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Wohnzimmer vor Mitternacht.
Es brennen nur die beiden Wandleuchte! über dem Sofa, der Tisch ist noch so, wie er im Actus secundus verlassen wurde. Draußen die helle Nacht.
Vater ruhelos auf und ab, mit gedämpfter, aufgewühlter Stimme
Und ich sage dir, Remigius, was sich hier vor Stunden ereignete, das mußte endlich so kommen, ist nur einer langen Kette vorläufig-scheinbares Ende. – Zwanzig qualvollverhaltene Jahre!
Remigius auf dem Sofa, voll des Nachklangs der Erregung
Warum waren sie so verhalten? Wozu war ich denn da? – Hättest du mir in deine Dunkelheit, ein einziges Mal nur, ein freundliches Fenster geöffnet, sie wäre dir nicht zum Dämon erwachsen.
Vater
Zum Dämon! Das ist das Wort. Mit wahrhaft flagellantischer Schmerzeslust zwang er mich, den Gang der Dinge zu belauern, lähmte mir die Hand, wenn ich eingreifen, die Zunge, wenn ich mitteilen wollte. – Im übrigen, ich hasse die Mitteilsamen, die jede Qual in Kleingeld des Jammerns umwechseln, ich hasse sie!
Remigius mit innerem Gegensatz, aber behutsam
Dem Freunde gegenüber liegt dennoch ein gut Teil – Geringschätzung in solcher Verschlossenheit.
Vater
Sag' lieber Achtung, Remigius! Achtung, wenn ich mich gerade dir niemals anders zeigen wollte denn im Festtagsgewand der Seele! – Was wäre denn anders aus unseren Weihestunden geistig-menschlichster Gemeinschaft geworden? Möchtest du sie aus deinem Leben streichen? Wärest du lieber der Beichtvater meiner häuslichen Miseren gewesen?
Remigius
Wenn du es so betrachtest, dann liegt freilich vielleicht die Schuld an mir –
Vater mit dem Unterton großer Zärtlichkeit
Schuld? Und an dir?
Remigius klar und schlicht
Doch! Wie konnte ich so viele Jahre – blind neben dir einhergehn? Wie konnte ich nicht hinter deine – Maske schauen. Galt uns beiden nicht immer als oberstes Gesetz menschlicher Beziehung: einander erkennen ist Pflicht?
Vater innerlich arbeitend
Gewiß, Remigius. Aber von einer Maske dir gegenüber kannst du doch nicht sprechen! Da durfte ich ja immer sein, wie ich wirklich bin!
Remigius behutsam
Und wie du heute warst – Frau und Kind gegenüber, warst du das nicht auch wirklich? War das ein anderer als du? Leise, gequält Darüber werde ich wohl nie hinwegkommen.
Vater tief zerknirscht
Hast du denn nur einen Menschen in dir?
Remigius vor sich hin
In mir? ... Hatte bisher nur einen Menschen außer mir: dich!
Vater mühsam
Und den hast du nicht mehr? Mit innerem Bitten Du hast ihn doch noch, Remigius! – Sieh mich an!
Remigius
sieht mit schmerzhaft-zweifelndem Blick zum Vater auf und schüttelt dann unmerklich und stumm den Kopf, den er wieder senkt.
Vater nach einigen Augenblicken bange-fragenden Schauens plötzlich zusammenzuckend
Horch!
Remigius nachdem er gleichfalls in der Richtung auf den Garten gelauscht
Nichts!
Vater gepreßt
Mir war, als kämen – seine Schritte.
Remigius mit einem Anflug von Bitterkeit
Ich höre Huberts Schritte noch nicht!
Vater nach einer Pause mit Auflehnung
Wie ein Toller blindlings in die Nacht hinauszurennen!
Remigius fast hart
Wie ein armes, todwundes, gehetztes Menschenkind!
Vater unbeirrt
Mein Blut in ihm, wäre es nicht verwässert, hätte so nicht die Flucht ergriffen! Hätte sich gestellt! Die Faust, wenn nötig, gegen den eigenen Vater gehißt ...!
Remigius voll innerem Aufruhr
Und was hätte der Vater getan?!
Gebändigt hätte er es! Aber dann – das Knie gebeugt vor ihm – vielleicht! Steht starr wie aus Granit.
Remigius blickt zu ihm mit dem Ausdruck geheimen Grauens auf, schweigt. Schritte über den Gartenkies und herauf über die Veranda.
Vater sich rasch wendend
Jetzt!
Rosl wird im Rahmen der offenen Glastüre deutlich. Sie tritt einen Schritt ins Zimmer herein, ist sehr blaß, hat ein dunkles, wollenes Umhängetuch über den Schultern und spricht mit gramvoll erregter Stimme.
Vater seine Enttäuschung bezwingend, gepreßt
Nun?
Rosl
War jetzt auf dem Weg gegen die Stadt. – Auch einen Mann hab' ich gefragt, ob er jemandem begegnet ist ...
Vater beherrscht
Es geht gegen – Mitternacht ...
Remigius aufgestanden, mit einem bestimmten Entschluß
Ist die Mutter schon schlafen?
O, nein ...
Remigius
Weiß sie, daß Hubert ...?
Rosl
Sie hat mich nicht nach ihm gefragt, und ich hab' ihr's – verschwiegen.
Remigius
Was tut sie?
Rosl wirft einen Blick auf den Vater und schweigt
Remigius
Ich weiß genug.
Vater seiner inneren Erregung einen Augenblick nicht ganz Herr
Wozu dies alles? Jetzt ist die Frage nicht nach – der Mutter! Wieder beherrscht, aber nicht mehr ganz sicher Gehst du ihn wieder – suchen, Rosl?
Rosl leise
Gerne.
Vater sehr mühsam
Ich wäre dir – dankbar.
Rosl verliert sich in den Garten. Tiefe Stille. Der Vater in mächtiger innerer Erregung starr, zugleich sichtlich gegen ein Erwartetes gewappnet.
Remigius mit der Stärke und Sicherheit dessen, der einen guten Entschluß gefaßt, unausweichlich in seiner Güte
Es ist jemand in diesem Hause, der ist allein und – weint, Vinzenz!
Vater wild-verstockt, aber beherrscht
Weiberart!
Remigius immer unbeirrbarer
Dieses Weib hat dir – ein Kind geboren!
Vater
Du tust nicht gut, mich daran zu erinnern.
Remigius
Dieses Weib hast du heute vor seinem Kinde – erniedrigt! Ihm die Frucht seiner Wehen wie wertlosen Abfall vor die Füße geworfen!
Vater immer wilder
Dieses Weib hat Ränke gesponnen hinter meinem Rücken wider mich!
Remigius
Sie zog ihr Kind zu sich wie du es zu dir. Das ist Mutterrecht.
Über Mutterrecht geht Vaterrecht!
Remigius
Über allem Recht ist Einsicht.
Vater rauh
Was willst du von mir?!
Remigius
Versöhnung!
Vater
Ich kann nicht – lügen!
Remigius
Das sollst du auch nicht!
Vater im qualvollsten Kampf
Ich kann sie jetzt nicht sehen! Ihr Anblick könnte mich wieder – schlecht machen!
Remigius
So leise schläft das Böse in dir?!
Vater bedrängt, fast flehentlich
Führe mich nicht in Versuchung!
Remigius unbeirrt, bedeutsam, stark
Es geht um Schicksale!
Du bist ein starker Apostel deiner Meinung, Remigius!
Remigius bedeutsam
Vielleicht, weil auch ich viel zu verlieren habe in dieser Sache!
Vater ahnungsvoll
Du?!
Remigius klar, unbeugsam
In einem Antlitz, das ich liebe, vertrag' ich dunkle Male nicht. Gesenkt Ich könnte dir nicht mehr – ins Gesicht sehn.
Vater nach einem letzten jähen inneren Aufbäumen, bezwungen
Das Weib – mag kommen!
Remigius über den ein Leuchten der Güte geht
Ich – danke dir, Vinzenz! Er geht, mehrmals nach dem Freunde zurückblickend, links ab.
Tiefe Stille; in ihr nur das schwere Atmen des Vaters, der rechts vorne hochaufgerichtet steht. Eine nahe Turmuhr schlägt drei Schläge. Gleich darauf setzt die Standuhr auf dem Konsoltischchen mit elf rascheren und drei langsameren Schlägen ein.
Remigius erscheint mit der Mutter von links, er geleitet sie zum Sofa.
Mutter die ein loses dunkles Hauskleid und um die Schultern einen schottischen Schal trägt, folgt ihm mit sichtlichem Widerstreben. Ihr Gesicht ist verweint, ihr Wesen hat etwas Geschlagenes, Gedemütigtes.
Remigius mit großer Güte und werbender Herzlichkeit
So, und nun nehmen Sie Platz, liebe Frau meines Freundes! Daß Sie hier sitzen und ein Weilchen bleiben, ist vorerst alles, worum ich Sie von Herzen bitte. Er geht nun ein paar Schritte in den Hintergrund und sieht von dort aus den Vater erwartungsvoll an.
Vater tief
Wir haben heute einander – recht weh getan, Mutter ...
Mutter unterdrückt ein jähes Ausschluchzen, dann mit versuchter Härte
Einander? – Kann man dir wehtun? – Könnte man's doch!
Vater
Dein Samenkorn ist unter Steine gefallen, Remigius!
Remigius leise, bittend
So dürfen Sie nicht sprechen, liebe Freundin!
Mutter bitter, aber ohne Kraft der Bitterkeit
Wenn man durch Jahr und Tag mitgemacht hat, was ich ...! Ein Dienstbote hat es besser.
Vater
Hab' ich denn in Saus und Braus des Glückes gelebt?!
Aber immer doch nach deinem Willen.
Vater
Wer Willen hat, kann nicht gegen ihn leben!
Mutter
Meinen aber und den des Kindes hast du gebrochen!
Vater immer kälter
Das alte Märchen! Ein Wille, der sich brechen ließe, wär' keiner.
Mutter
Das ist eine gar billige Ausrede.
Vater
Ist meine Lage so schwach, Remigius, daß ich der Ausreden bedürfte?
Remigius mild-verweisend
Jetzt handelt es sich nicht um Stärke, sondern um Güte, Vinzenz!
Mutter bitter
Güte! Wann hat er die je gehabt! Was immer er spricht, ist Hochmut und Verachtung für alle, die anders sind als er!
Vater
Man hat das Recht auf Menschen, die einem gleichen.
Wer gibt einem dieses Recht?
Vater
Niemand, wenn man es nicht hat!
Mutter mit ohnmächtigem Haß
Das sieht dir ähnlich!
Remigius in wachsender innerer Erregung
Sprecht jetzt nicht davon, ihr Lieben! Von euch und von euerem Kinde ist jetzt die Rede! Auf daß der kommende Tag euch anders finde vor seinen Augen als ...
Vater wieder beherrscht
Wird dies auf diesem Wege möglich sein?
Remigius
Es muß und wird, wofern ihr guten Willens seid.
Vater
Bin ich es nicht?
Remigius
Du hast es auch leichter, Vinzenz; dir winkt Gottes Finger deutlicher als deinem Weibe. Die weiß ja nicht, daß Hubert – noch nicht zurück ist!
Was soll das heißen? Hubert? Ist Hubert fort? Auf den Vater zu, drohend Was hast du ihm getan?!
Remigius aufflammend
Nichts anderes als Sie selbst, als ihr beide in eurer zügellosen Wut, einander zu treffen!
Mutter wild
Das ist nicht wahr! Sprich du, Mann!
Vater mühsam beherrscht
Was willst du von mir hören?!
Mutter
Wo mein Kind ist!
Vater
Ebenso könnte ich dich fragen: wo ist das meine?!
Remigius in edlem Zorn
Spricht hier Gott zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel?! – Beuget euch doch endlich, ihr Hoffärtigen!
Mutter furios
Er ist Kain!
Vater am Rande der Beherrschung
Dein Rat war schlecht, Remigius!
Mutter in plötzlich obsiegender Angst
Hubert – Hubert! Ja, warum sucht ihn denn niemand?!
Vater von ihrer Angst angesteckt, unsicher
Es ist geschehen.
Mutter immer hilfloser in ihrer Angst
Geschehen? Geschehen? – Wer? – Und? Und?
Vater immer unsicherer
Seine Rückkunft wird gemeldet werden.
Mutter
Rückkunft gemeldet werden? Das ist alles? Ja, woher weiß man denn –? Sie bricht in ein hilflos-angstvolles Schluchzen aus.
Vater selbst angstgepackt, nicht ohne Anteil
Das war immer alles, was sie konnte!
Remigius bei der Mutter, gedämpft, erregt
Dafür ist sie ein Weib, Vinzenz.
Vater
Es gibt auch Frauen, die dem Manne Stütze sind in ungewissen Augenblicken!
Wer war denn mir Stütze?
Vater
Bist du so schwach von Gedächtnis? Wann immer Schweres kam, wer nahm es auf seine Schultern?
Mutter
Ich! Wer andrer als ich?
Vater
Ja, das Jammern und Wehklagen machtest du zu deinem Anteil! Aber die Abwehr, die Tat – ich bis ins Kleinste!
Remigius
War es nicht deine Pflicht?
Vater
War's nicht auch die ihre?
Mutter plötzlich ganz verändert, starr
Was reden wir denn da? Wovon ist denn die Rede? Losbrechend Ich halte es nicht mehr aus! Sie zieht ihren Schal fester um die Schultern und will über die Veranda.
Remigius sie aufhaltend
Was haben Sie im Sinn? Wohin –?
Mutter
Ihn suchen! Fort von hier!
Das können Sie nicht, in der Nacht allein! Blickt auf den Vater.
Mutter
Lassen Sie mich! Auch er ist in der Nacht allein!
Vater jäh, aus tiefster Tiefe
Elisabeth!
Mutter von seinem Ton gepackt, einen Augenblick innehaltend Was willst du?
Vater
Willst du mich – mitnehmen?!
Die Mutter steht schweratmend, der Vater halb abgewandt in großer Erschütterung, zwischen beiden Remigius mit leuchtendem Antlitz. Eilige Schritte durch den Garten über die Veranda.
Rosl strahlend, mit gedämpftem Jubel in der Stimme
Er kommt!
Vater ungläubig, aufleuchtend
Kommt?!
Mutter mit einer Wendung, als wollte sie in den Garten, leise aufschluchzend
Hubert! – Kind!
Remigius sie an der Hand nehmend
Still!
Alle stehen in lauschender Stellung lautlos, man hört nur die Freude in ihren Atemzügen. Rasch-vorsichtige Schritte über den Gartenkies an der Veranda vorüber, dann verhallend.
Mutter vor Freude schluchzend
Zu ihm! – Jetzt müßt ihr mich doch zu ihm lassen! Rosl entfernt sich unbeachtet.
Remigius leise, doch mit steigender Stärke des Gefühls
Nicht heut' mehr! Der hat heimgefunden, der ist im Hafen. Aber zwei anderen glitt ein Licht da draußen soeben vorüber, damit sie einander suchen und – finden! Versteht ihr mich wohl, ihr lieben beiden? Oder wollt ihr die Boten zurückrufen, die schon unterwegs waren aus eueren Herzen? Das glaub' ich nicht, das kann ich doch nicht glauben! So undankbar können Menschen doch nicht sein!
Mutter leise
Ich bin nicht undankbar ...
Remigius leuchtend
Hast du's gehört, Vinzenz?! Da wirst du doch nicht zurückstehen wollen. Wunden, die man geschlagen, heilen, das ist doch nicht so ganz unwürdig eines Mannes, und ist er noch so gewaltig!
Und wer heilt mir die meinen?
Remigius
Ist dir denn nicht eben ein großes Glück widerfahren? Auf solche Gnaden hin kann man schon ein bißchen was wagen! – Kommen Sie näher, liebe Freundin! – Wenn Gott schon Brücken schlägt von Ufer zu Ufer, darf man so kleingläubig sein, sie nicht zu betreten?
Vater schwer, aber milde
Wenn seine Brücken nur halten, Remigius!
Remigius immer heiterer
So ein übler Baumeister ist er doch nicht, Vinzenz! Aus Spinnweben baut er doch nicht! Was soll er denn noch tun, um dir zu deuten?
Vater hebt langsam die Hand und hält sie, halb abgewandt, seiner Frau hin.
Mutter leise schluchzend
In Gottes Namen! Ihre Hände berühren einander einen Augenblick lang.
Vater die Hand wieder sinken lassend, tief
Im Namen – unseres Kindes.
Das war – lieb von euch.
Vater halb abgewandt nach ihm tastend und ihn mit verhaltener Zärtlichkeit zu sich ziehend, an ihn gelehnt, ganz milde
Wo hast du diesen Glauben her, du Knabe, du – ewiges Kind?
Remigius wirklich wie ein Knabe verwirrt, errötend, gütig schmollend
Immer nennst du mich Knabe und jetzt gar nur ein Kind! Und bin doch schon an die Siebzig ...
Zwischenvorhang langsam leise.
Die Musik aus dem Heurigengarten setzt mit der Introduktion eines Walzers ein und dauert weiter, wenn der Vorhang bereits wieder aufgegangen ist.
Huberts Mansarde.
Helle Nacht. Weiße Wolken ziehen über den Himmel, auf den man über die windbewegten Wipfel der Gartenbäume blickt. In der Ferne der von Lichtern gekrönte Hügel. Eine Kerze auf dem Tische ist fast niedergebrannt. Hubert allein, mit hastigen Schritten auf und ab, einen Brief in der Hand. Er ist verstört, bleich, lacht, murmelt und spricht zu sich wie im Fieber.
Hubert nachdem er ein paarmal in sich hinein gekichert hat, mit selbstparodierendem Pathos vor sich hin
Zum Vollstrecker meines letzten Willens ernenne ich meinen Freund Theophil Rabanser! Er legt den Brief auf den Tisch, steht einige Augenblicke verloren; dann plötzlich wieder aufgepulvert
Genug, genug, genug des hämischen Gaukelspiels! Sterben! Die Juristen sagen, ein lebender Hase sei eine unbewegliche Sache, herentgegen ein toter Hase eine bewegliche. Toll, meine Herren Doktores! So will ich nach diesem Rezept einmal versuchen, aus mir eine bewegliche Sache zu machen. Lacht – Ein lebender Leichnam läßt sich aus der Welt schaffen, ein toter Leichnam nicht. Ich will aus mir etwas machen, was nicht aus der Welt zu schaffen ist, indem ich mich aus der Welt schaffe. Lacht O, wäre ich nie emporgetaucht an das Licht, das die Menschen beseligt! Mir war es kein süßes Licht. Ich schließe die Augen, Amen. – Als sie heute einander mein Dasein vorwarfen, wie einen schmutzigen Fetzen einander vor die Fuße und ins Gesicht, wo waren deine Wunder, Allmächtiger, mich in die Protozoe zurückzuwandeln, aus der ich mich auf dem Umweg über die Kaulquappe emporgeformt zu deinem Ebenbilde? – Wo waren deine Wunder, Allmächtiger? – Lieber ausgespült werden aus dem Allerweltsschoße einer Straßendirne, als zum Fluche werden im biederen Mutterleib einer Ehefrau! – Eltern, du Klang, bei dem sich Kniee beugen können wie vor offenen Himmeln! – Mir war ein Peitschenhieb der Name Vater und einer Horniß Biß der Name Mutter. – Sie haben mich immer gezerrt, herüber, hinüber. Warb der eine um mich, so warb er mich gegen den andern. Was konnt' ich dafür, ich ungewolltes, ich einsames Kind? – Bleibt vor der Kerze stehen Willst du mich zur Eile treiben, elender Talgstumpf? Wirst mir dein bißchen Deprofundis-Licht schon noch ein Weilchen gönnen müssen! Sonst, eh ich mich selber ausblase, blase ich dich aus! Lacht.
Nur eine noch! – Nicht weinen, süße, blondselige Rose! – Wisch dir die Augen in das Geschirrtuch, eh du die Gans aufträgst zum Leichenschmaus! Du hast sie doch nicht verbraten? Sonst wird dich die Mutter jagen! – Wisch dir die Augen in das Geschirrtuch, blondselige Rose! Sie sollen es nicht begeifern, daß es Tränen gibt, die für mich fließen. – Ich hätte dich gern auf den Mund geküßt, blondselige Rose! – Es ist bitter, in das gewisse dunkle Loch zu fahren, ohne es vorher beim Weibe versucht zu haben.
Lacht krampfhaft auf, reißt sich zusammen Delinquentenhumor, pfui Teufel! Man speit nicht auf Heiligtümer! Man stirbt! Ehrlich, einfach, ohne Seitenblicke und schweigsam! Mit ein paar großen Schritten auf den Schreibtisch zu, reißt eine Lade auf, holt eine kleine Flaubertpistole und eine Schachtel mit Patronen heraus. Alle Bewegungen wie im Fieber. Mordeisen, Spatzenschreck, Katzentod, rostiges Terzerol, heraus! – Geschehen. – Den Knackhahn gespannt! Da der Hahn nicht halten will, ihn nochmals grimmig zurückreißend Halte, Objekt! – Geschehen. – Laden! – Pulver und Blei, Kaliber sechs Millimeter, hinein in den Drall! – Geschehen. – Die Seele empfohlen dem allmächtigen Lenker Himmels und der Erde! – Macht mit irrer Hand das Zeichen des Kreuzes Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. – Geschehen. – Angelegt, gezielt, gefeuert! Eins – zwei – und –! Wer klopft?! Schlägt ein wildes Lachen auf, ruft gegen die Tür Fremden ist der Eintritt verboten! Zu spät! Bin eben dabei, die Frage der Berufswahl zu lösen, liebe Eltern! Lacht Aus einem unbeweglichen Hasen einen beweglichen zu machen, liebe Eltern! Es knallt ein wenig! Erschreckt nicht! Er reißt die Pistole an die Schläfe Feuer!
Stimme von draußen leise, ängstlich, dringend
Hubert!
Hubert wild
Kann man in diesem Hause nicht einmal sterben!? Feuer, kommandiere ich, Feigling! Lauscht gierig in der Richtung der Tür.
Stimme von draußen lauter, angstvoller, dringender
Hubert!!
Hubert halb Schluchzen, halb Jubel
Rosl! Die Hand mit dem Revolver sinkt ihm herunter Engel des Lebens!– Ich komme! Er steckt den Revolver unbewußt in die Tasche. Die ungeheure Spannung seiner Nerven entlädt sich in einem abgerissenen tränenlosen Schluchzen und in einem Stammeln unverständlicher Worte. Die Hände vorgestreckt, tastet er sich gleichsam bis zur Tür. Mit unsicheren Griffen findet er Schnalle und Schlüssel. Er drückt die Wange an die Tür, der Sturm legt sich, wie unwillkürlich dreht er den Schlüssel im Schloß, öffnet.
Rosl erscheint im Türrahmen. Man hat das Gefühl, die beiden würden im nächsten Augenblicke einander in die Arme sinken. In beiden aber obsiegt die Schüchternheit junger Menschen. Nach Blicken, die erwartungsvoll ineinandergetaucht, sehen sie aneinander vorüber. In ihren Stimmen aber bebt die Erregung und Befangenheit nach, gibt ihren Worten etwas Uneigentlich-Traumhaftes, Beklommenes.
Rosl noch an der Tür, abgewandt
Ich hab' dir noch nicht dein Bett gemacht –
Hubert mit dem Unterton der Enttäuschung
Das trieb dich, nach mir zu sehn?
Rosl
Hab' dich kommen gehört –
Hubert
Hast noch gewacht?
Rosl
Wollt' eben schlafen gehn.
Sie schreitet, ohne aufzublicken, an ihm vorüber zum Bett und deckt es auf. Der Wind rauscht draußen durch die Baumkronen und legt sich wieder.
Hubert ist nach links zum Schreibtisch gegangen, sieht Rosl heimlich zu.
Rosl
Brauchst du sonst noch irgend etwas vielleicht?
Hubert beziehungsvoll
Werd' wohl nichts mehr brauchen, mein Kind.
Rosl
Ich schließ' dir das Fenster. Der Wind ist so feucht –
Hubert
Laß nur offen! – Ich liebe den Wind.
Rosl
Das Wasser ist noch nicht zum Bett gestellt –
Hubert
Tut nichts.
Rosl
Und die Kerze fast abgebrannt –
Hubert
Die wird schon noch reichen für diese Welt.
Rosl nachdem sie einander beklommen angesehen
Gute Nacht –
Hubert leise
Gibst du mir nicht die Hand?
Sie geben einander, ohne aufzublicken, die Hände und halten sich.
Rosl, wir waren Kinder bisnun.
Doch ich bin jetzt – ein Mann.
Willst du mir nicht etwas Liebes tun?
Rosl leise, befangen
Gerne, wenn – ich es kann.
Hubert
Und ob du es könntest! –
Komm, setz dich zu mir!
Weiß Gott, wann es wieder geschieht –
Willst nicht?
Rosl bei ihm, der sich auf die Ottomane niedergelassen, stehenbleibend
Was soll ich denn tun bei dir?
Hubert nachdem er sie verstohlen-zärtlich angesehn, wieder gehemmt
Ein Lied sollst mir singen – ein Lied.
Rosl
Ein Lied? – Das ist gar schon lange her,
Daß ich keine Lieder mehr sing'.
Hubert
Wohl wahr!
Als wenn's eine Ewigkeit wär':
»Von eitel Golde« der Ring! –
Sag, denkst du noch, wie deine Mutter war?
Sie kommt mir noch manchmal im Traum,
Wie sie leibt und lebt.
Hubert
Auch so blond von Haar,
Wie du bist?
Rosl
So blond – wohl kaum.
Hubert
Und dein Vater?
Rosl
Den strafe der liebe Gott!
Hubert
Was ist dir?
Rosl
Der war kein Christ.
Hat meine Mutter gebracht in Spott –
Weiß nicht, wer mein Vater ist.
Hubert
Verzeih mir, Rosl, daß ich gefragt –
Rosl
Jetzt kennst du meine Schand'.
Hubert
Hat mancher ganz anders, als man so sagt,
Seinen Vater nicht gekannt.
Leicht wärst du gar nicht so lieb und gut,
Wär's anders gewesen, weißt?
Doch so hast du Liebe in deinem Blut!
Rosl Was man so Liebe heißt!
Hubert Komm wieder zu mir!
Rosl
Es ist Mitternacht,
Und ich muß morgen wieder bald heraus.
Du weißt, die Mutter hat auf alles acht,
Will Ordnung haben früh um Herd und Haus –
Bist auch schon müd'.
Wie deine Stirne glüht! Der Tag war – heiß.
Geh schlafen, ruh dich aus!
Hubert
Wohl heiß. Doch schlafen? – Rosl, sieh mich an! –
Wenn ich mein Schaun in deins zur Ruhe schicke,
Erfaßt die Ahnung mich von einem – Glücke,
Sinn alles Sinns zu bilden angetan.
Du hast mich nie betrübt!
Rosl
Auch du mich nicht.
Wie kommt das?
Rosl
War doch Kameradenpflicht!
Hubert
Nur Pflicht?
Rosl
Was sonst?
Hubert
Und jener Sommertag?
Rosl
Was meinst du?
Hubert
Damals auf dem Lande,
Als Kinder noch! –
Wir wateten im Sande
Des Hechtenteichs, der bei der Mühle lag.
Du hattest Schuh und Strümpfe ausgezogen;
Da stach dich was, der Stich ward rot und hoch,
Da hab' ich dir – erinnerst du dich noch? –
Das Gift mit meinen Lippen ausgesogen.
Rosl
Und warst vor Schrecken ganz sonderbar –
Hubert
Weiß Gott, ob es nur vor Schrecken war.
Was denn?
Hubert
Da hat ja zum einzigen Mal
Mein Mund deine kühlwarme Haut berührt –
Hab's lange nachher noch als Lust und Qual
Durch all meine Adern strömen gespürt.
Rosl
Was dir für komisches Zeug einfällt!
Hubert
Nicht so komisch wie es dir scheint!
Hab' oft bis zum Morgen die Stunden gezählt
Und nach dir mich versehnt und verweint!
Und heute – ist mir wieder zumut',
Als bekäm' ich zu kosten dein süßes Blut,
Als wär' mir was Liebes vermeint.
Rosl
Das ist nur, das ist nur, weil wir zu zweit
Allein sind in später Stund' –
Hubert
Nein! Es ist das Strömen der Ewigkeit
Von deinem zu meinem Mund.
Das ist nur, weil heute der böse Wind
Das Blut so sündhaft versucht –
Hubert
Nein! Es ist das Blühen, dein Blühen, Kind,
Das Segen will werden und Frucht!
Rosl
Was soll denn dann werden, werden aus mir?
Sie jagen mich ja hinaus!
Hubert
Ein
Leben soll werden, ein Leben aus dir!
Und wo
du bist, bin ich dann zu Haus!
Rosl
Du bist ja noch nichts, und ich bin arm!
Und käme noch eins dazu,
Wer schafft ihm zu essen, wer hielte es warm?
Hubert
Wer anders als ich und du?
Rosl
Das gäb' ein gar trauriges Ende bald!
Hubert
Kein Ende, wenn nicht der Tod!
Aber die Straßen sind hart, und die Nächte kalt,
Und der Hunger ist bittres Gebot!
Hubert
Hat denn nicht Gott seine Wunder gebreitet?
Leiden die wilden Lilien Not?
Alles, was sich aus Erden bereitet,
Ist Stillung und Labsal –
Rosl Aber nicht Brot!
Hubert
Quoll' nicht aus deinen gesegneten Brüsten
Gierigem Mündlein Nahrung zu?
Und wenn wir einander hielten und küßten –!
Rosl
Schön wär' es schon!
Hubert
Schön
wird es auch, du!
Irgendein Hüttlein, aus Hölzern gezimmert,
Flamme strahlt Wärme, Lampe glüht Licht,
Kleines Fenster, von Blumen umschimmert,
Und hinter Blumen dein liebes Gesicht!
Hoffst du das wirklich?
Hubert
Soll ich denn nicht?
Und, denk du nur: Arbeit! Arbeit! Arbeit!
Mit rüstigen Händen Wirkliches fassen
Und wirklich vollenden!
Mit heiter messenden Füßen
Eigene Erde begehn,
Täglich die Sonne grüßen
Bei ihrem Auferstehn!
Pflanzen und Tieren vertraut sein,
Dem Rätsel von Blüte und Frucht,
Eingesetzt, eingebaut sein,
Gnadevoll heimgesucht!
Sorgen, wenn man gemäht hat,
Wie neu die Brache gebiert,
Ernten, was man gesät hat,
Säen, was Ernte wird!
Rosl
Will aber auch gelernt sein!
Hubert
Ist unser von Anbeginn,
Trotz allem Der-Erde-Entferntsein,
Ureingeborener Sinn!
Oder bebt nicht der Allmutter Schoß,
Jauchzt nicht der Wässer Sturz
Von Kräften, segengewillten?
Träumt nicht in Stollennächten
Von Schmelzglut das Erz?
In Wipfelbedrängnis
Von goldner, bewimpelter Maste
Tanz nicht der Stamm?
Der Woge unbändige Flanke,
Bäumt sie sich, stöhnt sie nicht
Nach kreisender Schrauben
Sausendem Schaufelhieb?
Alles, was
ist, will Hände!
Ding, Kreatur, Element:
Hände!
Ordnende, fördernde, formende!
Hammerhand, Axthand, Pflughand!
Hände an Winden und Hebeln,
An Steuern und Essen Hände!
Hände, Hände!
Sind denn die meinen zu schlecht,
Um anzufassen am Triebwerk?
Um mitzulenken, mitzuschaffen,
Mitzuheimsen?
Ein Herz, das mir glaubt,
Und Riesenkräfte
Stürzen in diese Muskel! Flammenströme
Schießen aus diesem Gehirn!
Habe auf Gottes Erden
Niemanden mehr, nur dich!
So hilf
du und glaube!
Rosl benommen
Ich glaub' ja!
Hubert überhitzt
Glaubst mir? Glaubst wirklich? Glaubst?!
Halle es wider,
Kristallen Gebälke
Ewigen Himmels!
Ein Mensch ist gefunden,
Der glaubt!
Einer!
Halle es wider,
Kristallen Gebälke! –
Doch jetzt kein Wort mehr!
Entschlossen, verschwiegen:
Wagen, vollbringen, tun!
Komm mit mir! Fort!
Noch jetzt! Heute nacht!
Rosl zitternd
Wohin?
Hubert ungeduldig
Gleichviel!
Was zögerst du, starrst?
Fiebre ich Wahnsinn?
Mißglaubst du mir
schon?
Rosl
Ist dir's auch wirklich Ernst?
Hubert auffahrend, immer grimmiger, hitziger
Ernst, Ernst! Wie es mich ekelt,
Dies klebrige Spießerwort!
Ernst ist, was flickt, strickt und häkelt,
Ernst ist, was schachert und mäkelt,
Was über Büchern verdorrt!
Ernst sind sie beim ewigen Kauen
Am uralten Sauerteig,
Ernst im Bett ihrer Frauen,
Beim Essen, Trinken, Verdauen,
Ernst, wo zum Lachen zu feig!
Ernst sind sie, wo sie verstummen,
Weil ihre Weisheit zu Spott,
Ernst ist der Tanzschritt der Krummen,
Ernst ist das Pathos der Dummen,
Ernst ist der Freude Bankrott! –
Doch ich will leben! Leben will ich, leben!
Begreifst du diesen urgebornen Drang?
Nicht hingekrümmt an Vorgedachtem kleben,
Nicht keuchen unter Lasten! Leben, schweben
In Blutes ungehemmtem Überschwang!
Was schert mich, woher ich für morgen
Hernehme das lumpige Geld!
Rosl
So willst du für uns nicht sorgen?
Hubert
Gesorgt wird genug auf der Welt! –
Und nun zu mir her, solange noch Zeit!
Sonst wird es am Ende zu spät!
Für meine
drübere Seligkeit
Verzicht' ich auf dein Gebet!
Hier noch, solange das Herz mir schlägt,
Mußt du dich meiner erbarmen,
Ich habe noch niemals ein Weib gehegt
In meinen verschmachtenden Armen!
Komm, küss' mich!
Rosl bebend
Und wirst du, wenn ich's gewähr',
Auch brav sein und nicht am End'
Noch mehr verlangen?
Hubert mit der Gier des Gehirnes
Noch mehr! Immer mehr!
Das schwör' ich beim Sakrament!
Zieht die Bebende wild an sich.
Rosl in voller Hingebung mit versagender Stimme
Da bin ich!
Sie küssen einander immer wieder.
Hubert zwischen Angst und Entzücken
Ist es denn wirklich,
Daß ich dich halte?!
Unter den Füßen
Mir schwankt der Raum,
Alles so Finstere,
Alles so Kalte
Löst sich in Wärme
Und lichten Traum!
Aus allen Tiefen drängt
Wohliges Treiben,
Lippe an Lippe hängt,
Süßes Beweiben!
Schauer in Schauer bebt,
Tausendfach: Ich!
Endlich erfüllt, erlebt! –
Ängstet es dich?
Rosl hingegeben
Nicht Angst mehr vor Sünde
In meinem Blut!
Was ich empfinde,
Ist ja so gut –
Hubert
Zärtlich und wortbegabt
Sonst zaghafter Mund!
Rosl vergehend
Nie noch so liebgehabt!
Hubert
Küss' mich gesund!
Rosl vergehend
Bleischwer hängen
Die Kleider an mir –
Wenn sie dich engen,
Ich helfe dir –
Er nestelt ihr die Bluse am Halse auf.
Rosl ihm wehrend und doch helfend Laß! Nicht!
Hubert
Warum?!
Du bist ja so schön –
Rosl zurückgesunken, mit abgewandtem Gesicht
Sieh mich nicht an!
Hubert
Ich muß dich sehn!
Ihr immer wieder Brust und Hals küssend
Neidischer Hülle
Endlich entblüht,
Zärtliche Fülle
Duftet und glüht.
Rosl von Sinnen
Was tust du?!
Trinken!
Gib noch, gib noch!
Rosl
Mir ist zum Versinken –
So nimm mich doch!
Hubert immer unsinnlicher
Ja, nehmen dich!
Beschwichtigen
Den glücklichen Aufruhr
Deines Bluts.
Aus stürmenden Atems
Wogenschlag
Retten das kleine
Angstvoll pochende Herz.
Entblättern
Das Wunder deines Leibes,
Und dann –
Anbetend, erschüttert
Hinknien vor so viel
Gnadelächelnder Reinheit
Und wie in Kindertagen
Die Lippen wieder pressen
Auf die kleine
Brennende Wunde
Deines tausendmal
Geträumten Fußes...
Weinst du?
Warum weinst du, Geliebte?
Hab' ich zu nah dir getan?
Siehe, ich knie ja vor dir –
Kein Wunsch mehr lästert,
Kein Ungeziem
Zu dir mehr empor!
Nur traurig bin ich,
Zum Sterben traurig...
Rosl deren ganzer Körper von einem plötzlichen Weinen geschüttelt war, richtet sich jetzt auf; ihr Gesicht ist verfallen, ihr Körper wie zerschlagen. Sie hat die Hände um ihre Knie gefaltet und sieht über Hubert hinweg ins Leere. Nun beginnt sie, mechanisch ihre Bluse zuzuknöpfen.
Hubert angstvoll
Was hast du?
Rosl tonlos
Nichts.
Hubert
Doch, doch!
Steh auf und sei
Vernünftig –
Hubert traurig
War ich es nicht?
Rosl bekümmert
O, sehr!
Hubert schmerzlich zusammenzuckend
Der Traum vorbei.
Rosl
Mich fröstelt.
Hubert
Ja. – Auch mir ist bitterkalt!
Mir ist, als wär' ich – tausend Jahre alt.
Er sieht sie forschend an, dann gequält.
Du lächelst? Lächelst du?!
Rosl ins Leere
Ich glaube kaum.
Hubert mit angstvoller Wildheit
Du, schau mich an!
Rosl an ihm vorübersehend
Wozu?
Hubert ihr Gesicht zu seinem emporhebend, nachdem er lange drin geforscht
Vorbei der Traum! Wieder fast mit Grimm.
Noch einen Kuß! Er küßt sie, die es starr geschehen läßt. Wie Eis! –
Rosl löst sich von ihm los und geht mühsam zur Tür, wo sie abgewandt stehenbleibt.
Hubert wie ein Ertrinkender
Bleib, Rosl, bleib!
Rosl traurig, ohne Vorwurf
Es ist ja doch zu nichts.
Dir bin ich ja kein Weib.
Ab.
Hubert nach ein paar Schritten auf die Tür zu, ganz starr
Kein Weib? – Auch dieses noch! – Gott sei's geklagt,
Kein Mann bin ich, ein Nichts! Auch da versagt.
Ein Ende, Ende jetzt! In Gottes Namen! –
Mir war es kein süßes Licht –
ich schließe die Augen. Amen.
Die Heurigenmusik setzt mit einem Marsch ein, der, von angeheiterten Stimmen nicht durchwegs richtig mitgesungen, von Johlen und Lachen begleitet, ziemlich rasch näherkommt.
Hubert sich plötzlich zusammenreißend, mit wildem, krampfhaftem Auflachen, in einander überstürzenden Sätzen
Holla! Kehraus im Lustgarten! Es drängt bereits heftig zur Katastrophe! Sonst kotzen mir die Schweine noch in meine Agonie! Mit fiebernden Händen an seinen Taschen herumtastend Wo hab' ich denn nur den alten Nußknacker? Begnadete Eingebung: Nußkern – Menschengehirn! – Da bist du! Heraus mit dir! Meine Schale ist zum Platzen! Nur lustig, lustig! Ich komm' schon zum Abmarsch! Er stürmt, den Revolver in der Hand, auf den Balkon.
Der heitere Zug zieht eben unten am Garten vorüber. Die Instrumente werden nun beinahe übertönt von dem Gewirre der lachenden, singenden, johlenden und rufenden Stimmen. Man sieht den roten Widerschein von bengalischen Zündhölzern und Lampions auf den Gartenbäumen.
Hubert im Paroxysmus, wild gestikulierend, in den Tumult hinunterschreiend
Lustig! Lustig!! Lustig!!! Wenn zwei spielende Banden einander begegnen, hat die eine das Spiel einzustellen! Exerzierreglement für die Infanterie! Ich stell' es schon ein, das Spiel, ihr besoffene Bande!
Durcheinander von teils gemütlichen, teils drohenden Zurufen von unten her, während sich die Musik immer mehr entfernt.
Hubert mit rasendem Lachen, immer wieder zurückrufend
Wie? – Antialkoholiker! – Antimusikaliker! – Antierotiker! – Wie? – Im Neunzehnten! – Lebensunfähig! – Lebensmüd'! – Ein Nichts auf zwei Beinen! Ein Nichts – Nichts – Nichts!!! Lacht nicht, Idioten!
Pulverblitz und Knall an Huberts Schläfe. Es reißt ihn jäh herum. Die Pistole fliegt aus seiner Hand ins Zimmer. Er verfängt sich am Türstock der Balkontür, gleitet an ihm nieder und fällt dann quer über den Balkon, mit letzter Kraft schreiend Zu Hilfe! – Ich will nicht sterben! Stirbt.
Die Stimmen unten haben sich nach dem Schusse zu einem einzigen Aufschrei zusammengeballt, sind dann einen Augenblick totenstill geworden und sammeln sich nun wieder zu anschwellender Erregung. Poltern über die Treppe herauf.
Vater mit offenem Rock, hereinstürmend
Hubert! sucht ihn mit den Blicken, wird seiner gewahr, wirft sich zu ihm nieder, reißt ihn empor, starrt in sein totes Antlitz, läßt ihn wieder sinken und richtet sich auf. Er steht ein paar Atemzüge lang starr, an die Tür gelehnt, dann kommt er mit fast gehetzten Schritten nach vorne bis an den Studiertisch. Gesicht und Gestalt sind bereits wieder gefaßte Härte geworden, nur die Hände, die sich auf die Tischkante stützen, zittern gewaltig, Nun bemerkt er plötzlich den Brief auf dem Tisch. Ohne die Hände von der Kante zu lassen, beugt er sich gierig über ihn, liest die Aufschrift; mit tonlos-verstörter Stimme An Theophil Rabanser! Nun löst sich seine Rechte von der Tischkante. Ohne aufzuhören, sich auf sie zu stützen, tastet er mit ihr bis zum Briefe, verkrallt sich in ihn und hält ihn zerknüllt in der Faust.
Im Hause unten ist indessen ein Schrei laut geworden, kommt höher, über die Treppe, immer höher, zur Tür herein; halbangekleidet, mit wirrem Haar, die
Mutter. Ihr folgt Rosl.
Vater hat den Schrei emporkommen gehört; einen Augenblick lang zuckt furchtbarer Triumph über sein Gesicht; dann weicht dieser dem Haß und der Anklage. Der Mutter entgegenschreiend und in den Hintergrund weisend
Dort! – Tot!!
Mutter einen Augenblick lang versteint, dann losbrechend
Dein Werk! Stürzt in den Hintergrund, sinkt über Hubert.
Vater mit letzter Kraft der Anklage
Dein Blut! Bricht innerlich zusammen. Das meine – flösse nicht – auf der Erde!
Die Stimmen unten nur mehr ein erregtes Murmeln, die Musik schon ganz in der Ferne.