Ernst v. Wolzogen
Der Kraft-Mayr
Ernst v. Wolzogen

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Viertes Kapitel.

Herr Mayr möchte wieder hauen.

Am nächsten Morgen fand Meister Florian, als er von seinen Unterrichtsstunden heimkam, zwei Briefe vor. Der eine in zierlichem Format auf mattblauem Papier, feinduftend, verriet auf den ersten Blick eine junge Dame als Schreiberin. Florian öffnete ihn neugierig und las:

»Sehr geehrter Herr Mayr!

Empfangen Sie meinen herzlichen Dank für die liebenswürdige Aufmerksamkeit, die Sie mir erwiesen haben. Ich weiß natürlich, daß man als wohlerzognes junges Mädchen von Herren keine Geschenke annehmen darf, außer es sind richtige Verwandte oder mal ein Vielliebchen, aber da Sie doch mein Herr Lehrer sind, kann ich doch nicht ungezogen sein. Außerdem werde ich die Apfelsinen bis heute abend doch alle sechs aufgegessen haben und sind sie dann fort. Das Parfüm kann man ja leicht verstecken und werde ich immer dran riechen, wenn ich an Sie denke, welches gewiß sehr oft sein wird, weil ich Ihnen so sehr viel Dank schuldig bin, indem ich selber weiß, daß ich kein Talent habe und Sie, geehrter Herr Mayr, der erste waren, der es meiner Mama richtig gesagt hat. Helfen wird es aber doch nichts, denn meine Mama glaubt es nicht, daß ich kein Talent habe und besteht sie darauf, daß ich wieder Klavierstunden haben müßte. Ich bin Ihnen auch wirklich gar nicht böse, sehr geehrter Herr Mayr, denn ich habe mich wirklich sehr dumm benommen in der Stunde und Sie haben es gewiß nicht gern gethan und würden es auch gewiß nicht wieder thun, indem ich dann vor Angst überhaupt nicht mehr spielen könnte. Ich habe immer etwas Angst vor Ihnen gehabt, weil Sie so sehr streng waren, aber jetzt würde ich gar keine Angst mehr vor Ihnen haben, weil ich weiß, wie gut Sie es mit mir meinen. Papa ist Ihnen auch gar nicht mehr so sehr böse. Er hat sogar gelacht – natürlich wie Mama nicht mehr im Zimmer war. Er findet. Sie hätten eigentlich ganz recht, aber er meint, wenn Mama mir durchaus einen neuen Lehrer besorgen wollte, könnten Sie es doch noch weniger hindern wie er. Denn es gäbe doch so sehr viel Klavierlehrer und -lehrerinnen und könnten Sie diese doch unmöglich alle durchprügeln und das ist auch meine Ansicht. Wie wollen Sie es also machen, daß ich keine Klavierstunde mehr bekomme? Bitte, schreiben Sie mir das doch postlagernd Postamt 7 unter Th. B. Denn Mama würde gewiß nicht dulden, daß Sie mir schreiben.

Nochmals herzlichst dankend bin ich Ihre sehr ergebene Schülerin

Thekla Burmester.

P. S. Die Marie hat sich sehr über den Thaler gefreut.«

Florian hatte beim Lesen dieses liebenswürdigen Schriftstücks über das ganze Gesicht gelacht. »I du bist ja ein zu netter Kerl!« sagte er ganz laut, als er damit zu Ende war, und dann las er es mit stiller Freude noch einmal von Anfang bis zu Ende durch. Er faltete das Briefchen zusammen, zwei eng beschriebene kleine Bogen waren es, und strich zärtlich über das glatte Papier. Dann setzte er sich an sein Cylinderbureau, nahm, da er auf zarte Korrespondenzen nicht eingerichtet war, einen gewöhnlichen Briefbogen zur Hand und schrieb mit seinen großen, steilen Zügen folgende Zeilen:

»Mein liebes Fräulein!

Sie haben mir mit Ihrem reizenden Brief wirklich einen Stein vom Herzen genommen. Ich bin es, der Ihnen zu danken hat, denn ich habe es durch mein gestriges unqualifizierbares Benehmen durchaus nicht verdient, daß mich ein so liebenswürdiges Fräulein wie Sie überhaupt nur je wieder anschaut, viel weniger, daß es mir alles verzeiht und mir erlaubt, mich ferner um seine Angelegenheiten zu bekümmern. Was die etwaigen Bewerber um den Klavierlehrerposten bei Ihnen betrifft, so hat Ihr Herr Vater allerdings insofern recht, daß ich sie nicht alle prügeln kann. Aber einige wenigstens würde ich mit Vergnügen windelweich klopfen. Seien Sie unbesorgt, ich werde schon ein Mittel finden, um die Herrschaften gründlich abzuschrecken. Und wenn alles nichts hilft, so würde ich mich eher dazu entschließen, Sie zu entführen und auf meine Kosten Nähmaschine lernen zu lassen, bevor ich zugebe, daß Sie ohne Sinn und Verstand malträtiert werden. Da Sie jedoch vermutlich nur geringen Wert darauf legen dürften, von mir entführt zu werden, so möchte ich Sie ersuchen, sich auch nicht alles gefallen zu lassen, sondern meinen Bemühungen dadurch unter die Arme zu greifen, daß Sie sich selber etwas auf die Hinterbeine setzen. Ich habe schon so viel trübe Erfahrungen mit unvernünftigen Eltern gemacht, daß ich mich nicht scheue zu behaupten: es ist die Pflicht braver Kinder, die Dummheiten ihrer Eltern wieder gut zu machen. Lassen Sie es mich nur gleich wissen, wenn Ihnen Gefahr droht. Ich werde dann sofort zu Ihrem Beistand bereit sein, womit ich verbleibe

Ihr stets ergebener Florian Mayr.«

Er steckte den Brief in einen Umschlag und versah ihn mit der angegebenen Adresse. Und dann machte er sich zum Ausgehen fertig, um ihn sofort in den Kasten zu stecken, als sein Blick auf den andern Brief fiel, den er inzwischen fast vergessen hätte. Er riß ihn ungeduldig auf und las:

»Sehr geehrter Herr!

Unser Peter Gais hat sein neues Musikdrama › Satan‹ soeben vollendet!! Es ist dies das grandiose Vorspiel zu der genial konzipierten Tetralogie › Der Mensch‹, deren Schaffung voraussichtlich den Höhepunkt des titanischen Ringens, die Krönung des gewaltigen Könnens unsres dämonischen Peter Gais darstellen dürfte. In der Voraussetzung, daß auch Sie, wertester Kunstgenosse, an dem Wachsen und Werden des genialen Tondichters lebhaften Anteil nehmen, lade ich Sie hiermit zu der morgen Abend sieben Uhr in meiner Wohnung stattfindenden ersten Vorführung des ›Satan‹ durch seinen Schöpfer freundlichst ein.

Hochachtungsvollst                                
Raphael Silberstein.«

»Jesses, Kinder, nehmt's 's Maul nit so voll!« brummte Florian kopfschüttelnd. Aber er setzte sich doch hin und schrieb eine Postkarte, um die Einladung dankend anzunehmen. Er kannte den dämonischen, genialen, titanischen Peter Gais zwar nicht persönlich, wußte aber, daß sein Opus 1 Liszts Aufmerksamkeit erregt hatte, und einige symphonische Dichtungen, die ihm bekannt geworden waren, hatten ihn allerdings begierig gemacht, den Mann kennen zu lernen.

Florian ging aus und steckte Brief und Karte selber in den Kasten. Er war in derartig gehobener Stimmung, daß er anstatt sein billiges Mittagbrot mit einem Glase schlechten Berliner Bieres hinunterzuspülen, sich heute einen Schoppen Wein gestattete, und daß selbst dieser Wein, der in irgend welcher gottlosen Hexenküche zusammengemischt war, seine gute Laune nicht zu verderben vermochte. Zum drittenmal las er beim letzten Glase der giftroten Flüssigkeit das blaßblaue Briefchen durch. Es war doch ein schönes Gefühl, sich durch eine Mannesthat so ein gutes, gläubiges Mädchenherz erobert zu haben. Erobert? Nein, er nahm den starken Ausdruck zurück sowie er ihn gedacht. Vorläufig nur: zur Dankbarkeit verpflichtet. Das war ja auch ganz genug für seine geringe Leistung – und an Liebesgeschichten hatte er nie gedacht, niemals seit seiner Bubenzeit in Bayreuth, wo er mit einer Bäcker- und Bräuerstochter einen kleinen Roman erlebt hatte, der mit einer schmerzlichen Enttäuschung endigte, indem das Mädchen, sobald er das Gymnasium verlassen hatte, es vorzog, einen zwar subalternen, aber doch pragmatischen Beamten zu heiraten. Seither hatte kein weibliches Wesen irgend welche Bedeutung mehr für sein inneres Leben gewonnen. Er war kein Mann für die Weiber, und die Weiber waren nichts für ihn. Er kannte überhaupt nur Zimmervermieterinnen, Konservatoristinnen und sonstige »Klaviergänse«, und alle diese drei Gattungen waren ihm im Grunde der Seele zuwider, außer wenn es ihm gelang, sie humoristisch zu erfassen – womit natürlich selbst den gefährlichsten schon sozusagen der Stachel abgebrochen war. Am Nachmittag saß er bereits wieder mit demselben Eifer wie immer über seinen Lisztschen Etüden am Klavier und auch die gesunde Nachtruhe wurde ihm durch keinerlei unprogrammäßige Träume gestört.

Da kam am nächsten Morgen ein zweites blaßblaues Briefchen. Das lautete:

»Lieber Herr Mayr!

Was werden Sie von mir denken, daß ich mich schon wieder an Sie wende, aber ich bin so unglücklich und weiß keinen andern Rat und habe keinen andern Freund als Sie. Mama hat richtig schon wieder einen neuen Lehrer für mich engagiert. Der Herr hat heute nachmittag seinen Besuch gemacht. Er sagte, er hätte gehört, daß für die ›merkwürdig begabte‹ Tochter des Hauses ein Lehrer gesucht werde; er gebe sich sonst gar nicht mit Klavierunterricht ab, da er ein schaffender Künstler sei. Aber es würde ihm eine Ehre sein, in diesem Falle eine Ausnahme zu machen, wo es sich um ein Haus handle, dessen ernste Kunstpflege in der ganzen musikalischen Welt der Hauptstadt so bekannt sei. Bisher hätte er nur einigen russischen Fürstinnen Unterricht gegeben, auf deren Schlössern er ganze Jahre zugebracht habe. Dann mußte ich dem Herrn etwas vorspielen. Ich habe noch viel schlechter gespielt als bei Ihnen. Und trotzdem fand er, daß ich ein ganz bedeutendes Talent hätte! Ich wäre nur durch eine grundfalsche Methode verdorben worden. Mama sagte, daß ich bei Ihnen Stunde gehabt hätte. Da sagte er, Sie wären ein Holzhacker, aber kein Klavierspieler. Sie hätten keine Seele und kein Verständnis für den schaffenden Künstler! Sie hießen in Musikerkreisen immer nur der Kraft-Mayr und jetzt wären Sie in einen Prozeß verwickelt, weil Sie eine ältere Dame Affenschwanz und alte Kuh geschimpft hätten! In Ihren Mußestunden amüsierten Sie sich damit, daß Sie Ihren Wirtsleuten etwas in den Kaffee thäten, wonach ihnen allen übel wurde, so daß sie zum Doktor schicken mußten. Lieber Herr Mayr, ich bin fest überzeugt, daß das alles ebenso gelogen ist wie daß ich Talent haben soll. Bitte, helfen Sie mir, wenn Sie können. Der Herr heißt: Antonin Prczewalsky, Tonkünstler, Schumannstraße 2. Mama gefiel er sehr und hat sie ihn gleich engagiert. Er hat auch eine eigene Komposition vorgespielt. Ich verstehe vielleicht nichts davon, aber ich fand sie scheußlich. Wie Sie einmal gesagt haben: Schneckenschleim mit Himbeersauce. Auch schnaufte er beim Spielen immer durch die Nase. Mein Vater war leider ausgegangen, aber er hätte wohl doch nichts dagegen thun können. Morgen um Zwölf soll ich die erste Stunde haben und will ich versuchen, ob ich nicht vorher zum Postamt 7 hinüberhuschen kann, ob vielleicht ein Brief von Ihnen da ist. Das wäre mir ein Trost. Ich bitte Sie nochmals von Herzen, lieber Herr Mayr, helfen Sie mir und würde es dem Herrn nicht schaden, wenn Sie ihn durchhauen würden, obwohl ich nicht weiß, ob Sie so intim mit ihm bekannt sind.

Um halb Zwölf bin ich also am Postamt 7, falls Sie mir etwas mitzuteilen haben und verbleibe ich Ihre dankbare ergebene Schülerin

Thekla Burmester.«

Als Florian Mayr mit dem Brief fertig war, blitzten seine Augen und um seine Mundwinkel zuckte es von satanischer Fröhlichkeit. Er beendigte rasch sein Frühstück und machte sich alsbald zum Ausgehen fertig. Es schneite zwar draußen, aber trotzdem griff er nicht nach seinem Schirm, sondern unterzog vielmehr seine drei Stöcke einer sorgfältigen Prüfung auf Schwere, Elastizität und Handlichkeit. Er entschied sich schließlich für einen äußerst biegsamen, mit Hanf umflochtenen und lackierten Stahlstab mit einer gleichfalls umflochtenen Bleikugel als Handgriff, einen der inzwischen längst aus der Mode gekommenen sogenannten Totschläger. Es genierte ihn nicht im mindesten, daß die Zusammenstellung von Totschläger und Cylinderhut wahrscheinlich einen komischen Eindruck auf das Straßenpublikum machen würde. Das Prügelmotiv aus den Meistersingern »Da hieb ich ihm den Buckel voll« vor sich hinpfeifend, sprang er die Treppe hinunter und begab sich in beschleunigter Gangart nach der Schumannstraße Nr. 2.

Im ersten Stock lachte ihm die Visitenkarte: Antonin Prczewalsky, Tonkünstler, entgegen. Er klingelte energisch. Eine dicke Madame in schmieriger Morgenjacke erschien. »Sind der Herr Tonkünstler vielleicht daheim?« erkundigte er sich.

Die Wirtin war etwas erstaunt ob dieser sonderbaren Anrede. »Sie meinen wohl den polnischen Herrn? Na natürlich is er zu Hause. Aber so früh darf ich keenen rin lassen. Um die Zeit schläft er noch.«

»O das macht nichts, Madamchen,« versetzte Florian treuherzig. »Ich bin ein alter, lieber Freund von ihm. Er wird sich sehr freuen, mich zu sehen. Lassen S' mich nur gefälligst hinein. Ich werd' ihn schon munter kriegen.«

»Na denn bitte, auf Ihre Verantwortung. Der Herr kann sehr eklig sind, wenn man ihn aus 'n Schlafe weckt.«

»Ick ooch!« versetzte Florian doppelsinnig und öffnete ohne weiteres die Thür, die ihm die dicke Madame bezeichnete.

Prczewalsky bewohnte einen elegant möblierten Salon nebst Kabinett. Der Salon war freilich nur halb so groß als Florians Eckzimmer am Luisenplatz, dafür war aber auch die Eleganz überwältigend. Ein Teppich ging durch das ganze Zimmer, ein Teppich freilich, der schon vor zwanzig Jahren nicht mehr neu gewesen war. In einer Ecke befand sich eine Polstergarnitur um einen runden Tisch herum, Sofa und drei Fauteuils in dunkelgrünem Plüsch, wie sie in den fünfziger Jahren in allen »guten Stuben« zu sehen waren. Die gehäkelten Antimacassars hingen zusammengeknüllt, nur noch von einer Stecknadel gehalten an den Rücklehnen der Fauteuils herunter. Vor dem Sofa lag eine polnische Zeitung auf der Erde, Cigarrenasche überall auf dem grünen Plüsch und auf dem Teppich. Ueber dem Sofa in einem ovalen Goldrahmen hing eine Photographie des Tonkünstlers, ein Brustbild in halber Lebensgröße. Darüber ein verdorrter Lorbeerkranz. An der gegenüberliegenden Wand, nahe am Fenster, stand der Schreibtisch, darauf abermals in einem Bronzerahmen ein Porträt des Tonkünstlers in Makartformat, wie er am Flügel saß, den Blick träumerisch in die Weite gerichtet. Einige Kabinettbilder von meist sehr dekolletierten Damen darum herum. Mitten im Zimmer stand ein Blüthnerscher Stutzflügel, offen. Auf dem Pult ein aufgeschlagenes Heft Chopin, daneben ein mit Bleistift geschriebenes Notenmanuskript. Der Tonkünstler war augenscheinlich damit beschäftigt, ein Werk seines großen Landsmanns nachzuempfinden. Auch auf den Tasten lag Cigarettenasche.

Nach kurzer Umschau in diesem vom Genius geweihten Raume trat Florian Mayr an die Thür des Schlafkabinetts und horchte. Lautlose Stille. Er öffnete vorsichtig die Thür und schaute hinein. In süßem Schlummer lag der schöne Antonin im Bette, der Mund stand ihm offen, vom sanften Hauche seines Odems leicht bewegt wehte das eine Ende seines melancholischen Schnurrbarts darüber auf und nieder. Um die weiße, hohe Stirn, die wohl noch in später Nacht der Kuß der Chopinschen Muse berührt haben mochte, buhlten einige aufgelöste dunkle Locken.

Florian Mayr genoß nur eine halbe Minute lang den berauschenden Anblick des schlummernden Genius. Dann trat er in den Salon zurück, die Thür weit offen lassend, und setzte sich ans Klavier. Nach der schönen Melodie des Beckmesser im letzten Akt der »Meistersinger« intonierte er das »Morgen ich leuchte im rosigen Schein, voll Blut und Duft geht schnell die Luft,« dann Fortissimo das Beckmessersche Guitarrengerupf dazwischen – und dann fiel er unvermittelt auf die Prügelmelodie, ja er erlaubte sich sogar den Spaß, sie mit zwei Händen in Oktaven herunterzuhämmern, und zwar mit der linken Hand einen halben Ton tiefer als mit der Rechten.

Es klang entsetzlich. Ein wahrhaft höllischer Morgenweckruf, der auch das reinste Gewissen um seinen Schlaffrieden zu bringen im stande gewesen wäre. Florian hielt einen Augenblick inne. Da in der Kammer brummte und schnaufte etwas, und dann glaubte er die Silben »psia krew« zu vernehmen.

»Grüß Gott, Herr Kollege!« rief er munter zurück. »Ich wollte mir nur erlauben, Ihnen ein Ständchen zu bringen.« Er ergriff seinen Stock und trat auf die Schwelle des Schlafkabinetts. Dort nahm er seinen Cylinder ab und führte eine ironische Verbeugung gegen das Bett aus.

Schlaftrunken rappelte sich Prczewalsky auf und rieb sich die Augen. Jetzt erst erkannte er seinen Morgenbesuch. Er räusperte sich, puffte heftig ein paarmal Luft durch die Nase und sprach: »Warum wecken Sie mich? Schneißlich! Gemeinheit! Was wollen Sie von mir?«

»O bitt' schön, ich wollte Ihnen nur meine Dankbarkeit bezeigen für die freundliche Auskunft, die Sie gestern über mich gegeben haben.« Florian sagte das im liebenswürdigsten Ton von der Welt, während er dabei seinen Cylinderhut anstandslos wieder aufsetzte und mit der Linken den Bleiknopf des Totschlägers erfassend, den biegsamen Stab scherzhaft über der Bettdecke auf und ab und hin und her pfeifen ließ.

Prczewalsky zuckte jedesmal zusammen, wenn das Ding seiner Nase zu nahe kam. Er ergriff das Federbett mit beiden Händen, hielt es schützend über sein Haupt empor und duckte sich darunter. »Lassen Sie doch den Stock weg,« näselte er ängstlich. »Sie machen mich ganz nervös.«

»Ach, das thut nichts,« versetzte Florian freundlich lächelnd. »Wissen S', ich muß immer was zum Spielen in der Hand haben – damit die Finger net steif werden, wissen S'. Das ist ein wundernettes Steckerl, was?« Und mit scharfem Pfiff ließ er ein paar Hiebe dicht vor des Tonkünstlers Nase vorbeisausen. »Ein wahrer Genuß wär' mir das, damit einem rechten würdigen Subjekt ein paar überzuziehen. Wissen Sie vielleicht jemanden?«

»Gehn Sie doch fort. Lassen Sie mich in Ruh!« rief der schöne Pole, nur mit einem Auge ängstlich unter dem Deckbett hervorlugend. »Ich bin nicht gewohnt, so früh morgens Besuch zu empfangen.«

Florian nahm seinen Stock unter den Arm, steckte die Hände in die Taschen seines Ueberziehers und fuhr fort, ohne die Zwischenrede Antonins überhaupt zu beachten: »Bitt' schön, wie würden Sie gegen einen Kollegen verfahren, der von Ihnen behauptet hätte, Sie wären ein Holzhacker, aber kein Klavierspieler, hä?«

Prczewalsky horchte auf und schob das Deckbett zurück.

»Wie würden Sie z. B. gegen mich verfahren, wenn ich von Ihnen behaupten wollte, Sie seien ein fader Lapp, ein schleimiger Aff, ein hinterlistiger, miserabler Fuchsschwänzer und was weiß ich? Ein nachempfindsamer, blöder Trottel, aber kein schaffender Künstler? Na, Herr Kollege? Dees wenn ich von Ihnen behaupten thät, was thäten S' dazu sagen?«

Prczewalsky setzte sich im Bett auf, fuhr sich durch das wirre Gelock, pfauchte aufgeregt durch die Nase und rief: »Ich lasse mir nicht gefallen! Sie sind gekommen, mich zu beleidigen. Gehn Sie hinaus!«

»Aber lieber Herr Kollega, regen S' Ihnen nur net auf! Ich red' ja nur beispielsweis. Ich möcht' ja nur von Ihnen wissen, was ich dem Kerl anthun soll, der von mir behauptet hat, ich hätt' eine würdige ältere Dame ›Affenschwanz‹ und ›alte Kuh‹ geschimpft und wär' darum verklagt worden. Und ein Giftmischer wär' ich auch.«

»Das ist nicht wahr, das hab' ich nicht gesagt. Wer hat Ihnen gesagt?«

»Je da schau! Sie wär'n des also? Wissen S', von Ihnen hätt' ich dees nit glaubt, Herr Kollega. Daß man um zehn Mark einem schon so viel G'meinheiten nachsagen kann, dees hätt' ich doch wirklich nimmer für möglich gehalten. Also bitt' schön, wollen S' jetzt so gut sein und sich entscheiden, ob ich Sie wegen Verleumdung belangen soll und vor der ganzen Kollegenschaft blamieren, oder ob Sie lieber eine Tracht Prügel unter vier Augen in Empfang nehmen wollen.«

»So, khn, khn! – – soo! O! – Sie drohen mich zu schlagen,« stieß Prczewalsky mit zitternder Stimme hervor. »O, Sie werrden mich schlagen, nicht wahr? O, ich werrde mir nicht gefallen lassen! O, ich werrde Sie verklagen wegen Gewalt in meine eigene Wohnung.«

»Bitte sehr, des können S' ja nachher thun,« versetzte Florian ungerührt. »Aber erst müssen S' doch die Prügel kriegt haben, eh' S' mich drum verklagen können. Also bitt' schön, steigen S' nur 'raus aus 'm Bett. Machen wir die G'schicht' g'schwind ab. Bis dat qui cito dat, sagt der Lateiner.« Dabei erhob er drohend den Stock in der Rechten und machte mit der Linken eine rasche Bewegung nach dem Lockenhaupte seines Opfers, als wollte er es beim Ohr aus dem Bette ziehen.

Der schöne Antonin ward käsweiß im Gesicht. Er ließ sich aufs Kopfkissen zurückfallen, strampelte schwach mit den Beinen und wehrte ungeschickt mit beiden Armen den drohenden Griff des Racheengels ab. Dabei jammerte er kläglich: »Lassen Sie mich! O, Sie gemeiner Mensch – ich werrde mir nicht gefallen lassen!«

Meister Florian ließ den Stock sinken, trat einen Schritt zurück und sagte scheinbar baß erstaunt: »Ja, was is jetzt dees? Mir scheint fast, Sie mögen gar keine Prügel! Ja, wissen S', des dürfen S' nur sagen, nachher treffen wir halt ein andres Arrangement. Ich will Ihnen was sagen: geben Sie mir das schriftliche Versprechen, auf den Unterricht im Hause des Konsuls Burmester ein für allemal zu verzichten, dann will ich Ihnen Ihre hundsgemeinen Verleumdungen für diesmal nicht weiter nachtragen. Also bitt' schön, wenn Ihnen das lieber is, so stehen S' nur auf und schreiben S' mir's nieder.«

»Ja, aber geh'n Sie hinaus,« seufzte Antonin sichtlich erleichtert, »sonst kann ich doch nicht aufstehen.«

»Ach, wegen meiner brauchen S' sich nit zu genieren,« sagte Florian, gutmütig lachend. »Da schau, da geht ja eine Thür auf den Gang hinaus. Da möchten S' g'wiß gern 'nausschlupfen. O naa, mein Lieber, des gibt's nit!«

Der Schlüssel steckte innen im Schloß. Florian trat zur Thür, überzeugte sich, daß sie verschlossen sei, zog den Schlüssel ab und steckte ihn in die Tasche. »So, jetzt hammer's. Bitte, verweilen Sie sich nur net zu lang bei der Toilette, ich hab' keine Zeit, wissen S'. Sie erlauben doch, daß ich derweil Ihren miserabeln Flügel a bissel zusammenschlag'?« Und ohne eine Antwort auf diese harmlose Bitte abzuwarten, ging er, die Thür hinter sich nur anlehnend, in den Salon. Stark auftretend, machte er einige Schritte und schlich dann auf den Zehenspitzen bis dicht unter die Thür zurück. Da drin knarrte das Bett. Der schöne Antonin erhob sich und jetzt – richtig, das hatte er erwartet! Er wollte die Thür geschwind ins Schloß drücken und sich von innen einriegeln. Aber Florian war flinker als er. Er steckte seinen Totschläger durch die Spalte und dann – schob er mit einem leichten Druck der Schulter gegen die Thür den sich vergeblich dagegen stemmenden Tonkünstler zurück und streckte, freundlich grinsend, seinen Kopf in das Kabinett.

»Naa, naa, lieber Herr Kollega, so hab' ich des net gemeint. Kommen S' nur herein wie S' da grad' sind. Zum Verlieben schaun S' aus; schad, daß i kein Madel bin. Oder nehmen S' sich doch lieber an Schlafrock um, Sie könnten sich am End' verkälten.«

Prczewalsky biß die Zähne zusammen und knirschte eine polnische Verwünschung vor sich hin. Es blieb ihm nichts übrig, als gehorsam in den Schlafrock zu schlüpfen und seinem Peiniger in den Salon zu folgen. »Was wollen Sie also noch von mir?« fragte er mit verbissener Wut.

»Bitt' schön, Herr Kollega, setzen Sie sich nur da nieder und schreiben Sie ungefähr in folgendem Sinne: Ich Endesunterschriebener verpflichte mich hiermit auf Ehrenwort, dem Fräulein Thekla Burmester unter keiner Bedingung Klavierunterricht erteilen zu wollen, auch keinen andern Lehrer dorthin zu empfehlen. Sollte ich trotzdem dieses mein Ehrenwort nicht halten, so bekenne ich, ein ganz gemeiner Lump zu sein, und erbiete mich, die von Herrn Florian Mayr, Pianist dahier, etwa über mich verhängte Prügelstrafe ohne Widerspruch in Empfang nehmen zu wollen. Unterschrift und Datum.«

Antonin saß und schrieb. Es schien ihm schwer zu werden, denn er gönnte sich mehrfach kurze Ruhepausen dazwischen, die er mit tiefen Seufzern und unartikuliertem Gegrunz ausfüllte. Endlich überreichte er dem geduldig harrenden Mayr das fertige Schriftstück.

Der las es mit ziemlichem Ernste durch und sagte: »Sie haben ja den gemeinen Lumpen und die Prügelstraf' ausgelassen?«

Antonin zuckte nur die Achseln. Kreidebleich, mit schlotternden Knieen und wirrem Haarwust saß er da in seinem Schreibstuhl, ein wahres Jammerbild. Florian empfand fast Mitleid mit ihm. Er faltete das Papier zusammen, steckte es in seine Brusttasche und sagte: »Also lassen wir's gut sein. Wenn Sie Ihr Wort nicht halten, sind S' ja doch ein gemeiner Lump, ob Sie's mir nun schriftlich geben oder net. Und die Prügel bleiben Ihnen dann auch net g'schenkt; ich werd' schon fein Obacht geben auf Sie! Also, wertester Herr Kollega, ich hab' die Ehre, recht guten Morgen zu wünschen.« Damit lüftete er den Hut, legte den Kammerschlüssel auf den Tisch und schritt nach der Thür.

Der schöne Antonin sprang auf, ballte seine Fäuste hinter ihm her und knirschte wutschnaubend: »Herr Mayr, ich muß Ihnen sagen, Sie sind ein . . .«

»Was, bitte?« unterbrach Florian, seinen Stock wie zur Auslage erhebend.

»O, ein serr – – merkwürdiger Mensch sind Sie,« vollendete jener mit scheuem Flüstern.

»Sehr liebenswürdig,« sagte Florian, verbeugte sich dankend und verließ das Zimmer.

Er hatte kaum den Fuß draußen auf die Treppe gesetzt, als hinter seinem Rücken die Thür aufgerissen wurde. Da stand der edle Pole im Schlafrock und bloßen Beinen und schrie, so laut er konnte: »O Sie, Herr, ich habe Sie die Treppe hinuntergeworfen, wissen Sie!« Er verschwand ungemein rasch, warf die Thür krachend hinter sich ins Schloß und dann hörte ihn Mayr im Korridor schreien: »Madame Cebrian, bitte, Sie sind Zeuge, daß ich diesen Herrn soeben die Treppe hinuntergeworfen habe.«

Ganz ungemein vergnügt trollte sich Meister Florian nach dem bekannten Privatkonservatorium, wo er an diesem Vormittag zu unterrichten hatte. Er hatte eigentlich bis Zwölf zu thun, aber um elf Uhr ersuchte er einen Kollegen, ihn zu vertreten, da er seine Großmutter von der Bahn abholen wolle. Die Sache ließ sich unschwer machen, und so befand sich Herr Florian Mayr wenige Minuten nach Elf bereits unterwegs nach dem Postamt Nr. 7. Eine Viertelstunde lang mußte er vergebens auf und ab patrouillieren, bevor seine Geduld durch das Erscheinen des Fräulein Thekla belohnt wurde. Sobald er sie um die Ecke biegen sah, trat er in einen Thorweg neben dem Postamt und hielt sich dort versteckt, bis sie seinen Brief in Empfang genommen hatte und, scheu um sich blickend, wieder auf die Straße trat. Dabei ward sie seiner ansichtig und stieß einen ganz leisen Schrei freudiger Ueberraschung aus.

Florian Mayr ging ihr entgegen und drohte lachend mit dem Finger. »Ei, ei, Fräuleinchen! Was ich von Ihnen weiß! Sie holen sich heimlich postlagernde Briefe ab. Von jungen Herren wohl gar? Dees wenn ich der Frau Mama sagen thät'!«

Thekla errötete verlegen, indem sie seinen höflichen Gruß mit einem etwas ungeschickten Knicks erwiderte. »Ach, Herr Mayr, Sie spassen ja nur,« sagte sie niedlich dumm. »Sie wissen doch, daß ich mir nur Ihren Brief geholt habe.«

»Erlauben Sie, Fräulein, bin denn ich vielleicht kein junger Mann?« begehrte er auf. »Ich hab' freilich ein Gesicht wie ein lederner Kirchenvater auf den ältesten Bildern. Sie haben wohl gar keine Ahnung, wie elend jung ich bin? Dreiundzwanzig! Ja, gelten S', da spannen S'? Ich bin im gefährlichsten Alter – ich meine, wo man zu den größten Dummheiten fähig ist.«

»Ach nein, Herr Mayr,« entgegnete Thekla, indem sie zweifelnd zu ihm aufblickte.

»Doch, doch! In meinem Brief da steht's ja drin, daß ich Sie entführen will. Wenn des keine Dummheit is, nachher weiß ich net . . .«

»Ach, wirklich?« rief Thekla leise mit einem freudigen Aufblitzen ihrer Augen.

Sie waren nebeneinander hergegangen, um die nächste Ecke gebogen und spazierten nun die Jerusalemerstraße hinunter, ohne sich dessen bewußt zu sein. Florian schaute auf das hübsche, frische Mädchen an seiner Seite, dem das dunkle Samtkleid mit Pelzkragen und -kappe gar reizend stand, mit einem drolligen Ausdruck herab, – stark onkelhaft und ein klein wenig verliebt dazu. Ihre liebliche Verlegenheit machte ihm ein ungeheures Vergnügen. »Ja, ja, was denken Sie von mir?« fuhr er fort. »Halbe Maßregeln sind mir immer zuwider gewesen. Eh' daß ich Ihnen wieder Klavierstunden geben lasse, entführ' ich Sie schon lieber. Das wär' nachher doch die einzige Möglichkeit. Hab' ich net recht?«

»Ja, wenn Sie meinen, Herr Mayr,« versetzte Thekla schüchtern. Sie wußte jetzt schon gar nicht mehr, ob er es ernst meinte, oder sie nur aufziehen wollte. »Haben Sie denn meinen zweiten Brief auch bekommen?« fügte sie rasch hinzu, um ihre Verlegenheit nicht merken zu lassen.

Er bejahte und erstattete ihr darauf einen höchst anschaulichen Bericht über seinen Morgenbesuch bei dem edlen Pan Prczewalsky. Thekla war so stolz und glücklich; ihre Wangen brannten, ihre Augen glänzten, wie sie so gespannt horchend zu ihrem langen, schlanken Helden emporschaute, welcher, nur mit einem einfachen Totschläger bewaffnet, es gewagt hatte, für sie in den Kampf zu ziehen, die Höhle des langmähnigen Ungeheuers zu betreten, dem ihre unerbittlich musikalische Mama sie hatte ausliefern wollen.

»Wie gut Sie sind, Herr Mayr,« sagte sie warm, als er mit seiner Erzählung zu Ende gekommen war. »Glauben Sie wirklich, daß er jetzt nicht mehr wiederkommen wird?«

»Das können wir ja gleich feststellen, für heut wenigstens,« erwiderte Mayr. »Um zwölf Uhr sollte er antreten, net wahr? In ein paar Minuten ist's zwölf; also schauen wir zu.«

»Gleich Zwölf?« rief Thekla erschrocken. »Ach du liebe Zeit, da muß ich ja flink nach Hause. Wo sind wir denn eigentlich? Wir haben uns ja ganz verlaufen.«

»Ah was, heut brauchten S' eigentlich gar nimmer heim, Fräulein Thekla,« lachte Mayr. »Klavierstunde is heut ja doch keine, und Spazierengehen ist viel gescheiter. Ich hab's Ihnen ja doch auch verschrieben.«

»Ach Gott, Herr Mayr,« versetzte sie ängstlich, »ich möchte ja auch viel lieber mit Ihnen spazieren gehen, aber ich muß doch um Zwölf zu Hause sein. Mama weiß doch nicht, daß der polnische Herr nicht kommt. Und was soll ich denn sagen, wo ich gewesen bin, wenn ich gar nicht nach Hause komme? Ach Gott, hier sind so viele Menschen, wenn uns nur kein Bekannter gesehen hat!« Sie schritt sehr rasch dahin, in der Richtung nach der Markgrafenstraße. Ganz aufgeregt war sie und hörte gar nicht mehr auf die kleinen Neckereien über das Rendezvous, die er unterwegs an sie richtete.

Auf dem französischen Dom am Gendarmenmarkt schlug es Mittag, bevor sie noch das Haus, in welchem der Konsul Burmester wohnte, erreicht hatten. Und sie waren noch etwa fünfzig Schritt von der Hausthür entfernt, als sie just – Herrn Antonin Prczewalsky heraustreten sahen. Thekla bekam einen solchen Schreck, daß sie nicht wußte, ob sie umkehren und davonlaufen, oder sich hinter ihres Freundes Rücken verstecken sollte. Da nahm dieser sie fest bei der Hand und zog sie ohne weiteres mit sich fort. Nur wenige Schritte noch und sie standen vor dem Tonkünstler, welcher gesenkten Hauptes und mit zugekniffenen Augen dahinwandelnd, ihrer nicht eher gewahr wurde, als bis es zu spät war, ihnen auszuweichen.

»I, schau da, wo kommen denn Sie her, Herr Kollega?« rief Florian jovial, indem er dabei, wohl um seiner Begrüßung mehr Nachdruck zu geben, mit dem Stocke zu fuchteln begann, wie ein besonders junger und schneidiger Corpsstudent. »Sie haben sich doch nicht etwa zum Herrn Konsul hinaufbemüht? Sie sehen, das Fräulein hat Sie heute gar nicht erwartet.«

Prczewalsky rang nach Worten. »O, ich sehe – ich verstehe vollkommen,« stammelte er. »Mein gnädiges Fräulein, entschuldigen, ich muß verzichten auf die Ehre. Ich habe der Frau Mutter meine Grinde mitgeteeilt.«

»Ach, is wahr?« rief Florian erstaunt thuend. »Das wird aber jetzt dem Fräulein schrecklich leid thun; nicht wahr, gnädiges Fräulein?«

Thekla wußte in der Verlegenheit nur zu lächeln.

Der schöne Antonin zog seinen Hut vor dem Mädchen, schüttelte seine Locken zurück und schnaufte, indem er ihn wieder über den edlen Schädel zog: »Entschuldigen gnädiges Fräulein, ich bin serr beschäftigt. Frau Mutter war in Sorge um Sie; wird sich serr freuen, daß in so sicherer Begleitung spazieren gegangen sind. Guten Morgen!«

Damit setzte er sich in Bewegung, ohne Mayr auch nur eines Blickes zu würdigen. Der zog den Hut tief und lief lustig hinter ihm drein: »Hab' die Ehr', Herr Kollega! Hat mich wirklich ungemein gefreut!« Und vergnüglich vor sich hinlachend, ergriff er Theklas Hand, drückte sie fest und zog sie, langbeinig weiterschreitend, mit sich fort.

Nur wenige Schritte war er gegangen, da fühlte er sich unsanft von einem harten Gegenstand am Schulterblatt berührt. Er wandte sich rasch um. Vor ihm stand der schöne Antonin, der ihm nachgelaufen war und ihn mit dem Knauf seines Regenschirms angestupft hatte.

»Ich verbitte mir,« pfauchte der Tonkünstler, »ich verbitte mir serr energisch. Ich kenne Sie nicht. Haben Sie mich verstanden? Ich wünsche von gänzlich unbekannten Leeiten nicht gegrüßt zu werden.« Sprach's, drehte sich auf dem Absatz herum und entfernte sich hoch erhobenen Hauptes.

Florian schaute ihm eine kleine Weile schmunzelnd nach, dann sagte er nicht eben trostlos: »Weh mir, ich bin gerichtet!«

Thekla war im Augenblick für den Humor nicht sehr empfänglich. »Ach Gott, ach Gott, was soll ich jetzt bloß sagen, wenn ich hinaufkomme?« fragte sie ängstlich.

»Die Wahrheit, was denn sonst? Ich nehm' alles auf mich, mein liebes Fräulein.« Und mit einem letzten freundschaftlichen Händedruck ließ er sie vor ihrer Hausthür los.


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