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»Der weeiche Kinstler.«
In einem der ältesten Häuser am Luisenplatz in Berlin, drei Treppen hoch, bewohnte der Pianist Florian Mayr ein möbliertes Zimmer bei der Magistratssekretärswitwe Stoltenhagen. Das Zimmer war niedrig, die schmucklose weiße Decke verräuchert, die billige Tapete stark abgenutzt, der höchst unebene, ausgetretene Fußboden mit grauer Oelfarbe gestrichen; aber dafür war es so groß, wie man nur selten ein möbliertes Zimmer findet, und hell war es auch mit seinen zwei Fensterchen nach Westen und zwei Fensterchen nach Norden. Und groß mußte das Zimmer sein, in welchem Florian Mayr mit seinen gewaltigen, sehnigen Tatzen die Tasten schlug, sonst hätte die Tonfülle, die seinem Konzertflügel entströmte, wohl schier die Wände gesprengt, mindestens aber den empfindlichen Ohren des Klavierbändigers auf die Dauer ein Leid angethan.
Herr Florian Mayr war ein erstaunlicher Mensch. Ein junger Mann von dreiundzwanzig Jahren, weder schön, noch elegant, noch reich, pflegt einer Berliner Zimmervermieterin wohl schwerlich zu imponieren, noch dazu einer, der durch sein Klavierspiel das ganze Haus erbeben macht und sich obendrein seinen Thee und Kaffee selbst hält und zubereitet; aber Florian Mayr imponierte thatsächlich der Frau Stoltenhagen, sowie auch ihrer Nichte aus Pommern und ihrem Dienstmädchen aus Müncheberg ganz gewaltig. Der junge Pianist war nämlich ein Zielbewußter; das war ihm an der Nase anzusehen, die in dem hageren, bartlosen, etwas lebergelben Gesicht drinlag wie ein erratischer Block auf flachem Heideland. Einem jungen Herrn mit solcher Nase machte man kein X für ein U, und auch die gutmütigen, oft sogar lustigen, kleinen Braunaugen konnten geradezu schreckhaft funkeln, sobald Florian Mayr in Zorn geriet, was sehr leicht geschah, wenn die drei bedienenden Frauenzimmer seinen hohen Ansprüchen an Pünktlichkeit, Ordnung und Sauberkeit nicht genügten. Dem Dienstmädchen hatte er in aller Ruhe versprochen, ihr den gußeisernen Stiefelknecht um die Ohren zu schlagen, falls sie bei ihrer Gewohnheit beharren sollte, dies Gerät allabendlich thunlichst weit unter das Bett zu schieben. Sie hatte ihm diese Versicherung geglaubt und daraufhin ihr Urteil über ihn in den bedeutsamen Ausspruch zusammengefaßt: »Herr Mayr schmeißt so 'ne Jewalt von sich.«
Das war's, das Gewaltsame in seinem Wesen, was den Frauen achtungsvolle Scheu einflößte. Er war ein ganzer Mann, trotz seines langen Künstlerhaars, das ihm, aus der hohen, schmalen Stirn glatt zurückgestrichen, schlicht bis an den Nacken herunterhing. Und außerdem war er so unheimlich solide. Sein Leben war nach der Uhr geregelt, seine Rechnungen bezahlte er pünktlichst und nie brachte er einen Rausch oder sonst welche nächtliche Begleitung mit heim. Frau Stoltenhagen wußte auch, daß ihr Zimmerherr in den feinsten Häusern Unterricht gab und für die Stunde fünf bis zehn Mark bekam. Ihre Nichte aus Pommern, Fräulein Luischen, war ja auch für das Solide und ein ganz hübsches, gesundes Mädchen obendrein. Da konnte man nicht wissen – es wäre gar nicht so übel gewesen. Inzwischen hielt sich die gute Dame dafür, daß er sein Frühstück und Abendbrot nicht von ihr bezog, dadurch schadlos, daß sie an seinem Vorrat von Kolonialwaren, sowie an seiner Seife und selbst an seinem Zahnpulver harmlos partizipierte. Frau Stoltenhagen konnte sich übrigens doch nicht recht erklären, wie ein junger Mensch von so frühreifer Männlichkeit und unheimlicher Solidität zu erklären sei, wenn nicht irgend ein Geheimnis hinter ihm steckte. Und deshalb unterzog sie alle an Herrn Florian Mayr gerichteten Schriftstücke einer genauen Durchsicht, so oft sie durch Zufall oder mit Gewalt solcher habhaft werden konnte. Ihr Verdacht erstreckte sich nach zwei Richtungen hin: entweder war Florian Mayr schon ausgefüllt durch eine »große Liebe«, oder aber er war etwas andres, als wofür er sich ausgab. Wie oft hatte nicht Frau Stoltenhagen schon die lebensgroße Gipsbüste Franz Liszts, welche zwischen den beiden Fensterstöcken, links neben dem Flügel auf einer schwarzen Holzsäule stand, sinnend betrachtet, und sich so ihre Gedanken gemacht über die auffallende Aehnlichkeit ihres Mietsherrn mit dem großen Klaviertitanen. Dasselbe schmale, knochige Gesicht, dieselbe alles beherrschende Nase, dasselbe lange, schlichte Haar. Mund und Augen waren freilich verschieden, und statt der fünf Warzen des Altmeisters besaß Herr Florian nur eine, aber es war doch immerhin eine Warze. Sollte er nicht vielleicht ein Sohn von Franz Liszt mit irgend einer russischen Fürstin sein? Er behauptete zwar, von einem bescheidenen Organisten in Bayreuth abzustammen, aber was wollte das besagen! Die russische Fürstin konnte sich mit einer Handvoll Rubel den Bayreuther Orgelmann gekauft haben. Frau Stoltenhagen war eine Dame von lebhafter Einbildungskraft. Sie hielt die Sache für so gut wie erwiesen, und wenn sie trotzdem nicht müde ward, nach dokumentarischen Beweisstücken zu forschen, so war das wohl nur der Ausdruck eines gewissen amtlichen Uebereifers, der ihr im langjährigen Verkehr mit ihrem seligen Magistratssekretär so angeflogen war.
Es war am 11. November des Jahres 1879, halb zehn Uhr vormittags. Ein Tag wie jeder andre auch. Um acht Uhr wie immer war Florian Mayr aufgestanden, hatte seinen Kaffee gekocht und dann eine Stunde lang Tonleitern und Fingerübungen gespielt wie immer. Um zehn Uhr hatte er heute seine erste Stunde zu geben. Er war daher im Begriff, sich zum Ausgehen zu rüsten. Zuvor aber hatte er heute eine neue, eigenartige Vorkehrung zu treffen. Er nahm einen Bogen Schreibpapier, kniffte ihn dreifach zusammen und zerschnitt ihn mit dem Messer in acht Teile. Dann nahm er die Feder zur Hand und schrieb auf jeden der acht Zettel in großen, steilen Zügen ein inhaltschweres, wuchtiges Wort hin. Dann schnitt er von einem zweiten Bogen einige ganz schmale Streifen ab und bestrich sie mit Gummi arabicum.
So weit war er mit seinen Vorbereitungen gekommen, als einigermaßen schüchtern an seine Stubenthür gepocht wurde.
»Halt! Werda?« schrie Florian Mayr und sprang mit zwei großen Sätzen nach der Thür. Er schob den Riegel zurück, öffnete sie ein wenig und guckte durch den schmalen Spalt hinaus. »Ach Sie sind's, Prczewalsky? Na Prost! treten Sie ein!« rief er nicht eben froh gelaunt und ließ einen mittelgroßen Herrn hereintreten, welchen der lange Havelock, der Riesenschlapphut und das langlockige, weiche Haar sofort als einen Künstler zu erkennen gaben.
Der Herr mit dem schwierigen Namen nahm seinen Hut ab, fuhr sich mit den fünf Fingern der Linken durch die weiche, dunkle Mähne, zog dann den melancholisch über die Mundwinkel herabhängenden Schnurrbart durch die Finger, um den geschmolzenen Rauhreif daraus zu entfernen, und bequemte sich dann erst, mit müdem Augenaufschlag und müdem Nasalton, guten Tag zu wünschen.
»Womit kann ich Ihnen dienen? Wollen Sie nicht Platz nehmen?« sagte Mayr, ungeduldig auf das alte Kanapee deutend. »Das heißt, Sie sehen, ich bin eben im Begriff auszugehen. Wie geht's Ihnen sonst, Prosit?«
»Danke, – schlecht; die Nerven, die Nerven!« klagte der polnische Herr schläfrig, indem er sich mit dem Handrücken über die hochgewölbten Augendeckel fuhr. »Warum sagen Sie immer ›Prosit‹ zu mir, lieber Freund?«
»Ja, wissen S',« versetzte Florian Mayr gemütlich, »bis ich Ihren Namen glücklich herausgeniest hab', sag' ich lieber gleich ›Prosit‹! Ich könnt' aber auch ›G'sundheit‹ sagen, wenn Ihnen des vielleicht lieber wär'.«
Der polnische Kollege klappte mit Anstrengung seine schönen, faden Augen weit auf, und nöhlte, mit sanftem Vorwurf in der stets nasig umflorten Stimme: »Lieber Freund, warum wollen sich immer über mich lustig machen? Wenn Ihnen mein Name zu schwerr ist, nennen Sie mich doch beim Vorrnamen. Wir sind doch Kunstgenossen.«
»Also, is recht, wie heißen denn Sie?«
»Aber bitte, lieber Freund, hier ist meine Karte: ich heiße Antonin – vergessen Sie doch nicht immer!«
Florian nahm die Karte in Empfang, betrachtete sie mit scheinbarem Erstaunen vorn und hinten, und es zuckte eigentümlich um seine Mundwinkel, als er nach einer kleinen Pause erwiderte: »I da schau, richtig bloß Antonin. Ich hätte Sie entschieden auf etwas mit ›laus‹ hinten taxiert.«
»Warum? Bitte.«
»Ja, ich kann mir nit helfen – Sie machen mir halt so einen lausigen Eindruck. Nichts für ungut, lieber Freund.«
Der schöne Pole schaute zweifelhaft zu seinem langen Kollegen auf, und seine Schnurrbartenden vibrierten leicht gekränkt. »Es kommt mir vorr, Sie wollen Witz machen,« sagte er betrübt. Und da Florian Mayr nichts Verständliches erwiderte, so trat er langsam an den Schreibtisch – ein hellpoliertes, sogenanntes Cylinderbureau – und starrte unentschlossen, fast trübsinnig auf die Zettel und Papierstreifen darauf nieder. Er stieß ein paarmal vorbereitend Luft durch die Nase, ehe er fragte: »Was werrden Sie da machen?«
»O, ich habe nur etwas geschriftstellert,« versetzte Florian Mayr seelenvergnügt, wie er immer war, wenn er eine rechte Bosheit an den rechten Mann gebracht hatte.
»Merkwürdig,« sagte der Pole nach einer kleinen Pause kopfschüttelnd und dann las er mit sterbensmüder Stimme die Inschrift von den Zetteln ab: »Erstens: Pfui!! Scham di!!! Zweitens: Ha! Du bist erkannt! Drittens: Dumme Gans! Viertens: Affenschwanz! Fünftens: Eingegangen! Sechstens: Alte Kuh! Siebentens: Gibst jetzt Ruh?! Achtens: Mir war's gnua!«
Florian schien mit der Ratlosigkeit seines Freundes Antonin Mitleid zu empfinden, oder war es ein gewisser Erfinderstolz, der ihn zur Mitteilung drängte – kurz und gut, er ließ sich zu einer Erklärung herbei. Er legte je einen der Zettel in die acht Schubkästen des Cylinderbureaus und verklebte sodann die Vorderwand jedes Kastens mit der Zwischenleiste des darüber befindlichen mittelst eines schmalen Papierstreifens. Wenn die neugierige Wirtin nun in seiner Abwesenheit irgend eine Schublade öffnete, so war sie durch das Zerreißen des Papierstreifens unfehlbar verraten, und er hatte dann die Genugtuung, daß sie den betreffenden schmeichelhaften Zettel gelesen haben mußte. Als das schwierige Werk der Verklebung glücklich vollbracht war, richtete sich Florian Mayr stolz auf und flüsterte triumphierend: »Na, was sagen S' dazu, Antonin Prositlaus? Die Spatzenfalle ist patent, was? Aber wissen S', wie ich die G'sellschaft neulich für ihren permanenten Kaffeediebstahl g'straft hab'? Ein Viertelpfund Rhabarber hab' ich mir um schweres Geld gekauft und ihn mit einem halben Pfund feingemahlenem Kaffee sorgfältig vermischt. Ich sag' Ihnen, die Wirkung war wunderbar! Den ganzen Tag hat nachher dahinten das Thürl geklappt und eins ist immer angstvoll davorgestanden. Eine Eselsfreud hab' ich gehabt und jedesmal, wenn ich's im Korridor hab' laufen und ängstlich flüstern hören, hab' ich den Kopf nausgesteckt und hab' g'sagt: Ihnen ist wohl nicht recht wohl, liebe Frau? oder liebes Kind, je nachdem.«
Prositlaus lächelte fast unmerklich und sagte: »Merkwürdig, – serr komisch! Apropos, lieber Freund, was ich sagen wollte: können Sie mir nicht zwanzig Mark leihen?«
»Augenblicklich nicht, bedaure sehr; aber von dem G'sundheitskaffee is noch reichlich vorhanden, falls Sie vielleicht Bedarf haben. Entschuldigen Sie, ich muß jetzt wahrhaftig fort.«
Damit stürzte sich Florian Mayr in seinen Winterrock, stülpte den Hut auf und – legte den Schlüssel zum Schreibbureau augenfällig oben auf dasselbe. Er wußte, daß Frau Stoltenhagen dieser Versuchung nicht widerstehen würde. So boshaft war Florian Mayr. Dann öffnete er seinem Gaste die Thür weit und sagte mit einer einladenden Handbewegung: »Es hat mich sehr gefreut.«
Mit einem tiefen Seufzer verließ Prczewalsky das Zimmer. Mayr folgte ihm auf dem Fuße, warf die Thür kräftig ins Schloß und rief in den schmalen Hinterkorridor hinein: »Frau Stoltenhagen, ich gehe jetzt.«
Den Schlapphut tief in die Stirn gezogen, düster wie ein ehrlicher Leidtragender, stelzte der edle Pole die enge Treppe hinunter. Seinem Kollegen Mayr jedoch war es nicht gegeben sich mit solcher Langsamkeit abwärts zu bewegen. »Entschuldigen S', ich hab' wirklich keine Zeit,« sagte er, flüchtig an seinen Cylinderhut greifend. »Behüt Sie Gott, Herr Kollege.« Und damit sprang er in Riesensätzen wie ein übermütiger Junge die Treppen hinunter.
Er hörte, wie jener ungeschickt hinter ihm drein polterte und mit Aufbietung seiner schwachen Lungenkräfte ihm nachrief. War's Mitleid, oder that ihm seine allzugroße Rücksichtslosigkeit schon leid, kurz, er erwartete den Kollegen unten an der Hausthür.
Keuchend gesellte sich Prczewalsky zu ihm. »Bitte, lieber Freund, Doktor hat mir gesagt, ich leeide an Fettherz. Lassen Sie mich Ihnen doch begleeiten. Ich habe nichts zu thun.«
»Is recht,« sagte Florian und schlug eine Gangart an, welche den armen Polen sehr bald nötigte, ihn beim Arm zu ergreifen, um sich mitschleppen zu lassen. Atemlos trippelte er neben dem langbeinigen Kollegen her, aber er konnte sich die Gelegenheit, sein Anliegen vorzubringen, nicht entgehen lassen, denn dieser Florian Mayr war so schwer zu fassen. Immer hatte er so viel zu thun.
»Also, was ich sagen wollte,« hub er an. »Ich brauche Geld. Ich habe keeinen Pfennig in der Tasche, kann mich heute nicht rasieren lassen. Sagen Sie, wie macht man, daß man Stunden geben kann für zehn Mark in vorrnehmen Familien, wo schöne Töchter sind?«
»Aber Sie haben doch Vermögen?« wandte Mayr ungeduldig ein. »Sie lassen ja Ihre Sonaten auf eigene Kosten drucken. Da müssen Sie doch ein Geld haben! Sie sind eingerichtet wie ein Graf und speisen in einem feinen Weinrestaurant.«
»O ich glaube, Sie haben kein Verständnis für den schaffenden Kinstler. Etwas Bequemlichkeit und Luxus brauche ich für die Inspiration. Die Inspiration kommt nicht, wenn ich Knoblauchwurst esse und Bier dazu trinke. Ich kann auch nicht komponieren mit zerrissene Hosen und Fettfleck auf der Krawatte. Wagner braucht sogar gelbes Atlas im Futter.«
»Naja, des is halt der Wagner!« unterbrach Florian lakonisch.
»Das weeiß ich,« erwiderte jener, den Kopf aufwerfend, mit einem verächtlichen Lächeln. »Aber warrum soll ich nicht über Nacht der Prczewalsky werrden? Der schaffende Kinstler hat das Recht auf Stimmung. Ich bin ein weeicher Kinstler, ich brauche weeiche Stimmung, weeiche Stoffe, weeiche Polster, weeiche Farben um mich, und grobbe Speisen machen mir Indigestion.«
»Essen Sie doch weeiche Eeier, die sind nicht teeier,« versetzte Florian, indem er sich bemühte, des Kollegen auffallend östliche Aussprache des eï nachzuahmen.
Der weiche Künstler überhörte diesen freundschaftlichen Rat und fuhr eifrig fort: »Ich habe meine neueste Sonate für Klavier und Cello drucken lassen. Sie wissen – Grützmacher gewidmet – kostet mich eine Monatsrente – und was bleibt mir übrig? Ich muß Geld verdienen. Sie haben ja so viele Lektionen und bekommen so gut bezahlt. Können Sie mir nicht eine reiche Familie mit schönen Töchtern abtreten?«
»Schön müssen sie auch noch sein?«
»Ja, gewiß; ich gehe doch nicht, um dumme Gänse Klavier zu lernen. Ich will heeiraten. Ich werrde das Opfer bringen für die Kunst, ich werrde mich verkaufen. Den Menschen werrde ich verkaufen, damit der schaffende Kinstler gerettet wird.«
Florian Mayr wandte seinen Kopf zur Seite, um seinen Gefühlen durch eine heimliche Grimasse von großer Anmut passenden Ausdruck zu geben. Und dann versetzte er, den schönen Antonin so freundschaftlich in den Arm zwickend, daß er kläglich aufwinselte. »Also Sie glauben, daß die schönen und reichen Mädchen mit solcher Leichtigkeit auf den weichen Künstler anbeißen würden?«
Der Pole maß ihn mit einem fast mitleidigen Blick. »Aber lieber Kollege, ich werrde doch die Weiber kennen! Mit Zucker fängt man sie alle, die Kammerkatze wie die Fürstin, besonders wenn sie musikalisch sind. Wenn ich Ihnen meine Abenteuer erzählen würde, Sie würden nicht glauben. Die Gräfin Proskowsky hat für mich Gift genommen, und der Fürst Smirczicky hat sich mit mir schießen wollen. Aber ich hatte keine Zeit, ich hatte am andern Abend ein Konzert in Warschau, wo ich meine Symphonie Opus 7 dirigierte. Die Fürstin Smirczicky ließ mir da bei einen Lorbärkranz überreichen. Ich versichere, die ganze hohe Aristokratie steht mir zur Verfügung. Aber diese Damen heeiratet man nicht – sie werrden leicht unbequem und kosten mehr, als sie einbringen. Eine kleeine Kaufmannstochter ist besser, so mit ein paar hunderttausend Mark. Wissen Sie nicht so etwas für mich?«
»Wenn sie eine Gans sein darf –?«
»Gewiß, zieh' ich sogar vorr.«
»Und unmusikalisch wie ein Mops –?«
»Hm, wenn sie nur nicht lang und mager ist.«
»Nein, nein, sie ist schön rund und reich und romantisch dazu.«
»Serr gut, wo wohnt sie?«
»Es ist die einzige Tochter vom reichen Konsul Burmester in der Markgrafenstraße. Ich werde Sie dort empfehlen. Sie thun mir sogar einen Gefallen, wenn Sie mir die Stunden abnehmen. – Aber hier sind wir an Ort und Stelle. Ich muß da hinauf. Also Herr Kollege –« damit lüpfte er ein ganz klein wenig seinen Cylinder und klingelte an dem Hause in der Roonstraße, vor dem sie stehen geblieben waren.
»Danke serr, lieber Freund,« versetzte der Pole. »Apropos, können Sie mir nicht zehn Mark leihen? Ich muß mich doch rasieren lassen.«
»Des können S' doch für zehn Pfennige haben.«
»Mein Gott, mein Gott, Sie sind ein merkwürdiger Mensch! Sie haben kein Verständnis für den schaffenden Kinstler. Da sitzen die Louisdors zu Tausenden,« er schlug sich vor die Stirn, »und Sie wollen mir nicht zehn Mark leihen!«
Die schwere eichene Hausthür war inzwischen aufgesprungen. Florian Mayr stemmte seinen Fuß in die Spalte, damit sie nicht wieder einschnappte, dann zog er sein Portemonnaie aus der Tasche, entnahm ihm ein Zehnmarkstück und sagte: »Also bitte, Verehrtester, bis zum Ersten, nicht wahr? wann die Renten von Ihren polnischen Gütern eintreffen. Ich hab' es auch nicht übrig. Lassen Sie sich nur ja recht sauber barbieren.«
Prczewalsky schnaubte fast unhörbar seinen Dank durch die Nase, ließ das Goldstück in seine Westentasche gleiten und reichte dem Kollegen zum Abschied die Hand.
»Ä pfui Deifel! Als ob einem ein Fuchsschwanz durch die Finger gezogen würde,« brummte Florian Mayr halblaut vor sich hin, während er die vornehme teppichbelegte Treppe hinaufstieg. Und er schüttelte seine bloße Hand, als wäre ihm was Ekliges daran kleben geblieben.
Der »weiche Künstler« aber äußerte sich im langsamen Dahinwandeln auf polnisch in noch weniger schmeichelhafter Weise über seinen Kollegen. Er haßte diesen knorrigen, rücksichtslosen Menschen, und er ersehnte brennend eine Gelegenheit, um sich an ihm zu rächen für all die boshaften Scherze, durch welche ihn der Rohling zu kränken liebte. Langsam wandelte er dahin, bis er auf einen feinen Friseursalon stieß, wo er sich für zwanzig Pfennige rasieren lassen konnte. Und vom Barbier ging er zum Konditor und trank eine Tasse Schokolade und aß Aepfelkuchen mit Schlagsahne dazu, denn er war ein »weeicher Kinstler«.