Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.
Die Familie Brissot.

Renée war durch einen Haufen Gesindels von ihren Begleiterinnen getrennt worden, suchte dann noch einige Augenblicke unter den Vorübergehenden nach den Gefährtinnen und kehrte zuletzt in den Laden zurück, unmittelbar nachdem Jean ihn mit seiner Laterne verlassen hatte.

Sie fand niemand mehr darin, als die Geschäftsinhaberin und ein junges Mädchen, die sich beide zum Weggehen anschickten, denn zu damaliger Zeit wurden die Geschäftslokale spätestens um acht Uhr abends geschlossen.

Auf ihre Frage, ob niemand sie nach Hause bringen könne, erklärte Madame Duport bedauernd, daß im ganzen Hause kein männliches Wesen sich befinde; das gnädige Fräulein möge sich in ihre Wohnung mit hinauf bemühen und bei ihr warten, bis sie abgeholt werde.

Die Aussicht eines längeren Beisammenseins mit der wenig anziehenden Modistin hatte für Renée durchaus nichts Verlockendes; es war ihr deshalb sehr erwünscht, als die junge Gehilfin, die bisher über ihre Arbeit gebeugt, in einer Ecke des Ladens gesessen hatte und von ihr und ihren Gefährtinnen nicht beachtet worden war, näher trat und mit einem liefen Knixe freundlich sagte: »Wollen das gnädige Fräulein sich nicht mir anvertrauen? Wir wohnen kaum fünf Minuten von hier jenseits der Brücke, und mein Achille kann das gnädige Fräulein dann von uns aus nach Hause bringen.«

Angenehm überrascht erkannte Renée in dem gefälligen Mädchen die Tochter des früheren Försters ihres Vaters wieder, mit der sie und Jeanne als Kinder oftmals gespielt hatten; sie zögerte deshalb keinen Augenblick, mit ihr zu gehen.

Wohl wußte sie, daß Brissot, während sie und die Schwester im Kloster waren, wegen Trunkenheit entlassen werden mußte und daß er sehr erbost darüber war; aber der Marquis hatte die Familie seither viel unterstützt. Bei der Gefährtin ihrer Kinderspiele, die, obschon ein paar Jahre älter als Renée und Jeanne, sich stets freundlich zu all ihren Einfällen hergegeben hatte, daher eine feindliche Gesinnung zu befürchten, kam ihr nicht in den Sinn.

Sie freute sich sogar aufrichtig, sie und ihre Mutter wiederzusehen. Frau Brissot war Protestantin, und die vielen Leiden, denen sie in ihrer Jugend durch die Religionsverfolgungen der beiden letzten Könige ausgesetzt gewesen war, hatten ihrem Wesen den Stempel tiefen Ernstes und fester Glaubenszuversicht aufgedrückt, der sich auch der Tochter, die demselben Bekenntnis angehörte, mitgeteilt hatte und beiden in Renées Augen etwas sehr Anziehendes gab.

Sie erkundigte sich unterwegs auch nach Marys Bruder, einem kränklichen schwachen Bürschchen, das sehr mit Unrecht den Namen Achille führte, und Mary erzählte ihr stolz, daß er in Herrn Ribots Fabrik als Zeichner angestellt sei,

»Der Vater,« erzählte sie, »der sonst nicht viel mehr thun konnte, hat Himmel und Erde bewegt, bis er einen Lehrer fand, der Achille seines Talentes wegen – denn Sie wissen, Achille hatte ein seltenes Zeichentalent – umsonst unterrichtete. Es war, als habe Gott dem Vater nur so lange Kraft verliehen, bis er dies Ziel erreicht hatte, denn kaum war der gute Maler Chautier bereit, dem Bruder Stunden zu geben, so legte der Vater sich hin und starb. Unser Achille aber verdient jetzt schon sieben Francs täglich, und Sie sollten nur seine Bilder sehen! Ganze chinesische Landschaften mit Seen und spitz zulaufenden Gartenhäusern und siebenteiligen Dächern mit Glöckchen daran, entwirft er nur so aus freier Hand. Herr Ribot wollte heute dem Marquis einige Proben bringen. Ob er wohl dagewesen ist?«

»Jawohl,« erwiderte Renée freundlich, »und ich glaube, Papa hat eine größere Bestellung gemacht.«

»Wie herrlich!« rief Mary, »dann bekommt Achille extra Arbeit und auch ein Extrahonorar. O, Gott ist gut, Fräulein Renée! Er hilft uns immer, wenn die Not am größten ist.

Als wir damals aus dem Forsthaus mußten und es immer schlimmer mit dem Vater wurde und er zuletzt starb, meinten wir, wir müßten verzagen. Mademoiselle, und nun geht es uns wieder so gut! Ich verdiene etwas, Achille verdient mehr und immer mehr. Ach, Fräulein, vielleicht können wir nach und nach so viel zurücklegen, daß mein August, Sie wissen ja, ich bin verlobt mit August Roullier,« – Renée wußte es nicht, hatte auch keine Ahnung, wer August Roullier war – »er arbeitete beim Verwalter des Herrn Marquis, wenn Fräulein sich dessen noch erinnern, mein August, ja, daß er ein kleines Pachtgut in Poitou, seinem Geburtsland, antreten kann. Dann nehmen wir die alte Mutter zu uns und Achille nimmt jedes Jahr einen Landaufenthalt bei uns; ach, Fräulein, es ist fast zu schön, um wahr zu sein!«

Während dieser Erzählung, der Renée gerührt und teilnehmend zuhörte, waren die beiden Mädchen ungefährdet durch die vielen Leute, die sich noch immer in der Straße umhertrieben, über die »neue Brücke« gegangen und bogen nun in ein enges Gäßchen der Altstadt ein. Im Erdgeschoß eines hohen, schmalen Hauses, das von den Nebengebäuden auf beiden Seiten zusammengedrückt zu werden schien, wohnte die Witwe Brissot mit ihren zwei Kindern.

Ein Haufen Männer und Frauen stand eifrig redend vor der Thür, ihre Gesichter hatten einen wilden, drohenden Ausdruck, der sich aber bei Marys Anblick in einen ernst teilnehmenden verwandelte. Schweigend machten sie ihr und ihrer Begleiterin Platz, und erstere sagte, indem sie die Thür öffnete: »Achille ist natürlich schon da; wie wird er sich über die Ehre freuen, das gnädige Fräulein nach Hause bringen zu dürfen.«

Aber in dem dürftigen, peinlich sauberen Gemach, in das Mary den vornehmen Gast jetzt führte und das Küche, Wohn- und Eßzimmer zugleich zu sein schien, war kein Achille zu sehen.

»Er ist wohl in seiner Stube hier nebenan, da arbeitet er bisweilen noch am Feierabend,« meinte Mary und öffnete die Thür zum Nebengelaß. Aber erschrocken fuhr sie wieder zurück, denn statt des eifrig über sein Zeichenbrett gebeugten Bruders erblickte sie die Mutter am Bett eines Kranken, und dieser, dessen blasses Gesicht sich kaum von den weißen Kissen seines Lagers abhob, der mit seinen festgeschlossenen Augen fast wie eine Leiche aussah, war niemand anders, als ihr Bruder Achille, des Hauses Stolz und Freude!

Mühsam erhob sich jetzt die alte Frau und wankte zu den Mädchen heraus in die Küche. »Er schläft,« sagte sie, indem sie sich, erschöpft von den paar Schritten, denn sie litt stark an der Gicht, in ihren Lehnstuhl sinken ließ, »und dieser Schlaf ist ihm so wohl zu gönnen! Er bringt ihm Linderung in seinen Schmerzen.«

»Was fehlt ihm denn, Mutter? Was ist ihm denn zugestoßen?« fragte Marie ängstlich.

»Ach,« seufzte die Mutter, »der arme Junge! Als er heute mittag von der Fabrik zum Essen heimgehen wollte, kam er in einen Volksauflauf hinein und wurde ohne sein Zuthun mit fortgeschoben. Er ist ja klein und schwach, der arme Achille! Konnte er dem Drängen eines gewaltigen Haufens wilder Männer widerstehen? Soviel ich verstehen konnte, denn die Leute schrieen alle durcheinander, handelte es sich um Streitigkeiten wegen der Wahlen zwischen Bürgern und Edelleuten. Einer der letzteren, der junge Herr Graf Marignan soll es gewesen sein, zog den Degen und unser armer, unschuldiger Achille, der dem ganzen Streit so ferne stand, wurde von ihm ins Herz getroffen, natürlich nur aus Versehen, es wird dem jungen Herrn selbst leid gethan haben.«

»Ins Herz? O, Mutter, so ist es tödlich!«

»Still, Kind, – still, nicht so laut. Es kommt, wie Gott es will,« sagte die alte Frau, die ernst und traurig, aber ohne Bitterkeit und Leidenschaft gesprochen hatte.

»Aber warum hast Du mich nicht gleich holen lassen?« fragte Mary, mühsam einen lauten Schmerzensausbruch zurückhaltend, unter strömenden Thränen.

»Sie brachten ihn zuerst zu einem Wundarzt, der ihn untersuchte und verband. Darüber, und bis er, natürlich so langsam und sorgfältig als möglich, heruntergebracht werden konnte, wurde es fast dunkel und ich konnte Dich jeden Augenblick zurückerwarten, ach, mein Kind, mit welcher Sehnsucht kannst Du Dir denken! Du bliebst heute länger weg als sonst!«

Nicht ohne Beschämung sagte Renée sich, daß sie und ihre Begleiterinnen durch ihr langes Auswählen im Laden schuld an der Verzögerung trugen. Wie wenig war man doch gewöhnt, Rücksicht auf Niedrigerstehende zu nehmen und doch verdienten diese eine solche oft so sehr!

Aber Madame Brissot und Mary waren weit davon entfernt, an die Ursache des verlängerten Aufenthaltes zu denken. Die erstere begrüßte Renée trotz allen Kummers mit großer Freude: »Wie freundlich von dem gnädigen Fräulein, sich uns anvertraut zu haben! Mademoiselle, wie groß und schön Sie geworden sind? Ob Fräulein Jeanne auch so gewachsen ist? Und sind die Frau Marquise noch immer leidend?«

Renée bejahte rasch beide Fragen und erkundigte sich dann, ob sie nichts für den Kranken thun könne. Es war ihr schrecklich, daß ihr Vetter es gewesen, dessen Dolchstoß den unglücklichen Jüngling getroffen hatte.

Freundlich dankte Frau Brissot für ihren guten Willen, doch meinte sie, keiner fremden Hilfe zu bedürfen und sagte in sanftem Ton:

»Der Herr Marquis sind uns schon so manchmal beigestanden, ich möchte keine Unterstützung annehmen, so lange wir uns noch selbst helfen können. Unser guter Achille hat sein Wochengehalt mitgebracht, das wird ausreichen, ihm die nötigen Erleichterungen zu verschaffen und die Arzneien zu bezahlen. Und Mary verdient ja auch etwas. Ach, gnädiges Fräulein, wenn er nur erst gesund ist, das übrige findet sich schon!«

»Ich werde wohl in der nächsten Zeit nichts verdienen, Mama,« sagte Mary, »denn wer soll Dir bei der Pflege des Kranken helfen? Entschuldigen das gnädige Fräulein, ich will nur rasch Wasser und alte Leinwand zurecht legen, damit man den armen Achille verbinden kann, wenn er aufwacht, und etwas Milch zu seiner Erquickung besorgen. Dann wollen wir gleich jemand suchen, der das gnädige Fräulein nach Hause bringt. Es thut mir leid, daß Achille es nicht kann, und ich Sie so zu sagen unter falschen Versprechungen hergelockt habe.«

Auch die Försterin bedauerte dies aufrichtig, und es rührte Renée tief, daß beide Frauen in ihrem Unglück noch soviel freundliche Rücksicht für sie hatten. Man war in ihren Kreisen gewohnt, von den Beamten und Eingesessenen des Guts als von »diesen Leuten« mit einer gewissen Geringschätzung zu reden, die sich ganz von selbst auf alle, nicht zu der bevorzugten Klasse gehörenden Menschen ausdehnte. Aber jetzt, in der schlichten Behausung dieser armen Leute, mußte Renée sich unwillkürlich fragen, ob sie unter ihren Bekannten irgendwo ein feineres Benehmen, eine edlere Gesinnung treffen würde, als hier? – Wie aufgeregt und heftig, wie voll leidenschaftlichen Zorns gegen ihres Sohnes Widersacher war ihre Tante Marignan heute morgen bei Henris leichter Verwundung gewesen! Frau Brissot aber hatte nur Worte des Bedauerns für den, der ihrem Achille leichtsinnigerweise den Todesstoß gegeben, und hoffte, der junge Herr Graf werde nie erfahren, welches Unheil er angerichtet habe. Doch hatte sie keinerlei Ursache, Henri zu schonen, denn dieser hatte von Kindheit an, bei seinen Besuchen auf des Onkels Schloß, den armen kleinen Achille Brissot zum Spielball seiner übermütigen Launen gemacht.

Woher nahm die wenig gebildete, einfache Frau diesen sanften ergebenen Sinn, der sie selbst das größte Leid ohne Bitterkeit ertragen und die zarte Rücksicht für das Wohl anderer nicht vergessen ließ?

Hätte Renée Frau Brissot selbst gefragt, so würde diese auf die alte Bibel gedeutet haben, die als ihre liebste Lektüre vor ihr auf dem Tische lag und die von ihren Vorfahren in allen Zeiten des Hasses und der Verfolgung immer wieder aus den Trümmern der niedergebrannten Häuser, aus dem Untergang all ihrer Habe, als kostbarstes Kleinod gerettet worden war.

Jetzt kam Mary wieder mit einer Schale voll Wasser und etwas Leinen herein. Aber noch ehe sie damit zu dem Kranken ging, brachte sie Renée ein Glas Milch und bat sie schüchtern, damit vorlieb zu nehmen, da man sonst nichts zu bieten habe. Sie sagte nicht, daß sie ihr eignes Abendbrot dem Gast opfere.

Plötzlich ertönte draußen ein wilder Lärm, stöhnend fuhr der Kranke auf, Mary stürzte zu ihm hinein und Frau Brissot folgte ihr so schnell sie konnte, nicht ohne sich vorher entschuldigt zu haben, daß sie das gnädige Fräulein allein lassen müsse.

Doch dauerte diese Einsamkeit nicht lange, denn kaum war Frau Brissot im Nebenzimmer verschwunden, so wurde die Außenthür heftig aufgerissen und Henri von Marignan stürzte von den vier jungen Edelleuten gefolgt, mit dem lauten Ruf: »Hier haben wir ja unsere schöne Gefangene!« in das Gemach. Ein Haufen wild und zornig aussehender Männer aus dem Volke drängte den fünfen nach und Renée, deren flehende Bitten um Ruhe und Schweigen im allgemeinen Tumult verhallten, konnte nur eben die Thür zum Krankenzimmer andrücken, dann war sie auch schon zwischen ihre fünf Befreier fest eingekeilt, die von ihren Verfolgern dicht an die Wand gedrängt worden waren und sich nun anschickten, die Degen zu ihrer Verteidigung zu ziehen.

»Wohnt hier nicht die Madame Brissot, deren Sohn in der Fabrik Ribot angestellt ist?« übertönte eine klare tiefe Mädchenstimme den Lärm, und unter der offenen Thür erschien die hohe Gestalt von Hortense Ribot.

»Ja!« rief Renée, die augenblickliche Stille benutzend, die durch die Überraschung über das plötzliche Auftauchen des schön und stolz aussehenden Mädchens bei Freund und Feind hervorgerufen worden war, »und da drinnen liegt der arme Achille verwundet, Mutter und Schwester sind bei ihm, der Lärm hat ihn aufgeweckt.«

»Da machen Sie mir wohl Platz, meine Herren,« wandte Hortense sich an die in dem kleinen Raum eingepreßten Leute, »ich komme, dem Verwundeten einige Erfrischungen zu bringen.« Sie winkte ihrem Diener, der, einen großen Korb am Arm, sich mühsam durch die den engen Korridor anfüllende Menge zu ihr hindurch gearbeitet hatte.

»Wir machen gern Platz,« sagten die Leute, indem sie vor Hortenses majestätischer Erscheinung zurückwichen, – »aber wir müssen erst sicher sein, daß Graf Marignan, der den armen Achille Brissot heute mittag verwundet hat, ihn und uns jetzt in Ruhe lassen wird.«

»Der Herr Graf,« sagte Hortense und ihre flammenden Augen trafen Henri, der überrascht und beschämt seinen Degen einsteckte, – »kann in keiner andern Absicht hergekommen sein, als um das von ihm begangene Unrecht wieder gut zu machen.«

»In der That,« erwiderte der junge Graf, »hatte ich keine Ahnung, irgend ein Unrecht begangen zu haben. Heute früh zog ich den Degen, um meine Verwandten, deren Wagen ich von einer aufgeregten Menge gefährdet sah, zu befreien, und jetzt glaubte ich, meine Cousine aus diesem Stadtviertel, in das sie, wie ich dachte, hinterlistig gelockt worden sei, heraushauen zu müssen.«

»Ach Henri! Mary Brissot hatte mich ja nur vom Laden mit herübergenommen, um mich von ihrem Bruder, dessen Verwundung ihr unbekannt war, nach Hause bringen zu lassen. Es sind ja Brissots, Förster Brissots, die hier wohnen!«

»Das hat mir die Besitzerin des Modemagazins gesagt, doch haben wir kein Recht, von dieser Familie, die Dein Vater wider ihren Willen, wenn auch nicht ohne Grund, von Haus und Hof gejagt hat, besonders freundschaftliche Gesinnungen zu erwarten.«

Er errötete unwillkürlich, denn er glaubte einem spöttischen Blick aus Hortenses schönen Augen zu begegnen, und wirklich, er verdiente wegen seiner unzeitgemäßen Ritterdienste ausgelacht zu werden. Er richtete damit nur Unheil an. So hatte er vorhin wieder die kaum zur Ruhe gekommene Altstadt höchst unnötig in Alarm gesetzt, als er, an der Spitze seiner bewaffneten Begleiter, in herausfordernder Weise die Straßen durchzog und nach der Witwe Brissot gefragt hatte. Kein Wunder, daß die vor dem Haus versammelten Leute sich seinem Eindringen widersetzt hatten und somit ein Tumult entstanden war, der ohne Hortenses mutiges Dazwischentreten blutig geendet hätte.

»Ich denke, wir können unsere befreite Prinzessin jetzt im Triumph zurückführen,« sagte zu Henri einer seiner Begleiter.

»Renée ist unter Eurem Schutze wohlgeborgen,« erwiderte dieser, »mich entschuldigst Du wohl, Cousine! ich muß sehen, wie es um den durch meine Schuld Verwundeten steht und ob ich ihm nicht helfen kann.«

Renée folgte, nachdem sie sich etwas verlegen von Hortense und mit warmem Dank von Mutter und Tochter Brissot verabschiedet hatte, ihren vier Beschützern. Der Graf aber trat mit vorsichtigen Schritten in das Krankenzimmer, verbeugte sich tief vor Mary und ihrer Mutter und sagte im Tone aufrichtigster Reue: »Meine Damen, ich hatte keine Ahnung von dem Unheil, das ich angerichtet habe. Was kann ich thun, um mein Unrecht, wenn auch nur zum kleinsten Teile wieder gut zu machen?«

Und mit dem Ausdruck innigsten Bedauerns blickte der junge Mann auf den Kranken, der heiß und wirr aussah und sich in allerlei Phantasien erging, die sich auf seine im Walde von Villiard verlebte Jugendzeit bezogen: »Henri! Henri! triff mich nicht! Du zielst ja gerade in mein Auge!« tönte es angstvoll von seinen Lippen und mit aufrichtiger Reue dachte der Graf daran, wie er einmal, als er seinen Onkel besucht, den armen, kleinen Achille an einen Baum gebunden hatte, während er nach einer, gerade über ihm am Stamme angebrachten Zielscheibe schoß.

»Ich wußte wohl, Herr Graf,« sagte Frau Brissot, indem sie ihre thränenüberströmten Augen von ihrem fiebernden Sohn abwandte und mit sanftem Ausdruck auf dem Jüngling haften ließ, »daß Sie meinen Achille nicht absichtlich verletzt haben; Sie haben kein Unrecht begangen, das einer Sühne bedarf. Wollen Sie aber ein Werk freier Güte thun, so besorgen Sie mir baldmöglichst einen guten Arzt, der etwas zur Linderung der Leiden meines armen Jungen beitragen könnte.«

»Ich werde sofort unserem Hausarzt, dem trefflichen Doktor Legrain Bescheid sagen und sonst –«

»Wir bedürfen sonst nichts, Herr Graf, es ist in ausreichender Weise für unseren Kranken gesorgt; es giebt noch viel edle Menschen auf der Welt, durch die Gottes Güte uns nahe tritt.«

Sie deutete bei diesen Worten durch die halboffene Thür in die Küche, wo Hortense und Mary den von dem Diener der ersteren mitgebrachten Korb auspackten. Er enthielt einige Flaschen Champagner, eingemachte Früchte, Fleisch, feine Zwiebacke, Chokolade, Eier, kurz alles, was zur Stärkung eines Kranken dienen kann.

Zuletzt hörte man, wie Hortense sagte: »Ich werde morgen mit Ihrer Prinzipalin sprechen, Fräulein Brissot, und ihr jede Entschädigung für Ihre Hilfe anbieten. Kann sie dieselbe nicht entbehren, so will ich Ihre Stelle vertreten, bis sie einen andern Ersatz gefunden hat.«

»Mein Fräulein!« unterbrach sie Henri rasch hervortretend, »der Ersatz für alle, diesen Damen durch Herrn Brissots Krankheit entspringende Kosten steht mir allein zu.«

»So garnieren Sie der Madame Duport ein paar Hüte oder entwerfen Sie chinesische Landschaften für Wachstuchtapeten,« sagte Hortense spöttisch, und zum erstenmale fühlte der junge Graf Marignan, daß es Dinge giebt, die man nicht mit Geld ersetzen kann.

Er fand die Art und Weise dieser jungen Bürgerlichen ihm gegenüber impertinent, dennoch bat er, nachdem er sich aufs ehrerbietigste von Frau Brissot und ihrer Tochter verabschiedet hatte, sie nach Hause begleiten zu dürfen.

Hortense nahm es an, schweigend gingen die beiden, vom Diener gefolgt, durch die jetzt nächtlich stillen Straßen der Neustadt zu. Als sie kaum die Brücke überschritten hatten, deutete Hortense auf ein stattliches Haus gleich in der ersten Straße und sagte: »Hier wohnt Ihr Arzt, Herr Graf, der Kranke bedarf seiner Hilfe nötiger, als ich Ihres Schutzes.«

»Mein Schutz bringt leider nur Unheil!« sagte seufzend Henri von Marignan und begab sich gehorsam in das bezeichnete Haus.

Dem kranken Achille wurde noch am selben Abend alle Linderung zu teil, die ärztliche Kunst einem Leidenden gewähren kann.

Am anderen Tage aber sah man im Laden der »Madame Duport, Modiste« eine sehr schöne junge Putzmacherin sitzen, die mit sicherer, fester Hand, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gethan, Hüte und Hauben garnierte. Henri Marignan war einer der ersten Kunden gewesen, der den Laden betreten hatte, es war erstaunlich, wie oft er sich von seiner Schwester ihrer Blumen wegen herschicken ließ. Auch seine Freunde begleiteten ihn etlichemale. Doch alle Versuche, eine Unterhaltung mit der jungen Dame anzuknüpfen, blieben vergeblich. Ernst und unnahbar wie eine Königin verrichtete sie das ihr ungewohnte Geschäft und allen in noch so höflichem und ehrerbietigem Ton an sie gerichteten Fragen ward nur ein kurzes »ja« oder »nein, mein Herr« zur Antwort.

Am zweiten Tage sah der enttäuschte Henri an ihrem Platz ein höchst unschönes, ältliches Frauenzimmer sitzen und Frau Duport erzählte ihm mit wichtiger Miene, Fräulein Ribot habe ihr zum Ersatz während Mary Brissots Abwesenheit ihre Kammerzofe geschickt, die verstehe die Arbeit doch besser als das Fräulein selbst, wenn dieses auch für solch eine reiche Dame nicht ungeschickt sei.


 << zurück weiter >>