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Fünfzehntes Kapitel.
In der alten Heimat.

Herr Ribot empfing die Gäste, die ihm seine Tochter brachten, mit sauersüßer Miene. So sehr ihn vor drei Jahren noch ein adliger Besuch erfreut hätte, jetzt war es eine eigne Sache, jemand von der Aristokratie zu beherbergen. Der Pariser Gemeinderat hatte an sämtliche größeren Städte der Provinz ein Schreiben ergehen lassen, worin erste zu ähnlichen Mordthaten, wie sie in Paris stattgefunden, anfeuerte, und in Rheims, Meaux und Lyon war man diesem Rate nachgekommen. Die Mordgesellen von Paris durchzogen, zu jeder Schandthat bereit, das Land und jeden Tag konnten auch in Rennes Haussuchungen stattfinden, wo man die Aristokraten und ihre Freunde in jedem Schlupfwinkel aufspürte und zu grausamem Tod ins Gefängnis schleppte. Überdies hatte das hochmütige Fräulein von Villiers eine besondere Aufopferung seitens der Familie Ribot keineswegs verdient.

Aber der Anblick des dem Tode entrissenen jungen Mädchens mit dem weißen Haar und dem blassen, schmalen Gesichtchen war so herzbewegend, ihre Schwäche so groß, daß es grausam gewesen wäre, sie jetzt fortzuschicken, auch wenn Hortense nicht fest erklärt hätte, sie ginge mit, falls man die Freundin nicht im Hause behielte.

Renée selbst hatte keine Ahnung von den Beratungen, die über sie gepflogen wurden. Halb bewußtlos lag sie in dem Zimmer neben Hortenses Schlafgemach, in das man sie gleich vom Wagen aus gebracht hatte. Ein heftiges Nervenfieber brach bei ihr aus und monatelang schwebte sie zwischen Leben und Tod.

Aber wenn man auch gezwungen war, Renée zu behalten, was schließlich ohne Gefahr anging, – denn Herr Ribot gab sie als eine entfernte Verwandte aus und niemand von seinen Bekannten bekam sie zu Gesicht, – so gereichte es doch zur allgemeinen Erleichterung, daß Graf Marignan, der zwar nicht im Hause logierte, aber doch öfters kam, nach seiner Cousine zu sehen, bald wieder abreiste. Hortense, die ihres Vaters Gesinnung kannte, hatte Henri gebeten, fürs erste nichts von seinen Wünschen zu sagen.

Nach den blutigen Septembertagen war der Nationalkonvent an die Stelle der gesetzgebenden Versammlung getreten und die Truppen dieser neuen Regierung bewältigten bald den ersten Aufstand der Vendée. Das Bauernheer wurde verjagt und niedergemetzelt, die Führer wurden hingerichtet. Diese Niederlagen konnten dem Fabrikherrn kein großes Vertrauen zu den Aussichten eines künftigen adligen Schwiegersohnes einflößen. Man mußte bessere Zeiten abwarten und daß solche kommen würden, hofften die jungen Leute zuversichtlich.

Aber noch sah es nicht nach besseren Zeiten aus. Im ersten Monat des neuen Jahres fiel der unglückliche Ludwig XVI. durch Henkers Hand und bald darauf, als Renée, jetzt ganz genesen, ernstlich daran dachte, zu den Ihren zurückzukehren, die sie mit Sehnsucht erwarteten, brach in der Vendée aufs neue die Empörung, die bisher nur da und dort einzeln aufgeflackert war, in hellen Flammen aus und es war an ein Fortgehen nicht zu denken.

Renée, die mit großer Beschämung fühlte, wie viel sie ihren Gastfreunden und vor allem Hortense abzubitten hatte und ihren einstigen Hochmut durch liebenswürdige Gefälligkeit und ein bescheidenes und freundliches Benehmen gut zu machen suchte, war der Familie Ribot inzwischen so ans Herz gewachsen, daß diese froh war, sie behalten zu dürfen. Und Hortense fühlte sich nur zu glücklich, eine so liebe schwesterliche Freundin, die ihre Gefühle teilte und mit der sie alles besprechen konnte, was ihr Herz bewegte, um sich zu haben.

Ein Hauptgegenstand ihres Gesprächs waren für die beiden Mädchen die Helden der Vendée. Nachdem das Heer der Aufständischen unter ihren Führern, dem Fuhrmann Cathelineau und dem Förster Stoffelet an verschiedenen Stellen zurückgeschlagen worden war, kamen der junge Henri de Rochejacquelin und an seiner Seite Henri von Marignan und erfochten Sieg auf Sieg über die Republikaner. Wunder der Tapferkeit wurden vollbracht, besonders seitens der Offiziere. Mit dem Ruf: »Es lebe der König!« griff das ungeschulte Heer der Bauern die Übermacht der Regierungstruppen an, eroberte die festen Städte und bemächtigte sich der feindlichen Geschütze. Wenn die Landleute sich vor dem mächtigen Gegner fürchteten, so sprengten die Führer allein voran, mitten in den Feind hinein, und keiner ihrer Soldaten blieb dann zurück.

Im Gegensatz zu den Truppen des Konvents, die entsetzliche Roheiten an ihren Feinden verübten, ließen sich die Soldaten der Vendée keinerlei Grausamkeit zu schulden kommen. Oft gaben sie die Gefangenen frei, sie kannten kein Plündern und feiges Morden der Verwundeten. Und vor jeder Schlacht flehten sie den Herrn um Kraft an, sie dankten ihm für jeden Sieg und wenn ein Kreuz am Wege stand, so knieten sie mitten im Kugelregen nieder und beteten zu Gott. War dann die Schlacht zu Ende, so war kein Kriegsmann mehr zu halten, sie kehrten alle zu Haus und Hof zurück, um wie vorher ihr Feld zu bestellen, bis dann ein leises Wort, das von Weiler zu Weiler, von Haus zu Haus gesprochen wurde, sie wieder um die Fahne ihrer Führer vereinte. Jeder Soldat durfte sich seinen Führer selbst wählen, dem er dann blindlings durch alle Gefahren bis in den Tod hinein folgte.

Ein Opfermut ohnegleichen hatte das ganze Volk ergriffen, dreizehnjährige Knaben, Greise und Familienväter, Bauern und Edelleute fochten Seite an Seite und ruhten sich nach der Schlacht im selben ärmlichen Quartiere aus; man kannte keinen Unterschied des Standes mehr. Die Priester gingen Segen spendend durch die Reihen, ermutigten die Krieger, pflegten die Verwundeten und baten für die Gefangenen. Das Gefühl des guten Rechts, für das sie stritten, gab dem Volke Mut und Kraft und war die Ursache seiner beispiellosen Erfolge. Neben Henri kämpfte Jeannes Gatte in den vordersten Reihen, und Jeanne folgte seinem Siegeszug in nächster Nähe, zog mit ihm in die eroberten Städte ein, teilte mit ihm die Strapazen der unbequemen Biwaks und wußte durch Wort und Beispiel den Mut der Soldaten, wenn er zu wanken drohte, zu entflammen. Das harmlose Kind war zur Heldin geworden, die keine Furcht kannte, wo es für die gute Sache zu fechten galt.

Auch August Roullier war ein tapferer Soldat, er wich nicht von der Seite des Marquis de Villiers, der zu einem der ersten Anführer der Armee der Vendée ernannt worden war.

Aber die beispiellosen Erfolge der Royalisten fingen an, die Pariser Machthaber zu beunruhigen und man beschloß, ein Heer in die Vendée zu schicken, das aus den besten Soldaten des Landes bestand und dessen Übermacht auf die Dauer nicht zu widerstehen war.


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