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Es war Mitte September des Jahres 1792. Grauenvolle Schrecken lagen hinter der armen Stadt Paris. Fünf Tage lang war sie von der Außenwelt abgeschlossen gewesen und in diesen fünf Tagen ermordeten die Anhänger der Umsturzpartei, von dem fanatischen Danton aufgehetzt, alles, was am 10. August, wo das Volk den König in den Tuilerien überfallen hatte, von Monarchisten ins Gefängnis gesteckt worden war. Ja mehr noch! Man hatte die Priester in ihren Seminarien, die Royalisten in ihren Wohnungen überfallen und niedergemetzelt!
Das Blut von Tausenden unschuldig Geschlachteter schrie rachedürstend zum Himmel empor.
Auf der Landstraße, die von Paris über Versailles und Chartres nach der Bretagne führt, sprengte eine kleine Abteilung von vier Reitern einher. Sie trugen die Uniform der Nationalgardisten, zwei davon die Abzeichen des Offiziers.
Doch nur der eine von diesen beiden hatte den Adlerblick und die stolze Haltung des Feldherrn; des andern feine, durchgeistigte Züge und seine tiefen, gleichsam nach innen blickenden Augen mit dem unsichern Ausdruck des Kurzsichtigen, trugen den Stempel ernsten Nachdenkens und fleißiger Studien.
Das Land stand noch unter dem Drucke der Septembermorde, man wagte kaum, sich wieder frei zu bewegen. Zwischen Versailles und Paris war die Straße mit allerlei zweideutigem Gesindel, patrouillierenden Soldaten, Flüchtigen in verschiedener Verkleidung, mit Wagen und Reitern aller Art angefüllt. Hinter Versailles wurde es ruhiger, es kam sogar eine ganz menschenleere Strecke und jetzt mäßigten die bisher in raschem Trab einhergaloppierenden Reiter den Schritt ihrer Pferde und der ältere der beiden Offiziere sagte im Tone milden Vorwurfs zu seinem Begleiter:
»So hat es eines besonderen Anliegens bedurft, Henri, um Sie zu mir zu führen, nachdem Sie mich drei Jahre lang gemieden haben?«
»Nach dem fünften Oktober des Jahres 89 gingen unsre Wege auseinander. Nur die Not, Viktor Moreau, trieb mich zu Ihnen. Ich kenne niemand aus der Volkspartei, und wer sonst hätte mir und meinen Leuten die Uniformen verschaffen können, mittelst derer allein ich unverdächtig aus dem bluttriefenden Paris entkommen konnte?«
»Und Sie wissen, wenn man Viktor Moreau braucht, ist er da,« erwiderte dieser lächelnd, – »was dachten Sie aber, als ich in derselben Uniform – und ich trage sie mit Recht, – ich habe den Rang eines Kapitäns der Bürgergarde, – am Stadtthor vor Paris zu Ihnen stieß?«
»Ich dachte,« entgegnete Henri unerschrocken, »entweder will er dich beschützen oder verraten.«
»Und wenn nun keins von beiden der Fall wäre? wenn ich fliehen wollte, wie Sie, und meiner Partei auf immer abgesagt hätte?«
»Unmöglich, Viktor! jetzt, wo diese Partei ihre Ziele erreicht hat, wo Roland zum zweitenmale Minister ist und das Königtum im Staube liegt?« –
»Mein Ziel war die geistige Erhebung und Freiheit des Volkes, eine weise und gerechte Regierung, allgemeine Ordnung und Gleichheit, – ich sehe nichts davon in den Greuelthaten der jetzigen Machthaber, in den Schlächtereien vom zweiten bis sechsten September.«
»Ah, Viktor! wir haben immer gehofft, daß Sie noch zur Einsicht kommen würden. Die Fehler der Aristokratie – ich gesteh's, – sie machte deren viele, – hatten Sie nur verblendet. Freilich, als ich hörte, die schöne Madame Roland sei von der Provinz zurückgekehrt und habe wieder ihren Salon eröffnet, glaubte ich nicht mehr an Ihre Rettung, denn ich weiß, wie groß die Macht dieser Frau über die Gemüter ist.«
»Ja, sie ist eine seltene Frau und man konnte sich denken, daß sie's nicht lange in der Provinz aushalten würde. Kaum auch war sie wieder da, so sammelte sich, was von ihren alten Getreuen noch in Paris war, wieder um sie und es kamen noch neue genug dazu. Unter ihnen spielten die jungen heißblütigen Abgeordneten der Gironde: Gansonne, Varignaud und Guadet die Hauptrolle.«
»Man nennt sie darum auch die Circe der Gironde.«
»Mit Recht, denn sie wußte die Herzen aller zu entflammen! Durch ihren Einfluß ward ihr Mann Minister, sie wußte ihn immer wieder umzustimmen, wenn er, von der Güte des Königs gerührt, zur Versöhnung mit der Monarchie geneigt schien, sie diktierte ihm jenen Brief voll heftiger Vorwürfe an Ludwig XVI., der zwar Rolands Sturz herbeiführte, dessen Verlesung in der National-Versammlung aber auch die Veranlassung zum Aufstand des zwanzigsten Juni war. In Madame Rolands Salon wurde mit den Anführern der Aufrührer von Marseille: Barbaronni und Rebéqui, der Plan zur Verschwörung vom zehnten August entworfen, hier schliff ein Danton seine Mordwaffen, mit denen er das Blutbad der Septembertage anrichtete.«
»Und Hortense Ribot, ist sie noch bei dieser Megäre?«
»Frau Roland rief sie wieder zu sich, als ihr Mann Minister wurde. Doch nennen sie diese keine Megäre, Henri! Sie ist nur eine Schwärmerin, die ihr Ideal, die Republik nach römischem Muster, um jeden Preis erreichen will.«
»Haben sie Fräulein Ribot kürzlich gesehen?«
»Nein, seit ein Danton von Frau Roland empfangen wird, betrete ich ihr Haus nicht mehr.«
»Und Danton ist jetzt Minister, auch Roland ist es wieder geworden.«
»Ich begreife nicht, wie Roland mit einem solchen Schurken zusammen arbeiten kann! Ah, wie kann man von einer Regierung, an deren Spitze ein Mensch steht, der sich vom König große Summen bezahlen läßt und ihn dafür verrät und dessen Anhänger niedermetzelt, noch Gutes erwarten! Vergeblich schützen diese Bluthunde die Kriegsgefahr vor, die von den mit den Emigranten verbundenen europäischen Mächten drohen soll. Ein Volk, das seine Waffen mit dem Blute der eigenen Landsleute besteckt hat, wird, mag es nach außen noch so groß dastehen, doch in den Augen der civilisierten Welt immer verächtlich sein, verächtlich auch die mit solchen Waffen erkämpften Siege.«
»Und wer ist jetzt vor der Wut des sogenannten Volkes sicher? Schon stehen die Girondisten unter der Herrschaft der Kommune. Arme Hortense! Die Besserdenkenden hätten sich schon vor drei Jahren am sechsten Oktober vom Volk abwenden müssen, Viktor.«
»Wir dachten, jener Aufstand sei nur die notwendige Krisis und die Gewaltthaten hätten damit ein Ende. Aber es ist, als ob das Volk, je mehr es belehrt wird, immer wilder und roher werde.«
»Da hat meine Cousine Renée recht, wenn sie sagt, die Religion sei das einzige Besserungsmittel für das Volk.«
»Wo ist Ihre Cousine? Ist sie dem Blutbad der ersten Septembertage entronnen?«
»Ich fürchte, nicht, denn ich konnte sie nirgends finden.«
»Und wie sind Sie lebend entkommen?«
»Durch ein Wunder Gottes. Ich war am zehnten August in den Tuilerien und kämpfte für den König. Nachdem er uns verlassen hatte, um sich mit seiner Familie in den zweifelhaften Schutz der Nationalversammlung zu begeben, fochten wir Edelleute mit der tapferen Schweizergarde noch eine Zeit lang gegen die Übermacht des Volksheeres. Da kam der Befehl des Königs, uns zu ihm in die Versammlung zu verfügen. Leichter gesagt als gethan! Denn bei jedem Schritt aus den Tuilerien hinaus regnete es Kugeln, zuckten die Bajonette auf uns. Aber auch innerhalb der Tuilerien bedrängte uns der Feind. Wir hieben uns durch, bis zu dem Gitterthor des Gartens. Es war verschlossen. Mit verzweifelter Anstrengung durchbrach man eine massive Eisenstange, und durch die kleine Öffnung drängte sich einer nach dem andern von uns, indes die Kugeln von zwei Bataillonen auf uns trafen. Die tapferen Schweizer, die man an ihren roten Röcken erkannte, fielen alle. Unter dem Schutz der großen Allee eilten wir Geretteten auf den Sitz der Versammlung, die Reitschule, zu. Ein Posten Nationalgarde vertrat uns den Weg. Indes die andern sich durchschlugen, trat ein wüster Kerl auf mich zu: »Ah, ein Verwandter der Familie Villiers-Lavignan! Diesmal entgehst Du mir nicht!« schreit er und dringt mit gefälltem Bajonett auf mich ein. Ich erkenne zu meinem Entsetzen in diesem Mordgesellen den roten Charles.
»Schnell ziehe ich den Degen und kämpfend entfernen wir uns von den andern, zuletzt strecke ich ihn nieder. Ich hatte den getötet, der mir schon einmal nach dem Leben trachtete. Unversehens war ich an die Pforte der Orangerie gekommen, die ins Freie führt. Zu den andern, die bereits im Sitzungssaale waren, mich allein zurückzuschlagen, wäre Wahnsinn gewesen. So eilte ich hinaus und kam auf verschiedenen Umwegen in meine Wohnung, wo ich meine beiden Diener fand, die mich mit zu Verwandten nahmen, bei denen ich mich bis jetzt verbarg. Meine Gefährten, die, ihrem König gehorsam, bei der Versammlung Schutz suchten, sind am zweiten September niedergehauen worden. Jener Mordgeselle hat mir also das Leben, das er mir nehmen wollte, gerettet. Ach, wäre ich doch auch so glücklich gewesen, Renée, die mich an jenem sechsten Oktober aus der Todesnot befreite, ihrem traurigen Schicksal zu entziehen. Ich forschte von meinem Versteck aus mit eigener Lebensgefahr nach ihr. Zuletzt erfuhr ich, sie sei mit den andern Damen des Hofs in das Gefängnis Laforce gebracht worden.«
»Ah, die Unglückliche! dann war sie des Todes.«
»Ja, – als ich mich dorthin auf den Weg machte, um irgendwie ihre Rettung zu versuchen, wurde mir der gräßlich entstellte Kopf der schönen Prinzeß Lamballe, dieses Engels in Menschengestalt, im Triumph entgegengetragen. Sie sei die letzte Genossin der königlichen Weiber, die von ihrer verdienten Strafe ereilt worden sei, brüllte die Meute.
»Dennoch wagte ich mich noch bis zur Gefängnisthür.
»Die schreckliche Nachricht wurde bestätigt und ich selbst konnte mich nur durch schleunige Flucht dem Tode entziehen, denn schon hatten meine Fragen den Verdacht der Bluthunde erregt.«
»Wohl sind es Bluthunde, wehrlose Frauen zu morden!«
»Und es waren die edelsten ihres Geschlechts. Renée wurde am Morgen des zehnten August von ihrer Beschützerin, der alten Marquise gebeten, doch zu Hause zu bleiben, da man den Aufruhr ahnte. Doch sie sagte mit festem Blick: »Gerade in der Gefahr muß man zu seinen Freunden stehn, Gott kann mich schützen, wenn er mein Leben bewahren will.« Sie war reif zum Märtyrertod!«
Schweigend ritten die Freunde weiter bis Chartres, dort mußten sie ihre Pässe vorzeigen. Der Minister Roland hatte sie Moreau als letzten Freundschaftsdienst ausgestellt, sie waren in Ordnung. Nachdem Reiter und Pferde sich ein wenig ausgeruht hatten, sagte Henri:
»Jetzt geht es weiter! man erwartet mich im Lande der Gehölze. Dort ist der langvorbereitete Aufstand jetzt endlich ausgebrochen. Das Volk der Vendée hat sich schon erhoben, es ist die heilige Pflicht seiner Edelleute, mit ihm für das Recht des Königs und die unterdrückte Geistlichkeit einzutreten. Dort will ich für meinen Herrn im Himmel und für den auf Erden kämpfen, bis zum Siege oder bis zum Tod. Zuvor muß ich aber sehen, ob ich in dem Haus meiner Mutter zu Rennes, das von der Regierung konfisziert worden ist, nicht noch einiges retten kann, das ich als mein Eigentum zu beanspruchen berechtigt bin. Es soll in Rennes verhältnismäßig ruhig sein. Sie gehen natürlich auch dorthin? Ist es doch Ihre alte Heimat! – Was ich sagen wollte! wir werden Eugenie verheiraten, Viktor. Ein sehr ehrenwerter, wenn auch etwas ältlicher Edelmann wirbt in Genf um sie, und Mama und ich hoffen sehr, die Kleine, die nicht recht zu wollen scheint, läßt sich überreden, ihn anzunehmen. Die Damen bedürfen eines männlichen Schutzes in dieser unsicheren Zeit und mich hält die Pflicht hier fest.«
Zu Henris großer Überraschung fing Viktor an fröhlich zu lachen.
»Ah, nun weiß ich, warum Fräulein von Marignan mich gerufen hat!« rief er vergnügt.
»Kein ›von‹ mehr! der Adel ist abgeschafft! – aber wie? Eugenie hat Sie gerufen?«
»Ja, und ich werde hinreisen und sehen, ob ich ihr helfen kann. Sie sagte ja schon bei ihrer Abreise vor drei Jahren, sie würde mich rufen, wenn sie meiner bedürfe.«
»Armes Kind! sie fürchtet sich wohl vor dem alten Mann, Mama mag ihr hart zusetzen. Nun, was auch aus der Reise werden möge, Viktor, meinen Segen als Haupt der Familie haben Sie! – Was meinen Sie dazu? habe ich nicht auch etwas von der neuen Zeit gelernt?«
»Wäre jedermann so weit, seine guten Freunde unter Männern von gleicher Bildungs- und Denkungsart, ohne Rücksicht auf den Stand zu wählen, so hätten wir schon Großes erreicht! – ich danke Ihnen, Henri,« sagte Viktor, indem er warm des Freundes Rechte drückte.
»Übrigens habe ich,« fuhr er lächelnd fort, »auch eigene Interessen dort wahrzunehmen. Es ist mir gelungen, am zehnten August, als ich in der Hoffnung, Sie, Henri, zu sehen und Ihnen vielleicht helfen zu können, mich in die Nähe der Tuilerien begab, einen alten Edelmann aus Genf zu retten, der sich schon in den Händen von Dantons Schergen befand. Ich nahm ihn mit in meine bescheidene Wohnung, wo er vierzehn Tage krank lag und dann starb. Vor seinem Tode setzte er mich zum Erben ein, feierlich und förmlich, Henri, mit Brief und Siegel.«
»Ich gratuliere, Viktor! Hoffentlich haben Sie etwas von Ihren Schätzen mitgenommen. Mama und Eugenie sind, wie ich fürchte, sehr auf dem Trocknen.«
»Mein Erbteil,« sagte Viktor seufzend, »bestehend aus fünfmalhunderttausend Franken in barem Geld und verschiedenen Liegenschaften in Genf befindet sich in den Händen des Dieners meines alten Freundes, mit dem er am Morgen des vierzehnten August abreisen wollte. Der Mann, ein langjähriger Vertrauter des Alten, sein Milchbruder sogar, war vorausgeeilt, um zu sehen, ob Wagen und Pferde bereit seien. Man hat seither nichts mehr von ihm gehört und der alte Herr starb im festen Glauben, sein treuer Philipp sei vor ihm unter die Mörder gefallen.«
»Es ist alles möglich, Ihre Erbschaft aber werden Sie wohl schwerlich antreten, Viktor. Doch hier scheiden sich unsere Wege. Grüßen Sie Mama und die eigensinnige Kleine!«