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Niedrige, unzusammenhängende Hügel, am Flußufer steilaufragende Granitfelsen, enge Thäler von munter dahinfließenden Bächen durchschnitten, grüne Wiesen von Hecken eingefaßt, und zahlreiche pfadlose, aber wenig ausgedehnte Gehölze, dazwischen wieder brachliegende, von wildem Gestrüpp überwachsene Felder, bilden das Land, das sich vom atlantischen Ozean aus am linken Ufer der Loire entlang ins Innere von Frankreich hinein erstreckt. Es gehörte früher zu den Distrikten Poitou, Nantes und Anjou, jetzt teilen sich vier Departements darein und seit dem Aufstand von 1793 trägt es den Ehrennamen Vendée.
Von einem seiner Hügel aus gesehen liegt es wie grünes Meer vor unsern Blicken, das nur hie und da durch ein gelbes Viereck, ein Kornfeld, unterbrochen wird. Zwischen den Bäumen ragt mitunter ein rotes Ziegeldach oder eine Kirchturmspitze hervor, auch wohl ein herrschaftliches Schloß von einfacher Bauart.
Denn schlicht und einfach leben hier die Edelleute unter ihren Bauern. Die Gegensätze zwischen Adel und Bürgertum, die im übrigen Frankreich so auf die Spitze getrieben waren, herrschten nicht im Lande der Gehölze. Da war kein übervorteilter Pächter, kein drückender Frondienst, keine hochmütige Überhebung des Mächtigern.
Die Güter bestanden meistenteils aus Weideland, die Viehzucht und Milchwirtschaft wurden in verschiedenen zerstreut liegenden Meiereien betrieben, deren Insassen Gewinn und Verlust mit ihren Gutsherren redlich teilten.
Und mehr noch als dies gemeinsame Interesse, das ebenso gut zu Zwistigkeiten hätte führen können, trug eine aufrichtige Frömmigkeit dazu bei, Gutsherren und Bauern miteinander zu verbinden, denn das Christentum verstand allezeit, die Gegensätze zwischen arm und reich, hoch und niedrig, auszugleichen.
Während in Paris unter der Maske von Freiheit und Gleichheit die blutigste Tyrannei herrschte und überall in Frankreich entsetzliche Greuel verübt wurden, ging das fromme und arbeitsame Volk der Vendée friedlich seiner Arbeit nach; nicht umsonst also hatte der Marquis von Villiers sich mit Frau und Tochter hierher zurückgezogen. Ein frischer, gesunder Seewind vermischte sich hier mit dem Duft von Wiesen und Wald, er ließ die bleichen Wangen der Marquise wieder aufblühen und Jeannes Augen in neuer Jugendlust erglänzen.
Es war herrlich, daß die Mutter wieder kräftiger wurde, frisch und fröhlich im Hause schalten und walten, den Gatten und die Tochter auf Spaziergängen und Besuchen in der Nachbarschaft begleiten konnte! Sie lebte im Gefühl der neugewonnenen Kraft ordentlich wieder auf, der Druck, der so lange Jahre auf ihr gelegen, schwand, und wenn sie auch noch mit tiefem Schmerz der verstorbenen Kinder und mit Grauen der ungetreuen Dienerin gedachte, so ließen diese trüben Erinnerungen sie doch die Dankbarkeit für all das Gute, das ihr noch geblieben war, nicht vergessen. Durch verdoppelte Liebe und Fürsorge suchte sie den Ihren all den Kummer, den ihr langes Kranksein ihnen bereitet hatte, zu vergelten.
Jeanne hatte zwar hier noch weniger Vergnügungen als in Rennes, aber das Zusammenleben mit der Mutter ersetzte ihr viel, und das freie, ungebundene Dasein auf dem Lande sagte ihrem frischen Wesen zu. Sie durfte ihren Vater auf die Jagd begleiten, besuchte mit ihm die Hochzeiten und andere Festlichkeiten der Dorfbewohner, und wenn diese am Sonntag im Schloßhof tanzten, so nahm Jeanne mit etwaigem Gästen der Familie fröhlich daran teil.
Auf ihren Spaziergängen sprachen die Marquise und ihre Tochter öfters bei Mary Brissot und ihrer Mutter vor, die mehr Lebensart als die übrigen Bauernfrauen hatten und mit ihrem christlich-ernsten Sinn vor allem die fromme Schloßfrau an sich fesselten. Wohl gehörten beide einer anderen Konfession an als die Marquise, aber aufrichtiges Gottvertrauen und die feste Hoffnung auf eine bessere Welt verbinden auch die Anhänger verschiedener Glaubensbekenntnisse innerlich miteinander.
Es war eine Freude, die kleine Frau Roullier so fröhlich in ihrer Milchwirtschaft herumarbeiten zu sehen, ihr August war sehr stolz auf ihre wirtschaftliche Tüchtigkeit und niemand hätte in der runden, rosigen Hausfrau die bleiche Gehilfin der Madame Duport wieder erkannt. Frau Brissots Gicht war verschwunden, sie konnte der Tochter sogar im Hauswesen behilflich sein. Das einzige, was das Glück beider Frauen bisweilen trübte, war der Gedanke, daß der arme Achille es nicht mehr teilen könne, doch trösteten sie sich damit, daß er es jetzt im Himmel viel besser habe, als er es jemals in der Meierei Roullier hätte haben können.
Unter dem gesunden Einfluß des Landlebens verblaßten auch bei dem Marquis allmählich die düstern Eindrücke des fünften Oktober und er fing an, sich wieder für die Politik zu interessieren. Es schien in Paris ruhiger zu werden, die Feindseligkeiten gegen den König hatten nachgelassen, wenn dieser auch, wie Renée schrieb, in seinen freien Bewegungen vielfach gehemmt war und ein trüber Geist am Hofe herrschte, der die einstige Fröhlichkeit nicht mehr aufkommen ließ.
Aber das größte Genie der Nationalversammlung, Graf Mirabeau selbst, trat jetzt für die Rechte des Königs ein; man konnte hoffen, daß, wenn die neue Verfassung erst festgesetzt war, auch des Königs Lage eine bessere werden würde.
Und an dieser Verfassung arbeitete die Versammlung unablässig. Eine alte Einrichtung nach der andern wurde über den Haufen geworfen, ein neues Wahlsystem ward aufgestellt, der Gemeinde der Oberbefehl über die Nationalgarde eingeräumt, der Richterstand wählbar gemacht, Frankreich in Departements eingeteilt, und als die Finanzschwierigkeiten nicht ohne weiteres beseitigt werden konnten, zog man einfach die Güter der Geistlichkeit ein und nötigte diese, den neuen Gesetzen zuzuschwören.
Am vierzehnten Juli, ein Jahr nach der Erstürmung der Bastille, wurde ein glänzendes Fest auf dem Marsfelde gefeiert. Vor einem unter freiem Himmel errichteten Altar versammelten sich sämtliche Behörden von Stadt und Land mit dem König an der Spitze, die Abgeordneten der Nationalversammlung und das Heer, um der neuen Verfassung zuzuschwören. Wieder einmal ward das leicht erregte Volk von einem Freudentaumel hingerissen, es jauchzte laut dem Königspaare zu und als, gerade während Ludwig XVI. den Schwur leistete, die Sonne nach langen Regentagen durch die Wolken brach, glaubte alles wieder an eine neue bessere Zeit.
Auch der Marquis glaubte daran. Er hatte es sich, wie so viele andere Bewohner der Provinz, nicht nehmen lassen, zu dem Feste nach Paris zu reisen und voll freudiger Eindrücke kehrte er nach Hause zurück. Er konnte nicht genug erzählen, wie schön es gewesen sei, als die Königin dem Volke den kleinen Dauphin hingehalten habe und sich dann alles mit Freudenrufen in die Arme gesunken sei, indes ein nicht endenwollendes: »Hoch der Königin!« die Luft durchbrauste.
»Auch bei Hofe,« fuhr er fort, »ist die vorher so trübe Stimmung einer freudig gehobenen gewichen. Renée sagte, die Herrschaften seien alle sehr vergnügt. Sie fuhr wieder mit ihnen nach St. Cloud. Madame Elisabeth, als deren Vorleserin sie jetzt fest engagiert ist, will sie immer um sich haben.«
»Wenn diese neue Stimmung nur von Dauer ist!« sagte die weniger hoffnungsfreudige Marquise.
Und sie war es nicht. Schon Ende Dezember, bald nach der Rückkehr des Hofes von St. Cloud, schrieb Renée ihren Eltern:
»Es ist hier schrecklich. Das Volk, dem die Königin doch nur Gutes, nie etwas Böses gethan hat, ist wütend auf sie. Der Meuchelmord lauert an ihrer Thür und wo sie sich blicken läßt, wird sie mit Schmähungen und Verwünschungen überschüttet.«
»Dieses undankbare Volk, dem man alles gegeben hat!« rief zornig der Marquis. »Die königliche Familie muß aus seinen Klauen errettet werden.«
»Wie meinst Du das?« fragte zitternd seine Frau.
»Wir Edelleute der Vendée,« sagte der Marquis, »sind bereit, im Augenblick der Gefahr zusammenzutreten; die ganze Bevölkerung des Landes, die so wie so unzufrieden mit den Neuerungen, hauptsächlich mit der Behandlung der Geistlichkeit ist, wird zu uns stehen; die in la Rochelle und Poitiers liegenden Truppen der Regierung sind auch auf unsrer Seite, und auf der Straße von Lyon werden die emigrierten Prinzen mit ihren Regimentern zu uns stoßen.«
»Dann wollt Ihr mit Gewalt der Waffen alle die Errungenschaften, denen Du selbst so freudig beigestimmt hast, wieder zerstören?«
»Ja, denn niemals glaubte ich, daß durch die wohlbegründeten Freiheitsbestrebungen unseres Volkes die Heiligtümer der Religion und das Leben der königlichen Familie gefährdet werden könnten.«
»Kommt man denn nie aus den Revolten heraus!« seufzte Jeanne, »erst fliehen wir vor ihnen von Rennes nach Versailles, dann vertreiben sie uns von dort und nun verfolgen sie uns auch noch hier in diesem abgelegenen Erdenwinkel!«
»Wenn feindliche Mächte sich bekriegen, so müssen die befreundeten sich um so enger aneinander anschließen,« flüsterte eine Stimme in ihr Ohr. Sie wurde rot und sah sich lächelnd um. Ohne daß sie's merkte, hatte Herr von Beaujoillier sich dicht hinter sie gesetzt. Es war eine der Annehmlichkeiten des jetzigen Landaufenthalts, daß das Gut dieses jungen Edelmanns so nahe an dem des Marquis lag. Er hatte es im Frühling kurz nach dem Tode seines Vaters angetreten und hielt seitdem die beste Nachbarschaft mit der Familie Villiers. Jeanne fühlte sich glücklich, wieder einmal ein jugendliches Wesen um sich zu haben, mit dem sie scherzen und über nichtssagende Dinge plaudern konnte.
Herr von Beaujoillier zeigte sich hier in ganz anderer Gestalt, als bei ihrer ersten Begegnung im Salon Marignan. Hatte sie dort den ungelenken Jüngling freundlich beschützt und ihm die schwierigen Pas und Verbeugungen des Menuetts beigebracht, so war jetzt er es, der ihr schützend zur Seite stand, wenn sie bei gemeinsamen Gängen die steilen Berghalden emporkletterten, oder über die tiefen Wassergräben, die das Land durchschnitten, springen mußten. Er lehrte sie reiten, schießen, ruderte mit ihr auf dem Schloßteich und zeigte ihr die ländlichen Tänze. Daß bei diesem fröhlichen Zusammenleben nicht nur in dem jungen Manne, sondern auch in Jeanne mitunter der Wunsch nach einer engeren Verbindung rege wurde, war natürlich. Aber man durfte sich in jenen bewegten Tagen immer nur für kurze Augenblicke erlauben, an Privatsachen, wie Liebe und Heirat, zu denken. Das öffentliche Interesse nahm immer wieder aufs neue alle Gedanken in Anspruch und kaum fing man an, sich wieder an das friedliche Glück eines stillen, häuslichen Lebens zu gewöhnen, so wurde man durch neue, betrübende Ereignisse aus seiner Sorglosigkeit aufgeschreckt.
Für das Volk und die Vertreter seiner Rechte wäre es leicht gewesen, Frieden mit dem Könige zu schließen, der nur zu leicht nachgab und dessen schlichte Seele nicht an Ruhm und Ehre hing. Aber Mirabeau, der seinen gewaltigen Einfluß zu Gunsten des Königtums angewandt hatte, starb und die Männer des Umsturzes, die das Volk beeinflußten und die Vorkämpfer des modernen Freigeistes, die der Nationalversammlung ihre Gesinnung einhauchten, wollten keinen Frieden. Die einen wünschten die Anarchie, die andern die römische Republik, und beide arbeiteten mit vereinten Kräften am Untergang des Herrscherhauses.
Jetzt kam auch der Augenblick, den der Marquis vorausgesehen, wo das Volk der Vendée, in seinen heiligsten Gefühlen gekränkt, seine Edelleute bat, mit ihm für Thron und Altar zu kämpfen. Der rastlose Marquis hatte schon alles vorbereitet. Mitte Juni 1791 war man im Begriff loszubrechen und wartete nur auf das Zeichen zur allgemeinen Erhebung.
Da kam die Botschaft, daß die königliche Familie aus Paris geflohen sei, um sich zum Heere des Herzogs von Broglie zu begeben, daß man sie aber eingeholt und zurückgebracht habe.
Wohl hob die Nationalversammlung, die dem König in feierlichem Beschluß all seine Rechte genommen hatte, dies Dekret wieder auf, wohl trat der allbeliebte Barnave, der die königliche Familie nach Paris zurückgebracht hatte, von ihrer Würde und Liebenswürdigkeit hingerissen, energisch für sie ein, wohl jauchzte das Volk dem Herrscher wieder einmal zu, als er die endlich fertiggestellte neue Verfassung beschwor, – aber er war von jetzt an nur noch ein Gefangener und ein Aufstand von außen, zu seinen Gunsten, hätte sein Leben ernstlich in Gefahr gebracht.
Der Adel der Vendée beschloß jetzt, auszuwandern und sich den Bewegungen der Emigranten und der auswärtigen Mächte, die sich zum Schutze Ludwig XVI. zu verbinden begannen, anzuschließen. Herr von Beaujoillier mit mehreren seiner Freunde und der Marquis von Villiers blieben, denn Henri schrieb aus Paris, daß der König die Auswanderung nicht wünsche, und daß die Rüstungen im Auslande seine Lage nur verschlimmerten. »Der arme Herr,« fuhr er fort, »bedarf der treuen Freunde in der Heimat jetzt mehr als je. Nun die Verfassung fertig ist, löst die alte Nationalversammlung, die immerhin einige bessere Elemente enthielt, sich auf. In der neuen gesetzgebenden Versammlung haben die demokratischen Abgeordneten der Gironde die Oberhand. Ein Glück nur, daß das Haus Roland, der Herd aller aufrührerischen Machinationen, mit der alten Versammlung aufgeflogen und das würdige Ehepaar wieder in den Frieden seines la Platière zurückgekehrt ist. Die schöne Hortense wird wohl wieder bei ihren Eltern sein, ich habe sie seit jenem sechsten Oktober nur flüchtig gesehen, nie mehr besucht.
»Wegen Renée seid ohne Sorgen; sie begab sich vor der Flucht der königlichen Familie unter den Schutz der Marquise de Crigny, einer würdigen alten Dame, bei der sie wohl aufgehoben ist. Es war meine Absicht, sie ein paar Tage später in die Heimat zu geleiten. Die Rückkehr der Herrschaften bewog uns aber, zu bleiben. Renée versieht ihre Dienste bei Madame Elisabeth vom Hause der Crigny aus, ich wohne in der Nähe. Uns beiden ist es ein Trost, Euch noch im Vaterland zu wissen.«
Der Marquis und seine Freunde hatten bald allen Grund, sich Glück zu wünschen, daß sie zu Hause geblieben waren, denn die gesetzgebende Versammlung beschloß kurz nach ihrem Zusammentritt am 1. Oktober 1891, daß sämtliche Güter der Emigranten konfisciert werden sollten und daß diese selbst dem Tode verfallen seien, sobald sie sich wieder in der Heimat blicken ließen.
Dieser Schlag traf die Gräfin von Marignan empfindlich, insofern sie das Haus in Rennes mit seiner kostbaren Einrichtung verlor; die Güter des verstorbenen Grafen in der Bretagne und der Vendée gehörten Henri, als dem einzigen männlichen Nachkommen seines Vaters.
Die verhältnismäßige Ruhezeit im Winter benutzte Herr von Beaujoillier, um bei dem Marquis seine Werbung um Jeanne anzubringen. Er hatte den richtigen Zeitpunkt gewählt. Der Marquis war froh, daß er bei der Ruhe im politischen Leben überhaupt etwas zu thun hatte. Er sagte mit Freuden ja und beschäftigte sich nun mit Feuereifer mit Verbesserungen auf dem Gut seines Schwiegersohns und den Vorbereitungen zur Hochzeit. Es sollte eine rechte, echte Landhochzeit werden, an der die ganze Umgegend teil nehmen und von der man noch jahrelang sprechen würde.
Während der Marquis den Bau des Riesenpavillons, in dem die Bauern mit ihren Familien bewirtet werden sollten, und die Erweiterung des Tanzsaals im Schlosse beaufsichtigte, und seinem Schwiegersohn neue Reit- und Wagenpferde einkaufen half, begaben sich Jeanne und ihre Mutter nach Schloß Villard, um in Rennes ihre Einkäufe zu besorgen.
»Unsre Wachstuchtapeten müssen wir bei Herrn Ribot kaufen,« sagte Jeanne und fuhr mit ihrer Mutter selbst in die Fabrik.
Der Fabrikant begrüßte sie mit großer Freude, wenn auch nicht mit der früheren Ergebenheit. Man lebte jetzt doch in andern Zeiten und der Adel hatte nicht mehr viel zu sagen. Doch nötigte er die Damen aus seinen Fabrikräumen in den Salon des Wohnhauses hinüber und Jeanne war angenehm überrascht, Hortense dort zu treffen. Sie hatte es mit dem Standesunterschied nie so genau genommen, wie Renée und Eugenie, es freute sie, jemand aus der guten alten Zeit vor sich zu sehen. Hortense fühlte sich von Jeannes herzlicher Art wohlthuend berührt, doch war sie nicht so unbefangen wie jene und dachte bei sich: »Ob sie auch so liebenswürdig sein würde, wenn alles noch wäre, wie vor zwei Jahren?« Dennoch freute auch sie sich über diese Begegnung und es machte ihr Spaß, daß Jeanne von ihrer Verlobung, ihrer Aussteuer und ihren ländlichen Vergnügungen sprach, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt, und als würde nicht jetzt in der Hauptstadt des Landes der Kampf um die heiligen Rechte der Religion und des Königtums heißer denn je geführt. »Seit wann bist Du denn von Paris zurück?« fragte Jeanne, nachdem sie alles Wissenswerte von sich berichtet hatte, ohne darnach gefragt worden zu sein.
»Seit Auflösung der konstitutionellen Versammlung.«
»Ah, ich weiß, Papa sprach und Henri schrieb davon. Die Politik hat nun wohl ein Ende, deshalb konnten Leon und ich auch endlich an die Hochzeit denken.«
»Ist Dein Vetter Henri noch in Paris?«
»Gewiß! er wollte den König nicht verlassen. Hat er Dich denn nicht besucht? er ritt von Versailles aus so oft nach Paris. Nun er dort wohnt, hat er's ja bequemer.«
»Ich hatte seit dem fünften Oktober nicht mehr die Ehre, den Grafen Marignan zu sehen,« erwiderte Hortense kühl, und nun fiel Jeanne ein, daß Henri ja geschrieben, er habe sie nicht mehr besucht. Wie vergeßlich sie war in ihrem jungen Glück!
In düsterm Sinnen blickte Hortense nieder. Sie sah ihn wieder vor sich, jenen schauerlichen Königszug von Versailles nach Paris und den bleichen jungen Edelmann mit der blutenden Stirn und dem stolzen Gesicht. Der verächtliche Blick, mit dem er damals ihr Anerbieten, ihn zu retten, abgewiesen, verfolgte sie seither Tag und Nacht und hatte ihr die Freude an den Erfolgen ihrer Pariser Freunde und am Verkehr mit ihnen vergällt.
Ach, in jenem Augenblick, wo er sich von ihr abgewandt hatte, um in den Wagen der hochmütigen Renée zu steigen, hatte sie zum erstenmal gefühlt, wie sehr sie ihn liebe. Aber es war ihr auch mit schrecklicher Gewißheit klar geworden, daß sie durch unübersteigliche Schranken auf immer von ihm getrennt sei.
»Bleibst Du jetzt hier?« fragte nun Jeanne, um das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen.
»Ich glaube, ja,« erwiderte Hortense mit einem leisen Seufzer, »nach Auflösung der Versammlung war Herr Roland frei, denn die Abgeordneten der alten durften in die neue Vertretung nicht wieder gewählt werden. Die Familie kehrte auf ihr Gut bei Lyon zurück und ich bin wieder bei meinen Eltern.«
»Amüsierst Du Dich hier?«
»Offen gestanden, nein; unsere hiesige Gesellschaft hat mir nie behagt und ich wurde bei Frau Roland, was den Verkehr betrifft, sehr verwöhnt. Brächten nicht Frau Rolands Briefe, die Zeitungen und Flugblätter, manchmal auch ein Brief Herrn Moreaus aus Paris Nachrichten von dem, was in der Welt vorgeht, man käme sich hier vor wie in einem Sumpf.«
»Herr Moreau? Ja, ich erinnere mich! Eugeniens und Henris Retter! Also er ist noch in Paris?«
»Ja, obschon auch er frei wäre. Aber die Interessen seiner Partei halten ihn noch fest.«
»Ach! er gehört ja zu den Feinden des Königs! er billigte die vom Volk begangenen Greuel! Tante war wütend auf ihn, obschon er sie und Eugenie treulich beschützt hat. Aber es geschahen auch zu schreckliche Dinge in Paris! ich bin froh, daß wir jetzt weit davon sind und begreife Renée und Henri nicht, daß sie's dort noch aushalten, denn von Festlichkeiten bei Hof ist jetzt keine Rede mehr, man amüsiert sich nicht im geringsten.«
»Ah, Deine Schwester Renée ist auch dort geblieben?« fragte Hortense und fügte leise mit einem Seufzer hinzu: »Wohl um des jungen Vetters willen.«
Jeanne verstand sie glücklicherweise nicht, denn es wurden ihr jetzt die Tapetenmuster vorgelegt. Es dauerte lange, bis sie eine passende Auswahl getroffen hatte; endlich wurde sie aber doch fertig und verabschiedete sich aufs herzlichste von Hortense mit der Bitte, sie doch zu besuchen, solange sie noch auf Villard wohne.
»Diese neuen Errungenschaften sind doch viel wert,« sagte Herr Ribot, nachdem er die Damen zu ihrem Wagen geleitet hatte; »anno 89 luden sie meine Tochter nicht ein!«
Herr Ribot that dem liebenswürdigen Mädchen Unrecht. Jeanne fühlte nur aufrichtige Freundschaft für Hortense und der Gedanke, daß sie aus eigensüchtigen Gründen nötig hätte, mit dem Bürgerstande zu halten, kam ihr gar nicht in den Sinn. Sie, die geliebte Tochter der allverehrten Gutsherrschaft, hielt sich keineswegs für unterdrückt.
Und wer Jeannes Hochzeit beiwohnte, die noch im Jahre 91 gefeiert wurde und wo es trotz der Winterkälte so lustig zuging, wie nur je bei einer Hochzeit in Poitou, – denn die ganze Umgegend nahm daran teil und hoch und niedrig tanzte sich warm in dem etwas luftigen Pavillon, der leider nicht heizbar war, – der hätte auch nicht geglaubt, daß man in einer schweren Zeit stehe und das harmlose Volk die Hand am Schwerte habe, um es beim ersten Augenblick gegen den inneren Feind zu ziehen.
Man hatte nicht ohne Mühe zur Trauung einen Geistlichen aufgetrieben, der der neuen Verfassung keinen Eid geleistet hatte, denn nur ein solcher wurde in der Vendée anerkannt. Die von der Regierung verjagten Priester hielten sich in den Wäldern verborgen und kamen ab und zu hervor, um heimlich ihre Messen zu lesen und die Sakramente auszuteilen. Die Kirchen der vom Staat angestellten Geistlichen standen leer.
Mehr noch als durch den Sturz des Königtums wurde das Volk durch den Religionszwang, den das neue Regiment ausübte, verbittert und zur Empörung getrieben.
Henri von Marignan fehlte nicht bei Jeannes Hochzeit und war ein flotter Tänzer. Aber zu der Schwester großem Schmerz konnte Renée nicht kommen. Die Winterreise wäre zu beschwerlich für sie gewesen. Das junge Paar besuchte sie dafür nach der Hochzeit in Paris und traf sie wohl und befriedigt in ihrem Beruf bei der liebenswürdigen Prinzessin, die zu verlassen ihr nicht in den Sinn kam, trotzdem Jeanne sie bat, in die Heimat zurückzukehren.
In Paris lag die Ahnung kommender Schrecken in der Luft und ließ keine Fröhlichkeit aufkommen. Jeanne war froh, als sie wieder auf ihrem stillen Schlosse, in der Nähe der Eltern war, die sie jeden Tag besuchte und die sich herzlich über ihr junges Glück freuten.
Auch Eugenie hatte bei Jeannes Hochzeit gefehlt. Sie führte mit ihrer Mutter ein unstetes Leben. Am Hof des Grafen von Artois in Koblenz, schrieb sie, sei es nicht viel besser als in Paris, man höre nur von Politik, von Krieg und Aufruhr und bald zogen sich die Damen deshalb in das stillere Genf zurück. Dort klagten sie aber über Langweile und das Einziehen ihrer Güter machte ihre äußere Lage zu einer sehr drückenden. Die Rückkehr in die Heimat aber bedeutete für sie den Tod.