Julius Wolff
Das Wildfangrecht
Julius Wolff

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Von ihrer Auswanderung aus der Pfalz war zwischen Franz und Trudi nicht mehr die Rede gewesen, seit sie notgedrungen den Entschluß dazu gefaßt hatten. Das war an demselben Tage morgens geschehen, da Kaspar mittags auf dem Abtshofe das Auftauchen Ebendorffers in Wachenheim gemeldet hatte, und vor der gegenwärtigen Sorge, welche Folgen sein Erscheinen für Trudi haben würde, mußten alle auf die Zukunft gerichteten Pläne zurücktreten. Als aber die von der Anwesenheit des Meiers drohende Gefahr nicht allein mit ihm selber verschwunden war, sondern auch mittelbar das tatkräftige Vorgehen der Stadtgemeinde gegen jede Freiheitsbeschränkung in Trudis Dasein zuwege gebracht hatte, dachten die Liebenden nicht mehr daran, das schöne Pfälzerland fluchtartig zu verlassen. Lebten sie doch jetzt der frohen Hoffnung, daß ihnen durch die angerufene Gnade des Pfalzgrafen das Verbleiben hier ungekränkt gestattet und zugleich das einzige ihrer ehelichen Verbindung entgegenstehende Hindernis beseitigt werden würde.

Die Zeit des Wartens auf die Rückkehr der nach Heidelberg Entsandten kürzte Franz der Geliebten durch häufige Besuche, bei denen er sie seiner unbegrenzten Siegesgewißheit teilhaftig zu machen nicht müde wurde. Sie hing mit unverwandten Augen an seinen redseligen Lippen, als wollte sie in sein Innerstes schauen, ob er von der Erfüllung ihres und seines sehnlichsten Wunsches wirklich so fest überzeugt wäre wie er vorgab. In wechselnder, bald gehobener, bald bedrückter Stimmung lauschte sie seinen treuherzigen Versicherungen, sie mit einem träumerischen Lächeln oder einem schwermütigen Seufzer begleitend. Denn sie, die in früherer Zeit soviel Bitternis und Leid zu ertragen und in jüngster Zeit soviel Schrecken und Angst auszustehen gehabt hatte, wagte noch nicht, nun auf einmal an ein so großes Glück zu glauben, das ihr jetzt nicht mehr in nebelhafter Ferne aufdämmerte, sondern schon aus greifbarer Nähe winkte.

Als aber der dritte und auch der vierte Tag nach der Abfahrt der Deputation verging, ohne sie zurückzubringen, sank Trudis Hoffnung tiefer und tiefer, und auch Franzens Zuversicht geriet in ein so bedenkliches Schwanken, daß er seine wachsende Befürchtung kaum noch verhehlen konnte.

Endlich gegen Abend des fünften Tages kam Kaspar spornstreichs angetrabt und wurde von Patz mit einem so unbändigen Freudengebell begrüßt, daß die Insassen des Abtshofes sofort an der Haustür erschienen. »Wir sind wieder da!« rief er atemlos aus, »und die andern lassen euch sagen, allem Anschein nach hätten sie ihren Zweck erreicht, aber genaues wüßten sie nicht.«

»Wo sind sie denn?« fragten Madlen und die Mädchen wie aus einem Munde.

»Sie sind gleich um die Stadt herum bis an den Burgberg gefahren, um Peter da abzusetzen, der dem Freiherrn ein Schreiben des Pfalzgrafen übergeben soll. Ich bin am Tor ausgestiegen und so schnell ich konnte hergelaufen.«

»Da müssen wir uns also gedulden, bis sich Peter von der Wachtenburg einfindet,« sprach der Bürgermeister. »Vielleicht läßt uns Dieter durch ihn die Entscheidung des Pfalzgrafen mitteilen.«

Kaspar flüsterte Ammerie zu: »Ich habe schrecklichen Hunger; wir haben uns unterwegs nicht Zeit genommen, was Ordentliches zu essen.«

»O mein liebes Käschperle, komm' mit in die Speisekammer, ich will dich füttern,« erwiderte Ammerie, faßte den hoch aufgeschossenen Jungen am Arme und zog ihn mit sich fort.

Madlen und Trudi saßen etwas beklommen da und schwiegen, während Christoph im Zimmer rastlos auf und ab schritt.

Nach einer Weile hub Madlen an: »Allem Anschein nach hätten sie ihren Zweck erreicht, lautete die Bestellung. Das klingt doch eigentlich günstig.«

Christoph zuckte die Achseln und sagte: »Ja, ja, aber der Schein trügt, und was man wünscht, das glaubt man auch gern.«

»Der Pfalzgraf hätte ihnen doch seinen Willen mit ein paar Worten kundtun können,« meinte Madlen.

»Was du dir denkst!« versetzte Christoph. »Fürsten pflegen sehr vorsichtig und zurückhaltend mit ihren Äußerungen zu sein. Das muß alles seine gewiesenen Wege gehen, und der Freiherr ist nun mal das Sprachrohr Seiner Durchlaucht für hochdero geliebte pfälzische Kinder. Das ist von alters her so Brauch.«

»Soviel Umstände, wo ein kurzes Ja oder Nein genügt hätte!«

Jetzt erschollen draußen auf dem Flur harte, männliche Schritte. Die in der Stube horchten auf, aber statt des erwarteten Peter trat Lutz Hebenstreit ein, gefolgt von Ammerie.

»Na, was sagt ihr dazu?« rief er, ihnen die Hände entgegenstreckend.

»Was sollen wir denn sagen?« erwiderte Christoph. »Wir wissen ja nichts.«

»Ja, wir wissen auch nichts,« sprach Lutz und lachte. »Aber gut steht die Sache, hol' mich – nein, ich will nicht Hecht! schreien, eh' ich ihn beim Schwanze habe. Hört zu!«

Er setzte sich und erzählte: »Erst am zweiten Tage nach unserer Ankunft in Heidelberg hat uns der Pfalzgraf vor sich gelassen, nahm aber, nachdem er das Schreiben des Freiherrn gelesen hatte, unsern Bericht und unser untertänigstes Gesuch huldvoll entgegen, fragte nach diesen und jenen Einzelheiten des hier Vorgefallenen und befahl uns dann auf zwei Tage später zu sich ins Schloß, weil er die Angelegenheit erst mit seinen geheimen Hofkammerräten des näheren erörtern müßte. Wir zogen also alle drei demütig und betrübt wie begossene Pudel ab und schimpften weidlich auf die alten, schnüffligen Perrücken, die zu der einfachsten Sache von der Welt immer auch noch ihren Senf geben wollen. Gestern endlich wurden wir vom Pfalzgrafen wieder empfangen. Er sprach nur wenig, behändigte uns den Brief, mit dem Peter jetzt zur Wachtenburg hinauf ist, und sagte zum Abschied: Ich denke, daß meine allzeit getreue Stadt Wachenheim mit dem Inhalt dieses Schreibens zufrieden sein wird. Damit wurden wir fürstlich entlassen. Wir verbeugten uns mit dem krummsten Rücken, den ich je in meinem Leben gemacht habe, und sahen uns draußen im Vorzimmer mit Gesichtern an, die just nicht die klügsten gewesen sein mögen. Nun sind wir wieder da, und ich wanke und weiche hier nicht von der Stelle, als bis Peter kommt und uns ein Licht ansteckt, daß wir nicht mehr im Dunkeln herumstolpern.«

»Wenn der Pfalzgraf gesagt hat, wir könnten mit seiner Entscheidung zufrieden sein –«

»Könnten! das heißt soviel wie müßten,« unterbrach Christoph seine Frau. »Da können noch mancherlei Klauseln und Konditionen hinten dranhängen.«

»Nein Chrischtoph,« sprach Lutz, »der Pfalzgraf sagte das in einem so gnädigen Tone und mit einer so freundlichen Miene, daß auch ein nur halb abschlägiger Bescheid kaum denkbar ist.«

»Ich wollte, Ihr behieltet recht, Lutz, mit Eurer vorgefaßten, günstigen Meinung,« sagte Madlen, trotz alledem noch nicht ohne Sorge. »Allein ich finde, Peter bleibt fast zu lange aus für eine freudige Nachricht.«

»Da kommen sie, Peter, Franz und Steffen,« rief Ammerie vom Fenster her.

Peter hatte seine beiden Schwäger auf dem Rückwege von der Burg aus dem Gersbacherhofe abgeholt, und nun kamen sie zusammen wie mit Siebenmeilenstiefeln angetrottet, Franz voran. Im Zimmer schritt er mit ausgebreiteten Armen auf Trudi zu und jubelte: »Du wirst frei, Trudi, wirst frei!«

Mit einem Freudenschrei warf sie sich ihm an die Brust und lachte und weinte vor Glück in einem Atem.

»Es ist so,« bestätigte Peter in seiner ruhigen Armbruster'schen Art. »Der Pfalzgraf hat den Freiherrn beauftragt, Trudi vom Wildfangrecht loszusprechen.«

»Ohne Bedingung?« fragte Christoph.

»Ohne jede Bedingung,« erwiderte Peter. »Frei soll sie werden wie der Vogel in der Luft und der Fisch im Wasser. Herr von Remchingen hat mir den bündigen, pfalzgräflichen Befehl vorgelesen.«

»Gott sei gelobt und gedankt!« rief Madlen bewegt aus. »Welch' ein Stein fällt mir damit von der Seele! Jetzt segne ich den Tag, Trudi, an dem du vor einem Jahre bei uns hier eingewandert bist.«

»Der Freiherr wird morgen zu dir kommen, Vater, um alles mit dir zu verabreden, denn er will die Freiheitserklärung Trudis öffentlich vor versammelter Bürgerschaft vornehmen,« fügte Peter hinzu.

»Das soll mir recht sein,« sagte der Bürgermeister.

»Und dazu geben wir ein Festessen, gelt Mütterle?« sprach Ammerie.

»Ja, Mädel, das tun wir,« erwiderte Madlen.

»Mit Dank angenommen, wenn Ihr mich dazu einladet!« fiel Lutz ein wie mit der Tür ins Haus.

»Ich auch, ich komm auch,« rief Steffen, faßte Ammeries beide Hände und schüttelte sie so heftig, als wenn er diese Zusage noch mit besonderem Nachdruck bekräftigen müßte.

Sie lächelte ihm innig zu und sprach: »Bist willkommen, Steffen!«

Heut erschien ein Krug Wein nach dem andern auf dem Abendtische, an dem Lutz und die beiden Gersbacher als Gäste teilnahmen. Lutz erzählte allerhand drollige Erlebnisse von ihrem Aufenthalt in Heidelberg, und alle waren aus der Maßen fröhlich und guter Dinge.

Mitten in der lebhaften Unterhaltung stand Ammerie auf, ging zu ihrer Mutter und raunte ihr etwas ins Ohr.

Madlen nickte fortwährend zu dem, was ihr Ammerie zuflüsterte, und diese gab nun Trudi einen Wink, worauf die beiden Mädchen aus dem Zimmer verschwanden.

Als sie nach einer Weile zurückkehrten, brachten sie mehrere Flaschen Wein und eine Laute.

»Was ist denn das?« fragte Christoph verwundert.

»Das ist Deidesheimer Hofstück, unser bester,« antwortete Madlen.

»Und die Laute?«

»Die Laute bedeutet, daß du uns jetzt eins singen sollst, Chrischtoph. Wir sind aller Sorgen ledig, und da könntest du uns in dieser glücklichen Stunde wohl einmal ein Lied singen.«

»Ich singen?« sagte Christoph. »Wie lange hab' ich nicht gesungen! ich glaub', ich kann's gar nicht mehr.«

»Doch, Väterle!« sprach Ammerie, »ich hab' dich neulich mal leise brummen hören, das klang wie der schönste Gesang. Sing' uns das Pfälzerlied!«

»Grashupf! das hast du mir natürlich wieder eingerührt,« lachte er. »Also dann her den Deidesheimer und her die Laute.«

Alle klatschten vor Freuden in die Hände, und Trudi überreichte ihrem Onkel die Laute. Er nahm sie, und während er die Saiten stimmte, schenkte Ammerie den eben gebrachten Wein in die Gläser.

Dann hub der Bürgermeister zu seiner eigenen Begleitung mit tiefer, klangvoller Stimme zu singen an:

Nun füllt den Römer bis zum Rand,
Herbei den Saft der Traube,
Gereift für uns im Sonnenbrand
Zum Trunk in kühler Laube!
Setzt mit Bedacht ihn an den Mund
Und langsam leert sein glänzend Rund,
Daß Euer Herz sich labe
An solcher Gottesgabe.

O pfälzer Wein, du flüssig Gold
Voll würzereicher Süße,
Ein Bote in des Herbstes Sold
Bringst du des Sommers Grüße.
Dein Duft mich wonniglich umschwebt,
Als wenn die Kraft, die in dir webt,
Mich zaubermächtig triebe
Zu Mutwill, Lust und Liebe.

Hoch, fröhlich Pfalz! und Gott erhalt
Allweg ihr herrlich Blühen,
Auf daß sie mache jung und alt
Beim Rebenblut erglühen.
Ich trink, als wär's auf du und du,
Dem ganzen pfälzer Lande zu
Und wünsch ihm Glück und Segen
Des edlen Weines wegen.

Die letzte Strophe des Liedes wiederholten sie alle, sich von den Sitzen erhebend und die Gläser ergreifend, im Chore, stießen miteinander an und tranken. Und saßen dann noch und tranken bis in die Nacht hinein.


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