halten sie inne und gleich darauf ein langes, grelles, zerbrochenes Lachen von Huberts Stimme. Dann eilige, verhallende Schritte über die Treppe hinab.
Rabanser der noch dort steht, wo er von Hubert Abschied genommen, hat aus seiner Versunkenheit, aufgehorcht
Was war das? – Täuschung der wunden Sinne. – Nichts.
Er geht mit schleppendem Schritt zur Truhe und läßt sich nieder. Sein Blick fällt nun auf Taube, die ihm mit den Augen gefolgt war, ohne sich von ihrem Platze zu rühren. Ein wehmütiges Wiedererkennen geht über sein Gesicht, als würde er sich ihrer aus längst vergangenen Zeiten allmählich erinnern.
Wie sie mich ansieht mit ihren armen verängstigten Augen! Er winkt ihr Zu mir her, Taube! –
Taube kommt demütig-zögernd zu ihm und läßt sich zu seinen Füßen nieder, immer den Blick fragend zu ihm emporgerichtet.
Rabanser
Der einzige Mensch, dem sich mein Herz in Fluten der Liebe ergießen könnte, und – hört meine Stimme nicht. Das paßt in meine Legende. Er streichelt ihr Haar Willst du nicht schlafen, Taube? Gestus.
Taube den Kopf leise schüttelnd, mit großer Zärtlichkeit in der Stimme
Ich bin nicht müde.
Rabanser zu ihr gebeugt
Ich schon! – Willst du nicht ein wenig essen? Gestus.
Taube wie früher
Ich bin nicht hungrig.
Rabanser mit ängstlich aufquellender Liebe
Nicht schlafen? Nicht essen? Du vergehst mir ja, Liebes! Du darfst mir doch nicht vergehn! Er drückt ihren Kopf wie schützend an sich Für wen denn sonst leb' ich? Und leben will ich ja doch! Ich kann mich nicht unterkriegen lassen von dieser Schmierenkomödie! – Sie hört mich nicht. – Wieder zu ihr gebeugt Es wird zwar nicht leicht sein, viel schwerer als früher. Es war ja schon Hoffnung. Und die haben sie mir versalzen – die Zöllner und Pharisäer! Bei aller Gedämpftheit und Müdigkeit immer erregter und grimmiger Und wieder hungern! Hungern müssen! Das Wort verwürgen, das heilig die Zunge versengt, den Rücken krumm machen vor jedem genährten Lumpen! Von innerem Aufruhr gepackt, will er sich von Taube losmachen und aufstehen, wird aber von ihr mit bittender Gebärde festgehalten. Wie um sich irgendwie Luft zu machen, greift er nach der Laute an der Wand und reicht sie ihr hastig hin.
Nimm dein Saitenspiel, mein süßer David, daß deines Saul Gedanken nicht häßlich werden! Sitz hier und spiele!
Er ist aufgestanden und hat Taube gedeutet, auf der Truhe Platz zu nehmen. Sie tut's und greift leise Akkorde.
Taube
Auch singen?
Rabanser erregt mit dem Kopf nickend, aber mehr in Gedanken zu sich
Ja, sing mir auch, Taube, daß ich doch etwas vernehme, was aus einer Seele kommt! Einer inneren Zweifelstimme entschlossen antwortend Es muß – muß gehn! Taube hat zu präludieren begonnen. Rabanser hat sich zu ihren Füßen hingestreckt, das Haupt in die Hand gestützt und an ihre Knie gelehnt. Von seelischer Erschöpfung übermannt, scheint er einige Augenblicke schlafend. Plötzlich, wie von einer Traumvision gepackt, richtet er sich etwas auf und spricht in wildem Schaudern vor sich hin Aber Krankheit kommt! Durch die Risse zerschlissener Kleider, durch die Sprünge zertretener Sohlen: das Fieber! Und kein gütiger Arzt kühlt mir das glühende Kind! Wie um Hilfe gegen den Andrang der Gesichte flehend Singe doch, Taube! – Sie hebt an, ganz leise zu singen: ein seltsam-schwermütiges Lied ohne Worte. Er, der ein wenig zurückgesunken war, sich allmählich wieder ausrichtend, wie im Traum sprechend, aber mit wachen Augen
Und möchte dennoch nicht satt sein wie jene Entgötterten! – Nicht um mich Sorge wissen, die Maske für Machtbegier ist! – Bin keiner, der Eltern vertrüge! Mit visionärer Steigerung nach innen Was schiert mich, wer mich gezeugt?! – War es ein sterblich Paar? War's in der Wolke der Gott! – Bebte Gebüsch vom Sturme der Wollust in einer Sternennacht? – Urlaut der Wehen in einem Findelhaus!
– So werden noch Riesen geboren, Riesen – Riesen!...
Er schläft; über ihn hin singt Taube mit immer klarerer Stimme.
Vorhang